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Full text of "Triple Oppression & bewaffneter Kampf"

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Für eine neue revolutionäre Praxis! 



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Eine Dokumcnialion 
von 
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antiimperialistischen 

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feministischen 

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kommunistischen 

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Beiträgen 

/ur Debatte übel die 
Neubestimnuing 
revolutionärer Politik 

im - iw 


Vorwort 

der Mitherausgeberinnen 


Entgegen dem sog. Legalitätsprinzip, das heißt präzisen, bürgerliche Sicherheit gewährleisten- 
den gesetzlichen Vorgaben politischen und polizeilichen Handelns, handeln die staatlichen In- 
stitutionen im Rahmen des von ihnen gezimmerten "Systems Innerer Sicherheit" immer erneut 
nach dem sog. Opportunitätsprinzip. Das heißt je nach Situation wird diese oder jene Maß- 
nahme ergriffen und werden beispielsweise bürgerliche Rechte verletzt oder nicht. Vor allem 
präventive Vorkehrungen werden getroffen, die, mit dem Schein des Sicherheitsvcrsprechcns 
versehen, bürgerliche Sicherheit gefährden, indem sie die Sicherheit bestehender Herrschafts- 
verhältnisse zu garantieren suchen. An den Voraussetzungen dieser präventiven Maßnahmen 
hat der Gesetzgeber meist fahrlässig mitgewirkt. Beispielsweise sind strafrechtliche Normen 
beschlossen worden, die jeder aufgeklärten und demokratisch-rechtsstaadichcn Strafrcchtslo- 
gik widersprechen. So der § 129a StGB. 

Wir, die wir dieses Buch mitherausgeben, das wir nicht mitverfaßt haben und dessen Argu- 
mente wir weithin nicht teilen, handeln gleichfalls präventiv. Freilich strikt im Rahmen des 
grund- und menschenrechtlich fundierten Legaliiäisprinzips. Wir wollen nämlich dabei helfen, 
zu gewährleisten, daß die Herausgeber dieser Aufsätze, Briefe und Erklärungen u.ä.m. ihre 
Vorstellungen öffentlich zugänglich machen und damit der öffentlichen Diskussion unterwer- 
fen können. Eine solche Veröffentlichung könnte aber, siehe den demokratisch-rechtsstaatlich 
unhaltbaren § 129a StGB, sobald sie erfolgt ist. noch zu unterdrücken versucht werden. Und 
diejenigen, die dafür verantwortlich sind, werden dann strafrechtlich verfolgt. So mitten in 
dieser Republik seinerzeit Bommi Baumanns Buch "Wie alles anfing...". Seinerzeit wurde der 
in der Zwischenzeit kassierte, jedoch strafrechtlich anderwärts ersetzte § 88a StGB Öffent- 
lichkeit unterdrückend und strafverfolgerisch benutzt. 

Was immer man von den in sich kontroversen Gedanken dieses Buches halten mag: In jedem 
Fall verdienen sie die gleiche Chance öffentlich diskutiert und damit kritisiert und gegebenen- 
falls verworfen zu werden, wie dies für andere passend-unpassende Überlegungen gilt. Infor- 
mationsfreiheit und Offenheit der Diskussion gehören zu den Grundbedingungen jeden frei- 
heitlichen Streits. Fundamcntdopposition ist nicht von vornherein auch gedanklich unzuläs- 
sig. Gewalt entsteht erst aus Unterdrückungen aller Art, selbst wenn diese im Namen der Be- 
kämpfung von Gewalt auftreten. 

gez. ASTA-FU gez. Wolf Dieter Narr 

gez. Frigga Haug • gez. Uwe Wesel 

gez. Wolfgang Fritz Haug gez. Harald Wolf 


Für eine neue revolutionäre Pneus. Triple Oppression <£ bewaffneter Kampf. Eine Dokuncnia- 
tiim vi m antiimperialistischen. feministischen, kommunistischen Beilrügen zur Dcbaiic übor die 
NeuhcMimmung revolutionärer Politik 1986-1993 mit einem Vorwort der Mitherausgeberinnen 
lirsg. von der Broseliurengnippe in Zusammenarbeit mit dem ASTA-Fll sowie Frigga Haug. 
Wollgung Fritz Huug. Wolf Dieter Narr. Uwe Wesel und Harald Woll 

Verfasserinnen: Broschurcngruppc. Lucio Colleüi, Galvano della Volpe. Karl-Heinz Dellwo. ... 
Selbstverlag: Berlin. 1994. 212 Seiten 


Inhalt 


I. Für eine neue revolutionäre Praxis! 5 

1. Vorwort 6 

2. Einleitung: Iriple oppression und bewaffneter Kampf 7 

3. Für eine produktive Debatte zwischen Antiimpcrialistlnncn. Fcministinnen und Kommunistinnen! 

Zusammenfassungen der Texte (abstracts) .’. 10 

II. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit I: 

Kommunistische Kritiken an der alten Politik der RAF 16 

1. Gefangene aus der PCE(r) und der GRAPO, Zwei unvereinbare Linien in der europäischen revolu- 
tionären Bewegung ( 1 986) 17 

2. Frddöric Oriach, Der bewaffnete Kampf als strategische und taktische Notwendigkeit des Kampfes 

für die Revolution (1985) 25 

3. o. Verf., Für den Kommunismus! (Papier vom Widerstands- Kongreß 1986) 46 

III. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Weißen und People of Color: 

Antirassismus ist mehr als Antifaschismus und traditioneller Antiimperialismus! - 51 

1. Christian Klar, Brief vom Jan. 1992 52 

2. Heidi Schulz. Auszug aus einem Brief vom Jan. 1993 53 

3. RAF, Auszug aus der Weiterstadt-Erklärung (April 1993) ; 54 

4. Lutz Täufer, Auszug aus dem Text " Ghetto oder Gesellschaft" (Jan. 1993) 55 

5. einige Frauen aus der radikal , Gegen das organisierte Deutschtum! (Herbst 1992) 56 

6. Frauen aus verschiedenen politischen Bereichen, Zur Politik der Frauen aus dem antirassistischen 

Zentrum und grundsätzliche Überlegungen zur antirassistischen Politik (März 1992) 63 

IV. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Männern und Frauen I: 

Feministische Kritiken an der alten und neuen Politik 65 

1. Schweizer Feministinnen, Ein Stein in der Sonne (1990) 66 

2. Frauen aus der radikal , Stellungnahme zu "Ein Stein in der Sonne" 70 

3. Sterin, Die inhaltliche Debatte weitet entwickeln (Okt. 1992) 75 

4. Frauen/Lesben aus Gießen. Eine feministische Kritik (Feb. 1993) 76 

3. deutsche Lesben aus dem linksradikalen Frauen-/Lesben-Spektrum, Stellungnahme zur 
" Feministischen Kritik " (Mai 1993) 82 

V. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Männern und Frauen II: 

Zur kommunistischen Debatte über das Patriarchat 85 

1. Stellungnahme der Kommunistischen Brigaden 86 

2. Stellungnahme der belgischen CCC-Gefangenen 87 

3. Kritik von Pro Kommunismus an diesen beiden Texten 95 

VI. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Kapital und Arbeit II: 

Kommunistische Kritiken an der neuen Politik der RAF 107 

1 . ZK der PCE(r), Strategische Neuorientierung oder Das Ende des bewaffneten Kampfes 

(Juni 1992) 108 

2. Gefangene aus den CCC, Eine nicht zu rechtfertigende Erklärung (Okt. 1992) 1 10 

3. Bernhard Rosenkötter / Ali Jansen / Michi Dietiker, "... sag mal wo leben wir denn?" 

(Mai 1992) 1 14 

4. Michi Dietiker / Ali Jansen / Bernhard Rosenkötter, Über das Schleifen von Messerrücken (Juli 
1992) 



4 


VII. Kritische Theorie: Die Totalität eliminiert die gesellschaftlichen Antagonismen. Die theoreti- 
schen Ursachen der Defizite der alten und neuen Politik .. 124 

1. Broschürcn-Gruppc, Frankfurter oder Rote Armee Fraktion? - Zur Kritik des Einflusses der Kriti- 
schen Theorie auf die RAF 125 

2. Galvano della Volpe, "Kritik eines spätromantischen Paradoxes (Über die ‘Dialektik der Aufklärung 

von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno)" und "Marcuses Moralismus und Utopismus " 136 

3. Karl Marx und Friedrich Engels, Über die revolutionäre Rolle der Bourgeoisie. Auszug aus dem 

Kommunistischen Manifest 140 

4. Lucio Colletti, Von Hegel zu Marcuse 143 

5. Friedrich Engels über die Parole "Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk " 150 

6. Karl Marx über die Forderung nach "gerechter Verteilung des Arbeitsertrags" 151 

7. Rolf Nemitz, Ideologie als "notwendig falsches Bewußtsein" bei Lukdcs und der Kritischen Theorie 

8. Stuart Hall, Ideologie und Ökonomie - Marxismus ohne Gewähr 161 

9. Dcsch, Vom Protest zum Widerstand - aber wie? 164 


VIII. antiimperialistische Kritiken an der neuen Politik 185 


1 . Nathalie Menigon, Gefangene aus der AD, Brief vom 14.06.1992 186 

2. Joelle Aubron, Gefangene aus der AD, Brief vom 12.06.1992 188 

3. Christian Klar, KONKRET-Leserbrief und Prozeßerklärung (Herbst 1992) 188 

4. Rolf Heißler, Brief vom Jan. 1993 mit Kritik an der Erklärung von Karl-Heinz Dellwo 191 

5. Heidi Schulz, Auszug aus einem Brief vom Jan. 1993 mit Kritik an der Erklärung von Karl-Heinz 

Dellwo 192 

außerhalb der Kapitel-Überschriften 

1. Die RAF - eine nachholende Resistance? Die BRD - eine gefestigte Demokratie? Auszüge aus dem 

KONKRET-Interview der Celler Gefangenen (6/1992) und dem Odranoel- Beitrag von Lutz Täufer 81 

2. Karl-Heinz Dellwo, Erklärung vom Nov. 1992 189 

3. Lutz Täufer, Gesellschaft oder Isolation (Feb. 1992) 194 




IX. Anhang 

1. Quellenverzeichnis 

2. Hinweis auf weiterführende Literatur 


206 

207 

208 



5 


I. Für eine neue revolutionäre Praxis! 

"'92 gab cs plötzlich sovielc Schwätzerinnen wie nie zuvor, von denen wir in unseren offensiven Phasen nichts mit- 
bekommen haben. Nicmaid von denen war und ist bereit, selbst bewaffnet zu kämpfen. (...). Denn Schwül/ertum 
führt nicht mal zu Wiederholungen des alten, cs fuhrt zai nichts.” 

RAF, 02.1 1.1993 

“Eine der härtesten Lektionen, die wir zu lernen hatten, war, daß revolutionärer Kampf eher wissenschaftlich 

(scientific) als emotional ist. Ich sage nicht, daß wir nichts fühlen sollten, aber Entscheidungen können nicht auf 
Liebe oder Wut basieren. Sie müssen sich begründen auf den objektiven Bedingungen und danach richten, was 
rational und uncmotional (notwendig) z.u tun ist." 

Assata Shakur zlL n. Klaus Viehmann u.a., Drei zu Eins 

1. Vorwort 

2. Einleitung: triple uppression und bewaffneter Kampf 

3. Für eine produktive Debatte zwischen Antiimperialistlnnen, Feniinisiinnen und Kommunistinnen! Zusammenfassungen 
der Texte (abstracts) 



6 


Vorwort 

Am 10.4.92 verkündete die RAF die Einstellung ihrer gezielt tödlichen Angriffe gegen Repräsentanten 
von Staat und Kapital. Diese und auch die im August folgende, ausführlichere Erklärung lösten eine 
heftige Kontroverse über ihre neue Politik aus. Kritisiert wurde vor allem die Verknüpfung von be- 
waffneten Aktionen mit der Situation der Gefangenen, der unscharfe Begriff der aufzubauenden 
"Gegenmacht von unten" etc. 

Die RAF wies die sich nach dem April 1992 entwickelnde Debatte, ob ihre neue Politik revolutionär 
oder reformistisch sei, als "Scheindiskussion" zurück. So richtig es auch sein mag, daß oft Denunzia- 
tionen und Beschuldigungen die Auseinandersetzung beherrschen, so richtig ist es allerdings auch, daß 

eine grundlegende Reflexion über revolutionäre Theorie und Praxis und entsprechende Konsequenzen 
in der jetzigen Situation zwingend notwendig sind. 

Diese Broschüre soll in die aktuellen Diskussionen eingreifen und Material bieten zu grundsätzlichen 
Fragen von Strategie und Taktik. Aus diesem Grund wird nicht auf die jüngsten Konflikte innerhalb 
des Gefangenenkollektivs eingegangen. Die in diesem Rahmen vorgebrachten Beschuldigungen sind in 
Form und Inhalt zum großen Teil wenig geeignet, produktive Auseinandersetzungen zu befördern. Au- 
ßerdem finden wir es als Herausgeber dieser Broschüre wichtig, die Aufmerksamkeit auf bisher ver- 
nachlässigte Aspekte zu lenken, die nicht ursächlich in den letzten zwei Jahren liegen. Vielmehr müs- 
sen zentrale Fehleinschätzungen der RAF kritisch beleuchtet werden, die sich durch den größten Teil 
ihrer Geschichte ziehen. Nur so kann die jüngste Entwicklung verstanden und verarbeitet werden. 

Die vorliegende Broschüre versammelt Texte verschiedener, teilweise gegensätzlicher politischer 
Richtungen, die sich aber alle mit revolutionärer Politik im allgemeinen oder mit der Politik der RAF 
im speziellen befassen. Die Auswahl der einzelnen Beiträge erfolgte nach subjektiven Kriterien, aber 
nicht willkürlich. 


Broschiiren-Gruppe 



Einleitung 


Wir greifen als Kommunisten in die aktuelle Debatte zur Neubestimmung revolutionärer Politik ein. Im 
Unterschied zu vielen anderen kommunistischen Gruppen postulieren wir jedoch nicht die Existenz des 
Hauptwiderspruchs Kapital-Arbeit, dem in hierarchischer Folge Nebenwidersprüche angegliedert werden. 
Grundlage unserer Analysen bildet die triple-oppression-Theorie. nach der drei antagonistische Widersprü- 
che existieren, die zudem relativ unabhängig voneinander sind. Aufgrund dieser theoretischen Bestimmung 
setzt unsere Kritik an der RAF an verschiedenen Funkten an. Sie kann hier allerdings nur skizziert werden. 
Schwerpunkt der Broschüre sind Texte anderer Gruppen und Einzelpersonen. Dies ist vor allem der Tatsa- 
che geschuldet, daß unser persönlicher Erfahrungshorizont aufgrund der politischen Herkunft oder des Al- 
ters äußerst unterschiedlich ist. Wir veröffentlichen im folgenden also Texte, in denen sich unsere Positio- 
nen großenteils wiederfinden. Dies bedeutet allerdings nicht, daß alle hier versammelten Materialien unse- 
re uneingeschränkte Zustimmung besitzen. Viele haben formale und inhaltliche Schwachen, leiden unter 
einer verkürzten, patriarchalen Betrachtungsweise, einer unangemessen heroischen Sprache, einer sche- 
matischen Auffassung des Geschlechterverhältnisses oder einem unsachlichen Umgang mit dem Gegen- 
stand ihrer Kritik. Nichtsdestoweniger besitzt jeder Texte wichtige, diskussionswürdige Ansätze, die un- 
seres Erachtens bei einer Neubestimmung revolutionärer Politik berücksichtigt werden müssen. 

Eine solche Ncubcstimmung ist nur möglich, wenn bisherige Versäumnisse und Fehlentwicklungen klar 
benannt und in ihrer Ursache bestimmt werden. Dafür ist es erforderlich, bis zum Frontkonzept der RAF, 
teilweise noch weiter, zurückzugehen. Nur so erschließen sich Kontinuitäten theoretischer Fehlleistungen, 
die fast zwangsläufig zur Erklärung vom 10.4.92 und zur jetzigen Situation der RAF führen mußten. 

Zu diesen Fehlleistungen zählt ein schematisches Gcsellschaftsvcrständnis. Hatte sich die RAF anfänglich 
noch explizit auf hiesige Widersprüche bezogen (wenn nicht auf Patriarchat und Rassismus, so doch auf 
Klassenauseinandersetzungen), machte sie seit dem Scheitern ihrer Offensive vom Mai 1972 drei zentrale 
Konfliktlinien aus, die der Gesellschaft äußerlich sind: Metropole-Trikont, West-Ost, -Staat-Gesellschaft. 
Ihren theoretischen Niederschlag fand diese Analyse dann im sogenannten Frontkonzept vom Mai 1982. 
Eine solche Sicht der Dinge ist undialektisch und führte schließlich aufgrund der Umwälzungen 1989/90 

und der Schwäche der trikontinentalen Befreiungskämpfe zur vollständigen Fixierung auf den angeblichen 
Widerspruch Staat-Gesellschaft. . 

Da der Staat jedoch kein außerhalb der eigentlichen Gesellschaft existierendes Subjekt ist, sondern viel- 
mehr Resultat innergesellschaftlicher Widersprüche (daher sein patriarchaler, rassistischer und Klassen- 
charakter), ist es unsinnig, zwischen beiden einen Widerspruch oder gar einen Antagonismus suchen zu 
wollen. Für sich betrachtet hat auch der Begriff der "Gesellschaft" keinen analytischen Wert. So konkret 
die Gesellschaft auf den ersten Blick erscheinen mag, sie bleibt eine inhaltsleere Abstraktion, wenn nicht 
die sie konstituierenden Klassenverhältnisse begriffen werden. Die einzelnen Klassen werden wiederum 
erst konkret bei Betrachtung der Produktionsverhältnisse, aus denen sie hervorgehen. Eine ernsthafte 
Analyse gesellschaftlicher Widersprüche ist also nur möglich, wenn von der materiellen Basis ausgegan- 
gen und diese als Ansatzpunkt von Veränderungen begriffen wird (vgl. K. Marx: Einleitung zu den Grund- 
rissen der Kritik der politischen Ökonomie, 1857, S. 21 ff.). 

Bezog sich die RAF zu früheren Zeiten wenigstens noch auf den Klassenwiderspruch, so hat sie es mittler- 
weile geschafft, auch diesen zu eliminieren. Begriffe wie "Klassenkampf ' oder "Proletariat" erscheinen in 
den neueren Texten kaum oder gar nicht, das "Kapital" scheint nur eines der vielen Synonyme für das 
"System" zu sein. Geschlechterwiderspruch und Rassismus sind Aspekte, die in den Analysen der RAF 
traditionell nur marginale Bedeutung besitzen und, wenn überhaupt, als von außen in die Gesellschaft ge- 
tragene Manipulation wahrgenommen werden. 

Insofern die RAF seit Mitte 1972 statt der Ursache (die Widersprüche in der Gesellschaft) deren Auswir- 
kung ((die Existenz desj Staates)) bekämpft, war sie objektiv schon damals reformistisch. Sie war aller- 
dings bis 1989/92 subjektiv revolutionär, denn sic faßte den von ihr wahrgenommenen Widerspruch Staat- 



8 


Gesellschaft als antagonistisch auf. Da sie heute diesen von ihr ausgemachten Widerspruch nicht mehr als 
antagonistisch betrachtet, Widersprüche innerhalb der Gesellschaft aber gleichwohl immer noch ignoriert, 
ist ihre neue Politik offen reformistisch. Es geht also darum, den Staat ’zurückzudrüngcn' statt ihn zu zer- 
schlagen und "wegzukommen davon, in erster Linie darauf zu gucken, wer ist für und wer ist gegen revolu- 
tionäre Politik" (August-Erklärung). 

Vorrangig geht es der RAF jetzt um "konkrete Veränderungen", die nicht "bis auf die zeit nach der revolu- 
tion verschoben werden können" (WWG-Erklärung); um Freiräume, "Gegenmacht von unten" (April-Er- 
klärung). Die RAF gibt diese Konzeption als Alternative zum 'Abwarten bis zur Revolution’ aus (was aber 
ohnehin nicmandE vorgeschlagen hat). Tatsächlich bedeutet die neue Konzeption der RAF vielmehr nicht 
das Abwarten, sondern die Revolution aufzugeben. Denn wenn cs möglich ist, daß nicht nur Reformen im 
System , sondern ein tatsächlicher "Entwicklungsraum Für (...) Fundamentalopposition" (August-Erklärung) 
bzw. eine "gesellschaftliche Alternative", also doch wohl eine Alternative zum System, schon "hier und 
heute" anfangen (April-Erklärung). warum dann überhaupt noch für die Revolution kämpfen? 

Die jetzige Situation der RAF ist Resultat einer Entwicklung, in deren Verlauf bewaffnete Aktionen tech- 
nisch immer mehr vervollkommnet wurden, das "Primat der Praxis" also realisiert wurde, die theoretischen 
Aspekte jedoch in den Hintergrund rückten. Diese beobachtbare Entwicklung darf jedoch nicht darüber 
hinwcgläuschcn, daß die RAF natürlich theoretische Analysen besaß und besitzt, auf deren Grundlage die 
praktische Politik gestaltet wurde. Die theoriefeindliche Selbstdarstellung der RAF (s. schon Konzept 
Stadtguerilla, Abschnitt "Primat der Praxis") bzw. der Vorwurf der Theorielosigkcit mögen also partiell 
zutreffen. Dies festzustellen bleibt aber unzulänglich, wenn nicht die Frage nach der Richtigkeit der trotz- 
dem entwickelten Konzepte gestellt wird. So werfen die Gefangenen der GRAPO/PCE(r) in ihrem Text 
"Zwei unvereinbare Linien innerhalb der europäischen revolutionären Bewegung" der RAF militaristische 
Positionen vor, die deren kleinbürgerlichen Charakter nur schlecht verhüllten. 

Die hier kurz angedeutetc Kritik an grundsätzlichen theoretischen Positionen der RAF sollte allerdings 
nicht dazu führen, daß Verhältnis zwischen alter und neuer Politik als lineare Kontinuität aufzufassen, 
vielmehr führten die veränderten Bedingungen nach 1989/90 zum Wegfall einiger Elemente der RAF-Po- 
litik und zur Hervorhebung bzw. Neueinfügung anderer. 

Ob und welche der in den jeweiligen Beiträgen geäußerten Kritiken zutreffen, soll an dieser Stelle nicht 
abschließend beurteilt werden, sondern Gegenstand der sich hoffentlich entwickelnden Diskussion sein. 
Diese sollte unseres Erachtens wegkommen von kurzfristigen taktischen Überlegungen und sich stattdes- 
sen konzentrieren auf die grundsätzlichen und perspektivischen Fragen revolutionärer Politik. Auf dieser 
Prämisse basiert Kapitel VII, in dem die theoretischen Ursachen der Defizite der alten und neuen Politik 
beleuchtet werden. So sehen wir das schematische Gesellschaftsverständnis der RAF als ein Resultat des 
Einflusses von Georg Lukdcs bzw. der Frankfurter Schule (hier vor allem Horkheimer, Adorno und 
Marcuse). Ein falsches Hegel-Verständnis führte zur Übernahme philosophisch eng gebundener Katego- 
rien wie "Verdinglichung", "Entfremdung" oder "Totalität" in gesellschaftsanalytische Modelle. Die Ver- 
wendung dieser Kategorien im falschen Zusammenhang verdeckt Widersprüche (z.B. wenn von der 
"Totalität" des kapitalistischen Alltags bzw. des Metropolenlebens gesprochen wird) und erklärt sie in re- 
duktionistischcr Weise zum Ausdruck eines einzigen Prinzips (nämlich der Ware-Geld-Beziehung). In letz- 
ter Konsequenz läuft diese Konzeption auf die hierarchische Einteilung in einen Hauptwiderspruch und 
mehrere Nebenwidersprüche hinaus und ist zugleich Ansatzpunkt für reformistische Tendenzen, da die 
kapitalistische "Totalität" alle Menschen der "Verdinglichung" (oder auch "Entmenschlichung") unterwirft 
und eine Umgestaltung (nicht: Umwälzung) bestehender Verhältnisse somit eine die Menschheit als Gan- 
zes betreffende Frage ist. Die Bekämpfung spezifischer Unterdrückungsverhältnisse tritt zurück zugunsten 
der Bewältigung "globaler Probleme". 

Unsere These vom Einfluß der Frankfurter Schule auf die RAF soll auch hier keine Vorstellung von linea- 
rer Kontinuität befördern. Die genannten Autoren worden von den Mitgliedern der RAF selbst teilweise 
gar nicht gelesen, und doch waren und sind letztere eingebunden in eine Rezeptionskonjunktur spezifischer 



9 

Texte von oft unterschwelligem Einfluß. Warenkritik und Verdinglichungstheorie sind seit Ende der 60er 
Jahre zentrale Topoi des Diskurses innerhalb der "anti-autoritären" bzw. "undogmatischen" Linken. Der 
von uns aufgezeigte Einfluß der Frankfurter Schule ist also mittelbarer Natur und bedeutet auch nicht, daß 
sich in der Theorie der RAF keine anderen Elemente finden lassen. Diese anderen Elemente werden von 
uns nicht explizit behandelt, da wir sie als nicht so problematisch empfinden, wie die der Kritischen Theo- 
rie entliehenen. 

Die vorliegende Broschüre ist ein Versuch, unterschiedliche Ansätze revolutionärer Politik zusammenzu- 
tragen und so eine übergreifende Debatte zu ermöglichen. 

Entsprechend unserem Ausgangspunkt, der triplc-opprcssion-Theoric. dokumentieren wir Texte, die sich 
primär aus einer feministischen oder kommunistischen Sicht mit einer Kritik an der RAF oder mit revolu- 
tionärer Politik allgemein beschäftigen und bisher noch nicht in leicht zugänglicher Form Vorlagen oder 
kaum Beachtung gefunden haben. Außerdem dokumentieren wir in Kap. VIII einige antiimperialistische 
Stellungnahmen, die zwar nicht auf der Grundlage der triple oppression- Theorie, aber einer unversöhnli- 
chen Haltung gegenüber dem Staat, die neue Politik der RAF schon vor dem jetzigen Bruch unter den Ge- 
fangenen kritisierten. 

Artikel, in denen die Politik der RAF unter antirassistischen Gesichtspunkten diskutiert wird, sind uns lei- 
der kaum bekannt. (Vgl. aberden Beitrag von Frauen aus der radikal in Kapitel IV, Feministische Kritiken 
an der alten und neuen Politik der RAF.) Wir mußten deshalb für das Antirassismus-Kapitel auf zwei 
Texte zurückgreifen, die die von der RAF zu dieser Frage vertretene Position anhand anderer Vertreterin- 
nen dieser Position kritisieren. 

Nicht in die Broschüre aufgenommen haben wir (wie oben begründet) Texte, die sich mit der Auseinander- 
setzung zwischen den Gefangenen und der Mehrheit der Gefangenen und der RAF beschäftigen. Aller- 
dings dokumentieren wir im Anhang der Broschüre einen Text von Lutz Täufer, der sich aber nicht mit der 
aktuellen Kontroverse beschäftigt, sondern die Ursachen der Spaltung in Differenzen hinsichtlich der Poli- 
tik in den 70er und 80er Jahren sieht. Auch wenn wir vieles an der Kritik von Lutz Täufer teilen, ändert 
dies nichts daran, daß wir - wie an den anderen Texten in der Broschüre deutlich werden dürfte - die 
Schlußfolgerungen, die er und andere daraus ziehen, nicht teilen. Wir legen deshalb - genauso wie die 
Celler Gefangenen ihrerseits - Wert auf die Feststellung, daß unsere Entscheidung, hier verschiedene ihrer 
Texte zu dokumentieren, nicht Ausdruck eines Konsenses mit ihnen über den Inhalt der Broschüre ist. 
Keinen Eingang in die Broschüre fanden außerdem bereits veröffentlichte, leicht zugängliche Texte, die 
Ausdruck einer patriarchalen Betrachtungsweise sind. In diesem Zusammenhang ist auf die wichtigen Dis- 
kussionsbeiträge hinzuweisen, die die italienischen Gefangenen in den letzten Jahren verfaßten. Von der 
"gruppe 2" wurden sie bereits publiziert. Artikel von Gruppen, die der Politik des bewaffneten Kampfes 
aus verschiedenen Gründen prinzipiell ablehnend gegenüberstanden und -stehen wurden ebenfalls nicht 
berücksichtigt. 

Abschließend möchten wir allen danken, die am Vorbereitungstreffcn für diese Broschüre am 14.11.93 
teilgenommen haben oder uns anderweitig mit Anregungen und Kritik behilflich waren. 


Broschüren - Gruppe 



10 


3. Für eine produktive De- 
batte zwischen Antiimpe- 
rialistlnnen, Feministin- 
nen und Kommunistin- 
nen! Zusammenfassungen 
der Texte (abstracts) 

Die Gliederung der Broschüre folgt zu- 
nächst gemäß der triple oppressinn- 
Theorie den drei antagonistischen Wider- 
sprüchen: 

•f + Kapital - Arbeit I und II (Kap. II und 
VI) 

f+ Weiße — People of Color (Kap. III) 

++ Männer — Frauen I und II (Kap. IV 

und V). 

Anschließend werden die theoretischen 
Ursachen dafür, daß die RAF diese in- 
/«■/••gesellschaftlichen Widersprüche 
(außer in ihren Anfangsjahren den Klas- 
sen widcrspruch) ignoriert hat. unter- 
sucht. Wir sehen die Ursache dafür in 
dem durch die RAF von der Frankfurter 
Schule übernommenen hegelianischen 
Totalitäts-Verständnis. In diesem Modell 
sind die Widerspreche nicht entschei- 
dend (für revolutionäre Brüche), sondern 
bloß "Ausdruck" eine.« einfachen, evolu- 
tionären weltgeschichtlichen Entwick- 
lungsprinzips. (Kap. VII). 

In Kap. VIII dokumentieren wir einige 
antiimperialistische Stellungnahmen, die 
zwar nicht auf der Grundlage der triple 
oppression-Theotie , aber einer unver- 
söhnlichen Haltung gegenüber dem Staat, 
die neue Politik der RAF kritisieren. 

II: Der gesellschaftliche Antagonismus 
zwischen Kapital und Arbeit I: 
Kommunistische Kritiken an der allen 
Politik 

Das "zwei Linien"-Papier der 
GRAPO/PCE(r)-Gefangenen 
Die GRAPO/PCE(r)-Gefangcncn vertre- 
ten die These, daß die Fixierung der RAF 
auf den Staat und seinen polizeilichen 
und militärischen Apparat statt auf den 
Klassenkonflikt urslchlich für die ihres 
Erachtens militaristische Strategie der 
RAF (gewesen) sei. Im Gegensatz zur 
Politik der RAF. sei es die Aufgabe der 
Kommunistinnen, ein revolutionäres po- 
litisches und militärisches Programm zu 
erarbeiten, sowie 'sich mit den fort- 
schrittlichen Arbeitern zu vereinen, sie 
zu organisieren und die realen Konflikte 
in den Betrieben auszunutzen, um sic an 
der Waffe des Marxismus auszubilden 
und auf dem Weg der Revolution voran- 
zubringen - . Dazu müsse eine Kommuni- 
stische Partei geschaffen werden. Wäh- 
rend wir die Gründung einer KP in der 
BRD für absehbare Zeit für keine aktuel- 


le Aufgabe halten, ist der Text u.E. u.a. 
deshalb für heute wichtig, weil die Ge- 
nossen schon damals bcturchteien. daß 
die RAF "früher oder später in opportuni- 
stische, bürgerliche Positionen" verfallen 
würde. Die Position der RAF. das Ziel 
sei der Kampf, charakterisierten sic als 
"modernisierte, radikalisierte Version der 
alten revisionistischen These Bernsteins, 
die Bewegung ist alles '. 

Die Stellungnahme des militanten 
französischen Kommunisten Fr£d£ric 
Oriach 

Der Text von Oriach kritisiert ebenfalls 
u.a. eine Politik des bewaffneten Refor- 
mismus - allerdings nicht vorrangig am 
Beispiel der RAF. sondern am Beispiel 
autonomer Freiraum-Politik. Dies gibt 
dem Text insofern eine Aktualität, als 
sich die RAF ja heule positiv auf das au- 
tonome Konzept der "Gegenmacht von 
unten" bezieht. 

Im Gegensatz dazu benennt er (für das 
Frankreich der 80er Jahre) - ausgehend 
von der These, daß unter heutigen Be- 
dingungen die klassische leninsche Auf- 
stands-Taktik Überholt sei und durch die 
Strategie des langanhaltcnden Volkskrie- 
ges. die allerdings ebenfalls auf die 
Übernahme der Staatsmacht ziele, ersetzt 
werden müsse - drei Schritte als vor- 
dringlich: 1. Analyse der aktuellen Reali- 
tät und Erarbeitung einer daraus abgelei- 
teten revolutionären Strategie 2. 
"Politische Einigungsarbeit um die eben 
genannte politisch-theoretische Basis." 3. 
"Eine militärische Praxis, welche darauf 
abzielt, der Organisation die Mittel zur 
Durchsetzung ihrer Politik und ihrer wei- 
teren politisch-militärischen Entwicklung 
in der Guerilla zu geben." 

Das "Für den Kommunismus!"-Papier 
vom Widerstands-Kongreß 1986 
Wie die beiden vorgenannten Texte kriti- 
siert auch dieses Papier die 
"militaristische politik/praxis" der RAF. 
Die Ursache für diese Politik seien Ein- 
schätzungen der gesamten antiimperiali- 
stischen Bewegung gewesen, die eine 
Vcrsimplifizienmg von komplexen Zu- 
sammenhängen darsiclltcn. Als Beispiele 
nennt das Papier die Thesen vom 
"imperialistischen gesamtsystem“, von 
der "anglcichung der bedingungen des 
europäischen proletiriats" und, daß die 
Politik in der Militärstrategie auf ihren 
reinen Begriff gekommen sei. Dies be- 
deute eine Überschätzung der "Totalität" 
des Imperialismus, während wir von 
Marx wüßten, daß das Kapital - aufgrund 
der Existenz von Ausbeutung und Unter- 
drückung - seinen Antagonismus, die 
Ausgebeuteten, selbst erzeuge. Anstatt an 
deren (zunächst punktuellen) Widerstand 


anzuknüpfen, dienten die schematischen 
Einschätzungen der antiimperialistischen 
Bewegung dazu. "Subjektivismus und 
Wunschdenken“ sowie eine 
"militaristische politik mit dem anschein 
der legitimation / der notwendigkeit zu 
versehen". Im Gegensatz dazu plädieren 
die Verfasserfinnen?) des Textes dafür, 
innerimperialistische Widersprüche zur 
Kenninls zu nehmen, "ohne abstriehc an 
(...) revolutionärer thcoric und praxis zu 
machen“. Anders als diese differenzierte 
Position schlug aber die neue Politik 
(zumindest im ersten Halbjahr ’92) in ei- 
ne einseitige Fixierung auf die Existenz 
zweier Fraktionen im Staatsapparat um. 
bei der jede revolutionäre Staatsthcoric 
(die Einsicht in die Existenz eines ge- 
meinsamen HerTSchaftsinteresscs aller 
Herrschenden) gekippt wurde. 

Unsere Einwände gegen diese kommu- 
nistischen Positionen 
Wir haben Widersprüche zu den drei 
vorgenannten Texten, insofern sic alle 
drei allein das Verhältnis Kapital-Arbeit 
als antagonistischen gesellschaftlichen 
Widerspruch charakterisieren, während 
sic zu den anderen Ausbeutungs- und 
Unterdrückungsverhältnissen schweigen. 
Aber auch in Bezug auf das Klassenvor- 
hältnis selbst haben wir in Bezug auf die 
Texte der GRAPO/PCE(r)-Gcfangenen 
sowie von Oriach Einwände: 

++ Gegen die dort zugrunde gelegte es- 
sentialistischc (von Essenz = We- 
scn/Gcisl) Konzeption des Klassenbe- 
wußtseins. Damit wird eine 
(vermeintliche) kleinbürgerliche Klasscn- 
lage, zum Generalschlüssel, mit dem jede 
ideologische Abweichung vom Marxis- 
mus auf sehr einfache (zu einfache, wie 
wir meinen) Art und Weise erklärt wer- 
den kann. Die Kehrseite der gleichen 
Medaille ist. daß sieb die Herausbildung 
revolutionären proletarischen Klassenbe- 
wußtseins als einfazher hegelianischer 
Entwicklungsprozeß vom an sich 
(latentes Klassenbewußtsein) zum für 
sich (manifestes Klassenbewußtsein) 
vorgestellt wird. Dies war zwar die Vor- 
stellung des jungen, noch von der ideali- 
stischen Dialektik Hegels beeinflußten 
Marx; dies ist aber nicht die von Lenin in 
Was tun? in Ansätzen entwickelte marxi- 
stische Theorie revolutionären Klasscn- 
bewußtscins. 

++ Gegen die damit im Zusammenhang 
stehende Neigung zu einem gewissen 
Geschichtsdeterminismus / Evolutionis- 
mus. 

++ Gegen die Tendenz auch der kommu- 
nistischen Strömung in der westeuropäi- 
schen Guerilla, die legalen Möglichkei- 
ten revolutionärer Politik in der imperia- 
listischen Metropole zu unterschätzen. 



++ Gegen die Neigung von Oriach - 
ebenso wie die antiimperialistische Ten- 
denz - mit den idealistisch-philosophi- 
schen Kategorien der "Totalität“, der 
"Entfremdung" / "Verdinglichung" u.ä. 
zu operieren. 

++ Gegen die mit den genannten dogma- 
tischen Positionen (und wohl nicht nur 
der Qualität der Übersetzungen) zusam- 
menhängende. teilweise recht hölzerne 
und formalistische Sprache. 

III. Der gesellschaftliche Antagonismus 
zwischen Weißen und People of Color: 
Antirassismus ist mehr als Antifaschis- 
mus und traditioneller Antiimperialis- 
mus! 

Gleichermaßen wie die RAF den Wider- 
spruch zwischen Kapital und Aibcit 
ignoricrt(c). ignoricrt(c) sic auch den 
Antgonismus zwischen Weißen und Pe- 
ople of Color. Dies gilt bezeichnender- 
weise auch für beide Gruppen unter den 
Gefangenen aus der RAF. 

Heidi Schulz, Auszug aus einem Brief 
vom Jan. 1993 

Die Gefangene aus der RAF betrachtet 
die "dcklassicrung weiterer breiterer teile 
der gesellschaft" als die “grundlage 
(basis, Voraussetzung) dafür", daß "viele 
ihre perspeklivlose Situation bei den fa- 
schistischen Organisationen zu lösen ver- 
suchen". In diesem Sinne müßten in den 
"wirklichen Wajje/iverhültnisscn" und in 
den "wcrtc-loscn, keputten familienstruk- 
turen " die "Ursachen faschistischer ge- 
walt” gesucht werden. In diesem Zu- 
sammenhang spricht sic von "formen von 
Unzufriedenheit und blinder gewalt. die 
unbegriffen rechte parolcn übernehmen". 
Für den "antirassistische(n) antifaschisti- 
sche^) kämpf begrüßt sie deshalb An- 
sätze "wie z.b. in mannheim, wo sich aus 
den Zusammenstößen zwischen 'rechten 
und linken jugendlichen' eine initiative 
entwickelt hat, um die Sprachlosigkeit zu 
brechen”: "fußballspiele sind da genauso 
teil wie gespräche und es wäre nichts als 
dumme arroganz. solche initiativen als 
'sozialarbeiterfrieden' abtun zu wollen." 

Christian Klar, Brief vom Jan. 1992 
Eine ähnliche vcrclcndungsthcoretischc 
Rassismus-Erklärung vertritt auch der 
Gefangene aus der RAF. Christian Klar. 
Bei den in die "dcklassicrung rutschen- 
den. bei den rechten jugendgangs” macht 
er eine "gespaltenheit in revoltc aus dem 
gefühl der eigenen entwertung im kapita- 
lismus. gegen lüge und das tägliche ablö- 
sen von lebenslust/ andererseits die reak- 
tionären. ganz konformen träume, auch 
Sadismus" aus. Ergänzt wird dieser Er- 
klärungansatz von ihm durch eine mani- 


pulations-theoretiscle Sicht auf das ras- 
sistische Massenbewußtsein. Er schreibt: 
Die "eliten" hätten ein "eher taktisches 
Verhältnis" zum Rassismus, "indem sic 
mit rassistischer (nationalistischer) Ver- 
hetzung im volk manövrieren". In dem 
Zusammenhang wirft er die Frage auf. ob 
"die. die jetzt für den antifa-kampf auf- 
stehen. sich in diese Sackgasse bewegen 
könnten: dass die herrschenden mit der 
Steuerung der rassistischen ausbriiehe 
auf der untersten ebene [sic!) 'einen sek- 
tiererischen konflikt kreiren', in dem 
linke kräfte sich aufreiben (sollen) und 
die eliten dabei unangefochten bleiben?" 
Und in seiner ProzeBerklärung (in dieser 
Broschüre in Kap. VUI abgedruckt) be- 
hauptete Christian Klar - ausgerechnet zu 
dem Zeitpunkt als sich der Staat ver- 
suchte, mit der Inszenierung von Lichtcr- 
ketten etwas vom Rassismus von unten 
abzusetzen ! -. "daß seit den pogromen in 
rostock der rassismus zur offiziellen 
deutschen sworrideologie erklärt worden 
ist" (Mit dieser Kritik soll nicht bestritten 
werden, daß die reale Staatspolitik - all- 
erdings vor und nach Rostock! - rassi- 
stisch war). Und - auf andere herr- 
schende Inhalte bezogen - erklärt er fol- 
gendes zum "modcll (...) wcstlichc(r ...) 
hcrrschaftstcchnik”: die 

"medienmaschine“ projiziere "eine 
scheinweit in die wohnstuben" der rei- 
chen Zentren. Die dritte Ursache sieht 
Christian Klar in der von der bürgerli- 
chen Aufklämng bewirkten Spaltung von 
Körper und Geist. Der Rassismus sei ein 
fchlgclcitctcr Kampf gegen diese Ent- 
fremdung ("wird die Ursache des Schmer- 
zes projiziert auf die 'sündenböcke'“). 

RAF, Auszug aus der Weiterstadt-Er- 
klärung (April 1993) 

Die RAF schließlich fragt in ihrer Wei- 
tcrstadt-Erklärung '(...) was 500 Jahre 
kolonialismus im bewußtsein der metro- 
polenbevölkerung angerichtet haben" 
und gibt folgende Antwort: "rassistische 
ideologie" - "in krisenzeiten von Staat 
und kapital offen mobilisiert", um die 
"hcrrschaft des kapitalistischen Systems 
(Iber die menschen” durch "lausend tren- 
nungen" zwischen ihnen aufrechtzuerhal- 
tcn. Damit erscheinen in diesem Weltbild 
auch die Weißen als Opfer des Kolonia- 
lismus/Rassismus. Dieselbe Gleichset- 
zung von Herrschenden und Beherrsch- 
ten nimmt die RAF vor. wenn sie vor ei- 
ner Eskalation der “gewalt jcdc/r gegen 
jede/n” warnt. Entsprechend fallen die 
politischen Schlußfolgerungen aus: 
"Rassismus von Staat und Nazis bekämp- 
fen! Rassistisches Bewußtsein im Kampf 
für das Soziale unter den Menschen auf- 
heben.” Man/frau beachte die feinsinni- 


II 

gen Unterschiede: Staat - Gesellschaft / 
Rassismus - rassistisches Bewußtsein / 
bekämpfen - auftteben. 

Lutz Täufer. Auszug aus dem Text 
"Ghetto oder Gesellschaft" (Jan. 1993) 
Auch der Gefangene aus der RAF. Lutz 
Täufer, sieht die Ursache der "rc-faschi- 
sierung" in der “unaufhaltsamen Ver- 
wahrlosung der gesellschaft. ihrer sozia- 
len bindekräfte" sowie der "fehlende(n) 
freude am kind “ und dem 'Wcrtc-Vaku- 
um". 

Unabhängig von der Frage des Rassis- 
mus verweisen wir 

— zur Kritik des Erklärungsansatzes, der 
das konformistische Masscnbcwußtscin 
als Produkt von Manipulation ('Manöver 
der Eliten’ / des Staates) sieht, auf den 
Aufsatz von Stuart Hall 

-- zur Kritik der einseitigen Sicht von 
Christian Klar auf die Aufklärung auf 
den Aufsatz, von Galvano dclla Volpc 

- zum Bezug der RAF auf "das Soziale" 
b/.w. die "Gerechtigkeit” auf die entspre- 
chenden Texte von Marx und Engels 
(alle in Kap. 8). 

Unmittelbar zur Frage des Rassismus 
drucken wir hier (da wir keine Texte 
kennen, die sich mi: der diesbzgl. RAF- 
Position direkt auscinandcrsctzcn) zwei 
Texte ab. die die auch von der RAF ver- 
tretene Position kritisieren. 

einige Frauen aus der radikal. Gegen 
das organisierte Deutschtum! (Herbst 
1992) 

Die nutf-Frauen sehen in der 
"Armutsargumeniation" die "Weigerung, 
die an den Pogromen Beteiligten ohne 
jede Beschönigung als Täterinnen und 
damit als handelnde Subjekte zu erken- 
nen. die auch eine Verantwortung für ih- 
re Taten haben und nicht nur fehlgclei- 
tctc. bcwußtscinslo5£, arme Opfer sind; 
statt dessen wird der Versuch unternom- 
men, 'Erklärungen' für das rechte Verhal- 
ten in (angenommenen) sozialen Proble- 
men zu finden“. Es werde "davon ausge- 
gangen (...), daß der Zusammenhalt der 
Arbeiterinnen als 'Klasse' einer 
'Spaltungsstmtegie' der Herrschenden 

(genannt: Rassismus) zum Opfer fällt 
und allein durch Irformationsarbcit das 
'getrübte', 'verschleierte' Bewußtsein auf- 
gehellt werden könnte." Die Verfasserin- 
nen widerlegen anhand empirischer Da- 
ten die These vom Zusammenhang zwi- 
schen Armut und Rassismus und weisen 
darauf hin. daß die Bevölkerung durch- 
aus nicht nur "von oben" manipuliert 
wird, sondern sich "selbstbcstimmt und 
sclbstorganisicrt gegen Ausländerinnen 
verhält" - sozusagen die etwas andere 
"Gegenmacht von unten". 



12 


Frauen aus verschiedenen politischen 
Bereichen, Zur Politik der Frauen aus 
dem antirassislischen Zentrum und 
grundsätzliche Überlegungen zur anti- 
rassistischen Politik (Mär* 1997) 

Die Frauen kritisieren “autonome Politik 
als ‘lückenfüller' für funktionen, die kir- 
chcn, parteien, humanistische kräftc nicht 
besetzen, (...) autonome sozialarbeiterln- 
ncn". "sozialarbeit und praktische hilfe" 
könnte zwar u.U. durchaus richtig sein, 
dabei dürften aber nicht andere 
"erfahrungen und diskussions- oder pra- 
xisansätze (wie z.b. eine umfassende dis- 
kussion um intemationalismus oder eine 
debatte um militante Organisierung...) 
rausgekickt" werden. Vor allem dürfe 
nicht vergessen werden, daß "Opfer" 
gleichzeitig auch Täter" sein könnten 
Darüber hinaus stellen sie einige 
"grundsätzliche Üterlcgungcn zur anti- 
rassislischen Politik’ sowie zum Verhält- 
nis von Kritik und Selbstkritik an. 

IV, Der gesellschaftliche Antagonismus 
zwischen Männern und Frauen I: Fe- 
ministische Kritiken an der neuen und 
der alten Politik 

Ebenfalls nicht als antagonistisch wurde 
und wird in der alten und neuen Politik 
der RAF das Geschlechtervcrhältnis be- 
trachtet. 

Ein Stein in der Sonne 
Das Papier Schweizer Feministinncn er- 
schien 1990 in der radikal. Sie vertreten 
dort in Kritik an Eva Haule (Gefangene 
aus der RAF) und Gisela Dutzi 
(seinerzeit Gefangene aus dem Wider- 
stand) die These, daß das Patriarchat 
durch den Verrat, den einzelne Männer 
an ihm üben, geniuso wenig gestürzt 
werden könne wie der Kapitalismus 
durch den Klassenverrat einzelner Ange- 
höriger der Bourgeoisie. Sic übertragen 
des weiteren den Klassenbegriff auf das 
Ccschlcchtcrvcrhültais. wodurch die 
Frauen als die unterste Klasse erscheinen, 
während das männliche Proletariat als 
"Zwischenklasse" bezeichnet wird. Da- 
mit wird dem Feminismus als Theorie 
und Praxis die Aufgabe zugewiesen, 
nicht nur das Geschlechtcrverhältnis, 
sondern das 'ganze System von ganz un- 
ten bis oben' umzuwälzen. 

Stellungnahme von Frauen aus der ra- 
dikal aus diesem Text 
Die Frauen aus der radikal teilen zwar 
ihrerseits die Kritik an der RAF, wenden 
aber gegen die "Zwischcnklasscn"-Tlico- 
ric der Schwcizcrinr.cn ein, daß diese die 
(bspw. rassistischen) Spaltungen unter 
Frauen (und Männern) außer Acht ließen. 
Es seien eben nicht alle Frauen ‘ganz un- 
ten’. 


Sterin, Die inhaltliche Debatte weite- 
rentwickeln! (Stellungnahme zur Au- 
gust-Erklärung) 

Die Verfasserin ist der Ansicht, daß das. 
was dir RAF in ihrer Erklärung vom Au- 
gust 1992 zum Patriarchat schreibe, 
"besonders frustrierend, fast schon zy- 
nisch" sei. Sie fordert die RAF auf. zur 
triple oppression-Theorie Stellung zu 
nehmen. Außerdem fragt die Autorin: 
"Warum schreibt ihr Frauen aus der RAF 
nichts zu eurer eigenen Entwicklung, zu 
eurer Unterdrückung als Frauen, aber 
mehr noch zu eurem Widerstand als 
Frauen in der Guerilla?’ Hatte die Rote 
Zora "keinen Einfluß auf euch?" Außer- 
dem kritisiert die Verfasserin, daß "in 
den letzten zehn Jaliren sehr produktive 
und ernsthafte kommunistischen Kriti- 
ken" an der aniiirnpjrialisiischen Bewe- 
gung in der BRD von dieser "bestenfalls 
ignoriert” worden seien. Der von der 
RAF aufgegriffene Begriff der 

"Gegenmacht von unten“ sei sehr 
"undeutlich"; er müsse genauer definiert 
werden. Dafür sei auch eine "Selbstkritik 
der autonomen und antiimperialistischen 
Bewegung" notwendig. 

Eine feministische Kritik 
Die Verfasserinnen vertreten die These, 
daß die antiimperialistische Bewegung 
und die RAF bisher zwar nicht gegen das 
Patriarchat, aber "auf internationalisti- 
scher gjundlage gegen Staat und kapital" 
gekämpft hätten. Deshalb sei für Femini- 
stinnen bisher sowchl Widerspruch als 
auch Solidarität möglich gewesen. Die 
neue Politik der RAF ignoriere aber nicht 
mehr nur den Gcschlcchtcrwidcrspruch, 
sondern sei "ausdnick der Privilegien 
weißer männcr (und sich daran orientie- 
render weißer frauen)", die es ihnen er- 
möglichten, jetzt auch den Frieden mit 
Staat und Kapital schließen zu wollen. 
Dies bedeute einer. Nachvollzug der 
"ncuc(n) rhetorik des revisionistischen 
Patriarchats’ vom Ende der 80er Jahre 
('globale Menschheitsproblemc’ etc.). 

Stellungnahme von deutschen Lesben 
aus dem linksradikalen Frauen- 
/Lesben-Spektrum 

Bezugnehmend auf die These der 
"Feministischen Kritik", Frauen könnten 
"sich niemals den . luxus erlauben, die 
’cskalation zurückzuaehmcn', für frauen 
herrscht täglich krieg, der nur mit einem 
gegenkrieg von unten zu überleben’ sei. 
kritisieren die deutschen Lesben an der 
"Feministischen Kritik" "ein undifferen- 
ziertes ’fraucn-als-opfcr’-bild’. 'Tür das 
blanke überleben gibt es insbesondere für 
weiße frauen 1000 Möglichkeiten, die sie 
fleißig nutzen: (...).’ Im übrigen sehen 
die deutschen Lesben zwar ebenso wie 
die Verfasserinnen der feministischen 


Kritik, "daß die raf gefahr läuft, reformi- 
stische politik als 'das neue' zu verkau- 
fen”. Sic kritisieren aber an verschiede- 
nen Beispielen, daß die feministische 
Kritik "mit Unterstellungen. Pauschalie- 
rungen und aus dem Zusammenhang ge- 
rissenen Zitaten” arbeite. 

V. Der gesellschaftliche Antagonismus 
zwischen Männern und Frauen II: 

Zur kommunistischen Debatte über das 
Patriarchat 

Die gleiche Kritik (Ignoranz und dadurch 
Apologie des patriarchalen Geschlechter- 
Verhältnisses) trifft allerdings auch die 
kommunistische Strömung in der revolu- 
tionären Bewegung. Dies zeigen die Stel- 
lungnahmen der Kommunistischen Bri- 
gaden und der Gefangenen aus den belgi- 
schen Kämpfenden Kommunistischen 
Zellen (CCC) zu diesem Thema. 

Die Position der Kommunistischen 
Brigaden 

Die Kommunistischen Brigaden schrei- 
ben. das heutige Patriarchat sei ein funk- 
tionales Integral des Kapitalismus. Des- 
halb könne es keiner, "antipatriarchalcn 
Kampf per sc" geben. Vielmehr müsse er 
mit der "Orientierung als Kampf gegen 
den Kapitalismus bestimmt werden." Im 
Gegensatz dazu sei die "Denunziation 
de« Mannes als sexistischer Unterdrücker 
(...) bestenfalls reformistisch", im 
schlechtesten Fall, wie der Kampf gegen 
die Pornographie, eine Stärkung der 
Konterrevolution. 

Die Stellungnahme der CCC-Gefangc- 
nen 

Nach Ansicht der CCC-Gcfangcncn hat 
der Kapitalismus das Patriarchat hinter 
sich gelassen. In Bezug auf das imperia- 
listische Zentrum lasse sich nur noch von 
Sexismus sprechen. Der Kampf gegen 
letzteren sei aber • anders als der 
"universelle und antagonistische Wider- 
spruch zwischen internationalem Proleta- 
riat und imperialistischer Bourgeoisie" - 
"nicht der wesentliche Hebel’ revolutio- 
närer Politik. Es könne daher keinen 
selbstbesiimmten feministischen 
"Kampfpol" geben. 

Kritik von Pro Kommunismus an die- 
sen beiden Texten 

ProKo wendet gegen diese Auffas- 
sungen) ein. daß die Texte der Kommu- 
nistischen Brigaden und der CCC-Gcfan- 
genen zu Beginn ihrer Ausführungen 
voraussetzten, was sic eigentlich erst 
noch beweisen wollten - nämlich, daß es 
keinen (relativ) eigenständigen, gesell- 
schaftlichen Gcschlechterantagonismus 
gebe. Diese Auffassur.g(cn) basierten auf 
einer unzureichenden Kenntnis oder Aus- 
einandersetzung mit dem Gegenstand ih- 



rer Kritik - der feministischen Theorie. 
Letztere habe nachgewiesen, daß sich 
auch heutige Frauenunterdrückung nicht 
allein mit ihrer (vermeintlichen) Kapital- 
funktionalität oder als Relikt aus vorkapi- 
talistischer Zeit erklären lasse. Ob der 
Kampf gegen Frauenunterdrückung revo- 
lutionär oder reformistisch geführt 
werde, hänge nicht von dessen» Verhält- 
nis zum Klassenkampf, sondern davon 
ab, ob er die patriarchale Gesellschafts- 
struktur angreife oder nur einzelne ihrer 
Auswirkungen. In diesem Sinne sei gera- 
de die traditionell kommunistische Posi- 
tion die reformistische, die sich im übri- 
gen insofern von der sozialdemokrati- 
schen nicht unterscheide und die deshalb 
im Sinne der von Feministinnen längst 
geleisteten materialistischen Patriarchats- 
Analyse und -Kritik überwunden werden 
müsse. 

VI. Der gesellschaftliche Antagonismus 
zwischen Kapital und Arbeit II: 

Die kommunistische Kritik an der 
neuen Politik 

Trotz dieser Kritik an der kommunisti- 
schen Strömung in der westeuropäischen 
revolutionären Bewegung, die wir im 
Grundsatz teilen, halten wir viele der 
Einwände der kommunistischen Genos- 
sinnen gegen die reue (und alte) Politik 
der RAF fllr richtig. Deshalb veröffentli- 
chen wir in unserer Broschüre die Stel- 
lungnahmen des ZK der PCE(r) und der 
Gefangenen aus den CCC zur April-Er- 
kläning der RAF. Außerdem veröffentli- 
chen wir zwei Stellungnahmen der sich 
als Kommunisten verstehenden Bernhard 
Rosenkötter und Michi Dictikcr (1988 - 
1993 Gefangene aus dem Widerstand) 
sowie Ali Jansen (1970 - 1981 Gefange- 
ner aus der RAF; 1988 - 1994 Gefange- 
ner aus dem Widerstand). 

Stellungnahme des ZK der PCE(r) 
vom Juni 1992 

Die Genossinnen der illegalen, wieder- 
gegrtindeten spanischen KP sind der An- 
sicht, daß die Erklärung der RAF vom 
April 1992 "in gewisser Weise" eine An- 
erkennung der schon früher von der 
PCE(r) vorgebrachten Kritik an der anti- 
imperialistischen Linie bedeute. Aller- 
dings gehe die RAF von dort aus den fal- 
schen Weg. Dies zeige sich an deren Ein- 
schätzung der Kinkel-Initiative und deren 
Konzeption der "Gegenmacht von un- 
ten". Schließlich erinnert die PCE(r) 
daran, daß die RAF urspriinglich meinte, 
mittels des bewatfneten Kampfes die 
Bedingungen für den Aufbau einer Kom- 
munistischen Partei schaffen zu können. 
Später habe die RAF diesen Plan auf- 
grund verschiedener Umstände durch 
subjektivistische und spontaneiisiische 
Ideen ersetzt. 


Stellungnahme der Gefangenen der 
belgischen CCC 

In ähnlicher Weise unterscheiden auch 
die Gefangenen aus den Kämpfenden 
Kommunistischen Zellen in Belgien zwi- 
schen verschiedenen Phasen in der Poli- 
tik der RAF. Sie fordern die RAF auf. 
über die "wesentliche Dimension des re- 
volutionären Kampfes nachzudenken und 
ihre allgemeinen Vorhaben, ihre Analy- 
sen der objektiven Pealität. ihr Verständ- 
nis der historischen Mechanismen, ihre 
strategischen und taktischen Auffassun- 
gen. ihre kur/- und langfristigen Ziele 
etc. darzulegen." Dies wäre die Voraus- 
setzung dafür, daß die Selbstkritik der 
RAF keine "erneute Demonstration des 
Subjektivismus, diesmal im allgemeinen 
Rahmen eines opportunistischen Deba- 
kels“ darstcllcn müßte. 

Bernhard RuscnköUcr / Ali Juuscu / 
Michi Dietiker, sag mal wo leben 
wir denn ?" (Mai 1992) 

Die drei Gefangenen aus dem Wider- 
stand kommentieren die von der RAF in 
ihrer Erklärung vom April 1992 gegebe- 
ne neue Staatseinschätzung so: "wer so- 
was denkt und schreibt, der hat sich von 
der dringend notwendigen rekonstruktion 
revolutionärer politik verabschiedet, der 
sucht Zuflucht in den reformismus." 
"dieser text ist sowas wie der logische 
und beinahe zwangsläufige endpunkt ei- 
ner langjährigen fchlcntwicklung; (...).“ 

Bernhard Rosenkötter / Ali Jansen / 
Michi Dietiker, Über das Schleifen von 
Messerrücken (Juli 1992) 

Die Verfasser rekonstruieren die Entste- 
hung der RAF aus der Studentlnnenbe- 
wegung und erinnern an folgende Be- 
stimmung aus dem ‘Konzept Stadtguc- 
rilla“: "Wir sagen nicht (...). daß der be- 
waffnete Kampf die politische Arbeit im 
Betrieb und im Stadtteil ersetzen könn- 
te.". Ein Abgehen von diesem Konzept 
sei in den 70er Jahren vom Abflauen der 
Außerparlamentarischen Opposition 
(APO) und der staa’.Iichen Repression er- 
zwungen gewesen. Im Frontkonzept der 
RAF vom Mai 1982 sei diese Bewegung 
weg vom Ausgangspunkt schließlich 
"zum Programm erklärt" worden. So- 
lange diese damalige "mutwillige Ver- 
ortung des eigenen politischen Stand- 
punkts außerhalb der Gesellschaft" - 
u.E. wäre es präziser zu sagen: außerhalb 
der die Gesellschaft strukturierenden 
Widersprüche (s. dazu in der Einleitung 
unsere Kritik am Gescllschaftsbegriff der 
RAF) - nicht selbstkritisch aufgearbei- 
tet werde, könne die jetzt geforderte 
'Rückkehr in die Gesellschaft', die sich 
dadurch u.E. als Rückkehr in das System 
erweist, nur in einer Art und Weise er- 
folgen, die undinlektisch ins 


13 

"scheinbare Gegenteil umschlägt". Im 
Gegensatz dazu geh; "es um die Suche 
nach Formen, in denen viele Menschen" 
den Bruch mit den herrschenden Ver- 
hältnissen "vollziehen können“. Dies 
kann aber nicht mittels eines kriterienlo- 
sen Bezuges auf die "sozialen Prozesse 
in der Gesellschaft" erfolgen. Denn "aus 
politischer Basisarbeit (läßt sich) nir- 
gends unmittelbar revolutionäre Politik 
entwickeln". Deshalb ist jene ausschließ- 
lich "Voraussetzung für. (...) aber nicht 
selbst schon revolutionäre Strategie". 
"Erst die richtige Einschätzung aller kon- 
kreten Kämpfe, sowohl in ihrer gesell- 
schaftlichen Begrenztheit wie auch in der 
politischen Brisanz der darin autbrechen- 
den Widersprüche, der entstehenden Um- 
gangs- und Organisationsformen, der 
Mittel und Ziele macht es möglich, auch 
aus ihren konkreten Niederlagen nicht als 
Verlierer hcrvorzugclicii." "Innerhalb 
dieses Rahmens bleiben Sabotage und 
bewaffnete Aktion grundsätzlich unver- 
zichtbar." In Anbetracht der Grenzen so- 
zialer Bewegungen, der Grenzen der 
Spontaneität, mündet "jede Konkretion" 
unserer Politik "'als Lösung von unten' 
(...) zwangsläufig im Reformismus". Eine 
Neubestimmung revolutionärer Strategie 
ist deshalb - sozusagen - nur 'von oben' 
(ausgehend von der zunächst abstrakten 
Erkenntnis, daß cs 'keine Lösungen un- 
terhalb der Revolution" gibt) möglich. In 
diesem Sinne gilt: 'Wenn wir eine wir- 
kungsvolle konkrete Praxis entwickeln 
wollen. (...). müssen wir die Angst vor 
Widersprüchen, die Abneigung gegen 
das Abstrakte überwinden.” Denn nur 
von der zitierten abstrakten Erkenntnis 
aus ist es möglich, zu einer "immer wei- 
tergehende(n) Bestimmung von Kriterien 
und deren schrittweiser Konkretion in der 
Praxis" zu gelangen. 

V/. Kritische Theorie: Die Totalität eli- 
miniert die gesellschaftlichen Antago- 
nismen. Die theoretischen Ursachen der 
Defizite der alten und neuen Politik 
Einleitung: 

Frankfurter oder Rote Armee Frakti- 
on - Zum Einfluß der Kritischen Theo- 
rie auf die RAF 

Wir sehen die Politik der antiimperialisti- 
schen Bewegung in mehrfacher Hinsicht 
von der Kritischen Theorie beeinflußt 
und veröffentlichen deshalb verschiedene 
Kritiken an Positionen der Frankfurter 
Schule. Wirschen d:n erwähnten Einfluß 
insbesondere in folgenden Punkten: in 
einer schematischen Gesellschaftsanalyse 
("Totalität"), in einer subjcktivistischcn 
Strategie ('Sprung heraus aus dieser To- 
talität') und in einer idealistischen 
(Geschichls)philosophie ("für vernünf- 
tige Lösungen"). Vor diesem Hintergrund 
dokumentieren wir die folgenden Knti- 



kcn an der Frankfurter Schule sowie drei 
Auszüge aus Texten von Marx und En- 
gels. 

Galvano della Volpe, "Kritik eines 
spätromantischen Paradoxes (Uber die 
'Dialektik der Aufklärung von Max 
Horkheimer und Theodor W. Ador- 
no)" und "Marcuses Moralismus und 
Utopismus " 

Der italienische Vertreter einer anti-hege- 
lianischen Marx-Interpretation. Galvano 
della Volpe. kritisiert die einseitige Be- 
wertung der Aufklärung durch Horkhei- 
mcr/Adomo und deren damit im Zusam- 
menhang stehende romantische Kritik der 
Technik und der modernen gesellschaft- 
lichen Organisation* und deren aristokra- 
tisches Nicht-Ertragen-Könncn der Mas- 
sen. Demgegenüber schwanke Marcuse 
zwischen der gleichen Technikfeindlich- 
keit einerseits und der Vorstellung, dal* 
"die bis zu den Grenzen des technisch 
Möglichen getriebene Automation" un- 
abhängig von der Entwicklung des Klas- 
senkampfes "mit einer Gesellschaft un- 
vereinbar ist. die auf der privaten Aus- 
beutung menschlicher Arbeitskraft be- 
ruht.“ Die Kritische Theorie habe auf- 
grund dieses Schwankens und ihrer Mas- 
senfeindlichkeit keine gesellschaftsvcr- 
ändemde Strategie. 

Auszug aus dem Kommunistischen 
Manifest 

Im Gegensatz zu einem solchen Leiden 
an der 'Moderne', wie cs u.a. die Kriti 
sehe Theorie kennzeichnet, haben Marx 
und Engels im Kommunistischen Mani- 
fest folgende Position formuliert: "Die 
Bourgeoisie hat in der Geschichte eine 
höchst fortschrittliche Rolle gespielt. (...) 
Sic hat die heiligen Schauer der frommen 
Schwärmerei, der ritterlichen Begeiste- 
rung. der spießbürgerlichen Wehmut io 
dem eiskalten Wasser egoistischer Be- 
rechnung ertränkt. (...). Alles Ständische 
und Stehende verdampft, alles Heilige 
wird entweiht, und die Menschen sind 
endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, 
ihre gegenseitigen Beziehungen mit 
nüchternen Augen anzusehen." 

Lucio Colletti, Von Hegel zu Marcuse 
Der della Volpc-Schülcr, Colletti, zeigt 
die Wurzeln der Wissenschaftsfeindlich- 
keit von Marcuse im philosophischen 
Idealismus Hegels und die politischen 
Wurzeln Marcuses in der jung-hegeliani- 
schen Bewegung des deutschen Vormärz 
auf. 

Engels über die Parole "Ein gerechter 
Lohn Für ein gerechtes Tagw erk" 

Im Gegensatz zu jeder idealistischen Kri- 
tik der herrschenden Verhältnisse macht 
Engels geltend, daß der Tausch Lohn ge- 


gen Arbeitskraft auf der Grundlage kapi- 
talistischer Produktionsverhältnisse nicht 
ungerecht, sondern gerecht sei. Die For- 
derung nach einem 'gerechten Lohn" sei 
deshalb durch folgende Parole zu erset- 
zen: "Besitzer der Arbeitsmittel - der 
Rohstoffe. Fabriken und Maschinen - soll 
das arbeitende Volk selbst sein." 

Karl Marx über die Forderung nach 
"gerechter Verteilung des Arbeitser- 
trags" 

Und Marx schreibt im gleichen Kontext: 
"Ich bin wcitliufigcr auf den 
'unverkürzten Arbeitsertrag' einerseits, 
'das gleiche Recht', 'die gerechte Vertei- 
lung' andrerseits eingegangen, um zu zei- 
gen, wie sehr man frevelt, wenn man ei- 
nerseits Vorstellungen, die zu einer ge- 
wissen Zeit einen Sinn harten, jetzt aber 
zu veraltetem Phrasenkram geworden, 
unsrer Partei wieder als Dogma autdran- 
gen will, andrerseits aber die realistische 
Auffassung (...) wieder durch ideologi- 
sche Rechts- und andre, den Demokraten 
und französischen Sozialisten so geläu- 
fige Flausen verdreht.” 

Die "realistische Auffassung" erfordert 
eine "konkrete Analyse der konkreten Si- 
tuation". 

Rolf Nemitz, Ideologie als "notwendig 
falsches Bewußtsein" bei Lukdcs und 
der Kritischen Theorie 
Rolf Nemitz vertritt in diesem Aufsatz 
die These, daß I.uk&s diese Analyse mit 
seinem von Hegel übernommenen Totali- 
tätsbegriff - wie schon von Lenin kriti- 
siert - nicht leisten könne. Alles sei für 
Lukdcs immer nur "Ausdruck” eines ein- 
fachen Prinzips - des Warenverhältnisscs. 
Aus dieser vermeintlich totalen 
"Verdinglichung" finde Lukdcs dann sei- 
nen vermeintlichen Ausweg wiederum 
mittels der hegelschen Philosophie, hier 
der Dialektik von Subjekt und Objekt. 
Das Proletariat solle nach Lukdcs durch 
bloße Selbsterkenntnis (seiner Lage) fä- 
hig sein, "eine gegenständliche, stniktive 
Veränderung" der Gesellschaft zu bewir- 
ken. Wenn auch diese "spekulative Hoff- 
nung (...) auf das Proletariat" bei der 
Frankfurter Schule in Enttäuschung um- 
geschlagen sei, habe sie doch methodisch 
vieles von Lukdcs Übernommen. 

Stuart Hall, Ideologie und Ökonomie - 
Marxismus ohne Gewähr 
Der britische Marxist. Stuart Hall, disku- 
tiert ebenfalls Lukdcs' Interpretation der 
herrschenden, bürgerlichen Ideologie als 
"notwendig falsches Bewußtsein". Er 
vertritt die These, diese 'Falschheit' dürfe 
nicht als bloße "Illusion, (...) Trick. (...) 
Tasche nspiclcrci" verstanden werden. Im 
Gegensatz zu einer rationalistischen Gc- 


14 

genübe rstcllung von (bürgerlicher) Ideo- 
logie und (marxistischer) Wissenschaft 
müsse anerkannt werden, daß Ideologien 
zwar “einseitig". at*r "partiell" richtig 
seien. 

Desch, Vom Protest zum Widerstand - 
aber wie? 

Desch wendet sich unter besonderer Be- 
rücksichtigung von Stellungnahmen der 
Frankfurter Schule zum Gcschlcchtcrvcr- 
hältnis einmal mehr gegen den (wert)- 
konservativen Charakter der Kritischen 
Theorie. Des weiteren: Die Frankfurter 
Schule kritisiere kapitalistische Herr- 
schaft als Manipulation und setze 
"Aufklärung“ als Mittel dagegen. Die 
RAF habe dieses Strategie - unter Radi- 
kalisierung der eingesetzten Mittel (“Die 
Bomben gegen den Untcrdrückungsappa- 
rat schmeißen wir auch in das Bewußt- 
sein der Massen.") - übernommen. Die 
Folge sei eine pädagogische Konzeption 
des Klassenkampfcs und ein Avantgarde- 
Verständnis, nach ihm die Avantgarde 
den Massen nicht "einen Schritt" (Lenin), 
sondern eine Idee voraus sei. 

Kap. VIII: antiimperialistische Kritiken 
an der neuen Politik 
Wir veröffentlichen schließlich aber noch 
jene Stellungnahmen von Gefangenen 
aus RAF und Action Dircctc, die mehr 
oder minder auf der Grundlage der alten 
antiimperialistischen Konzeption, die 
neue Politik kritisieren. Außerdem doku- 
mentieren wir die Erklärung von Karl- 
Heinz Dcllwo (auch im Namen von Irm- 
gard Möller, Hanna Krabbe, Christine 
Kuby. Lutz Täufer, Knut Folkcrts und 
Stefan Wisniewski) vom November 
1992, weil sich ein Teil der hier abge- 
druckten Kritiken direkt auf diesen Text 
beziehen. 

Wir veröffentlichen die genannten kriti- 
schen Stellungnahmen hier, weil wir 
diese Kritiken (wenn auch nicht unbe- 
dingt deren dürftige Altemativ-Vor- 
schlägc) teilen. Wir verstehen diese Ent- 
scheidung auch als ein Zeichen dafür, 
daß wir den subjektiv revolutionären 
Charakter der alten Politik anerkennen, 
wahrend die neue Politik - weil sie das 
Ziel der Umwälzung der Staatsmacht 
aufgegeben hat und die Unterscheidung 
zwischen revolutionär und reformistisch 
zurückweist - diese Gemeinsamkeit ver- 
lassen hat. Schließlich denken wir. daß 
die Zur-Kcnntnisnahme dieser Kritiken 
an der neuen Politik von Ende letzten / 
Anfang diesen Jahres die Verwunderung 
Uber den jetzt scheinbar überraschend 
eingetretenen Bruch zwischen der Mehr- 
heit der Gefangenen einerseits und der 
RAF und einer Minderheit der Gefange- 
nen andererseits beseitigen kann. 



15 


Nalhalie Menigon, Gefangene aus der 
AD, Brief vom 14.06. 1992 
Die Gefangene aus der Aciion Dircctc. 
Nalhalie Menigon. kritisierte - früher als 
alle Gefangenen aus der RAF - bereits im 
Juni 100? die "Inhaltslosigkeit der erklä- 
rung" der RAF vom April 1992. Das 
Einzige, was dem Text entnommen wer- 
den könne, sei die "aufforderung zur dis- 
kussion". Diese wolle sie "nicht mit Kri- 
tik (...) stören". 

Joellc Aubron, Gefangene aus der AD, 
Brief vom 12.06.1992 
Etwas deutlicher äußerte sich schon zwei 
Tage zuvor die Gefangene aus der AD, 
Joellc Aubron. Sie sah in der Erklärung 
der RAF vom April 1992, insbesondere 
in deren positiven Bezug auf eine 
"politische Lösung", die Gefahr "das 
kind mit dem bad auszuschütten" - also 
nicht (nur) die Fehler der bisherigen Poli- 
tik zu berichtigen, sondern revolutionäre 
Politik überhaupt aufzugeben. Allerdings 
sieht sie in einer Position - wie wir sie 
bspw. in dieser Broschüre vertreten -, die 
die jetzige Entwicklung der RAF als Be- 
stätigung der älteren kommunistischen 
Kritik an der antiimperialistischen Linie 
betrachtet, als "sterile Abrechnung". Lei- 
der begründet sie diese Auffassung außer 
damit, daß sie die GRAPO-Kritik an der 
RAF als "alte Geschichten" abtut, nicht. 
Zu der von der RAF für ihre Entschei- 
dung u.a. angeführte Begründung 
(verändertes globales Kräfteverhältnisse / 
Zusammenbruch der Sowjetunion) 
schreibt Joöllc Aubron: Dieser Zusam- 
menbruch bedeute gerade das Scheitern 
des "revisionistischen modells" einer 
"idealen fixiemng auf eine Zukunft ohne 
ende". Demgegenüber bedeuteten 25 
Jahre westeuropäische Guerillapolitik die 
"radikale infragesiellung der linearen 
prozcssc der akkumulation der Kräfte“ 
zugunsten des "dialektischen moment(es) 
des aufbaus des revolutionären pols". 
Wir verstehen dies als Kritik an der Su- 
che der RAF nach einer "alternative hier 
und heute", bei der die RAF die Macht- 
fragc auf den St. Nimmcrlcins-Tag (erst 
"längerfristig" gehe cs darum, den 
"herrschenden die bestimmung über die 
lebensrcalitüt ganz (zu] cntrcißlcn]") ver- 
schiebt. Ist das Konzept der 
"Gegenmacht von unten" nicht die Wie- 
derbelebung der Vorstellung von 
"linearen prozesse(n) der akkumulation 
der kräftc"? 

Christian Klar, KONKRET -Userbrief 
und Prozeßerklärung (Herbst 1992) 

Der Gefangene aus der RAF. Christian 
Klar, sicht in der neuen Politik der RAF 
die Gefahr einer Kapitulation vor 
"Kleinmut und links-dcutschcr Einseife- 
rei". Die "neu aufbrechende und sich or- 


ganisierende linke hier im land" solle 
"ihre Strategie entwickeln (...). ganz ohne 
sich von den drohungen des apparats be- 
eindrucken zu lassen, daß er ja die ge- 
fangenen in der haad hat." Damit hatte 
sich Christian Klar (nach den Wider- 
stands-Gefangenen Michi Dictiker. Ali 
Jansen und Bernhard Roscnkütter). wenn 
auch mehrere Monate nach der April-Er- 
kläning, so doch als erster RAF-Gcfan- 
gener öffentlichen gegen die Konzeption 
der RAF gewandt, durch "rücknahmc der 
cskalation" den "politischen raum" für 
staatliche "Zugeständnisse für politische 
lösungen" für die Gefangenen 
"aufzumachen" (April-Erklärung). 

Karl-Heinz Dellwo, Erklärung vom 
Nov. 1992 

Im November 1992 legte der Vertreter 
der neuen Politik, Karl-Heinz Dellwo, ei- 
ne Zwischenbilanz der staatlichen Reak- 
tion auf die neue Politik der RAF vor: 
Die "'Kinkel-Initiative' sei ihren Rcali- 
tütsbeweis schuldig' geblieben. Die Kon- 
sequenz daraus war aber nicht eine Infra- 
gestellung der neuen Politik, sondern de- 
ren radikalisicrtc Fortsetzung. Karl-Heinz 
Dellwo erklärte (nicht nur als persönliche 
Entscheidung, sondern politisch begrün- 
det): "(...) keiner von uns wird nach sei- 
ner Freilassung zum bewaffneten Kampf 
zurilckkchrcn. (...). Aus <len tiefgreifen- 
den globalen und innergesellschaftlichcn 
Umbrüchen ~ war "der Schritt der RAF 
überfällig und hat die Suche nach N'eu- 
bestimmung (...) erleichtert". (Die RAF 
selbst hatte sich zuvor nicht - eindeutig 
geäußert: In ihrer WWG-Erklärung hatte 
sie für heute jedwede bewaffnete Aktio- 
nen für den von ihr für nötig befundenen 
Prozeß fiir schädlich erklärt. In ihrer Au- 
gust-Erklärung habe sie sich dann die 
Option auf den bewaffneten Kampf, 
wenn auch nicht als Strategie, so doch als 

taktisches Mittel, offen gehalten). 

Rolf Heißler, Brief vom Jan. 1993 
Im Jan. '93 widersprach dann Rolf Heiß- 
1er, ein anderer Gefangener aus der RAF, 
der Einschätzung von Karl-Heinz Dell- 
wo, "die 'kinkel-initiative' sei gescheitert 
oder tot, im gegenteil, sic steht in vollster 
blüte und erntet ihre ersten erfolge”. Die 
Erklärung der RAF vom April 1992 si- 
gnalisiere: "die raf in ihrem jetzigen zu- 
stand der desorientierung ist mit sich 
selbst beschäftigt, und damit handlungs- 
unfähig und brauch* nicht mehr ernst ge- 
nommen zu werden." 

Heidi Schulz, Auszug aus einem Brief 
vom Jan. 1993 

In diesem Kontext wirft die Gefangene 
aus der RAF. Heidt Schulz, anderen Ge- 
fangenen aus der RAF vor, sic würden 
mit ihrer Politik "nicht mehr von der rea- 


len Wirklichkeit ausgehen.'' sondern den 
Eindruck erwecken, "man könne mit die- 
sem Staat einig werden". Tatsächlich 
könne der Kampf für die Zusammenle- 
gung und Freiheit der politischen Gefan- 
genen nur erfolgreich geführt werden, 
wenn er "in den gesellschaftlichen klä- 
mngsprozeß gegen die reaktionäre ent- 
wicklung als kampf gegen staatliche Un- 
terdrückung. (...) in den prozeß der ncu- 
formicrung des revolutionären projekts" 
integriert sei. 

Dieter These können wir hei ollen Diffe- 
renzen. die wir zur dien Politik der RAF 
haben, zustimmen. Wir hoffen, daß sie 
der Ausgangspunk für eine produktive 
Debatte zwischen Antiimperialistlnnen, 
Feminislinncn und Kommunistinnen über 
die Neubestimmung revolutionärer Pra- 
xis ist. 

Dokumentalion 

Lutz Täufer, Gesellschaft oder Isola- 
tion 

Ausgehend von den Diskussionen, die 
sich an der Spaltung des Gcfangcncnkol- 
lektivs entwickelt haben, unternimmt 
Lutz Täufer einen kritischen Rückblick 
auf die Politik der RAF seit 1977. Er the- 
matisiert die inhaltliche Ausrichtung des 
Front-Konzepts und kritisiert den Mangel 
an Diskussionen zwischen RAF und Ge- 
fangenen einerseits und anderen gcscl- 
schaftlichen Kräften andererseits. Bezüg- 
lich der RAF-Erklämng vom April 1992 
weist Täufer darauf hin. daß es damals 
"niemanden gegeben hat. der Irmgard 
Möllers Erklärung widerspricht” (in der 
Erklärung wurde die Entscheidung der 
RAF, auf tödliche Angriffe zu verzichten, 
begrüßt). Wir haben als BroschU- 
rengruppe zwar erhebliche Differenzen 
zur politischen Position der Ccllcr Ge- 
fangenen, denken aber, daß der doku- 
mentierte Artikel eiae hilfreiche Analyse 
der letzten 17 Jahre ist und zahlreiche 
diskussionswürdige Aspekte enthält. 

PS: Wir haben versucht, offensichtliche 
Rechtschreib-, Grammatik- und Überset- 
zungsfehler. soweit sic nicht die inhaltli- 
che Aussage berührten, stillschweigend 
zu korrigieren. Wir hoffen, dabei keine 
neuen Fehler produziert zu haben. 

Broschüren-Gruppe 



16 


II. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Kapital 
und Arbeit I: 

Kommunistische Kritiken an der alten Politik der RAF 


"Westeuropa als Schnittpunkt der Linie Ost - West. Nord - Süd, Staat - Gesellschaft 
RAF, Front-Konzept 

"solange eine solche gesdlschafi\icbc alternative zur Zerstörung im systen nicht spürbar und greilbar existiert. 

RAF, April- Erklärung 

"Der Staat ist (...) keineswegs eine der Gesellschaft von außen aufgezwungene Macht; (...). Er ist vielmehr ein 
Produkt der Gesellschaft auf bestimmter Entwicklungsstufe; er ist das Eingeständnis, daß diese Gesellschaft sich 
in unversöhnliche Gegensätze gespalten hat. (...). Damit (...) ist eine scheinbar über der Gesellschaft stehende 
Macht nötig geworden, die den Konflikt dämpfen (...) soll; diese (...) Macht ist der Staat. (...). Da der Staat ent- 
standen ist aus dem Bedürfnis, die Klassengegensätze im Zaum zu halten, da er aber gleichzeitig mitten im Kon- 
flikt dieser Klassen entstanden ist. so ist er in der Kegel Staat der mächtigsten, ökonomisch herrschenden Klasse, 
die vermittels seiner auch politisch herrschende Klasse wird und so neue Mittel erwirbt zur Niederhaltung und 
Ausbeutung der unterdrückten Klasse.” 

Friedrich Engels, in: Marx/Engels, Werke, Bd. 21, 165, 166 f. 

"(...) Erkenntnis, daß die Völker der Dritten Welt die Avantgarden sind. (...) in den Metropolen (... scheinen) die 
Massen das Gefühl für ihre Lage als Ausgebeutete und Unterdrückte, al> Objekt des imperialistischen Systems weit- 
gehend verloren zu haben (...). so daß sic fUr’s Auto, ein paar Plunncn. ‘ne Lebensversicherung und ’nen Bausparver- 
trag jedes Verbrechen des Systems billigend in Kauf nehmen, (...)." 

RAF, Die Aktion des Schwanen September in München. Zur Strategie des antiimperialistischen Kampfes (Nov. 
1972) 

"Es ging (...) dämm, in dieser politischen Wüste, in der alles nur Schein. Ware, Verpackung, Lüge und Betrug ist, 
(...) aus der Verbindung und der Identität mit den Kämpfen in Südostasien. Afrika und l-itcinamerika gewaltsam hier 

hrreinzuhrechen (...)." 

RAF, Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front (Mai 1982) 

"All theses options” - die Verdinglichungs-Theorie, die Entfremdungs-Theorie und die Kritik des ungleichen 
Tausch s • "say something true and important about capitalism, and they give an ideological judgement which can 
be used in the strugglc to destroy it and rcplacc it with a socialist society. But (...) from the point of view of 
Science as a guide to political action, all these variants have to bc rcfutcö. (...). In the scicncc of history." d.h. im 
historischen Materialismus, "capitalism is a specific mode of production, characteri/ed hy a specific combinalion 

of forccs and relations of production. (...). 

Now wc have alrcady sccn that, far from conceiving society as a complen structure, historicist theories of sociely 
look for an inner cssencc revealed in all parts. If fhis esscnce is oppressive, the source for a transformation cannot 
be found inside sociely, for all its manifcstations share the oppressive naturc of esscnce. The agent of transforma- 
tion can only bc an externa I Negation Subject. (...). But the Proletariat no longer seems ’absolutely’ miserable and 
exeluded in the so-callcd wclfarc state. (...). But was the role of the Proletariat in Marx's theory ever that of an 
absolute negation of capitalist sociely? (...). Thc(...) productive forccs. which comc into contraction with the pri- 
vate mode of their appropriation, includc the incrcasing usc of scicncc, dcvclopcd Communications, a high educa- 
tional level and an internalized discipline in the work force. Their effccts on the working dass are not immisera- 
tion but rather the Provision of greater facilities for Organization and a greater capacily to replace the capitalist 
regimenution of production by social appropriation und working-class controll from bdow. (...). Hencc Marxist 
theory does not need a conception of the Proletariat as a incamation ofthe negation of human existence." 

Göran Thcrborn, in: Western Marxism. A critical reader, London, 1977, 83 • 139 (99, 115, 116) 

1 . Gefangene aus d:r PCE(r) und der GRAPO. Zwei unvereinbare Linien in der europäischen revolutionären Bewegung 
(1986) 

2. Frcdcric Oriach, Der bewaffnete Kampf als strategische und taktische Notwendigkeit des Kampfes für die Revolution 

3. o. Vcrf.. Für den Kommunismus! (Papier vom Widerstands-Kongreß 1986) 



17 


Kommune CARLOS MARX, politische 
Gefangene der l’CE(r) und der 
GRAPO; Gefängnis von Soria 

Zwei unvereinbare Linien 
innerhalb der europäi- 
schen revolutionären Be- 
wegung 

Es wäre absurd zu meinen, das Problem, 
das sich gegenwärtig der europiiischen 
revolutionären Bewegung stellt, die Exi- 
stenz zweier divergierender Linien, sei 
lediglich ein Problem für oder gegen die 
Partei; als würde man sich einer "Mode" 
anschließen, der Rekonstruktion der 
Kommunistischen Partei, der Par.ci der 
Arbeiterklasse. Das jedoch scheint die 
"antiimperialistische" Strömung darunter 
zu verstehen, so argwöhnisch, wie sie in 
bezug auf alles ist, was nach Arbeiter- 
klasse und kommunistischer Bewegung 
riecht. 

Aber im Grund; handelt cs sich im die 
Existenz von unvereinbaren Divergenzen 
(in der Einschätzung des Charakters der 
Revolution in Fumpa. des proletarischen 
Internationalismus, der politischen Orga- 
nisierung der Massen, der Rolle und den 
Zielen des bewaffneten Gucrillakampfes. 
der Strategie und Taktik etc.). In diesem 
Artikel wollen wir diese Unterschiede 
unter dem Gesichtspunkt des Manismus 
untersuchen; das heißt, eingehend die 
ökonomischen Wurzeln und die Klasscn- 
herkunft der Politik untersuchen, die die 
"Antiimpcrialistcn" machen, ihre grund- 
legenden Ideen und Konzepte und letzt- 
lich die Beziehung ihres politischen Pro- 
jekts. ihrer Taktik und ihrer .Strategie zu 
den jüngsten historischen Tatsachen, die 
sich in Europa ereignet haben, besonders 
in ihrer Verbindung mit der kommunisti- 
schen Arbeiterbewegung. 

Diese Untersuchung wird es uns ermög- 
lichen zu beweisen, daß die 
"Antiimperialisten" kein kommunisti- 
sches Programm haben, daß ihre ganze 
Taktik sich um die "antiimperialistische" 
Aktivität dreht. anti-USA. anti-NATO. 
und daß ihre Ziele und ideologischen Po- 
sitionen zum großen Teil korrespondie- 
ren mit den Klrescnpositioncn wichtiger 

Teile des Kleinbürgertums, die sich 
durch das Vordr.ngen der Monopole und 
Multis ruiniert und enteignet von seinen 
alten Klassenvorrechten sehen, wai ihre 
Verzweiflung und Radikalität erklärt. In 
jeder Hinsicht handelt cs sich um einen 
Linksopportunismus, der seine Kraft aus 
der ständigen Repression zieht, die diese 
Sektoren aufgrund der Ausbreitung des 
Staatsmonopolismus bis in alle Ecken 
der Gesellschaft hinein, bis zu ihrer Pro- 
Ictarisierung, erleiden. So ist zu verste- 


hen. daß ihre Aufrufe zur antiimperiali- 
stischen 'Einheit" keine andere Grund- 
lage haben, als den blinden Kampf gegen 
die NATO und die Monopole: militaristi- 
scher Kampf, dessen einziges Ziel es ist. 
die Militarapparatc des Imperialismus 
anzugreifen. 

Ihre fortgesetzten propagandistischen 
Aktionen enthüllen uns überdies, daß sie 
mit ihrem vergeblichen Vorsatz nur dar 
auf aus sind, "den Drachen zu töten", die 
eigenen Kräfte zu vergeuden und die 
Aufmerksamkeit der Revolutionäre und 
der Massen von den wirklichen Proble- 
men ab/uJenken. die sich der Bewegung 
heute stellen. 

An diesem Punkt muß daran erinnert 
werden, daß die Guerilla-Bewegung, die 
Anfang der 70er Jahre in Europa aufge- 
kommen ist, es schon vor einiger Zeit er- 
reicht hat. mit dem falschen bürgerlich- 
reformistischen Frieden zu brechen. Sic 
hat ca erreicht, die Aufmciktamkcit der 
Massen auf die revolutionäre Perspektive 
zu lenken. Aber einige Gruppen, die ver- 
blendet sind durch die Resultate der Gue- 
rilla-Aktivität, bedenken nicht, daß das 
wichtigste Ziel, das man in dieser ersten 
Phase des bewaffneten Kampfes in Fum- 
pa verfolgt hat, schon erreicht ist. Sie be- 
denken nicht, daß es genau ifcshalb jetzt 
darum geht, die anderen revolutionären 
Aufgaben anzupacken, die historisch ver- 
nachlässig! wurden, und daß die Gueril- 
la-Aktivität sich in den Rahmen der brei- 
ten politischen, militärischen und organi- 
satorischer. Bewegung cinfügcn muß. die 
sich nach allen Seiten ausdehnt. Sie be- 
strafen sich selbst damit, sich auf diese 
Weise unwiderrufbar von der revolutio- 
nären kommunistischen Bewegung in 
Europa zu trennen. 

Es ist unverzichtbar aufzuzeigen, daß - 
wie die Ereignisse es bewiesen haben - in 
dem Zeitraum der 70er Jahre jene Form 
des bewaffneten Kampfes notwendig 
war, weil sic weitgehend die einzige 
Möglichkeit war, revolutionäre Politik in 
den imperialistischen Metropolen zu ma- 
chen. Aber die Entwicklungen sind schon 
so weit vorangeschritten, daß man, wenn 
man so weiter machen würde wie früher, 
nicht nur eine theoretische Dummheit 
begeht, sondern ungcrcchtfertigterweisc 

auf einer einseitigen und kontiaprudukti- 
ven Praxis für die revolutionäre Bewe- 
gung in Europa insistert. 

Heute ist die Wiedervereinigung aller re- 
volutionären kommunistische Kräfte 
unter der gleichen Fahne des Marxismus- 
Leninismus nicht mehr aufzuschieben: 
ihre Anstrengung geht dahin, ein proleta- 
risches Programm Für die sozialistische 
Revolution auszuarbeiten und eine trag- 
fähige und ideologisch festgefügte leni- 
nistische Partei aufzubaucn. Ausgehend 
von der umfassenden politischen und mi- 


litüriichen Vorstellung, die man mit der 
Partei erreichen kann, ausgehend von den 
proletarischen Klassenpositionen und 
angesichts der Nah- und Fernziele, die 
die sozialistische Revolution dem Prole- 
tariat vorzeichnet; So müssen alle politi- 
schen und militärischen Aufgaben ent- 
worfen werden. Die wichtigsten Aufga- 
ben heißen heute, die kommunistische 
Partei zu stärken und eilt Minimalpro- 
gramm der sozialistischen Revolution in 
jedem Land auszuarbeiten. 

Dazu gehört ebenso die Organisierung 
und Erziehung der Arbeiter in den Ideen 
des Kommunismus, die Demaskierung 
der bürgerlichen Politik und ihrer refor- 
mistischen und revisionistischen Allian- 
zen etc... . Die Formierung einer kleinen 
Armee von proletarischen Kämpfern, die 
es lernen, den langandauemden Volks- 
krieg zu führen, die modernen Techniken 
der Kriegsführung zu beherrschen etc., 
unter den In Europa herrschenden Bedin- 
gungen. Sic führen die militärischen An- 
griffe immer unter der Führung und Ori- 
entierung der proletarischen Politik durch 
und mit dem Blick auf den Volksauf- 
stand und die Bewaffnung des Volkes. 
Unter Berücksichtigung der existierenden 
Kräfteverhältnisse muß die Führung der 
Guerilla in der Anfangsphase skrupelhaft 
genau die Ziele auswählsn. die Ansamm- 
lung von revolutionären Kräften auf der 
Seite des Proletariats ermöglichen, indem 
sic die Durchsetzung der politischen 
Ziele erleichtert, aul die die organisierten 
Kräfte hinarbeiten. Dieses und kein ande- 
res ist das militärische Programm der so- 
zialistischen proletarischen Revolution in 
Europa. 

Bis vor kurzem konnte man cs aufgrund 
politischer und historischer Bedingungen 
noch zulassen, daß sich revolutionäre 
Aktivität vor allem auf den militärischen 
Kampf konzentrierte. Aber heute ist es 
schon dringend notwendig, die oben be- 
schriebenen Ziele in Angriff zu nehmen. 
Je länger cs dauert, diese politischen und 
militärischen Aufgaben des revolutionä- 
ren Kampfes in Europa zu begreifen und 
anzupacken, umso schwieriger und stei- 
niger wird der Weg zur sozialistischen 
Revolution sein. 

Sich als Kommunist zu bezeichnen, 
heißt nicht, es auch zu sein 

Eine Sache ist es. für den Kommunismus 
zu sein, wie das alle Organisationen sein 
wollen, und eine ganz andere Sache ist 
cs. in jedem Moment den Klnwnkampf 
zu verteidigen, gegenüber jedem konkre- 
ten Problem die Positionen des Kommu- 
nismus zu vertreten. Eine Sache ist cs. 
großspurige, populäre sozialistische Er- 
klärungen abzugeben und von Befreiung 
zu reden, und eine ganz andere Sache ist 



18 


cs. sich darum /u bemühen, in Theorie 
und Praxis die universellen historischen 
Prinzipien des Marxismus-Leninismus 
und die Erfahrungen des Proletariats und 
der Völker der ganzen Well in ihrem 
Kampf für die nationale Befreiung an- 
zuwenden, den Sozialismus und den 
Kommunismus zu erreichen. Eine Sache 
ist es, sich antiimpsrialistisch zu nennen, 
und eine andere Sache ist es, sich als 
Feind dieser Prinzipien und der kommu- 
nistischen Aufgaben zu entpuppen. 

Jeder halbwegs ernsthafte und bewußte 
Arbeiter begreift leicht, daß man in ei- 
nem bestimmten Moment kein revolutio- 
näres Programm und auch kein militäri- 
sches Programm der Proletarier hat. Das 
ist eine Aufgabe, die viel Zeit braucht. 
Viele Kampferfahrungen und verschie- 
dene kommunistische Traditionen müs- 
sen zusammengefaSt werden etc... . Aber 
dieser gleiche Arbeiter wird es als schwe- 
ren Fehler bezeichnen, wenn man immer 
wieder aufs Neue die Ausarbeitung des 
kommunistischen Programms von sich 
weist und verweigert. Diejenigen, die ei- 
ne solche Haltung einnehmen, beweisen, 
daß ihre hochtönenden, sozial-befreien- 
den Erklärungen und Manifeste lediglich 
ein Wortschwall sind, mit dem sie nur ih- 
re irrigen politischen Positionen mit re- 
volutionärer Phraseologie verbrämen 
wollen. Angesichts der politischen Be- 
dingungen in der Welt können sich die 
Opportunisten nur so präsentieren, als 
wären sie Kommunisten. 

Für jeden, der die Doppelbödigkcit dieser 
Haltung analysiert, ist der Unterschied 
zwischen den Worten und den Taten sehr 
schockierend. Für diejenigen, die vorge- 
ben. für die sozialistische Revolution zu 
sein, während sie in Wirklichkeit noch 
nicht einmal hören wollen, daß vom Pro- 
letariat. der modernen Arbeiterklasse der 
kapitalistischen Lander, geredet wird, 
wäre es besser, klar und offen zu sagen, 
daß sie nur dis Ziel haben, sich mit den 
imperialistischen Institutionen herumzu- 
schlagen. aber daß es nicht ihre Sache ist. 
die Arbeiterklasse und die Volksmassen 
in ihrem Land zu organisieren, um mit 
ihnen zusammen auf dem Weg zur sozia- 
listischen Revolution und der Diktatur 
des Proletariats voranzukommen. Es ist 
klar, daß die revolutionäre kommunisti- 
sche Bewegung erstarkt. Die Opportuni- 
sten sehen sich immer mehr in ihrem 
Spiel entlarvt, und die wirklichen Kom- 
munisten und die bewußten Menschen 
beginnen, ihnen die kalte Schulter zu 
zeigen, weil sie merken, daß man auf 
diesem Weg nirgendwo hinkommt. 

Die politische Posilion von Gruppen wie 
der RAF. ihre militaristische Taktik, ihre 
Interpretation des Kräfteverhältnisses 
zwischen den sozialen Klassen, ihre anti- 
leninistischen Erklärungen (gegen die 


Partei etc.), ihre ideologischen Positionen 
(die inncrimpcrialistischen Widersprüche 
zu negieren) und viele andere Einschät- 
zungen machen deutlich, daß sic zwi- 
schen den Klassen Stehen, machen ihren 
kleinbürgerlichen Klassencharakter klar. 
Es ist offensichtlich, daß eine enge Ver- 
bindung zwischen diesen politischen, 
ideologischen und organisatorischen Po- 
sitionen und der Geschichte und den 
Ideen des Klassensektors, den sie reprä- 
sentieren, besteht. Genauso ist die wach- 
sende Isolictung zu konstatieren, die 
diese Tendenz wegen ihres Herauslas- 
sens von Positionen und ihrer Entwick- 
lung zu mehr und mehr antileninistischen 
und antiproletarischen Positionen hat. Es 
gibt genügend Beispiele für unsere Be- 
hauptung. Da gibt 

++ es ihre klare Entwicklung zu strikt 
militaristischen Positionen mit der Schaf- 
fung dieses "deutsch-französischen" 
Hirngespinstes der westeuropäischen 
"antiimperialistischen" Guerilla; 

++ die Verweigerung der brüderlichen 
und offenen ideologischen Auseinander- 
setzung mit anderen revolutionären Or- 
ganisationen; 

++ ihre Manie, jeefc ernsthafte Analyse 
über jede für die Bewegung wichtige 
Angelegenheit in eine Demonstration 
von Omnipotenz der NATO zu verwan- 
deln; 

die Erklärung - ohne rot zu werden -. daß 
jede Verurteilung eines Revolutionärs 
oder eine Verurteilung zum Tode auf 
machiavcllistische Weise von der höch- 
sten Kommandostcllc der NATO geplant 
ist... 

Wir negieren im übrigen nicht die gewal- 
tige Vorstellungskraft dieser 
"antiimperialistischen" Genossen, aber 
wir stellen gleichzeitig fest, daß cs sich 
um eine sehr kurzsichtige, preußische 
Vorstellungskraft handelt, wenig ge- 
wohnt an die dialektische Analyse aller 
Faktoren, die in den sozialen und politi- 
schen Phänomenen eine Rolle spielen. 
Obwohl das dialektische Genie Hegel in 
diesem Land geboren wurde. 

Wenn diese Gruppen jetzt wütend auf die 
"Linke" schießen und sich über die Auf- 
gaben lustig machen, die die Kommuni- 
sten in Europa in. Angriff nehmen, und 
wenn sie ihren Antiimperialismus mit 
noch kühneren und spektakuläreren Ak- 
tionen akzentuieren, so versuchen sic 
doch in Wirklichkeit nur. ihre natürliche 
Unvereinbarkeit mi: den proletarischen 
Positionen zu verbergen Sie. ziehen ei- 
nen dichten Schleier über die kleinbür- 
gerlichen Motivationen und anarchisti- 
schen Tendenzen, de ihren Aktionen ei- 
gen sind. Gleichzeitig versuchen sic. die 
geringe oder nicht vorhandene politschc 
revolutionäre Effektivität, die sie mit ih- 
ren militaristischen Aktivitäten erreichen. 


dadurch zu erhöhen, daß sie heute die 
angebliche militärische Bedeutung des 
imperialistischen Angriffsziels maßlos 
übertreiben. Das sind nicht die Aufga- 
ben, Genossen Artiimpcriulistcn, die 
jetzt für das revolutionäre europäische 
Proletariat anstehen. Wenn ihr wirklich 
die sozialistische Revolution in eurem 
Land machen wollt, führt der Weg, den 
ihr gehen müßt, heute in eine andere 
Richtung als in die. in die ihr uns Führen 
wollt. 

Deshalb muß betont weiden, daß die 
Konzeptionen der RAF vom Leninismus 
weit entfernt sind; und daß der Kampf 
gegen jede Art von Opportunismus stets 
eine Konstante der leninistischen Partei 
gewesen ist. Wir müssen uns deshalb 
fragen, welche Umstände den Opportu- 
nismus der "antiimperialistischen Strö- 
mung" möglich gemacht haben. Wir 
glauben, es sind ohne Zweifel die fol- 
genden: 

Zum einen die offensichtliche Desorien- 
tierung der Arbeiterklasse in bezug auf 
die revolutionären Prinzipien. Die Grün- 
de Für diese Desorientierung müssen vor 
allem in den revisionistischen Theorien 
gesucht werden, die im Zusammenhang 
mit dem XX. Kongress der KPdSU ent- 
standen sind. Man muß außerdem be- 
rücksichtigen. daß dres in einer Periode 
des ökonomischen Aufschwungs des Ka- 
pitalismus nach dem 2.Weltkrieg ge- 
schah. 

Der andere Punkt ist das Fehlen von 
wirklich kommunistischen Parteien, die 
sich der neuen Situation cntgcgenstcllen 
könnten. Das hat dazu geführt, daß zahl- 
reiche revolutionäre Gruppen entstanden 
sind, die zu einem guten Teil die revolu- 
tionären Traditionen des Marxismus-Le- 
ninismus nicht kennen. Diese Gruppen 
haben die Konfrontation mit dem Staat 
mit der wirksamsten Methode geführt, 
die ihnen am Anfang zur Verfügung 
stand: der bewaffnete Kampf. Aber cs 
fehlt ein gefestigter leninistischer Geist, 
genauso wie die Absicht, eine Partei zu 
schaffen, die die Arbeiterklasse organi- 
sieren. erziehen und Führen kann. Sie 
verfallen deshalb früher oder später in 
opportunistische, bürgerliche Positionen: 
die ideologischen Konzeptionen, die sic 
verteidigen, sind Proudhon oder Bakunin 
näher als dem Marxismus. In Wirklich- 
keit sind sie eine Mischung aus beiden. 
Ein politischer Prozeß, der sich heute in 
Europa abspielt, ist für alle Kommuni- 
sten und Revolutionäre von Bedeutung: 
das wachsende Zusammenwirken der 
Kommunisten mit den fortschrittlichsten 
Sektoren und Elementen des Proletariats. 
Wir müssen mit unserer Arbeit dazu bei- 
tragen. daß dieser fest spontane Prozeß 
sich bewußt vollzieh; und auf organisier- 
te und gelenkte An und Weise geschieht. 



19 


Die objektiven Bedingungen um diese 
Aufgabe zu erfüllen, sind bereits gege- 
ben: große Teile der Arbeiterklasse, die 
kämpferischsten und fortschrittlichsten, 
suchen eine proletarische und kommuni- 
stische Organisation für ihre Führung. 
Gleichzeitig Führt die gegenwärtige kapi- 
talistische Wirtschaftsdepression, die 
Kürzung der bürgerlichen Sozialpro- 
gramme. die Arbeitslosigkeit und die Ve- 
relendung großer Teile des Volkes, die 
ständige Entlassung großer Massen von 
Arbeitern durch die staatsmonopolisti- 
schen Pläne der Umstrukturierung etc. 
dazu, daß tausende und abertausende von 
Arbeitern anfangen, aufzuwachen und 
für den Sozialismus zu kämpfen. Sie sind 
sich ihrer historischen Verantwortung 
bewußt und identifizieren sich mit ihrer 
Klasse. Sie sind zu höchsten Opfern be- 
reit, um die Sache des Proletariats vor- 
wärts zu treiben. Die reformistischen Fal- 
len und Vorurteile, die von der 
"Wohlstands-" oder "nachindustriellen" 
Gesellschaft ausgcbcutct wurden, liegen 
bereits hinter uns. Das sind alte ideologi- 
sche Reliquien des Monopolismus der 
Nachkriegszeit. 

Unser internationalistischer Beitrag 

Aufgrund des zuvor Gesagten und ange- 
sichts derjenigen, die die Praxis des pro- 
letarischen Internationalismus gegenwär- 
tig darin sehen, kleine supranationale mi- 
litärische Organisationen zu schaffen 
(bedeutungslose Nachahmung der 
NATO), verteidigen wir die immer noch 
gültige Konzeption: der proletarische In- 
ternationalismus heißt für Kommunisten 
die Pflicht, die Revolution im eigenen 
Land zu machen und entsprechend ihrer 
Kräfte dazu beizutragen, daß sie überall 
triumphiert. Dazu beizutragen heißt fun- 
damental heute in Europa: 

I. aktiv an der ideologischen Diskussion 
teilnehmen, an der Debatte Uber die Prin- 
zipien, die Strategie und Taktik und die 
unmittelbaren Aufgaben der Kommuni- 
sten, die gerade allerorts anstchcn. 

In dem Maße, wie «Jas unsere materiellen 
Bedingungen ermöglichen, beteiligen wir 
uns schon seit längerer Zeit an dieser 
Diskussion, indem wir unsere Erfahrun- 
gen beitragen, unsere grundlegenden Po- 
sitionen verteidigen und brüderlich die 
Positionen der anderen kritisieren. So 
haben wir auch in der kleinen Debatte in- 
terveniert. die es zum Internationalismus 
gegeben hat, welche Aufgaben unserer 
Meinung nach unaufschiebbar sind für 
die Kommunisten (wie die Schaffung der 
marxistisch-leninistischen Partei und die 
Denunzierung und Demaskierung jeder 
Art von Opportunismus), wie die Rolle 
und die Gestaltung der Partei zum ge- 
genwärtigen Zeitpunkt sein muß. Uber 


die Rolle und Funktion des bewaffneten 
Kampfes, der Guerilla, welchen Charak- 
ter heute die innerimperialistischen Wi- 
dersprüche haben ctc... Wir haben ver- 
schiedene Artikel dazu geschrieben. 

2. moralisch und materiell den ideologi- 
schen und politischen Kampf unterstüt- 
zen. den unsere Genossen in anderen 
Ländern führen. Wir glauben, daß die be- 
ste Form der moralischen Unterstützung 
die direkte und offene Kritik ist. die 
Schwächen der anderen und ihre Ursache 
aufzuzeigen, uns die gerechte Verteidi- 
gung der kommunistischen Positionen zu 
eigen zu machen, ihren Kampf gegen op- 
portunistische und militaristische Posi- 
tionen zu unterstützen etc... 

Angesichts der Situition. in der die revo- 
lutionäre Bewegung in Europa sich be- 
findet, ist es uns auferlegt, mit aller Klar- 
heit und Entschiedenheit die grundlegen- 
den Unterschiede aufzuzeigen, die zwi- 
schen den zwei Linien bestehen, die sich 
endgültig herausgeschält haben. Dieser 
unverzichtbaren ideologischen Aufgabe 
auszuweichen, würde bedeuten, der revo- 
lutionären Bewegung enormen Schaden 
zuzufügen. 

Deshalb heißt das Ziel: Gehen wir ent- 
schlossen den Weg, den uns die proleta- 
rische Partei, die Organisation der Arbei- 
terklasse und der langandauemde Volks- 
krieg weisen; kritisieren wir unermüdlich 
die kleinbürgerliche militaristische Ten- 
denz der "Antiimperialisten"; kämpfen 
wir unerbittlich gegen den pan-curopäi- 
schcn Nationalismus; kämpfen wir ohne 
Aufschub für die sozialistische Revolu- 
tion und die Diktatur des Proletariats in 
Europa, indem wir Schritt lUr Schritt die 
Brüderlichkeit aller Proletarier des Kon- 
tinents verstärken, dadurch, daß wir uns - 
in erster Linie - auf unsere eigenen Kräf- 
te verlassen, auf die immensen Kräfte al- 
ler Arbeiter, die den Kapitalismus in je- 
dem Land bekämpfen. 

Ohne Zweifel finden wir zwischen die- 
sen zwei Haupttcntfcnzcn. in die sich die 
revolutionäre Bewegung in Europa ver- 
zweigt. auch einige Gruppen, die un- 
schlüssig schwanken. Ohne Zweifel kann 
kein Kommunist, der wenigstens mini- 
mal dem Kampf seines Volkes verpflich- 
tet ist, Übersehen, daß angesichts der si- 
gnifikanten Entwicklung hin zur Radika- 
lisierung. die die Kämpfe und Streiks der 
Arbeiter allerorten nehmen (die sich ge- 
gen die Projekte der dekadenten Krisen- 
lösung richten), die revolutionäre kom- 
munistische Tendenz großen Rückhalt 
und Unterstützung erhält. Deshalb ist ih- 
re Verstärkung, Verwurzelung und Ent- 
wicklung vorauszusehen. 

In der BRD gibt es schon eine begin- 
nende kommunistische Strömung, die die 
Kritik an der 'antiimperialistischen" 
Strömung angefangen hat. Obwohl in Ita- 


lien die Bewegung in zahlreiche Sektoren 
aufgespalten ist. entwickelt sich immer 
klarer eine kommunistische Strömung. 
Die Roten Brigaden für die kämpfende 
kommunistische Partei, die beachtliche 
Fortschritte machen und sich Bahn bre- 
chen gegenüber den reformistischen und 
"guerilleristischen" Varianten. Unter den 
Franzosen - wenn wir Action Directe bei- 
seite lassen, die mit den Budgets der 
RAF einen Pinienkern spaltet - sind die 
Dinge weiter zurück. Man könnte sagen, 
daß einigen französischen Gruppen die 
entsprechende praktische Aktivität fehlt, 
obwohl sie in bestimmten theoretischen 
Fragen weit fortgeschritten sind. Das ist 
ein Fehler, der ein enormes Hindernis 
darstellt, wenn wir uns die Aufgaben vor 
Augen halten, die auf die Kommunisten 
warten. Obwohl die Belgier noch jung 
sind in ihren Aktivitäten, haben sic nicht 
aufgehört, einen frischen Wagemut in 
den Kampf einzubringen, indem sie die 
Theorie mit der revolutionären Praxis zu 
verbinden versuchen und mit Entschlos- 
senheit die anstehenden Probleme ange- 
hen. Und sie lassen sich nicht von den 
Sirenengesängen der "Antiimperialisten” 
ködern. Sic haben sich den Aufbau der 
kommunistischen Partei von den Positio- 
nen des Proletariats zum Ziel gesetzt. 
Unsere Position ist genügend bekannt. 
Man versteht den Wutanfall der 
"Antiimperialisten", wenn die proletari- 
schen Positionen und das kommunisti- 
sche Programm der Arbeiterklasse ver- 
teidigt werden, weil dadurch offenbar 
wird, daß sie selbst kein proletarisches 
Programm haben. Ihr Geschnatter über 
"Internationalismus' ist nichts weiter als 
ein chauvinistischer Pan-Europäismus, 
ohne daß ein anderes Ziel zum Vorschein 
käme, als ein alomfrcics Europa, ein grü- 
nes Europa und eines ohne die NATO. 
Ein utopisches und nicht zu verwirkli- 
chendes Ziel, das das Ideal und die 
kleinbürgerliche Illusion einer Welt ohne 
Kriege repräsentiert (was nur in einer 
völlig sozialistischen Welt möglich ist). 
Diese Tendenz der Bewegung, die wir 
gerade untersuchen, ist deshalb in ihren 
Zielen reaktionär, da sic sich «km fort- 
schrittlichen Lauf der Geschichte, den hi- 
storischen Zielen «Ls Proletariats eilige- 
genstellt; und das ist so. trotz ihrer krieg- 
stüchtigen und kämpferischen Entschlos- 
senheit. antiimperialistisch. anti-NATO, 
anti- multinationale Konzerne und anti-al- 
Ics mögliche. 

Eine Karikatur des Marxismus 

Die Komponenten der antiimperialisti- 
schen Strömung nennen sich gewöhnli- 
chcrwcisc marxistisch. Aber nichts ist 
weiter weg von der Wirklichkeit. Ihr 
Marxismus Ist eine wahrhafte Karikatur 



20 


der fundamentalen Ideen von Marx, En- 
gels und Lenin, eine grobe Deforrration 
des historischen und dialektischen Mate 

rialismus. 

Charakteristisch für die Marxisten ist 
immer gewesen, daß sic sich immer auf 
eine ökonomische und soziale Klassen- 
analyse bezogen haben, um dementspre- 
chend das proletarische Programm und 
die kommunistische Strategie auszuarbei- 
ten. Um diese Aufgaben zu verwirkli- 
chen. unterscheiden sie die sogenannten 
objektiven Bedingungen (jene, mit denen 
das Proletariat und seine kommunistische 
Avantgarde konfrontiert sind) von den 
subjektiven Bedingungen (woran das 
Proletariat entscheiden kann, welches 
seine Taktik und seine Strategie sein muß 
etc.). Was einem bei den Dokumenten 
der RAF als erstes ins Auge springt, ist 
das Fehlen einer Analyse dieser An. Im 
Rahmen der Analyse, an die uns die RAF 
gewöhnt hat. wollen wir das Irrige ihrer 
Konzepte von der Proletarisicrung und 
dem internationalen Proletariat hervorhe- 
ben. Der erste Einblick in diese Konzepte 
zeigt uns schon ihre Haltlosigkeit und 
Schwäche. Mehr noch: die RAF bringt 
einen extremen Subjektivismus zum 
Ausdruck und erklärt immer mehr in ih- 
ren veröffentlichten Dokumenten, daß 
die sozialen Klassen sich nicht mehr 
"durch die Position, die sic im Produkti- 
onsprozeß einnehmen," definieren kön- 
nen. Für Marx und Engels dagegen, und 
auch für Lenin, war in den Analysen der 
Klassen und des Klassenkampfes in der 
kapitalistischen Gesellschaft jene Klas- 
sendefinition immer eine unangreifbare 
Festung des Marxismus, des Materialis- 
mus. Und bei vielen Gelegenheiten ha- 
ben sie darauf hingewiesen, daß, wenn 
man sich davon entfernt, dies in den 
Sumpf des Idealismus, des Opportunis- 
mus und des Chauvinismus führt. 

Hinter der Terminologie, die durch die 
RAF benutzt wird, wie z.B. die "militante 
Proletarisicrung". die Entfremdung und 
Verbürgerlichung der Arbeiter, die Ba- 
sisprozesse etc., verbirgt sich ein Angriff 
auf den Marxismus, von dem sie nichts 
wissen wollen. So schreiben sie. daß "die 
Klasse" - so abstrakt benannt - diejenigen 
sind, die "den destruktiven Charakter des 
Systems begriffen haben“, und daß "von 
diesem Fundament der Proletarisierung 
aus die Personen, die in den Basisprozes- 
sen. im Widerstand etc. präsent sind, aus 
allen Schichten des Volkes kommen." 
Unzweifelhaft haben die ungestüme 
Ausbreitung und der Vormarsch der Mo- 
nopole und Trusts in allen Wirtschafts- 
bercichcn der kapitalistischen Gesell- 
schaft und die Unterdrückung und Be- 
schneidung der Interessen des Kleinbür- 
gertums eine große allgemeine Unzufrie- 
denheit hervorgerufen. Doch es kann si- 


cher nicht zugebilligt werden, daß diese 
Sektoren, die sich abrupt durch ihre spe- 
zielle Situation rndikalisiert haben, die 
Interessen des Proletariats repräsentieren, 
genausowenig wie dessen Ziele, noch 
seine Klassenpositionen. Das Ziel der 
Kommunisten besteht angesichts der be- 
sonderen Situation, in der sich diese 
Schichten im Prolctarisicrungsprozcß be- 
finden, darin, sic zu einem proletarischen 
Programm hinzuzichcn; ihnen begreifbar 
zu machen, daß es keinen anderen Weg 
als die Diktatur des Proletariats und den 
Sozialismus gibt. Kritisiert werden müs- 
sen ihre Verzweiflung und ihr Opportu- 
nismus, ihr Mangel an längerfristigen 
Vorstellungen und die Beschränktheit ih- 
res Blickwinkels etc. 

Aber das ist nicht die Haltung, die die 
Genossen der RAF angesichts dieses 
Phänomens cinnchmen. Vielleicht weil 
sic ebenfalls von dort herkommen und cs 
noch nicht geschafft haben, sich wirklich 
ganz von den kleinbürgerlichen Vorurtei- 
len zu befreien und sich die kommunist- 
ische Ideologie zu eigen zu machen. 
Ganz im Gegenteil: um noch tiefer in den 
Sumpf der idealistischen Konfusion zu 
fallen, bringen sic ein ganz besonderes 
Schmuckstück "marxistischer" Analyse 
hervor: den Widerspruch Staat-Gesell- 
schaft als den Hauptwiderspmch in den 
Metropolen. 

Niemals hat der Marxismus von einem 
Widerspruch zwischen Staat und Gesell- 
schaft gesprochen - einfach weil der 
Marxismus immer von einer Klassenana- 
lyse ausgegangen ist. vom Widerspruch 
zwischen Bourgeoisie und Proletariat. 
Wenn er vom Staat gesprochen hat, dann 
immer als von dem, der er ist: ein Rc- 
picssionsappaiat einer Klasse über eine 
andere, ein in seiner Essenz repressiver 
Militärapparat, organisiert gerichtet ge- 
gen die ausgebeutete und unterdrückte 
Klasse, das Proletariat. Der Staat ist das 
bedeutendste Instrument, das die Bour- 
geoisie hat, als Instrument des Klassen- 
kampfs von oben gegen das Proletariat. 
Das ist das Wesen des Staates. Von daher 
muß das Proletariat seine ganzen An- 
strengungen darauf richten, den Staat der 
Bourgeoisie zu stürzen, um ihn durch ei- 
nen anderen zu ersetzen, den proletari- 
schen Staat, die Diktatur des Proletariats. 
Den Staat gegen "die Gesellschaft" zu 
stellen, wie das die "Anti-Impcrialistcn” 
machen, würde bedeuten, den Staat au- 
ßerhalb der Gesellschaft zu stellen als ei- 
ne Art höhere Einheit, die über ihr steht. 
Das heißt, den Klassencharakter des 
Staates zu negieren. Das bedeutet dann 
gleichzeitig, ihn für eine bösartige und 
überflüssige Einheit zu halten. Das Ziel 
der Revolutionäre wäre dann, jede Spur 
von Staat zu tilgen, so wie cs seinerzeit 
Bakunin vorschlug. Zusammen mit ihrer 


anti-staatlichen Voreingenommenheit 
und dem Fehlen eines kommunistischen 
Programms, schlagen uns die “Anti-Im- 
pcrialisten" (im Einklang mit diesem Wi- 
dersprach Staat-Gesellschaft) eine Interk- 
lasscn-Allianz vor. um den Staat zu be- 
kämpfen, der in ihren Augen der einzige 
Verursacher allen Übels ist. das die 
“Gesellschaft" erleidet, 
übwebl sie in einem ihrer Dokumente 
sagen, daß ihre revolutionäre Politik in 
den Metropolen "nichts mit einer Welt- 
Konzeption" zu tun hat, zeigen wir auf, 
daß dis falsch ist. Ihre weltweite Analyse 
(Konzeption) ist die des Kleinbürgers, 
der von den Multis erdrückt wird, der in 
seiner Verzweiflung seine ganzen wüten- 
den Angriffe gegen den imperialistischen 
Staat richtet, besonders gegen seine Mili- 
tärapparate und seine Allianzen. Diese 
Angriffe haben keine andere Perspektive, 
als den gleichen Kampf, den sic hervor- 
rufen, sie erinnern an die Arbeiter, die 
die Maschinen zerstörten, damit dadurch 
die Ausbeutung des Proletariats zu Ende 
ginge: das waren vor allem alte, ruinierte 
Sektoren des Handwerks und des Klein- 
handels. die sich aus ihren Werkstätten 
und kleinen Geschäften vertrieben sahen. 
Der Kampf der Opportunisten unter- 
scheidet sich radikal vom Kampf der 
Kommunisten, von ihrem anti-imperiali- 
stischen Kampf, von ihrer Organisierung 
der Arbeiter, vom Aulbau der proletari- 
schen Partei, von der Vorbereitung der 
organisierten Arbeiterkrätte im Geist und 
im Kampf des verlängerten Volkskrieges. 
Die politischen Konzeption der "Anti- 
Imperialisten" besitzt zwei ausgeprägte 
theoretische Schnittlinien, zwei zentrale 
Punkte, die klar ihre Vision revolutionä- 
rer Politik definieren. Ihre Idee von der 
"militanten Proletarisicrung" und ihre In- 
terpretation der Entfremdung und Ver- 
bürgerlichung, die die Arbeiter in den 
Metropolen Europas erleiden. 

Für sic ist das Proletariat nicht ein objek- 
tives Produkt der kapitalistischen Gesell- 
schaft. sondern ein Bewußtseinsakt. 
Deshalb vertreten sie, daß das Subjektive 
das Wesentliche und "dis Entscheidende 
für den Kampf in den imperialistischen 
Zentren" ist. Die imperialistischen Zen- 
tren - so fahren sie fort - schaffen 
"überhaupt keine revolutionäre Bedin- 
gung (ausgehend von den objektiven 
Widersprüchen und den existierenden 
Bedingungen), sondern nur Zerstörung 
und Verelendung.“ 

In einem unserer vorhergehenden Artikel 
haben wir gesehen, daß es bestimmter 
revolutionärer Bedingungen bedarf, da- 
mit die Revolution triumphiert. Dieses 
sind in erster Linie objektive Bedingun- 
gen. Wir fügen hinzu (entsprechend der 
Analyse Lenins in dieser Frage), daß die 
objektiven revolutionären Bedingungen 



21 


nicht genügt haben, um ein Regime oder 
eine Regierung zu stürzen, weil diese 
nicht fallen, wenn man sie nicht stößt. 
Deshalb ist eine reife und disziplinierte 
proletarische Partei unverzichtbar und 
eng verbunden mit der revolutionären 
Massenbewegung. Aber davon reden die 
"Anti-Imperialisten" nicht. Für sie exi- 
stiert das Proletariat objektiv nicht, son- 
dern einzig dutxli einen Akt des Bewußt- 
seins; mittels der Aneignung der Posi- 
tionen des internationalen Proletariats; so 
würden die Individuen dazu kommen, 
Proletarier zu sein. Für den Leninismus 
hingegen, besteht die einzige Art und 
Weise, die "Klasse an sich" in die 
"Klasse für sich" zu verwandeln, in der 
Arbeiterpartei. Die "Klasse an sich" ist 
die Arbeiterklasse, so wie sie im Prozeß 
der kapitalistischen Produktion existiert: 
auscinandcrgcrissen, uneinig und ohne 
Bewußtsein über ihre Situation. Ledig- 
lich durch die proletarische Partei ist cs 
zu erreichen, die Arbeiterklasse zu orga- 
nisieren und zu vereinigen, damit sic po- 
litisch als unabhängige Kraft in der. Klas- 
senkämpfen ihres Landes interveniert - in 
dem Bewußtsein ihrer historischen Rolle 
und den Zielen des Sozialismus und 
Kommunismus: das ist die "Klasse für 
sich". 

Im Gegensatz dazu ersetzen die •Anti- 
Imperialisten" die marxistische Analyse 
der ökonomischen und politischen Be- 
dingungen des Landes durch ein subjek- 
tivistisches Verhältnis von Haß und Wut. 
Das ist an sich sehr wichtig für den 
Kampf gegen die Bourgeoisie, aber in je- 
der Hinsicht unzureichend. Auf dieser 
Grundlage • der Grundlage des Hasses 
und der Wut - sagen sie, "jetzt entwickelt 
«ich die revolutionäre Front im Zen- 
trum." Nicht auf den Schultern des Prole- 
tariats, wie Marx und alle Marxisten ver- 
sicherten. sind wir aufgerufen, die kapi- 
talistische Gesellschaft zu stürzen, die 
Totengräber der kapitalistischen Gesell- 
schaft zu sein! Der subjektive Ansatz der 
RAF in bezug auf die Klasse und den 
Klassenkampf wird durch den Trug- 
schluß der Veibürgcrlichung und Ent- 
fremdung der europäischen Arbeiterklas- 
se vervollständigt. Der Nco-“Marxist" 
H.Marcuse sagt, daß die Arbeiteiklasse 

in der moderner kapitalistischen Gesell- 
schaft unterwürfig allen Interessen der 
Bourgeosie dient, und daß sie, weil sie 
objektiv an der Ausbeutung anderer Völ- 
ker teilnimmt, sich in ihrer privilegierten 
Position sehr wehl fühlt. Etwas ähnliches 
sagt die RAF. Im Gegensatz dazu be- 
zeichnet Marx mit dem Begriff der Ent- 
fremdung den Produktionsprozeß im Ka- 
pitalismus selbst, die Beeinträchtigung, 
die der Arbeiter als Produzent erleidet, 
weil er von den Produkten, die er produ- 
ziert, enteignet wird. Das ist es. was den 


Arbeiter als Klasse wirklich interessiert, 
weshalb er auf seine Fahnen die Losung 
"ENTEIGNUNG DER ENTEIGNER" 
schreibt. Und dieser Widerspruch, der in 
jeder kapitalistischen Produktionseinheil 
steckt, ist auch das Samenkorn, aus dem 
das proletarische Bewußtsein erwächst, 
die mächtige, kämpferische Kraft des 
Proletariats. Das ist was anderes als das. 
was die RAI' verteidigt. Deshalb wundert 
es uns auch nicht, daß ihnen mit diesem 
subjcktivistischcn und proudhonistischen 
Gepäck nicht in den Kopf geht, daß es 
einen anderen revolutionären Weg gibt, 
einen kommunistischen Weg. Sic sind so 
sehr von ihrer kleinbürgerlichen anti-im- 
perialistischcn Ideologie gepackt, daß al- 
les. was nicht Kugeln auf die Dächer der 
NATO schießt, für sic keinen Sinn 
macht. So weit geht ihre Blindheit, daß 
sie mit Naivität und ohne rot zu werden 
vertreten, daß die militärische Struktur 
des NATO-Oberbefehls Uber alle Ange- 
legenheiten der Welt entscheidet. Sie 
glauben felsenfest, daß die Intemationali- 
sierung des Kapitals (ein Prozeß, der mit 
dem Handels-Kapitalismus begonnen hat 
und dann durch die Monopole beschleu- 
nigt wurde) zuvor von den "I_ehnstühlen" 
des Kapitals beschlossen wird; als ob die 
eigene kapitalistische Entwicklung, die 
Gesetze des Gewinns, die ungleiche 
Entwicklung und die Konkurrenz - alles 
objektive Faktoren, wie Marx bewiesen 
hat - überhaupt keinen Einfluß hätten. 
Vielleicht stellen sic sich deshalb mit 
Hingabe gegen jeden neuen Plan der 
NATO und des IWF, das konterrevolu- 
tionäre Sancta Sanctorum, siatt für die 
Schaffung eines proletarischen und 
kommunisiischen Programms zu arbeiten 
und dafür Propaganda zu machen. 

Man versteht so ihre Aversion gegen jede 
kommunistische Aktivität, ihren Angriff 
gegen das kommunistische Programm 
der Revolutionäre in Europa, ihre Ver- 
achtung der Arbeiter und der Rolle und 
historischen Verantwortlichkeit des Pro- 
letariats. Aber, wie das immer dem 
Kleinbürgertum passiert, bleiben ihnen 
gegenüber dem festen und entschlosse- 
nen Vorankommen des Proletariats nur 
noch zwei Optionen: sich entweder mit 
Leib und Seele mit dem Proletariat zu 

vereinigen, mit der Diktatur des Piulcta- 
riats und dem Sozialismus, oder leichte 
Beute zu werden für den Imperialismus, 
von dem sie sagen, daß sic ihn mit aller 
Kraft bekämpfen. Christian Klar sagt, 
daß das Proletariat "diejenigen verkör- 
pern. die den Imperialismus bekämpfen". 
Aber auf welchen Kampf bezieht ersieh? 
Ohne Zweifel auf den Kampf der "anti- 
imperialistischen Guerilla". Die Arbeiter, 
die in ihre: Fabrik kämpfen, um ihre Le- 
bens- und Arbeitsbedingungen zu verbes- 
sern. und die sich den Plänen der kapita- 


listischen Überausbeutung entgegcnstcl- 
Icn, sind in ihren Augen keine Proletarier 
und lohnen keinerlei Interesse. Es sei 
denn, die Streiks in den Unternehmen 
verlassen das institutionalisierte und ge- 
ring zu schätzende "Terrain der einfachen 
Opposition". Aber worin besteht die Ar- 
beit der Kommunisten, wenn nicht darin, 
sich mit den fortschrittlichsten Arbeitern 
/.u vereinen, sie zu organisieren und die 
realen Konflikte in den Betrieben auszu- 
nutzen, um sie an der Waffe des Mar- 
xismus auszubilden und auf dem Weg 
der Revolution voranzubringen? 

Der Opportunismus der RAF versucht 
eine Ausbeutung der Arbcitcrkämpfc. 
wenn sie aus den etablierten Gleisen 
rauskommen (was gegenwärtig durchaus 
häufig ist. wenn wir die kapitalistische 
Krise in Betracht ziehen), um sie in eine 
weitere Waffe im Kampf gegen die 
NATO zu verwandeln. Kommunisten 
machen etwas ganz anderes. Sie versu- 
chen jede Fabrik in eine Festung der pro- 
letarischen Partei zu verwandeln und den 
Kampf gegen die NATO in eine weitere 
Front des Kampfes gegen den Kapitalis- 
mus und für die Diktatur des Proletariats. 
Die Aufgabe der Revolutionäre im Öko- 
nomischcn Kampf der Arbeiter ist seit 
langem von Lenin klargcstcllt worden: 
"Der ökonomische Kampf ist ein unver- 
meidbarer Konflikt im Kapitalismus und 
er ist eine unverzichtbare Waffe, damit 
die Arbeiter ihre Lei>ensbedingungcn 
verbessern können. Gleichzeitig ist er ei- 
ne sehr nützliche Waffe des Kommunis- 
mus. um die Kampffähigkeit der Arbei- 
ter, ihr revolutionäres Bewußtsein zu 
stärken, um das proletarische Programm 
zu verbreiten.’ Es geht nicht um die Poli- 
tisierung der Arbeiterstreiks, wie manche 
denken, die schon genügend politisiert 
sind, und sie in "revolutionären Kampf 
um die Macht” zu verwandeln, "Bollwerk 
der Guerilla" etc. Wer den ökonomischen 
Kampf mit dem politischen Kampf ver- 
mischt, begünstigt die Konfusion und die 
Pläne der Bourgeoisie und des Refor- 
mismus. Die proletarische Partei muß ih- 
re Aktivitäten auf die großen Betriebe 
des Landes konzentrieren, aber nicht um 
Gewerkschaften zu konstituieren, son- 
dern um die Arbeiter nach den Prinzipien 
des Kommunismus zu organisieren, des 
Programms der sozialistischen Revolu- 
tion und der proletarischen Strategie und 
Taktik. Sic muß mit aller Kraft die Revi- 
sionisten bekämpfen, die Umstrukturie- 
mngsplänc der Monopole denunzieren, 
im Kampf Arbeiterorganisationen schaf- 
fen. die unabhängig von der Bourgeoisie 
und den Reformisten sird. 

Wenn die Geschichte etwas bewiesen 
hat, und sic hat cs oft bewiesen, dann 
das. daß die Revolution dort siegt, wo die 
Revolutionäre sich auf ihre eigenen Kräf- 



22 


ic verlassen haben, auf die Kräfte ihres 
Proletariats und ihres Volkes, indem sie 
den revolutionären Kampf entwickelten. 
Das erfordert, daß an der Verstärkung der 
revolutionären Arbeiterbewegung gear- 
beitet wird, und daß deshalb alle Aufga- 
ben angepackt werden, die hier aufge- 
führt wurden. 

Die übrigen revolutionären, sozialisti- 
schen und fortschrittlichen Länder der 
Welt haben immer das Land unterstützt, 
das eine Revolution macht; ohne die 
Voraussetzung, sich auf seine Kräfte zu 
beziehen, ist nichts zu machen. Und sich 
auf die eigenen Kräfte stützen, heißt in 
Europa, sich auf die mächtige Kampffä- 
higkeit des Proletariats zu beziehen, die 

wichtigste und (ährende Kraft der Revo- 
lution. Die Arbeiterklasse ist diejenige 
Klasse, die mi: Entschlossenheit und 
Hingabe gegen die kapitalistische Gesell- 
schaft kämpft. Die einzige, die sic stür- 
zen und den Sozialismus aulbauen kann. 
Etwas anderes denken heißt, sich vom 
Abc des Marxismus zu trennen. 

Kommunistische Partei oder 
nationale Befreiungsbewegung? 

Auf die Frage nach den Übereinstim- 
mungen innerhaJD der europäischen revo- 
lutionären Bewegung, /.wischen der anti- 
imperialistischen und der kommunisti- 
schen Tendenz, würden wir sagen, cs 
gibt sehr wenige. Allgemein könnten wir 
sagen, daß die einzigen Übereinstim- 
mungen der Kampf gegen den Imperialis- 
mus und der bewaffnete Kampf sind. Das 
ist sehr weniß. wenn wir uns klarmachen, 
was die jeweilige Strömung unter Kampf 
und unter Imperialismus versteht, und 
wie sie jeweils den bewaffneten Kampf, 
seine Ziele und Verbindungen mit dem 
revolutionären Kampf des Proletariats 
bestimmen. Der Kampf der anti-imperia- 
listischcn Strömung konzentriert sich in 
erster Linie auf die Vorbereitung und 
Ausübung von bewaffneten Aktionen 
gegen die Institutionen der atlantischen 
Allianz, die NATO. Ihre Aktionen im 
Rahmen dessen, was sie "Strategie gegen 
ihre Strategie" nennen und die suprana- 
tionale "Einheit” der revolutionären Gue- 
rilla-Organisationen sind eine grobe Ver- 
drehung des Internationalismus. Aber um 
welche Strategie kann es sich denn han- 
deln. wenn man im Schlepptau der impe- 
rialistischen Strategie läuft? Sicherlich 
um gar keine. Di: bewaffneten Aktionen 
der RAF, Action Directe und anderer 
ähnlicher Gruppen, die kein proletari- 
sches politsches Programm für den 
Kampf für den Sozialismus haben, sind 
durch ihren Radikalismus. Spontaneis- 
mus und Opportunismus gekennzeichnet; 
sic haben kein anderes Ziel als das Mili- 
tärische. was angesichts der gegenwärti- 


gen Situation mehr eine Bremse darstellt 
als ihre Weiterentwicklung oder einen 
Impuls; cs handelt sich um eine moderni- 
sierte. radikolisicrtc Version der alten re 
visionistischcn These Bernsteins, "die 
Bewegung ist alles." 

Das ist um so deutlicher, je mehr man die 
desorientierende und anachronistische 
Rolle versteht, typisch für die kleinbür- 
gerlichen, anarchistischen Positionen und 
ihr politisches Credo - zucam menge faßt 
in der Aktion und der Bombe gegen die 
NATO. 

Wir müssen für alle klarstclkn. daß der 
Ursprung dieses schlimmen Anti-Impe- 
rialismus in der Enge seiner politischen 
Vorstellung wurzelt und in der Armut 
ideologischer und organisatorischer Ge- 
sichtspunkte, die schlecht von den Erfah- 
rungen anderer Völker kopiert wurden. 
Wir müssen uns am Ziel orientieren, den 
ideologischen Kampf und den Kampf um 
die Prinzipien gegen diese opportunisti- 
sche Strömung unterstützen. 

Wir sollten uns daran erinnern, daß das 
alte Territorium Deutschlands der Ort des 
Zusammenstoßens zweier antagonisti- 
scher Lager ist; des Sozialismus und des 
Kapitalismjs. In der BRD kann man bes- 
ser als an jedem anderen Ort die Rolle 
sehen, die in der heutigen Welt die mili- 
tärischen Organisationen der anti-kom- 
munistischcn Allianz spielen. Es ist des- 
halb leicht zu verstehen, daß die revolu- 
tionäre Bewegung dort mehr auf der 
Form der militärischen imperialistischen 
Allianz insistiert hat, als auf ihren Klas- 
seninhalt. Mehr auf die äußere Macht des 
Imperialismus, als auf die Aufgaben der 
Organisierung, der Aufklärung und des 
Bemühens, sich an die Spitze der Arbei- 
terklasse zu stellen, um nicht nur mit den 
Allianzen des Imperialismus fertig zu 
werden, sendem. wps wichtiger ist. mit 
den Klassen und der Produktionsweise, 
die jene ermöglichen. 

Es spricht wenig für die RAF. wenn sie 
nach 15 Jahren bewaffneten Kampfes 
gegen den Imperialismus noch nicht die 
Gnindzügc ihrer anti-imperialistischen 
Strategie skizziert hat. Die übrigen revo- 
lutionären Bewegungen Europas haben 
schon wichtige und entscheidende Schrit- 
te nach vorne gemacht in der politischen, 
organisatonschen und ideologischen Ge- 
staltung ihrer Organisationen auf dem 
Weg zum Kommunismus, während die 
RAF weiterhin in den alten Vorstellun- 
gen cingeszhlossen bleibt, ehe sie zum 
Entstehen gebracht haben; die Unterstüt- 
zung der nationalen Befreiungsbewegun- 
gen in den Kolonien und die direkte 
Konfrontation mit dem Imperialismus, 
ohne sich an Klassenkonzeptionen zu 
halten. 

Ihr alter und geliebter Vorschlag einer 
westeuropäischen Front hat eine durch- 


schlagende Zurückweisung erfahren sei- 
tens der kommunistischen Strömung. Ihr 
ist allein die "Vereinigung" mit Action 
Dircctc gelungen, einer Gruppe ohne die 
Geschichte der RAF, obgleich mit den 
gleichen politischen Vorstellungen anar- 
chistischer Tendenz. Diese westeuropäi- 
sche Front ist außerdem die schlechteste 
Parodie der Fronten der nationalen Be- 
freiungsbewegungen der Kolonien und 
der Halbkolonien, die cs auf europäi- 
schem Boden geben kann. Die Deutschen 
neigen sehr dazu, diese Bewegungen als 
politische Modelle universeller Gültig- 
keit inzusehen. obwohl der so einschnei- 
dende Unterschied zwischen Europa und 
Ländern der 3.Welt unmittelbar ins Auge 

springt; sie haben immer versucht, sich in 
solch eine Bewegung zu verwandeln. 
Diese vereinfachende und eindimensio- 
nale Analyse, die häufig von den ver- 
schiedenen revisionistischen Strömungen 
vertreten wurde - besonders von den 
jruchovisias [... - gemeint sind die An- 
hängerinnen Chruschtschows. Anm. d. 
Hg.) - wurde von Mao Tsc Tung hart kri- 
tisiert. "weil sie dazu tendiert, alle Wi- 
dersprüche, die cs auf der Welt gibt, sub- 
jektiv durch einen einzigen zu ersetzen.” 
Mit solch einem speziellen Schema ist 
auf dem revolutionären Terrain in West- 
europa sehr wenig zu machen Besonders 
dann, wenn man sich das Schlechteste 
zum Vorbild nimmt; das heißt, wenn wir 
uns an den Äußerlichkeiten fcsthalten 
und unfähig sind, den politischen und 
militärischen Inhalt zu begreifen, den 
diese Bewegungen in sich tragen. Es 
steht fest, daß die Völker und Nationen 
der 3. Welt den Proletariern Europas sehr 
wertvolle Lehren zur Verfügung gestellt 
haben. Aber ihre Formeln einfach nur ab- 
zupausen und nachzumachen, ist eher 
kennzeichnend für Dunmköpfc als für 
Revolutionäre. 

Wir können uns eine umfassendere Vor- 
stellung von ihrem Opportunismus und 
Spontaneismus machen, wenn wir uns 
aufmerksamer mit der Interpretation aus- 
einandersetzen. die sie von ihrem Vor- 
schlag der "Einheit" geben. In Wirklich- 
keit schlagen sic überhaupt keinen über- 
zeugenden Grund vor, Jcr cs rechtferti- 
gen und erlauben würde, diese "Einheit" 
zu begreifen, es sei denn "die Schaffung 
von reuen Bedingungen für den Kampf 
im eigenen Land.“ Aber als Marxisten 
müssen wir uns fragen: neue Bedingun- 
gen aufgrund welcher Prinzipien? Ohne 
Zweifel kommen unsere Genossen von 
der RAF sehr schwach daher, was Prinzi- 
pien inbelangt: deshalb ist ihre Antwort 
auf diese Frage eher praktischer Art. man 
beabsichtigt, "die Reaktion im Kampf zu 
antizipieren." Diese Meinung wiederho- 
len sic in ihren neuesten Dokumenten 
hartnäckig, was uns jedenfalls an ihre In- 



23 


terpretation der revolutionären Politik als 
' Strategie gegen ihre Strategie" erinnert. 
Sie sind so sehr besessen davon, ihren 
'anti-impcnalisiischen" Kampf In den 
Kontext der Weltrevolution zu stellen, 
die weltweite "anti-imperialistische 
Front” etc., daß sie die Entstehung und 
Entwicklung der neuen revolutionären 
Bewegung in Europa auf externe Gründe 
zurückführen, anstatt auf interne Ursa- 
chen: sie versichern, daß die Niederlage, 
die der Imperialismus in Vietnam erlitten 
hat (sicher ein sehr wichtiger Faktor für 
seine Schwächung) Hauptursache der 
ökonomischen urd politischen Kris: des 
Imperialismus gewesen sei. Wenn wir 
uns jedoch an die Dialektik halten (ein 
Wort mit merkwürdigem Klang für die 
RAF. wie wir weiter oben gesehen ha- 
ben). erkennen wir. daß die Hauptursa- 
che für die gegenwärtige tiefe Wirt- 
schaftskrise des Kapitalismus eine Krise 
der Überproduktion und der Restruktu- 
rierung des Kapitals ist. Dies ist dem Ka- 
pitalismus immanent. Die Krise gehorcht 
einem neuen Entwicklungsgrad des Wi- 
derspruchs zwischen den Produktivkräf- 
ten und den ererbten Produktionsverhält- 
nissen aus der Nachkriegszeit. 

Die Genossen der anti-imperialistischen 
Strömung müssen die Lektion lernen, die 
wir in "Der revolutionäre Kampf ver- 
schärft die inncrimperialistischen Wider- 
sprüche" vertreten haben. Da machen wir 
klar, daß der beste Anti-Imperialismus 
und proletarische Internationalismus der- 
jenige ist. der sich dem Kampf gegen 
seine imperialistische Bourgeoisie ver- 
pflichtet. weil dadurch, daß man die ei- 
gene Bourgeoisie bekämpft und sie 
stürzt, man dem Imperialismus eine Nie- 
derlage bereitet und er auf allen Ebenen 
zurückgeschlagen wird. 

Klar ist. wie sic sagen, daß die Kon- 
frontation zwischen Imperialismus und 
"Befreiung" verliuft. nicht zwischen Ka- 
pitalismus und Sozialismus, nicht zwi- 
schen nationaler imperialistischer Bour- 
geoisie und dem revolutionären nationa- 
len Proletariat, das dafür kämpft, die 
Diktatur des Proletariats durchzusetzen, 
seinen Staat. 

Ihre so ersehnte Befreiung hat einen 
"intcrklassistisch:n" Charakter, was sehr 
viel eher den revolutionären politischen 
Konzeptionen anderer Gefilde entspre- 
chen würde, wo zusammen mit einem 
schwachen Proletariat eine Bauernschaft 
existiert, die die Hauptkraft der Bevölke- 
rung ausmacht und eine kleine und mitt- 
lere Bourgeoisie. 

ln Europa hingegen machen die Bauern 
im allgemeinen weniger als lOft aus. 
während das Proletariat die immense 
Mehrheit der Bevölkerung ist. Wir haben 
keine nationale Bourgeoisie, die die Re- 
volution fordert, unter anderem weil die 


Epoche der bürgerlich-demokratischen 
Revolution in Europa schon lange Zeit 
vorbei ist. 

Kein Zweifel, die Anti-Imperialisten 
werden deshalb nicht von ihren Vorstel- 
lungen ablassen. Sie sehen die Radikali- 
sierung bedeutender Sektoren des Klein- 
bürgertums. die ihre alte Rolle der 
"Intclligcnzia" (Techniker. Lehrer. Jour- 
nalisten. Studenten etc.) entwertet sehen 
durch die großen monopolistischen 
Trusts (die ohne Mitleid die alten libera- 
len Berufe opfern, die mehr oder weniger 
freien Berufe, die von der Gesellschaft 
der liberalen Bourgeoisie geerbt wurden). 
Sic versuchen, die Interessen dieser Sek- 
toren in der politischen Szene zu reprä- 
sentieren. Man begreift so die mutigen 
Angriffe auf die großen Indistrie- und 
Militäruntemehmen der SchHisscIsckto- 
ren des Imperialismus und auf die reprä- 
sentativsten Institutionen der imperialisti- 
schen Bourgeoisie. 

Trotz allem ist es in Europa das revolu- 
tionäre Proletariat, das auf die Bourgeoi- 
sie zielt, das sie stürzen will ctc. Sein 
Programm ist ein Klassenprogramm, ver- 
tritt die Strategie des langandaucmdcn 
Volkskrieges, der im Volksaufstand 
mündet, um die Diktatur des Proletariats 
durchzusetzen. Das Kleinbürgertum hin- 
gegen richtet seine Anstrengungen gegen 
die Militärapparate der imperialistischen 
Allianz, gegen die NATO ctc.. und in 
seiner Strategie taucht weder die Diktatur 
des Proletariats, noch die These vom lan- 
gandauemden Volkskrieg auf. noch 
stützt es sich auf die Basis d:r Arbeiter- 
klasse. 

Die Kommunisten jedes Landes hinge- 
gen helfen bewußt dem Proletariat ihres 
Landes im Kampf gegen ihre Bourgeoi- 
sie. gegen deren Ausbeutungs- und Un- 
terdrückungplänc, und den bürgerlichen 
Opportunismus zu demaskieren. Sie or- 
ganisieren die Arbeiterklasse unabhängig 
von der Bourgeoisie und von den kor- 
rumpierten und integrierten Gewerk- 
schaften. um die Klasscnkollaboration 
der reformistischen und revisionistischen 
Parteien zu denunzieren und gegen sie zu 
kämpfen etc. Davon ausgehend müssen 
sich die Kommunisten bemühen, eine 
mächtige marxistisch-leninistische Partei 
zu schaffen, mit dem Ziel, das Proletariat 
gegen die Finanzpligarchie und die 
Großgrundbesitzer und ihren Staat zu 
führen. Ohne diese proletarische Partei 
ist die Revolution der grandiosesten Nie- 
derlage ausgeliefcrt. Ohne diese Partei 
werden alle Versuche nutzlos, den be- 
waffneten Kampf für den Kommunismus 
zu organisieren. 

In einem von der RAF radikal verschie- 
denen Sinn artikulieren sieb die Roten 
Brigaden für den Aufbau der kämpfen- 
den kommunistischen Partei etc. in ihren 


letzten Dokumenten, wo sic sich auf die 
Notwendigkeit "der proletarischen und 
revolutionären Alternative zur Krise der 
Bourgeoisie und dem imperialistischen 
Krieg" beziehen. Die Roten Brigaden sa- 
gen in ihrem Text "Strategische Achse 
für die Konstruktion der Partei”, daß sic 
früher aufgrund ihrer "relativen Unerfah- 
renheit und politischen Jugend” ihren 
damaligen Charakter als kämpfende re- 
volutionäre Kraft nicht wcitcrcntwickcln 
konnicn. Es ist kein Zufall, daß die Wi- 
dersprüche in den Brigaden sich in dem 
Moment verschärften, wo "sie die ganze 
Gültigkeit und Tiefe ihrer Erfahrungen 
beweisen, die sic in den Jahren des 
Kampfes aufgebaut haben.” In diesem 
Moment war die Grenze der Entwicklung 
erreicht, die durch die bis dahin konzi- 
pierte Strategie des bewaffneten Kamp- 
fes ermöglicht wurde. 

Wir haben am Anfang dieses Textes ge- 
sagt. daß der bewaffnete Kampf, so wie 
er konzipiert und bis vor kurzem durch- 
gcfiihrt wurde, die Aufgabe reichlich er 
füll! hat. die ihm durch historische und 
politische Bedingungen der ersten Phase 
des revolutionären und proletarischen 
Kampfes bestimmt war die Demaskie- 
rung der bürgerlichen Demokratien, des 
Klassencharakters der monopolistischen 
und chauvinistischen Bourgeoisie, der 
Rolle der rcformisliscten und revisioni- 
stischen Parteien als Lakaien der Mono- 
pole. Außerdem eine praktische Tatsache 
von großer Bedeutung auf dem politi- 
schen Terrain zu beweisen: daß man den 
monopolistischen Staat, den Imperialis- 
mus bekämpfen und besiegen kann. 

Wenn jetzt diese Ziele erreicht sind, ist 
es logisch, daß ohne Verzögerung die 
Aufgaben angcpackt werden müssen, die 
zu einer marxistisch-leninistischen Partei 
führen, fesl verankert in den Prinzipien 
und verwurzelt im revolutionären Prole- 
tarial. Ohne Zweifel ist der bewaffnete 

Kampf weiterhin die Lanzenspitze der 
Widerstandsbewegung, die vom Proleta- 
riat angeführt wird und von der Partei ge- 
leitet. 

Diese Grenze, von der wir schon oft ge- 
sprochen haben, kann man nur zerbre- 
chen (wie das schon einige revolutionäre 
und proletarische Organisationen ma- 
chen). indem man sich bemüht, alle Auf- 
gaben ideologischer, politischer und or- 
ganisatorischer Art auszuführen, die auf 
die Konstruktion und Ausbreitung aller 
Sektoren des Proletariats in den Fabriken, 
den Schichten, den Stadtvierteln ctc. ab- 
zielen. Denn nur ausgehend von der brei- 
ten Perspektive, die die Partei bietet, 
kann die Guerillaaktivität und die Orga- 
nisierung der fortschrittlichen proletari- 
schen Massen simultan und sich ergän- 
zend entwickelt werden.... die bereit und 
entschlossen zum mutigen Kampf eegen 



24 


den kapitalistischen Staat der Monopole 
sind. 

In die ökonomische Sponaneität zu fal- 
len. kann nur überwunden werden, wie in 
einem Dokument der BR für die FCC 
versichert wird, "wenn die Prinzipien des 
Marxismus und alle historische Erfah- 
rung des internationalen Proletariats si- 
cher festgehaltcn werden.” Schließlich 
besteht für die Roten Brigaden, im Ge- 
gensatz zu dem. was die RAF aufrcchtcr- 
halt, die Hauptaufgabe fUr die europäi- 
schen Revolutionäre im Aufbau der 
kämpfenden kommunistischen Partei, 
denn: "das ist die Forderung, die die 
Massenmobilisierungen ausdrückcn, die 
Forderung. Für die möglichen Transfor- 
mationen zu kämpfen, die die Situation 
braucht: auf dem politischen revolutionä- 
ren Terrain zu kämpfen für die Verände- 
rung des Kräfteverhältnisses zugunsten 
des Proletariats, die proletarische revolu- 
tionäre Offensive aufzubaucn, ausgehend 
von der Einheit und Autonomie, die die 
Massen gegen die Umstrukturierung und 
gegen den imperialistischen Krieg zum 
Ausdruck bringen." 

'Die revolutionäre Alternative konkreti- 
sieren und verstärken, zu der die proleta- 
rischen Mobilisierungen objektiv tendie- 
ren. und was zum Teil den Kommunisten 
und revolutionären Avantgarden subjek- 
tiv auferlegt, die Reihen fester um die 
Hauptaufgaben der aktuellen Situation zu 
schließen. Das ausgehend von einer poli- 
tisch-militärischen Praxis gegen die anti- 
proletarische und reaktionäre Politik der 
sozialen Befriedung, gegen die militari- 
stische Politik des westlichen Imperia- 
lismus." 

Die Roten Brigaden führen voller Mut, 
trotz der Hindernisse und der Schläge der 
Opportunisten und Abenteurer unter die 
Gürtellinie, eine wertvolle Selbstkritik 
durch, in der sie die politische revolutio- 
näre Arbeit auf theoretischer und prakti- 
scher Ebene neu bestimmen, unter dem 
Licht der Erfahrungen von 15 Jahren be- 
waffneten Kampf für den Kommunis- 
mus. Mit ihrer Kritik stellen sie die leni- 
nistischen Organisationsprin/ipien. den 
demokratischen Zentralismus, gegen den 
kleinbürgerlichen, individualistischen 
Egoismus. Sic schützen die proletari- 
schen Interessen und Prinzipien der Klas- 
se gegenüber den monopolistischen In- 
teressen, die zur Zeit die Aufgabe und 
Auslieferung des Kampfes verfechten. 
Die Regierungen der Monopole sind jetzt 
daran interessicti, diese abschwörcrischc 
Haltung zu schüren, angesichts der 
mächtigen revolutionären Bewegung der 
Arbeiterklasse, die überall in dieser Si- 
tuation der akuten Krise des Imperialis- 
mus anwächst. Einer Krise, die die politi- 
schen und ökonomischen Fundamente 
der kapitalistischen Länder erschüttert. 


Die Roten Brigaden stellen den proletari- 
schen Kampf dagegen, der darauf ausge- 
rüstet ist, die politische Macht zu ergrei- 
fen, gegen den Opportunismus derjeni- 
gen. die den bewaffneten Kampf in der 
gleichen Weise rrchtfertigen. wie der 
bürgerliche Soziologe die Explosion ge- 
walttätiger Radikalität aufgrund der 
Mängel der kapitalistischen Gesellschaft 
erklärt und nicht aufgrund ihrer wirt- 
schaftlich-historischen Wurzeln. Klein- 
bürgerliche Soziologen, die jetzt begei- 
stert das Wohlwollen des imperialisti- 
schen Staates suchen. 

Wie wir sehen, favorisiert die Kritik der 
Roten Brigaden, die sic an 
“guerillcristischcn" Positionen haben, die 
Absicherung der kommunistischen Posi- 
tion und die Klärung der Strategie der 
Kommunisten. 

Über diesen letzten Punkt haben wir un- 
sere Meinung bereits in unserem Artikel 
"Partei und Guerilla" erklärt, den wir 
gerne allen geben, die an einer detaillier- 
teren Diskussion Uber die Strategie der 
Kommunisten in Europa interessiert sind. 
Deshalb müssen zwei fundamentale 
Schlußfolgerungen aus unserer Kritik ge- 
zogen werden: 

1. es gibt zwei unterschiedliche Arten, 
revolutionäre Politik in Europa durch den 
bewaffneten Kampf zu machen: 

- eine kommunistische, die sich auf Er- 
gebnisse stützt, die es bis jetzt im Kampf 
gegeben hat, und die die These vom lan- 
gandauemden Volkskrieg vertritt, der 
notwendigerweise in den Volksaufstand 
mündet; 

- die andere Richtung, die anarchistisch, 
kleinbürgerlich und opportunistisch ist, 
der eine revolutionäre Strategie fehlt und 
die kein anderes politisches Ziel hat, als 
den militärischen Institutionen des Impe- 
rialismus Schläge zu versetzen. 

2. daß auch aus den Erfahrungen, die bis 
jetzt gemacht wurden, in erster Linie jetzt 
die Schaffung der kommunistischen Par- 
tei, der Organisation der kämpfenden 
Arbeiter herausragt. Diese Position wird 
von der kommunistischen Strömung ver- 
treten, die das Militärische vom Politi- 
schen abhängig macht. Die "anti-imperia- 
listische" Strömung hingegen beachtet 
diese Aufgaben der Kommunisten nicht, 
führt die Entfremdung und Verbürgerli- 
chung der Arbeiter an und läßt sich auf 
ein intcrklassistischcs Terrain ein, das 
nach außen hin sehr bombastisch wirkt, 
wie die "westeuropäische Guerilla", aber 
ohne jeden proletarischen Inhalt und oh- 
ne jede Perspektive ist. 

Eine unverzichtbare Aufklärung 

Unsere Aufmerksamkeit wird besonders 
auf die Haltung gelenkt, die in Italien als 
“zweite Position" eingenommen wird, die 


als eine Strömung aus den Roten Briga- 
den hervorgegangen ist. und die heute 
von dieser Organisation getrennt ist. 
Wegen der Vcrwinungcn, die dos Vertr- 
eten der unterschiedlichen Positionen in 
die Reihen der revolutionären Bewegung 
tragen kann, wollen wir kurz auf die 
Konsequenzen eingehen, welche unserer 
Meinung nach gegen diese Posilions- 
nahme sprechen. Das ist notwendig gera- 
de zu diesem Zeitpunkt, in dem ein wich- 
tiger Sprung nach veme gemacht wird. 
Ebenso wie die Mehrheit der revolutionä- 
ren Gruppen in Europa, läßt diese Positi- 
on zu, daß eine Etappe bereits zu Ende 
ist und jetzt eine andere innerhalb der 
Bewegung beginnt. 

Aber trotzdem sind für sie die Konzepte 

des langandauemden Volkskrieges und 
des bewaffneten Kampfes für den Kom- 
munismus veraltet. Sie (diese Position) 
verteidigt dagegen eine klassische Kon- 
zeption des Aufstandes. Das heißt, sie 
negieren, daß es gegenwärtig ohne die 
Entwicklung des langandauemden 
Volkskrieges unmöglich ist, alle notwen- 
digen Bedingungen für den Aufstand zu 
schaffen, um im richtigen Moment das 
bürgerliche Regime stürzen zu können. 
Wie sie sagen, ist der bewaffnete Kampf 
weiterhin die Form, kommunistische Po- 
litik zu machen. Aber ihre Indefinition 
(ihre Undenniertheit) der Art und Weise, 
wie Politik mittels des bewaffneten 
Kampfes zu machen ist, macht cs not- 
wendig. daß wir das aus dem Rest ihrer 
Erklärung erraten. Auf den ersten Blick 
fällt einem auf, daß ihre Positionen des 
bewaffneten Kampfes ausschließlich de- 
fensiv sind, sowohl auf dem politischen, 
wie auch auf dem militärischen Terrain. 
Bezüglich der kommunistischen Partei, 
ihrer Aktivitäten und Ziele, Propaganda. 
Organisierung etc. kann man einige ihrer 
Vorschläge akzeptieren. Natürlich ist 
klar, daß die Tatsache, daß man für die 
Diktatur des Proletariats ist und Für den 
Sozialismus, nicht viel klar macht über 
die Aufgaben der Kommunisten, wenn 
diese strategischen Ziele in keiner Weise 
präzisiert werden - ohne die geringste 
Konfusion oder Unsicherheit. 

Die passive Rolle, die sie in der Theorie 
und in der Praxis dem bewaffneten 
Kampf zuordnen, korrespondiert mit ih- 
rer Einschätzung der Situation als nicht 
revolutionär. Scheinbar ist dies ihre 
große Entdeckung. Außerdem scheint es 
Für sic schon eine ausgemachte Sache zu 
sein, daß der Aufstand losbricht, wenn es 
eine revolutionäre Situation gibt. In unse- 
rem Artikel "Partei und Guerilla" haben 
wir gesagt, daß wir uns in der Entwick- 
lung in eine revolutionäre Situation be- 
Fmden, und wir haben dafür zahlreiche 
wirtschaftliche, politische und selbst 
psychologische Tatsachen angeführt, die 



25 


wir hier nicht wiederholen wollen. Die 
"/.weite Position' ignoriert die Tatsache, 
daß einzig durch die Entwicklung des 
langandauernden Volkskrieges auf lange 
Sicht die Entfesselung des Aufstands 
hervorgerufen werden kann, daß der lan- 
gandauemde Volkskrieg, die politische 
Widerstandbewegung der breiten Massen 
und die Guerilla der aktive Faktor und 
das auslösendc Moment sind, wenn be- 
reits die politischen und Ökonomischen 
Bedingungen geschaffen wurden, und 
wir direkt mit der extremen Verschirfung 
der sozialen Widersprüche und der ob- 
jektiven Bedingungen konfrontiert sind. 
Deshalb ist cs von vitaler Bedeutung von 
jetzt ab (und entsprechend wie es die Si- 
tuation der revolutionären Kriifte in je- 
dem Land erlaubt), die Aufgaben in An- 
griff zu nehmen, die dazu führen, die 
Guerilla in jeder Hinsicht zu stirken; 
nicht den "bewaffneten Kampf als 
"Unterstützung" der kommunistischen 
Politik, sondern die Guerilla mit ihrer ei- 
genen Wcscnsesnhcit im Militärischen, 
Organisatorischen und mit ihren Zielen. 
Natürlich werden diese immer in ihren 
grundlegenden Linien orientiert urd ge- 
führt sein durch die Partei der Arbeiter- 
klasse. Aufgrund ihrer Äußerungen über 
die Rolle des bewaffneten Kampfes kann 
die Position, die von ihnen vertreten 
wird, nur als beschämend qualifiziert 
werden, weil sie diese wichtige Methode 
des modernen revolutionären Kampfes 
nicht so bewerten, wie es sein müßte. 
Weil sich gänzlich gegen den bewaffne- 
ten Kampf zu stellen bedeuten würde, 
mit rasender Geschwindigkeit auf das 
Terrain des opportunistischen Revisio- 
nismus abzugleiten, schreiben sie ihm 
weiterhin eine Bedeutung zu; nur tun sie 
das, weil es ihnen von den Ereignissen 
aufcrlcgt wird und nicht, weil sie eine 
marxistisch-leninistische Bewertung der 
Situation der am meisten entwickelten 
kapitalistischen Länder machen und ohne 
die entsprechende Verantwortung auf 
sich zu nehmen, die das in sich trägt. 
Diese Bewertung kann nur darin beste- 
hen, daß in den Ländern des modernen 
kapitalistischen Staatsmonopolismus 
keine Bedingungen bestehen, um eine 
Politik durchzufJhren, die auf friedliche 
Weise revolutionäre Kräfte ansammclt, 
die "im Kalten" die politischen und mili- 
tärischen revolutionären Kräfte der Partei 
und der politischen Organisationen der 
Arbeiter und der Guerilla ansammelt. 

Es handelt sich um eine historische Cha- 
rakteristik des Imperialismus. Eine Cha- 
rakteristik, die strategisch von den revo- 
lutionären Kommunisten in Betracht ge- 
zogen werden muß. Es handelt sich in 
keinem Augenblick um ein taktisches 
Problem, um eire Möglichkeit oder Zu- 


fälligkeit. sondern um eine fundamentale 
Grundlinie der Zeit, in der wir leben. 
Wenn wir außerdem in Betracht ziehen, 
daß die Entwicklung der revolutionären 
Situation in jeder Hinsicht und Perspek- 
tive progressiv ist. autcrlegt uns diese 
Tatsache noch dazu wichtige Bezüge zur 
militärischen Aktivität und zur politi- 
schen Aktivität. Die Zukunft der revolu- 
tionären kommunistischen Bewegung 
läuft darüber, daß sie es lemt. in der rich- 
tigen Bestimmung die militärische Akti- 
vität der Guerilla und die politische Ak- 
tivität der Partei miteinander zu verbin- 
den. 

Nur auf diese Weise kann längerfristig 
garantiert werden, daß, wenn die politi- 
sche Widerstandsbewegung der breiten 
Massen genügend gereift ist, ebenso wie 
das Proletariat, die Guerilla und die Par- 
tei, und wenn die objektiven notwendi- 
gen Bedingungen erreicht sind, sowohl 
das militärische als auch das politische 
Programm der proletarischen Revolution, 
das Zusammenflüßen des Volkshceres 
und der Aufstand für die Zerschlagung 
des bürgerlichen Regimes gesichert wer- 
den können. 

Sich von diesen grundlegenden Linien zu 
trennen bedeutet heute, sich vom Kom- 
munismus zu trennen. 

A-rnafengr. 1 BO PCC: ‘SlaHgKf* ttaotfer Hr JO. Wrz 1965* 


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IS THIS REAL? 

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.FAMILIEhPLANUNG" VS .MIGRATION». 
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Zur WWMvtUjrongtlKWfre.v in Kairo. ‘9S 

COMICS UND HOLOCAUST 
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DEUTSCHE TRANEN/SPIELBERCS LIST: 

Ste*n S. Klvnkt den Ou!Kh*n dm Hin /um /nt 
KAPITALISMUS UND LEBENSWEIT 
Zwei Dnluivonstwitragc 
INTERVIEW: CETO BOYS 
SYMPATHY FOR THE DEVIL 
(SuöAulturftY Avantgarde und dt Auw» des tr* 1 1 
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Fredtfric Oriach 

Der bewaffnete Kampf als 
strategische und taktische 
Notwendigkeit des Kamp- 
fes für die Revolution 

I. Einführung 

I. Du- Revolution ixt nicht ein Existentia- 
lismus sondern ein konkretes Projekt 
Wir bezeichnen uns als Kommunisten, 
was aber weder als Anspruch einer Iden- 
tität noch als moralische Aussage zu ver- 
stehen ist. da der Wille zum Kommunis- 
mus zweifelsohne auf ganz, unterschiedli- 
chen philosophischen Motivierungen be- 
reiten kann, sondern als Sinnbezug und 
vor allem als Bezugsrahmen auf ein kon- 
kretes präzises materielles Projekt. Eine 
Gesellschaft ohne Klassen und damit oh- 
ne Staat, die Entfaltung der Menschheit 
im Sinn ihrer Bedeutung durch die dia- 
lektische Auflösung der Widerspreche, 
welche die potentielle Menschheit in ei- 
ner primitiven Phase halten, in der das 
menschliche durch die Beherrschung und 
Ausbeutung des Menschen durch den 
Menschen negiert wird. Diese Hoffnung 
ist Triebkraft und Ziel unseres Kampfes, 
das revolutionäre Einwirken auf die Ge- 
schichte ist somit die Praxis, die diese 
Zielsetzung verwirklichen soll. Wir stel- 
len das klar, da allzu häufig unter dem 
Gewicht der Entfremdung. Verfall der 
Willenskräfte, zermürbende Mittelmäßig- 
keit und Herdentrieb Hoffnung und Wille 
in eine feige und ängstliche Flucht in ei- 
ner Art Gewerkschaftsbewegung des All- 
tags umgekehrt werden. 

Dann sprechen wir von Revolution und 
geben dabei diesem Wort seinen ganzen 
Sinn, sein ganzes Gewicht, seine extreme 
Genauigkeit und seine absolute Globali- 
tät wieder. Unser Ziel ist es, die Revolu- 
tion zu machen und nicht. 
"Kommunisten zu sein", sondern den 
Kommunismus als neue soziale Bewe- 
gung einzusetzen. 

Dieses legt politische Bestimmung mit 
strategischer Bedeutung fest. In der Tat. 
um unsere Befreiung von Ausbeutung 
und Unterdrückung zu erreichen, müssen 
wir unsere Lage innerhalb der Geschichte 
in den Griff bekommen. Durch unser 
Handeln in der Gegenwart errichten wir 
unsere Zukunft. Aus diesem Grund wäre 
es historisch selbstmörderisch, die revo- 
lutionären Bestrebungen in Richtung ei- 
nes (wenn auch unbewußt) in der Ver- 
gangenheit anknüpfenden Willens, sich 
dem Sinn der Geschicke zu widersetzen, 
umzulcnken. Das gescheht jedoch, wenn 
manche dazu kommen, als Alternative 
den Rückschritt auf vorkapitalistische 



Formen der gesellschaftlichen Produk- 
tion und Organisation vorzuschlagcn 
««kr aber (bei den angeblich radikalsten) 
wenn das politische Handeln sich darauf 
beschränkt, gegen alles zu sein, was die 
kapitalistische Entwicklung kennzeich- 
net. Wir weisen hier auf den Aniiimpc- 
rialismus. wem er sich darauf be- 
schränkt. sich den Wirkungen des Impe- 
rialismus entgegensetzen zu wollen, den 
Antimonopolistnus. den Antifaschismus, 
das gegen alles und jedes sein, wobei die 
gesellschaftliche Problematik auf 
Schnickschnack-Ideen in Form von 
Zwangsmonormnien beruht. wobti z.B. 
als prinzipielle Frage die Politik der 
Kernenergie oder des Rassismus oder des 
amerikanischen Imperialismus oder der 
"Kriegsvorbereitungen" usw. gestellt 
werden. Genug Schnickschnack! Die 
Realität läßt sich nicht zerstückeln, ent- 
weder faßt man sie in ihrer komplexen 
Totalität oder trän begreift sic nicht und 
bleibt ein Reformist oder versucht, ir- 
gendwelche Errungenschaften zu wah- 
ren. die integraler Bestandteil der bour- 
geoisen Hcrrschaftsmcchanismcn sind. 
"Menschenrechte". "Freiriumc". 

"Demokratie". “Unterschiede". 

"Autonomie" usw. eine lange Litanei 
bourgeoiser Werte. 

Wir wollen damit nicht sagen, man solle 
nicht bei Gelegenheit das verteidigen, 
was ab und zu die Brutalität cinKhrän- 
ken kann. Das ist notwendig, wie für die 
Arbeiterklasse der wirtschaftliche Kampf 
in den Betrieber notwendig ist. Wir wol- 
len nur sagen, daß es objektiv reaktionär 
ist. wenn man aus der Defensive eine Po- 
litik machen will (und wenn cs die 
"Antiimperialistische" Abwehr ist». Re- 
volutionär /u sein, bedeutet nicht gegen 
die historische Entwicklung des Kapita- 
lismus zu sein, sondern ganz im Gegen- 
teil fUr dessen Überwindung einzutreten. 
Man muß für die Vernichtung des Kapi- 
talismus durch seine historische Über- 
windung eintreten und nicht für das ver- 
gebliche Bemühen, seinen unerbittlichen 
Gang zu verlangsamen. Revolutionär 
sein heißt entschlossen in die Zukunft 
blicken, ein Projekt milleben, eine Zu- 
kunft errichten, neue im Kampf ge- 
schmiedete Werte entstehen lassen. 

2. Die imperialistische Realität, in der 
wir uns befinden 

Unsere Absicht ist hier nicht, die derzei- 
tige Lage und dis Arbeitsweise des Impe- 
rialismus zu analysieren, sondern die 
Entscheidung iUr eine bewalfnete Politik 
zur Machtübernahme und zur Durchset- 
zung der Revolution zu erklären. Im üb- 
rigen ist es nicht die objektive augen- 
blickliche Lage, die unsere strategischen 
Projekte und Entscheidungen bestimmt, 
sondern erst ausgehend von unseren hi- 


storischen Plänen analysieren wir dann in 
der Folge die jeweilige Situation, um ihr 
unsere Taktik möglichst wirkungsvoll 
anzupassen (viele, auch kämpfende 
Gruppen, tun das Gegenteil und lassen 
sich ihre strategischen Entscheidungen 
von der jeweiligen Situation diktieren, 
was dazu führt, daß sic etwas als 
"strategische Projekte" vorstellen, was 
nur der mehr oder weniger partielle Ver- 
such ist. Probleme des Imperialismus 
usw. zu analysieren und was zeigt, daß 
sie keinerlei historische Perspektive ha- 
ben). Doch da nicht jeder unbedingt alle 
unsere Analysen und Vorschläge kennt, 
ist es vielleicht in dieser Einführung 
nützlich, in großen Zügen die imperiali- 
stische Lage kurz zu skizzieren, in der 
unser Kampf stattfinden muß. 

Die derzeitige Entwicklungsphasc des 
Imperialismus ist gekennzeichnet durch 
eine strategische Umorientierung, wobei 
es in erster Linie um die Herausbildung 
der imperialistischen Zentren selbst geht, 
während sich die imperialistische Pro- 
duktionsweise in der vorherigen Phase 
zunächst in Richtung Peripherie aus- 
dchntc. Das bedeutet natürlich nicht, daß 
sich der Imperialismus aus der 'Dritten 
Welt“ (= 3/4 der Welt) zurückzicht. cs sei 
denn, er ist angesichts des Aufstiegs der 
revolutionären und nationalen Befrei- 
ungskämpfe dazu gezwungen. Ganz im 
Gegenteil, in den beherrschten Ländern 
erleben wir eine Verstärkung der immer 
brutaler werdenden Ausbeulung, deren 
krimineller Charakter erst ganz zu Tage 
tritt, wenn man weiß, daß dank der sozi- 
al-ökonomischen Strukturen dieser Pro- 
duktionsweise die mittlere Lebenserwar- 
tung in der Dritten Welt bei nur 54 Jah- 
ren liegt und daß liier über 300 Millionen 
Menschen voll arbeitslos sind. Die Ent- 
wicklung des Imperialismus, innerhalb 
dessen Frankreich eine treibende Kraft 
ist, besonders als zweiter Unterdrücker 
nach den USA und als Vektor des ameri- 
kanischen Imperialismus, führt zu einer 
ständigen Vergrößerung der Ungleichhei- 
ten. Während im 17. Jahrhundert der Ab- 
stand zwischen dem reichsten und dem 
ärmsten Land 1:2 betrug, liegt er jetzt bei 
1:40. Und cs wird immer schlimmer, da 
es der Weltbank zufolge im Jahr 2000 in 
den "Entwicklungsländern" 700 Millio- 
nen Menschen geben wird, die in absolu- 
ter Armut leben. Das wird dieser höchst 
amtlichen Stelle zufolge dazu führen, daß 
selbst unter den "Entwicklungsländern" 
mit dem schnellsten Wachstum nur 9 
daraut hotten können, die Industriestaa- 
ten einzuholcn und auch das erst in 100 
Jahren! Außer natürlich, wenn es eine 
radikale Änderung der Produktionsweise 
gibt. 

Wenn man das wahre Wesen der impe- 
rialistischen Produktionsweise verstehen 


will, um ihr die großen strategischen Li- 
nien. welche die revolutionäre Bewegung 
cinschlagen muß, anzupassen, so muß 
man sich ganz klar machen, daß die 
Tremungslinie nicht mehr zwischen den 
beherrschten Formationen und den impe- 
rialistischen Metropolen verläuft, son- 
dern diese selbe Linie sich auch in den 
imperialistischen Zentren fortsetzt. Es 
wäre ein großer Irrtum, eine revolutio- 
näre Analyse auf rein ideologische oder 
moralische Kriterien zu gründen und da- 
von auszugehen, daß die Ausbeutung der 
Völker der Dritten Welt sehr viel krasser 
erscheint und daß im Vergleich die Lage 
des Proletariats im Westen bevorzugt er- 
scheint. Einige gehen in ihrer ideologi- 
schen Beurteilung soweit, die Existenz 
des Proletariats im Westen überhaupt zu 
leugnen, weil sie angeblich an der Aus- 
beutung der Völker der Dritten Welt be- 
teiligt sein sollen, was allerdings dazu 
führt, daß inan den revolutionären Kampf 
auf den Ausdruck einer einfachen inter- 
nationalistischen, auf db Dritte Well aus- 
gcrichtctcn Solidarität verkürzt, die au- 
ßerhalb des Hauptrahmens für jede natio- 
nale, sozial-ökonomische Formation 
steht nämlich dem Klassenkampf auf na- 
tionaler Ebene. Solche Standpunkte, die 
charakteristisch sind für den kleinbürger- 
lichen Intellektualismus, treffen sich mit 
dem Kretinismus der unwissenschaftli- 
chen subjektivistischcn Auffassungen 
von einer angeblichen Verbürgerlichung 
der Arbeiterklasse (was dann durch die 
Anziehungskraft der Randgruppenexi- 
sten/ ausgeglichen würde). 

Das sind nur rein kulturelle Rechtferti- 
gungen der derzeitigen Passivität jener, 
die sich als Revolutionäre bezeichnen 
und sich nur der Radikalisierung des 
Klassenkampfs durch einen kommuni- 
stisch bewaffneten Kampf unter proleta- 
rischer Führung widersetzen wollen. 

Weit davon entfernt, sich in einem mate- 
riellen Wohlstand aufzulösen, der die 
Unterschiede zwischen den Klassen 
durch eine gerechte Neuverteilung der 
den Völkern der Dritten Welt abgepreß- 
ten Superprofite einebnet, vergrößern 
sich die sozialen Ungleichheiten auf al- 
len Ebenen nur noch mehr. In Frankreich 
z.B. besitzen der INSEE zufolge 1980 
5% der reichsten Haushalte 69 % des 
Gesamtvennögens; die Kluft zwischen 
den Einkünften der 125.000 reichsten 
Haushalte und den 10% der ärmsten hat 
das Verhältnis 1:1000, und übrigens mit 
steigender Tendenz seit dem 2. Welt- 
krieg. Außerdem ergeben sich hierbei 
sehr starke regionale Unterschiede (was 
übrigens dazu beiträgt, die schwachen 
Versuche, Westeuropa als ein vereinheit- 
lichtes Feld zu betrachten, in dem sich 
eine einheitliche revolutionäre Politik 
entfalten könnte, in Frage zu stellen). 



27 


wenn man weiß, daß über 5 % der Be- 
völkerung Südeuropas in absoluter Ar- 
mut lebt. 

Diese Lage verschlechtert sich für das 
Proletariat laufend. 1985, also dieses 
Jahr, weist die INSEE auf. daß bei den 
Nettolöhnen für 1984 72 % der Lohnab- 
hüngigen des privaten und halböffentli- 
chen Bereichs weniger als 5660 FF pro 
Monat verdienen. In vier Jahren 
"Sozialismus auf französische Art" sind 
die Löhne der 10% Bestverdienenden 
schneller gestiegen als die der untersten 
10%. Die Frauen werden auch 84 im 
Durchschnitt rund 1/4 schlechter bezahlt 
als die Männer. Allein 1984 ist die Zahl 
der 15- bis 24jährigen Erwerbstätigen um 
326686 Personen jurilckgegangen; von 
334306 Jugendlichen unter 24 Jahren, 
die zwischen März 83 und März 84 ins 
Berufsleben eingetreten sind, sind 
140193 arbeitslos geworden und 124889 
haben einen nicht gesicherten Status (nur 
669224 sind "normale“ Erwerbstätige 
geworden). 

Der Klassenkampf als natürlicher Aus- 
druck des Konflikts zwischen Arbeit und 
Kapital stößt auf Wirtschaftsmechanis- 
men. welche die Gesetze des Marktes 
und der kapitalistischen Akkumulation 
und Reproduktion regeln, und diese Kon- 
frontation hinsichtlich des Preises der 
Arbeitskraft trügt zur natürlichen Ten- 
denz des Sinkens der Profitrate bei. die 
sich in der derzeitigen historischen Peri- 
ode nur noch weiter beschleunigt, weil 
sich diese durch das imperialistische 
Phänomen als Ausdruck der erweiterten 
Reproduktion des Kapitals außerhalb der 
ursprünglichen Produktionszentren ge- 
kennzeichnet hat ur.d weil sie durch die 
nationalen Befreiungskämpfe und die 
Ausweitung der sozialistischen Regimes 
auf den Widerstand des Weltproletariats 
gestoßen sind. 

Um diese Tendenzen des Sinkens der 
Profitrate aufzufangen, muß natürlich die 
Ausbeutungsrate erhöht werden. Das ver- 
sucht man durch eine Verlagerung der 
imperialistischen Entwicklung der kapi- 
talistischen Produktionsweise in die Be- 
reiche mit hoher Produktivitütsrate. der 
imperialistischen Metropolen selbst, zu 
erreichen. Es ergibt sich eine intensivere 
Ausbeutung der Arbeit und somit auch 
eine Erhöhung der Produktivitätsrate. Die 
Entsprechung dieses Prozesses in den be- 
herrschten Ländern ist in diesem Fall die 
verstärkte Unterentwicklung durch eine 
Übcrspezialisicrung in den Leichtindu- 
strien (als Unterlieferanten der Industrien 
der imperialistischen Metropolen) mit ge- 
ringer Qualifikation und sehr niedrigen 
Löhnen. Diese imperialistische Umglie- 
derung erfolgt in dem Rahmen, der durch 
die sogenannte Winschafts"krise" vorge- 
zcichncl ist. Doch täuschen wir uns 


nicht. Es handelt sich mehr um eine 
Wachstums"krisc" als um die Ankündi- 
gung eines bevorstehenden spontanen 
Bankrotts. Nicht umsonst sind wir zu 
dem Punkt gelangt, daß Finanzkreise be- 
unnihigt einer möglichen Wahlniederlage 
der Sozialisten bei den bevorstehenden 
Wahlen cntgcgenschen: In vier Jahren 
Sozial-Faschismus hat sich der Börsen- 
umsatz vervierfacht, während er unter der 
vorherigen Regierung rückläufig war. der 
Gesamtwert der Aktien der Pariser Börse 
ist von 200 Milliarden FF 81 auf über 
500 Milliarden FF 85 gestiegen, die Dar- 
lehen sind von 580 Milliarden FF in 81 
auf 2112 Milliarden in 84 gestiegen, die 
französischen Werte (Aktien und Obliga- 
tionen) sind 84 um 16,4 % gestiegen und 

83 sogar um 56 %. 

Es steht also nicht alles so schlecht für 
das Kapital! Die Krise bedeutet also 
nicht eine wirkliche Schwächung des 
Kapitalismus, der in seine entwickelte 
imperialistische Phzsc gelangt ist. son- 
dern im Gegenteil die Geschichte zeigt 
uns. daß der Kapitalismus foitschrcitet 
und sich durch die Krisen hindurch ent- 
faltet, welche das Spiel seiner inneren 
Widersprüche offenlcgcn. In diesem 
Kontext müssen wir unsere heutige Lage 
sehen. 

//. Bewaffneter Kampf und legale poli- 
tische Aktion 

I. Der bewaffnete Kampf kann nicht das 
spontane Produkt der Massenbewegung 
sein 

Alles hängt davon ab. was man unter 
bewaffnetem Kampf versteht und welche 
Rolle man ihm zuerkennt. Es kann sich 
um eine einfache Ferm des Kampfes han- 
deln. deren Besonderheit nur darin liegen 
würde, sich dort anzusiedeln, wo man ein 
erhöhtes Gewaltniveau wahmimmt. Die 
bewaffnete Struktur würde also darauf 
abziclcn, der bewaffnete Arm der Mas- 
senbewegung zu sein, der die Ebenen der 
Konfrontation übernehmen würde, die 
für die legalen Strukturen zu hoch sind. 
In diesem Fall würde die bewaffnete 
Struktur aus der legalen Struktur hervor- 
gehen und damit aus einem Prozeß, der 
zumindest teilweisen Radikalisierung 
dieses legalen Teils, was von vornherein 
enge Bindungen zwischen den beiden 
und die Beibehaltung dieser Verbindun- 
gen durch eine gegenseitige Durchdrin- 
gung der beiden Strukturen impliziert. In 
dieser Perspektive kann man also als 
Hauptaufgabe festhalten, die durch die 
Legalität definierten Räume maximal zu 
besetzen. Die Entwicklung der Guerilla 
erfolgt dann in Form einer bewaffneten 
'Bewegung', als Fortsetzung der legalen 
Bewegung. Schematisch ist das etwa die 
Entscheidung, die Gruppen wie Prima 


Linea ausgehend von der autonomen 
Bewegung, die Bewegung 2. Juni, die 
abgcspaltcnc Gruppe der Napap. die sich 
gegen uns gestellt hat. Acliun Diicele 
(deren Problem cs am Anfang ist, daß 
das rasch schief gelaufen ist) usw. getrof- 
fen haben. 

Diese Konzeptionen von bewaffnetem 
Kampf entsprechen aus theoretischer 
Sicht dem. was die Theorien der autono- 
men Bewegung waren (in ihren subjekti 
vistischen wie in ihren arbeitcrorienticr- 
ten Versionen). Auf der subtilsten Ebene 
entspricht dies den Gedankengängen im 
Stil von Guaterri-Ddeuze, einer Molcku- 
larisicrung der Kümpfe durch ein Netz 
von Kluften und Frcihcitsrüumcn. die 
«ich au« Strömen von Wünschen ergeben 
und die man soziologisch als die Forde- 
rung nach zu erfüllenden Unterschieden 
(Selbstaufwertung dieser oder jener Ka- 
tegorie usw.) bezeichnen könnte. Es han- 
delt sich dabei um den Willen zur Deko- 
dierung. das heißt nzch Überwindung der 
von den herrschenden Strukturen z.uge- 
wiesenen Territorien. Das klingt verfüh- 
rerisch, doch muß man sehen, daß diese 
Entterritorialisiemng nur auf Wünschen 
und Realitäten beruhen kann, die Produk- 
te oder Bestandteile der strukturellen Tä- 
tigkeit selber sind (es sei denn man ist 
philosophisch völlij Idealist). Das be- 
wirkt, daß die Beheizung sogenannter 
entkodierter Räume faktisch nur der Aus- 
füllung und Verstärkung der Räume ent- 
spricht. die strukturell durch das System 
mit dem Ziel, seine eigenen Funktions- 
bedürfnisse zu erfüllen, definiert sind 
(Räume der Machtausübung oder Aus- 
beutung). Diese Entscheidungen schei- 
nen mir somit voll den Interessen des 
derzeitigen Systems und seines perma- 
nenten historischen Entwicklungs- und 
Ausbauprozesses zu entsprechen. Und 
das in der von Wirtschaftlern, Soziolo- 
gen, Politikern und verschiedenen Zu- 
kunftsforschem der bourgeoisen Herr- 
schaft empfohlenen Entwicklung in 
Richtung auf das. was sie eine "duale" 
Gesellschaft nennen (in einer Umgrup- 
pierung der Machtzentren, die man mili- 
tärisch als strategische Zentralisierung 
und taktische Dezentralisierung bezeich- 
nen könnte). 

Natürlich preist dies alles in einer pseu- 
domarxistischen“ Sprache, gespickt mit 
unverständlichen Wortneuschöpfungen 
und Italialismussen. die außerhalb 
Italiens keinen verständlichen Sinn ma- 
chend), einen perfekten klassenübcr- 
greifenden Standpunkt, der auf dem 
Vorrang des kulturellen Verhaltens ba- 
siert. 

Doch der subjektivistisch aufgefaßte be- 
waffnete Kampf als sozialkulturelles 
Verhalten, der Ausdruck eines besonde- 
ren "Raumes" in einem Mosaik weiterer 



28 


Räume, als "Unterschied” als einer der 
"1000 Plattformen" ist. kann nur eine 
geitoisierende. selbtamörderische Praxis 
sein. Auch suchen wir ganz im Gegenteil 
nach dem Zutagetreten und der Entwick- 
lung eines fortschreitenden Prozesses, 
der organisiert und politisch zentralisiert 
ist und nicht mit zerstückelten Rächen 
Ubereinstimmt. sondern ganz im Gegen- 
teil die Vollständigkeit der historischen 
Formation durchdringt. Wir seh:n im 
bewaffneten Kampf ein Instrument der 
organisierten Klasse mit historischer 
Funktion. Dabei ist jeder dieser Begriffe 
in seiner vollsten Bedeutung zu verste- 
hen. 

Das bedeutet, daß es sich nicht um eine 
von mehreren Formen des Kampfes han- 
delt, sondern daß er sich als Ausdruck 
einer Politik versteht, die auf die gesamte 
Umwandlung der Gesellschaft abzielt. 
Also unterscheidet es sich sehr von ei- 
nem beschränkten beanspruchenden 
Vorgehen und anstatt sich an strukturel- 
ler Zerstückelung zu heften, wird hier 
versucht, die zahlreichen Widersprüche 
ins Lot zu bringen, indem klar gemacht 
wird, was letzter» Endes das Hauptmittel 
zum Lösen des sozialen Widerspruchs 
ist. Und das mit einem vollständigen 
Verstehen der Realität, nicht schematisch 
oder durch verkürzenden Dogmatismus, 
sondern weil die Wahrheit in dieser Tota- 
lität der objektiven Realität steckt, einer 
Totalität, die sich aus der Tatsache erhält, 
daß es praktisch keinen Aspekt der Exi- 
stenz mehr gibt, der sich der kapitalisti- 
schen Produktionsweise entziehen könn- 
te. Die andere Quelle dieser Zusammen- 
rechnung ist selbstverständlich die ge- 
schichtliche Bewegung (und oberhalb der 
Geschichte gibt es noch einmal eine wei- 
tere zusammcnrcchnendc Kraft, doch das 
ist ein anderes Problem!) und die Eigen- 
art dieser geschichtlichen Bewegung ist 
es, Fragen klassenbezogen zu stellen, als 
Zusammenstoß zwischen Klassen, als zu 
erleidende oder auszutlbende Kraft. 
Allerdings ist zu präzisieren, daß diese 
Konzeption nicht in Sektierertum führen 
soll, was die Verschiedenartigkeit der 
Praxen und der Meinungen betrifft, da 
wir denken, daß die organisierte Bewe- 
gung des bewaffneten Kampfes sich 
nicht in der Form zeigen wird, daß die 
heute bestehenden Strömungen zerfallen, 
sondern durch paralleles Auftreten eines 
wirklich neuen Prozesses: in gleicher 
Weise wie die bolschewistische Bewe- 
gung nicht das Auslöschen der revisioni- 
stischen Sozialdemokratie und der sozial- 
revolutionären oder freiheitlichen Strö- 
mungen gebraucht hat. auch wenn sie 
sich auf die Kritik an diesen stützte, son- 
dern sic hat sich als neue Alternative 
durch Rückgriff auf die wissenschaftli- 
che Methode eines authentischen Mar- 


xismus als Instrument zur Analyse der 
Totalität der russischen Realität dieser 
Zeit entwickelt. 

2. Die Probleme des Übergcngs von le- 
gal zu illegal 

Das Verhältnis zwischen dem Raum für 
die legale politische Arbeit und den ille- 
galen Strukturen kann nicht als von vorn- 
herein bestimmt betrachtet werden, son- 
dern in der dialektischen Perspektive der 
Bewegung, die passend für diese zwei 
Strukturarien ist. Dies ermöglicht es, drei 
Schemata hervomiheben: 

1. Daß die Guerilla als das Ergebnis der 
Entwicklung der internen Widersprüche 
der legalen Bewegung und des Prozesses 
der Radikalisierung/Bewußtseinsbildung 
erscheint; 

2. Daß die legale Bewegung die Periphe- 
rie des radikalsten und damit organisier- 
ten und bewaffneten Kems ist, und daß 
sie sich um die Guerilla herum 
entwickelt; 

3. Daß die legale Bewegung und die be- 
waffnete Struktur sich paralbl in dieser 
organisierten dialektischen Wechselwir- 
kung entwickeln, wie wir weiter unten im 
Text präzisieren werden. 

Die zweite Perspektive scheint schwer zu 
realisieren, da die Guerilla historisch ge- 
sehen sekundär gegenüber der legalen 
Bewegung ist, man würde also eine Zer- 
setzung von diesen benötigen, damit die 
Guerilla zum zentralen Raum werden 
kann, um den sic sich entwickeln würde. 
Außerdem ist klar, daß die Entwicklung 
des bewaffneten Kampfes ein Bewußt- 
werden mit sich bringen muß, die ideo- 
logische und politische Umwandlung, die 
Ausdehnung der revolutionären Ideen, 
doch ist nicht sicher, daß diese Ausdeh- 
nung zu einer Entwicklung der legalen 
Bewegung führt, denn die Guerilla wirkt 
zwar auf das Kräfteverhältnis ein, jedoch 
durch die Zuspitzung der Widersprüche, 
wodurch sie zur Erhebung de? Gewallni- 
veaus des Zusammenstoßes beiträgt. Das 
impliziert eine stärkere allgemeine Mili- 
tarisierung und Unterdrückung, wodurch 
der Raum der legalen Freiheiten einge- 
engt wird und damit objektiv die Mög- 
lichkeit der legalen Bewegung einge- 
schränkt werden. 

Die erste Perspektive, daß ramlich die 
Guerilla das Ergebnis der (teilweise oder 
allgemeinen) Radikalisierung der legalen 
Bewegung ist, stellt den Fall dar, der uns 
am meisten entgegcngcstcllt wird. Wenn 
die legale Bewegung zwar direkt zum 
bewaffneter» Kampf fuhren kann, dann 
nur über einen Aufstandsprozeß. Damit 
verfällt man wieder in die Illusion der 
linksradikalen Gruppen, die denken, daß 
das leninistische Schema von 17 auf jede 
beliebige historische Lage übertragbar 
sei, und cs gehe darum die Missen durch 


legalen Militantismus Carauf vorzuberei- 
ten (was sie seit 60 Jahren tun ohne auch 
nur einen Schritt vorangekommen zu 
sein) bis die Lage wunderbarerweise reif 
ist für den großen Abend. Wenn cs ange- 
sichts dieser Perspektive nur das Projekt 
des Aufstands geben kann, dann weil 
man sich nur schlecht vorstellen kann, 
wie die Guerilla, die eine klandestine po- 
litisch-militärische Stnikturierung vor- 
aussetzt, sich auf derselben Ebene wie 
die legale Bewegung entwickeln soll, in- 
sofern deren offenes Auftreten die Gue- 
rilla durchlässig für Gcheimdienstaktivi- 
täten und Angriffe des Feindes machen 
würde. 

Weiter gibt es zwei Sperren, die eine ist 
ideologisch, die andere politisch. 

Auf ideologischer Ebene. Der Unter- 
schied zwischen bewaffnetem Kampf 
und legaler Aktion ist nicht quantitativ, 
sondern qualitativ. Der Übergang von der 
einen zur anderen Form kann somit nicht 
durch eine lineare und homogene Ent- 
wicklung. sondern nur sprungweise er- 
folgen. Das führt dazu, daß cs für jedes 
Problem zwei Möglichkeiten geben kann, 
die eine illegal, die andere legal. Man 
darf nie vergessen, daß wir in einem Sy- 
stem des politischen Liberalismus leben, 
die politische Form der bourgeoisen Dik- 
tatur ist hier die Demokratie, und wenn 
wir mit etwas unzufrieden sind, so gibt cs 
eine Auswahl legaler Mittel, um uns aus- 
zudricken: Demos. Flugblätter, Zeitun- 
gen, Wahlzettel usw. Auch ist der be- 
waffnete Kampf etwas ganz anderes als 
ein äußeres Mittel, das man aus Ver- 
zweiflung cinsetzt. Robespierre hat mit 
Rech; gesagt. Ludwig den XVI. zu töten, 
sei kein Akt der Gerechtigkeit oder Aus- 
druck der Unmöglichkeit cs anders zu 
machen sondern eine "politische Ent- 
scheidung" und genauso müssen wir hier 
den bewaffneten Kampf betrachten: nicht 
als äußerstes Mittel, sondern als mit küh- 
lem Kopf getroffene, rein politische Ent- 
scheidung. die wissenschaftlich durch ih- 
re Funktion in einer rational überlegten 
revolutionären Strategie gewählt wurde. 
Andererseits denken wir nicht, daß man 
den bewaffneten Kampf nicht richtig in 
seiner allgemeinen strategischen Funkti- 
on sieht, und somit die illegale Aktion als 
einzige Antwort aur eng begrenzte Pro- 
bleme begrenzen würde (Wir denken, ge- 
meint ist folgendes: Andererseits denken 
wir, daß man den bewaffneten Kampf 
nicht richtig in seiner allgemeinen stra- 
tegischen Funktion sieht, wenn man die 
illegale Aktion einzig oh Antwort auf eng 
begrenzte Probleme betrachten würde. 
Anm. d. Hg.] (Antifaschismus, Antiras- 
sismus, Antiatomkraft »;sw.). Denn man 
begreift, außer man hat nur eine be- 
grenzte und brachstückhafte Sicht, daß 
diese Fragen nicht von ihrem Kontext 



29 


abgesondert werden können, und daß 
man sich zur Ohnmacht verurteilt, wenn 
man einen radikalen Ansatz auf beson- 
dere Bereiche beschränkt. 

Es gibt eine Vielzahl von Strukturen, die 
sich im legalen Raum entwickeln und 
mehr oder weniger radikal sind; Protest 
oder Forderungen, die durch die Tatsache 
gekennzeichnet werden können, daß sie 
nicht die Machtfragc stellen, sondern ein- 
zig und allein [durch, Erg. d. Hg.| den 
Grad der Autonomie und der Einrichtung 
innerhalb dci geltenden Rahmen. In dein 

Maß, in dem es sich um vereinzelte Be- 
reiche handelt, die immer mit einem gan^ 
spezifischen Problem verbunden sind, 
kann es in ihrem Innern keine Umwand- 
lung in Richtung des bewaffneten Kamp- 
fes geben (sofern man in ihm die Funkti- 
on einer echten revolutionären Strategie 
steht, daß heißt einschließlich der Erobe- 
rung der Staatsmacht). Diese legalen 
Räume, in denen sich die sogenannte 
"zivile Gesellschaft” gegen den Staat äu- 
ßert, diese sind ein bißchen mit den Ge- 
werkschaften vergleichbar, die die Hoch- 
burgen des Widerstands der Arbeiter 
sind, was eine notwendige Funktion ist, 
die jetzt auch in den nicht produzieren- 
den Bereichen ausgeweitet werden kann, 
da sich die kapitalistische Produktions- 
weise inzwischen auf alle Lebcnsbcrci- 
che erstreckt. Aber, in gleicher Weise 
wie früher die Gewerkschaften weder mit 
der Partei identisch waren, noch die 
Struktur bildeten, die auf die Gründung 
der Partei abzielte, kann die Gesamtheit 
der legalen Organe nicht Träger der Er- 
fahrung, der Fähigkeit, der Synthese und 
der organisatorischen Strukturierung 
sein, die für die Entwicklung eines 
bewaffneten Kampfs mit wirklich 
strategischer Funktion erforderlich sind. 
Wie soll auch ein Kollektiv, das durch 
Antifaschismus od:r gegen Repression 
oder durch die Unterstützung von Gefa- 
ngenen oder irgend etwas anderes 
vereinigt ist, im Rahmen dieser 
spezifischen Aktivität die für ein wahres 
revolutionäres Projekt erforderliche 
historische Analyse durchführen? 

3. Grenzen der Legalität und Klassen- 
standpunkt 

Ein revolutionäres historisches Ver- 
ständnis kann sich nur aus einem Klas- 
senstandpunkt ergeben. Das ist sicher das 
Hauptproblem, radikal sämtliche sozialen 
Strukturen durch die Zerstörung des 
bourgeoisen Staats und der Machtüber- 
nahme verändern zu wollen, auf den 
Kommunismus hinzugehen. Das setzt 
voraus, die Bewegung der Geschichte 
verstanden zu haben und sich in sic cin- 
zuordnen. Diese Bewegung ist die des 
Klassenkampfs, es geht daher darum, 
sich als Klasse eirzuordnen, das heißt. 


sich die praktischen und theoretischen 
Mittel dieser Dialektik zu verschaffen, 
die aus der Verwirklichung des Proleta- 
riats als Klasse die Voraussetzung für 
seine Abschaffung macht, Vciwirkli- 
chung impliziert: Klassenidentität. Klas- 
senbewußtsein. Klissenstundpunkt. Da 
die Kräfte, die die Geschichte machen, 
die Klassen sind, kann das revolutionäre 
Projekt nur mit dem Prozeß des Erwerbs 
eines KlassenbewuOtseins durch das Pro- 
letariat zusammenfallen. Und man kann 
sich schlecht vorstellen, wie dieser Pro- 
zeß aus dem Spiel zerstückelter legaler, 
beschränkter Strukturen entstehen soll, 
die im allgemeinen keinen Klassenstand- 
punkt annchmcn, sondern im Gegenteil 
einen klassenübergreifenden Standpunkt 
aufgrund von mehr oder weniger oppor- 
tunistischen Begriffsverwirrungen be- 
fürworten, mit denen der Antagonismus 
der objektiven Klassenintcrcssen durch 
die Widersprüche zwischen Kategorien 
ersetzt werden soll, die durch sozial- 
kulturelle Verhaltensweisen bestimmt 
sind (das "Individuum", gegen den Staat, 
der "Jugendliche", eine individuelle Sen- 
sibilität für dieses oder jenes besondere 
Problem usw.). Die komischsten Bei- 
spiele finden sich in dem, was die 
"autonome Bewegung” war. die davon 
noch verbliebenen Einflüsse, wenn wir 
etwa sehen, wie das Konzept des "jungen 
Proletariers" erfunden wird (oder noch 
aktueller und no:h komischen der 
"Stadt-Proletarier”, was überhaupt nichts 
aussagt); ein Konzept, das für die. die da- 
mit umgehen, den jungen Arbeiter 
bedeutet (als wenn er andere Interessen 
hätte als der ältere Arbeiter!), den Vor- 
städter, den Gymnasiasten in der Phase 
des Umbruchs zun Erwachsenwerden, 
den Studenten, der in den Ferien arbeitet 
und sich kulturell etwas anders verhält 
als wenn er einige Jahre später zum lei- 
tenden Angestellten oder Unternehmer 
geworden ist [Wir denken, gemeint ist: 
(-): ein Konzept, nach dem - für diejeni- 
gen, die mit ihm umgehen - 'junger Ar- 
beiter' (als wenn er andere Interessen 
hätte als der ältere Arbeiter!) bedeutet: 
der Vorstädter: der Gymnasiast in der 
Phase des Umbruchs zum Erwachsen- 
werden: der Student, der in den Ferien 
arbeitet und sich kulturell etwas anders 
verhüll, als wenn er einige Jahre später 
zum leitenden Angestellten oder Unter- 
nehmer geworden ist. Anm. d. Hg.). Die- 
ser Raum der legalen politischen Tätig- 
keit ist somit in klasscnübcrgrcifcude 
Spezialisierungen zerstückelt, während 
der bewaffnete Kampf der Ausdruck ei- 
nes organisierten revolutionären Projekts 
sein muß. dessen Existenz nur auf Klas- 
senstandpunkten. auf der Herausbildung 
des Klassenbewußtseins beruhen kann. 
Auf politischer Ebene haben die Ent- 


wicklungsgren/en der legalen Strukturen 
externe und interne Gründe. Die externen 
Gründe beruhen insbesondere auf der 
Entwicklung der Mechanismen der sozia- 
len Macht, entsprechend den Erforder- 
nissen der Entwicklung des Imperialis- 
mus. Wir sehen darin die außerordentli- 
chen Fähigkeiten der bourgeoisen Macht. 
Dinge aufzunehmen und sich zu regene- 
rieren (cs ist nicht umsonst, wenn Sozio- 
logen. Psychologen usw. vom Staat be- 
zahlt werden, um "alternative" Bewegun- 
gen und 'neue soziale Bewegungen" zu 
studieren und anzuregen). Es gibt die 
Tendenz einer Ausweitung der lohnab- 
hängigen Arbeit und der Proletarisierung 
in Richtung einer wachsenden sozialen 
Bipolarisicrung. Die politische Macht 
muß sich dieser Realität anpassen, deren 
Eigenart darin besteht, daß sie (um den 
Bruch zu vermeiden) eine verstärkte Füh- 
rung. eine vollständigere und wirksamere 
Beherrschung erfordert, was zu dem Ver- 
such führt, den Klassenkampf zu zersplit- 
tern. indem die inmre Geschlossenheit 
der Übereinstimmung der Klasse gebro- 
chen wird. Die bourgeoise Macht ver- 
sucht. das Klassenkonzept im kollektiven 
Bewußtsein durch den Begriff der Zuge- 
hörigkeit zu sozial kulturellen Verhal- 
tensweisen zu ersetzen ("Jugendliche". 
Ökos. Homosexuelle, Punks, "linkes 
Volk" und wie sie alle heißen). Ein per- 
fektes Beispiel ist die Erfindung des Be- 
griffs der "Buren" durch die Manager des 
Sozialfaschismus und des Zionismus, um 
damit einerseits zu versuchen, die ara- 
bisch-islamische Identität zu zerbrechen 
und andererseits auch, um die soziale 
Klassenidentität des arabischen Gastar- 
beiterproletariats zu Fall zu bringen. 
Wenn es nicht durch das kulturelle Ver- 
halten oder die ideologische Sensibilität 
geschieht, dann lassen sieh diese Katego- 
rien mittels einer untergeordneten wirt- 
schaftlichen Eigenschaft fabrizieren, die 
jedoch so herausgcstcllt wird, daß sie ge- 
genüber den Produktionsverhältnissen als 
überragend betracht:! wird. Indem die 
bourgeoise Diktatur (ihre Massenmedien 
und Intellektuellen, Machtstrukturen) die 
Überlegenheit ( die Überlegungen'!, Anm. 
d. Hg.) der Soziologie über die Volks- 
wirtschaft organisiert, wird dem Freiraum 
der Legalität, der durch den Nebelstonn 
\-sturm od. -ström. Anm. d. Hg.) der 
Vereinigungskollcktivc und der soge- 
nannten Altemativbewegungcn durchzo- 
gen ist. die Aufgabe übertragen, die 
Klasscnintcressen heterogen zu machen, 
die Proteste aufzusaugen. Indem sic mit 
neuen Freiheitsräurren versorgt werden, 
in denen sie sich austoben können, die 
subversiven Tendenzen lahmzulegen, in- 
dem sic im Sinn der herrschenden Ord- 
nung lahmgelegt werden. 



30 


Während der Imperialismus die große 
monopolistische Konzentration und die 
weltweite Erfassung der kapitalistischen 
Produktionsweise organisiert, kann er es 
sich leisten, soziologisch und ideologisch 
Räume für Formen der Selbstverwaltung 
freizugeben (die allerdings von jeder Ent- 
scheidung in Grunikatzfragen verschlos- 
sen bleiben). Räume für die Meinungs- 
äußerung und das Abreagieren, die bis 
ins Unendliche besetzt weiden können, 
denn wenn eine Gruppe oder eine Strö- 
mung nicht mehr gefällt, braucht man ne- 
benan nur eine neue zu gründen, was zu 
noch mehr Verschiedenartigkeit und 
Ohnmacht führt. Man muß also begrei- 
fen. daß der durch die Legalität begrenzte 
Raum der politischen Existenz genau der 
ist. durch den die imperialistische Macht 
selbst wirkt, sich entwickelt und ent- 
faltet. Je besser der Raum der Legalität 
ausgefüllt ist. um so mehr wird seine 
Funktion verwirklicht und um so weniger 
kann es der wahre Ort für eine wahre 
Subversion sein. 

Es gibt auch noch interne Gründe, wes- 
halb ein evolutionärer Übergang der le- 
galen Bewegung zum bewaffneten 
Kampf unmöglich ist. Dieser sogenannte 
Raum der Legalität funktioniert, indem er 
Kräfte schafft und verteilt. Mächte, die 
also nur durch die Tätigkeit der Legalität 
weiterbestehen können. So wird er zum 
bevorzugten Raum der Klcinbourgeoisie. 
weil sic dort spezifische, ihr zugewiesenc 
politische Funktionen ausüben kann, das 
heißt dort, wo die Verwaltung der Ideo- 
logie und der Polilik der bourgeoisen 
Diktatur stattfindct. Das Kleinbürgertum 
ist der politische Transmissionsriemen 
zwischen der kapitalistischen Bourgeoi- 
sie und den proletarischen Massen, es ist 
voll und ganz Treuhänder und Wächter 
der Interessen des Kapitals. 

Und so verwaltet dann das intellektuelle 
Kleinbürgertum die legalen Bewegungen, 
alle "Alternativen", Antirepressiven Be- 
wegungen, die linksradikalen Gruppen, 
die Solidaritätsbewegungen, kulturelle 
Kreativbewegungen, philosophische Be- 
wegungen, alle Organe des Ausdrucks. 
Wie soll man sich vorstcllen. daß die In- 
haber einer solchen politischen und ideo- 
logischen Macht darauf lächelnd verzich- 
ten könnten? Denn der Übergang zum 
bewaffneten Kampf setzt die Aufgabe 
dieser Macht voraus, nicht weil sic die 
Hierarchie oder weil sie die Beteiligung 
von Kleinbürgern ausschiicßt. sondern 
einzig und allein, weil in diesem Raum 
der Legalität die Macht dieser Kategorie 
über die politischen und ideologischen 
Bewegungen wesentlich zu ihrer offiziel- 
len Funktion gehört, so wie sie ihr durch 
die Produktionsverhältnisse zugewiesen 
und im allgemeinen vom Staat belohnt 
wird, ein Verhältnis, daß natürlich un- 


möglich ist. wenn man einen bewaffne- 
ten Kampf führt! 

Jeder hat unzählige Beispiele im Kopf, 
die aus den gcnaiin(t:ii Gründen deutlich 
die Unmöglichkeit zeigen, sich schritt- 
weise von der Macht des Kleinbürger- 
tums in legalen Strukturen zu lösen. So- 
bald diese Kategorie sicht, daß die Macht 
ihr entgleitet, reagiert sie mit Gegner- 
schaft und sabotiert, verrät, vernichtet die 
Strukturen, deren tatsächliche Leitung sic 
hat. Diese Macht entgleitet ihr in der Il- 
legalität und wenn auch nur auf Grund 
des konspirativen Charakters des Vorge- 
hens. das notwendig ist, und das zum 
Bruch zwischen der beruflichen und der 
halbbeiuflichcn öffentlichen Tätigkeit ei- 
nerseits und der politischen Aktivität an 
dererseits führt (während die existentielle 
Eigentümlichkeit des intellektuellen 
Kleinbürgertums gerade auf der "Nicht- 
Trennung" zwischen bezahlter und ko- 
stenloser sozialer Aktivität beruht). Übri- 
gens ist das auch bestimmt der Grund da- 
für. daß die psychologische Charakteri 
stik des intellektuellen Kleinbürgertums 
in Fragen des bewaffneten Kampfs zuge- 
spitzte Paranoia ist, man hält sich für das 
Ziel eines Komplotts, übernimmt eine 
Bullcnsichtwcise de' Geschichte, indem 
man überall Infiltrationen oder Manipu- 
lationen sicht, glaubt sich vom Faschis- 
mus. vom Krieg oder was sonst noch be- 
droht. gefällt sich in der beschreibenden 
Analyse der Repressionspraxis, um sich 
nur umso mehr davon zu überzeugen, 
daß man besser zuhause bleibt. Das ist 
also ein weiterer Grund, weshalb der 
Übergang von der legalen Bewegung 
zum bewaffneten Kampf nicht in einer 
linearen Vorwärtsentwicklung erfolgen 
kann, weil es zu viele politische, ideolo- 
gische, aber auch psychologische und po- 
lizeiliche Sperren gibt, die sich einer 
schrittweisen Radikalisierung innerhalb 
eines legalen Rahmens entgegenstellen, 
der zu einem wirkl:chcn revolutionären 
Prozeß und damit zum bewaffneten 
Kampf führen könnte. 

Diese Zeilen verfolgen ein deutliches 
Ziel, nämlich über die Funktion des be- 
waffneten Kampfes zu sprechen, so wie 
er hier und heute notwendig ist. deshalb 
werden wir auch nicht über die legale po- 
litische Arbeit sprechen, sondern nur in 
ihrem Bezug auf den bewaffneten Kampf 
darauf hinweisen. Die legale politische 
Aktion gehört in andere Diskussionen. 
Wir wollen hier nur. ehe wir sic hier ge- 
nauer wiederfmrien werden, die großen 
Grund/Uge der legalen Aktion in ihrem 
Verhältnis zur bewaffneten Aktion und 
in ihrer allgemeinen Notwendigkeit dar- 
stellen: 

- Das ist der Rahmen, in dem der kom- 
munistische Kämpfer die militante politi- 
sche Erfahrung erwerben muß. die not- 


wendig für seine Wirksamkeit in der 
Guerilla ist. 

- Die legale Aktion fördert die revolutio- 
näre Bewußtseinsbildung der Volksmas- 
sen, die damit empfänglicher werden für 
die Ziele des revolutionären bewaffneten 
Kampfes und natürlich auch für die Not- 
wendigkeit seiner quantitativen Entwick- 
lung (ohne Verbindung mit einer legalen 
politischen Aktion, die weitergehend-öf- 
fcntlich ist. wäre eine Guerilla von den 
Massen isoliert und damit zum Vegetie- 
ren verurteilt, sie könnic sich nicht mehr 
entwickeln und ihr Schicksal wäre einzig 
und allein von den Risiken der Repres- 
sion abhängig). 

- Die legale Aktion bildet den Raum, 

durch den die kämpfenden 
kommunistischen Kräfte ihre politische 
Linie aufbauen und die richtige 
strategische Richtung einschlagen 
können, sowie ein: korrekte Praxis 
hinsichtlich der objektiven und subjek- 
tiven Interessen der breiten prolc- 
larischcn Massen verfolgen können. 
Denn die legale politische Aktion ist der 
Hauptrahmen für die Anwendung der 
Massenlinie: von den Massen ausgehen, 
um zu ihnen zurilckzukehren. Durch die 
systematische politische Untersuchung 
müssen die wirklichen Bedürfnisse und 
Kapazitäten der Volksmassen ergriffen 
werden und dann muß daraus eine Akti- 
onslinie entwickelt werden, welche die 
Synthese der fortgeschrittensten Ideen 
der Massen darstellt (denn richtige Ideen 
von den Massen kommen einzig und al- 
lein von den Massen und nicht von den 
Analysen dessen, was die Verwalter des 
Feindes erzählen. Man erfährt mehr an 
der Theke einer volkstümlichen Kneipe 
als in den neuesten Berichten der Trilate- 
ralcn. der NATO oder anderer, zumindest 
wenn man die Revolution machen will). 
Diese Synthese muß mit Hilfe verschie- 
dener uns zur Verfügung stehender In- 
strumente ausgefUhrt werden, insbeson- 
dere des Marxismus-Leninismus, aber 
auch der Intuition, für das. was richtig ist 
und für den tiefen Sinn unseres langen 
Marsches. Diese Synthese muß dann an 
die Massen zurückgeben werden durch 
Information. Agitation, militante Propa- 
ganda und revolutionäre Aktion. Die 
Wirkung der politischen Intervention, be- 
waffnet oder nicht, muß dann innerhalb 
der Massen abgeschitzt werden und zu 
einer neuen Synthese führen, usw. - in ei- 
nem dialektischen Verrücken. 

- Die legale politische Aktion ist der 
Rahmen, in dem der Kämpfer seine Mo- 
tivierung und seine ideologische Entschl- 
ossenheit erwirbt, was nur möglich ist, 
wenn er die wirklichen Lebensbedingun- 
gen der Proletarier kennt. Kenntnis, die 
voraussetzt, um objektiv zu sein, daß 
man auch die Kämpfe der Massen teilt. 



- Der für die kommunistischen Kümpfe 
vorzugsweise in Frage kommende Rah- 
men der politischen Aktion ist nicht der 
der "alternativen” Strukturen oder des 
Protestes gegen diese und jene Institu- 
tion. insofern, daß diese Strukturen häu- 
fig klassenübergreifend sind und beson- 
ders kleinbürgerliche Kategorien oder 
Randgruppen betreffen, die zwar unruhig 
sind, jedoch für die Revolution von kei- 
nerlei Interesse sind. Der Rahmen der 
legalen politischen Aktion muß somit 
einzig und allein durch die Klassenanaly- 
se bestimmt werden, durch eine objektive 
Analyse der sozialen Zusammensetzung 
des Kreises in dem man tätig wird, an 
den man sich wendet. Folglich muB die- 
ser Rahmen proletarisch sein, wir müssen 
uns an die Arbeiterklasse und die übrigen 
authentischen proletarischen Schichten 
wenden, was objektiv und nicht subjektiv 
betrachtet werden muß. Das Proletariat 
ist festgesetzt durch seinen objektiven 
Platz in den Produktionsverhältnissen 
und nicht durch subjektive Kriterien wie 
die "Revolte”. Kriminalität oder andere 
Verhaltensweisen von Minderheiten, 
zumal diese Art von subjektiven Krite- 
rien allgemeine Kategorien des Klein- 
bürgertums oder des Lumpenproletariats 
bezeichnen, das heißt Kategorien, die 
sich vielleicht zum Teil der Revolution 
anschließen werden, die jedoch keines- 
falls darin eine andere als eine völlig un- 
tergeordnete Rolle spielen können. 

III. Aktualität der Staatsfrage 

I. Klassenkamp/ -oder Kampf gegen den 

Staat? 

Eine sehr wichtige Frage, auf die wir 
häufig bei unseren Widerspechem sto- 
ßen. sowohl denen, die sich dem bewaff- 
neten Kampf widersetzen, als auch de- 
nen. die wie Action Directe oder gewisse 
anarchistische Gruppen, zwar den be- 
waffneten Kampf praktizieren, jedoch 
auf nichtmarxisiischen Grundlagen, ist 
das Problem des Staates, das Verständ- 
nis. daß man davon hat und wie es sich 
in unseren Kampf einfügt. 

Objektiv ist der Staat nichts anderes als 
das Instrument der Diktatur einer Klasse, 
also heute das Instrument der Bourgeoi- 
sie. Als Kommunisten wollen wir natür- 
lich die Abschaffung jedes Staates errei- 
chen. da wir für eine klassenlose Gesell- 
schaft kämpfen und da der Staat sich nur 
durch die Existenz der Klassen aus- 
drückt. Jedoch verwechseln wir nicht die 
Ursachen und die Wirkungen, ein Gesell- 
schaftssystem und ein einfaches Rädchen 
darin, eine herrschende Klasse und ihr 
politisches, verwaltungs- und militäri- 
sches Herrschaftsorgan. 

Das Hauptfeld ist sicherlich nicht der 
Staat und natürlich noch weniger die we- 


nigen transnationalcn bürokratischen 
Strukturen, mit deren Hilfe die imperiali- 
stischen Staaten vergeblich versuchen, 
ein wenig leitende Ordnung in die Anar- 
chie zu bringen, die ihr System charakte- 
risiert (doch das verstehen unsere neuen 
Sozialrevolutionäre. Luxemburgisten und 
Neo-Bundisten. bewaffnete Version 
nicht, da könnte man sich kaputtla- 
chen...). . 

Andererseits wollen wir auch nicht die 
Vorstellung vom Staat als großen bösen 
Wolf ersetzen durch die schrecklicher 
egoistischer und habgieriger Bürger, 
denn es geht in erster Linie weder um 
Einzelpersonen noch ihre bürokratischen 
Apparate, sondern im Wesentlichen um 
eine Produktionsweise, die dem gesam- 
ten Herrschaftssystem und damit auch 
dem Staat usw. zugrunde liegt. 

Den Staat an sich oder die Bourgeoisie 
an sich als "Hauptfeind" zu betrachten, 
läuft darauf hinaus, daß man nur Sym- 
ptome sieht, denn man wird weder die 
Bourgeoisie noch den Staat zerstören, 
wenn man nicht die derzeitige Produkti- 
onsweise vernichtet. 

Allerdings trifft es zu. daß nach einer 
derzeit recht verbreiteten Tendenz der 
Staat als eine Art Menschenfresser ange- 
sehen wird, der im allgemeinen für alle 
Übel verantwortlich ist. Wenn man den 
Slaat nicht als Produkt einer bestimmten 
Produktionsweise betrachtet, dann müßte 
er das Ergebnis einer imaginären 
"menschlichen Eigentümlichkeit" sein, 
die sich in Form von Machtgelüsten bei 
bestimmten Individuen äußert. Diese 
These offenbart sich entweder durch uto- 
pische Theorien oder Reformismus. Ein 
Reformismus, der sich im Wesentlichen 
durch 3 Tendenzen äußert. Die soge- 
nannten Rechtsextremen, die Neo-Libe- 
ralen und die "neuen Philosophen”, häu- 
fig ehemalige Linksradikale, die sich 
zum Antiknmmunismus und einem fana- 
tischen Zionismus im Dienste der Vertei- 
digung der Demokratie bekehrt haben, 
deren These es ist. einen Statt von mög- 
lichst wenig Slaat vorzuscälagen, wie 
Bcmard-Henry Ixvy sagt. Die zweite 
große Tendenz ist die des traditionellen 
“Zentrums", das heißt der Sozialfaschis- 
mus. wie er in Frankreich herrscht (die 
Sozialdemokratie charakterisierte bereits 
die vorangegangenen Regimes, insbe- 
sondere das von Giscard, das vielleicht 
selbst noch mehr sozialdemokratisch war 
als die Mitterrand-Bande, und die Sozi- 
aldemokratie wird auch noch der Haupt- 
charakter für das politische Regime nach 
86 und 88 sein). Dieser Strömung kön- 
nen wir alle zurechnen, die Parasiten der 
Bourgeoisie-Macht sind, diejenigen, 
welche "links von der Linken" stehen, 
die linksradikalen Grüppchen, deren 
Nco-Rcvisionismus sich in dem Gckric- 


chc kümmerlicher lästiger Bettler um 
kleine Postchen innerhalb der Sozialde- 
mokratie äußert: diese haben zum Wahl- 
sieg der Obersau Millcrand iin Namen 
eines "kleineren" Übels beigetragen und 
als ewige Prostituierte werden wir sie 
auch 86 und 88 sehen, wie sie für die 
Linke stimmen, mit dem Vorwand, daß 
man der sogenannten Rechten und dem 
sogenannten "Faschismus" den Weg ver- 
sperren müsse. Schließlich gibt es eine 
dritte Strömung, die sich als extreme 
Linke darstcllt. die wir jedoch als Radi- 
kalreformismus bezeichnen. Es handelt 
sich um die Selbstverwaltcr. 
"Alternative“ Strömungen, Grüppchen. 
die bewußt oder unbewußt auf die Theo- 
rien der Autonomen hinweisen und deren 
Ziel es ist. zerstückelte und klasscnüber- 
greifende Freiräume zu errichten, defi- 
niert durch kulturelle Verhaltensweisen 
"Wünsche", die sich vom Klassenkampf 
und dem Gang der Geschichte absetzen 
also die Suche nach Einrichtungen und 
nach der Mentalität von Wrihlfhhrtwmp- 
langem, die sich zwar gegen den Staat 
auflehnen, jedoch pausenlos einen vom 
Staat anerkannten Status, mehr Dienstlei- 
stungen. indirekte Löhne usw. fordern. 
Alle diese Tendenzen, einschließlich «le- 
rer. die "Anliimpcrialismus" ohne kon- 
krete Klascenlinie betreiben und somit 
nicht die Machtübernahme im Auge ha- 
ben. haben letzten Endes eines gemein- 
sam: daß sie den Staat zum zentralen Ob- 
jekt machen, ob sie ihn nun verkleinern, 
verstärken, oder verwalten wollen, indem 
sic ihn zu einem besseren Verteiler von 
Dienstleistungen oder unter Isolierung 
des Staates Autonomieräume entwickeln 
wollen. Das Prinzip ist dasselbe: Die In- 
stitutionen werden als Vorrangige be- 
trachtet (die NATO oder die EDF oder 
die (Jefdngisvcrwaltung oder die Schule 
usw...). Die Hauptfrage der Produktions- 
weise wird nicht gestellt, die Art und 
Weise wie sich die Widersprüche ent- 
wickeln, was die Richtung der Ge- 
schichte darstellcn, wird nicht berück- 
sichtigt. der Klassenkampf wird verkannt 
und durch Bestrebungen sozialkulturcllcr 
Kategorien, verhaltensbedingte, subjekti- 
vistischc Einstellungen, angeblich Gram- 
sci-anige Gegensätze zwischen "legalem 
Land". Staat gegen "Gesellschaft", 
"herrschende Klasse" gegen "Volk" er- 
setzt. Oder sonstige idealistische Kon- 
zeptionen. welche sogar auf bestimmte 
Guerillagnippcn in Westeuropa einen 
tiefgreifenden Einfluß ausüben. 

2. Die Entwicklung dei Formen des Staa- 
tes muß berücksichtigt werden, wenn wir 
darum kumpfen, uns dessen zu bemächti- 
gen. 

Wir kritisieren also ganz radikal die The- 
sen. wonach der Staat als solcher det 



32 


Haupifcinü sei. Allerdings muß man ct- 
was weiietgehen. denn man darf nicht in 
das umgekehrte Übermaß verfallen. In 
dem Maße, wie man nämlich die derzei- 
tige Produktionsweise abschaffen will, 
sicht man sich notgedrungen mit den In- 
strumenten der Kontrolle, Verwaltung 
und Repression und so mit dem Staat 
konfrontiert. Die Revolution impliziert 
das Zerbrechen aller Instrumente der al- 
len Gesellschaft insbesondere der Zerstö- 
rung ihres Staates. Für das Proletariat be- 
deutet Machtübernahme auch Über- 
nahme der bis jetzt vom bourgeoisen 
Staat verwalteten Mächte. Das ist viel- 
leicht eine Offensichtlichkeit, doch muß 
man sic in Erinnerung rufen, da man den 
Staat auch nicht alsein sozusagen neutra- 
les Instrument betrachten darf, das ein- 
fach von einer Hand in die andere über- 
geht oder automatisch im Verlauf des re- 
volutionäres Prozesses Zusammenstürzen 
würde (er wird im Gegenteil stärker, je 
weiter der revolutionäre Prozeß voran- 
schreitet). Es geht so weit, «laß der reine 
Werkzeugeharakter des Staates es recht- 
fertigen würde, daß er von den kommu- 
nistischen Kräften in der vorrevolutionä- 
ren Phase genutzt würde, man müßte also 
das Wahlsystem, den Parlamentarismus 
und die Möglichkeit einer pazifistischen 
Machtübernahme anerkennen. Wir haben 
gar nicht unbedingt etwas dagegen, es 
wäre ideal, wenn Wahlen den Bürger- 
krieg ersetzen könnten. Doch hier und 
heute ist das nicht der Fall, die proletari- 
sche Revolution erfordert die totale und 
gewaltsame Zerstö-ung des bourgeoisen 
Staatsapparates. 

Man muß auch sehen, daß die Entschei- 
dung für oder gegen den Parlamentaris- 
mus nicht zu den Grundsatz fragen ge- 
hört, sondern zu den von einer objektiven 
Analyse der derzeitigen Realität be- 
stimmten Standpunkten. Zum Beispiel, 
die Lage in Rußland vor 1917 war anders 
und ermöglichte Fermen des Parlamenta- 
rismus. denn damals handelte es sich dort 
um einen doppelten Prozeß der Revolu- 
tion, das heißt um eine demokratische 
Revolution (die folglich auch Demokra- 
tie. Parlamentarismus, Legalismus usw. 
umfaßte) und die einer proletarischen 
Revolution als Sp-ungbrett diente, was 
natürlich hier und jetzt nicht der Fall ist, 
wo die demokratische bourgeoise Revo- 
lution bereits seit geraumer Zeit stattge- 
funden hat. Diese heutige Realität zeigt 
uns außerdem, daß zwar das sozial-öko- 
nomische System immer noch genauso 
funktioniert wie in der Zeit, wo Marx 
seine Funktionsweise erläuterte, aber daß 
es andererseits seit dieser Zeit tiefgrei- 
fende Veränderungen erfahren hat. die 
seiner natürlichen Entwicklung und sei- 
nem Reifwerden entsprechen. 


Die Beschreibung, die Marx oder I.enin 
von der Funktion des Staates geben 
konnten, trifft immer noch zu und bestä- 
tigt sich im Verlauf der Zeit noch immer 
mehr. Zutreffend ist jedoch dabei die Be- 
schreibung der Funktionsweise und nicht 
die Beschreibung einer historisch gege- 
benen Form, die sich unveränderlich ver- 
ewigen würde. Denn die Form des bour- 
geoisen Staates ist im ständigem Wechsel 
begriffen, entsprechend der Entwicklung 
der kapitalistischen Produktionsweise. 
Auch wenn wir uns denken können, daß 
die revolutionäre Benutzung des bour- 
geoisen Staates heute auszuschließen ist 
und daß auch die Auffassung vom Staat 
als einfaches Hcrrschaftsinstrument und 
einfacher politischer Ausdruck der Macht 
der herrschenden Klasse etwas nuanciert 
werden muß. so bleibt diese Analyse 
restlos zutreffend und muß nur ange- 
sichts der objektiven Umwandlungen 
präzisiert werden, die im Lauf der kapita- 
listischen Entwicklung, die sich heute in 
ihrer modernen imperialistischen Phase 
befindet, im Wesen des Staates eingetre- 
ten ist. 

.?. Der imperialistische Staat. Funktion 
des Kapitals 

In der Tat läßt sich heute weniger denn je 
ein antikapitalistischer Kampf, der im all- 
gemeinen zum Klassenkampf gehören 
würde, vom Kampf gegen den Staat tren- 
nen, der ein politischer oder politisch-mi- 
litärischer Kampf wäre, wie wenn der 
Staat nur ein einfaches Instrument wie 
die Polizei oder die Armee wäre, das der 
Machtübernahme des Proletariats im 
Wege steht. Wenn man nämlich einer- 
seits davon ausgeht, daß der Staat das 
Produkt der Organisation der Klasscnvcr- 
hältnisse in einem bestimmten histori- 
schen Augenblick ihrer Entwicklung ist 
und daß die zum Entstehen der gesell- 
schaftlichen Verhältnisse (und somit 
auch des Staats) führenden Produktions- 
weise sich entwickelt und sich damit 
umgestaltet, dann muß man andererseits 
auch zugeben, daß der Staat bezüglich 
dieser Umgestaltung foitschrcitct, sich 
entwickelt, reift und sich verändert. 

In welchem Sinne erfolgt diese Verände- 
rung? Es ist die Übersetzung der Auswei- 
tung der kapitalistischen Produktions- 
weise auf Staatscbcnc. In allen Richtun- 
gen und Tiefen des sozialen Kontextes. 
Jeder kann fcststcllcn, in welchem Maß 
auch die kleinsten Äußerungen des ge- 
sellschaftlichen. ja sogar des privaten 
l.ebens zunehmend von der derzeitigen 
Produktionsweise bestimmt werden. Eine 
Produktionsweise, deren Existenz un- 
trennbar verbunden ist mit dem Mecha- 
nismen der Akkumulation/Reproduktion 
des Kapitals. Das sind Mechanismen, de- 
ren innere Widersprüche sich im tenden- 


ziellen Rückgang der Profitrate offenba- 
ren. wobei dieser tendenzielle Rückgang 
dazu führt, daß bezogen auf den absolu- 
ten Mehrwert ein zunehmender Anteil an 
relativem Mehrwert ausgepreßt wird. 
Diese zunehmende Bedeutung der Er- 
zeugung von relativen Mehrwert liegt 
wirtschaftlich gesehen den meisten Er- 
scheinungen zugrunde, die für die derzei- 
tige Phase der westlichen Gesellschaft als 
typisch beschrieben werden, das heißt al- 
len Formen, die von einigen mit dem Be- 
griff der "Konsumgesellschaft" bezeich- 
net werden (dieser Begriff ist natürlich 
irreführend, hat jedoch einen vertrauten 
Klang, den jeder versteht). Profitstreben 
bis in die allcrklcinstcn Handlungen des 
Alltags, eine völlige Dominanz des 
Tauschwertes gegenüber dem Ge- 
brauchswert. Produktion nicht nur von 
mehr oder weniger fctischisicrten Ge- 
brauchsgütem, sondern auch Erzeugung 
von Bedarf und sogar in einem gewissen 
Sinn von Bedarf an Bedarf. Rentabilisie- 
rung durch Verschwendung. Rcntabili- 
sicrung der gesamten menschlichen Akti- 
vitäten und damit auch aller Vergnügun- 
gen. Gefühle und alles dessen, was zur 
Psychologie und zum kulturellen Bereich 
gehört. Galoppierende Ausweitung der 
Entfremdung und Versachlichung. 

Und im Rahmen dieser Entwicklung der 
Entfremdung und der verstärkten Aus- 
pressung von relativem Mehrwert wird 
dem Staat eine ausführlichere Rolle ztl- 
gctcilt, als die die ein einfaches Instru- 
ment [spielen, Einf. d. Hg.] würde. Eine 
ausführlichere, zugleich auch unbe- 
stimmtere Rolle im Sinn einer allgemei- 
nen Fusion und Gliederung aller Funkti- 
on- und Führungsapparate des Kapita- 
lismus. das heißt des sozialen, wirtschaft- 
lichen. ideologischen, politischen und 
militärischen Komplexes, der dazu führt, 
daß das Kapital nicht nur eine einfache 
wirtschaftliche Kategorie, sondern nach 
der Formulierung von Marx eine soziale 
Beziehung ist. Die gegenseitige Durch- 
dringung von Kapital und Staat ent- 
spricht dann dem Sinn der historischen 
kapitalistischen Entwicklung, dies ent- 
spricht etwa dem was Mario Tronti (2) 
sagt: 

"Je mehr die kapitalistische Entwicklung 
voranschreitet, das heißt je mehr die Er- 
zeugung von relativem Mehrwert sich 
durchsetzt und überall ausbreitet, desto 
perfekter wird unausweichlich der Kreis- 
lauf Produktion-Veiteilung-Tausch-Kon- 
sum; das heißt, daß die Beziehung zwi- 
schen kapitalistischer Produktion und 
bourgeoiser Gesellschaft, zwischen Fa- 
brik und Gesellschaft, zwischen Gesell- 
schaft und Staat immer organischer wird. 
Auf der höchsten Ebene der kapitalistis- 
chen Entwicklung wird das soziale Ver- 
hältnis ein Moment der Produktionsvcr- 



33 


hältnissc, und die gesamte Gesellschaft 
wird zu einem Ausdruck der Produktion, 
das heißt, daß die gesamte Gesellschaft 
in Funktion der Fabrik lebt und die 
Fabrik ihre ausschließliche Herrschaft 
Uber die ganze Gesellschaft ausdehnt. 
Auf dieser Basis versucht die kapitalisti- 
sche Staatsmaschine sich zunehmend mit 
dem Bild des kollektiven Kapitalisten zu 
identifizieren; sie wird immer mehr ein 
Besitz der kapitalistischen Pro- 
duktionsweise und somit eine Funktion 
des Kapitalismus". 

Konkret geht das noch weiter als die 
Keynesianistische Funktion des 
bourgeoisen Staates über die Arten der 
Planung und die Intervention des Staates 
in der Wirtschaft; cs hängt zusammen 
mit dem Anwachsen des Anteils des Fi- 
nanzkapitals und somit auch mit den 
staatlichen transnationalen 

Wähningsmechanismcn, der zuneh- 
menden Rolle des Stcucrwcsens. mit dem 
Staat als Arbeitgeber im öffentlichen 
Bereich, der immer bedeutsamer wird, 
der Ausübung kapitalistischer Monopole 
direkt durch den Staat, dessen Rolle in 
der Ausbildung großer imperialistischer 
Monopole. Natürlich sind auch die 
Verhältnisse des Staates zu den Medien 
im gleichen Sinn zu betrachten, die zen- 
trale Rolle des Staates hei der 
Massenmanipulation nicht nur zum 
Schutz der kapitalistischen Ordnung, des 
sozialen Friedens und der Reproduktion 
suprastmktureller [d h.: Überbau-, Anm. 
d. Hg.) Institutionen, sondern auch als 
leitender Vektor der Bildung oder Aus- 
weitung sozial-ökonomischer und ideolo- 
gischer Räume, in denen (insbesondere 
durch die Bildung von künstlichen Be- 
dürfnissen) die Auspressung des Teils 
des indirekten Mehrwerts erfolgt, das 
heißt desjenigen, der nicht aus der ent- 
lohnten Produktionstätigkeit stammt. 

Ein weiteres wichtiges Phänomen dieser 
Entwicklung der Funktion des Staates ist 
natürlich seine Rolle bei der Regelung 
des Arbeitsmarkles, aber auch und vor al- 
lem bei der Einkommensverteilung. Man 
muß nämlich wissen, daß ein Viertel der 
Einkünfte der lohnabhängigen Erwerbs- 
tätigen aus dem "indirekten Lohn" be- 
steht. das heißt aus der Gesamtheit der 
staatlichen Sozialleistungcn. 

Folglich spielt der moderne bourgeoise 
Staat zunehmend die Rolle eines Kapita- 
listen, er strebt danach, sich immer mehr 
mit dem Kapital zu vermischen, eine 
Funktion des Kapitals zu sein. Man darf 
ihn also nicht mehr nur als einfaches 
bourgeoises Hcrrschaftsmittel ansehen. 
dessen Instrumentcharakter ihm eine Art 
defensiver Neutralität verleihen würde, 
aufgrund derer mar dieses Staatsinstru- 
ment gegen die Bourgeoisie cinsctzcn 
könnte, genauso wie eine Kanone neutral 


ist und genauso gegen die Bourgeoisie 
wie gegen das Proletariat eingesetzt wer- 
den kann. Der moderne Staat ist viel 
mehr als der ■‘Verwaltungsrat". den sich 
die Bourgeoisie zugelegt hatte, um ihre 
politischen Interessen zu verwalten. Er 
ist nicht mehr nur "kapitalistisch" durch 
die Tatsache, daß er dem Kapitalismus 
dient, sondern weil er selbst als Kapita- 
list funktioniert. Und als solchen müssen 
wir ihn angreifen, nicht als einfaches 
Hindernis, das sich der revolutionären 
Bewegung cntgcgcnstcllt und weil er re- 
pressiv ist, sondern weil er ein vollwerti- 
ger Partner des Klassenkampfs ist. Man 
muß ihn also genauso angreifen, wie man 
in der Fabrik die Arbeitgeberschaft an- 
greift, ohne ihn aber zwanghaft /.um 
symbolischen Ziel zu machen, was in ge- 
wissen Sinn den Kapitalismus personifi- 
zieren würde, während doch klar ist. daß 
wir das gesamte System und damit an der 
Basis die kapitalistische Produktionswei- 
se selbst historisch zerstören müssen. 
Und der Prozeß dieser Vernichtung läuft 
über den sofortigen Angriff gegen die 
Gesamtheit der Ausdrücke und die 
Funktion bourgeoiser Herrschaft. 

IV. Der revolutionäre Kampf und der 
Marxismus 

I. Der Marxismus-Leninismus, lebendige 
Methode, verwirft keine Form des Kamp- 
fes 

Welche Stellung hat der revolutionäre 
bewaffnete Kampf? Die erwägenswerte- 
sten kritischen Anmerkungen zu unseren 
Auffassungen von der revolutionären 
Strategie und Taktik stützen sich -oder 
behaupten sich zu stützen - auf die Refe- 
renz älterer strategischer Lösungen, wel- 
che die marxistische Methode in der Ge- 
schichte der Arbeiterbewegung hervorge- 
rufen hat. Wir stellen uns also in diesen 
Zusammenhang. Allerdings erheben wir 
weder den Anspruch, auf alles eine Ant- 
wort zu haben, noch, die Debatte abzu- 
schließen; es handelt sich hier nur darum, 
in aller Kürze einige Grundzüge vorzu- 
stellen, die man natürlich sehr viel aus- 
führlicher darstellen und vertiefen müßte. 
Zunächst einmal darf man nie vergessen, 
daß die großen Theoretiker des Marxis- 
mus Mechanismen und Funktionsweisen 
beschrieben haben, die nach wie vor ak- 
tuell sind, andererseits haben sic den hi- 
storischen und dialektischen Materialis- 
mus als Möglichkeit zum aktiven Ver- 
ständnis der objektiven Realität und der 
historischen Prozesse erarbeitet, welche 
sie erklären. Ferner haben sie politische 
Lösungen formuliert, die jedoch sicher- 
lich keine allumfassende Bedeutung ha- 
ben. Anders als beim historischen und 
dialektischen Materialismus entsprechen 
diese Lösungen nur der Anwendung der 


marxistischen Analysemethoden auf be- 
stimmte historische Zustände und können 
also nicht unverändert von einer Epoche 
auf die andere oder von einer nationalen 
Realität auf eine andere übertragen wer- 
den. Es liegt auf der Hand, daß Lösungs- 
vorschläge. die zur Zeit der industriellen 
"Revolution" gültig waren, nicht diesel- 
ben sind, wie die, welche in der Phase 
des Monopolkapitalismus anwendbar 
sind und weniger diejenigen, die in einer 
Zeit angewendet werden, wo der Impe- 
rialismus die hegemoniale Form der kapi- 
talistischen Produktionsweise ist. Der 
Marxismus-Leninismus widersetzt sich 
entschieden jedem Dogmatismus, jedem 
Automatismus der taktischen und strate- 
gischen Lösungen, er weist auf lebendige 
Methoden hin, um in jeder Epoche und 
in jeder Lage die entsprechenden Metho- 
den zu finden, ohne mechanisch eine 
Theorie anzuwenden, die sonst in ein 
Dogma verwandelt würde. Es ist übri- 
gens das. was Lenin selbst erklärt; 

"Das ist der Grund, warurii der Marxis- 
mus keine Form des Kampfes absolut ab- 
Ichnt. In keinem Fall will er sich auf die 
in einem bestimmten Augenblick vorhan- 
denen und möglichen Kampfformen be- 
schränken; er gesteht zu. daß eine Verän- 
derung der sozialen Konjunktur unaus- 
weichlich das Auftreten neuer Formen 
des Kampfes nach sich ziehen würde, die 
Militanten der jeweiligen Zeitspanne 
noch unbekannt sind (...) An zweiter 
Stelle fordert der Marxismus absolut, daß 
die Frage der Formen des Kampfes unter 
ihrem historischen Aspekt erwogen wird. 
Diese Frage außerhalb konkreter histori- 
scher Umstände zu stellen, bedeutet das 
ABC des dialektische Materialismus zu 
ignorieren. An verschiedenen Momenten 
der wirtschaftlichen Entwicklung treten, 
in Zusammenhang mit den verschiedenen 
Bedingungen der politischen Lage, der 
nationalen Kulturen, den Existenzbedin- 
gungen usw. unterschiedliche Kampf- 
formen in den Vordergrund, werden zu 
den wichtigsten und in der Folge ändern 
sich die sekundären, zusätzlichen Formen 
ebenfalls. Der Versteh mit ja oder nein 
zu antworten, wenn cs um die Einschät- 
zung eines bestimmten Kampfmittels 
geht, ohne ausführlich die konkreten 
Umstände der Bewegung und den er- 
reichten Entwicklungsstand zu prüfen, 
hieße, das marxistische Terrain vollstän- 
dig zu verlassen.“ 

Das bedeutet zumindest, daß der bewaff- 
nete Kampf als wichtigste Kampfform ei- 
ner revolutionären Strategie nicht von 
vornherein als im Widerspruch zur mar- 
xistischen Theorie ausgeschlossen wer- 
den kann. 

2. Der revolutionäre Terrorismus ist eine 
nützliche und notwendige Form des 



34 


Kampfes, der Teil unseres kommunisti- 
schen Erbes ist 

Dann stellt sich die Frage nach der Re- 
dcutung des Begriffs "Terrorismus". Die- 
ses Kon/cp! hat im Verlauf der Ge- 
schichte einen Bedeutungswandel durch- 
gemacht. Er wird von den Medien sehr 
pejorativ verwendet, anscheinend seit 
dem letzten Weltkrieg aufgrund der ne- 
gativen Verwendung dieses Begriffs 
durch die Nazi-Propagandisten. Vor die- 
ser Zeit enthielt dieses Won ein weniger 
deutliches Werturteil und Emotionalität, 
sondern bczeichnete einfach eine beson- 
dere Form des politischen Handelns: 
Gewaltsame Aktion, um diejenigen, ge 
gen die es gerichtet war. in Terror zu ver- 
setzen. Diese Bedeutung wird von den 
historischen Theoretikern des Marxismus 
benützt, die damit nur die Form bestimm- 
ter Aktionen ohne pejorative Nebenbe- 
deutung bezeichnen. Für sic unterschei- 
det sich Terror von Aktionen in Zusam- 
menhang mit einem Aufstand dadurch, 
daß er den gesamten revolutionären Pro- 
zeß begleiten kann, ohne wie der Auf- 
stand auf eine Endphasc beschränkt zu 
sein. Doch hat er damit nicht nur eine 
einfache punktuelle Bedeutung, und En- 
gels hob bereits eine strategische 
Funktion hervor 

"Um die Agonie der alten Gesellschaft 
und die blutigen Geburtswehen der 
Neuen abzukürzen, zu vereinfachen und 
zu konzentrieren, gibt es nur ein Mittel: 
den revolutionären Terror“. 

Das ist deutlich! Allerdings ist zuzuge- 
ben, daß dieses Zitat mit einer einschrän- 
kenden Bedeutung dargcstellt werden 
kann, daß heißt, daß der Terrorismus eine 
Art Hilfsmittel wäre, wenn auch sicher- 
lich strategischer und nicht nur taktischer 
Art, da er nach Engels eine allgemeine, 
historisch ausgedehnte Aktion ist. aber 
das doch vor allem zur Verschärfung der 
Widersprüche dienen würde, um den Zu- 
sammenstoß der Klassen zu radikalisic- 
ren und 711 beschleunigen, ohne daß da- 
mit dem Terrorismus eine Funktion auf 
der Ebene der eigentlichen politischen 
Entwicklung zugewiesen wäre (mit der 
Organisation verbunden usw.). In diesem 
Zitat erscheinen Terrorismus und Partei 
nicht deutlich verbunden, doch werden 
wir sehen, daß sie es sind, daß der Terro- 
rismus seinen Platz im Aufbau der Partei 
hat und daß der Terrorismus von der Par- 
tei gelenkt, organisiert werden muß. Der 
revolutionäre Terrorismus ist nicht eine 
Form des individuellen Kampfes, den 
man als unmittelbare Form des Wider 
Stands des Proletariats einfach spontan 
stattfinden lassen könnte. Die Avant- 
garde muß die Führung davon überneh- 
men. sagen Marx und Engels: 

"Weit davon entfernt, sich den angebli- 
chen Exzessen und Repressalien der 


Volkswut gegenüber gchaß:en Indivi- 
duen oder Gebäuden, mit deren sich ab- 
scheuliche Ereignisse verbinden, zu wi- 
dersetzen. muß man diese Repressalien 
nicht nur einfach dulden, sondern ihre 
Führung direkt übernehmen". 

Die Bolschewiken traten nachdrücklich 
für Terroraktionen ein. Lenin betont das 
ausreichend, man braucht sich nur seinen 
Text Uber den "Partisanenkrieg" oder die 
Sammlung von "Texte Uber die Jugend" 
anzusehen, wo er Jugendliche be- 
schimpft, die nicht genügend Bomben 
herstcllcn und sagt, cs sei richtig, die 
Verantwortlichen der Repression zu tö- 
ten. das Geld aus den Ranken zurückzu- 
holen wie es die Bolschewiken taten 
(siehe die berühmten Banküberfälle Sta- 
lins in Baku 1904...). 

Aber Vorsicht, wir können nicht die ak- 
tuelle Notwendigkeit des bewaffneten 
Kampfes erklären, indem wir Analysen 
vom Beginn des Jahrhunderts über die 
moderne Realität hervorbringen. Zumal 
für Lenin der Einsatz von Teror nur eine 
Kampffomt sein konnte, der Massenakti- 
on und der politischen nicht-militäri- 
schen Aktion der Partei untergeordnet 
war und dos, was wesentlich ist. mit dem 
einzigen Ziel, den Aufstand vorzuberei- 
ten. Dabei wurden zwei Ziele verfolgt, 
das erste besteht darin, die Massen mit 
der Taktik des Aufstands vertraut zu ma- 
chen: ' 

“Der Partisanenkrieg, der allgemeine Ter- 
ror. die sich seit Dezember in Rußland 
fast ohne Unterbrechung überall ausbrei- 
ten, werden unbestreitbar dazu beitragen, 
den Massen die richtige Taktik im Au- 
genblick des Aufstands beizubringen. 
Dieser durch die Massen ausgeübte Ter- 
ror muß von der Sozialdemokratie akzep- 
tiert und in ihre Taktik eingefdgt werden: 
sie muß ihn selbstverständlich organisie- 
ren und kontrollieren, um den Interessen 
und Erfordernissen der Arbeiterbewe- 
gung und des revolutionären Kampfes 
allgemein nntemrdnen". (Ixnin). 

Das zweite Ziel besteht darin, durch 
diese Taktik zur politischen und militäri- 
schen Formierung der Avantgarde 
(immer im Hinblick auf den Aufstand) 
beizutragen, wie es Lenin 1935 sagt, als 
er den Angriff eines Kommandos auf ein 
Gefängnis begrüßt: • 

"Hier werden die Vorkämpfer des be- 
waffneten Kampfes nicht nur verbal, 
sondern auch durch die Tat eins mit der 
Masse, sic setzen sich an die Spitze der 
Kampfabteilungen und -Gmppen des 
Proletariats, bilden durch das Feuer und 
Eisen des Bürgerkriegs Dutzende von 
Volksanführcm, die morgen, am Tag des 
Arbeiteraufstands, mit ihrer Erfahrung 
und ihrem Heldenmut Tausende und 
Zehntausende Arbeiter werden unterstüt- 
zen können." 


Man wird uns entgegcnhaltcn. daß durch 
diese letzten Zitate cincBcgriffsverschie- 
bunn des "Terrorismus" (die eine gewisse 
Pünktlichkeit der Aktion impliziert) zu 
dem des "Partisanenkriegs" erfolgt: Wir 
können also annchmcn. daß diese Diffe- 
renzierung den Begriff aufeinanderfol- 
gender Phasen in der organisatorischen 
Funktion und Nutzung der bewaffneten 
Kampfformen cinführt, einer Konzep- 
tion. die noch heute voll gerechtfertigt 
erscheint. 

Um klar und unbestreitbar die leninisti- 
sche Konzeption der bewaffneten Aktion 
zusammenzufassen, muß man Lenins 
Vorschläge beim Vereinigungskongreß 
der POS DR von 1906 lesen: 

"I. Die Partei muß zugestehen, daß be- 
waffnete Aktionen von zur Partei gehö- 
renden oder an ihrer Seile kämpfenden 
Kampfgruppen grundsätzlich zulässig 
und in der aktuellen Periode opportun 
sind; 

2. Die Art der bewaffneten Aktion muß 
der Aufgabe entsprechen, Führer für die 
Arbeitermassen in der Zeit des Aufstands 
auszubildcn und Erfahrung in der Durch- 
führung überraschender Offensivaktio- 
nen zu erwerben: 

3. Das wichtigste Nahziel dieser Aktio- 
nen muß die Zerstörung des Staats-, Po- 
lizei-, und Militärapparats sowie ein gna- 
denloser Kampf gegen die aktiven 
Schwarzen Hundertschaften(3) sein, wel- 
che Gewalt und Terror gegen die Be- 
völkerung einsetzen. 

4. Zuzulassen sind auch bewaffnete Ak- 
tionen. um in den Besitz von Finanzmit- 
teln des Feindes zu kommen, das heißt 
der autokratischcn Regierung, damit 
diese Gelder dem Aufstand zugute kom- 
men; dabei ist sorgfältig darauf zu ach- 
ten, daß die Interessen der Bevölkerung 
so wenig wie möglich beeinträchtigt 
werden: 

5. Bewaffnete Partisanenaktionen müs- 
sen unter Kontrolle der Partei so durch- 
geführt werden, daß die Kräfte des Prole- 
tariats nicht nutzlos vergeudet werden 
und daß gleichzeitig die Eigenschaften 
der Arbeiterbewegung in dem entspre- 
chenden Ort sowie die Einstellung der 
breiten Massen berücksichtigt werden." 
Man könnte die militärische Frage auch 
ausgehend vom Standpunkt des Blan- 
quismus. des Anarchismus, des guevari- 
schcn Föquismus, des Maoismus usw. 
betrachten; wenn wirdrs nicht tun. dann, 
weil die Kritiken, die an uns gerichtet 
sind, vorgeben, sich auf traditionelle 

marxistische Rezlige ab zu stützen, aber 
auch weil wir uns selbst auf einen ortho- 
doxen Marxismus beziehend), der den 
beachtlichen theoretischen und prakti- 
schen Beitrag von Lenin mit cinbc/icht. 
Außjrdcm weil uns naiürlich die mecha- 
nische Übernahme der von Lenin in sei- 



ncr Zeit erarbeiteten Lösungen völlig 
verfehlt erscheinen würde, obwohl sic 
die theoretisch gründlichsten und zu- 
sammenhängendsten sind, die man unse- 
rer eigenen Auffassung von der militäri- 
schen Frage im modernen revolutionären 
Prozeß entgegensetzen kann. 

3. Die leninistische Insurrektionstheorie 
ist eine historisch richtige, jedoch heute 
überholte Form 

Lenins Auffassungen zum bewaffneten 
Kampf sind sowohl auf der Ebene der 
theoretischen Grundsätze als auch hin- 
sichtlich der historischen Notwendigkei- 
ten einer bestimmten Epoche richtig. 
Nun hat sich aber die Epoche geändert, 
diese Konzeptionen bleiben grundsätz- 
lich richtig, sic müssen aber auf der 
Ebene der politischen Praxis neu formu- 
liert werden. Es gibt Phasen, die neu zu 
bestimmen sind, andere verschmelzen 
dadurch, daß sie überholt sind. Die Zeit 
bringt neue Erfordernisse mit sich. 

Die wesentliche Veränderung betrifft den 
Begriff des Aufstands, dessen Vorberei- 
tung wie wir gesehen haben, für Lenin 
die Formen des bewaffneten Kampfes 
rechtfertigte und bestimmte (doch selbst 
das könnte man den verschiedenen links- 
radikalen Sekten cntgegenhalten, die ob- 
jektiv gesehen nichts als Reformismus 
betreiben, indem sie abgesehen von ei- 
nem verbalen Radikalismus und einer 
überholten rituellen Phraseologie nicht 
den geringsten theoretischen und prakti- 
schen Unterschied gegenüber den Sozial- 
demokraten aufweisen, sich aber trotz- 
dem zweifellos in mystischer Weise auf 
Marx. Lenin oder Mao zu berufen wa- 
gen). Der Aufstand bleibt für alle, die 
sich als proletarische Revolutionäre be- 
greifen (und somit die Machtübernahme 
durch das Proletariat anstreben), auch 
wenn sie heute den bewaffneten Kampf 
ablehnen, strategisch ausgedrückt, das 
Hauptziel, das zu einem Umsturz der 
bourgeoisen Herrschaftsapparate führen 
soll. Sic können im übrigen diesen Auf- 
standsprozeß auf verschiedene Art und 
Weise sehen, doch es ist das Prinzip sel- 
ber des Aufstands, das uns als nicht mehr 
passend im modernen Westen erscheint, 
und deshalb spielt die Kritik eine wesent- 
liche Rolle in unserer Auffassung des be- 
waffneten Kampfes. Eine Darstellung des 
Inhalts dessen, was wir als die Leitlinien 
einer Strategie des bewaffneten revolu- 
tionären Kampfes sehen, wird somit die 
Kritik der Insurrektionstheorie einbezie- 
hen. 

Und wir hoffen durch diese wenigen Er- 
klärungen unseren lieben Kritikern be- 
greiflich zu machen, daß sic im Irrtum 
sind, wenn sie behaupten, daß für uns 
"die Folge der Vermehrung individueller 
Handlungen oder der kleinen Gruppen 


zur Revolution führt, weil dies die 
Massen "erwecken" würde! Das ist 
absurd. Wir haben niemals - weder 
theoretisch noch praktisch! da;; 
geringste mit dem Anarchismus oder 
irgendeiner Form kleinbürgerlichen 
Radikalismus zu tun gehabt. Im übrigen 
sind wir allmählich etwas verärgert 
darüber, daß immer alles in einen Topf 
geschmissen wird, Verwirrungen 
sorgfältig aufrecht erhalten werden und 
Kritiken an imaginären Standpunkten 
geübt werden. Wir fordern daher die 
ultralinken Grüppclnn aller Art sowie die 
verschiedenen Linksradikalen auf. sich 
mit ihrer Kritik an unsere genauen und 
konkreten Standpunkte zu halten und 
nicht an das. was sie sich als getreue Mit- 
läufer der Staatspropaganda oder als glü- 
hende Anhänger des radikalen Kretinis- 
mus auf eine absurde Art und Weise ein- 
bilden (oder einbilden wollen) was wir 
tun. sagen, denken. 

Andererseits muß man erstmal Begriffs- 
klarhcit schaffen, um diskutieren zu kön- 
nen. Zum Beispiel, das, was immer als 
■militärische Frage* bezeichnet wurde, 
ist nicht dasselbe wie die Frage des pro- 
letarischen Selbstschutzes. Man muß bei- 
des genau auseinanderhalten. Der Selbst- 
schutz der Arbeiter und des Volkes in 
den Kämpfen ist eia wichtiges Problem, 
für das eine Praxis des bewaffneten 
Kampfes bestimmt: Lösungen bringen 
kann, sicherlich aber nicht auf eine sy- 
stematische Art und nicht immer wün- 
schenswert. Der Selbstschutz ist wichtig 
für die Entwicklung der proletarischen 
Kämpfe und den Prozeß des Bewußtwer- 
dens. er ist ein Begriff, der nicht im Ge- 
gensatz zum bewaffneten Kampf steht, 
ihn aber auch nicht impliziert. Wenn wir 
hier vom bewaffneten Kampf sprechen, 
dann nicht im Rahmen der unmittelbaren 
taktischen Probleme der Massenbewe- 
gung (das ist eine Frage, die wir an ande- 
rer Stelle diskutieren können), sondern 
auf der Ebene des globalen revolutionä- 
ren Prozesses, das heißt im Rahmen einer 
historischen revolutionären Strategie. Die 
"militärische Frage* bezeichnet das all- 
gemeine Problem des militärischen Kräf- 
teverhältnisses zwischen den Kräften des 
Proletariats und den imperialistischen 
Kräften. Damit stellt sich die militärische 
Frage nach der Bildung von kämpfenden 
Kräften, nach der Art des Parteiaufbaus. 
der Zerstörung des bourgeoisen Staats- 
apparats. der Machtübernahme durch das 
Proletariats auf dem Weg zum Kommu- 
nismus. 

V. Der bewaffnete Kampf in der revolu- 
tionären Strategie 

I. Kritik der Theorie der friedlichen Auf- 
Standsvorbereitung 


Also, wie stellen wir uns diese Strategie 
vor? 

Um auf diese Frage zu antworten, müs- 
sen wir auf das Problem der leninisti- 
schen Auffassung der Strategie zurück- 
kommen. um zu sagen, worin wir «lie 
verschiedenen Linien dieser politischen 
Strömungen nicht teilen können, die sich 
als Wächter einer angeblichen marxisti- 
schen Orthodoxie. 'Fundamentalismus" 

oder "Evangelium" des Marxismus, je 
nach den Fällen, ausgeben, und die sich 
mit Hilfe von außergewöhnlichem Mut 
oder einer noch erstaunlicheren intellek- 
tuellen Verkalkung seit nunmehr 60 Jah- 
ren krampfhaft als die Partei oder künfti- 
ge Partei sehen und in der liturgischen 
Verzauberung der geheiligten Texte und 
gegenseitiger Exkommunizicning leben, 
ohne jemals auch aur eine Spur von 
Phantasie oder Realismus an den 'lag zu 
legen! Diesen Strömungen zufolge, wä- 
ren Methoden anzuwenden, die in halb 
feudalistischen lindem zu Beginn des 
Jahrhunderts mehr eder weniger Erfolg 
hatten. Und dies durch politischen 
Kampf, mit dem Versuch den Bewußt- 
seinsstand der Massen durch eine gedul- 
dige Agitations- und vor allem Propa- 
gandaarbeit, durch Erklärung und Erzie- 
hung zu heben, bis zu jenem strahlenden 
Morgen des großen Abends, wo den 
Massen dann nur noch Gewehre ausgc- 
tcilt werden müssen, um den Sturm auf 
die Paläste anzutreten. Es ist nicht ver- 
wunderlich. daß sich angesichts des ge- 
ringen Erfolgs dieser Strategie die mei- 
sten linksradikalen Strömungen gesagt 
haben, daß in der Verzweiflung der Lage 
cs noch vorzuzichcn war. am Arsch der 
Sozialdemokratie za kleben, um die 
wachsamen Kritiker zu sein oder um ei- 
nes Tages eine kleine Beteiligung an der 
Rcgicmngsmacht zu erlangen und sich 
dabei gleichzeitig, um den Schein zu 
wahren, zu sagen, man werde, dann die 
Sozialdemokratie "links" überholen (wie 
in Chile. Portugal usw. nehme ich an?) 
Zwei Probleme tauchen bei dieser Auf- 
fassung der Bcwußtscinserweckung und 
der Organisation der Massen allein durch 
die traditionelle politische Arbeit auf, 
und wir müssen unsere Strategie unter 
Berücksichtigung dieser Probleme 
konzipieren. Das erste Problem betrifft 
die Frage der Möglichkeit einer friedli- 
chen Vorbereitung zum Aufstand. Das 
zweite Problem ist die Möglichkeit des 
Aufstands selbst. Betrachten wir dies 
aufmerksamer. Ist eine friedliche Vorbe- 
reitung zum Aufstand möglich? Wenn 
wir darauf mit Nein antworten, wollten 
wir natürlich nicht sigen, daß die Kämp- 
fe zur Befriedigung der unmittelbaren 
Bedürfnisse der Massen sowie der nicht 
bewaffnete politisch: Kampf für die Pro- 
paganda und des Auftretens neuer Orga- 



36 


nisationsformen der Massen nutzlos 
seien, ganz im Gegenteil. Sie sind sogar 
erforderlich und es gehl hier mir um die 
Frage, welche Kampfform die Avant- 
garde heute annehmen muß. in der sich 
die kommunistische Strategie in ihrer 
zugespitzten und umfassendsten Form 
konzentrieren muß. 

Man muß bei der Betrachtung der objek- 
tiven Realität auf die außerordentlichen 
Fähigkeiten der heutigen Bourgeoisie zur 
Verwertung, Absorbierung und Unter- 
schlagung sehen Das hängt mit dem im 
Lauf der kapitalistischen Entwicklung 
auf allen Ebenen der Gesellschaft einge- 
tretenen Umwandlungen zusammen. Es 
gibt immer weniger Räume, die sich der 
Rationalität der kapitalistischen Produk- 
tionsweise entziehen können und das äu- 
ßert sich in verschärfter Entfremdung, 
allgemeiner Kontrolle durch Herrschafts- 
organc über alle Lebensbereiche. Die Ra- 
tionalität des sozial-ökonomischen Sy- 
stems selbst und seine Allmacht sind die 
Hauptursache für den ideologischen und 
psychologischen Zustand und umso mehr 
diese Rationalität ausgewertet wird, um- 
so schlechter ist der Zustand. Die Werk- 
zeuge der Manipulaiion. die Reprodukti- 
on der Ideologe, waren noch nie so 
mächtig, und sie sind auch immer wir- 
kungsvoller geworden. Früher spielten 
Kirche, Familie usw. eine Repressions- 
rolle ersten Grades, einfach durch direk- 
tes Verdrängen and Hemmen mit Hilfe 
von Tabus, während heutzutage das Sy- 
stem sehr viel komplexer ist und die psy- 
chologische Repression sich permanent 
jedem Fortschritt der kapitalistischen 
Entwicklung anpaßt, wobei das Verdrän- 
gen durch verschiedene Übertragungen 
erfolgt (man verzichtet auf seine Freiheit, 
doch Kredit läßt den Neuwagen als Ge- 
schenk erscheinen...). Und vor allem der 
Klassenkampf ist nach dem gleichen 
Prinzip auch eine Triebkraft für das Ka- 
pital, ein gewisses Niveau an Protest ist 
für das System notwendig und gehört zu 
seinem Betrieb. Und sei es nur um den 
Bedarf zu wecken, auf den das System 
durch massive und anarchische, ver- 
dummende Überinformation antwortet, 
die es braucht, um uns zu betäuben und 
uns seine Macht-Ideen einzuhämmem. 
Wie sollen wir nun durch Flugblätter, 
kleine Zeitungen. Sprühaktionen und 
Megaphone wirksam der Macht der staat- 
lichen und monopolistischen Massenme- 
dien Konkurrenz bieten, die vom Impe- 
rialismus weltweit verbreitet sind? Allein 
schon diese Feststellung begründet die 
Mutlosigkeit des Linksradikalismus, dem 
nur folgende Alternative bleibt: Integra- 
tion in der Unterwerfung oder Sterilität 
kleiner Abwehrinseln, die zusammcngc- 
sch weißt werden entweder durch versi- 
chernde Dogmatik oder durch einträchti- 


ges Nebeneinander, und die sich dadurch 
die Illusion geben Widerstand zu leisten, 
während sie doch nur den Versuch ma- 
chen, ein wenig abseits zu leben. Wir be- 
haupten dann, daß heute keinerlei Fort- 
schritt ohne eine Strategie des radikalen 
Bruchs in allen Bereichen möglich ist, 
wir sagen, daß es sich nicht um Selbst- 
schutz handelt, es gehl nicht darum. 
Gruppen zu bilden, um sich warm zu hal- 
ten, indem man sich mittels einer Grup- 
pensprache als anders bezeichnet als cs 
der Opprcssor wünschen würde, um eine 
Lebensweise, um eine Redensart, um ei- 
nen Wort streit, der übrigens semantisch 
immer gleich nhläuft. welche Gedanken- 
referenz es auch immer sein mag 
(freiheitlich, “alternativ", "marxistisch- 
leninistisch“, Zeugen Jehovas oder sogar 
"bewaffneter Kampf'...). Wenn es dabei 
um eine Art des Seins, und im gewissen 
Sinn um eine existentielle Militanz und 
nicht so sehr um eine Kampfstratcgie 
geht, mit der konkret eine Revolution, 
ein Machtwechscl hcrbcigcflhrt werden 
soll. Wir sagen, man muß mit der Ein- 
fachheit vorgekautcr Ideen und der 
Selbstbefriedigung Schluß machen, die 
sich aus einem bestimmten Protestgeba- 
ren ergeben (Filzpantoffeln unter den 
Cowbowstiefeln tragen!). Weder Opfer 
noch Komplizen, wir müssen die sein, 
die angreifen. 

Man kann heute nicht mehr annchmcn, 
daß durch einfache politische Überzeu- 
gungsarbeit der Bewußtseinsstand des 
Proletariats soweit gehoben werden kann, 
wie es für einen Aufstand notwendig wä- 
re. Man kann sich im übrigen fragen, ob 
das jemals denkbar war... 

Vergessen wir z.B. nicht, daß das vorre- 
volutionäre Rußland politisch-ideolo- 
gisch nicht mit unseren bourgeoisen De- 
mokratien vom Ende des 20. Jahrhun- 
derts vergleichbar war Beim Verteilen 
der Iskra riskierte man Sibirien, und bei 
Demonstrationen setzte man sich nicht 
den harmlosen Trünengasgranatcn aus. 
die hier zu dem Ruf Faschismus führen, 
sondern Sibelhiebcn. Das bedeutet, daß 
zu jeder Epoche, die gleichen Kampf- 
formen nicht dieselben Werte des Bruchs 
und der Subversion haben. Im schlimm- 
sten Fall war das Anbringen der Roten 
Fahne ln der zaristischen Epoche eine 
ebenso radikale Dissidenz wie heute das 
Legen einer kleinen Bombe. 

Außerdem darf man die Leute auch nicht 
für dumm halten, heute können die Pro- 
letarier nachdcnkcn, lesen, sie sind gut 
informiert und begreifen, daß dieses Sy- 
stem verrottet und schädlich ist, und 
wenn auch Aufklärungs- und Informati- 
onsarbeit rach wie vor notwendig ist, so 
muß sich unser politisches ued ideologi- 
sches Vorgehen anders äußern, andere 
Ziele haben. 


2. Ideologische Rolle des bewaffneten 
Kampfes 

Das System der Entfremdung erreicht nie 
gekannte Grade und das könnte hinsicht- 
lich der Möglichkeiten zur Befreiung 
pessimistisch stimmen. Das wäre ein 
Fehler, da die Unterdrückung sich zur 
gleichen Zeit entwickelt, wie sie die Mit- 
tel zu ihrer Bekämpfung und die Gründe 
zu ilrcm Verschwinden entwickelt. Ins- 
besondere geht die wirtschaftliche Ent- 
fremdung der Arbeit einher damit, daß 
dem Arbeiter seine Arbeit fremd wird, 
daß ihm keine Arbeit Befriedigung mehr 
schafft, daß er in ihr keine ethische oder 
schöpferische Tätigkeit sieht, deren 
Rechtfertigung im Allgemeinen kaum 
noch sichtbar ist. außer der einzigen Ra- 
tionalität, der Ausbeutung; ein Wandel, 
der den Bruch mit dieser Produktions- 
weise nur erleichtern kann. Das System 
reagiert auf diese neue Schwäche, die 
sich aus der einfachen Entwicklung des 
Kapitalismus ergibt, durch gesteigerte 
Repression, durch Schaffung von Ab- 
hängigkeit. Es wird also alles getan, um 
die Individuen voneinander zu isolieren, 
Klassenabgrenzungen mittels kultureller 
Beeinflussung, je nach Allersgruppen, 
Moden usw. zu verwischen und insbe- 
sondere durch massive Besetzung des ge- 
samten Alltags, bis zur Manipulation des 
Unterbcwußtscins, um ein Gefühl der 
Vernichtung, der Unterlegenheit und der 
Schwäche des Individuums zu bilden, 
daß sich machtlos und allein fühlt ange- 
sichts eines übermächtigen Systems, das 
ihm engumgrenzte Bezirke einrichtet, die 
aber nur das negative Abbild der Ma- 
schen in dem Übcrwa;hungsstrich und 
Steuerungsnetz sind. Abgegrenzte Be- 
zirke für die Lohnarbeit, für das Vergnü- 
gen. zum lernen, zum l«ben, wobei sich 
der Konsum ritualisiert und sich die Le- 
galität nicht zu sehr als großer Knüppel 
darstellt, sondern mehr als eine Vielzahl 
von Türen (Presse. Parteien, Versamm- 
lungsfreiheit. Streikrecht. Meinungsfrei- 
heit usw.), mit der Überschrift “zum pro- 
testieren - hier eintreien". die zum wei- 
chen Daunenbett der Bourgeoisie führen, 
das Schreie und Schläge erstickt. 

Auch wenn Schreie und Schläge sich 
nutzlos und verzweifelt in der weichen 
Matratze verlieren, die tatsächlich die be- 
ste Panzerung der bourgeoisen Diktatur 
ist, können wir doch durch Feuer und 
Schwert Risse hervorrufen, aus denen die 
dämpfenden Federn quellen werden, was 
zu einem Blutsturz der Demokratie füh- 
ren wird. Das bedeutet sicherlich eine 
Verringerung der "Freirüume" und der 
Grund“ freiheiten“, eine Radikalisierung 
der Repression, doch zugleich wird auch 
das Feindbild deutlicher, und die Wider- 
sprüche werden bis zum Zerreißen zuge- 
spitzt, die bourgeoise Diktatur wird ihres 



*7 


augcntäuschcndcn Schleiers beraubt und 
zeigt ihr wahres Gesicht, eine klare und 
direkte Entwicklung des Kampfes, Kraft 
steht gegen Kraft, Klasse gegen Klasse. 
Die Verteidiger des Kapitalismus können 
den bewaffneten Kampf verleumden, 
schlecht machen, die Partisanen als 
"Terroristen" bezeichnen, ihre eigenen 
Denkkategorien auf die Guerilla übertra- 
gen und in ihr das sehen, was sic selbst 
sind: Söldner, und somit versuchen, sie 
zu schwächen. Doch sic werden niemals 
die bewaffnete Opposition institutionali- 
sieren und auffangen können, während 
doch alle anderen Formen außer der des 
revolutionären Krieges von der Funkti- 
onsweise des Kapitalismus integriert 

werden können. Weil kein gesellschaftli- 
ches und damit staatliches Klassensystem 
Handlungen hinnehmen kann, die auf 
seine gewaltsame Zerstörung abzielen. 
Auf der Ebene dieser Phase, die früher, 
die einer nicht bewaffneten Vorbereitung 
war, zielt der bewaffnete Kampf allein 
auf einen echten Bruch des Konsens ab. 
Indem er die Dissidenz über die mögli- 
che Funktionsweise des Kapitals und des 
Staates hinaustreib:. Der Partisanenkrieg 
zeigt die Schwächen des für allmächtig 
gehaltenen Feindes, er zeigt, daß man 
kämpfen und siegen kann. Schon die ein- 
fache Tatsache, daß man zu Repressalien 
gegen den Feind in der Lage ist, spielt 
ideologisch gesehen eine außerordentli- 
che bedeutsame befreiende Rolle. Schon 
die geringste Erfahrung in militanter 
Massenarbeit zeigt das: die Leute sagen 
uns bei der Arbeit oder auf der Straße, 
daß sie die Nase-voll haben und daß sich 
alles vollständig ändern müßte, und wenn 
sich dabei auch jeder Einzelne unschwer 
bereit erklärt, revolutionär zu sein, so 
wird er doch hinzufügen, daß cs keinen 
Zweck habe sich zu engagieren. Gefah- 
ren auf sich zu nehmen, da niemand 
wirklich etwas tue und alle anderen 
Dummköpfe sind usw. Dann ist es poli- 
tisch und ideologisch von großer Bedeu- 
tung zu beweisen, daß der Klassenfeind 
nicht allmächtig bt und solidarisches 
Handeln der Bevölkerung möglich ist 
und daß man den Ausbeutern schmerz- 
hafte Schläge zufügen kann, daß Bullen 
und Justiz für ihre Morde und Übergriffe 
bezahlen müssen, daß die kolonialisti- 
schcn Söldner physisch für die Ermor- 
dung jedes Bruders in der Welt und den 
beherrschten Ländern geraubtes Kilo- 
gramm Reichtum büßen müssen, jeder 
Arbeitgeber psychisch und materiell 
darin gehindert werden kann, sich aut 
dem Rücken des Arbeiters zu bereichern, 
auf Kosten seiner Erschöpfung. Entfrem- 
dung, Verstümmelung, auf Kosten eines 
Lebens, das beschlagnahmt war durch 
die absurde Rationalität eines unmensch- 
lichen Systems. Außerdem sagen wir. 


daß bewaffneter Kampf zum Hoffnungs- 
träger werden kam. zum Funken der 
Würde, welche die Flamme der Freiheit 
entzündet. 

3. Der revolutionäre Kampf muß eng mit 
den Volksmassen verbunden sein 
Doch das ist nur die allgemeine politisch- 
ideologische Rolle des bewaffneten 
Kampfs, der global handelt als Beispiel 
für den Widerstand und den revolutionä- 
ren Angriff unter konkreter Veränderung 
des Kräfteverhältnisses und des Feind- 
bildes, welche andere menschliche Werte 
in Erscheinung treten läßt, als die, mit 
denen uns die alte Gesellschaft der Herr- 
schenden versteinert. Es gibt eine deutli- 
chere politisch-ideologische Rolle, die 
der Existenz des bewaffneten Kampfes 
innerhalb der Massen. Denn unsere übli- 
chen Kritiker werfen uns vor, wir stün- 
den außerhalb der Volksmassen und ge- 
nau dieses Bild zeichnet auch die reaktio- 
näre Propaganda. Daß bestimmte be- 
waffnete Gruppen heute völlig abseits 
stehen und auch nicht den geringsten po- 
litischen Bezug zu den Massen haben 
(höchstens, um gelegentlich in antire- 
pressives Elendsgejammer zu verfallen 
oder sich in den Gefängnissen mit der 
Kriminalität des Lumpenproletariats 
glcichzuschalten) steht fest. Andererseits 
ist es auch normal und unvermeidlich, 
daß die Militanten individuell gezwun- 
gen sind, völlig im Untergrund zu arbei- 
ten, um ihre Aktivisten korrekt fortset- 
zen zu können. Doch außerhalb des Vol- 
kes steht nur der. der das wünschL Es sei 
uns gestattet, durch ein kleines persönli- 
ches Beispiel diese Frage zu erklären: 
Bevor ich mich auf Grund der Ereignisse 
und bestimmter Notwendigkeiten, die 
sich aus unseren politischen Entschei- 
dungen ergaben, gezwungen sah. ganz 
zum Militanten zu werden, war ich ein 
Arbeiter wie jeder andere, Gewerk- 
schaftsmitglied (nicht aus Bewunderung 
Für die Gewerkschaft), sondern ganz ein- 
fach. weil die Gewerkschaft bestimmte 
militante Möglichkeiten bot und die fort- 
schrittlichsten Elemente ihr angehörten), 
wobei ich mein illegales Engagement ge- 
heim hielt und gleichzeitig ganz legal in 
der Agitation und Massenorganisation, 
der Information und Propaganda tätig 
war. Ende dieser persönlichen Zwi- 
schenbemerkung. Wir wollten nur sagen, 
daß der bewaffnete Kampf einem nicht 
zum Außenstehenden in Bezug auf die 
Massen macht, wenn man das nicht will 
(und wir wollten es eben nicht). Selbst- 
verständlich können bewaffnete Aktio- 
nen heute nur durch Untergrundstruktu- 
ren geführt werden), doch das bedeutet 
nicht, daß deswegen ihre Militanten oder 
ihre politischen Linien der breiten Masse 
fremd sind. Ebenso wie ein Flugblatt 


nicht von der breiten Masse formuliert 
und verteilt wird, sondern von ihren fort- 
schrittlichsten Elementen, und das glei- 
che gilt auch fUt den bewaffneten 
Kampf, insoweit er von den fortschritt- 
lichsten Elementen des Proletariats oder 
anderen Schichten des Volks geführt 
werden muß. und nicht von einer Art re- 
volutionärer Geheimagenten, die nicht in 
den Massen einbezogen sind. 

Solange ihre eigene Sicherheit cs ihnen 
erlaubt, müssen die Partisanen eine Le- 
bensweise erhalten, die den übrigen Pro- 
letariern konform ist Ihre Klassenidenti- 
tät nicht nur ideologisch und politisch, 
sondern auch ihre eigene soziale Stellung 
beibehaltcn. aktive, alltägliche, perma- 
nente Beziehungen *u den Volksmasscn 
unterhalten. Nicht nur durch die Anwen- 
dung einer historisch gesehen proletari- 
schen politischen Linie, sondern auch 
durch ihre Rolle als objektive Avant- 
garde im Alltagskampf des Proletariats. 
Insbesondere in den Kämpfen für die Be- 
friedigung der unmittelbaren Bedürfnisse 
der Massen. Und wenn diese soziale In- 
tegration für eine winzige Minderheit 
von Militanten aus Sicherheitsgründen 
oder aufgrund besonderer militanter 
Aufgaben nicht möglich ist. dann dürfen 
wir keine Außenseiter oder Rebellen 
sein, sondern Vollzeitmilitante. Berufs- 
revolutionäre und wenn auch das Wort 
einige Idealisten schockiert, Funktionäre 
ihrer Organisation. 

4 Eine proletarisch-politische Linie 
Das zweite Bindeglied zu den Massen ist 
natürlich die Verwirklichung einer prole- 
tarischen politischen Linie, die sich auf 
eine Klassenanalyse und einen Klassen- 
standpunkt stützt: das heißt einer Linie, 
die der geschichtlichen Funktion und 
dem geschichtlichen Werden des Prole- 
tariats als Klasse entspricht, die dazu 
aufgerufen ist, durch ihre Machtüber- 
nahme das Entstehen einer klassenlosen 
Gesellschaft zu ermöglichen. Die kom- 
munistische Linie. 

Die dritte Achse der Integration in die 
Volksmasscn ist die organisatorische Li- 
nie. Wir haben nie an kleine verstreute 
Elemente gcdacht(5). welche die Massen 
durch ihre Aktion aufwcckcn sollen, wie 
das die Anarchisten im vorigen Jahrhun- 
dert denken mochten. Für die Kommuni- 
sten geht es gegenüber den Massen 
darum, durch ihre politische Praxis das 
Proletariat aus einer Klasse an sich zu ei- 
ner Klasse für sich zu verschieben. Das 
heißt zur Klasscnncubildung eines Prole- 
tariats beizutragen, dessen Bedeutung 
immer weiter wächst (im Gegenteil zu 
dem, was manche behaupten), das aber 
stark aufgeteilt ist (unterschiedlicher Sta- 
tus innerhalb der Arbeiterklasse. Proleta- 
riat im Dicnstleistungsbereich usw.), um 



schließlich die Verwirklichung des Prole- 
tariats als Klasse zu beschleunigen, als 
dialektische Voraussetzung für dessen 
eigenes Verschwinden im Übergang zum 
Kommunismus. Das bedeutet Zugarg des 
Proletariats zum Klassenbewußtsein. 
Triiger. Ausdruck und Faktor des Klas- 
scnbcwußtscins ist dabei die politische 
Organisation des Proletariats als Partei. 

5. Der Auß/au der Partei 
Unsererseits denken wir. daß die Partei 
sich nicht selbst proklamieren kann, und 
die Partei als Voraussetzung für den re- 
volutionären Aufschwung zu schaffen 
bedeutet, den Pflug vor das Pferd zu stel- 
len. Die Partei ist der wichtigste politi- 
sche Ausdruck des Proletariats, sein zen- 
traler Ort. der Motor und die Verkörpe- 
rung des revolutionären Klassenbewußt- 
scins. Daher kann man annehmen, daß 
wenn man die Partei verteidigt, man das 
Proletariat verteidigt, aber wenn das 
letztgenannte nun in der Bewegung des 
Klassenkampfs noch nicht auf eine aus- 
reichende Ebene der Wiederzusammen- 
setzung, der politischen Identität und im 
gesamten sozialen Bereich als der größte 
objektive und subjektive Widersacher in 
Erscheinung getreten ist. dann riskiert die 
Entwicklung der Partei, sich - durch 
Kompromisse mit der Bourgeoisie in ih- 
rem parteipolitischen Spiel - auf den Ver- 
rat der Klassen zu orientieren. Oder aber 
es wird eine Verknöcherung um die 
"richtigen" Grundsätze und eine Linie, 
die zu ihrer Zeit richtig war. derer. An- 
wcndungsvcrsuchc aber auf die Wand- 
lungen der objektiven Realität stoßen. 
{ein treten, Einf. d. Hg.j. 

Wir können damit annehmen, daä die 
Partei die organisatorische Dynamik der 
objektiven Avantgarde des Proletariats 
zum Ausdruck bringt, daß sie aber aus- 
drücklich als gebildete Partei erst in Er- 
scheinung treten kann, wenn sic vom 
Proletariat auf diesen Weg in die Welt 
gesetzt wird, wobei sie dann die politi- 
sche, theoretische und militärische Zen- 
tralisierung des Proletariats in der Orga- 
nisierung der entwickelsten Elemente 
seiner Avantgarde ausdriiekt (die Partei 
ist weder eine Massenorganisation noch 
eine Gewerkschaft). Die Partei bildet 
sich als monolithischer Ausdruck der 
Reife des Proletariats im Zuge der poli- 
tisch-militärischen Konfrontation und 
folglich im Zuge des schrittweisen Auf- 
tretens der Notwendigkeit eines zentrali- 
sierten Instruments, das dem Proletariat 
als wichtigstes Instrument für die Macht- 
übernahme dienen kann. 

Die russischen Kommunisten haben sich 
nicht sofort in einer Organisation konsti- 
tuiert. welche der. Anspruch erhob, allein 
über die richtige Praxis zu verfügen und 
von vornherein als zentral zu gelten. Al- 


lerdings kennte dort die Partei als solche 
vielleicht frühzeitiger in Erscheinung tre- 
ten, insofern die proletarische Zentrali- 
sierung unniiliclbarcr vorhanden war: ei- 
ne kleine konzentrierte Arbeiterklasse, 
die Organisation der Avantgarde dieser 
proportional reduzierten Schicht konnte 
ganz legitim als Partei des Gesamtprole- 
tariats auftreten (dessen Setechten, von 
der Arbeiterklasse abgesehen, völlig he- 
terogen waren und damit kein: autonome 
politische Kapazität hatten, was heute 
nicht mehr der Fall ist). 

Doch sind wir weder Subjektivsten noch 
Mechanisten, wir denken auch nicht, daß 
die Partei durch spontane Zeugung oder 
schrittweise im Laufe der Entwicklung 
des Klassenkampfs entstehen wird, da 
eine Wechselwirkung zwischen dieser 
Entwicklung des Klassenkampfes und 
dem Vorgehen der Partei besteht. Damit 
es eine Partei gibt, muß der Wille dazu 
vorhanden sein, sie muß sich bilden, und 
diese Bildung muß einen bewußten po- 
litischen Willen und einer geduldigen 
Organisationsarbeit entsprechen. Alles 
hängt jedoch auch von den nationalen hi- 
storischen Bedingungen ab, das heißt, 
nicht nur von den objektiven sozialen 
Gegebenheiten, sondern auch von der ei- 
genen Geschichte, von jeder nationalen 
Arbeiterbewegung. In Spanien 7.B. wird 
die Geschichte gekennzeichnet durch ei- 
ne ununterbrochene Kontinuität der kom- 
munistischen Bewegung, nicht nur der 
organisierten kommunistischen Existenz 
innerhalb der Arbeiterklasse, sondern so- 
gar auf dem Niveau der kämpfenden 
kommunistischen Bewegung, da der be- 
waffnete kommunistische Kampf inner- 
halb des antifaschistischen Widerstands 
seit 1937 nie aufgehört hat. Aufgabe der 
modernen Kommunisten war somit die 
politische Wiedererrichtung der kommu- 
nistischen Partei und nicht ihre Schaf- 
fung aus dem Nichts, und diese histori- 
sche Aufgabe ist das Werk der 
(wiedererrichteten) Kommunistischen 
Partei Spaniens. Es liegt auf der Hand, 
daß das in der BRD nicht der Fall ist, wo 
die kommunistische Bewegung ganz neu 
ins Leben gerufen werden muß. da es 
keinerlei Kontinuität dieser Art gibt, weil 
die kommunistische Bewegung dort seit 
vor dem Krieg zerschlagen werden ist. 

In Frankreich ist die Lage ebenfalls an- 
ders (diese fundamentalen Unterschiede 
tragen übrigens mit dazu bei, daß der 
Aufbau einer einheitlichen revolutionä- 
ren Bewegung auf europäischem Boden 
Blödsinn ist. abgesehen davon, daß so- 
ziale. wirtschaftliche und kulturelle Un- 
terschiede selbst in dem imperialistisch 
immer stärker vereinheitlichten Europa 
wesentlich bleiben; zwischen London 
und Athen, Frankfurt und Neapel. Brüs- 
sel und Sevilla gibt cs ebenso viele Un- 


terschiede wie zwischen New York und 
Abidjan). Etwas vereinfacht läßt sich sa- 
gen. daß die Lage der Kontinuität der 
kummuiiistisclicii Bewegung in Frank- 
reich besser ist als in Westdeutschland, 
doch nicht so gut wie in Spanien: einer- 
seits aufgrund der Voraussetzungen, un- 
ter d:nen die FKP entstand, die von An- 
fang an große Schwächen halte, und an- 
dererseits weil die Kapazitäten des be- 
waffneten kommunistischen Kampfs, der 

im Rahmen des antifaschistischen Wi- 
derstands zur nationalen Befreiung auf- 
getaucht war. 1945 abgewürgt wurde und 
wir also 40 Jahre Zerstörung kommuni- 
stischer Bewegung in diesem Land vor- 
finden. Für uns muß cs somit in Frank- 
reich weniger um eine Wiedererrichtung 
als um einen erstmaligen Aufbau der 
kommunistischen Partei gehen. Das ist 
eine langfristige organisatorische Auf- 
gabe: nun sprechen wir von der Partei, 
wie wir sie weiter oben definiert hatten. 
Und diese Steigerungsflhigkeit des Auf- 
bau« der Partei verbietet natürlich nicht 
anzunchmcn, daß ein wichtiger Schritt 
auf diesem Wege der relativ kurzfristige 
Aufbau einer Partei wäre, einer revolu- 
tionären Partei mit folgenden drei Kenn- 
zeichen: Kommunistisch. Proletarisch. 
Kämpfend. 

6. Der bewaffnete Kampf als Praxis der 
Avantgarde beim Aufbau der Partei 
Wir stellen folglich den bewaffneten 
Kampf nicht als eine Gesamtheit von 
Grüppcheninitiativen dar. mit denen die 
Masse erweckt und Reaktionen ausgelöst 
werden sollen, wobei man abwartet, was 
geschieht. Der bewaffnete Kampf kann 
sich aber auch nicht darauf beschränken, 
den ‘bewaffneten Arm' der Massen zu 
bilden, wir lehnen diese Vorstellung völ- 
lig ab, die aus der Guerilla eine Art radi- 
kale Untergrundfrakticn der Gewerk- 
schaftsbewegung machen würde, wobei 
abgewartet würde, daß die Massen ein 
Bedürfnis äußern, um dann zu seiner Be- 
friedigung beizutragen usw. Wir verste- 
hen den bewaffneten Kampf weder als 
Ausdruck eines bewaffneten Arms der 
Massen noch als der bewaffnete Arm ei- 
ner rieht bewaffneten politischen Orga- 
nisation (wie das zwischen der proletari- 
schen Linken und dem neuen Volkswi- 
derstand der Fall sein könnte; dieses 
Konzept halten wir heute für falsch). 
Andererseits betonen wir nachdrücklich, 
daß der bewaffnete Kampf nicht eine 
Form des Kampfs unter anderen ist, nicht 
ein besonderes Hilfsmittel der Massen- 
kämpfe. Der bewaffnete Kampf läßt sich 
nur als kommunistisch und revolutionär 
bezeichnen, wenn er sich in die Konti- 
nuität der historischen Strategie der kom- 
munistischen Weltbewegung cinfügt. Er 
muß zum konkreten Ausdruck des Pro- 



zcsscs werden, bei dem die organisierte 
Avantgarde des Proletariats politisch in 
den Vordergrund tritt, eine Avantgarde, 
die der Oit ist, indem sieh das Klasscnbc- 
wußtsein des Proletariats katalysiert, was 
die historische Funktion der Partei ist. 
weshalb der revolutionäre bewaffnete 
Kampf ein wesentlicher und untrennbarer 
Bestandteil des Prozesses zum Aufbau 
der Partei ist. 

Konkret bedeutet dis unter anderem, daß 
der bewaffnete Kampf als politische Pra- 
xis, die durch eine wahre Strategie dik- 
tiert wird (die also unvereinbar ist mit 
Spontaneität und Subjektivismus) im 
Proletariat verankert sein muß und dort 
also höchster politischer und militäri- 
scher Ausdruck einer allgemeinen polni- 
schen Aktion, die zentral organisiert ist, 
funktionieren muß, das heißt also, daß 
die traditionellen Funktionen der Organi- 
sationen einbegriffen sein müssen, die 
sich auf die revolutionäre Bewegung be- 
rufen. ohne sich die Mittel zu geben, um 
wirklich revolutionär zu sein. Das bedeu- 
tet, daß um den bewaffneten Kampf 
herum (das heißt im selben Rahmen der 
organisierten Strategie wie der bewaff- 
nete Kampf und nicht speziell durch ihn) 
alle taktischen Formen der politischen 
Aktion, der Propaganda, Agitation. De- 
nunziation. Erklärung, Information, der 
Bildung und Entwicklung von Massen- 
organisationen ablaufen müssen. 

VI. Die politisch-militärische Frage 

I. Die Machtübernahme wird durch ei- 
nen langandauernden revolutionären 
Krieg möglich sein 

Nachdem wir uns mit dem Problem der 
Bewußtseinserwecktmg befaßt haben, 
ausgehend von der Kritik der Insurrckti- 
onstheorie, wollen wir diese Kritik foit- 
setzen. indem wir sie diesmal aus militä- 
rischer Sicht betrachten. Die politische 
Machtübernahme durch das Proletariat 
auf einem punktuellen und massiven 
Aufstand abstützen, ist heute unmöglich. 
Wir haben die polilischcn und ideologi- 
schen Gründe gesehen, die Gründe be- 
stehen ebenfalls aus militärischen Moti- 
ven. Niemals waren die Repressionsap- 
parate so mächtig und wirksam, niemals 
gab es ein solches Mißverhältnis zwi- 
schen den militärischen Möglichkeiten 
des Proletariats urd den militärischen 
Kräften der bourgeoisen Diktatur. Auf 
internationalem Niveau steht uns das Sy- 
stem der NATO gegenüber, die Koordi- 
nation der Polizeien, die Informaüsierung 
der Nachrichtendienste und damit der 
Aufschwung des internationalen Austau- 
sches. die wirkungsvollen Möglichkeiten 
des "europäischen Rechtsraums", die ak- 
tive Tendenz zur europäischen Standar- 
disierung der Bullen-, Justiz- und 


Knastapparate (mehr oder weniger) bis 
zu den militärischen Geräten. Selbstver- 
ständlich ist das alles von der Homoge- 
nisiemngstendenz unzertrennlich, die 
sich auf der sozial-ökonomischen und 
politischen Ebene, unter der Schirmherr- 
schaft der Sozialdemokratie, ergibt. 

Auf nationalem Niveau brauchen wir uns 
nicht lange bei der militärische Macht 
des Feindes aufzuhalten, wir werden in 
dieser Frage von den antirepressiven 
Heulsusen und sonstigen Demokraten 
(selbst wenn sic bewaffnet sind), die vom 
"großen Bruder" besessen sind, zur Ge- 
nüge mit Informationen bedient. Es 
reicht, das beträchtliche Anwachsen der 
Militär- und Polizeikräfte zu beschreiben, 
ihre wachsende technische und struktu- 
relle Fähigkeit zur Aufstandsbekämp- 
fung. das Überziehen des ganzen Landes 
mit einem engmaschigen polizeilichen 
Netz zur Überprüfung sowohl der Mas- 
sen als auch des Einzelnen, für das alle 
Errungenschaften aus Wissenschaft und 
Technik eingesetzt werden. 

Selbst in dem völlig unmöglichen Fall, 
daß die notwendige Planung und militäri- 
sche Vorbereitung des Aufstands der mi- 
litärischen Kontrolle des Feindes entge- 
hen würde und es damit auch seiner prä- 
ventiven Repression entgehen würde, 
hätten die Volksmajse auch nicht die ge- 
ringste Chance im heutigen Westeuropa 
erfolgreich die direkte Auseinanderset- 
zung zu übernehmen, was Formen des 
Stellungskriegs, die Errichtung befreiter 
Gebiete, die Besetzung städtischer Bal- 
lungszentren, die nicht nur punktuell wä- 
ren, voraussetzt. Heute kann eine zah- 
lenmäßig kleine, spezialisierte und pro- 
fessionelle Streitmacht, die mit moder- 
nem Gerät ausgerüstet ist, voll wirksam 
eine Offensive gegen einen Aufstand 
durchführen. Ferner ist die neue Dezen- 
tralisierung der Einsatzkommandos und 
ihre Fcmmcldcmittel zu berücksichtigen, 
was bedeutet, daß eine plötzliche Auf- 
standsoffensive nicht in der Lage wäre, 
das operative Funktionieren des Feindes 
zu lähmen, da die FJhrungs-, Femmcldc- 
. Logistik- und Kampfmittel nicht kon- 
zentriert sind, sondern auf sehr flexible 
Netze verteilt sind (die Frage läßt sich 
heute nicht mehr durch Einnahme einiger 
Kasernen und des Hauptpostamts lö- 
sen...). 

Hinzu kommt, daß wenn die Entwick- 
lungskrise des Imperialismus allzu kri- 
tisch andauem würde, ohne daß ein mo- 
mentaner Ausweg in einer militärischen 
Konfrontation zwischen den Blöcken ge- 
sucht würde, könnte der Bourgeoisie gar 
nichts besseres passieren als ein Prolcta- 
rieraufstand. weil es dann zu einer Neu- 
auflage der Vernichtung der Kommune 
von 1871. der Kommune von Shanghai, 
der Spartakistenbewegung usw. kommen 


könnte. Die Bewegung würde im Blut er- 
stickt werden, vor allem durch die neuen, 
leichten Artillcricsysteme. der Luft- 
k.iinpfiniltcl (vor allem Kampdiut»- 
schrauber). zweifellos auch mittels takti- 
scher Nuklcarwaffcn. deren konterinsur- 
rcktioncllcr Einsatz ausgesprochen reali- 
stisch erscheint, weil die materiellen 
Vernichtungen relativ begrenzt sind (was 
weniger spektakulär und moralisch ak- 
zeptabler ist), wobei die vielseitigen An 
Wendungsmöglichkeiten dieser takti- 
schen Nuklearsysteme sehr aussichts- 
reich erscheinen und ein großer Fort- 
schritt für die Militärwissenschaft sind. 
Diese Art militärischer Konfrontation 
hätte für die Bourgeoisie die Vorteile der 
klncciturhen inncrimpcrialistischen Krie 
gc: Brutale wirtschaftliche Erneuerung. 
Beseitigung der Überproduktion usw. 
Außerdem ließen sich damit einige Reste 
institutioneller Widersprüche der Bour- 
geoisie durch Einsetzung brutaler staatli- 
cher Strukturen beseitigen, es würde zu 
einer besseren Beherrschung der imperia- 
listischcn Umstrukturierungsbewegungen 
kommen, und ein gebrochenes Proletariat 
würde wieder erneut ein halbes Jahrhun- 
dert sozialen Friedens unter verstärkter 
Ausbeutung und Repression ergeben. 

Wir müssen uns also für einen langfristi- 
gen revolutionären Prozeß, einen langan- 
dauemden Revolulionskricg entscheiden, 
weil derzeit die Aussichten auf eine Re- 
volution ausgeschlossen sind, die sich 
auf einen friedlichen, parlamentarischen 
Übergang (diese Lösung ist so absurd, 
daß wir gar nicht darüber sprechen) oder 
einen friedlich vorzubercitenden plötzli- 
chen und massiven Aufstand abstützen 
würden. 

2. Die wichtigsten Kriterien in Verbin- 
dung mit der strategischen Entscheidung 
des bewaffneten Kampfs 
Als Zusammenstoß zwischen militärisch 
ungleichen starken Kräften muß der pro- 
letarische Befreiungskrieg als Hauptform 
die Guerilla haben, da der Partisanen- 
krieg das einzige militärische Mittel ist. 
das bei einer Konfrontation mit zahlen- 
mäßig und technisch überlegenen Kräf- 
ten erfolgreich sein kann. 

Ein solcher langandauemder Krieg wird 
innerhalb des Proletariats die Entwick- 
lung einer echten (und nicht selbst er- 
nannten) Avantgarde ermöglichen, die 
durch das Klasscnbcwußtscin bestimmt 
ist. Ein Klassenbewußtsein, das sich nur 
durch einen absoluten Einsatz im Klas- 
senkampf. und dies auf seinem höchsten 
Niveau, in seiner Gesamtheit erwerben 
und sich objektiv verwirklichen läßt. Der 
bewaffnete Kampf für den Kommunis- 
mus zielt auf diese kämpferische Ge- 
samtheit ab und will somit den Raum der 
absoluten antagonistischen Konfronta- 



40 


(ion als den Ort bezeichnen, wo das revo- 
lutionäre Klasscnbcwußtsein enisieht, in- 
sofern es vor allem eine Vollständigkeit 
ist. das vollständige Bewußtsein, am 
Gang der Geschichte als Klasse beteiligt 
/.u sein, deren Kampf um die Macht die 
Menschheit aus ihrer tierhaften verfrem- 
deten Vorgeschichte hcrausreißen wird. 
Die Partei ist zugleich Träger und Pro- 
dukt des Klassen bcwuütseins. da sie die 
Zentralität des Proletariats als Klasse 
zum Ausdruck bringen muß und die am 
weitesten fortgeschrittene Organisations- 
form des Proletariats ist. 

Folglich muß der bewaffnete kommunist- 
ische Kampf der höchste (weil der voll- 
ständigste) Ausdruck des Klassenbe- 
wußtseins sein, doch ist die Partei zu- 
gleich Träger und Produkt dieses Klas- 
scnbcwußtscins (genauso wie sic ihr or- 
ganisatorischer Ausdruck ist. während 
das Konzept des bewaffneten Kampfes 
sich mehr auf die Äußcrungsform als auf 
die Art der Kollektivierung des Bewußt- 
seins bezieht); der bewaffnete Kampf 
äußert sich daher gemäß einer Entwick- 
lung. welche die der Partei eigentümli- 
chen Funktion zunächst auftauchen läßt 
und dann ihre Verwirklichung anstrebt. 
In diesem Sinn ist der bewaffnete Kampf 
der Klassenkampf, der den Weg zum 
Aulbau der Partei beinhaltet. Das erfor- 
dert von der Guerilla einen klaren Kurs 
bei ihren Entwicklungsentscheidungen. 
Schauen wir uns das näher an: 

- Wir wollen den Kommunismus. Um 
dahin zu gelangen, muß das Prolüariat 
die Macht übernehmen und sie ungeteilt 
ausüben. Das ist heute angesichts <fcr Po- 
larisierung der Gesellschaft möglicher 
denn je. Sie hat aus dem Proletariat die 
überwiegende Mehrheit de» Bevölkerung 
gegenüber der Bourgeoisie gemacht, die 
sich zunehmend um die imperialistische 
Oligarchie schatt. selbst wenn die innere 
Zusammensetzuag des Proletariats he- 
terogen ist (allerdings darf man das auch 
wieder nicht übertreiben, da z.B. die Ar- 
beiterklasse immerhin sehr viel homoge- 
ner ist als früher). Das "Volk" hier und 
jetzt ist das Proletariat, nur die Proleta- 
rier. Und das Kleinbürgertum? Es liegt in 
jeder Hinsicht im Sterben und kann kei- 
nerlei revolutionäre Rolle mehr spielen, 
cs ist heute historisch völlig reaktionär, 
da seine objektiven Interessen, (die es 
übrigens in seinen politischen Äußerun- 
gen voll zum Ausdruck bringt) einmal 
eine Ablehnung der Vernichtung des Ka- 
pitalismus (daher immer heftigerer Anti- 
kommunismus des Kleinbürgertums ins- 
gesamt, selbst in seinen früher als 
"fortschrittlich" bezeichneten Schichten: 
die Linksintcllcktucllc z.B. sind de ho- 
hen Priester im Kampf gegen den Kom- 
munismus) und Widerstand gegen die 
imperialistische Entwicklung sind, was in 


beiden Füllen dem Sinn der Geschichte 
zuwidcrläuft und somit reaktionär ist. 
Folglich muß sich die Guerilla als 
Kampfform und Organisationstyp im 
Proletariat entwickeln und darf auf kei- 
nerlei Klassenbündnis beruhen. Dabei 
sehen wir das Proletariat nich: so wie be- 
stimmte Subjektivsten, die das Proleta- 
riat anhand von Bewußtseinskriterien 
oder Situationen im Abseits definieren, 
sondern wir verstehen es im marxistisch- 
en Sinn des Wortes und können hier, 
wenn wir sehr großzügig sind, nur dieje- 
nigen als Proletarier sehen, deren Ein- 
künfte weder direkt noch indirekt auf ei- 
ner Mchrvertauspressung stammen. Wir 
sprechen cabei nicht vom Proletarier als 
"soziale Figur" oder von etwa* das durch 
sozio-kuluircllc Kriterien definiert ist. 
sondern einzig und allein anhand seines 
objektiven Platzes in den Produktions- 
verhältnissen. 

Das bedeutet nicht, daß Außenseiter oder 
Kleinbürger, getrieben von ihrer Subjek- 
tivität oder ihrer intellektuellen Überle- 
gung sich nicht auf seiten der Guerilla 
cinsetzen können. Das soll nur heißen, 
daß die Arbeit der organisatorischen Ent- 
wicklung der kommunistischen Kämpfer 
sich ausschließlich im proletarischen Mi- 
lieu abspielen muß. daß die politische 
und militärische Leitung der Organisati- 
on streng von Proletariern gesichert wird 
(und nicht von Kleinbürgern bzw. sub- 
jektiven Proletariern). 

- Ein weiterer Wesenszug der Guerilla 
auf ihrem Weg zum Aufbau der Partei ist 
die Bildung einer Kadcrorgansation. Die 
den bewaffneten Kampf führende Orga- 
nisation hat absolut nichts mit einer Mas- 
senorganisation zu tun, cs handelt sich 
weder um eine bewaffnete Gewerkschaft 
noch um eine Art Dachvciband von 
Kampffronten, von sozialen Bewegungen 
oder bewaffneten Gruppen, die politisch 
autonom wären, es handelt sich auch 
nicht (folgt meinem Blick...) um ein Un- 
tergrundgrJppchen, das sich auf Bewe- 
gung Ausgeflippter, Lumpenproletarier 
oder orientierungslosen Kleinbürgern ab- 
siützt (welche die erste Gelegenheit nüt- 
zen, um zu bereuen und ganz aktiv mit 
den Bullen zusammenzuarbeiten; auch 
das ist eine Gemeinsamkeit zwischen be- 
stimmten derzeitigen Gruppen oder den 
Sozialrevolutionären bzw. anarchisti- 
schen Gruppen von früher, ven denen sie 
bis zum Sigel beeinflußt werden). Ganz 
im Gegenteil, die kämpfende kommunist- 
ische Organisation muß aus kommunisti- 
schen Kadrm zusammengesetzt sein, daß 
heißt aus erfahrenen Partisanen, die 
höchst politisiert sind, eine solide Erfah- 
rung in Massenagitation, Propaganda und 
Organisation haben und ausreichende po- 
litische unJ theoretische Fähigkeiten ha- 
ben, damit jeder Militante der aktive Er- 


zeuger der kollektiven politischen Linie 
sein kann. Jeder Kämpfer muß in der La- 
ge sein, die gesamte strategische Linie 
auf sich zu nehmen und er muß somit po- 
litisch und militärisch fähig sein, von 
sich aus und unter allen Umständen eine 
Organisationscinhcit ins Leben zu rufen 
oder neu zu errichten. 

- Um den revolutionären Prozeß wirklich 
zu beherrschen, und zu verhindern, daß 
die kämpfende kommunistische Organi- 
sation nur eine Art bewaffneter Arm der 
spontanen Massenbewegung ist (die 
durch Spontaneität nicht zur Revolution 
geführt werden, sondern zum 
"Geuerkschaftswesen” wie Lenin be- 
merkte) und sich diesem gegenüber folg- 
sam und opportunistisch verhält, müssen 
Arbeitsweise und Vorgehen der Organi- 
sation eine einheitliche Linie zum Aus- 
druck bringen, in der jeder Partisan sich 
voll identifizieren muß. Opportunismus 
und Bundnisse auf der Basis eines 
"kleinsten gemeinsamen Nenners“ sind 
abzubhnen. Es handelt sich somit nicht 
um eine Sammlungsbcucgung, in der je- 
der tut, was ihm paßt, wobei man sich 
auf einer politischen Basis befindet, die 
häufig in den letzten Jahren die Regel 
war und sich folgendermaßen zusam- 
menfassen läßt: "Man muß was tun, man 
muß sich organisieren, um mit den Kum- 
peln und netten Leuten, die handeln wol- 
len, Sachen gemeinsam zu tun" oder son- 
stige Absurditäten, die übrigens de facto 
völlig undemokratisch sind, da die Wei- 
gerung der politischen und organisatori- 
schen Strenge dazu führt, daß die tat- 
sächliche Leitung dieser Art von Konglo- 
merat von einer "Elite" monopolisiert 
wird, die aus denjenigen besteht, die auf- 
grund ihrer persönlichen Erfahrung oder 

ihres sozialen-beruflichen Status mehr 
politische und theoretische Fähigkeiten 
haben. Eine wirkliche kommunistisch 
Funkiionswcisc muß ganz im Gegenteil 
auf dem demokratischen Zentralismus 
betuben. auf einer präzisen, organisierten 
Struktur, so daß jeder wirklich und wirk- 
sam an der Ausarbeitung der politischen 
Linie teilnehmen kann, in einer organi- 
sierten kollektiven Betätigung, die sich 
eine zentrale politisch-militärische Füh- 
rung als Funktion gibt, welche die Kol- 
lektivierung und Vereinheitlichung der 
Synthese der politischen, militärischen, 
theoretischen und organisatorischen Pra- 
xis der verschiedenen Kampfeinheiten 
und jedes einzelnen Militanten gewähr- 
leistet. 

- Diese strukturierten und zentralisierten 
Aspekte einer Organisation, die auf diese 
Weise versucht, sich die Mittel zu geben, 
um objektiv an der objektiven Spitze des 
Klassenkampfs zu sein, führen dazu, daß 
die Organisation der kommenden Partei 
vorgreift, und auf diese Weise kann die 



41 


Partei sich im Verlauf des revolutionären 
Prozesses herausbilden. Dieses Konzept 
des "Vorgriffs" ist extrem wichtig, denn 
dank ihm lassen sich sowohl abcntcucrli 
che Übereiltheil als auch Verknöcherung 
vermeiden, ein Fcstfuhren aufgrund der 
Unfähigkeit, den Kampf von einer Phase 
in die nächste zu führen. Daher gibt sich 
der revolutionire bewaffnete Kampf 
keine endgültige Form, die bis zum End- 
sieg bcibchaltcn werden müßte. Er muß 
eine Reihe unterschiedlicher Phasen 
durchlaufen, die miteinander verknüpft 
sind und jeweils einer bestimmten Situa- 
tion des politischen und militärischen 
Kräfteverhältnisses entsprechen. Dabei 
ergibt sich die Verknüpfung zwischen 
zwei aufeinander folgenden Phasen gera- 
de dadurch, daß eine bestimmte Phase 
einer historisch gegebenen Situation ent- 
spricht, gleichzeitig aber auch auf die 
folgende Phase vorausgreifen muß und 
also die Tendenzen enthält, die sich 
durch ihre Entwicklung in der folgenden 
Phase voll durchsetzen werden, die dann 

ihrerseits wieder zum Teil auf die näch- 
ste folgende Phase vorausgreifen usw. 

3. Die Vorbereiiungsphase auf die Etap- 
pe der bewaffneten Propaganda 
Das bedeutet, daß wir uns in Frankreich 
in einer Vorphasc der Phase der bewaff- 
neten Propaganda befinden, die aus drei 
hinsichtlich ihrer Bedeutung aufeinan- 
derfolgenden Phasen bestehen muß, die 
jedoch chronologisch gesehen eine ge- 
wisse Gleichzeitigkeit haben sollen oder 
zumindest rasch aufeinander folgen: 

1. Am Vorrangigsten ist eine intensive 
theoretische Vorarbeit. Analyse der aktu- 
ellen Realität in all ihren Komporenten, 
und deren Neuintegration in eine histori- 
sche Perspektive und eine ausrechend 
konkrete und vollständig globale revolu- 
tionäre Strategie zu entwickeln, die dann 
in Verbindung der daraus folgenden Pra- 
xis sich als Zusammenhänge und totali- 
sicrcnde politische Linie äußert, welche 
die politische Kontinuität und die poli- 
tisch-militärische sowie die organisatori- 
sche Entwicklung weiterftlhrt. 

2. Eine politische Einigungsarbeil um die 
eben genannte politisch-theoretische Ba- 
sis. Das muß sich in einem Ansatz zur 
Strukturierung der revolutionären Orga- 
nisation äußern, die bereits zu diesem 
Zeitpunkt folgende Eigenschaften auf- 
weisen muß: eine strukturierte Organisa- 
tion (anhand der Erfahrungen, die wir 
aus den traditionellen Organisationsfor- 
men der Arbeiterbewegung und aus den 
verschiedenen und gegenwärtigen Erfah- 
rungen der revolutionären Guerilla zie- 
hen), strategisch zentralisiert, kommuni- 
stisch. im Untergrund und bewaffnet, an- 
tiimperialistisch und damit internationa- 
listisch (was aber keinerlei Fusion mit 


Organisationen bedeutet, die aus anderen 
nationalen Realitäten herkommen. denn 
das wäre erst in einem sehr hohen und 
damit späteren Fjitwicklungsstadium 
denkbar), proletarisch durch ihre Zu- 
sammensetzung und ihre Klassenstcl- 
lung. Sic muß das Politisch mit dem Mi- 
litärischen unter einheitlicher Führung 
verbinden, was bereits ein Ansatz zur 
"kämpfenden Partei" ist. von der Lenin 
als Orgarisationsform der Avantgarde 
während der Insurrektionspehode sprach: 
das politische darf dabei dem militäri- 
schen nicht untergeordnet sein, anderer- 
seits darf das militärische auch nicht ein- 
fach ein 'bewaffneter Arm" des politi- 
schen sein, da beim heutigen Stand der 
imperialistischen Integration die militäri- 
sche Frage vor allem eine politische ist 
und die politische Frage sich ohne Ein- 
beziehung der militärischen Frage weder 
lösen noch stellen läßt. Das Politische 
und das Militärische sind untrennbar, 
und im modernen proletarischen Befrei- 
ungskampf wird die Partei ebenfalls der 
zentrale Kern der Roten Armee sein. 

Die Mittel dieser Praxis der politischen 
Bildung und Vereinheitlichung sind der 
politische Kampf innerhalb der revolutio- 
nären Bewegung. Bckehrungscifer, die 
Ausbildung von Kadern, Massenagitation 
und -Propaganda in all ihren Formen und 
in allen Bereichen, die wahre Einsätze 
des Klassenkampfs bilden(6). 

3. Eine militärische Praxis, welche darauf 
abziclt. der Organisation die Mittel zur 
Durchsetzung ihrer Politik und ihrer wei- 
teren politisch-militärischen Entwicklung 
in der Guerilla zu geben. Diese Praxis 
des bewaffneten Kampfs erfüllt damit 
drei Funktionen: ideologisch und poli- 
tisch. logistisch organisatorisch. Die Be- 
deutung (kr militärischen Aktion in der 
derzeitigen Phase ist nicht sofort erheb- 
lich und kann keine “strategische" Trag- 
weite im politischen und ideologischen 
(und natürlich noch weniger im militäri- 
schen) Sinne haben; sic nicht auf abstrak- 
ten Analysen wie gcopolitischen Überle- 
gungen oder anderer völlig abstrakten 
Konzeptionen beruhen zu lassen, wie die 
"Umstrukturicning-zur-Kriegjvorberei- 
tung-zu-bekämpfen". unter denen sich 
niemand etwas vorstellen kann. Man 
muß entschlossen konkret, direkt leser- 
lich sein; ein richtiges politisches Vorge- 
hen das keinen Kommentar und Erklä- 
rung braucht. 

Die Bedeutung dieser Praxis liegt beson- 
ders in der Vorbereitung der wirklichen, 
offenen Phase bewaffneter Propaganda, 
das heißt; indem schon einige Aspekte 
aufgezeigt werden, jedoch relativ ver- 
streut und gemäß der flexibelsten Aus- 
drucksformen. 


4. Die Phase der bewaffneten Propa- 
ganda 

Diese von uns gerade genannte Phase 
muß »ich konkrete politische und organi- 
satorische Ziele vornehmen, welche 
kurzfristig erreichbar sind, da es sich um 
eine kurze Periode handelt. Dagegen ist 
es schwer, im voraus den zeitlichen 
Rahmen der eigentlichen Phase der be- 
waffneten Propaganda zu bestimmen, da 
ihre Resultate anders als in der ersten 
Phase nicht von uns abliängen. Die Etap- 
pe der bewaffneten Propaganda muß alle 
Aufgaben der vorhergehenden Periode 
fortführen, zu denen sich eine Umwand- 
lungsaktion der Realität des Landes hin- 
zufügt. indem sic als errichtete politische 
Kraft cinschreitet. Die Phase der bewaff- 
neten Propaganda ist durch folgende 
Aspekte gekennzeichnet, die mehr auf 
eine Entwicklung als auf eine direkte 
Übernahme des Kräfteverhältnisses ab- 
zielen: 

- Die revolutionären kommunistischen 
Ideen müssen, mit den Guerillaaktionen 
als Stütze, so breit wie möglich verbreitet 
werden; diese Aktionen spielen dabei ei- 
ne medienpolilische Rolle: mag für die 
Bourgeoisie womöglich das Fernsehen 
das schlagkräftigste Mcdicninstrument 
sein, nur gut. für uns ist es die bewaff- 
nete Aktion, deren Wirksamkeit im übri- 
gen durch die Medien des Feindes ver- 
stärkt wird. Es geht nicht um Aktionen, 
welche von der Mehrheit der Massen be- 
geistert aufgegriffen werden, denn wenn 
das möglich wäre, dann würde das be- 
deuten. daß das Klassenbewußtsein des 
Proletariats soweit entwickelt ist. daß die 
Revolution bereits seit langem hätte statt- 
finden müssen; nein, cs geht einfach 
darum, daß die Aktionen richtig sind 
(nicht richtig an sich, das will nichts be- 
sagen. sondern richtig in Funktion ihrer 
politischen Wirksamkeit), wobei die 
Ziele so selektiv sein müssen, daß sich 
die Mehrheit der Bevölkerung nicht an- 
gegriffen fühlen kann. Die bewaffneten 
Aktionen müssen in den proletarischen 
Schichten Zustimmung finden, bei denen 
wir die stärksten revolutionären Poten- 
tiale erkannt haben. Das wiederum hängt 
mit der unumgänglichen notwendigen 
Klassenanalyse zusammen, denn bei je- 
der bewaffneten Aktion muß man ebenso 
wie bei jeder schriftlichen oder mündli- 
chen Äußerung, von der Bombe bis zum 
einfachen Flugblatt obligatorisch, sehr 
präzise fcsllcgcn, an wen man sich rich- 
tet; Aktionen der revolutionären Praxis 
brauchen sich nicht darum zu kümmern, 
ob sie moralisch an und für sich richtig 
sind (und wäre es eine "revolutionäre" 
Moral) noch um die großen abstrakten 
Analysen, sondern sie müssen völlig be- 
stimmt sein durch eine straffe Dialektik, 
in der die Klasse oder Klassenschicht 



42 


oder sogar diese oder jene Gesellschafts- 
oder Berufsgruppc oder sozial-kulturelle 
Gemeinschaft bestimmt ist, auf die sich 
die fragliche Aktion abstützt und an die 
sie sich wendet. 

Ausschlagebend für die Wahl und das 
Niveau der Aktion ist jedoch nicht, ob 
sie "den Massen Spaß macht". Die Aktio- 
nen müssen nämlich immer oberhalb 
dessen angcsicdrlt sein, was von der 
Mehrheit voll gebilligt werden könnte, 
allerdings ohne politisches Abcnteuer- 
tum, also ganz genau an der Grenze, jen- 
seits der die Aktion von seiten der Prole- 
tarier mißbilligt werden würde 
(angesichts der derzeitigen Herrschaft der 
Bourgeoisie). Indem sic also ständig 
diese Akzeptanzstufc der proletarischen 
Mehrheit streifen, führt die Vervielfa- 
chung der Aktionen dazu, daß die breiten 
Massen sich daran gewöhnen, die be- 
waffnete Aktion als eine politisch legiti- 
me. normale und natürliche Form des po- 
litischen Kampfes anzusehen. Der be- 
waffnete Kampf erlangt dadurch die Le- 
gitimität und Ernsthaftigkeit, die das po- 
litische. ideologische und militärische 
Engagement einer wachsenden Zahl von 
Proletariern begünstigt. Wenn wir in den 
letzten Sätzen jedesmal ausdrücklich von 
"Proletariern“ sprechen, dann weil es uns 
einzig und allein um das Proletariat geht. 
Wir messen dem hysterischen 
"Antitenorismus'-Gcschrei. dem Seuf- 
zen und Gekreische der Linksradikalcn 
und der Demokraten, das heißt all der 
verängstigten Kleinbürger, die sich der 
Entwicklung des revolutionären bewaff- 
neten Kampfs widersetzen, nicht die all- 
erklcinstc Bedeutung bei, weil dieser sie 
nicht mehr ruhig ihre Existenzängste und 
Ihre müßigen Diskussionen genießen 
läßt. Der bewaffnete Kampf stört die be- 
rufsmäßigen Jammerfritzen, die in einem 
abstoßenden Sadomasochismus gegen 
die "Repression" gefallen finden ur.d die 
furchten, von der gegen den revolutionä- 
ren Kampf gerichteten Repression eben- 
falls betroffen zu werden, was uns völlig 
egal ist. ganz im Gegenteil, wenn sie 
durch den Gegsnschlag der legitimen 
Repressionsaktionen zum Selbstschutz 
der Bourgeoisie gegen die proletarischen 
und revolutionären Angriffe zu leiden 
haben: eine wahre Erlösung! 

Gegen die großen und kleinen Wächter 
der bourgeoisen Moral, die jahrhunderte- 
lang als Rechtfertigung für Sklaventum, 
Massenmord, Repression und Entfrem- 
dung schlimmster Art diente, werden wir 
die Wahrheit sagen, weil man sagen 
muß, wie es ist, um es verändern zu kön- 
nen. wir werden es durch unsere Politik, 
durch unsere Aktionen sagen: Nein, nicht 
alle Menschen and Brüder, Mensch ist 
nicht gleich Mensch, ein Toter hat nicht 
dasselbe Gewicht wie ein anderer. Es ist 


richtig, auf weißen Terror mit rotem Ter- 
ror zu antworten. Und wenn das den 
Kleinbürgern mißfallt, dann wird es der- 
selbe Preis sein, denn wenn dcsc Klasse 
behauptet, sich nach moralischen Werten 
eines humanistischen, idealistischen und 
erstarrten Bewußtseins zu richten, so 
kämpfen de Proletarier nicht, um sich 
mit einem innewohnenden Bewußtsein 
voll zu füllen, sondern für ihr Leben, so- 
wohl für ihren Alltag als auch für ihr hi- 
storisches Werden, ihr Leben das be- 
schlagnahmt, niedergewalzt und entfrem- 
det ist. Die philosophische Nuance ist er- 
heblich. auf Seiten der Bourgeoisie gibt 
cs ein vollendetes, ausgcbildctcs Be- 
wußtsein und es geht darum, die objek- 
tive Realitit mit den moralischen Weiten 
dieses Bewußtseins in Übereinstimmung 
zu halten, während es auf Seiten der Pro- 
letarier weder eine vollendete Moral 
noch ein vollendetes Bewußtsein gibt, 
sondern nur ein wesentliches Vorrücken 
eines Bewußtseins durch die Umwand- 
lung der objektiven Realität, eine Dyna- 
mik die das Auftreten von neuen Werten 
mit einbe zieht. Auf der einen Seite also 
der Anspnich auf eine Immanenz der 
Tatsachen und Werte, auf der anderen 
Seite, unserer Seite, bewußte Unterwer- 
fung an eine Transzendenz, unter ande- 
rem die Transzendenz der Geschichte, 
die den Gang der Welt durchläuft. Radi- 
kaler Unterschied. 

Daher braucht die kommunistische Partei 
keinerlei Demagogie einzusetzen, man 
braucht sich nicht "beliebt” zu machen 
und die Frage, ob revolutionäre Aktionen 
auf Zustimmung oder Ablehnung stoßen, 
stellt sich nur in einer historischen, stra- 
tegischen Perspektive und vor allem in 
einem Klassensinn, das licißl ausschließ- 
lich in Funktion der bestimmten sozialen 
Schichten, an denen sich die revolutio- 
näre Politik richtet und nicht in Funktion 
der "Leute" im allgemeinen (dieser Be- 
griff ist bedeutungslos, auEer für die 
Subjektivisten. die "Gesellschaft” und 
“Staat“ gcgcnüberstellen). Der bewaff- 
nete Kampf kämpft gegen das Aufgeben, 
die Entmutigung und die Passivität, in- 
dem er zeigt, daß es eine wirkliche Op- 
positionspolitik, eine Praxis des realen 
Bruchs geben kann, daß die Furcht das 
Lager wechseln kann, die Straflosigkeit 
und Permanenz der Ausbeuter und Un- 
terdrücker nichts Endgültiges sind, das 
auch für die Unterdrückten Angriff mög- 
lich ist. Dabei versucht der bewaffnete 
Kampf das mitzutcilcn, was wirklich eine 
neue Mentalität sein muß: "Wagt es zu 
kämpfen, wagt es zu siegen!", was der 
Funktion efer Bewußtseinsbildung des be- 
waffneten Kampfs an sich entspricht. 

5. Die Frage der Organisation im be- 
waffneten Kampf 


- Diese Funktion der bewaffneten Propa- 
ganda muß zusammen mit den anderen 
vielfältigen Formen der politischen Akti- 
on (insbesondere Massenarbeit) während 
dieser Phase organisatorische Ausdrucks- 
formen finden. Es genügt nicht, Aktionen 
durchzuführen. auch wenn sie strategisch 
miteinander verbunden sind, sondern die- 
se müssen unter allen Umständen inner- 
halb des Proletariats eine Kontinuität ha- 
ben. Zu dieser Hauptbeschäftigung sto- 
ßen wir auf die Frage der Sympathisan- 
ten, ein sehr verworrener Begriff, der je- 
den politischen wie militärischen Oppor- 
tunismus erlaubt (wie uns die beklagens- 
werte Schwäche und Isolierung gegen- 
über der Repression derjenigen zeigt, die 
sich nicht scheuen, sich in ihrer bewaff- 
neter Praxis auf unpolitische Individuen, 
Straftäter, ausgeflippte Kleinbürger und 
Anarchisten abzustützen, und sich selber 
als "Kommunisten" bezeichnen usw.; es 
wäre zum Lachen, wenn die menschli- 
chen und ideologischen Schwächen nicht 
so schwerwiegend wären). 

Wir denken, daß die Abschottung der 
Strukturen absolut sein muß, das die Par- 
tisane ihre politische Zugehörigkeit völ- 
lig geheim hallen müssen und daß die 
Organisation völlig hermetisch sein muß. 
Was versteht man nun demgegenüber un- 
ter Sympathisanten? Wenn wir uns das 
Beispiel von bestimmten Gruppen anse- 
hen. dann konnte man denken, daß es 
"Sympathisanten der Guerilla" gibt. 
Leute, die mit Formen des bewaffneten 
Kampfs sympathisieren, wozu jede ideo- 
logische Welle ausreicht, und die Rolle 
der "Militanten" wäre dann, diesen soge- 
nannten Sympathisanten die Soße zu lie- 
fern. mit der alles umhüllt wird, das heißt 
eine ritualisierte, konfuse, mechanisierte 
Phraseologie, zusammengesetzt aus idio- 
tischen Wortneuschöpfungen (in Frank- 
reich geschieht das vor allem, indem man 
nach einigen Phrasen von achtundsechzig 
greift, die an einem unverständlichen Sa- 
lat von italienischen und deutschen Wör- 
tern umformiert werden, was einem Den- 
ken von verzweifelnder Armseligkeit ei- 
nen 'seriösen" Anstrich gibt). Das Resul- 
tat ist, daß wir in diesen Gruppen gänz- 
lich unpolitische Ausgeflippte, Bullen, 
Spitzel, Humanisten, die existentiell auf 
Abwege geraten sind, sehen, die an be- 
waffneten Aktionen teilnehmcn, bewaff- 
nete Raubübcrfällc durchführen, sich um 
Logistik kümmern, Verantwortlichkeit 
und andere Ungereimtheiten überneh- 
men. Wir unsererseits erklären, daß eine 
wirklich kommunistische Organisation 
keine aktiven Sympathisanten haben 
kann, die man als "Sympathisanten des 
bewaffneten Kampfes" bezeichnen könn- 
te. Der bewaffnete Kampf muß dem 
höchsten Niveau des Engagements ent- 
sprechen, dieser kann sich nur auf einem 



43 


hohen Stand des politischen Bewußtseins 
abstützen, an ideologischer Festigkeit, 
theoretischer Ausbildung und militanter 
Erfahrung. Ansonsten laßt der Wunsch 
sich als Kämpfer oder aktiver Sympathi- 
sant zu engagieren, nur ein militaristi- 
sches, abenteuerluftiges, im besten Fall 
manipulierbares Individuum erkennen. 
Für Militaristen und Abenteurer darf es 
aber keinen Platz in einer kommunisti- 
schen Organisation geben. Ganz anders 
stellt sich die Frage für Personen, die 
sich wirklich im Volk eingefügt haben, 
die kämpferisch sind, sozial und psycho- 
logisch klar sind und die den kämpfen- 
den kommunistischen Ideen in der Ganz- 
heit ihres politischen Bewußtseins und 
nicht nur in Teilaspekten nahestehen. Es 
ist besser, sich auf aufrichtige und solide 
Kommunisten abzustützen, statt auf 
Leute, die den bewaffneten Kampf billi- 
gen. ihn unterstützen wollen, aber keine 
kommunistischen Militanten sind. Das 
muß man begreifen, um die notwendige 
Ausbildung politischer Kader, Führer 
und vermittelnde Kader der Guerilla und 
der Massenbewegung absichem zu kön- 
nen. Die Existenz von Masscnkadcm, die 
nicht in der Guerilla aufgehen, ist eine 
absolute Notwendigkeit in jeder histori- 
schen Situation und überall in der Welt. 
Sie ist eine unausweichliche Vorausset- 
zung nicht nur für die qualitative und 
quantitative Entwicklung der revolutio- 
nären Kräfte, sondern auch für das einfa- 
che Überleben der Guerilla angesichts 
der feindlichen Gegenangriffe, indem sic 
einen ständigen Wiederaulbau der Struk- 
turen ermöglicht, wenn diese während 
dem Zusammenstoä Einbußen erleiden. 
Der militärische Gcgcnschlag der Bour- 
geoisie drängt die ursprünglichen Struk- 
turen in eine völlig unproduktive Defen- 
sive und verwandelt den revolutionären 
Kampf in einen einfachen Kampf zwi- 
schen einer Gruppe bewaffneter Rebellen 
und dem Staat (eine Lage, die angesichts 
des ungleichen Kräfteverhältnisses kaum 
länger zugunsten der Guerilla andauem 
kann), falls es nicht innerhalb der Volks- 
massen Partisanen gibt, die die politi- 
schen Fähigkeiten haben, in ihrem Be- 
reich die quantitative Entwicklung fort- 
zusetzen, ständig die vernichteten 
Kampfeinheiten wieder aufzubauen und 
mit der Ausarbeitung und dem Funktio- 
nieren der politischen Linie weiterzuma- 
chen. Die Rolle dieser Massenkader ist 
cs. eine politische Massenpraxis zu orga- 
nisieren und durchzuführen. die sich in 
ihren Entscheidungen und Ausrichtungen 
an der strategischen Linie der kämpfen- 
den kommunistischen Organisation ori- 
entiert. Dies innerhalb der bereits existie- 
renden Massenorganisationen, die not- 
wendig sind, um die Kämpfe für die un- 
mittelbaren Bedürfnisse des Proletariats 


führen zu können, unabhängig von den 
Organisationen der Klassen/.usammenar- 
beit. Durch diesen Prozeß erfolgt das 
qualitative und quantitative Anwachsen 
der Guerilla, weil nur aus dieser politi- 
schen Massenpraxis die proletarische 
Avantgarde hervorgehen kann, aus der 
die organisierten kommunistischen 
Kämpfer hervorgehen sollen. Das bedeu- 
tet, daß die Organisation keine Mühen 

scheuen darf, die erforderlichen politi- 
schen und strukturellen Mittel anzuregen, 
um im Volk die bcwußlscinscrwcckcndc 
Aktion des revolutionären bewaffneten 
Kampfs zu verstärken, da das Klassen- 
bewußtsein sich in dem Maß entwickelt, 
wie das Proletariat sich politisch organi- 
siert. allein die Tatsache, daß bewaffnete 
Aktionen durchgcfuhrt werden, genügt 
natürlich nicht, um die Organisation ent- 
stehen zu lassen. Folglich sind Instru- 
mente für eine nichtbcwaffnctc politische 
Aktion notwendig. Mittel für die Agita- 
tion, Für die Propaganda, der Popularisie- 
rung der Kampfaktion der Massenorgani- 
sation in bestimmten Teilbereichen, der 
theoretischen und politischen Ausbildung 
der Unlcrgrundpartisancn als auch der 
politischen Massenkader. / 

6. Der Aufbau der Organisation kann 
nicht mit einer Frompolitik identisch sein 
- Diese politische Aktion der Organisati- 
on und der Ausbildung der in vorderster 
Linie stehenden Elemente der Volksmas- 
sen beinhaltet ein weiteres strategisches 
Ziel, das zur Phase der bewaffneten Pro- 
paganda gehört. Die kämpfende Organi- 
sation darf nicht ein: Koordinierung von 
Fronten sein, sondern sie muß homogen, 
monolithisch, genau strukturiert und in 
ihrer Führung zentralisiert sein. Dann 
setzt die Phase der bewaffneten Propa- 
ganda diesen Prozeß der Strukturierung 
und Vcreinhcitlichung/Zentralisierung 
fort, aber sic muß ebenfalls dieses Ziel 
ausweiten. Die bewaffnete Propaganda 
ist die erste Form des konkreten Auftre- 
tens der Politik des bewaffneten Kampfs 
für die kommunistiiche Revolution, sic 
ist die erste.öffentlichc Äußerung der po- 
litischen Linie der kämpfenden kommu- 
nistischen Organisation. Dieser Prozeß 
muß die Richtigkeit der befolgten Linie 
zeigen, indem sic pclitischc und militäri- 
sche Erfolge davonträgt, indem sic sich 
sichtbar entwickelt und von den Schlä- 
gen der feindlichen Abwehr weniger be- 
troffen wird als andere. Diese Phase muß 
also eine anti-sektiererische Politik der 
politischen Öffnung, des Dialogs, der po- 
litischen und militärischen Konfrontation 
umfassen, welche den Prozeß der Eini- 
gung unter de Revolutionären fördern 
muß. Wir gehen allerdings nicht von dem 
illusionären Grundsatz einer 
"natürlichen“ Einheit aus. von einer Ein- 


stellung "wir sind all? Brüder trotz unse- 
rer Unterschiede im Detail“, was sponta- 
ne Annäherungen unj Anläufe zum ein- 
trächtigen Miteinander legitimieren 
würde, nein, und cs sind sicherlich nicht 
die Formen des Kampfes, die ein Krite- 
rium für politische Nähe bilden können. 
Nochmals, wir sind gegen Frontpolitik, 
wenn es um strategische Fragen geht, wie 
sie vom revolutionären bewaffneten 
Kampf gestellt werden, wir sind gegen 
die Tatsache, sich mit politischen 
"Umfeldern" zu identifizieren. Die Eini- 
gungsprozessc zwischen Organisationen, 
Strömungen und Gruppen sind nur mit 
einer sehr schrittweisen, politisch sehr 
vorsichtigen Annäherung denkbar, in de- 
ren Verlauf die betroffenen Gruppen sieb 
objektiv wandeln. Das. was vereinigen 
kann, ist auf keinen Fall ein Zusammen- 
schluß und auch nicht Bündnisse, son- 
dern der politische Kampf, die Konfron- 
tation, der Kampf zwischen zwei Linien, 
das heißt der Ablauf des Klassenkampfs 
innerhalb der revolutionären Bewegung 
selbst. Das umfaßt eine intensive politi- 
sche und theoretische offene Praxis: The- 
sen, Analysen, Orientierungen (natürlich 
nicht die taktischen) müssen weitgehend 
bekannt, und von den Revolutionären 
kritisch diskutiert werden. 

Mit der politischen und ideologischen 
Aktion des bewaffneten Kampfs an sich 
und der vielfältigen politischen Aktion 
der kommunistischen Organisation in- 
nerhalb der proletarischen Massen ist 
diese Praxis des offenen politischen 
Kampfs innerhalb der revolutionären 
Bewegung (und in der politischen Szene 
im Allgemeinen) die dritte politische 
Funktion, über die die kommunistische 
Organisation verfügt, um sich qualitativ 
und quantitativ fort/.ucntwickcln. 


VII. Hin zum revolutionären Bürger - 
krieg 

I. Wahrend der Phase der bewaffneten 
Propaganda entstehen die Voraussetzun- 
gen für den revolutionären Bürgerkrieg 
- Die Phase der bewaffneten Propaganda 
bereitet somit auf allen Ebenen die dar- 
auffolgende Phase vor. doch der augen- 
fälligste Vorgriff ist zweifellos die objek- 
tive Funktion des bewaffneten Kampfs 
(wenn auch beschränkt auf ihr propagan- 
distisches Stadium), auf die Vorausset- 
zungen des Kräfteverhältnisses. Obwohl 
es sich noch nicht um eine Praxis han- 
delt. welche das Kräfteverhältnis direkt 
verändert, sprechen wir von den Voraus- 
setzungen dafür. Diese Funktion ist evi- 
dent. allein die Tatsache, daß sich ein be- 
waffnetes Dissidententum (7) äußert, be- 
günstigt den Prozeß der Militarisierung 
der kapitalistischen Führung, die Zuspit- 



44 


zung der Widersprüche der bourgeoisen 
Demokratie, die Militarisierung der Poli- 
tik. Während dieser Phase versucht die 
Guerilla natürlich nicht, militärisch zu 
siegen, doch ihre Störtäligkeit und die 
Vervielfachung der Aktionen drängen 
den bourgeoisen Staat in die Defensive, 
was ja gerade angestrebt wird (es muß 
soweit kommen, daß Sandsäcke vor jeder 
Bank gestapelt sind; jeder Bau der Ar- 
bcitgcbcrschaft, der Polizei, der Armee, 
der Justiz, der Politiker muß von Sta- 
cheldraht umgeben sein). Die Dialektik 
des revolutionären Prozesses führt genau 
durch diese Reaktion. Denn derzeit er- 
streckt sich die bourgeoisen Diktatur ge- 
nau über den gesamten sozialen Bereich 
bis in die Köpfe hinein, wenn sie aber 
gezwungen ist, sich defensiv neu zu for- 
mieren. indem sie sich stärker militari- 
siert. dann läßt sie eine neue subjektive 
Distanz zwischen den Volksmassen und 
sich in Erscheinung treten. Das Gefühl 
der Legitimität der imperialistischen Dik- 
tatur gerät ins Wanken, sobald sich die 
Herrschaftsfunktionen konzentrieren und 
also solche in Erscheinung treten statt 
im sozialen Kontext aufgelöst zu sein. 
Das was übrigen» Marx sagte: ' Der revo- 
lutionäre Fortschritt erfolgt durch die 
Schaffung einer mächtigen und verein- 
heitlichten Konterrevolution, durch die 
Schaffung eines Feindes, der die Partei 
des Aufstands dazu führen wird, durch 
den Kampf die Reife zu erlangen, die aus 
ihr die echte revolutionäre Partei macht". 
Die Militarisierung des Klassenkampfs, 
begünstigt durch die Guerilla, Führt zu ei- 
ner Verengung der Abstülzbasis des im- 
perialistischen Staates und damit zu einer 
fortschreitenden institutionellen Destabi- 
lisierung, bis dem Kapitalismus ab ein- 
ziger Garant nur noch die bewaffnete 
Macht bleibt. Dieser Prozeß ist ideolo- 
gisch und politisch zu verstehen, insofern 
der revolutionäre bewaffnete Angriff die 
Zuspitzung bertimmter Widersprüche 
bewirkt: dort, wo sich die Beziehungen 
zwischen der bourgeoisen Macht und den 
Proletariern befinden. 

Die soziale Übereinstimmung beruht auf 
dem Funktionieren der bourgeoisen De- 
mokratie. mit allen formellen Ausdrucks- 
freiheiten. der Vereinigung usw... die das 
ebenso benötigt, Freiheiten, welche die 
Bourgeoisie absolut einschränken oder 
abschaffen muß, wenn sich eine bewaff- 
nete Politik entwickelt. Falls das bour- 
geoise System jedoch die demokratischen 
Grundlagen verliert, aufgrund denen es 
funktioniert, so wohnt man einer Ein- 
schränkung. Schwächung und Zerbrech- 
lichkeit der bourgeoisen Macht auf den 
politischen, ideologischen und sogar 
psychologischen Ebenen bei. Und auch 
das entspricht somit dieser Funktion des 
bewaffneten Kampfs, nämlich eine tief- 


greifende Trcnnungslinie zwischen dem 
Feind und uns zu ziehen. Diese Trcn- 
nungslinic unversöhnlich zu ziehen heißt, 
jedem nur noch eine einzige unumgüng 
liehe Alternative zu lassen : Revolution 
oder Konterrevolution. Und cs wird ein 
erheblicher politischer und ideologischer 
Fortschritt sein, die umgehende Begriffs- 
verwirrung zu bezeichnen, de Überein- 
stimmung Über den Haufen zu werfen, 
indem jede einzelne politische Kraft ge 
zwungen wird, ihr Lager zu wählen. 
Manche (Ultralinke, verschiedene Links- 
radikalc. Anhänger von Bewegungen al- 
ler Art und alle die, die aufgrund ihres 
sozialen Siatus etwas zu verlieren haben, 
in der Art dieser berühmten ‘Freiheiten”, 
aus denen sie die einzigen sind, die ir- 
gendein Nutzen daraus ziehen) werden 
uns kritisieren, indem sie sagen, daß 
diese Strategie die traditionellen politi- 
schen Kräfte nur enger um den Staat 
scharen wird. Das ist richtig und auch gar 
nicht negativ, sondern genau das, was 
wir anslreben. Die Frage stellt sich, ob 
wir die Revolution wollen, oder ob wir 
dafür sind, daß der bourgeoise Staat von 
weiter "links" stehenden Kräften verwal- 
tet wird. Wenn wir die Revolution wol- 
len, dann müssen die revolutionären 
Kräfte als einzige echte Opposition, als 
einzige wirkliche unterschiedliche Alter- 
native erscheinen. Und darum ist cs eine 
ausgezeichnete Sache, wenn die konter- 
revolutionären Kräfte aller Tendenzen, 
die das institutioneile Spiel in Gang hal- 
ten, indem sic sich als oppositionell aus- 
geben, ihr wahres Gesicht zeigen und 
sich noch enger um die imparialistische 
Oligarchie gruppieren, was das politische 
Feld für das Eindringen einer echten Op- 
position um den revolutionären Kampf 
herum, öffnet. 

2. Die Endphase des revolutionären 
Krieges für die Übernahme der Staats- 
macht 

Durch die damit verbunden: objektive 
Radikalisierung bereitet die Phase der be- 
waffneten Propaganda die folgende 
Phase vor, indem sich zunächst das Feld 
für eine politisch-militärische Auseinan- 
dersetzung ergibt, das sich dann in Form 
eines revolutionären Bürgerkrieges aus- 
drückt. dessen militärische Form die 
Guerilla sein wird, die das gesamte in 
Betracht gezogene Gebiet und den ge- 
samten sozialen Kontext erfaßt. Es han- 
delt sich um einen Guerillakrieg, bis auf 
die Endpluse. in der sich bereits in wei- 
ten Gebieten die proletarische Macht 
konstituiert (an erster Stelle dort, wo der 
revolutionäre Kampf mit einem nation- 
alen Befreiungskampf des Volkes zu- 
sammenflisßt, in "Frankreich“: zunächst 
einmal Euskadi. Bretagne. Korsika...) 
und das in einem komplizieren Kontext 


des langandauemden Prozesses mit viel- 
fältigen internationalen militärischen und 
diplomatischen Verwicklungen, wie sic 
zum politisch-militäritchcn Kräftever- 
hältnis gehören, und was diese befreiten 
Gebiete lebensfähig macht, das heißt die 
weitere Vernichtung von Zonen weißer 
Macht durch Offensiven des konventio- 
nellen Kriegs (klassisch und modern). 

Die Phase der ausgedehnten Guerilla 
zielt anders als die der bewaffneten Pro 
paganda auf politisch-militärische Siege 
ab. welche das Kräfteverhältnis tatsäch- 
lich verändern. Und zwar durch Störak- 
tionen. Vernichtung feindlicher Mittel, 
welche den Feind binden, ihn zwingen, 
sich von den Bevölkerungen zu isolieren, 
sich auf bestimmte Orte zu konzentrieren 

oder seine Kräfte zu verteilen und da- 
durch verwundbar zu werden. Bezweckt 
wird damit, daß der Feind sich in diesem 
Prozeß der Militarisierung und des 
Selbstschutzes immer tiefer verstrickt, 
daß er zu einem wachsenden Sicherheits- 
aufwand genötigt wird, der normaler- 
weise nicht nur auf seinen eigenen Kräf- 
ten beruht, sondern auf dem gesamten 
sozialen Funktionieren und seiner vielfäl- 
tigen institutionellen Metze (daher die 
"Sicherheitsdoktrin", die in Westeuropa 
und früher in Lateinamerika auf Anstoß 
von Nordamerika übernommen wurde 
und in der äußere militärische Sicherheit, 
innere militärische Sicherheit, wirtschaft- 
liche Sicherheit, politische und zivile Si- 
cherheit im "sozialen Frieden" miteinan- 
der verbunden werden) Der imperialisti- 
sche Staat beginnt dann zu zerfallen, um 
seinen zentralen Kern politisch-militäri- 
scher Macht erhalten zu können, was 
seinerseits der revolutionären Bewegung 
zugute kommt, da der Prozeß der institu- 
tionellen Auflösung und des Unfähig- 
werdens der Mechanismen der bourgeoi- 
sen demokratischen politischen Macht 
zur Entwicklung von direkter Machtent- 
faltung des Proletariats über punktuelle 
oder ständige Massenorganisationen, re- 
volutionäre Betriebsausschüsse, Stadt- 
viertclräte usw... und Masscnkampfstruk- 
turen beiträgt, die schon in der Phase der 
bewaffneten Propaganda in unterschied- 
lichen Formen entstehen müssen und 
sich mit der orientierenden Leitlinie. Or- 
gane der direkten Macht der Volksmas- 
sen zu sein, befestigen müssen. 
Politisch-militärisch gesehen zielt die 
Phase der Ausweitung der Guerilla dar- 
auf ab, schrittweise eine Ausgewogenheit 
der Kräfteverhältnisse zu erreichen. Die 
Entwicklung der OffensivPähigkeiten der 
kommunistischen Kräfte sowie ihre dial- 
ektische Begleiterscheinung durch den 
Zerfall der Institutionen der bourgeoisen 
Macht werden schrittweise diesen 
Gleichstand der Kräfte erreichen und sie 
dann in einer Endphasc umkehren in der 



45 


das Proletariat sich aufmacht, den bour- 
geoisen Staatsapparat völlig zu zerstören, 
die Macht der Proletarier allgemein ein- 
zuführen und zu stabilisieren, die bereits 
wahrend des revolutionären Klassen- 
kriegs in Erscheinung getreten ist. Die 
Endphasc, in der das Klasscnvcrhältnis 
zu unseren Gunsten umgekehrt wird, 
wobei cs zweifellos zu einer größeren 
Vielfalt strategischer Offensiven, der 
Fortsetzung/Entwicklung der Guerilla zu 
Formen des konventionellen Kriegs zwi- 
schen unterschiedlichen Machtbereichen 
kommt, lokal oder regional durch insur- 
rcktioncllc Machtübernahmen. 

3. Zusammenfassend ist die bewaffnete 
revolutionäre Strategie, die moderne Me- 
thode, die notwendig ist für die kommun- 
istische Revolution im heutigen imperia- 
listischen Westen 

Wir möchten in diesen Zeilen besonders 
zu verstehen geben, daß es Zeit ist, daß 
der bewaffnete Kampf nicht länger als 
eine Art technisches Spielzeug, als vom 
Himmel gefallene Erfindung, als eine 
neue etwas verzweifelte Form des 
Kampf« erscheinen soll, er uns weiter als 
irgendwelchen romantischen Purismus 
entsprechen würde. Es handelt sich we- 
der um eine Neuigkeit, die völlig abge- 
trennt von der Geschichte auftaucht, 
noch um die Wiederholung vergangener 
und damit überholter historischer For- 
men. sondern cs handelt sich um die mo- 
derne Form eines Kampfes, der fest in 
der Kontinuität der Geschichtsbewegung 
verankert ist. Ausschließlich in diesem 
Rahmen muß man nicht nur die Notwen- 
digkeit des bewaffneten Kampfs begrei- 
fen, sondern ihn auch organisieren und 
strategisch meistern als das. was am En- 
de des 20. Jahrhunderts im Herzen der 
herrschenden Metropolen eines imperia- 
listischen Systems, dessen kapitalistische 
Produktionsweise sieh seinem Ende nä- 
hert. die historische Kontinuität zum 
Ausdruck bringt, die über die Kommune 
von 1871 und dx Oktoberevolution 
führt. 

Selbstverständlich erheben diese Teilen 
keinen Anspruch auf Vollständigkeit, es 
handelt sich nur um ein sehr allgemeines 
Schema, um strategische Orientierungen, 
jeder Punkt muß gründlich untersucht, 
ergänzt werden und jeweils auf die allge- 
meine Strategie zurückgcführt werden. 
Das ist die Aufgabe, die sich aus einer 
Notwendigkeit ergibt, die der revolutio- 
nären Theorie. Es geht übrigens nicht 
darum, Uber rein taktische Fragen öffent- 
lich zu diskutieren, das würde nur zur In- 
formation des Feindes dienen und nicht 
den Revolutionären, welche dem doppel- 
ten Grundsatz größerer strategischer 


Strenge und größerer taktischer Flexibili- 
tät verpflichtet sind (wobei jeder seinen 
Phantasien freien Lauf lassen muß). Eine 
revolutionäre Theorie, in der wir mit 
großen Schritten in allen Bereichen vor- 
anschreiten müssen (politisch und militä- 
risch. aber auch sozial, wirtschaftlich, 
philosophisch, kulturell usw.), weil man 
sich ganz absolut, unnachgiebig und 
wiederholt klarmachen muß. das heute 
wie vor sechzig Jahren und wie es auch 
weiter der Fall sein wird: "Ohne revolu- 
tionäre Theorie keine revolutionäre Be- 
wegung". Die unerläßliche Aufgabe der 
dynamischen und permanenten Ausarbei- 
tung der kommunistischen revolutionären 
Strategie nicht anzunehmen, würde be- 
deuten. daß man damit einverstanden ist. 
sich im Kreis zu drehen, daß man die 
Verzweiflung, die Mittelmäßigkeit leich- 
ter Ersatzlösungen mit guten Gewissen in 
den kleinen Widerständen, die zu nichts 
führen, akzeptiert. Den Staat, den Fa- 
schismus. den Rassismus, die verschie- 
denen Symptome des Imperialismus, die 
Repression, eine Menge Dinge zu 
"bekämpfen", immer "gegen" kann punk- 
tuell nützlich «ein. ist aber nur ein Zei- 
chen von existentiellen Milftantismus. 
während wir den Mul haben müssen zu- 
zugeben, daß das nur Luft ist. etwas was 
zu nichts führt. Das soll einmal ganz klar 
und brutal gesagt sein, statt in der Ohn- 
macht kleiner Formierungen mit gutem 
(und wenn auch bewaffneten!) Bewußt- 
sein abzudanken. sollte sich dann schon 
besser jeder auf seine Insel zurückzichcn. 
den Stränden des Pazifiks oder Möhren 
in der Pampa anpflattzcn. Oder etwas wa- 
gen, wagen zu triumphieren, wagen die 
Geschichte am Rockzipfel zu fassen, sie 
zu unserer zu machen, indem wir sie mit 
unserem Willen nach Freiheit zurecht- 
schmicden. Wir können Erbauer und Er- 
oberer sein, wenn wir uns bewußt ma- 
chen. daß eine neue Welt in unserer 
Reichweite liegt, wenn wir nur die Hand 
danach ausstrcckcn. 

Die Entwicklung der Zivilisation ist an 
einem entscheidenden Punkt angelangt, 
von wo sie aus der Urgeschichte heraus- 
treten kann und das heute Mögliche hat 
die gleichen Dimensionen, wie die Ent- 
fremdung. die Unterdrückung, das 
Übermaß an Entmenschlichung einer in 
voller Fäulnis begriffenen Gesellschaft. 
Unsere Generation hat somit erstmals seit 
Jahrtausenden die Möglichkeit, zum 
Kommunismus zu gelangen, die Türen 
zur Befreiung des Individuums und zur 
Befreiung aller menschlichen Bedürf- 
nisse weit aufzustoßen, und das zu unse- 
ren Lebzeiten. Unsere Generation ist die. 
welche die ersten Schritte der Mensch- 
heit in das Zeitalter des Kommunismus 
macht. 


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Um. ® IM gxaoi 


Schwarzer Faden 

Nr.49 (2/94). 72 S.. enthält u.v.a.: 
Schwerpunkt Mexiko: Interviews mit Co- 
mandanta Ramona.Com. Ana Maria und 
Com. Marcos; Medien: Radio Patapoc 
(BILWET); Rassismus: Die Vertreibung 
der Kaukasicrlnncn aus Moskau (Markus 
Matyhl), 205 Jahre Kolonialismus in 
Australien (Karl Rössel). Rechte: Euro- 
paposilionen der Rechten. Neuwerk rech- 
ter Publizistik (Dieter Schmidt); 7.-DM 

Noam Chomsky 

Clintons Vision 

Analyse derzeitiger US-Polilik. Mythos 
und Absichten Bill Clintons; Juli ‘94. 100$, 
14.- DM 

Trotzdem * Vertag 

PF! 159, 71117 Grafenau 
Fax:07033-45264 



46 


Für den Kommunismus! 

wir sind uns bewußt, daß dieses papier 
nur der anfang unserer diskussion ist; ei- 
ner diskussion, die noch weitgehend auf 
(allerdings notwendige) kritik beschränkt 
ist. da diese kritik aber vom willen zur 
Veränderung diktiert ist. wird sic nicht 
auf daucr auf blcCc kritik beschränkt 
bleiben. 

"DER REVOLUTIONÄRE KRIEG IST 
EIN POLITISCHER KRIEG" 
(Tupamaros) 

wir wollen mit diesem papier hier, mit 
unseren Überlegungen und argumenten in 
die auseinandersetzung eingreifen, die 
sich zwar an dem letzten angriff der RAF 
entwickelt hat, die aber nicht nur darauf 
(auf diesen angriff) zu reduzieren ist. 
die sich in dem angriff auf die Air Base 
und den gefreiten pimcntal materialisie- 
rende politik und praxis ist nicht das er- 
gebnis eines fchlcrs, sondern sic ist der 
(vorläufige?) Höhepunkt einer langen 
cntwlcklung, an der die gesamte antiim- 
perialistische bewegung und nicht nur 
die RAF anteil hat(te). 
die versimplifizicning von komplexen, 
vielschichtigen und komplizierten Zu- 
sammenhängen (z.b. "gesamtsystem"), 
d.h. die vcrflachung der politischen ana- 
lyse. gar keine oder mangelhafte ausein- 
andersetzung mit marxistischen grundla- 
gen, außer acht lassen des historischen 
Prozesses, aus dem die aktuellen angrif- 
fc. kämpfe und projekte auch heraus 
entwickelt werden (was zu briJehen in 
der kontinuität der kämpfe führt). Subjek- 
tivismus und Wunschdenken wirken 
schon seit langem in unserer politischen 
arbeit. unserem denken und fühlen, unse- 
rem politischen kämpf, insofern ist es nur 
eine logische cntwickung. daß sich diese 
fehler heute auch in der politik der gue- 
rilla fortsetzen, das zu erkennen und zu 
beseitigen, muß eine der konsequenten 
unserer auseinandersetzung sein - da sich 
ansonsten die fehler der Vergangenheit in 
fataler weise wcitcrpotcnziercn und die 
ganze revolutionäre kraft, die im kampf 
der gucrilla und der Organisierung der an- 
tiimperialistischen front steckt, sich nicht 
entfalten kann. Iclztcndlich sogar die 
praxis kontraproduktiv zu den prokla- 
mierten zielen werden kann, 
eine Voraussetzung für die jetzt anste- 
henden und auch schon laufenden aus- 
cinandcrsctzungcn (die für die fortent- 
wicklung der antiimperialistischen 
front/für die gesamte revolutionäre ent- 
wicklung in der BRD existentiell sein 
wird) ist ein befreites und besitzloses 
Verhältnis zu kritik und Selbstkritik, ein 
Verhältnis, das wir gegenwärtig weder in 
den diskussionen unter uns (d.h. inner- 
halb der antiimperialistischen bewegung) 


noch in den erklämngen der RAF der 
letzten zeit finden können, 
in diesem papier wollen wir unsere wich- 
tigsten Widersprüche zu zentralen politi- 
schen thesen/aussagen, die gegenwärtig 
die diskussion und politische praxis der 
‘front’ bestimmen, rausarbeiten und sic 
zur diskussion stellen. 

"... die imperialistischen Staaten können 
aus ihrer substantiellen Instabilität und 
dem fortschreitenden vertust ihrer legi- 
timität nur noch ihre potenz zu herrschen 
demonstrieren, sic sind heule mit der 
latsache konfrontiert, daß sie für keine 
einzige ihrer maßnahmen einen passi- 
ven ko ns e ns haben, politische agonie - 
das ist die andere Seite ihrer macht...“ 
(gemeinsame erklärung von AD und 
RAF, hervorhebungen von den Verfas- 
sern des papiers) 

"....weil die militärstrategie zum angel- 
punkt geworden ist, ist auch die politik 
gestorben - bzw. darin kommt sie auf ih- 
ren 'reinen begriff...“ (crklärung der ge- 
fangenen aus der RAF zu 77) 

"... ihre macht ist militärstrategie, auf 
Standsbekämpfung, maschine - aber 
hohl, nur gewalt, sonst nichts, es ist ihre 
reaktion auf die sich vereinheitlichende 
kraft der internationalen kämpfe für be- 
freiung, auch in Westeuropa...“ 
(hnngerstreikerklärung. dezember 1984) 
trotz fortschreitenden Verlustes seiner le- 
gitimation ist cs offensichtlich, daß der 
kapitalismus in den mctropolen noch 
über einen "konsens" in der bevölkerung 
verfügt, dieser konsens ist zwar äußert 
labil und wird immer öfter durch kurzfri- 
stige und begrenzte rcvoltcn unterbro- 
chen, aber er ist deanoch vorhanden, er 
wird auch weiterhin bestehen bleiben, 
wenn wir. die antagonistische linke, die 
komplexität der metropolenwirklichkeit 
und die des revolutionären kampfcs ne- 
gieren. 

wenn man die imperialistische macht nur 
noch in der militärstrategie zu erkennen 
glaubt und den revolutionären kampf auf 
"Strategie gegen ihre Strategie" reduziert, 
ist eine militaristische politik/praxis die 
zwangsläufige folge und damit auch die 
politische und militärische niederlage der 
kommunisten. 

“...der begriff der veränderten bedingung 
ist: die ausbildung des gesamtsystems 
mit seinem kern ... der NATO ... das heißt 
gesamtsystem. das unter der unaufheb- 
baren hegemonie des US-kapitals die 
konkurrierenden Interessen von teilfrak- 
tionen des ganzen, ob national oder öko- 
nomisch als teilfrakiion definiert, in der 
umfassenden krise der kapitalverwertung 
reguliert und gegen ilen weltweiten revo- 
lutionären prozeß zur aggression, d.h. 
zum versuch der Sicherung der herr- 
schuft auf neuer stufe zusammenfaßt..." 


(gefangener aus der RAF am 10.4. zu den 
aktionen 1981). 

der begriff des gesamtsystems, wie er 
hier gebraucht wird, negiert völlig die 
auch heute bestehenden innerimpcriali- 
stischen Widersprüche, natürlich hat der 
begriff seine bcrechiigung, aber in einer 
definition, die von der hier gebrauchten 
grundsätzlich abwcicht. lenin hat in sei- 
ner schrift "der Imperialismus als höch- 
stes Stadium des kapitalismus" die ten- 
denz zur monopolisiening als grundsätz- 
liche eigenschafl des Imperialismus ana- 
lysiert. er betonte dabei allerdings, daß 
gerade durch die monopolisicrung die 
konkurrenz auf höherer (Welthandels-) 
ebene fortgesetzt wird, da dadurch auch 
die nationalen interessen. eben durch die 
monopolisicrung, mi; mehr macht, besser 
durchgesetzt werden können, das hat zur 
folge, daß sich weltweit die bedingungen 
der einzelnen länder noch schärfer aus- 
einander entwickeln, denn wie könnte die 
Verschärfung der ausbeutung (also das 
ärmer machen des einen teils durch den 
anderen) eine anglcichung der bedingun- 
gen zur folge haben? "das finanzkapital 
und die trusts schwächen die unterschie- 
de im tempo des Wachstums der ver- 
schiedenen teile der Weltwirtschaft nicht 
ab. sondern verstärken sie....“ (lenin. 
s.o.). das gilt auch heute noch. z.b. auch 
für die EG-staaten. die BRD ist die wirt- 
schaftlich stärkste macht, frankreich hat 
den wirtschaftlichen anschluss an die 
BRD nicht geschafft, england ist noch 
schwächer. 

dazu kommt, daß de? unterschied zu den 
stärksten Wirtschaftsmächten (BRD. 
frankreich, england) einerseits und den 
schwachen peripherie-staaten (irland, 
belgien, portugal, Spanien, gricchcnland) 
andererseits, immer weiter aufreißt, die 
schwächeren driften unter dem mörderi- 
schen konkurrenzdruck immer weiter ab. 
trotz ähnlicher maßnahmen gegen die 
ausgebeuteten, die sich u.a. in der zuneh- 
menden monopolisiening und der gleich- 
zeitig dazu verlaufenden Vernichtung 
ganzer industriezweige ausdrückt und 
wodurch in der tat eine teilweise 
“angleichung der bedingungen für das 
europäische Proletariat” 

(Zusammenschlußerklärung von AD und 
RAF) geschaffen wird, wirkt sich auch 
die reaktionäre krisenlüsungsslralcgic 
aufgrund der unterschiedlichen aus- 
gangsbedingungen im konkreten endef- 
fckt nochmal extrem unterschiedlich aus. 
kürzungen im sozialen bereich oder 
lohnverluste bedeuten hier in der BRD 
nochmal was ganz anderes als z.b. in 
Spanien oder belgien deshalb ist es auch 
unzulässig oder oberflächlich von einer 
"anglcichung der bedingungen für das 
europäische proletariit" zu reden, die ge- 
samten materiellen lebensbedingungen 



47 


(die ja wohl als wichtiges moment in ei- 
ner revolutionären entwicklung aner- 
kannt sind und bleiben) z.b. der engli- 
schen arbcitcrklassc waren denjenigen 
der deutschen arbeiterklasse in den 60- 
ziger Jahren weitaus angeglichener als 
sie es heute sind. 

die cigcndynamik des kapiialismus. der 
permanente druck von konkurrenz und 
effektivität. erzeugt außerdem entschei- 
dende cntwicklungcn quasi 'aus sich 
selbst heraus' (automation, masscncntlas- 
sungen, neue technologien, umstruktie- 
rungen etc.), die sie für alle wirtschaft- 
lich miteinander in beziehung stehenden 
länder ebenfalls unausweichlich machen, 
das führt jedoch auch gleichzeitig immer 
wieder zu neuen und sich z.t. vertiefen 
den widersprächen innerhalb des 
’gesamtsystems'. es ist für uns. die re- 
volutionäre linke, unbedingt notwendig, 
diese widersprüchliche eigendynamik des 
kapitalistischen Systems und seiner orga- 
nisationsformen und Strategien zu begrei- 
fen. weil auch darin immer wieder an- 
satzpunktc und möglichkeiten liegen, die 
wir in unserer praxis zu beachten habc- 
n/dic wir u.U. für uns nutzen können, 
das schematische erklärungsmuster der 
planmäßigen Schaffung einer "zwei-drit- 
tel-gesellschaft" oder des "europaweiten 
angriffs auf das Proletariat“ vermittelt 
nur die eine hälfte der Wahrheit, so hat 
z.b. die ausgrenzung und massenhafte 
Verarmung eines drittels der metropolen- 
gesellschaft zur folge, daß diese men- 
sehen auch nicht oder nur wenig konsu- 
mieren können, ergo der europäische 
markt wiederum, noch enger und die ab- 
satzprobleme der kapitalisten noch grö- 
ßer werden, wo sollen sic ihren scheiß 
dann noch loswerden? vielleicht nähern 
wir uns mal dem gedanken, daß eine sol- 
che entwicklung selbst unter kapitalisti- 
schen ausbeutungs-gesichtspunkten von 
einem gewissen Zeitpunkt an kontrapro- 
duktiv wird und so auch wieder andere 
Verhältnisse eintreten werden oder zu- 
mindest versuche dazu, 
worauf wir hinauswollen: daß wir, der 
revolutionäre widerstand, endlich kapie- 
ren müssen, daß die herrschenden nicht 
so einfach nur vom planquadrat ihrer 
chcfctagcn aus Strategien und projekte 
entwerfen können und sie dann auch 
punkt für punkt durchsetzen können (was 
schnell die horrorvisionen von 
"cntschcidungsschlacht". "climinicrung 
des antagonismus", "weltfaschismus" 
usw. hervorbringt), sondern, daß in der 
Wirklichkeit des kapiialismus und dessen 
kriscnlösungsstratcgien immer wieder 
neue Widersprüche aufreißen, die die im- 
perialistischen projekte behindern, in 
Frage stellen, verändern, 
die unglcichzcitigkcit der kapitalistischen 
entwicklung und die unterschiedlich star- 


ke auswirkung der krise in den verschie- 
denen europäischen Staaten können z.b. 
auch zur unterschiedlichen entwicklung 
oder besser: zu noch unterschiedlicheren 
entwicklungcn von klassenkampfen und 
tendenzen zur revolutionären Umwälzung 
führen, die Situation in Spanien ist z.b. 
heute sehen extrem verschieden zu der in 
anderen europäischen ländern, die kon- 
frontation am weitesten zugespitzt... 
diese realeäten müssen wir zur kenntnis 
nehmen, wenn wir wirklichkeitsnahe und 
realistische politische Strategien für unse- 
ren kampf hier in der BRD entwickeln 
wollen. 

der schematische begriff von 
■gesamtsystem" und "anglcichung der 
Bedingungen" erschlägt alle diese not 
wendigen differenzieningen und verstellt 
den weg für genauere analysen. gleich- 
zeitig entstehen daraus abstrakte und 
schematische Vorstellungen von revolu- 
tionärer praxis in der mctropolc. wonach 
die entwicklung der kämpfe, die entwick- 
lung von klassenbewußtsein im jeweili- 
gen land weder als ausgangspunkt noch 
als ziel für die konkrete revolutionäre 
praxis begriffen werden, was dann nur 
noch zählt ist ein genauso schematischer 
und undifferenzierter bezug auf 
"frontabschnitt” im internationalen klas- 
senkrieg. unklar bleibt, wie wir in der 
BRD, als teil des “frontabschnitts We- 
steuropa”, überhaupt auf diese weise zu 
einer politisch-militärischen kraft werden 
können, die in der läge ist, tatsächlich 
mal nc rolle im internationalen kräftever- 
hältnis einzunehmen, mehrmals aufgefal- 
Icn ist uns darüber hinaus, daß in vielen 
papieren, egal ob sie aus dem widerstand, 
von der RAF oder gefangenen aus der 
RAF stammen, beispicle für die entwick- 
lung des Gesamtsystems angeführt wer- 
den. die lediglich die ebene der reprcs- 
sion betreffen. z.b. m ..jeit sich gegen die 
offensiven der guerilla hier 77 und in ita- 
lien 78, dann 80 gegen die volkskämpfe 
in der lUrkei das US-interesse und der 
Imperialismus als gesamtsystem aufge- 
richtet haue...’' (gefangene aus der RAF 
am 10.4. zu den aktionen 1981). wir wis- 
sen aber, daß es keine entwicklung aus 
den letzten jahren oder jahrzehnten ist. 
daß das kapital gegen einen gemeinsa- 
men feind gemeinsam vorgeht, schon 
1871, während des deutsch-französi- 
schen krieg, wurde die pariser commune 
gemeinsam vom deutschen und französi- 
schen Staat zerschlagen, danach bildetet 
sich die sog. "heilige allianz" gegen den 
internationalen Sozialismus, wenn wir 
daran erinnern (es ließen sich unendlich 
viele weitere beispiele anführen), negie- 
ren wir dabei nicht die ständig zuneh- 
mende Zusammenarbeit der imperialisti- 
schen Staaten bei der bekämpfung revolu- 
tionärer Organisationen, kein revolutionär 


ist rächt mit der tatsache konfrontiert, 
daß die konterrevolutionäre Zusammen- 
arbeit gerade auch in Westeuropa heute 
schon auf allen ebenen 1 ge.se tzgebung, 
justiz. Propaganda urd natürlich erst 
recht in der exekutive) ein sehr hohes ni- 
vcaus erreicht hat und ßaß die NATO da- 
bei eine wichtige rolle cinnimmt. aber 
auch diesen prozeß muß man differen- 
zierter untersuchen: nach jahrzehnten der 
relativen ruhe entwickelte sich seit dem 
ende der 60er jahrc in vielen westeuro- 
päischen ländern erneut der politisch-mi- 
litärische kampf für den kommunismus. 
aus dieser revolutionären entwicklung 
ergab sich für alle westeuropäischen Staa- 
ten nach kurzer zeit die notwendigkeit 
einer möglichst weitgehend koordinierten 
Zusammenarbeit, da zwischen den west- 
europäischen Staaten bei der gemeinsa- 
men bekämpfung der westeuropäischen 
guerilla eine weitgehende interesseni- 
dentität vorherrscht, blieben und bleiben 
die real existierenden innerkapitalisti- 

schcn widcrsprüche in dieser frage rela- 
tiv unbedeutend - relativ! denn selbst im 
gemeinsamen kampf gegen revolutionäre 
Organisationen und bewegungen und 
Staaten sind die imperialistischen Staaten 
nicht ein widerspruchsfreier und per se 
interessengleicher block, 
intcressengegensätze treten bei ihnen - 
wie schon gesagt - zwar nur im geringen 
maße bei der bekämpfung der westeuro- 
päischen guerilla auf, werden aber von 
der einschätzung und bekämpfung revo- 
lutionärer organisatio- 

nen/bewegungen/staaten ökonomische 
und politische intcressen tangiert, ma- 
chen sich oft "risse” innerhalb des impe- 
rialistischen lagers bemerkbar: risse, die 
nicht nur verbaler und propagandistischer 
art sind, sondern die sich oft auch sehr 
materiell auf die Verhaltensweisen ein- 
zelner staaten/rcgicrungcn auswirken, 
beispiel dafür ist der konflikt um die 
frage der offenen militärischen interven- 
tion der USA in Nicaragua innerhalb der 
NATO, aber auch die letzten monate ha- 
ben das mehrmals deutlich gemacht 
(achillc lauro/italicn, ausweisung von 
Palästinensern aus griechcnland, lybien). 
selbst die aktuellen milliardengeschäftc 
zwischen unternehmen aus der BRD und 
der Sowjetunion (es geht dabei um 15 
milliardcn DM) wirken sich mit Sicher- 
heit auf die haltung der BRD-rcgicning 
aus, die cskalition gegen lybien mitzutra- 
gen oder nicht. 

warum das alles negieren? zumal die 
konsequenz aus der existenz der inner- 
imperialistischen widerspreche für revo- 
lutionäre in der BRD und WE heute nicht 
heißen kann, unsere praxis auf das auf- 
spüren und ausnutzten dieser Widersprü- 
che auszurichten, ohne abstrichc an ihrer 
revolutionären politik und praxis zu ma- 



chcn, nutzte die RAF in der mitte der 
70er jahrc die damals auch unter den ka- 
pitalistischen regierungen Westeuropas 
bestellenden widctsprüchc gegen die 
Vorherrschaft der BRD in WE in der eu- 
ropäischen kampagne gegen die 
"germanisicrung curopas" aus und behin- 
derte damit die pläne des BRD-imperia- 
lismus erheblich, heute gibt cs wei- 
lerc/andere innerimperialistische Wider- 
sprüche. morgen entwickeln sich neue 

sie negieren nutzt den imperialistcn, 
schadet den revolutionären! 
wir denken, daß das "gesamtsystem" und 
die "gleichzeitig der antiimperialistischen 
kämpfe" innerhalb der 'front' gleicherma- 
ßen oberflächlich 'analysiert' werden, 
vorab: die Wirkung der gleichzeitig der 
antiimperialistischen kämpfe ist ein be- 
ständiger bestandteil aller antikapiialisti- 
schen und antiimperialistischen kämpfe, 
sie ist keine entwicklung der letzten 
jahrc. sic ist ein immanenter bcstandlcil 
aller kämpfe gegen die bourgeoisie. so 
wurde der nazif«schismu« z.b. durch die 
gleichzeitigkeit der kämpfe der albani- 
schen und jugoslawischen partisanen, der 
französischen und niederländischen, des 
norwegischen und polnischen Wider- 
stands, des kampfcs der sowjetischen 
Partisanen und der roten armee 
und.. ..und.... zerschlagen, weitere bei- 
spiclc lassen sich in der revolutionären 
geschichte viele finden, allerdings sehen 
diese beispiele anders aus als die von den 
genossen aus der RAF beschriebenen: 
"...ihr Zusammenschluß zum homogenen 
konterrevolutionären block, den sie 
brauchen, um die militärische offensive 
politisch durchzuhalten, ist aber weder 
ganz vollzogen noch ist er abgesichert, 
gleichzeitig ist es so, daß die revolutio- 
nären kämpfe, so unterschiedlich die be- 
dingungen und verschieden weit sie ent- 
wickelt sind, in ihrer Wirkung schon zu- 
sammen in diese offensive eingreifen und 
ihren konkreten zielen zuvorkommen, 
die New Jersey, die im libanon mit den 
schwersten bon.bardierungen seit dem 
vietnamkrieg doch noch einen amerika- 
nischen sieg erzwingen sollte - hinterher 
hat ein pentagor.-beamter gesagt, daß es 
dort jetzt aussehe n müßte wie auf dem 
mond - haben sie dafür aus El Salvador 
abgezogen, wo sie kurz vorher hinverlegt 
worden war, um die Zivilbevölkerung zu- 
sammenzuschießen und so die gucrilla zu 
isolieren..." (erklärung der gefangenen 
aus der RAF zu 77) . 
behauptet wird in dieser erklärung also 
folgendes: wenn die cskalation 1982 im 
libanon (die auch die Verlegung der New 
Jersey von El Salvador hin zum libanon 
'notwendig' gemacht haben soll) nicht 
aufgetreten wäre, dann hätten die USA 
damals in El Salvador direkt und unmit- 
telbar militärisch interveniert ("...um die 


Zivilbevölkerung zusammcnzuschie- 
ßen...") diese bchauptung ist nicht nur 
durch nichts belegt, sondern im gegen- 
tcil: alle tauschen sprechen eindeutig da- 
gegen, diese bchauptung negiert völlig 
die damalige (die beschießung des liba- 
non durch die new jersey fand 1982 statt) 
und auch roch gegenwärtige US-stratcgic 
gegen El Salvador, Nicaragua und dem 
gesamten mittclamerikanischen raum, die 
USA gründen die contra-banden und trv 
dcsschwadrone. sie bilden und rüsten sie 
aus. sie rüsten und bilden die reaktionä- 
ren armeen mittelamerikas aus, darunter 
auch die El Salvadors. sic intervenieren 
in den krieg gegen das cl salvadoriani- 
schc volk darüber, daß sie mittels militär- 
bernter diesen krieg bestimmen und lei- 
ten, aber sie vermieden und vermeiden 
bislang (was nicht für alle Zeiten bedeu- 
tet. d.h. aufgrund bestimmter cntwick- 
lungen sich unter umständen auch relativ 
schnell ändern kann) die eigene offene 
militärische intervention - was eine sol- 
che wie oben beschriebene beschießung 
durch die New Jersey bedeutet hätte, eine 
offene und direkte militärische interven- 
tion versuchen die USA u.a. auch wegen 
der existenz der innerimpcrialistischen 
Widersprüche (selbs* von der gefahr eines 
auscinanderbrechens der NATO wird in 
diesem Zusammenhang gercifct!) zu ver- 
hindern, vor allem aber wegen der un- 
überschaubaren eskalation des revolutio- 
nären widrrstands im gesamten iatein- 
und mittelamerikanischen koriinent. 
die revolutionären kämpfe in verschiede- 
nen ländern der erde wirken also sehr 
wohl zusammen, aber nicht in der wie 
oben (zitat) versimpiifizierten art und 
weise, eine intervention in E! Salvador / 
in mittclancrika wurde bislang durch die 
oben genannten faktoren verhindert; fak- 
toren, die für den libanon in der art nicht 
existent waren und sind und in denen die 
kämpfe im libanon nur eine sehr unter- 
geordnete rolle spielen konnten, mit Si- 
cherheit bestand während der gesamten 
phase (19S2) für den US-impcrialismus 
das problcm nicht in einem zu schwa- 
chen Militärpotential, wie die angebliche 
Verlegung der New Jersey glauben ma- 
chen soll, wir sind der ansicht, daß die 
politische Situation in mittelamerika und 
dem nahen osten, hier auch nochmal spe- 
ziell libanon, in keinster weise zu ver- 
gleichen ist. in mittelamerika ist die revo- 
lutionäre entwicklung so weit vorange- 
schritten, daß eine US-intervention in El 
Salvador sich zumindest zu einem 
"steppenbrand" in der gesamten rcgion 
ausdehnen kann, im Nahen Osten ist die 
revolution sehr viel schwächer entwik- 
kelt. wenn man fcststelll, daß die revolu- 
tionären kämpfe in ihrer Wirkung zu- 
sammenkemmen und mechanisch daraus 
folgen, daß eine militärische Intervention 


im libanon eine (gleichzeitige) in El Sal- 
vador unmöglich macht leugnet man im 
gntndc diese unterschiede, 
wir fragen uns daher, wie weit die bc- 
hauptung fundien ist, daß die revolutio- 
nären kämpfe... ihren konkreten zielen 
zuvorkommen? gerade im libanon, kann 
davon ja wohl keine rede sein, sicher, das 
langfristige ziel, die befriedung und 
gleichzeitige bchcrrschung, ist nicht voll 
erreicht, was aber erreicht ist. ist die 
weitgehende Zerschlagung von Struktu- 
ren, die von palästinensischen revolutio- 
nären und ihren Organisationen Uber 
jahrc hinweg aufgebaul wurden (bekaa- 
ebene z.b.). in diesem Zusammenhang 
sehen wir auch den abzug der multina- 
tionalen 'friedenstruppe', sie mußten fest- 
stellen, daß ihre direkte militärische prü- 
senz alle im libanon vorhandenen kräfte 
einte (natürlich oft nur auf druck der je- 
weiligen basis). diese einheit und die 
stärke der kämpfe, die aus ihr heraus 
möglich wurden, hat schließlich zum ab- 
zug der truppen geführt, ein erfolg des li- 
banesischen und palästinensischen Vol- 
kes, der keinesfalls in frage gestellt wer- 
den kann, nach dem abzug der truppen ist 
aber durch den Imperialismus eine Situa- 
tion im libanon geschaffen worden, in 
der die revolutionären kräfte in ausein- 
andersetzung mit islamischen fundamen- 
talsten. christlichen faschistcn ctc... ab- 
sorbiert werden, vom \ölligen scheitern 
und einer vollständigen nicdcrlagc der 
Imperialisten im libanon kann also kei- 
nesfalls gesprochen werden, 
wir fragen daher die genossen aus der 
RAF und den teilen des Widerstands (die 
die hier hinterfragten und kritisierten 
'analvsen' in vielfältiger art aufgegriffen 
haben), was wollt ihr mit diesen offen- 
sichtlich falschen behauptungen belegen? 
wir sehen uns zu dieser frage gezwungen, 
weil das offensichtlich falsche an teilen 
(wichtigen teilen) der ’analyscn' für uns 
nicht mehr erklärbar ist und wir uns da- 
durch des cindrucks nicht mehr erwehren 
können, daß diese art der ’analysen' in er- 
ster linic dazu dienen soll, eine militari- 
stische politik mit dem anschcin der 1c- 
gitimation/der notwcnüigkcit zu verse- 
hen. dadurch, daß 

- daß militärische potential des Imperia- 
lismus im Zusammenhang mit dem 
"Zusammenwirken der kämpfe" hcruntcr- 
gespiclt wird. 

- das "Zusammenwirken der kämpfe" auf 
die militärische ebene reduziert wird 
(TWA z.b.) 

- insgesamt eine ganz neue entwick- 
lungsphase der internationalen kämpfe 
und ihres Zusammenwirkens behauptet 
wird (die als folgccrschcinung die krite- 
rien für counter und revolutionäre aktion 
auf den köpf stellen sollen - siche eins 
der vorbereitungspapiere zum kongreß. 



49 


in dem bezug auf die anschlüge der Fa- 
schisten auf US-soldaten genommen 
wird. 

- die gesamte reerganisation des kapitali- 
stischen Systems / des Imperialismus als 
eine entwicklung dargestellt wird, die al- 
leine der militärischen lösung unterge- 
ordnet sei (’entscheidungsschhcht*. 
"kricgsökonomic"). 

- die politische ebene der imperialisti- 
schen Strategien und seine integrations- 
fähigkeit (zumindest in den mctropolcn) 
völlig negiert und sogar abgestrilten wird 
(siehe erklärung zu77), 

- die totalität des "gesamtsystem" wie- 
derum weit Überhöht und die innerimpc- 
rialistischcn wiifcrsprüche als irrelevant 
oder als nicht vorhanden dargcstcllt wer- 
den, 

dadruch wird zwingend der eindruck er- 
weckt, daß es möglich ist, den imperiali- 
stischen krieg/das gesamte imperialisti- 
sche System ausschließlich auf 'seiner' 
ebene, nämlich der militärischen, zu be- 
kämpfen und schließlich zu beseitigen, 
eine illusion, die verheerende folgen ha- 
ben muß. 

"...die härte, mit der die impericlisten 
jetzt auf allen ebenen und an allen fron- 
ten krieg führen, liegt in ihrem ziel: sie 
begreifen ihn als entscheidungsschiacht, 
weil sie nach dem einbruch in Vietnam 
die Sicherung ihrer macht nur noch in 
der vollständigen eliminierung des an- 
tagonismus für möglich hallen...“ 
(gefangene aus der RAF zu 77), 
auch diese aussagc kann ja nur bedeuten, 
wenn die Schweine jetzt den antagonis- 
mus ausrotten wollen, wir jetzt gefordert 
sind: entweder oder.... 
wie man zu einer solchen einschätzung 
kommen kann, bleibt uns ein rätsel, wis- 
sen wir doch spätestens seit Karl Marx, 
daß cs zum wesen des kapitalismus ge- 
hört, seinen antagonismus selbst zu pro- 
duzieren, denn zur ausbeutung gehört 
auch der, der ausgebeutet wird und aus 
dieser ausbeutungssiluation heraus 
immer wieder den widerstand dagegen 
organisiert/entvickelt,.. so ist cs also 
eine in sich widersprüchliche aussage. 
daß der imperiaiismus seinen antagonis- 
mus ausrotten könne, was ja damit ge- 
meint sein muß; denn daß er es will, aber 
nicht kann, ist ebenso alt wie in diesem 
Zusammenhang bedeutungslos, uns darf 
es also nicht «hnim gehen, irgendeine 
’entscheidungsschlacht" zu gewinnen, 
sondern die revolution im eigenen land 
(als teil des weltrevolutionären Prozes- 
ses) voranzutrcit>cn. dabei ist die frage, 
ob 'nationale re/olutionen möglich sind 
oder nicht' für uns überhaupt keine frage, 
diese frage ist für kommunisten in jeder 
hinsicht bedeutungslos! entscheidend ist 
nämlich, daß wir nur aus der revolutio- 
nienmg unserer realität und gegenwart, 


d.h. aus unseren nationalen bedingungen 
und kämpfen zu einer kraft werden kön- 
nen. die national und international eine 
revolutionäre rolle einzunehmen in der 

läge ist. 

wir halten daher die frage nach der mög- 
lichkeit einer 'nationalen revolution' für 
ablenkcnd und irreführend und möchten 
vorschlagen, daß die hier versammelten 
genossen, eine diskussion (hier und zu 
hause) darüber einleiten, ob wir uns zu- 
künftig nicht das debattieren von und 
orientieren an belanglosen fragen grund- 
sätzlich ersparen sollten, leider haben wir 
die arbeitspapiere zum kongress erst vor 
wenigen tagen erhalten, daher konnten 
wir uns mit diesen papieren noch nicht in 
der notwendigen ausführlichen art und 
weise auseinanderset/en. das gleiche 
Problem hatten wir im gründe mit der ge- 
samten kongrcssvorbercitung. die kurz- 
fristigkeit, die nicht geführten diskussio- 
nen in größeren Zusammenhängen - das 
alles erschwerte eine konstruktive (mit- 
Jarbeit an dieser phasc zum aufbau der 
antiimperialistischen front, wir stellen 
uns den kampf um die "einheit” und um’s 
" Zusammenkommen" grundsätzlich an- 
ders vor und erwarten (von tins und an- 
deren), daß daraus für die zukunft in je- 
der hinsicht konsequenzen gezogen wer- 
den. wir werden uns jetzt darauf be- 
schränken müssen, uns mit d:n wichtig- 
sten punkten der (uns vorliegenden) ar- 
beitspapiere auseinanderzuseizen - und 
zwar mit den punkten, über die wir in 
den arbeitsgruppen diskutieren wollen. 

ZUSAMMENWIRKEN DER KÄMPFE 
WELTWEIT 

daß revolutionäre kämpfe/entwicklungen 
weltweit die kräftc des imperiaiismus 
zersplittert könnten und so auch seiner 
fühigkeit zur militärischen interventi- 
on/cskalation grenzen gesetzt werden, ist 
ne grundsätzlich richtige - aber auch 
nicht neue - tatsachc. allerdings hat die- 
ses "Zusammenwirken" bestimmte krite- 
rien, die erfüllt sein müssen, sonst ist 
weder objektiv noch subjektiv ein Zu- 
sammenwirken vorhanden, nicht die tat- 
sachc. daß kämpfe in verschiedenen re- 
gionen zum gleichen Zeitpunkt laufen, 
macht bereits ihr Zusammenwirken aus, 
sondern de frage nach der politischen 
Identität Ut dafür bestimmend, also, ge- 
gen wen sich die kämpfe richten und für 
was gekämpft wird, um welche klassen- 
position, welche gesellschaftlichen ziele, 
gegen welchen feind und für welche ei- 
genen Vorstellungen - das ist nicht von- 
einander zu trennen und macht die politi- 
sche identität des kampfes aus. dann erst 
ist die "objektiv antiimperialistische Wir- 
kung” gegeben (damit beziehen wir uns 
z.b. auf die auscinandersctzung um die 


TWA-entfühmng - wem nützt sic?) nach 
diesem kritcrium kann man auch nicht 
einfach kämpfe von ganz unterschiedli- 
cher politischer identitär zusnmmenwer- 
fen und behaupten, sie würden sich auf- 
einander beziehen, das brauchen wir 
doch nur mal an uns selbst zu überlegen 
(diskussion 1982 um die anschlägc der 
faschistcn gegen US-soldaten). das 
"Zusammenwirken“ ist darüber hinaus 
auch ne frage, wie weit der revolutionäre 
prozeß in den jeweiligen regionen tat- 
sächlich entwickelt und verankert ist. al- 
so. wie gefährlich der jeweilige prozeß in 
seiner aktuellen entwicklung und per- 
spektivischen cxplosionskraft für den Im- 
perialismus ist. 

und genau bei dieser frage sind wir mit 
uns selbst konfrontiert, wenn wir von 
dem, was richtig ist am 
"Zusammenwirken der kämpfe" ausge- 
hen. müssen wir uns selbstkritisch fra- 
gen. wie wir hier in der mctropolc BRD 
überhaupt so stark werden können, daß 
wir unseren (richtigen) internationalisti- 
schen anspruch erfüllen können und uns 
stattdessen nicht in wurschvorstcllungcn 
ergehen, nur wenn wir uns diese frage 
politisch beantworten, werden wir in der 
läge sein, sic auch praktisch zu beantwor- 
ten. d.h. auch: irgendwann ein relevanter 
faktor (auch) im internationalen krüftc- 
verhidtnis sein, und an dieser stelle 
kommen wir nicht an der frage vorbei, ob 
die aktion im august (pimcntal und air 
base) neue bestimmung und neuer weg 
für den revolutionären prozeß hier sein 
kann - oder ob sie nicht vielmehr diesem 
prozeß schadet, wir meinen, letzteres, 
der bezug auf die internationale entwick- 
lung der kämpfe bringt uns nicht weiter, 
wenn wir es nicht schaffen, in der Strate- 
gie der antiimperialistischen front die na- 
tionalen und die internationalen bedin- 
gungen miteinander zu verbinden, genau 
das war die bestimmung der politik der 
RAF von anfang an. sie ist immer noch 
richtig! 

wir können nicht verstehen, daß in papie- 
ren zum kongress seitenlange analysen 
über die internationale Situation, über das 
gesamtsystem und die entwicklung des 
Widerstands hier bis zum sommer 85 
entwickelt werden - und an der entschei- 
denden frage, die für uns / für die ganze 
weitere entwicklung hier existentiell ist 
(eben weil die gesamte antiimperialisti- 
sche front/jede revolutionäre politik und 
praxis davon berührt ist), nach nen hal- 
ben jahr dazu nur kommt: "...womit wir 
Schwierigkeiten haben, ist die genaue be- 
stimmung für den prozeß hier, wohin die 
eskalation und polarisierung in die tiefe 
der Gesellschaft genau laufen soll..." und 
gleichzeitig kritik an den aktionen sich 
reduziert auf das vermittlungsproblem 
und das Verhältnis der gucrilla zum wi- 



50 


dcrstand, was sich darin ausdrückt, es ist 
einfach ein absoluter Widerspruch zwi- 
schen dem Verhältnis, mit dem die genos- 
sen sich mit der internationalen Situation 
und den Strategien der herrschenden aus- 
cinandersetzen und dem Verhältnis, mit 
dem die politischen auswirkungen der 
neuen bestimmung / des neuen weges auf 
die Situation hier in der metropole BRD 
diskutiert werden, darüber wollen wir 
auch auf dem arbeitskreis sprechen, 
wie in verschiedenen papieren zum kon- 
gress formuliert wurde, geht cs nicht um 
die bornierte Vorstellung von "nationaler 
revolution". das verfälscht das eigentli- 
che problem. weil ganz unabhängig von 
der relevanz der frage, ob eine "nationale 
revolution" in der metropole (oder auch 
in der sog. 3. weit) roch möglich ist oder 
nicht, cs eine unumstößliche tatsachc ist, 
daß wir die krüfte für nc revolutionäre 
cntwicklung hier aus der Situation und 
den bedingungen der brd entwickeln 
müssen. 

auch da wo wir uns mit dem imperialisti- 
schen gesamtsystem auseinandersetzen, 
kommen wir zu den gleichen fragen, 
wenn wir konsequent an den ergebnissen 
der analysen wcitcrübcrlcgen. 
in erklärungen und texten von gefange- 
nen. von der guerilla und dem widerstand 
und in den ersten kongresspapieren 
wurde das "imperialistische gesamtsy- 
stem" als eine art monolithischer block 
beschrieben, die tatsache. daß das kapita- 
listische System aus seiner cigcndynamik 
zahlreiche Widersprüche gesetzmäßig 
und ständig neu hervorbringt, die sich 
auf alle anderen ebenen auswirken, daß 
es nationale, historische usw. Widersprü- 
che innerhalb der imperialistischen 
mächte gibt, wurde libeiwicgcnd negiert, 
übersehen oder für nicht relevant gehal- 
ten bzw. einfach die Unterordnung dieser 
widcrsprüchc unter die gcaamtimpcriali- 
stischen intcressen behauptet, der Impe- 
rialismus wurde darauf reduziert, daß 
seine Strategie nur roch auf militärische 
lösungen abzicle. daß er nicht mehr in 
der läge sei. für die durchsetzung seiner 
interessen auch politische mechanismen 
anzuwenden, die konsequente folge einer 
solchen schematischen (und falschen) 
analyse besteht in der Vorstellung, daß 
nun die zeit gekommen sei, für die revo- 
lutionäre in den metropolen, nur noch auf 
militärischer ebene (Strategie gegen ihre 
Strategie) gegen des US-imperialismus zu 
kämpfen, ergo: airbasc und pimcntal. ein 
solches weltbild/eine solche ‘analyse’ bil- 
det den politischen hinlcrgrund für das 
abgleiten der revolutionäre in militaristi- 
sche Strategien. 

in den neusten papieren zum kongress ist 
eine an vielen stellen differenzierte aus- 


einanderset/ung mit dem 

'imperialistischen gesamtsystem. dessen 
macht nur noch militärstrategie ist’ wic- 
deigegebcn. angefangen bei der erkennt- 
nis. daß "die großer. Sprüche der Impe- 
rialisten und das, was sie in bestimmten 
Situationen tatsächlich verwirklichen 
können, zwei verschiedene dinge sind...' 
(was uns sicher auch von der erdrücken- 
den welle von schulz- und weinberger-zi- 
taten befreien wird) bis dazu. daß "das 
kräfteverhältnis immer in konkreten 
kämpfen entschieden wird, und so auch 
die harte haltung nichts endgültiges 
ist..." oder daß “ die Imperialisten einfach 
an jeder einzelnen stelle neu kalkulieren 
müssen, ob der politische schaden, die 
kurz- und längerfristigen folgen einer mi- 
litärischen vergeltungsaktion. einer in- 
lervenlion oder die durch - bzw. nicht- 
durchsetzung eines projekts in den Zen- 
tren größer sind als der nutzen...," 
diese cinschätzungen kommen der Wirk- 
lichkeit schon um einiges näher, vor al- 
lem ist daran wichtig für uns. daß die Wi- 
dersprüche innerhalb des Imperialismus 
oder auch die politischen, ökonomischen 
grenzen, an die er stößt, oder die grat- 
wandcning zwischen militäri- 
schen/repressiven Strategien einerseits 
und politischen auswirkungen anderer- 
seits... daß das alles bereiche sind, in de- 
nen sich für uns, für die revolutionären 
kräfte. immer wieder raum eröffnet, wo 
wir auch Wirkung erzielen kön- 
nen/müssen. damit meinen wir nicht ne 
Politik, die sich nur an den Widersprü- 
chen der Imperialisten orientiert, aber 
wenn wir an den einzelnen Widersprü- 
chen weiter überlcgcn.nchmen wir als 
beispiel das problem der politischen 
grenzen, an die der Imperialismus stößt, 
dann wird daran deutlich, daß für die re- 
volutionären kräfte genau auch dieses 
terrain wichtig ist. wo wir ebenfalls siege 
erringen können durch die politische 
Wirkung unseres handelns, der aktion, 
der mobilisicrung, der täglichen kleinar- 
beit und so verstehen wir den satz der tu- 
pamaros: "DER REVOLUTIONÄRE 

KRIEG IST EIN POLITISCHER 
KRIEG." das ist die •schärfe' des krieges 
in den metropolen, wie wir sie begreifen, 
was jedoch in den papieren zum kongress 
auffällt, daß auch beim bereich 
"gesamtsystem” die Schlußfolgerung aus 
den inzwischen differenzierteren ein- 
schätzungen nicht gezogen werden oder 
nicht als kritcricn für die ausemanderset- 
zung mit den aktionen im august mit ein- 
bezogen werden, würden sie das. wäre 
auch an dieser stelle der Widerspruch zu 
dieser neuen bestimmung eine zwangs- 
läufige folge, gerade da brechen die Über- 
legungen jedoch ab. 



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WELT 

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Itll-Ill/ ihn! IVl'lll-llU.II 

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Die Dritte Welt und Wir 

Beiträge von fünfzig 
Autorinnen und Autoren zu 


aktuellen Themen des 


Nord-Süd-Konflikts. 
Das Buch vermittelt für 
alle, die sich in 
Wissenschaft und 


entwicklungspolitischer 
Arbeit mit den Problemen 
der Dritten Welt befassen, 
einen Überblick über den 
neuesten Stand der 


Diskussion. 

Juni 1993 

512 Seiten • DM 28,- 
ISBN: 3-922263-11-9 
iz3w 

postfach 53 28 • 79020 freiburg 

Für den Buchhandel: Prolil. Gießen 



51 


III. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Weißen 
und People ofColor: 

Antirassismus ist mehr als Antifaschismus und traditio- 
neller Antiimperialismus! 

die tatsaehc, daß die Warengesellschaft in ihrer heutigen fundamentalistischen ausprügung (...) zu einer unauf- 
haltsamen Verwahrlosung der gesellschaft (...) führt (... ist) akut bedrohlich vor allem in den erfolgen ncofaschisli- 
schcr rattcnftlngcr (...). urd wenn heule eine rc-faschisicrung läuft, dann breiter sic sich aus in jenem politisch-kultu- 
rellen vakuum. das diese linke in ihrem rUckzug aus einer (...) ncuseizung von werten (...) hintcrlasscn hat". 

Lutz Täufer, Ghetto oder Gesellschaft 

"(...) rechte jugendgangs (... sind eine) revolte aas dem gefühl der eigenen entwertung im kapitalismus. gegen lüge 
urd das tägliche abtöten von lebenslust (...) die christlich-abendländische ‘kulturelle Icistung' der trennung von kör- 
per und geist (die Spaltung in der person) (... gibt) die unbegriffene - scharfe glasschcrbc ab(...). die den weissen 
HERRENmenschenwahn immer wieder hochbringt, es ist die scherbc. die den hcrrcnmcnschcn abhält, sich auf den 
gnind der eigenen seole niederzulassen (...). die gespenster irren seitdem durch die weit, crlöumg sich wünschend 
und erhoffend bei der suche nach der ursprünglichen einheit. (...).“ 

Christian Klar, Brief von Jan. 1993 

"Ursache allen Übels soll das rationale (...) Denken sein und die Bevorzugung falscher Werte (...). Die materiel- 
len Verhältnisse werden als Folge diesen falschen Denkens begriffen. (...) Eine Botschaft, die auf guten Boden 
Fällt, der vorbereitet ist durch eine Weltuntergangsstimmung, in der Menschen als Klasscn-Rassen-Geschlechts- 
losc Gattung begriffen werden, so als sei die in der kollektiven Untcrgangsphantasic ersehnte Gleichheit vor dem 
jüngsten Gericht gesellschaftliche Realität. (...). Die oppositionellen Strömungen und Kämpfe sollen dementspre- 
chend nicht als Widerstand begriffen werden, sondern als Ausdruck des Wertewandels, als Beweis für den begin- 
nenden Umbruch. (...). Als Verhaltensempfehlung an die auf diese Art entpolitisierten Widerständigen gilt das 
Motto 'Kooperation statt Konfrontation'. (...). Männer wollen/sollen ganz werden. Sic wollen geheilt werden von 
der Last der Männlichkeit, insbesondere der Verantwortung für ihre 'männlichen' Taten, und sie wollen der Ab- 
hängigkeit von den Frauen entkommen. (...). Ganzhcitlichkcit, das ist die Ganzheitlichkeit des weißen Mannes. 
(...). Ein Wertsystem hat noch nie eine Frau geschlagen, vergewaltigt, ausgebeutet. Es mag die Verhältnisse ge- 
rechtfertigt haben und tut cs immer noch, aber ist nicht die Gewalt, die Ausbeutung, die Unterdrückung. Wir soll- 
ten uns das Wissen darum, daß männlichem Verhalten ein Interesse und nicht einfach nur ein falsches Wertsy- 
stem zugrundeliegt, nicht abkaufen lassen (...). Wir sollten uns nicht eir.lassen auf den erneuten Versuch, uns in 
eine männlich definierte Ganzheit einbinden zu lassen. Und das alles noah versetzt mit der Aufforderung zu Ge- 
duld tind Kooperation: Die Geduld der Frauen ist die Macht der Männer! " 

Claudia Neidig / Beate Selders, in: Frauen & Ökologie, Köln, 1987, 75 - 86 (76, 77, 84) 

''(...) warum suchen sich die Subjekte, die - beispielsweise in Griechenland - nicht weniger die 'Wertform des 
Indviduums’ sind, soviel seltener in genannter Weise 'zu heilen’? Das sind Fragen, die den Schluß nahclcgcn, daß 
Rassismus (...) sich nicht umstandslos auf die Warenform als sozialer Kernstruktur in kapitalistischen Gesell- 
schaften reduzieren läßt." 

autonome lupus-Gruppe, in: konkret extra, Nr. 1/1992, 5 

"Die klassische Arbeiterbewegung war auf die Produktion zentriert und hatte als historische Voraussetzung und 
immer weniger effektiven Horizont den Internationalismus. Eine künftige anti-kapitalistische Massenbewegung" - 
die aber eben nicht mehr nur eine anti-kapitalistische sein darf, sondern gleichermaßen eine antirassistischc und 
antipatriarchale sein muß! - "hat gewiss als Voraussetzung einen effektiven Anti-Rassismus, was viel mehr ist als 
Internationalismus." 

Etienne Balibar, in: Widerspruch (Zürich), Vol. 21, Juni 1991, 11 - 19 (18) 

1. Christian Klar. Brief vom Jan. 1992 

2. Heidi Schulz, Auszug aus einem Brief vom Jan. 1993 

3. RAF, Auszug aus der Wciterstadt-Erklärung (April 1993) 

4. Lutz Täufer. Auszug aus dem Text "Ghetto oder Gesellschaft " (Jan. 1993) 

5. einige Frauen aus der radikal . Gegen das organisierte Deutschtum ! (Herbst 1992) 

6. Frauen aus verschiedenen politischen Bereichen, Zur Politik der Frauen aus dem antirassistischen Zentrum und grundsätzliche 
Überlegungen zur antirassistischen Politik (Man. 1992) 



52 


Christian Klar 

Brief vom Januar 1992 


... ich möchte jctti zumindest mal soweit 
kommen, dir auftuschreiben. wie ich seit 
ner weile versuche, mich in dieser rassi- 
stischen crweckungssiluation zu orientie- 
ren. 

das erste muss sein, finde ich, genau hin- 
zuschauen, wie rassismus bei den ver- 
schiedenen klassen sich subjektiv aus- 
drtlckt: bei den in die deklassierung rut- 
schenden. bei den rechten jugendgangs 
(die gcspaltenheit in revolte aus dem ge- 
fühl der eigenen entwertung im kipita- 
lismus, gegen lüge und das tägliche abtö- 
ten von lebenslust / andererseits die reak- 
tionären, ganz konformen träume, auch 
Sadismus), bei den 'ordentlichen bürgern' 
(gefangen in zwangsstmktur von Ord- 
nung. Sauberkeit, funktionieren und lust- 
feindlichkeit), bei den ideologischen und 
organisierten neonazis. bei den politi- 
schen und wirtschaftlichen eliten. 
um jetzt nur mal das letzte genauer zu 
machen, weil das dann in den weiteren 
Zusammenhang (Ulm: flir einen primiti- 
ven rassismus sind sie ja subjektiv meist 
zu aufgeklärt, im rahmen des geldsy- 
stems und seiner transnationalcn Verwer- 
tungsbewegung ist ihnen durchaus jede 
hautfarbe 'gleich, bei ihnen ist cs also 
viel eher ein taktisches Verhältnis, iadem 
sic mit rassistischer (nationalistischer) 
Verhetzung im volk manövrieren, den 
hahn auf- und zu drehen, stichvortc. 
auch z.b. falsche Statistiken ausgeben 
oder zurücknehmen, aber eben im Zu- 
sammenhang der eliten kommt sofort die 
gcschichtc mit rein: auschwitz und die 
Schöpfung der atomaren waffe. die ma- 
ximale abstrahiimng vom konkreten 
menschen als demoralisierende Vorberei- 
tung und dann die technik des Völker- 
mords. auschwitz muss dabei verstanden 
werden als modell imperialistischer mo- 
dcmisicrung. soweit ist die antifaschisti- 
sche aufklärung seit dem zweiten Welt- 
krieg kaum vorgedrungen (die beschwö- 
rung des unmittelbaren menschlichen 
graucns ist, in der gesellschaftlichen brei- 
te. immer der Schwerpunkt geblieben), 
aber wir wissen, cs ist teil unserer cigc 
nen Politisierung, in der imperialistischen 
bourgeoisie hat es seitdem in hinsicht auf 
dieses modcmisierungsnvMlell keinen 
bruch gegeben, in der bestimmung der 
atomaren waffe (und anderer herr- 
schaftsprojektionen) setzt sich folgerich- 
tig das wesentliche davon fort, und damit 
steht die weit verästelte gestalt vom heu- 
tigen rassismus auch in einem völlig er- 
weiterten (schlacht)-feld: das heute von 
unserer seitc her mit der internationalisti- 


schen kampagne zu '500 jahrc Unter- 
drückung und widerstand' betreten wird, 
die '500 jahrc' sind meines Wissens in der 
metropolitanen linken, mal bis zu den 
frühen jahren dieses jahrhunderts zu- 
rückgeblättert. jetzt zum ersten mal solch 
ein bewußter bezugsrahmen geworden, 
aber tatsächlich spielt in die aktuelle Si- 
tuation auch eine subjektive sachc aus 
viel älteren schichten mit rein, ohne die 
rassismus meiner einsicht nach nur wenig 
verstanden werden kann: die christlich- 
abendländische 'kulturelle leistung' der 
trennung von kürper und geist (die Spal- 
tung in der person), die. sagen welche, 
die das genauer erforscht haben, auf das- 
selbe halbe jahrtausend zurück reicht, die 
deformieningen bedeutet und alle mögli- 
chen erscheinungen von entfremdung 
und gleichzeitig die - unbegriffene - 
scharfe glasscherbe abgibt, die den weis- 
sen IIERRENmcnschcnwahn immer 
wieder hochbringt. es ist die schcrbc, die 
den herrennenschcn abhält, sich auf den 
grund der eigenen seele niederzulassen 
und von da aus zu leben, freie bczichun- 
gen zu anderen mcnschen/völkem einzu- 
gehen. ihn vielmehr immer neu zwang- 
haft zur leistung gespenstischer selbst- 
konstitution treibt (populär: die zu ir- 
gendwas hochgestylten), und weil diese 
Scheibe nicht einmal entdeckt ist. wird 
die Ursache des Schmerzes projiziert auf 
die ’sündenböcke', hassend am meisten 
die. die mehr frciscin und lebendigkeit 
ausstrahlen und ursprüngliche menschli- 
che bedürfnissc 'anmelden', die gespen- 
stcr irren seitdem durch die weit, crlö- 
sung sich wünschend und erhoffend bei 
der suche nach der ursprünglichen ein- 
heit, vergeblich aber ohne den bruch mit 
der herrenttruktur. und so können sie 
sich die cioheit doch immer weiter nur 
vorstellen... im Vollzug von ausgrenzung 
der 'fremden', der unordentlichen frauen, 
der nicht funktionierenden (in dcut- 
schland werden 10 prozent derkinder mit 
pillcn vollgestopft in die schule ge- 
schickt), der krüppcl. der für den markt 
überflüssigen... 

wir sind also angekommen nicht bei den 
rechtsextremisten, sondern bei der metro- 
politanen gesellschaftlichen mitte und 
dem System, und das heute mit diesem 
ungeheuren wissenschaftlichen, logisti- 
schen und militärischen zerstörungspo- 
tential zur hand. das sich die imperialisti- 
schen eliten angehäuft und für sich mo- 
nopolisiert haben. 

soweit also mal angerissen die gedanken- 
linicn. entlang denen ich den Zugang zur 
Situation suche. 

vielleicht wird aus dem ausgebreiteten 
auch etwas deutlich, dass der intematio- 
nalismus der metropolenkämpfcr. die von 
den 70er jahren herkommen, noch etwas 


andere wurzeln hat - und darum auch für 
die Zukunft gekämpft werden muss, an- 
ders als welche sagen, die cs fertig zu 
bringen scheinen aus nem konjunkturel- 
len soli-bewusstsein raus leicht auch mal 
davon zu trennen? 
und hier jetzt mal ne denkpause, 
ich möchte für diesmal nur noch die 
frage aitkiiUpfcn. die mich in dem Zu- 
sammenhang der täglichen nachrichtcn 
stark beschäftigt, wie ihr nämlich die ge- 
fahr seht, dass die. die jetzt für den anti- 
fa-kampf aufstehen, sich in diese Sack- 
gasse bewegen könnten dass die herr- 
schenden mit der Steuerung der rassisti- 
schen ausbrüche auf der untersten ebene 
'einen sektiererischen konfiikt kreiren'. in 
dem die linken kräfte sich aufreiben 
(sollen) und die eliten damit dabei unan- 
gefochten bleiben? ... 



Aus «io in Inhalt <ici lernen Ausgaben M. ü uiv '■/ 
Syivic b»‘ik..w um i Cniiw R . .. Reise öuicn ein 
krisengeschütteltes Amerika 11. ■ I 0>. 

Am.iU'ii’ti.'ii- m*i .«Miyin l Um«/.! 
ilii.ili.iliv In* $<!i.ilii'i nitUi USA 141 


«en l* DM 

Im Inneron der Festung - Momentaul 


nahmen nu 


H. IM.1H2Z Italien Dossier |ll| 
Integotion und Klasscnkainpt j .1 


Ach so, jo. Und wer oder was ist »>ak«2 
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*ak« ist eine sozial slische Monots* 
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»ak« erscheint seil 1971. 
Übrigens : Das Kürzel sieht für »Analyse 
und Kritik«. 

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Ulm ollen linken Buehloden und gut lorfierten 
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Schulterblatt 588, 20357 Hamburg 


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Kalalcg anfoidcfn' Am Brink 10 I 21029 Hamburg 


Der Bundeskanzler warnt 

Lesen schadet 
der Gesundheit 

Ein -ak- boispielsweise enthält 
mindestens 40 Seiten hochkonzentrierte 
Inko Verdrehungen und böswillige 
Untorstollungen 


53 


Heidi Schulz 

Über Rassismus 

Auszug aus einem Brief vom Januar 
1993 

(... der Anfang des Brief isl in dieser 
Broschüre in Kap. VIII abgedmckt ...1 
ich denke, heute in einer Situation, wo 
sich offen zu zeigen beginnt, wohin 
grossdcutsche politik führt: krieg, asyl- 
Verhinderung, Oberwasser für alle rech- 
ten. reaktionären entwicklungen, rassisti- 
sche faschistische gewalt. "grosse koali- 
tion" (ohne dass sie formal an der regie- 
rung wäre), zu alle einschneidenden poli- 
tischen cntscheidungen, um die politisch- 
strategischen grenzen zu durchbrechen, 
die dem deutschen Imperialismus durch 
die nachkriegs-grenzen und -geschichte 
(eben auch durch den sozialistischen 
block) in seiner expansion eingeschränkt 
haben - weltweit wie im innem - müssen 
alle um einen gemeinsamen politischen 
begriff von unten und eine gemeinsame 
politische antwort gegen diese entwick- 
lung kämpfen. 

der sogenannte "sclidarpakt", bei dem 
schon die entwürfe in der Schublade lie- 
gen, die in ost- und west(deutschland) 
eine weitgehende dcklassicrung weiterer 
breiterer teile der gesellschaft planen, die 
viele aus vielen gesellschaftlichen 
schichten in einen ökonomischen und so- 
zialen verarmungsprozess drücken wird, 
der eine weitere giundlage (basis, Vor- 
aussetzung) dafür sein wird, dass viele 
ihre pcrspcktivloso Situation bei den fa 
schistischcn Organisationen zu lösen ver- 
suchen werden; solange, auch, "die“ lin- 
ken Zusammenhänge sich nicht damit 
auseinandersetzen, oder sogar konkreten 
authentischen initiativen in den rücken 
fallen (wie teile der pds gegen authenti- 
sche Organisierungsvorschläge und ver 
suche ausserhalb der gcwcrkschaftcn 
von/mit arbeiterlnnen aus dem osten), 
während gleichzeitig von oben "den ei- 
nen - die gelder für soziale projekte ge- 
strichen werden - wie treffpunkte für ju- 
gendliche, für ältere menschen, behinder- 
teneinrichtunEcn. obdachlose, fortschritt- 
liche "aniipsychiatrie"-projekte, besetzte 
häuscr.. - werden von unten "den ande- 
ren" dazu die brandbomben und tod- 
schlägcrtrupps "geliefert", in aktion ge- 
setzt. 

sicher kann niemand fertige antworten zu 
allem aus der Schublade ziehen, umso 
wichtiger sind aber die klare benennung 
von inhaltlich-politischen bestimmungen, 
die von den wirklichen klassenverhält- 
nissen ausgehen, von den Ursachen fa- 
schistischer gewalt, statt mit politisch 
blindem handeln eine polarisiening zu 
verbreitern und zu vertiefen, die eine 


breite entpolitisierte Unzufriedenheit vie- 
ler jugendlicher weiter in die rechte 
"ecke” treibt, die sic willkommen auf- 
nimmt. weil "die“ linke, viele linke Zu- 
sammenhänge, cs sich zu einfach machen 
- sich nicht mit der realitat von deklas- 
sierten und den Ursachen ihrer blinden 
gewalt auseinandersetzen. 

"faschistcn jagen und schlagen, wo man 
sie trifft" ist keine antwort auf die sozia- 
len und politischen Ursachen - dem nähr- 
boden faschistischer gewalt. 
es ist doch auch unser ureigenstes intcr- 
esse - das von denen, die in diesen impe- 
rialistischen Verhältnisse nicht mehr le- 
ben wollen und können - nicht nur gegen 
die rechten zu kämpfen, wenn sie sich 
offen bestialisch zeigen, sondern gegen 
alle Ursachen dieser entwicklung und d.h. 
gegen ihre grundlagen, um einen eigenen 
umwälzenden prozess mit langem atem 
zu kämpfen; mit politischen Vorstellun- 
gen von einem anderen leben, dafür, und 
sicher ist es schwieriger sich mit jugend- 
lichen. die rechten parolen aufsitzen. 
auseinanderzusetzen, ihre dcnkschcmata 
auscinandcrzunchmen, als ihnen nur eins 
aufs maul zu hauen - was gegen die wirk- 
lichen faschisten sicher keine frage ist. 
die eigene Hilflosigkeit oder orientie- 
rungsschwäche kann niemand (niemals) 
durch Schläge "ersetzen”, wenn heute so 
viele 12-13-14.. .jährige kids den faschi- 
stcn in die arme laufen, dann ist das nicht 
nur eine frage, aus welchen wcrtc-loscn. 
kaputten familienstnikturen sie kommen, 
in denen autoritätshörigkeit und Unter- 
ordnung schon immer wichtiger waren 
als selbständiges und verantwortungsvol- 
les denken, als einem grundbaustein die- 
ser gcsellschaftsstnikturen. sondern es ist 
auch eine 'Trage'' an die geschichte linker 
politik - hier ausdruck dessen, wie wenig 
bzw. mit welcher entfremdung aus der 
privilegierten distanz sie die äugen vor 
den sozialcn-klassciwidcrsprüchen ver- 
schliessen und sich mit den politischen 
Ursachen von dekiassierungsprozessen 
auscinandergesetzt haben, 
diesen fehler zu zementieren, indem man 
die fehlende anziehungskraft einer nicht- 
existenten linken zur grundlagc des eige- 
nen denkens und handelns macht, kann 
dieses defizit. einer eigenen Orientie- 
rungslosigkeit und das anwachscn von 
faschistischer Organisierung und gewalt 
nur vergrössem. man muss zwischen 
formen von Unzufriedenheit und blinder 
gewalt, die unbegriffen rechte parolen 
übernehmen, und denen, die wirklich fa- 
schistcn sind, unterscheiden, will man 
dieser entwicklung nicht weiter das fcld 
überlassen, die viele jugendliche weiter 
in ihre arme treibt. 

dazu gehört aber sich tatsächlich mit ih- 
rer realen läge, ihren Widersprüchen und 
Problemen auseinanderzusetzen - dass 


geht nicht von einer warte aus. die für 
viele "linke" hier da bestimmende ist: 
"wir sind die guten mit durchblick" und 
"ihr die verdummten bösen", einer hal- 
tung, der die realen klasscnverhältnisse 
im eigenen "links-altcmativcn ghetto" 
abhanden gekommen sind, ein bewußt- 
sein Uber die eigene reale läge - und das 
gemeinsame der läge aller unterdrückten, 
cs gibt einige wenige ansätze. die in die- 
sen uuscinandcrsctzungcn richtig cingtci- 
fcn. wie z.b. in mannheim. wo sich aus 
den Zusammenstößen zwischen "rechten 
und linken jugendlichen" eine initiative 
entwickelt hat, um die Sprachlosigkeit zu 
brcchcn. fußballspiele sind da genauso 
teil wie gesprüchc und cs wäre nichts als 

dumme arroganz. KcJche initiativen als 
"sozialarbcitcrfricdcn' abtun zu wollen, 
sicher reichen solche initiativen allein, 
auch wenn sic so zahlreich wie notwen- 
dig wären, nicht aus. wenn nicht gleich- 
zeitig um eine entwicklung gekämpft 
wird, die gegen die Ursachen rechter ge- 
walt eine eigene Orientierung und politik 
setzt. 

und sicher ist auch, dass das nicht ohne 
einen gesellschaftlichen klämngspro/eß 
möglich sein wird - wie sich jcdc/r poli- 
tisch verhält zu den fundamentalen fra- 
gen (denen die meisten linken Zusam- 
menhänge aus dem weg gehen), zu den 
politischen und sozialen fragen, wie sie 
aus den existierenden gesellschaftlichen 
Widersprüchen autbrcchcn. aus der ver- 
änderten gesamtpolitischen läge, in der 
das deutsche kapital sich auch mit krieg 
wieder neue absatzmärkte, ausbeutung 
von anderen Völkern und fremden res- 
sourcen sichern will, (schließlich ein Ur- 
sprung von rassismus und 
"hcrrenmenschen"-deiiken, aus 500 jah- 
ren kolonialcr-imperialer herrschaft ent- 
wickelt). 

ohne hier auf die komplexen cntwickl- 
ungen eingchcn zu können, die zu der 
Zuspitzung weltumspannender krisen in 
grausame vcrtcilungskämpfe und 
"bürgerkriege" geführt haben, wie in Ju- 
goslawien und Somalia, oder angola... 
eins steht mit Sicherheit fest, sie wären 
ohne die cinmischurg und machtpolitik 
zur durchsetzung politischer, ökonomi- 
scher und militürsirategischcr intcrcsscn 
imperialistischer grossmächte nicht mög- 
lich gewesen, die nun im namen 
"humanitärer aktionen" den weg freima- 
chen sollen für die akzeplanz einer mili- 
tärischen intervcntionspolitik in dertradi- 
tion kolonialer militaristischer machtpoli- 
tik. 

was ist anti rassistische, antifaschistische 
politik eigentlich? ist das das recht, hier 
geduldet zu werden, solange menschen 
für die Verwertungsinteressen des gros- 
sen geldes, der multinationalen konzeme. 
ausbeutbar sind? menschcnrcchtc. die 



54 


nach den Verwertungsbedingungen des 
Kapitals quotiert mal proklamiert, dann 
ausser kraft gesetzt werden, oder damit 
ihre cxpongcschaftc nicht gefährdet wer- 
den? ich denke, antirassistischcr antifa- 
schistischer Kampf ist etwas anderes, ist 
der gemeinsame kampf mit allen Völkern 
um befreiung. 

kampf um befreiung von neokolonialer- 
impcrialistischcr ausbeutung und herr- 
schaft - von jeder form der ausbeutung 
des menschen durch den menschen - 
was. solange dieses kapitalistische prin- 
/. ip herrscht, in Zeiten der vcrschirftcn 
krisen immer wieder rassistische ur.d fa- 
schistische Unterdrückung produziert. 

(... das Ende des Briefes ist in dieser 
BroschUre in Kap. VIII abgedmekt ..) 


Aufsatz« zur Diskussion 
Ein« Otcoratlscla Zettechrtft dee 
revolutionären Marxdsmua 

AzO M - Dwember 1993 
Inhalt u. a. 

• Indlenleche MMtMnteefn 

• Vorgeschichte Mexikos 

• Azteklsch-mexlksnlsche 
Agrarordnung 

ArD 59 - März 1(94 
Inhalt u. a. 

• Dia mexikanische 
Revolution 

• Allianz von Kleinbürgern 
und Bauern 

• NAFTA: da» Ende der 
Dorfgemeinden 

Preis pro Nummer DM 7.50 


Außerdem aoeben erechtanwi 
H. Kamee heit. A. Schröder 

Von der Oktoberrevolution 
zum Bauemaozlallsmus 
Zur russisch-sowjetischen 
Geschichte 

396 Seiten DM 28.- 


Beitellunoen an: VTK 
Postfach 16 07 25. 60070 
FranWu rt/Main 


Rote Armee Fraktion / 

Kommando Katharina Hammerschmidt 

Weiterstadt 

I ■•■] 

aus teilen der frauenbewegung gab cs die 
Kritik an uns. daß wir nur wenig auf ihre 
diskussionen cingcgangcn sind, die für 
teile von ihnen in den letzten jahren sehr 
wichtig gewesen sind, wie die diskussion 
um rassismus. und auch durch die sich 
Überschlagenden ereignisse wie z.b. in 
rostock ist es für uns dringend geworden, 
diese auseinandersetzung genauer zu füh- 
ren. 

wenn wir auch nach wie vor die Ver- 
schärfung der Icbcnsbcdingungcn hier 
und die um sich greifende perspektivlo- 
sigkeit vieler menschen sowie das fehlen 
der linken als kraft als einen grund für 
einen zulauf bei den faschisten sehen, ist 
es auf der anderen seite aber auch klar, 
daß die wurzel. dafür, warum sich hier in 
der metropole. im neuen großdeut- 
schland, die Unzufriedenheit in einem 
solchen ausmaß gegen fremde entlädt, 
tiefer liegen, damit müssen sich alle sehr 
bewußt aujeinandersetzen. wie ein mo- 
sambikancr sinngemäß gesagt hat: bei 
uns sind de menschen auch arm und 
trotzdem schlagen sie deshalb nicht auf 
die nächsten unter ihnen ein. 
die auseinandersetzung über rassismus 
wird also sicher ein wichtiger teil beim 
aulbau einer gcgcnmacht von unten sein 
- die nicht im ghetto bleiben oder als ab- 
grenzung zu anderen geführt werden 
kann, sondern als frage ans eigene be- 
wußtsein, wie jedc/r sein will und welche 
gesellschaftliche entwicklung man/frau 
will. 

daß da in der Vergangenheit fehler gelau- 
fen sind, kritisiert die autonome 
l.u.p.u.s.-gruppe in ihrem buch 
"geschichte. rassismus und das boot” so: 
"so selbstverständlich und geübt es 
scheint, heute über rassismen. über das 
'spezifisch deutsche' oder über deutsche 
einzigaitigkeiten zu streiten, so selbstver- 
ständlich sah die revolutionäre linke in 
den letzten 20 jahre darüber hinweg. ... 
was in der linken auseinandersetzung um 
patriarchales verhalten unmöglich gewor- 
den ist. schien in der frage des deutsch- 
seins auffällig leicht zu fallen: wir haben 
damit nichts zu tun." 

die Chancen, heute vieles anders zu ma- 
chen und neues herauszufinden sind 
groß: die frage nach dem aulbau einer 
gegenmacht von unten ist nicht aus- 
schließlich eine frage an weiße, deutsche 
linke, sondern eine frage danach, wie 
menschen. die hier leben, sich gemein- 
sam organisieren können, und die bevöl- 
kerung setzt sich hier aus menschen der 


unterschiedlichsten nationalsten und 
hautfarben zusammen. 

"der dialog mit schwarzen frauen muß 
nicht in fernen Hindern staufinden, son- 
dern ist/wäre viel einfacher und intensi- 
ver mit den frauen möglich, die in der 
brd leben, die geschichte von migrantin- 
nen und ihr wissen aus den hcrkunftslän- 
dem ist dabei für das begreifen interna- 
tionaler Zusammenhänge so wichtig wie 
ihre politischen meinungen und crfaii- 
rungen mit rassismus und dem anderen 
sexismus, der sie hier trifft, für das Ver- 
ständnis der brd-gesellschaft..." (aus: 
"basu“ - frauen gegen Kolonialismus). 

"... es war die 68er bewegung, die das. 
was der faschismus nach dem judentum 
innerstaatlich am grausamsten verfolgt 
und ausgemerzt hatte, die linke, ihre 
wette, kultur und kontinuität, wieder le- 
bendig und berechtigt hat werden lassen 
in dcutschland west, und wenn heute eine 
re-faschisienwg läuft, dann breitet sie 
sich aus in jenem politisch-kulturellen 
vakuum, das diese linke in ihrem rückzug 
aus einer gesamtgesellschaftlichen Ver- 
antwortung und neusetzung von werten 
und Einstellungen hinterlassen hat." (lutz 
taufet, gefangener aus der raf). 
es ist eine aufgabe der linken in ihrer 
praxis neue werte zu setzen und zu leben, 
ansonsten wird in der gesellschaft immer 
nur das hervorbrechen, was 500 jahre Ko- 
lonialismus im bcwußtscin der metropo- 
lenbevölkerung angerichtet haben: rassi- 
stische ideologie. das weiße herrenmen- 
schcnbewußtscin ist seit 500 jahren Vor- 
aussetzung für kolonialistische und impe- 
rialistische ausbeutung der Völker im tri- 

konu es ist im bewußtsein der weißen 
metrcpolenbcvölkcrung aus dieser ge- 
schichte vorhanden und wird in krisen- 
zeiten von Staat und kapital offen mobi- 
lisiert. 

rassismus heißt. menschen in 
“andersartige" und "mehr-" und 
"minderwertige" zu kategorisieren. so 
werden immer die kategorisiert, die im 
kapitalistischen produktionspro/.eß ent- 
weder nicht gebraucht werden oder härter 
ausgebeutcl werden sollen, 
die Zerstörung des sozialen unter den 
menschen ist die Voraussetzung für ras- 
sismus. diese Zerstörung bedeutet, daß 
auf der basis des kapitalistischen Sy- 
stems. dem 24-stunden-alltag von lei- 
stung und Konkurrenz, den menschen ei- 
gene kritcricn geraubt und durch für den 
Kapitalismus funktionale werte ersetzt 
wurden - am effektivsten in der metro- 
polc. das zeigt sich z.b. am Verhältnis zu 
arbeit und leistung als wertdefinition des 
menschen: ohne arbeit bist du nichts... cs 
ist das Verhältnis zur zeit, wo es für die 
meisten menschen zur rormalität gewor- 
den ist, in einem vollkommen vorbe- 
stimmten rhythmus und stress das ganze 



55 


leben zu verbringen, in dem es keinen 
plaiz für kreativität und lebenslusc gibt. 

(... Der hier ausgelassene Absatz ist zu 
Beginn des nächsten Kapitels dieser Bro 
schüre zitiert ...] 

es war und ist immer die Voraussetzung 
für die hcrrschaft des kapitalistischen Sy- 
stems Uber die mcnschcn gewesen, mit 
solchen kritcricn auch tausend Nennun- 
gen zwischen sie zu setzen: die trennun- 
gen in mehr- und minderwertige, in lei- 
stungsfähige und "arbeitsscheue": in 
schwarze und weiße; in männcr und 
fraucn; alte und jung; kranke, schwache, 
behinderte und starke, gesunde; in ge- 
scheite und "dumme", 
dieser prozeß der Zerstörung hat heute 
eine dimension erreicht, in der die gesell- 
schaft in ein inneres um-sich-schlagen 
übergeht. 

rassistisches bewußtscin wie überhaupt 
der destruktive prozeß in der gescllschaft 
kann nur in kämpfen, in denen soziale 
bczichungen und werte hervorgebracht 
und umgesetzt werden, aufgehoben bzw. 
umgedreht werden, eine Perspektive re- 
volutionärer entwicklungcn wird nur in 
solchen prozessen wieder vorstellbar 
werden. 

entweder schafft die linke - und damit 
meinen wir alle, die auf der suche nach 
wegen sind, wie menschenwürdiges le- 
ben hier und weltweit durchgcsctzt wer- 
den kann - einen neuen aufbruch, der 
seine Wirkung in der gescllschaft hat, 
oder der "aufbruch" bleibt auf der rech- 
ten. faschistischen scitc. 
entweder wird von unserer scitc aus eine 
basisbewegung von unten entwickelt, die 
von Solidarität und gerechtigkcit, vom 
kampf gegen soziale kälte, perspektivlo- 
sigkeit und armut bestimmt ist, oder die 
explodierenden Widersprüche werden 
weiterhin destruktiv bleiben und die gc- 
walt jedc/r gegen jede/n eskalieren. 

[...] 

RASSISMUS VON STAAT UND NA- 
ZIS BEKÄMPFEN 1 

RASSISTISCHES BEWUSSTSEIN IN 
DER GESELLSCHAFT IM KAMPF 
FÜR DAS SOZIALE UNTER DEN 
MENSCHEN AUFHEBEN - AUCH DA- 
FÜR BRAUCHEN WIR EINE BASIS- 
BEWEGUNG VON UNTEN, DIE VON 

SOLIDARITÄT UND GERECHTIG- 
KEIT. VOM KAMPF GEGEN SOZIALE 
KÄLTE. PERSPEKTIVLOSIGKEIT 
UND ARMUT BESTIMMT IST! 


Lutz Täufer 

Gesellschaft oder Ghetto 

(...). “selbst ein so sympathisch nüchter- 
ner mann wie schäublc spricht vom Ver- 
lust der wertbindungen. der mitte der 
sechziger jahrc entstand", berichtet die 
süddeutsche zeitung am 7.12.1992 von 
einer schäublc-'rcdc über deutschland”. 
was ist es. was diesen "nüchternen" Poli- 
tiker dermaßen irritiert, ein viertel jahr- 
hundert nach seinerzeit als einer der an- 
führer des rings christlichdemokratischcr 
Studenten in freiburg? sicher nicht diese 
oder jene aktion der Studentenbewegung, 
eher schon der zumindest partiell und 
temporar erfolgreiche angriff auf jene 
denkmuster und ncntalitätcn, die den 
kapitalismus im innersten, bis jetzt jeden- 
falls, einigermaßen am laufen hielten: die 
verlorengegangenen anbindungen an die 
herrschenden werte, unschwer zu begrei- 
fen, daß eine solche eindringliche offen- 
sive nicht durch itlcKzug ins ghetto ge- 
schieht, sondern durch jene bewegung, 
die in der genau entgegengesetzten rich- 
tung sich entfaltet. 

wie nun aber jener eigentümliche gedan- 
kensprung, mit dem schäuble, an die dc- 
nunziation von 68 anknüpfend, in seiner 
icdc foitfUhrt: "und er appelliert an das 
deutsche volk. sich nicht nur am konsum 
zu orientieren, sondern auch die freude 
am kind zu entwickeln"? 
wie?! hat 68 hemmungslosen konsum 
propagiert, haben wir zielstrebig auf jene 
kinderfeindliche Gesellschaft hingcarbci- 
tet, wie wir sic heute haben? warum redet 
dieser mann solchen unsinn? ich denke, 
wir müssen dabei zweierlei auseinander- 
halten: erstens die tatsache. daß die wa- 
rcngcscllschaft in ihrer heutigen funda- 
mentalistischen ausprägung (in schäubles 
Worten: alleinige Orientierung am kon- 
sum) 7U einer unaufhaltsamen Verwahr- 
losung der Gesellschaft, ihrer sozialen 
bindekräfte und so ihrer reproduktion 
überhaupt führt (fehlende freude am 
kind), akut bedrohlich vor allem in den 
erfolgen ncofaschistischcr rattenfänger 
bei tausenden von hindern und jugendli- 
chen sichthar. 

und zweitens-, daß selbst einem schäuble 
inzwischen dämmrrt, was ein marx 
schon vor 140 jahren skizziert hat: daß 
nämlich unter dem fundamcntalismus der 
wäre Verhältnisse zwischen menschen zu 
Verhältnissen von sachcn werden, als 
führender edu-politiker kann er dieses 
aber nicht aussprechen, vermutlich noch 
nicht einmal in seinem bewußtsein zulas- 
sen. also wird es ahgespalten und auf ei- 
nen sündcnbock projiziert, von daher die 
brilche in seiner argumentation. 
das klima in diesem land ist in den letz- 
ten beiden jahren umgeschlagen, eine 


dramatische entwicklung. die in ihrem 
vollen ausmaß erst 1992 deutlich gewor- 
den ist. was wir heute wissen, war zu be- 
ginn des jahrcs noch nicht sichtbar, reak- 
tionäre bis faschistische tendenzen. und 
zwar nicht nur in organisierter form in 
der handbreite von spd bis hin zu be- 
waffneten neonazistischen trupps. haben 
sich breit gemacht, und längst auch das 
alltagsbcwußtsein erreicht, werte und 
denkmnster der linken kommen nicht 
mehr oder nur in diffuser, widersprüchli- 
cher form zum tragen, breit angelegte ak- 
tionen gegen rassismus, antisemitismus 
und nazismus haben stattgefunden, als 
koalitionen von linken, sozialdemokrati- 
schen und bürgerlichen kräften. ihre tra- 
ditionelle rolle als motor solcher mobili- 
sicrungcn hat die linke cingcbiißt. 
schlimmer noch: da demonstrieren mil- 
lioncn gegen faschismus und militanten 
rassismus. ohne zuvor mit der herrschen- 
den wcrtskala gebrorhen zu haben, und 
doch muß auch dann erinnert werden: 
bei allen grausamen verimingen war es 
in der bisherigen geschichte die linke, die 
kontinuierlich dafür garantiert hat, daß 
um menschliche und soziale emanzipati- 
on gekämpft wird, ein anderes politisches 
kontinuum. das auch nur ähnliches für 
sich in anspruch nehmen könnte, fallt 
mir, in deutschland jedenfalls, nicht ein. 
wenn es nach dem zweiten Weltkrieg in 
diesem land eigen-ständige demokratisie- 
rung gegeben hat, so war das nicht der 
us-import dollars & democracy, es war 
die 68cr-bcwcgung, die das. was der fa- 
schismus nach dem judentum innerstaat- 
lich am grausamsten verfolgt und nahezu 
ausgemerzt hatte, die linke, ihre werte, 
kultur und kontinuität, wieder lebendig 
und berechtigt hat werden lassen in deut- 
schland west. 

und wenn heute eine re-faschisierung 
läuft, dann breitet sie sich aus in jenem 
politisch-kulturellen vakuum. das diese 
linke in ihrem rückzug aus einer gesamt- 
gesellschaftlichen Verantwortung und 
neusetzung von werten und einstellungen 
hintcrlasscn hat. 

die weit, nicht zuletzt die westlichen Sy- 
steme. befinden sich in einem sich be- 
schleunigenden prozeß der implosion, 
der vermutlich von ähnlicher dimension 
sein wird wie der ütwrgang vom mirtelal- 
tcr zur ncuzcit. und insofern ist der salz 
vom ende der geschichte wahr, aber die 
Verwechslung einer neuen zeit mit der 
mensch und natur in ihrer wcitcrcxistcnz 
bedrohenden apokalypse namens waren- 
gcscllschüft zeigt nur, wie sehr die mäch- 
tigen selbst in perspektivischer ratlosig- 
keit befangen sind, das macht sic nicht 
ungefährlicher. im Gegenteil, 
"aktionismus statt pjlitik". bilanziert die 
süddeutsche zcitung die bonner politik 
des jahres 1992. aber ihre versuche, die 



56 


bedrohlicher und unbeherrschbarcr wer- 
dende silualion unter aufoietung aller 
mittel und brutalitiitcn. unter abwurf auch 
noch des letzten moralischen ballasts. 
doch noch einmal zu stemmen, ist der hi- 
storischen Situation gegenüber genauso 
blind wie der "blick über kimme und 
kom." dieser Situation ein "revolutionäres 
Projekt" entgcgcnzusiellen. das auch 
nach einjähriger debattc Uber das Stadium 
guter absichtcn und böser Unterstellungen 
nicht hinausgekommen, halte ich nicht 
für einen angriff auf diese Verhältnisse, 
sondern für einen rtlckzug von ihnen. 


Der Film "...was aber 
wären wir für Menschen..." 

behandelt die Zeit von 1967 bis 
1977. Er enthalt Interviews mit ehe- 
maligen Gefangenen aus der 
Guerilla, mit Zeitzeugen, einem Arzt, 
Angehörigen und einer ehemaligen 
Gefangenen, und vermittelt anhand 
von umfangreichen Dokumentar- 
material einen Eindruck von der Auf- 
bruchstimmung der spaten 60er Jah- 
re : nicht nur in der BRD. 

Der Filrn ist zu bestellen bei 
Gruppe 2, Fasanenstraße 142, 

82002 Unterhachm 
Leihgebühr 45.- DM / 14 Tage 



mm— I" d« CwnCird • ton» 

pjuchr Protdifinessf • -Lohhvn*- -Smilo VUudultcn- • 
AJudmw für St Cri»« Mant yiiwu • EnwiddunfSÄtUrtu 
für *n Xori miaWH Vifmnl der Ahtmuft-Zeilun- 
RfRrliralet rMTTffltWI ATTA) T Pi einer rt*uen Zftili- 
«iiin l i l,Ill» |l llüUWffl Ftnl»ifr ron OB 8raw Web» fiir 
mehr Tgkrjiu... <Ik Gcnuum nnem 

bürg dm Aufruf rum FraumJmV untmrhrwhm haue. 

sehe BbloRnphir i*tr Fnbi5dxtf [HBHVxn muliAut- 
turelkn Ghetto ar Intertuhurtkn Anerkennung u.v.m. 


bas tfo und oxli Md mbr 
in co.vnwsm für 8 Muk fm Ha»* 

□*h will die neue COVlTAStT. 

MCincABdffiSl - 

8 DM in Bnefnurlm/S: hei habe k h kfflegi 

Coupon hlte lusschnodrn und einseiKlm an 

CONTRCTE. Pwfarii 10020. 690.« llodeNrj; 

ins-SM.’ii 


einige Frauen aus der radikal 

Gegen das organisierte 
Deutschtum! 

Für den Zusammenbruch! 
Rückwärtsrolle ? 

Grüße an Lupus! 

Das Thema das die autonome Linke hier 
seit dem 22. August des Jahres einerseits 
am meisten beschäftigt, andererseits vor 
die größten Probleme stellt, sind die Po- 
grome gegen FlJchtlingsheimc und 
Flüchtlinge, die mit Hilfe massenhafter, 
aktiver Unterstützung der deutschen Be- 
völkerung. ausgehend von Rostock-Lich- 
tenhagen in vielen Städten der Ex-DDR, 
staufanden. Nachdem cs schon im letzten 
Jahr z.u mehrtägigen Angriffen, gemein- 
sam getragen von organisierten Rechten 
sowie der Ema-Normalbcvölkerung auf 
ein Flüchtlingsheim in Hoyerswerda und 
im Juni des Jahres zu einem Pogrom auf 
der Schönau bei Mannheim gekommen 
war. wurden die Angriffe in Rostock- 
Uchtcnhagcn /um Ausgangspunkt fllr 
einen neuen, nicht gekannten Höhepunkt 
rassistischen Terrors. Im Moment sind 
zumindest die vermassten Angriffe auf 
die Heime etwas abgeebbt, aber täglich 
finden Brandanschläge auf Ausländerln- 
nenunterkünftc und anderer rassistischer 
Terror gegen Ausländerinnen statt. 

Die ersten Reaktionen der autonomen 
Linken zeigten sich in einer erhöhten 
Mobilisicrungsfähigkeil für Demos und 
anderen Massenaktionen und in verstärk- 
ten Kleingruppenaktionen vor allem ge- 
gen faschistische Kneipen und Treff- 
punkte. Die Bereitschaft dazu ist mitt- 
lerweile wieder etwas zurückgcgangcn. 
Man/frau ist wieder- /.um Alltag zurück- 
gekehrt. die Nachrichten über die tägli- 
chen Angriffe auf Ausländerinnen gehö- 
ren unterdessen zu dessen Normalität. 
Weitgehend unbeantwortet sind die 
drängenden Fragen danach, wie antifa- 
schistische Politik aussehen kann, ange- 
sichts der nicht nur erstarkenden faschi- 
stischen Organisationen, sondern gerade 
der Bereitschaft zum rassistischen Terror 
weiter Teile der Bevölkerung, die sich 
gegenwärtig offensichtlich von Zeit zu 
Zeit in aktiver, gewaltsamer Vertreibung 
entlädt und dabei auch bereit ist. Tote un- 
ter den Ausländerinnen in Kauf zu neh- 
men. 

Im Grunde ist damit der Zustand wieder 
cingctrcten der seit dem Ende der Angrif- 
fe in Hoyerswerda jeweils zwischen den 
Pogromen Normalzustand in der BRD 
ist: Laut Statistik des BKA fand im Jahr 
1991 durchschnittlich jeden Tag (!) ein 
rassistisch motivierter Sprengstoff- oder 
Brandanschlag statt. Die Dunkelziffer 


dürfte allerdings ein Vielfaches dieser 
Zahl betragen. Über die Angriffe gegen 
ausländisch ausschcrde Menschen in al- 
len öffentlichen Bereichen ist damit im 
Übrigen noch gar niclits gesagt. 

Angesichts solchen Ausmaßes des rassi- 
stischen Normal-Terrors bilden Pogrome 
nur die Spitze des Eisbergs. Gleichzeitig 
erscheinen sie im Gesamtzusammenhang 
der rassistischen Gewalt einerseits und 
der menschenverachtenden Ausländerpo- 
litik andererseits auch gar nicht mehr als 
das Besondere, sondern eher als folge- 
richtige zeitweilige Steigerung der übli- 
chen rassistischen Gewalt. 

Ich weiß nicht, was soll es bedeuten... 

Grund genug, sich Gedanken darüber zu 
machen, wie kontinuierliche antifaschi- 
stische Politik gestärkt werden kann, und 
welche Möglichkeiten wir haben, speziell 
auf die Pogrome zu reagieren: 

Auf die Ereignisse in Rostock reagierte 
die radikale Linke ent einmal mit boden- 
loser Hilflosigkeit. Grüppchcnweisc fan- 
den zwar einige schnell und spontan den 
Weg nach Lichtcnhajicn, ohne allerdings 
recht zu wissen, was man/frau dort ma- 
chen könnte. Die erste größere, von Au- 
tonomen getragene Aktion (eine antifa- 
schistische Demo) fand erst am nächsten 
Wochenende, also eine ganze Woche 
nach Beginn des Pogroms statt, quasi als 
“alles vorbei” war. Auch die weithin ge- 
tragene Aufforderung an die I.ichtenha- 
gener Bevölkerung: "Schämt euch”, 
zeugt von Ohnmacht der Situation ge- 
genüber. 

Wofür soll sich die so angesprochene 
Bevölkerung denn schämen? Etwa dafür, 
daß mit ihrer tatkräftigen Unterstützung 
beinahe 150 Vietnamesinnen verbrannt 
wären? Die Aufforderung, "sich zu 
schämen", scheint angesichts der bewußt 
in Kauf genommenen Gefährdung von 
Uber 1 50 Menschen doch wohl etwas un- 
angemessen. wenn nicht gar lächerlich. 
Sic verniedlicht geradezu den Terror der 
deutschen Bevölkerung, indem sic so tut, 
als würde man mit "dummen Jungs" 
schimpfen. Nimmt die Linke die Bereit- 
schaft zu rassistischer Gewalt der ganz 
normalen Durchschnittsbevölkerung im- 
mer noch nicht ernst...? 

Pogrome stellen die Linke offenbar in 
mehrfacher Hinsicht vor eine neue Situa- 
tion: 

Wurde in den letzten 2 Jahren noch ver- 
sucht, den Schutz von Flüchtlingsuntcr- 
künften gegen faschistische (Klein)- 
Gruppen zu organisieren (z.B. durch Te- 
Icfonkctten) so können kleine, antifaschi- 
stische Gnippchcn gegen einen Mob von 
mehreren hundert Leuten wenig ausrich- 
tcn. Allein in Quedlinburg ist cs gelun- 
gen, sich mit ca. 200 Leuten relativ spon- 


57 


tan schützend vor ein Heim zu stellen 
und darüber hinaus rechte Gruppen so- 
wie die randalierende Bevölkerung anzu- 
greifen und wenigstens für die Dauer der 
Anwesenheit der Autonomen zu vertrei- 
ben. Solches Vorgehen finden wir bei- 
spielhaft und un!>edingt nachahmenswert 
in einer Situation, in der cs einerseits 
darum gehen muß. den öffentlichen ras- 
sistischen Konsens auf der Straße durch 
Präsenz und durch militante Angriffe auf 
die Rassistlnnen zu brechen, andererseits 
die Flüchtlinge, die auch in Quedlinburg 
z.B. noch im Heim waren, zu schützen 
oder, wo möglich, gemeinsam mit ihnen 
Schutz zu organisieren (wie z.B. Ende 
Oktober in Greifswald). Zum ersten Mal 
seit cs die Pogrcmc in Deutschland gibt, 
mußten die Ema-Normalrassistlnnen, die 
dort seit Tagen allabendlich ihr Bier 
nicht mehr vor der Glotze, sondern auf 
der Straße vor dem Heim tranken, zur 
Kenntnis nehmen, daß sie persönliche 
Konsequenzen und Risiken ftlr ihre Be- 
teiligung an den Angriffen zu tragen ha 
ben. Soweit uns bekannt ist. blieben die 
Aktionen von Autonomen in Quedlin- 
burg, die die rassistische Bevölkerung in 
einer eskalierten Situation vor Ort mit al- 
len Mitteln an weiteren Angriffen zu 
hindern suchten, die einzigen dieser Art, 
die nicht von Flüchtlingen getragen wur 
den. 

Dafür gibt cs unserer Meinung nach ver- 
schiedene Gründe: Wir denken, daß sol- 
che Aktionen vielen Autonomen zu un- 
differenziert erscheinen. Dahinter steckt 
die Weigerung, die an den Pogromen Be- 
teiligten ohne jede Beschönigung als Tä- 
terinnen und damit als handelnde Sub- 
jekte zu erkennen, die auch eine Verant- 
wortung für ihre Taten haben und nicht 
nur fehlgeleitete, bewußtseinslose, arme 
Opfer sind; statt dessen wird der Versuch 
unternommen. *Erklänmgcn" für das 
rechte Verhalten in (angenommenen) so- 
zialen Problemen zu finden 
(Arbeitslosigkeit, enge Wohnungen, Ori- 
entierungslosigkeit durch die unterstellte 
Auflösung sozialer Strukturen.. .), die 
trotz gegenteiliger Beteuerungen häufig 
nichts anderes sind als verständnisvolle 
Entschuldigungen. Indem sie die Ursache 
für die rassistische Gewalt ständig bei 
den sozialen Problemen dieser Gesell- 
schaft und der bösen, bösen Welt sucht, 
trägt die Linke zur Tätcrlnncncntlostung 
und Legitimation der Angriffe auf Aus- 
länderinnen bei. 

Wir verstehen antifaschistische Gegen- 
wehr gegen die rassistische, deutsche Be- 
völkerung nicht wie im Papier: 
“'Schönau' Rassismus - Antirassismus - 
Klassenkampf' beschrieben als "das au- 
tonome ‘Konzept Strafexpedition', das 
nicht mehr differenziert, das nicht polari- 
siert und nicht politisiert, sondern im mo- 


ralischen Überschwang kurzerhand 
(einen ganzen Stadtteil; Einfügung von 
uns) zu faschistischem Gebiet erklärt" . 
Wir finden militantes Vorgehen gegen 
die an einem Pogrom beteiligte Bevölke- 
rung legitim und notwendig. Es geht in 
solch einer eskalierten Situation vor Ort 
nicht um die "saubere" Vermittclbarkeit 
einer antifaschistischen Aktion, nicht um 
"Überzeugungsarbeit vor Ort oder 
(moralische) Appelle; erstes Ziel muß die 
Verhinderung oder zumindest Begren- 
zung des Terrors und der Schutz der 
Flüchtlinge sein. Das funktioniert (u.a. 
vor Ort) nur. wenn der rassistische Kon- 
sens, in der sich die Bevölkerung bewegt, 
gebrochen wird und die Täterinnen dar- 
über hinaus durch militante Angriffe auf 
sie abgeschreckt und eingeschüchtert 
werden. 

Alle weiteren Überlegungen über das 
Aufbrcchcn rassistischer Bewußtseins- 
Strukturen und der Vcrankemng antifa- 
schistischer Ideen kommen danach. Das 
bedeutet nicht, daß wir auf eine Analyse 
verzichten wollen, die die Bedingungen 
und Ursachen der gegenwärtigen rassisti- 
schen Masscnmobilisieningen erklärbar 
macht. 

Die Hilflosigkeit der Linken resultiert 
aus einer uneindcutigcn Haltung den 
Rassistlnnen gegenüber. Deswegen mei- 
det sie die Konfrontation mit der rassisti- 
schen Gewalt und geht erst auf die Stra- 
ße. wenn die Pogrome vorbei sind. Mit 
jedem gelungenen rechten Angriff wird 
cs jedoch für uns schwieriger werden, 
den Rechten was entgegenzusetzen, denn 
jeder Abend den sie ungehindert ein 
Flüchtlingsheim angreifen können, jeder 
"ausländerlnnenfreie" Stadtteil, macht sie 
stärker und uns schwächer. 

Wir haben oft den Eindruck, daß gerade 
die Linken, die sich um eine differenzier- 
te, analytische Betrachtung der gesell- 
schaftlichen Situation sowie der Ent- 
wicklung der staatlichen, faschistischen 
Tendenzen bemühen, die Frage nach den 
praktischen Konsequenzen autonomer 
Politik nicht stellen. Mit dem Verweis 
auf eine fehlende Analyse und dem zwei- 
fellos oft wenig differenzierten Gesell- 
schaftsbild der Autonomen wird die 
Frage nach den jetzt möglichen und not- 
wendigen Politikansätzen in den Bereich 
zukünftigen Geschehens verwiesen. Dem 
wollen wir entgcgcnhalten, daß es eine 
politische Perspektive, die an der prakti- 
schen Lösung hier und jetzt vor Ort vor- 
beikommt, nicht geben wird. 

Eine beschriebene Uneindeutigkeit gege- 
nüber den rassistischen Normalbürgerln- 
nen füllt z.B. bei denjenigen Linken auf, 
die große Hoffnungen in die Revolutio- 
nierung der Arbeiter(inncn)khssc setzen, 
aber leider zeigt sich, daß bei vielen die- 
ser Arbeiterinnen (z.B. in Lichtenhagen 


und Schönau) eine große Bereitschaft zu 
öfterem, rassistischem Terror besteht. 
Damit wollen wir nicht sagen, daß wir 
das "Proletariat" für die rassistischste 
Klasse halten. Z.B. wohnen in den Plat- 
tcnbausicdlungcn der Ex-DDR im Ge- 
genteil zu vergleichbaren westlichen 
Wohngegenden alle sozialen Schichten 
(außer richtige Bonzen) zusammen. Also 
auch Akademikerlnnen. Beamte.... die 
mit Sicherheit genauso vor die Heime 
gezogen sind und Beifall geklatscht ha- 
ben. In Villcngcgcnden. in denen Aus- 
länderinnenheime errichtet werden soll- 
ten ixlcr worden sind, organisiert sich die 
dort lebende Bevölkerung z.B. in rassisti- 
schen Bürgerinitiativen, gründet Vereine 
oder versuchte Druck auf die Lokalpoliii- 
kerlnnen auszuüben. Die Uppcr-class be- 
dient sich dabei oft einer subtileren rassi- 
stischen Argumentation. 

Dennoch: gegenüber dem Proletariat 
heißt "Aufklärung" das Zauberwort, das 
den deutschen Arbeiterinnen bzw. der 
Bevölkerung der Ex-DDR- endlich die 
Augen öffnen, sie auf den Pfad der revo- 
lulionären Tugend bringen soll. Gilt der 
Dialog mit Nazis, also organisierten Fa- 
schisten. weitgehend als verpönt, so soll 
die Botschaft an die rassistische Bevöl- 
kerung sein: “Ihr handelt gegen unsere 
Interessen als Arbeiterinnen, gegen die 
Flüchtlinge, was eure Klassengenossin- 
nen sind und damit auch letztlich gegen 
euch selbst... Ihr schadet der Arbeiterin- 
nenklasse und nützt cfcn Reichen, den 
Managern und Politikern..." 
('"Schönau'...". Ludwigshafen). 

Dort wo radikale Gegnerinnenschaft und 
Konfrontation notwendig wären, ver- 
sucht die Linke, die anbiedemde Bekeh- 
rung der Rassistlnnen. Diese Bevölke- 
rung mit linken Argumenten erreichen 
und "überzeugen" zu wollen, zeugt von 
vollkommener Selbstüberschätzung und 
einer falschen Analyse der Situation, in- 
dem davon ausgegangen wird, daß der 
Zusammenhalt der Arbeiterinnen als 
"Klasse" einer ■'Spaltungsstrategie“ der 
Herrschenden (genannt Rassismus) zum 
Opfer fällt und allein durch Informati- 
onsarbeit das “getrübte”, "verschleierte" 
Bewußtsein aufgehellt werden könnte. 
Den Höhepunkt dieser dumpf-marxisti- 
schen Haltung fanden wir in der Wildcat 
60. Oktober 92. in der rassistischer Ter- 
ror schon beinahe als "vorrevolutionäre”, 
auf alle Fälle das System angreifende 
Handlung gewertet wird | die von den 
Verf .innen zurecht kritisierte Haltung 
bspw. der wildcat ist zwar dumpf aber 
keineswegs ( traditionsfmarxislisch. son- 
dern von der Klassenbewußtseins-Theo- 
rie von Lukdcs Theorie vom ' falschen 
Bewußtsein" und der Offensiv-Mytholo- 
gie des - sich ebenfalls als 
'undogmatisch' begreifenden - Operais- 



58 


mus ('die Arbeiterklasse bestimmt die 
Kapitalbcwegung') geprägt. Anm. d. Hg.] 
- leider nur noch ein wenig fehlgeleitct 
durch die medienwirksam geführte Asyl- 
debatte sowie der sonsligen Medienhatz 
gegen Ausländerinnen: 

'Gerade zwei Jahre nach dem Anschluß 
sind die Parteien und Gewerkschaften in 
der Ex-DDR am Ende - aber die Leute 
bleiben mit ihter Kritik auf halber 
Strecke stellen: Sic verweigern sich und 
beklagen im nächsten Moment, sic wür- 
den von politischen Entscheidungspro- 
zessen ausgeschlossen'. Sie merken, daß 
dieser Staat gegen ihre Interessen han- 
delt. aber anstatt ihn zu bekämpfen, ver- 
weigern sie nur ihre Teilnahme (...): erst 
Opfer de* Stdlinisinus, dann Opfer der 
Umstrukturierung, Opfer der Medien. 
Opfer der Antifa. . Die Panik vor der Zu- 
kunft wächst, aber sie packen nicht selbst 
an (...) (In Rostock. Quedlinburg. Hoy- 
erswerda ... haben sie's angepackt, aber 
das wollt ihr wahrscheinlich nicht wahr- 
tiaben! d. Tippse). Gerade die von staatli- 
cher Alimcntiercng Abhängigen haben 
Panik, ihr Geld an bettelnde Roma zu 
verlieren. Krawalle sind oft Verhand- 
lungsformcn (Hervorhebung von uns) in 
Systemen, wo Menschen sich nicht 
(mehr) politisch vertreten fühlen." 
(Wildcat 60. S. 6). 

Und weil nicht sein kann, was nichi sein 
darf, wird die gesellschaftliche und poli- 
tische Realität einfach geleugnet und um- 
geschrieben, als hätte es die wochenlan- 
gen Pogrome einfach nicht gegeben: 

"Die 'faschistische Gefahr' ist ein Medi- 
enprodukt. das Copyright liegt bei der 
Linken und den Profitzwängen der kapi- 
talistisch organisierten Medien. Ein und 
derselbe Fascho erscheint in 5 Zeitschrif- 
ten: Reporter bezahlen Skins für Angriffe 
auf Heime. In Talkshows werden Jugend- 
liche aufgeforden jetzt doch mal endlich 
'was Auslandcrfeimiliches' zu sagen; (...) 
In Rostock waren während der Randale 
500 Reporterinnen Zugänge. Nehmen wir 
mal an. nur die Hälfte von ihnen hätte 
Kamera und Mikrofon aus der Hand ge- 
legt und jeweils drei hätten sich einen 
stcincwcrfcndcn Jugendlichen ge- 
schnappt, dann wäre die Randale beendet 
gewesen - die Medienfritzen hätten aber 
durch so ein Vorgehen natürlich weniger 
Geld verdient.” (Wildcat 60. S. 5f). 

Eine blödsinnigere Verdrängung und 
Verdrehung der Tatsachen und gleichzei- 
tige Entschuldigung der rassistisch-chau- 
vinistischen Bevölkerung als Opfer ist 
wahrhaftig kaum mehr vorstellbar. 

"Eine Verharmlosung und Entschuldi- 
gung. die in der deutschen Linken Tradi- 
tion hat. Die heutige Linke ähnelt hier 
dem marxistischen Antisemitismustheo- 
retiker. der im Judenhaß einen annehm- 


baren Kem erkennen will. Für diesen 
Theoretiker steht das 'Juda verrecke’ als 
unaufgeklärte Einkleidung für die an sich 
erstrebenswerte Beseitigung von Zins 
und Geld. Im Judenverfolger wird der 
Genosse erkannt, dem lediglich die mar- 
xistische Schulung fehle." (Heinsohn. 
1988) (...). 

Diese Linke, die das deutsche Volk so 
umsorgt, Kritik an den Massen möglichst 
vermeidet und “Erziehung” und 
"Therapien" empfiehlt, ignoriert nicht 
nur den aktuellen Zustand dieses Volkes, 
sondern ignoriert auch dessen Taten in 
der Geschichte. Mehrheitlich waren die 
Deutschen in irgendeiner Funktion (und 
wenn sic noch so banal erschien) an der 
Vernichtung der europäischen Juden im 
Nationalsozialismus beteiligt. Und sie 
werden es wieder tun, wenn es auf höch- 
ster Ebene beschlossen wird, und es wie- 
der ganz normal finden, wenn sic von 
Angriffen, Vertreibungen, Ermordungen 
mitbekommen (oder mitmachen). Den 
Linksiudikalcn ist cs noch nicht einmal 
im Bewußtsein, daß sic dies zum Thema 
machen und damit reflektieren müßten." 
("Fluchschrift"; Nr. I; Juni 1992; Frank- 
furt/M.). richtig die Kritik an Thera- 
pie- und Erziehungskonzepien ist, so 
fatsch ist es, die Linke {nach all der sta- 
linisti.schen, autonomen und antiimperia- 
listischen Sektiererei/ gerade wegen zu 
wenig Massenfeindlichkeit zu kritisieren. 
Im übrigen ist die pauschalisierende Re- 
de von "dieses Volk“, “ waren (...) und 
(...) werden es wieder tun" etc. mytholo- 
gisierend - letztlich biologislisch - und 
geschlchisdeierminlstiscli. Aiun. d. Hg. J. 
Die Linke will es nicht wahrhaben, wenn 
sich z.B. die Ex-DDR Bevölkerung 
sclbstbcstimmt und selbstorganisiert ge- 
gen Ausländerinnen verhält. Ob in Form 
rassistischer Pogrome oder BI’s gegen 
Flüchtlinge, das kann nix Selfcstbestimm- 
ics sein, denn dieser Begriff ist im auto- 
nomen Einmaleins doch ganz anders be- 
setzt??!! 

Die Orte Fürstenberg und Goldberg ha- 
ben wir als exemplarische Beispiele da- 
für herausgesucht, wie sich die Bevölke- 
rung in der Ex-DDR selbstorganisiert: 

Der On Fürstenberg wird sicherlich vie- 
len in diesem Zusammenhang ein Begriff 
sein. Auf dem Gelände des ehemaligen 
Konzentrationslagers Ravensbrück sollte 
ein Supermarkt eröffnet werd;n, der Bau 
dafür war nahezu fertiggestellt. Nach Be- 
kanntwerden dieses Plans begann eine 
kontroverse öffentliche Diskussion 
darum, die Jüdische Gemeinde und viele 
andere Gnippen protestierten gegen die 
geplante Eröffnung. Die Lckalpolitike- 
rlnncn verteidigten das Vorhaben mit 
dem Verweis auf die dringenden Vcrsor- 
gungsbcdüfnissc der Fürstenbergerln- 


nen. als wenn es im ginzen Ort keinen 
anderen Platz für einen Supermarkt ge- 
geben hätte. 

Die ansässige Bevölkerung mischte sich 
alsbald tatkräftig selbst in die Diskussion 
ein. Eine Bürgerinitiative für den Super- 
markt wurde gegründet; einmal müsse 
die Gcschichtslast doch abgeworfen wer- 
den, damit wolle man/frau jetzt nichts 
mehr zu tun haben, zumal mit dem verei- 
nigten Dcuischland der dunkle Teil deut- 
scher Geschichte doch wohl überwunden 
sei..., so lautete die Argumentation pro 
Supermarkt. Straßcnblockadcn. Kundge- 
bungen und fast tägliche Protestdemos 
wurden auf die Beine gestellt. 

Zweites und ganz aktuelles Beispiel ist 
die 5000-Seden -Kleinstadt Goldberg, in 
der gerade gegen rumänische Flüchtlinge 
(hauptsächlich Roma) mobil gemacht 
wird, die nach Goldberg kommen, weil 
dort in einer ehemaligen NVA-Kascmc 
eine ZAST (Zentrale Anlaufstcllc für 
Asylbewerberinnen) eingerichtet wird. 
Von Fremden wollen die Goldbcrgcrln- 
nen zwar leben, hatten dabei aber eher an 
"deutsche Touristen” gidacht und nicht 
an "Zigeuner”, die "wie die Heuschrek- 
ken und nicht zu integrieren” seien, und 
die "alle beklauen", O-Ton Frau Waltraud 
Müller (53) (siehe ft>to) im Spiegel 
4-1/1992, aus dem auch die folgenden Zi- 
tate stammen. 

Den von "oben" kommenden Planungen 
und Anweisungen wird in Goldberg nicht 
mehr gefolgt. Es wird mit einer Energie 
und Vehemenz kritisiert, protestiert und 
Widerstand geleistet, bereit, bis zum Äu- 
ßersten zu gehen - die man/frau sich zu 
anderen Anlässen nur wünschen könnte: 
"Hatte der Minister sie (die Bevölkerung, 
d. Verf.) etwa um ihr Einverständnis ge- 
beten. seine ZAST in dieser Idylle errich- 
ten zu dürfen? Hatte er sich um die sen- 
sible Wirtschaftslage gekümmert? Natür- 
lich nicht, sagt jedenfalls Frau Bier (siehe 

Foto) und deshalb sei das Diktatur" 
(Spiegel, 44/1992). 

Frau Müller und Frau Bier gehörten zu 
den Hauptorganisatorlnnen des Wider- 
stands, der Großteil der Bevölkerung hat 
sich angeschlosscn. Innenminister Kup- 
fer, der den rassistischen Mob schon 
während der Pogrome in Rostock ver- 
ständnisvoll und wohlgcsonncn in Schutz 
genommen hat, zeigt ein offenes Ohr für 
die Probleme der Goldbcrgcrlnncn: Er 
erklärt, daß "wir in unserem Staat die 
Asylbewerber nicht einfach einsperren 
können. 'Leider', fügt er hinzu". Die Lan- 
desregierung hat mittlerweile verspro- 
chen, daß die ZAST in Goldberg im 
April nächsten Jahres wieder geräumt 
wird. 

Dies sind zwei Beispiele dafür, daß die 
Bevölkerung sich sehr wohl von "unten” 



59 


organisieren kam. wenn cs um eine Sa- 
che gehl, die ihnen unter den Nägeln 
brennt, die also ihre Interessen betrifft. 
Dabei stellen sie sich keineswegs dumm 
an und können politische Erfolge für sich 
verbuchen. 

Nun mag man uns cntgegenhalten, daß 
sich die Bevölkerung, indem sie sich ge- 
gen Ausländerinnen organisiert, dem 
Konsens mit der gegenwärtigen staatli- 
chen Politik, mit "denen da oben", sicher 
sein kann und das rassistische Klima aus- 
nutzt. Zweifelsohne wirkt sich die tägli- 
che Bestätigung der eigenen, rassisti- 
schen Position durch z.B. die staatliche 
Ausländerpolitik verstärkend auf die Mo^ 
tivation zum rassistischen Verhalten aus; 
das erklärt jedoch nicht die grundsätzli- 
che Bereitschaft dazu. Zeit, Energie und 
Entschlossenheit in eine rassistische Or- 
ganisierung und rassistischen Terror zu 
stecken. 

Einen weiteren Grund für die Haltung 
und das Nicht- Verhalten von Linken der 
rassistischen Bevölkerung gegenüber se- 
hen wir in der seit ca. 3 Jahren rasant 
voranschreitenden Isolation linksradika- 
ler Positionen. Die eigene Isolation durch 
den Rechtsruck, den alle gesellschaftli- 
chen und politischen Kräfte vollzogen 
haben, macht Druck auf die radikale 
Linke in Richtung Liberalismus, also et- 
wa steigt die Bereitschaft einen höheren 
Preis für Bündnisse mit Linksliberalen 
oder Grün-Alternativen zu zahlen 
[Sicherlich ist es zu kritisieren, daß im 
Interesse des Zustandekommens von 
Bündnissen heute häufig die eigene 
(revolutionäre) Position nicht mehr ge- 
äußert oder gor revidiert wird (der 
Übergang ist fließend); aber die früher 
häufig anzutreffende Haltung, die Über- 
nahme der eigenen Position durch die 
potentiellen Bündnispartnerinnen zur 
Bündnisvoraussetzung zu machen, war 
keine sinnvolle Alternative dazu. Denn 
sie bedeutete der faktischen Verzicht auf 
jede Bündnispolitik . Anm. d. Hg.] (und 
verstärkt die Zweifel) an den eigenen Po- 
sitionen. 

Gab cs z.B. noch 1986 seitens der Grü- 
nen und AL die 'Aktion Fluchtburg", die 
das Verstecken der von Abschiebung be- 
drohten Flüchtlinge (und damit die Orga- 
nisierung illega’er Aufenthaltsmöglich- 
keiten...) zum Ziel hatte, so legten die 
Grünen Anfang dieses Jahres den kom- 
pletten Entwurf eines 

"Einwanderungsgesetzes" vor, im Zuge 
dessen die Quotierung von Ausländerin- 
nen gefordert wird (was bedeutet, daß le- 
diglich eine bestimmte Zahl von Auslän- 
derinnen überhaupt in die BRD eingelas- 
sen werden soll). 

Wir sehen uns also einem völkisch-nati- 
onalen und rassistischen Konsens gegen- 
über. der in der deutschen (und unserer) 


Geschichte nach '45 ohne Beispiel ist. 
Niemand, weder grün-alterrutivc noch 
sonstige liakslibcrale Kräfte vertreten in- 
haltlich auch nur annähernd unsere Posi- 
tionen in Sachen Ausländerpolitik (von 
politischen Konsequenzen ganz zu 
schweigen). Im Gegenteil; sic tragen den 
dcutschtüirelndcn und rassistischen Kon- 
sens auf grün-altcmativc Art und Weise 
mit. Angesichts solcher Isolation der ei- 
Ecnen Position kann den Autonomen 
Angst und Bange werden, was z.B. eine 
verklärende, populistische Haltung gege- 
nüber den Rassistlnnen hervonuft. 

"Auf wen sollen wir uns denn hier sonst 
noch beziehen...?", hören wir schon die 
(selbst-) zweifelnden Bedenken... Wir 
denken daß Populismus und Anbiede- 
rung an eine Bevölkerung, die schon 
lange etwas ganz grundsätzlich anderes 
will als wir. uns nicht weiterhelfen, son- 
dern im Gegenteil zu einer Verwässerung 
der eigenen anti-rassistischen Positionen 
führt. Statt dessen kann nur eine radikale 
Konfrontation in Wort und Tat den na- 
tionalistisch-rassistischen Konsens in 
dieser Gesellschaft ankratzen, überall 
dort, wo rassistische Gewalt aoftritt. 

Einen letzten Grund für die schleppende 
bis nicht-vorhandene Reaktion der Auto- 
nomen auf die Pogrome sehen wir in der 
Unflexibilität und Unorganisertheit de- 
rer, die bereit dazu wären, sich mit vielen 
schützend vor ein Heim zu stellen und 
eventuell sogar den Mob anzugreifen. 
Wir denken, daß sich ein nennenswertes, 
spontanes Reagieren auf di; Angriffe 
kaum mit unserem, in der Regel reichlich 
durchorganisiertem Alltag vereinbaren 
läßt. Schließlich sind wir ja auch nicht 
durch direkte eigene Betroffenheit zur 
unmittelbaren antifaschistischen Gegen- 
wehr gezwungen, sondern können cs uns 
aussuchen, wann wie oder ob wir über- 
haupt reagieren wollen. Diese "Freiheit" 
nehmen sich auch die meisten von uns 
(um nicht zu sagen: alle) henuis. [Das ist 
eine rein moralische Kritik, die daran 
vorbei geht, daß wir alle tatsächlich un- 
ser Leben organisieren müssen. Anm. d. 
Hg] 

Wenn wir nicht zukünftig dazu in der 
Lage sind, die Notwendigkeiten unseres 
Alltags so einzurichten, daß wir auch mal 
flexibel reagieren können (es Finden ja 
auch nicht täglich Pogrome statt), dann 
werden wir in solchen Situationen immer 
das Nachsehen haben. 

Niemand (außer den Flüchüingen, die 
sich selbst verteidigen oder den Bullen) 
wird so dem rechten Terror eine Grenze 
setzen. Wenn man bedenkt, mit welcher 
Selbstverständlichkeit die Leute vor dem 
Flüchtlingsheim agieren oder zumindest 
rumstchcn wird klar, daß sie sich nicht 
nur im Recht Fühlen, sondern auch nicht 
die geringste Angst vor irgendeinemfr 


Gcgrcr/in haben, der/die ihnen dieses 
"Volksfest" kräftig vermasseln könnte. 
Ihr Handeln bleibt bisher ohne Konse- 
quenz seilen« der Antifsschistlnnen. von 
wenigen Ausnahmen abgesehen. 

Zu der zur Zeit notwendigen Flexibilität 
gehört einerseits die Vernetzung unter 
den Leuten, die bereit sind, im Falle ei- 
nes Pogroms sofort dorthin zu fahren, 
das heißt, man muß sich erreichen und 
verständigen können, andererseil.« muß 
jedc/r für sich überlegen, ob sie/er nicht 
vielleicht das nächste Mal krankfeiem 
kann, um mehr Zeit zu haben, die Kinder 
abwechselnd mit anderen Eltern betreut 
bzw. bereit ist. einige der sonstigen ge- 
sellschaftlichen "Verpflichtungen", die 
so zu den angenehmen Seiten des auto- 
nomen Szcncalltags gehören (wie Es- 
sensverabredungen. Kino, Feiern u.ä.) 
mal sausen zu lassen. Sonst werden es 
nie viele sein, die gerade mal zufällig 
Zeit haben. Es kommt, wie gesagt, ohne- 
hin nicht jeden Tag zu solchen Pogromen 
wie in Hoyerswerda oder Rostock und 
bei den täglichen Eirzclaktioncn von 
Rechten können wir vor Ort sowieso 
kaum etwas machen, weil sie in den mei- 
sten Fällen nicht berechenbar sind. 

Von linken Erklärungsansätzen oder: 
die Untiefen der Risikocescllschafl 

Wie wir hoffentlich deutlich ausgedrückt 
haben, stehen wir nicht so sehr auf das 
Erklärungsmuster, das die sozialen Pro- 
blem» einer an Leistung und Verwertbar- 
keit orientierten "Risikogesellschaft" (der 
Begnff ist zahllosen wissenschaftlichen 
Untersuchungen zum Thema entlehnt) 
zur Ursache des rassistischen Terrors 
macht. Als die konkreten Probleme wer- 
den benannt: Arbeitslosigkeit, Woh- 
nungsnot, Angst vor Deklassierung, Zer- 
störung der gewohnten sozialen Ord- 
nung. Zerstörung der herkömmlichen 
Bindung (in der Regel ist die deutsche 
Dumpf-Familie damit gemeint) und dar- 
aus resultierende Halt- und Orientie- 
rungslosigkeit - so wollen es jedenfalls 
die zeitgenössischen sczialwisscnschaft- 
lichca Untersuchungen über rechtsex- 
treme Motivation, mit denen auch die au- 
tonome Linke liebäugelt. 

Uns drängt sich da die Frage auf, aus 
welchem Grund denn Wohnungsnot und 
Arbcitsplatzvcrlust für eine gewaltbe- 
reite. ausländerinnenfeindliche Haltung 
prädestinieren sollen??? Die Argumenta- 
tion, die "Armut und Deklassierung" zum 
Ausgangspunkt rassistischer Gewalt 
macht, ist doch gerade auch den Flücht- 
lingen gegenüber reichlich zynisch und 
verächtlich, sind sic doch um ein vielfa- 
ches ärmer und deklassierter als diese pr- 
ivilegierten Weißen in einem der reich- 
sten Länder der Metropole. 



60 


Außerdem haben z.B. einige Länder des 
Trikont sehr hohe Aufnahmequoten für 
Flüchtlinge; in einigen afrikanischen 
LUndem und /..B. in Pakistan ist das fast 
die Hälfte der Bc«ilkcning. Wir haben 
aus diesen Ländern nichts Vergleichbares 
an Haß und Aggressionen gegen diese 
gehört, ganz im Gegensatz zu den reich- 
sten Ländern der Welt, in denen es mitt- 
lerweile zum gängigen Erklärungsmustcr 
für rassistisches Verhalten gehört, daß 
Einwanderung von ausländischen Men- 
schen eben Fremdenhaß erzeugt. 
Nebenbei bemerkt gibt es auch einiges an 
sozialwisscnschaftlichen Untersuchun- 
gen. die sich zwar zum Ziel gesetzt ha- 
ben. die rechte und rassistische Bevölke- 
rung zu Opfern der unterstellten sozialen 
Misere, Oricntierungs- und Haltlosigkeit 
der modernen "Risikogescllschaft" zu 
machen, die aber dann doch irritiert fest- 
steilen müssen, daß "ökonomische Be- 
drängnis" weder durch Arbeitslosigkeit 
noch allgemein im Sinne von niedriger 
Schichtzugehörigkeit für rechtsextremes 
Verhalten prädestiriert. "Rcchtscxtrcmc 
Jugendliche kommen eher aus dem mit- 
tclständischen Milieu" ("Rcchtscxtrcmc 
als Opfer der Risikogesellschaft". Rom- 
mclspacher, Birgit, in: 1999 2/91 S. 78). 
Bei den Republikaner-Wählerinnen ist 
"WohnunES- und Hausbcsilz (...) sogar 
etwas überrepräsentiert. Republikaner- 
Sympathisanten sind mit ihrer wirtschaft- 
lichen Lage zufriedener als SPD-Wähler 
und Grüne“ (ebda.). 

Die Haltlosigkeit der 

"Armutsargumentation" zeigt sich auch 
daran, daß wesentlich weniger Frauen als 
Männer die Republikaner wählen, oder 
ihnen gar beitreten. Frauen bilden be- 
kanntlich die Hälfte der Bevölkerung, die 
deutlich weniger Uber unabhängigen 
Reichtum oder über eigenes Einkommen 
verfügt. Außerdem haben Frauen und 
Mädchen durch ihre Geschlechtszugehö- 
rigkeit auf dem Arbeitsmarkt die schlech- 
teren Chancen, was sich durch höhere 
Arbeitslosigkeit, niedrigeren Verdienst, 
miesere, weniger abwechslungsreiche 
und weniger spainende Jobs und 
schlechtere Aufstiegsmöglichkeiten im 
Vergleich zu Männern ausdrückt. Trotz- 
dem scheinen sie weniger anfällig für 
rechtsextreme Positionen und Politik zu 
sein: Sic sind in rechten Parteien unter 
den Mitgliedern sowie unter den Sympa- 
thisantlnncn deutlich untcrrcpräscnticrt 
und nach ihrer politischen Orientierung 
befragte Mädchen zeigen sich z.B. viel 
seltener rechtsradikal oder rassistisch 
bzw. sind in ihrer Haltung (sollte diese 
rechtsgerichtet sein) weit weniger gefe- 
stigt als männliche Jugendliche. Eine Er- 
klärung dafür sehen wir darin, daß Mäd- 
chen sich häufig an der Meinung und 
Haltung der Jungs orientieren, mit denen 


sic z.B. in einer Clique zusammen sind, 
oder schlicht an der ihres aktuellen 
Freundes. Diese Orientierung am Mann 
(wie sic ja auch ( und was noch? Das ist 
doch wohl der wesentliche Grund.' Anm. 
d. Hg .] gesellschaftlich gewünscht wird) 
macht sie weniger gefestigt in ihren poli- 
tischen Urteilen, da diese ja nicht ihre ei- 
genen sind. Das halten wir den Mädchen 
keineswegs zugute, [ das ist ja sehr gene- 
rös: "wir halten den Mädchen keines- 
wegs zugute," daß sie unterdrückt wer- 
den und deshalb eine weniger gefestigte 
rassistische Einstellung haben. Anm. d. 
Hg.] im Sinne, sie wären weniger rassi- 
stisch und also die 'besseren" Kids. Wir 
denken aber, daß die Problematik 
"rassistische Einstellung“ bei Mädchen 
(und auch bei Frauen) z.T. eine grund- 
sätzlich andere ist, als bei 
Jungs/Männem. Die Argumentation, die 
Armut zur Ursache von Rassismus er- 
klärt, blendet diese Tatsachen aus. Sie 
ignoriert, daß das Verhalten von Män- 
nern und Frauen am Punkt Rechtsextre- 
mismus und rassistische Gewalt signifi-' 
kant auseinanderfällt und versucht allein 
für das Verhalten der rassistischen Män- 
ner eine Erklärung zj finden, ohne diese 
Einschränkung deutlich zu machen. Mit 
der Nicht-Beachtung des unterschiedli- 
chen Verhaltens von Frauen und Män- 
nern wird einmal mehr der Mann zur 
Norm für die Menschheit im allgemeinen 
gemacht - Frauen kommen in dieser Be- 
trachtung nicht vor. 

Ähnlich verhält es sich mit dem anderen 
"Risikobcrcich", der unterstellten Ver- 
einzelung und Orientierungslosigkeit 
durch die Zerstörung der sozialen, beson- 
ders der familiären Beziehungen und 
dem daraus angeblich resultierendem Be- 
dürfnis nach vorgegebener alten Ord- 
nung. Auch hier der männliche Blick auf 
die Realität, wenn es um die Wertung der 
Tatsachen und deren vermeintliche Kon- 
sequenzen geht: 

Wieso ist ein zweifellos fortschreitender 
Jndividualisierungsprozcß in dieser Ge- 
sellschaft allein negativ zu bewerten? 
Wir sind uns sicher, daß die höhere Brü- 
chigkeit der Familien von vielen Frauen 
als mindestens widersprüchlich und eben 
nicht eindeutig negativ erlebt wird. Im- 
mer mehr Frauen kämpfen nicht mehr um 
jeden Preis für den Erhalt “ihrer” Fami- 
lie. wodurch sic deren Entwertung selbst 
mit verursachen. Anders ist der über- 
durchschnittlich hohe Anteil der Schei- 
dungen, die von Frauen eingereicht wer- 
den. nicht zu erklären. Diese Entwick- 
lung ist doch auch ein Schritt zur Befrei- 
ung aus patriarchalen Zwängen und wird 
von vielen auch so erlebt. 

Die Auflösung der Familie bedeutet ne- 
ben dem Verlust eines traditionellen Ori- 
entierungsmusters und der oft nur 


scheinbaren sozialen Sicherheit eben ge- 
rade für Frauen ein Mehr an Unabhängig- 
keit und Selbstbestimmung über eigenes 
Geld, Zeit, Wohnung. Freundschaften, 
über den eigenen Körper und die eigene 
Sexualität, eben eine Befreiung aus der 
sozialen Kontrolle der patriarchalen Insti- 
tution "Familie” und aus der ganz materi- 
ellen Gewalt, die diese meistens bedeu- 
tet Sehr viele Frauen wissen das zu 
schätzen. 

Das Gejammcre über den Verlust des so- 
zialen Haltes "Familie” scheint eher die 
männliche Beurteilung der Dinge zu sein, 
der um sein Reproduktionsruhekissen, 
den Bestand seiner emotionalen, sexuel- 
len und sozialen Sicherheit und Versor- 
gung und nicht zulct?t um seinen Macht- 
und Herrschaftsbereich "Familie" bangt. 
Birgit Rommelspachcr sieht darüber hin- 
aus eine Parallele zwischen den her- 
kömmlichen Erklärungen von rassisti- 
scher und sexistischer Gewalt. Genauso 
wie die sozialen und ökonomischen Pro- 
bleme der/des Einzelnen zu den Ursa- 
chen rassistischer Einstellung und Ge- 
walt gemacht werden, müssen eben diese 
Probleme von Männern auch als Ursache 
für sexistische Gewalt gegen Frauen hcr- 
halten. In der patriarchalen Argumentati- 
onslogik wird der einzelne, 
"bedauernswerte" Mann zum Opfer sei- 
ner persönlichen Biographie und sozialen 
Herkunft erklärt, der keinen anderen 
Ausweg mehr hat, als Gewalt gegen 
Frauen auszuüben; in der rassistischen 
Argumentationslogik sind es die sozialen 
Verhältnisse der "Risikogesellschaft", die 
die weißen Rassistlnnen zu Täterinnen 
machen. In beiden Fällen werden die Tä- 
ter zu den eigentlichen Opfern, die Leid- 
tragenden (Frauen bzw. Flüchtlinge) 
[vielleicht gibt es ja euch welche, die ihr 
"Leid" nicht (er)tragen, sondern sich 
wehren?! Anm. d. Hg.] werden zu 
"Opfern der Opfer" (es gibt überhaupt 
nur noch Opfer), oder sie werden nicht 
beachtet. Die Vorteile. Macht und Privi- 
legien, die die Tätcrlnen (Männer bzw. 
weiße Rassistlnnen) aus ihrem Verhalten 
ziehen, werden dabei einfach ignoriert, 
sie sind praktisch nicht existent. Eine 
Einordnung der sexistischen bzw. rassi- 
stischen Gewalt in cfce bestehenden ge- 
sellschaftlichen Zusammenhänge in dem 
Sinne, daß es sich bei dem rechten bzw. 
patriarchalen und sexistischem Terror um 
reale Machtverhältnissc handelt, findet 
nicht statt. 

Doch zurück zur rassistischen Bevölke- 
rung: 

Die Linke hat nun als Erklärung für die 
rassistische Gewalt die 

"Sündenbocktheorie" anzubictcn, nach 
der die Durchschnittsbcvölkcrung schnell 
bereit ist, in den Ausländerinnen die 
"falschen Verantwortlichen" für die ei- 



61 


gene mißliche Loge zu sehen. Diese 
Theorie unterstellt den Handlungen der 
Rassistlnnen einen rationalen Kern, dem- 
zufolge sic versuchen, jemanden für ihre 
eigene Misere verantwortlich zu machen. 
Aus dieser Annahme folgt dann auch der 
Vorsatz und die Praxis, der Bevölkerung 
mit rationalen Argjmcntcn klar zu ma- 
chen. daß die in Wohncontainem und 
Turnhallen zusammengepferchten 

Flüchtlinge, die nach dazu mit einem 
mehrjährigen Arbeitsverbot belegt sind, 
ihnen gar keine Wohnungen und Ar- 
beitsplätze wegnehmen können. Wir fra- 
gen uns allerdings, warum die Argu- 
mente mit denen die Linke ja nicht erst 
seit gestern versuch«, die Bevölkerung zu 
"überzeugen" und auf ihre Seite zu zie- 
hen, so vollständig wirkungslos an ihr 
abprallen. [Für welche linke Aktivität gilt 
das eigentlich nicht? Anm. d Hg.] Noch 
merkwürdiger ist es, daß dieses offen- 
sichtliche Faktum von der Linken so 
hartnäckig ignoriert wird. 

Wir haben dafür nur eine Erklärung: Das 
heiß umworbene ‘gemeine Volk" will 
von unseren Argumenten einfach nichts 
wissen - nicht etwa, weil sic falsch oder 
unverständlich oder die Leute zu blöd 
sind, um sic zu kopieren, sondern weil 
sie andere Interessen haben. [Diese Aus- 
sage ist theoretisch sicherlich korrekt . 
Aber was folgt politisch-strategisch dar- 
aus? Eine aufklärerische Strategie ist da- 
mit < zurecht ) obsolet; eine repressive 
Strategie ist (abgesehen von ihrer politi- 
schen Fragwürdigkeit) allein schon we- 
gen des - von dieser Interessenlage be- 
dingten - militärisch/zahlenmäßigen 
Kräfteverhältnisses aussichtslos. Solange, 
nicht gesagt werden kann, was die poli- 
tisch-praktische Alternative zu einer auf- 
klärerischen Strategie ist, werden große 
Teile der Linken immer wieder auf die 
Sündenbock-Theorie zurückgreifen. 
Denn auf deren (zwar falscher ) Grund- 
lage ist es möglich, eine Handlungsstra- 
tegie zu entwickeln und so - wenn auch 
völlig folgenlos - das Bedürfnis, 'etwas' 
gegen die moralische 7uimutung des ras- 
sistischen Terrors tun zu wollen, zu be- 
friedigen. Dieses Bedürfnis ist auf 
Grundlage der richtigen Analyse bisher 
nicht zu befriedigen . Anm. d. Hg.] Ras- 
sismus ist keine Form fehlgclcilctcr Ag- 
gressionen, die durch eine perfide insze- 
nierte Medienkampagne die Auslände- 
rinnen trifft, aber doch im Kem gut ist. 
weil sic im Grunde aus der eigenen so- 
zialen und ökonomischen Unterdrückung 
resultiert. 

Rassistisches Verhalten ist vielmehr eine 
Möglichkeit, den nationalistischen Chau- 
vinismus des deutschen Herrenmen- 
schentums und dazu die eigene Macht als 
Weiße in einem durch und durch auslän- 
derfeindlich und rassistisch strukturier- 


tem Land im Einklang und Pakt mit den 
Herrschenden auszuleben. Rassistische 
Gewalt bietet eine, durch staatliche Poli- 
tik geförderte Möglichkeit, sich einer als 
die "Anderen" definierten Gruppe über- 
legen zu fühlen. Auf der Straße im siche- 
ren Verbund mit der Masse und in der 
Gewißheit und dem Bewußtsein im staat- 
lichen und gesellschaftlichen Konsens zu 
handeln, .die nationalistisch-chauvinisti- 
sche Sau rauszulossan, dazu muß dcr/dic 
deutsche Normal-Rassistln nicht unbe- 
dingt arbeits- oder wohnungslos sein. 

Die Bevölkerung hat sich aktiv auf die 
Seite der Herrschenden gestellt, sie wol- 
len wieder "wer” rein, wollen zu den 
Siegerinnen gehören, ihr Selbstwertge- 
fiihl ihre Identität ziehen sie aus ihrer 
Macht gegenüber den "Anderen". Einer 
solchen Haltung ist logisch-argumentativ 
nicht beizukommen. Große Teile der Be- 
völkerung haben die Interessen der Herr- 
schenden zu ihren eigenen gemacht. Sic 
verteidigen ihre Privilegien, ihren (selbst 
armseligen) Wohlstand, ihr Auto oder 
das Eigenheim mn Gartenzwerg. Sie 
wollen, daß die Verhältnisse, und insbe- 
sondere ihre Posilion darin, erhalten 
bleiben und nicht nur das: in einer Ge- 
sellschaft, die vollständig an Leistung 
und Konsum ausgerichtet ist, ist die Gier 
nach immer größerem Wohlstand und 
immer größerer Macht unersättlich. Der 
Anspruch nach "mehr” bemißt sich nicht 
daran, an was es eiaemfr objektiv zu ei- 
ner menschenwürdigen Existenz mangelt 
oder etwa, was ökologisch gerade noch 
vertretbar wäre, od:r was ohne die ge- 
waltsame Einschränkung und Ausbeu- 
tung anderer Menschen zu haben wäre, 
sondern einfach daran, was man nicht hat 
und noch haben könnte. Diese Einstel- 
lung macht das egozentrische Begehren 
zum Maßstab aller Dinge und des eige- 
nen Verhaltens. Jeder erworbene Besitz 
weckt wie selbstverständlich das subjek- 
tive Bedürfnis nach mehr Besitz und dem 
Empfinden darüber, was einem an Wohl- 
stand und Konsum “zustcht" sind nach 
oben keine Grenzen gesetzt. ( Ist das 
nicht auch eine etwas sehr geradlinige 
Analyse, die noch dazu von einer frag- 
würdigen (s. FIATs Clube of Rom) Kon- 
sumverzichts-Propaganda durchsetzt zu 
sein scheint? Anm. d. Hg.] Die Bemü- 
hungen um die Verwirklichung des eige- 
nen Strebcns nach immer mehr Eigentum 
und immer mehr Privilegien werden da- 
bei rigoros auf Kosten anderer Menschen 
und deren Bedürfnisse durchgesetzt. 
Deshalb verteidigt die weiße Bevölke- 
rung die herrschend: Ordnung, in der sie 
ihre Privilegien und ihre Macht zu behal- 
ten und auszubauen sucht, und sieht sich 
in letzter Konsequenz als Richter über 
Ixbcn und Tod auf. 


Man spricht nicht laut bei Tisch 

Zur herrschenden Ordnung gehören je- 
doch nicht nur die aus der weißen Haut- 
farbe und dem deutschen Paß abgeleite- 
ten Macht- und Konsumansprüche; zu 
dieser Ordnung gehören genauso die 
Vorstellungen der deutschen Bevölke- 
rung über "Sitte". "Ordnung", 
"anständiges“ Verhalten und bürgerliche 
Kultur, die zur Allgciuciiigültigkcit erho- 
ben werden. Zu den gesellschaftsfähigen 
(Vcrhaltens-)Normen. die qua weißer 
Defmitionsmacht fcstgelegt und. wie wir 
zeigen werden, mit Gewalt durchgesetzt 
werden, gehören die "preußischen" Tu- 
genden wie: Ordnung, Höflichkeit. Sau- 
berkeit, Pünktlichkeit, rcibungs- und wi 
dcrspnichsloses Funktionieren Anpas- 
sungsfähigkeit und Duckmäusertum, 
"Gesundheit" und natürlich Hcterosexua- 
lität. Diese Normen bilden den Sozial- 
charakter großer Teile der weißen Bevöl- 
kerung. Wer ihnen nicht entsprechen 
kann oder will, wird ausgegrenzt, geäch- 
tet und verfolgt. 

So wurde als eine dir wichtigsten Ursa- 
chen für die Angriffe auf die ZAST in 
Rostock/Lichtenhagen immer wieder die 
Tatsache benannt, daß wochenlang 
Flüchtlinge vor der ZAST kampieren 
mußten, weil sie von dar Behörde keine 
Unterkunft erhielten. Das Schlimmste, 
was der zarten Lichtenhagcncr Volks- 
seele in diesem Zusammenhang wider- 
fahren konnte, war nicht der Fakt, daß 
den Flüchtlingen wochenlang keine Un- 
terkunft. Verpflegung und sanitären Ein- 
richtungen zur Verfügung gestellt wur- 
den, sondern daß diese eben aufgrund 
des Fehlens jedweder Versorgung in die 
Büsche scheißen mußten. Derartigen 
Mißständen ("scheißende Asylanten“) 
muß natürlich Einhalt geboten werden - 
notfalls mit gewaltsamer Vertreibung 
und eben nicht mit dem Aufstellen von 
Toilcttcn-Hüuschen - mal ganz abgese- 
hen davon, daß cs fiir die meisten deut- 
schen Typen ganz und gar nicht unge- 
wöhnlich ist. auf dem Weg von der Knei- 
pe nach Hause in eine Ecke oder an den 
Baum zu pissen - aber das ist selbstver- 
ständlich eine andere Geschichte... In 
diesem Zusammenhang stehen auch die 
wenig beachteten Angriffe von Nazis auf 
ein Heim mit behinderten Kindern in 
Stendal, sowie auf einen Bus mit gehör- 
losen Kindern irgendwo in Brandenburg. 
Auch sie fallen aus cer Norm, in der Na- 
zi-Zeit hieß es: der Norm des "gesunden 
Volkskörpcrs". heraus. Wie die Flücht- 
linge werden sie, ausgehend vom Stand- 
punkt des gesunden, weißen Herrenmen- 
schen, als "die Anderen" definiert, die als 
Kranke oder Behinderte nicht dem ge- 
sellschaftlichen Gesundheitsfetisch ent- 



62 


sprechen - damit sind sie /.um Abschuß 
freigegeben. 

Ein anderes Beispiel für die Prägung 
deutscher Saubcrmänncr/frauen -Charak- 
tere ist der Spremberger Nazi-Skin Sven 
Grimm, der unlängst in einem Interview 
im ARD (29.10.92) erklärte, daß er mit 
seinen ''Kameraden" nachts Streife fährt, 
um neben Ausländerinnen und Linken 
"kriminelle Einbrecher" zu jagen. Da 
trifft sich sein "Bedürfnis” nach Ruhe 
und Ordnung mit dem z.B. der Lichtcn- 
hagener oder Goldberger Bevölkerung, 
die Angst vor den Diebstählen der 
"Zigeuner“ haben. Die Konditionierung 
des Sozialcharakters der deutschen Be- 
völkerung auf eben die genannten Werte 
und Normen ist in der Ex-DDR noch we- 
sentlich ungebrochener als im westlichen 
Teil der BRD. So kommt eine verglei- 
chende Studie der Uni Potsdam zu dem 
Ergebnis, daß die "klassischen Tugenden 
wie Gehorsam, Ordnungsliebe, Höflich- 
keit und Verantwortungsbewußtscin" bei 
der Kindererziehung in der Ex-DDR we- 
sentlich durchgängiger eingefordert wer- 
den als im Westen, wo es mehr Eltern auf 
Autonomie. Selbstverwirklichung. Origi- 
nalität und persönlichen Erfolg ihrer 
Kinder ankam (Sturzbecher, Dieter; Insti- 
tut für Familien- und Kindheitsfor- 
schung; Potsdam; 1990). 

Wir nehmen an, daß im Westen linke 
Bewegungen (angefangen von den 
68em) sowie deren gesellschaftliche In- 
tegration in vielerlei Hinsicht diese preu- 
ßisch-tradilionalistijchc Prägung der 
Grundwerte aufgebrochen haben - eine 
Entwicklung, die in den Städten und der 
Umgebung linker Zentren natürlich fort- 
geschrittener ist als auf dem Land bzw. 
dort, wo linke emanzipatorische Bewe- 
gungen nur geringen Einfluß hat- 
ten/haben. 

Kinderläden und breit diskutierte Kon- 
zepte der antiautoritären Erziehung, 
Frauenbewegung, Lesben- und Schwu- 
lenbewegung. Alternative und Grüne und 
eine Menge anderer cmanzipatorischcr 
Ansätze sind zuerst in linken Zusammen- 
hängen und Lebensformen ausprobiert 
worden, prägten jedoch zunehmend auch 
andere gesellschaftliche Bereiche und 
wurden allmählich zum verbreiteten All- 
gemeingut der westlichen Gesellschaft. 
Einerseits konnten durch die Verallge- 
meinerung dieser Ansätze viele vormals 
antistaatlichc Linke wieder gesellschaft- 
lich integriert werden andeierseits ließen 
sic sich zum guten Teil kapitalistisch ver- 
werten: Selbständiges Denken und Ar- 
beiten. persönliches Engagement Eigen- 
initiative und (Selbst-) Organisiemng, 
Unabhängigkeit (z.B. von familiären 
Bindungen) sind nur einige Schlagworte, 
die ein karriereorientiertes Yuppileben 
heute kennzeichnen. 


Einen vergleichbaren Umbruch des über- 
kommenen Sozialcharakters hat cs in der 
DDR einfach nicht gegeben, weshalb 
sich die gesellschaftlichen Wertstruktu- 
ren dort wesentlich besser halten konn- 
ten. Ungeachtet dessen, daß Verhaltens- 
muster wie: Autorititshörigkeit. fehlende 
Zivilcourage, Angepaßthcit und Unter- 
ordnung, ebenso wie die genannten bür- 
gerlichen Tugenden den deutschen Fa- 
schismus noch im völligen Kriegschaos 
bis zur Perfektion am Funktionieren ge- 
halten haben, verstand die SED-Rcgie- 
rung es, sich gerade diese zunutze zu 
machen. (Was nicht heißt, daß nicht auch 
im Westen, v.a. in Kleinstädten und länd- 
lichen Regionen der dumpfdeutsche 
Muff vorherrscht.) 

Während der kapitalistische Westen eine 
immer größere Bereitschaft zur Flexibi- 
lisierung von jeder/m einzelnen ver- 
langte, funktionierte der so geprägte So- 
zialcharakter in der DDR systemstabili- 
sicrcnd - die SED war an einem Auf- 
bruch dessen nicht interessiert. Sie orien- 
tierte sich, was Scz.ialvcrhaltcn, Wert- 
maßstäbe im Umgang miteinander und 
Kultur anging, an den althergebrachten 
(bewährten?) bürgerlichen Werten und 
Idealen. Die/der Arbeiterin sollte die pro- 
letarischen Umgangsformen ablegen und 
sich "zivilisiert”, also den bürgerlichen 
Normen entsprechend, verhalten. Ebenso 
wie im Westen blühte in den 50er Jahren 
in der DDR der Verkauf sog. "Benimm- 
Bücher" ("Gute« Benehmen von A-Z"; 
Smolka; 1957), die die Regeln des alltäg- 
lichen zwischenmenschlichen Umgangs 
festschrieben. Was nach der Beurteilung 
der Rcalsozialistlnnen im kapitalistischen 
Westen "hohles Formengepräge" war, 
das allein der Verschleierung sozialer 
Konflikte und Klassenwidersprüche 

diene, wurde im sozialistischen Osten als 
Ausdruck "wirklicher gegenseitiger Ach- 
tung und Rücksichtnahme unter Gleich- 
gestellten" und als Beweis für sozialisti- 
sche Kulturfähigkeit emporgehoben 
("Guten Tag. Herr von Knigge"; 
Schweickcrt. Hold; 1957). Diese realso- 
zialistische Verklärung deutschen Spie- 
ßertums und bürgerlicher Vcrhaltcnsmu- 
stcr wurde praktisch bis zur "Wende" '89 
durch nichts, außer einer sehr kleinen 
Subkultur in manchen Städten, in Frage 
gestellt. 

Schnitt 


Su. wenn ilir’s bis hierher geschafft habt 
meldet sich mal die Endfassungs- und 
Überarbeitungsabteilung zu Wort. Wir 
kriegen immer alle Texte auf den Tisch, 
die unsere Redakteurinnen nicht ge- 
schafft haben, vollständig bis zum Abga- 
betermin fcrtigzustcllcn. Wir sollen die 
Beiträge dann in ein; druckfähige Form 


bringen - ihr könnt euch vorstellen, was 
das für ’n mieser Job ist: Fehler suchen, 
unvollständige Sätze, widersprüchliche 
Passagen ausbügcln, manchmal werden 
auch Vorwörter gewünscht - und das al- 
les unter Zeitdruck. Tja, und jetzt ist uns 
5 Minuten vor Schluß auch noch dieser 
Beitrag auf den Tisch geflattert - ohne 
jeden Schluß wie ihr seht. Da können wir 
jetzt auch irgendwie nix mehr dran än- 
dern. Es bleibt, wie's ist - vielleicht habt 
ihr ja Bock, den Beitrag weiterzuschrei- 
ben. zu kritisieren otfcr zu den Problema- 
tiken was zu sagen, die hier erstmal of- 
fensichtlich ausgeklammert wurden (z.B. 
Antisemitismus, Frauen und Rcchtsradi- 
kalismus. oder so). 

Ansonsten war's das erstmal von uns - 
bis zum nächsten Mal. 
eure Endfassungsabtei lung 
Für ungewöhnliche Maßnahmen 
in ungewöhnlichen Situationen 

Und Tschüss! 

Anm. d. Hg. 

Die im Text erwähnten Fotos konnten 
wir leider nicht reproduzieren. 


I7C 


/«'ilnnij fur den Rot 


KRAUTS TO HELL 
PART 6: 

* KUUURAUSMUS: Omok/Miiche. 
Raubmus 

* ZUM KONKRET KONGRESS: Bettina 
Höttje entweiht den „Rajie'-Dijkuulef 
Türcke 

* CHMA- AVANT GARDE- MALEREI IN 
BERLIN 

a« GÜNTHER JACOB kh-ldentltit und 
Nationale Identität 

ETWAS BESSERES AU DIE NATION: 

üU*uu*o«ut>e*u«gt, Ihesen, Sire« zur 
FNl/.DDR'/Zonen-Tour der WohBahrU- 
auuehüne 

ab sofort Im linken Buchhandel 

od« direkt batclkn bA IT’«, c/o Bucht und- 
tun* Im Scturumvicnrt SchuItobUtt SS. 203S7 
lUL Einzdpreb: 6 1>M * ?o*to <J,SO UM), ABOS- 4 
Nummern: ZS,- DM. V Schmidt. Sondciknnto, 
Klo- Nt 7 139WV2UO. P<«ilro HM (BIZ. 200 100 2») 



63 


Frauen aus verschiedenen politischen 
Bereichen 

Zur Politik der Frauen 
aus dem antirassistischen 
Zentrum und grundsätzli- 
che Überlegungen zur 
antirassistischen Politik 

wir sind trauen, die aus verschiedenen 
politischen bereichen kommen 
(antiimperialismus, antirassismus. antifa, 
bevölkerungspolitik) und zum größten 
teil seit mitte der achtziger jahre daran 
arbeiten. 

wir sind sowohl mit frauen als auch mit 
männern organisiert. 

[... Der Text der Genossinnen hat eine 
Vergewaltigung im - in besetzten Räu- 
men der Technischen Universität Berlin 
1991/92 eingerichteten - Antirassisti- 
schen Zentrum (ARZ) zum Anlaß. Die 
Vergewaltigung wurde zunächst als 
"sexistischer Angriff' verharmlost. Die 
Verfasserinnen kritisieren aus diesem 
Anlaß das "zurückdrehen von fraucn- 
kämpfen": "bereits die frauenbewegung 
seit 68 setzte sich mit der paroic 'das pri- 
vate ist politisch' dafür ein. patriarchale 
gewaltvcriiälUiisse jenseits von 

'bcfindlichkciten' zu definieren und in ei- 
nen gesellschaftlichen kontext zu stellen, 
mittlerweile sind auscinandersetzungen 
um sexistische Strukturen innerhalb der 
linksradikalcn gruppen/stnikturen fast 
vollständig in die 'privaten bereiche' ab- 
gedrängt worden, eine offene auseinan 
dersetzung um sexistische gc- 

walt/vcrgcwaltigung wird wieder tabui- 
siert." Wir teilen diese Kritik. Wir druk- 
ken den entsprechenden Abschnitt des 
Textes der Genossinnen hier dennoch 
nicht ab, da dies nicht das Thema dieses 
Kapitels der Broschüre ist und wir zum 
Thema Patriarchat im nächsten Kapitel 
verschiedene Texte abdrucken, die sich 
direkt mit der Position der RAF dazu 
auseinandersetzen. Wir dokumentieren 
hier stattdessen die Abschnitte des Papie- 
rcs, die sich mit dem Verhältnis von Kri- 
tik und Selbstkritik sowie der Gefahr 
auseinandersetzen, daß über eine sozi- 
alarbciterlnnenische Praxis die revolutio- 
näre politische Orientierung verloren ge- 
hen kann. Die Überlegungen der Genos- 
sinnen zur Sozialarbeit können allerdings 
nicht ohne weiteres auf unser Thema 
übertragen werden. Denn sie kritisieren 
eine Sichtweise, die Fllichtlingsmänncr 
nur als Opfer/Objekte (von Rassismus 
und Kapitalismus) und nicht auch als 
sexistische Täter-Subjekte sieht. Wir kri- 
tisieren in diesem Kapitel eine Sicht- 
weise, die weiße Deklassierte nur als Op- 
fer des Kapitalismus und nicht auch als 


rassistische Täterinnen erkennt. Weitere 
Diskussionen über Gemeinsamkeiten und 
Unterschiede der Situationen sind also 
erforderlich. Entsprechendes gilt für den 
Sexismus weißer proletarischer Männer. 
Wir verweisen dazu u.a. auf die nächsten 
beiden Kapitel der Broschüre. ...) 
uns fällt es schwer, die konkrete kritik an 
euch, losgelöst vom ARZ und grossen 
(eilen der antirassistischen politik 'seit 
hoyerswerda“ zu formulieren, einige 
grundsätzliche kritikpunkte sind in dem 
papier "kritik und Überlegungen zur auto- 
nomen flüchtlingspolitik und zur tu-be- 
setzung' in der interim nr. 1 68 veröffent- 
licht worden, auf dieses papier können 
wir uns positiv beziehen, einige punkte 

unserer kritik wollen wir jedoch in kurz- 
fassung aufgreifen: 

— {... Wir lassen die ersten beiden Punkte 
aus thematischen und Platzgründen aus. 

argumente wie "zeitdruck", 
"überrödelei". "politische notwendigkei- 
ten" um genauso weiterzu machen wie 
bisher. 

— autonome politik als "lückenfüllcr” für 
funktionen, die kirchcn. parteien, huma- 
nistische kräftc nicht mehr besetzen, als 
autonome sozialarbeiterlnnen und lager- 
verwalterlnnen. 

in diesem Zusammenhang wollen wir mal 
darstcllen, dass sich unsere kritik nicht 
an gruppen in der form richtet, die jahre- 
lang kontinuierliche arbeit machen, ver- 
schiedene ansätzc finden wir als ebene 
von politik wichtig und notwendig, jeder 
politische ansatz sollte allerdings ge- 
trennt diskutiert werden, anhand von po- 
litischen zielen unJ anhand einer per- 
spektiv- bzw. strategie-diskussion. bera- 
tung, sozialarbcit und praktische hilfe 
kann durchaus eine ebene autonomer po- 
litik sein, allerdings sollte die bc- 
schränktheit und Systemkonformität darin 
immer wieder thematisiert und in den ge- 
sellschaftlichen kontext gestellt werden, 
ansonsten werden verschiedene erfah- 
rungen und diskussions- oder praxisan- 
sätzc (wie z.b. eine umfassendere diskus- 
sion um Internationalismus oder eine dc- 
batte um militante Organisierung...) raus- 
gekickt. es entsteht eine arbeitsteilung 
bzw. ein eingeschränkter blickwinkcl von 
politik. 

— funktionalisierung/objektivierung der 
flüchtlingc. vcrcinnahmung. 

— flüchtlinge werden vorwiegend als Op- 
fer betrachtet und somit als hilfsbedürf- 
tig. sie sind allerdings keine homogene 
gruppe (siche jugendbanden, wo cs ein 
gespaltenes Verhältnis der autonomen zu 
gibt). 

— "opfer können nicht gleichzeitig täter 
sein” - eure logik. 

— die eigene idertität wird zurückge- 
nommen oder rausgelassen, um eine Zu- 


sammenarbeit bzw. 'breite" zu erreichen 
und um konflikte zu umgehen. 

- darüber entsteht da> gcfühl. ganz wich- 
tiges zu tun, rüdclu zu müssen und dabei 
die eigene perspektivlosigkcit (siehe 
zahlreiche diskussionen nach hoyers- 
werda) zu verdrängen. 

- flüchtlingspolitik wird hauptsächlich 
auf bestimmte ereignisse zugespitzt ge- 
sehen. wie abschicbungcn. angriffe... 
weder die fluchtursachcn noch die ver- 
antwortlichen werden thematisiert, ein 
internationalistischer bezug wird nicht 
mehr hergestellt... 

- das "angebot" der quotcnlösung (die 
flüchtlinge der tu auf die berliner quote 
anzurechnen, was bedeutet, das andere in 
die ex-ddr müssen) wurde nicht offen 
thematisiert und gemeinsam diskutiert. 

- eine auseinandersetzung um verschie- 
dene ansätze und erfahrungen von flücht- 
lingsgruppen, um ziele und forderungen, 
wie z.b. offene grenzen, sind kaum noch 
in derdiskussion. 

- mangelnde Vermittlung • von eigenen 
ansätzen, inhalten und polilikvcrständnis 
(eigene motivation von politik). 

diese und ähnliche kritikpunkt sind so- 
wohl an euch als auch an anderen formu- 
liert worden - bisher mit sehr wenig cr- 
gebnis. stattdessen kam von euch sehr 
schnell die forderung nach durchsctzung 
von frauenräumen im Zentrum, wir ken- 
nen aus eigener erfahrungen, daß fraucn- 
räume notwendig sein können, wissen 
aber auch, dass Strukturen nicht losgelöst 
vom inhalt entstehen können, solange die 
eigenen Strukturen und fehler nicht ange- 
gangen werden (auch innerhalb der frau- 
enräume), gibt es auch keine garantie, die 
fehler nicht der reihe nach zu wiederho- 
len. 

[...] 

insgesamt schätzen wir euer verhalten als 
ein totales festhallen an eurem projekt 
ein, daß einen zentralen punkt der anti- 
rassistischen politik darstcllen soll, für 
uns ist das ein realitätsverlust und eine 
grobe Selbstüberschätzung, jede grund- 
sätzliche kritik an euch und eurer politik 
wird mit dem begriff der 
"cntsolidarisicrung" (von euch und auch 
von den flüchtlingen!) abgeblockt, bishin 
zu dci bczciclmuug "aasgeier". das steht 
dann unter dem altbekannten motto: "wer 
nicht für uns ist, ist gegen uns." einerseits 
schreibt ihr, ihr fühlt euch isoliert von 
der autonomen linken, andererseits wird 
cs als ein ’schicksalsschlag" erklärt, los- 
gelöst von der massiven kritik und den 
bedenken vieler vor der bcsclzung. wir 
wollen damit nicht ein verhalten der 
sccne legitimieren, "stammtischmäßig" 
über gerade laufende initiativen zu het- 
zen und in dem eigenen Zusammenhang 
darüber abzuziehen, ohne dass kritik of- 
fen und konstruktiv formuliert wird, das 



64 



kann aber eure erfabung nicht sein, eine -- wie können wir eine Zusammenarbeit 
"interne" auscinandcrsctzung hat unserer mit anderen erreichen, wo wir uns als po- 
mcinung nach nicht viel gebracht, des- litischcs Subjekt transparent machen und 
halb machen wir die kritikpunkte ttffent- die eigenen ansätze vermitteln, ohne wi- 
lich. viele punkte beziehen sich natürlich dersprüche, z.b. patriarchat. zu verschlei- 
nicht nur auf euch, sondern auf alle zu- ern? 

sammenhitnge in der linken. -- welche möglichkeiten gibt es, aus ei- 

wir haben auch nicht vor. mit moralisch nem eigenen Verhältnis heraus, als frau- 
erhobenen Zeigefinger autonome ansätze en. selbstorganisierungsiendenzen zu un- 
und vermeintliche klarheiten in alter ma- terstützen? unter welchen voraussetzun- 
nier festzuklopfen, allerdings gehen wir gen? 

davon aus, daß cs eine gcschichte gibt. - begriffe wie intcmationalis- 
auf die wir uns positiv beziehen können, mus/solidarität sind nicht mehr in der 
und daß es insgesamt darum geht, diese diskussion. wie können wir uns wieder 
geschichte gemeinsam aufzuarbeiten. mehr daran auseinandersetzen, um nicht 
an den punkten rassismus/sexismus Symptombekämpfung in den metropolen 
könnten es im moirent folgende fragen zu betreiben und das eigentliche ausmaß 
oder diskussionsstränge sein: der fiüchtlingspolitik aus den äugen zu 

-- eine bilanz der antirassistischen initia- verlieren? 

tiven der letzten zeit... was hat z.b. das wir denken, daß cs verschiedene ebenen 
ARZ für konkrete Verbesserungen ge- gibt, hintergründe aufzuzcigcn, verant- 
bracht? wo sind die knackpunkte wie z.b. wörtliche zu benennen, die zusammen- 
die quotendiskussion.. hänge zu uns herauszuarbeiten und ge- 

- wäre ein langsames rausgehen der un- mcinsamc ziele herauszufinden, 
«erstützerinnen möglich, indem sie zu- f... den Rest haben wir aus thematischen, 
nächst einmal nur organisatorisches inhaltlichen und Platzgründen weggelas- 
übernehmen, un sich tendenziell ganz scn. ...| 
rauszuziehen? (damit meinen wir nicht, 
das projekt nicht mehr zu unterstützen, 

weil fehler gelaufen sind, sondern evtl. " pr». r t p. Kt thn 

andere formen der Zusammenarbeit zu 

finden). 

welche antiimperialisti- 

schen/anti rassistischen initiativen wären ■ rMums.gtfr.tnufa 
/./.. denkbar? wo kann unter hintergrund • w»»crr-«.irat«r 
einer gesellschaftliche analysc druck auf 
verantwortliche ausgeübt werden, ohne 
daß es beliebig wird, ergebnislos bleibt? 
in diesem Zusammenhang wäre auch eine 
genauere diskussion über bestimmung 
der nächsten schritte notwendig auf dem 
hintergrund von gemachten erfahrungen 
in der Organisierung zu diesem thema. 
dabei geht es um bür.dnisse genauso wie 
um militante Organisierungsansätze (z.b. 
die rz-kampagne). an welchen punkten 
können sich dezentrale ansätze und ver- 
schiedene ebenen antirassisiischer politik 

ergänzen ohne inhaltlich zu verwässern? 

(z-b. zentrale punkte in den Stadtteilen, 
wo flüchtlinge hingehen können, ver- 
schiedene bündnissc, militante initiati- 
ven, demos usw...). 

•• wie gehen wir einerseits mit rechtsra- 
dikalen/rassistischcn Strukturen um. an- 
dererseits mit dem Wegfall der sozialen 
puffer (humanistische kräfte, kirchen, al. 
soziales netz)? 

-- wie können wir eine politik verbinden, 
die sowohl die einzelnen flüchtlinge un- 
terstützt, gleichzeitig aber auch offensiv 
für uns selbst ist? 


Antifaschistisches 


Das Antifaschistische 
Infoblatt erscheint als 
bundesweite Zeitung 
alle 2-3 Monate. 


Dio Schwerpunkte sind 


* Entwicklungen und Aktivitäten 
der Neonazis in der BRD und 
international 

* Entlarvung und Veröffent- 
lichung ihrer FChrerlnnen 

* Neue Rechte und Braunzone 

* Antifaschistische Aktivitäten in 
der BRD und international 

* Darstellung von Diskussionen 
über Möglichkeiten von 
Antifaarbeit 

* Der Ruck nacn Rechts und 
die Rolle der Biedermänner in 
der Regierung 

* Rassismus, Sexismus und 
Nationalismus in der Gesell- 
schaft 

* Wirtschaftliche und soziale 
Entwicklungen 

* Progressive Entwicklungen 
und Aktivitäten 


Das Antifa-Info ist eine 
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und andere poli- 
tisch« prozeseo 


Kontaktadresse 


— wanim tauchen ziele wie "offene gren- 
zen" nicht mehr in der diskussion auf? 
haben sich Vorstellungen und Utopien 
verändert? 


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dock wort; 129« 
Wibniitr*&« 24 
6600 mainx 











65 


IV. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Män- 
nern und Frauen I: Feministische Kritiken an der alten 
und neuen Politik 


"(...) in diesem sysicm (wird) alles zur wäre (...Jauch das Verhältnis zur körperlichkcit. wobei natürlich die trauen am 
meisten dazu gezwungen werden, ihren körper als wäre zur schau zu tragen. (...).” 

RAF, Weiterstadt-Erklärung 

Die “Annahme eines linearen Zusammenhangs in dem Sinne, daß 'der Kapitalismus' sexuellen Bedürfnissen 
durchgängig seine Warenform überstülpe'', läßt sich aber nicht begründen. Es läßt sich zwar “nicht leugnen, daß 
bestimmte Formen der Sexualität von Frauen und Männern durchaus Warencharakter besitzen - Prostitution, si- 
cherlich auch manche 'Versorgungsehen’ - (...)“. Aber auch in diesen Fällen stellt sich die Frage: was daran "kapi- 
talistischer Vergesellschaftung geschuldet ist und was nicht? Prostitution bezeichnet ein Gewerbe, das älter ist als 
der Kapitalismus, 'Waren' wurden hier schon immer ausgetauscht. Was ist dann das spezifisch 'kapitalistische' an 
der Prostitution?* Mit diesem Beispiel soll lediglich verdeutlicht werden, wie kompliziert, vermutlich aber auch 
aussagekräftiger eine Gcscllschaftsanalyse wird, wenn sie monokausale fcrklärungsansatzc ‘ (wie alles sei Aus- 
druck der Warenstruktur) ''aufgibt und sich der Differenziertheit sozialer Phänomene“ - triple oppression - "stellt. 

Ursula Beer, Geschlecht, Struktur, Geschichte, Frankfurt am Main / New York, 1990, 103 f, 

1 . Schweizer Fcministinncn. Ein Stein in der Sonne (1990) 

2. Frauen aus der radikal, Stellungnahme zu "Ein Stein in der Sonne" 

3. Sterin. Die inhaltliche Debatte weiterentwickeln (Okt. 1992) 

4. Frauen/Lesben aus Gießen, Eine feministische Kritik (Feb. 1993) 

- Dokumentation: Die RAF - eine nachholende Resistance? Die BRD - eine gefestigte Demokratie ? Auszüge aus dem 
KONKRET-Interview der Celler Gefangenen (6/1992) und dem Odranoel- Beitrag von Lutz Täufer 

5. deutsche Lesben aus dem linksradikalen Frauen-/Lcsbcn-Spcktrum, Stellungnahme zur "Feministischen Kritik" (Mai 
1993) 


* Wir wollen in diesem Zusammenhang daran erinnern, daß für den Kapitalismus nicht die Existenz von Warenverhältnis- 
sen charakteristisch ist, sondern daß in ihm auch die Arbeitskraft zur Ware wird. Dies verlangt für die Analyse einen Ter- 
rainwechsel von den Awwusc/ibeziehungcn zu den /VorfuÄ/wtsverhältnissen. 



66 


Feministinnen aus der Schweiz 

Ein Stein in der Sonne 

Feminismus ist der Klassenkampf von 
ganz unten gegen das ganze System 


Liebe Eva und Gisel, 

l ) Wir sagen Nein zum scheinbar so 

basisdemokratischen "alle gleichzeitig 
voran", weil es immer auf die selbstmör- 
derische Illusion hinausläuft, der Sieg 
über die ausgezeichnet vorbereiteten, 
feindlichen Kräfte könne ein spontaner 
Akt nicht-vorbcrcitctcr Massen sein. Wir 
halten daran fest, daß ein Teil der Klasse 
(eine “Avant-Garde"!) den Kampf um die 
Macht in nicht-revolutionärer Periode 
vorbereiten muß, und daß der bewaffnete 
Kampf zugleich die wirksamste Form der 
politischen Propaganda in nicht-revolu- 
tionärer Periode ist. All diese Tauachen 
werden nicht dadurch außer Kraft ge- 
setzt. daß das der Situation angemessene, 
technologische Niveau heute in der 
Schweiz tief ist. Entscheidend ist das 
bewußte und gezielte Vorantreiben. 
Nachdem Ihr nun aber so klar und offen 
zum Feminismus Stellung genommen 
habt, wollen wir als Feministinnen eben- 
so klar und offen Stellung nehmen. Wir 
müssen dazu etwas ausholcn. 

Das imperialistische Patriarchat 
und seine aktuellen Projekte 

Das System - wir nennen es imperiali- 
stisches Patriarchat - beruht auf der 
Ausbeutung und Gewalt gegen Frauen 
weltweit. Alle einzelnen Projekte sind 
Angriffe gegen Frauen, die neben und 
in geringerem Maß auch Männer tref- 
fen. 

“im kampf der fraucn wird ein zentraler 
nerv des herrschenden Systems freige- 
legt". schreibt Ihr. Wir meinen, da unter- 
treibt Ihr maßlos: Frauen leisten konser- 
vativ geschätzt (durch die UNO) welt- 
weit 2/3 der gesellschaftlichen Arbeit 
und bekommen dafür 1/10 der direkten 
oder indirekten Lohncinkommcn. Dabei 
ist gesellschaftlich notwendige Arbeit 
wie Schwangerschaft, Geburt. Stillen, 
Verhütung, Abtreibung, emotionale und 
sexuelle Dienste noch nicht einmal mit- 
gcrcchnct. Frauenarbeit ist der Nerv des 
Systems! 

Ganz folgerichtig zielen die aktuellen 
Projekte des Kapitals gegen die Frauen. 
Diese sollen noch mehr arbeiten für noch 
weniger Einkommen. 

[... cs folgt eine Auflistung von damals 
"aktuellen Projekten" ...) 


Das Proletariat als Zwischenklasse 

Das Kapital und sein Staat als oberste 
Organisatoren des Systems können Ih- 
re Projekte nur durchziehen, weil die 
durch das Kapital ausgebeuteten Pro- 
letaricrmänncr zugleich als ausbeu- 
tende Klasse gegen die Frauen funk- 
tionieren: Die Frauen würden weltweit 
niemals zwei Drittel der weltweiten 
Arbeit leisten und sich mit einem 
Zehntel des Einkommens begnügen, 
wäre nicht die sexistische und sexisti- 
sch-rassistische Gewalt durch jeden 
Mann gegenwärtig - auch durch jeden 
Proletaricrmann. Wir rechnen deshalb 
die Klasse der Proletariermänner zu 
den Zwischenklassen.(l) 

Frauen würden sich niemals unentlohnt 
in Haushalt, Kinderbetreuung und Dien- 
sten an den Männern abrackem, sie wür- 
den niemals all die unentlohntcn und 
zum Teil ideologisch unsichtbar gemach- 
ten Dienste an Männern überall in der 
Gesellschaft leisten, müßte die Handvoll 
Untcmehmerbossc selbst dis Kontrolle 
garantieren. Der Handel mit Frauen aus 
Afrika. Asien, Süd- und Mittelamerika 
würde niemals rentieren, würde nur die 
Handvoll Unternehmerbosse Prostitu- 
ierte. GogD-Tänzcrinncn oder Ehefrauen 
kaufen, Sexindustrie und Werbung wür- 
den niemals rentieren, würde nur die 
Handvoll Untemehmerbosse nach Zer- 
stückelung. Folter und Mord an Frauen 
lechzen. Tatsächliche Mißhandlung. 
Vergewaltigung und Mord an Frauen wä- 
ren niemals so massenhaft verbreitet, 
käme nur die Handvoll Untemehmerbos- 
sc als Täter in Frage. 

Die Männer - auch die große Masse der 
ausgebeuteten Männer - haben die Verfü- 
gungsgewalt über die Frauen und deren 
Kinder durch alle Epochen des Patriar- 
chats hindurch bis heute erfolgreich ver- 
teidigt. Erst diese Massenhaftigkeit der 
Gewalt garantiert die für die Ausbeutung 
notwendig? Lückenlosigkeit. Verschie- 
dene Feministinnen nennen das. was die 
Proletariermänner aus den Frauen aus- 
beuten und konsumieren "Arbeitsrente“. 
Diese senkt den Wert der Lohnarbeits- 
kraft und steigert folglich den Mehrwert. 
Frauen erfahren alltäglich, daß alle 
Männer objektive Klasseninteressen 
gegen die Fraucn zu verteidigen haben 
und mit allen Mitteln verteidigen. Die 
feministische Klassenanalyse geht von 
diesem gesellschaftlichen Standort der 
ausgebeuteten Frauen aus. 

Was von diesem Standort sofort sichtbar 
ist, bleibt vom Standort der Männer un- 
sichtbar. Engels hat unfreiwillig einen 
Katalog der Gewalt- und Ausbeutungs- 
formen geliefert, die in (seiner Ansicht 
nach) "klassenlosen Gesellschaften" Vor- 
kommen: Frauenraub und - lausch 


("bloße Methoden, sich Fraucn zu ver- 
schaffen"). sexuelle Monopolrechte von 
Männern über Frauen. 'Rechte der Män- 
ner xuf gelegentliche Untreue, grausame 
Strafen auf Untreue der Frauen", 
"Belastung der Weiber mit übermäßiger 
Arbeit", Eigentum des Mannes an den 
Produktionsmitteln ("Brauch der damali- 
gen Gesellschaft") sowie Ausschluß der 
Frauan von Stammcscigentum und Mit- 
sprachc in Stammcsangclcgcnhcitcn (2). 
All das gilt den Marxistinnen bis heute 
als zwar moralisch verwerflich, aber 
nicht als klasscnspaltcnd. Vergewaltiger 
und Vergewaltigte, Ausbeuter und Aus- 
gebeutete sitzen demnach im gleichen 
proletarischen Boot! Moral ist keine aus- 
reichende Grundlage für einen revolutio- 
nären Befreiungskampf. 

Mit dem Aufschwung der neuen Frauen- 
bewegung, und weil sie auf die Frauen 
als Aktivistinnenbasis angewiesen sind, 
haben sich einige marxistische Gruppen 
vordergründig angepaßt, ohne ihre Klas- 
senanalyse und Politik zu ändern. In die- 
sem Punkt können wir Eure Kritik voll 
unterschreiben: "und es ist auch trüge- 
risch zu glauben, daß die linke hier da- 
durch revolutionär wird, daß nun 
'feministische ansätze’ verbal in den ver- 
schiedenen linken Zusammenhängen prä- 
sent sind. ” 

Indem die unverändert marxistische Pro- 
paganda vom Proletariat als unterste 
Klasse durch Begriffe wie "Patriarchat" 
oder "antipatriarchalcr Kämpf' ergänzt 
wird, ändert sich tatsächlich nichts, selbst 
bei zusätzlicher cntglasung eines Scxla- 
dens alle paar Monate. Vielmehr entste- 
hen Scheinharmonien und scheinbare 
Einverständnisse zwischen Marxismus 
und Feminismus. Diese blockieren die 
Herausbildung eigenständiger, marxisti- 
scher oder feministischer Identitäten und 
somit den Radikalisicnngprozeß insge- 
samt 

Wenn - wie Marxistinnen behaupten - 
zwischen ausgebeuteten Fraucn und 
Männern keine Klassenspaltung besteht, 
dann wäre autonome Bewegung und Or- 
ganisierung von Frauen eine willkürliche 
Spaltung des objektiv einheitlichen revo- 
lutionären Subjekts. Das heißt: Autono- 
mer Feminismus wäre kontrarevolutio- 
när. Wenn wir auch die marxistische 
Klassenanaly.se und diese ihre Konse- 
quenzen ablchncn, so schätzen wir doch 
Eure Haltung: Ihr sprecht die unsägliche 
Konsequenz marxistischer Klassenanaly- 
se fast offen 
aus. 

Frauenkampf - und Feminismus 
- die politische Identität 

Überall auf der Welt leisten Frauen 
Widerstand gegen charakteristische 



67 


Merkmale weiblicher Existenz im Pa- 
triarchat: Armut und Elend, Obdach- 
losigkeit Überausbeutung der Ar- 
beitskraft, Zwangscingriffc in die 
Fruchtbarkeit, Verstümmelung der 
Sexualität, Kommerzialisierung des 
Körpers, Männergewalt und Staats- 
gewalt Sie befinden sich dabei nicht 
auf einer Vorstufe des proletarischen 
Kampfes, sondern auf dem extremen 
Gegenpol zu Kapital und Staat: ganz 

unten, Feministischer Kampf ist Klas- 
senkampf von ganz unten gegen das 
gesamte System. 

Frauen kämpfen in Afrika gegen die Fob 
tcr von Clitorisbcschncidung und Infibu- 
lation, in Indien gegen Brautmorde und 

Witwenveibrennungen, überall auf der 
Welt gegen Mißhandlungen, Vergewalti- 
gung und Inzest, gegen die Zerstörung 
der Felder durch Agrogifte, gegen Be- 
tricbsschlicßungcn. gegen Preiserhöhun- 
gen usw. Überall auf der Welt richten 
sich Frauenkämpfe gegen Kapital und 
Staat als oberste Organisatoren des Sy- 
stems wie auch gegen die Zwischenklas- 
sen der Kleinbiirgermänncr. der Prolcta- 
riermänner und der teilweise 
"hausfrauisierten" Männer in ihrer aus- 
beutenden Funktion. Überall auf der 
Welt solidarischeren sich Frauen in ihren 
Kämpfen mit den Befreiungskämpfen der 
Männer in ihrer aus$ebeutctcn Funktion. 
“Frau-Sein ist kein Programm", hat Ing- 
rid Strobl einmal geschrieben. 
“Frauenkampf’ ist such keins, fügen wir 
bei. Solange wir uns allein aus individu- 
eller oder Szenen-Herkunft ("von uns 
ausgehend“), partiellen Forderungen und 
nicht näher bestimmtem Revolutionsziel 
definieren, können all unsere Kämpfe 
durch klassenfremde Interessen instru- 
mentalisiert werden. Frauenbefreiung 
wird dann illusorisch. Als Frauen, die 
für eine umfassende Befreiung kämp- 
fen, brauchen wir ein kollektives Be- 
wußtsein über das gesellschaftliche 
Wohin und Wie unseres Kampfes, Wir 
müssen: 

— von ganz unten bis ganz oben durch- 
schauen wie das System konstruiert ist 
und wie verschiedenen Ebenen zu- 
sammenspielen, 

— die Aufgaben und den Charakter 
der zu erobernden Macht bestimmen, 
so daß Befreiung bis ganz unten mög- 
lich wird, 

— aus eigenen und fremden Kämpfen 
Schlüsse ziehen und die so entste- 
hende, revolutionäre Theorie als Leit- 
faden für die Weiterentwicklung der 
Kämpfe nutzen. 

Da und dort haben kämpfende Frauen di- 
ese revolutionäre Theorie und Praxis von 
ganz unten "Feminismus" genannt. Wie 
immer sie genannt wird, das Zusammen- 
kommen der Kämpfe und die fortlaufen- 


de Systematisierung der Erfahrungen 
zum immer neu überprüften Leitfaden 
steckt noch weit in den Anfängen. Femi- 
nismus ist deshalb noch lange keine in 
haltlich präzis definierte, internationale 
und internationalistische Bewegung. Das 
hat verschiedene Gründe. Erstens ist es 
naheliegend, daß die historisch am tief- 
sten verwurzelten Ausbeutungsverhält- 
nisse die längste Ausgrabungszeit erfor- 
dern. 2. kann es in den Anfängen des be 
wußten Kampfes noch nicht klar sein, in 
welchen Formen und mit welchen Mit- 
teln Ethnozentrismus und Rassismus 
zwischen ausgebeuteten Frauen ver- 
schiedener Hautfarbe, Herkunft 
(Trikont/MetropoleX Geschlechterorien- 
tiernng (1 isbe/Hetera) usw. aufzuheben 
sind. Die feministische Methode - auto- 
nome Identität und Aktionsbündnissc - 
beginnt sich hier erst abzuzeichnen. 3. ist 
die Thcoricarbcit wegen der extremen 
Ausbeutung der untersten Klasse auf 
Ausnahmefrauen angewiesen: Frauen, 
die ihre Last an entfremdeter Arbeit in 
etwa auf das von Proletariermännem ge- 
leistete Maß reduzieren können. Es ist 
ein weiteres, zu bearbeitendes Problem, 
daß diese Ausnahmen in der Metropole 
häufiger sind als im Trikont. 

Wie jeder revolutionäre Kampf muß 
der feministische in offenen und ver- 
deckten oder ausschließlich verdeckten 
Formen geführt werden, je nach Situa- 
tion. Aber revolutionär-feministischer 
Kampf muß sich gegen zwei Klassen 
und ihre Repression decken: Frauen 
müssen sich unter Umständen unter dem 
Vorwand traditionell weiblicher Arbeiten 
zu Sitzungen treffen, sic müssen in ihren 
Fraueuorganisationen Alibimänner mi- 
torganisicrcn und vieles andere mehr, um 
von den Männern ihrer Familie nicht als 
ihrer Klasse bewußte Frauen, das heißt 
Fcministinncn erkannt zu werden: das 
kann lebensgefährlich sein. 

Wo immer ein Befreiungskampf Formen 
und Begriffe annimmt, macht sich die In- 
strumentalisierung des Kampfes für klas- 
senfremde Interessen an diesen Formen 
und Begriffen fest. So wie es einen re- 
formistischen “Sozialismus“ und einen 
revisionistischen "Kommunismus’ gibt, 
so gibt es« einen reformistischen 
"Feminismus“ und einen marxistisch-len- 
inistischen "Frauenkampf. Das 
(unvermeidliche) Anfügen von klärenden 
Eigenschaftswörtern verhindert nicht den 
neuerlichen Mißbrauch. Denn die Ursa- 
che liegt in den Kräfteverhältnissen. 

Proletarische Macht und 
feministische Macht 

Die Eroberung der proletarischen 
Macht erlaubt die Beseitigung der 
Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse 


von der Zwischenklasse der Proletari- 
ermänner an aufwärts. Die Eroberung 
der feministischen Macht erlaubt die 
Beseitigung der Gewalt- und Ausbeu- 
tungsverhältnisse von der untersten 
Klasse an aufwärts. Kurz: alle. 

"bei der feststellung, daß nirgends eine 
revolution die befreiung der frau ge- 
bracht hat, stellt sich sofort die frage, für 
wen hat sie sic gebrüht." 

Das ist nicht unsere Frage. Sondern: Er- 
laubt der Charakter der eroberten Macht, 
in einem zweifellos längcrdaucmdcn 
Prozeß sämtliche Gewalt- und Ausbeu- 
tungsverhältnisse zu beseitigen? Die pro- 
letarische Macht kann auf Grund ihres 
Geschlcchtscharaktcrs nicht mehr als 
frniienfrenndliche Reformen /«igestchen 
bis die (auch in der proletarischen Revo- 
lution unverzichtbare) Mobilisierung der 
Frauen gebrochen ist, die objektiv in die- 
sem Moment zur weitergehenden, femi- 
nistischen Macht tendieren muß. Die pro- 
letarische Macht kann nicht anders, als in 
diesem Moment die Reformen zurückzu- 
nehmen: Es liegt nicht im objektiven In- 
teresse des Proletariermannes, 50% statt 
wie bisher 33% der gesellschaftlichen 
Arbeit zu leisten und dafür 50% statt wie 
bisher 90% der direkten oder indirekten 
Lohneinkommen zu beziehen. Da gcht's 
nicht mehr um die schönen und tiefen 
Beziehungen, sondern um knallharte, 
materielle Interessen. An diesen Akten 
der Blockiemng des Befreiungsprozesses 
- Reform und Rücknahme der Reform - 
kann die proletarische Macht nicht ande- 
rs als zu Grunde gehen. Dies schafft die 
Voraussetzungen, in denen eine neue 
Ausbeuterklasse über Frauen und Män- 
ner die Macht erobern kann. In der bishe- 
rigen Geschichte war das eine Bürokra- 
tie, die auf Einheitspartei, staatlichem 
Repressionsapparat und staatlichem Mo- 
nopol über die materiellen Reprodukti- 
onsmittcl und über die Fruchtbarkeit be- 
ruht. Die Bürokratie tendiert dazu, das 
kapitalistische Patriarchat wiederherzu- 
stcllen. 

Um mit einem bekannten, wenn auch pa- 
triarchal motivierten Bild zu sprechen: Es 
ist realistisch, ein Ei an die Sonne zu le- 
gen und zu sagen: Es wird möglicherwei- 
se lange dauern, aber schlußendlich kann 
ein Küken ausschlüpfen. (Echt? die ver- 
blüffte S’in. Mao lesen [Ausgcwählte 
Werke, Bd. I, 369], sagen die Hg.). Eine 
revolutionäre Politik wird nicht dadurch 
falsch, daß cs lange dauert. Die Erobe- 
rung der proletarischen Macht als 
Weg zur Befreiung der Frau zu pro- 
pagieren bedeutet einen Stein an die 
Sonne zu legen und das Ausschlüpfen 
eines Kükens anzukündigen. Revolu- 
tionärer Feminismus setzt die Erobe- 
rung der feministischen Macht als Ziel. 
Das kann zwar auch lange dauern - 



68 


aber immerhin ist es ein Ei und nicht 
Stein in der Sonne. 

Aber warum denn heute schon so weit 
denken? mögen nicht wenige sagen. ( Ihr 
in Bezug auf Euren Kampf nicht, das 
wissen wir gewiß). Warum nicht zuerst 
Männer und Frauen gemeinsam für die 
proletarische Revolution und in der 
Etappe danach irgendein unbekanntes 
Subjekt für die feministische? Das Patri- 
archat hat sich von der einfachen Klas- 
senspaltung zwischen den Geschlechtern 
als historisch erster Klasscnspaltung in 
mehreren Tausend Jahren und über viele 
verschiedene Formen zu seiner hoch- 
komplexen kapitalistischen Form entwik- 
kelt. Im kapitalistischen Patriarchat 
treffen Gewalt und Ausbeutung in redu- 
zierter Form auch die große Masse der 
Männer. Diese Langzeitfolgcn des patri- 
archalen Unterwerfungsaktes können die 
Prolctaricrmänncr rieht mehr allein zer- 
schlagen. Darum kommen ihnen plötz- 
lich die Frauen in den Sinn. Darin liegt 
für uns Frauen nicht nur die Gefahr der 
Unterwerfung unter männerorientierte, 
revolutionäre Führungen, sondern auch 
eine historische Chance, zugleich den 
ursprünglichen patriarchalen Unter- 
werfungsakt aufzuheben. Möglich ist 
dies nur mit autonom-feministischer, 
revolutionärer Führung. 

Die Notwendigkeit feministischer 
Autonomie 

Revolutionär-feministischer Kampf 
muß in jedem Moment fähig sein, den 
revolutionären Prozeß auch bei rcak- 
tionär-motivierten Rückziehern des 
revolutionär-proletarisch oder -klein- 
bürgerlichen Kampfes weiterzutrei- 
ben. Revolutionär-feministischer 
Kampf muß aus diesem und keinem 
anderem Grund autonom sein, das 
heißt unabhängig gegen Staat und 
Zwischenklassen. Der Gradmesser fe- 
ministischer Autonomie ist der jeweils 
erreichte Stand dieser notwendigen 
Fähigkeit. Die formal-organisatori- 
schen Mittel sind wichtige, aber weder 
einzige noch ausreichende Mittel, um 
die reale Autonomie herauszubilden. 
Ein Beispiel: Vorder Revolution der Na- 
tionalen Befreiung von 1979 in Nicara- 
gua war die Fraienorganisation AM- 
PRONAC formell autonom, theoretisier- 
tc ihre Autonomie aber nicht als politi- 
sche Notwendigkeit. Während der Revo- 
lution unterstellte sie sich im Glauben an 
ein gcschlcchtsneutrales 

"Allgemeininteresse” der Führung der 
Frente Sandinista. Sie organisierte die 
Massenbasis der Revolution, garantierte 
Versorgung. Unterschlupf. Meldedienste. 
Pflege der Verwundeten und ähnliches. 
Ein Teil der Frauen kämpfte bewaffnet in 


der geschlechtlich-gemischten Guerilla. 
Als dann nach der Revolution die Frauen 
vom Waffendienst in den sandinistischen 
Streitkräften ausgeschlossen wurden, 
protestierten Guerillas gegen die Verwei- 
gerung des elementaren Rechts, bewaff- 
net für die Befreiung zu kämpfen. 

Der Frente hatte unter dem Deckmantel 
eines dringlichen und angeblich gc- 
schlcchtsneutralen "Allgcmcinintcresses" 
die Männermacht stabilisiert Das weitere 
ergab sich dann von selbst. Der Freute 
stoppte die Fand- und Betriebsbesetzun- 
gen und garantiere das kapitalistische Ei- 
gentum an den Produktionsmitteln. Mit 
der Agrarreform - Kernstück der Revolu- 
tion - schaffte er eine neue Zwischen- 
klassc von 1 jndeigentümern und Famili- 
enoberhäuptern. Ganz folgerichtig gin- 
gen 92% der Landtitel der Agrarreform 
an Männer. 8% an die Frauen. Ebenso 
folgerichtig konnte das sandinistische 
Alimentengcsetz die Schwangerer nicht 
zu Versorgungsleitungen an kleine Kin- 
der zwingen, garantierte ihnen aber den 
Zugriff auf eheliche und uneheliche Kin- 
der im arbeitsfähigen Alter 
(mehrwcrtproduzicrende Arbeitskräfte!). 
Ebenso folgerichtig war die Opposition 
gegen die Lockerung des somozistischcn 
Abtreibungsgesetzes, das dem Schwan- 
gerer ein Vcto-Reclt erteilt, auch in den 
sandinistischen Reihen enorm. 

Die wichtigsten ausbeutbaren Arbeits- 
kräfte der sandinistischen Agrarreform 
blieben die Frauen: ohne Eigentum an 
Produktionsmitteln und ausgeschlossen 
von der Mitgliedschaft aus den Koopera- 
tiven. Frauen hatten weiterhin 18 Stun- 
den pro lag zu arbeiten. Männer neun. 
Illegale Abtreibung war weiterhin die 
häufigste Todesursache von Frauen im 
gebährtähigen Alter. Die frisch bestätig- 
ten Familienoberhäupter beanspruchten 
gegen alle aufklärerische Propaganda ihr 
Eigentumsrecht, "ihre" Frauen zu schla- 
gen und zu vergewaltigen. 

Wir betonen nochmils: Es geht uns nicht 
darum, Befreiungsleistungcn zu zählen 
wie Erbsen. Eine Revolution der Natio- 
nalen Befreiung ist keine Beseitigung des 
Kapitalismus und eia Trikontland ist kein 
reiches Land. Mit dem Beispiel Nicara- 
gua wollen wir deutlich muclien, daß 
die separate Organisierung der Frauen 
nicht genügt, um die Stabilisierung der 
Männermacht zu verhindern. Ent- 
scheidend ist die feministische Auto- 
nomie. Die Mchrfachbclastung der Frau- 
en, die Verfügung Uber Fruchtbarkeit und 
Kinder und die Münncigcwalt anzugrei- 
fen hätten bedeutet, das weitcrbcstchcn- 
de, kapitalistische Patriarchat im Landes- 
innem an der Wurzel anzugreifen. Auto- 
nomer Feminismus hätte zwangsläufig 
eine Alternative darstellen müssen zum 
sandinistischen Projekt der Aussöhnung 


der Zwischcnklasscn mit dem privaten 
oder genossenschaftlichen Eigentum an 
den Produktionsmitteln und dem kapitali- 
stisch»“!» Markt. 

Feministische Autonomie beruht auf der 
Erfahrung und dem Bewußtsein, daß es 
in einer patriarchalen Gesellschaft nichts 
geschlechtsneutrales gibt. Jede noch so 
geschlechtsneutra! erscheinende Kate- 
gorie von Gewalt und Ausbeutung 
nimmt gegen Frauen die volle Form 
an, gegen Männer eine reduzierte. 
Darüber hinaus gibt cs Kategorien, die 
fast oder ganz ausschließlich Frauen 
treffen: Ausbeutung von Sexualität 
und Fruchtbarkeit. Die nicht-vollzäh- 
ligen und reduzierten Formen lassen 
sich nur von den vollzähligen und vol- 
len Formen her mit der Wurzel ver- 
nichten. Die geschlechtlich-gemischte, 
das heißt männcr-orientierte Bewegung 
geht umgekehrt vor: Sie richtet den 
Kampf gegen die reduzierte Form und er- 
gänzt bisweilen verbal, was bis zur vol- 
len Form fehlt. Das ergänzte nennt sie 
"Frauenfrage". 

Enteignung von den Subsistcnzgrundla- 
gen, Hunger. Vertreibung und Obdachlo- 
sigkeit, Ausbeutung der Arbeitskraft, 
(Erwcrbs-)Arbcitslosigkeit, Folter usw. 
haben allesamt eine volle weibliche und 
eine reduzierte männliche Form. Am 
Beispiel der Aufstandsbekämpfung 
möchten wir kurz den Blick auf eine 
volle Form lenken. Sie setzt gegen Frau- 
en auf extrem tiefer Stufe des Wider- 
stands ein: individueller Eigensinn kann 
genügen. Frauen können körperlichen 
Strafen bis zur Todesstrafe unterworfen 
werden, wenn sic sich "frei” in privaten 
und öffentlichen Räumen bewegen, in 
denen gleichzeitig Männer sind. Als 
Agentinnen der Aufstandsbekümpfung 
treten nicht nur die staatlichen auf. son- 
dern auch Einzclmänncr. Männerbanden 
und die Psychiatrie (Frauen werden be- 
kanntlich wegen gcringstfugigen 
"Abweichungen“ von der Norm psychia- 
trisiert). Gegen widerstand-lcistcnde 
Frauen darf jeder Mann als knüppelnder 
Polizist auftreten, nicht allein Faschoban- 
den und die eigentliche Polizei, usw. 

Die Einbindung des Frauenkampfes in 
ein angebliches "Allgemeininteresse" 
hat deshalb immer eine doppelt nega- 
tive Wirkung: 

— Der Frauenkampf wird auf soge- 
nannte "Frauenfragen" reduziert 

(Sex, Kinder haben, Internationale 
Frauentage und so). 

- Das Befreiungsziel wird auf diejeni- 
gen Ausbeutungsformen reduziert, die 
auch Männer treffen. Ausgebeutete 
Frauen müssen für ihre Befreiung den 
zentralen Repressions- und Ideologieap- 
parat (Staat) zerschlagen. <’ rrivatei- 
gentum an den materiellen Pi.uuktions- 



69 


mittein aufheben, den dezentralen Rc- 
prcssions- und Idcofcigicapparat (Machos 
und Männerbanden) zerschlagen, das 
Privateigentum von Männern an Frauen 
und Kindern aufheben und sich selbst 
aus der Stellung des Menschen- Produkt i- 
onsmittcls und Sexualobjektes befreien. 
Ausgebeutete Männer müssen für ihre 
Befreiung "nur" den Staat zerschlagen 
und das Privateigentum an den materiel- 
len Produktionsmitteln aufheben. 

Kritische Solidaritit mit Revolutionen 
der nationalen Befreiung 

Bezüglich der nationalen und/oder an- 
tikapitalistischen Befreiungsbewegun- 
gen und bezüglich national und/oder 
vom Kapitalismus befreiten Länder 
sind internationalistische Feministin- 
nen in den Metropolen solidarisch mit 
den Klassen ganz unten und ihrem na- 
tionalen wie auch gegen das kapitali- 
stische Patriarchat gerichtete Befrei- 
ungsinteresse: den Frauen. Frauen aus 
diesen Ländern haben in den letzten 
10 Jahren ihre Kritik an diesen nach- 
wievor 

patriarchalen Bewegungen und Syste- 
men zum Ausdruck gebracht. Als Fe- 
ministinnen würden wir aber auch 
dann Stellung nehmen, wenn die pa- 
triarchale Gewalt und Ausbeutung in 
nichts als sprachlosem Elend aus- 
drückte: Wir teilen nicht die Ideologie 
der Herrschenden, wonach die der 
Sprache beraubten glücklich wären, 
"wir kennen die Kritik vieler Frauen an 
den Befreiungsbewegungen und national 
befreiten Ländern im Süden, weil in ih- 
nen die Unterdrückung der Frau nicht 
oder ihren eigenen Vorstellungen ent- 
sprechend beseitigt wird," schreibt ihr. 

Im Sommer 1980 fand in Den Haag ein 
workshop statt. Die dortigen, kritischen 
Siiuationsbeschreibungen durch Frauen 
aus Vietnam, Kuba, Nicaragua, Zimbab- 
we, China. Jugoslawien sowie Indien und 
Südafrika wurden durch internationalisti- 
sche Fcministinncn auch in der Metropo- 
le aufgenommen und haben viele Dis- 
kussionen ausgelöst. Die gemischte 
Linke, einschließlich marxistisch-lenini- 
stische Gruppen, haben diese Frauen aus 
Afrika, Asien Süd- und Mittclamcrika in 
aller Regel totgeschwiegen oder als aus- 
ländisch-gesteuerte Marionetten diffa- 
miert (3). 

"Täglich sehen wir. daß die Lebenspraxis 

der Frauen dieses Volkes eine Reihe von 
Glaubensvorstcllungen widerlegt, welche 
die patriarchale Ideologie uns aufge- 
zwungen hat", schreibt die nicaraguani- 
schc Feministin Aida Rcdondo nach aus- 
gedehnten Gesprächen mit Marktfrauen 
von Managua. Als eine dieser Glaubens- 


vorstcllungen nennt sie jene, "daß der 
Feminismus eine charakterisch-ausländi- 
sehe Bewegung sei... Wenn jene Frauen 
Feministiiinen sind, welche die patriar- 
chale Ausbeutung und Unterdrückung 
durchschauen, dann ist die Mehrheit der 
Marktfrauen und der Frauen des nicara- 
guanischcn Volkes Feministinnen." Tat- 
sächlich drückt sich in den Zitaten der 
Marktfrauen der Klassenhaß gegen beide 
Bosse aus: den kapitalistischen und den 
proletarischen (4). Beide machen das 
"Gefängnis" aus, wie Ihr es nennt. Nichts 
weniger als das kann im Interesse der 
Frauen im Trikont liegen, und in nichts 
weniger als diesem sind wir solidarisch 
mit ihnen. 

Antipatriarchaler Kampf 
(der Männer) und 
feministischer Kampf 
(der Frauen) 

Aus jeder ausbeutenden Klasse können 
einzelne individuell austreten. So kön- 
nen auch einzelne Mitglieder der Zwi- 
schcnklasson Proletarier, Kleinbürger 
- erste Schritte Richtung Verzicht auf 
Gewalt und Ausbeutung gegen Frauen 
machen. Aber niemals wird sich eine 
ganze Klasse durch Einzelaustritte aus 
Ihrer ausbeutenden Rolle löse. 

“die männer in der RAF wären nicht da, 
wenn sie die gesellschaftlichen und ihre 
eigenen patriarchalen Strukturen nicht als 
dcformiciungen ihres eigenen mensch- 
seins, als ihre eigene Zerstörung erkannt 
und damit gebrochen hätten", schreibt Ihr 
als Entgegnung auf einen Satz, im 8. 
März-Flugi der Frauendemo, daß 
"Männer niemals ihre Privilegien freiwil- 
lig aufgeben". Zweifellos können Mit- 
glieder ausbeutender Klassen aus revolu- 
tionärer Überzeugung oder aus anderen 
Motiven individuell aus ihrer Klasse aus- 
treten (die Hoffnung eines jeden Auto- 
nomen... d. s'erinnen). Ein Fabrikherr 
kann seine Fabrik den Arbeiterinnen ver- 
schenken und selbst Arbeiter werden. Ein 
Prolctaricrmann kann anfangen, auf die 
brutalsten Formen der Gewalt und Aus- 
beutung gegen Frauen zu verzichten und 
für die subtileren Formen ansatzweisc ein 
Bewußtsein zu entwickeln. Doch was 
ändert der Austritt des einzelnen Fabrik- 
herm an der Notwendigkeit des Kampfes 
gegen die Bourgeoisie als Klasse, die 
eben nicht freiwillig austritt? Was ändern 
die tastenden Schritte des einzelnen Pro- 
letarier mamics (tapps. tapps. d. s'in) hin- 
aus aus mehrtausendjähriger Gcschlech- 
tcrspaltung an der Notwendigkeit des 
Kampfes gegen die Massen der Verge- 
waltiger und Machos als Klasse, die eben 
nicht freiwillig austritt? Die Illusion, daß 
sich irgend eine Klasse durch freiwilligen 


Austritt ihrer Mitglieder auflösen könnte, 
entspricht einem längst überwundenen, 
utopischen Sozialismus. 

Wenn Ihr Uber die Menschlichkeit der 
Beziehungen in der RAF schreibt, geht 
das am Feminismus vorbei: Er zielt nicht 
auf die Umwälzung des gemischten revo- 
lutionären Widerstands, sondern des Sys- 
tems insgesamt. 

Zweifellos können sich Prolctaricrmän- 
ner in MUnncrgruppcn, um ihre lastenden 
Schritte gemeinsam zu tun und einen an- 
ti-patriarchalen Kampf (den Kampf vom 
Männer-Standort) zu entwickeln versu- 
chen. Sie müssen cs sogar. Die histori- 
sche Chance besteh: darin, daß sich im 
Sturz des kapitalistischen Patriarchats 
nicht mein einfach Flauen und Männer. 
50% und 50% der Gesellschaft gegen- 
Uberstchcn brauchen. Ob die Chance ge- 
nutzt wird, ob Teile der Zwischcnklasscn 
(Proletariat und Kleinbürgertum) in einen 
anti-patriarchalen Kampf gezogen und 
andere neutralisiert werden können, 
hängt ganz und gar von der autonomen 
Kraft eines revolutionären Feminismus 
ab. Diese Kraft beruht absolut nicht auf 
verbaler Emanzipationshilfe, aber ganz 
und gar auf dem bewaffneten Kampf ge- 
gen Kapital, Staat and resistenten patri- 
archalen Teilen der Zwischenklassen. 
Das fortgeschrittenste, uns bekannte Bei- 
spiel in dieser Richtung sind die bewaff- 
neten Gruppen schwarzer Frauen in Süd- 
afrika. die Vergewaliiger liquidieren. 
Revolutionärer Feminismus ist die Me- 
thode, restlos alle Klassenspaltungcn 
in der Gesellschaft zu beseitigen. Dies 
muß ansatzweisc bereits im Verlauf 
des revolutionären Prozesses gelingen, 
um die für den Erfolg unerläßliche 
Zentralisierung der Kräfte zu errei- 
chen. Die feministische Zentralisierung 
auf Grund von Autonomie und Akti- 
onsbündnissen wird sich gegen die leni- 
nistische der Unterordnung unter Mün- 
ncrintcrcsscn durchsetzen müssen. 

'radikaler brach' und 
befreite Beziehungen 

Ihr benennt die Voraussetzung befrei- 
ter, menschlicher Beziehungen klar 
und deutlich: "der radikale brach mit 
dem systemalltag". Aus Eurem Mund 
heißt das: Bewaffneter Kampf mit all 
seinen Konsequenzen. Abseits vom ra- 
dikalen Bruch, abseits vom kontinuier- 
lichen und bewußt vorantreibenden 
Kampf (dessen technologische Mittel 
wir heule in der Schweiz tiefer anset- 
zen müssen als Ihr in der BRD), gibt es 
nichts als den öden Kreislauf links-al- 
ternativer Reproduktion der Arbeits- 
kraft. 

Das leuchtet sofort ein. daß auf der 



70 


Grundlage des radikalen Bruchs (in Eu- 
rem und keinem andern Sinn!) 'die elen- 
de irennung ... des Icbcns von der polilik 
und diskussion ... aufgehoben wird.”, daß 
dann Politik zu etwas anderem wird als 
"ansichtssachen und hier und da mal eine 
initiative", daß dann "befreiung in den 
beziehungen der manschen ... materiell 
wird'. Der gemeinsame radikale Bruch 
und die sich dann erschließende revolu- 
tionäre Politik bedeutet ohne Zweifel die 
tiefste aller Beziehungen. 

Und doch lallt auf, wie leicht diese Eure 
Sätze für die Verklarung von Jinksaltcr- 
nativer Politik und Szenelcben ganz ohne 
radikalen Bruch verwendbar sind. Ob cs 
an der Häufung von Ausdrücken wie 
"Mensch". "Menschlichkeit", 

"Sclbstbcwußtscin" usw. liegt, die so 
sehr das freischwebende Philosophieren 
anregen? Werden diese Eure Sätze ab- 
seits vom radikalen Bruch verwendet, so 
sind sie reformistisch, sexistisch und ras- 
sistisch zugleich: Sie verschleiern sämtli- 
che Klassenspaltungen und reduzieren 
das Klassenbewußtsein auf das ärmliche 
'Selbstbewußtsein". Aus Eurem Munde, 
das heißt glaubwürdig bezogen auf revo- 
lutionär kämpfend: Zusammenhänge, 
haben sic eine andere Bedeutung. Aber 
auch an dieser haben wir unsere Zweifel: 
Wir glauben nicht daran, daß die Wun- 
den. die Narben und die Deformation aus 
so viel Tausend Jahren Patriarchat so 
schnell verheilen. 

Für Euren radikalen Bruch, für Eure 
Kämpfe, für Euer Dran-Bleiben am 
Kampf, für Entschiedenheit in allen 
Konsequenzen haben wir für Euch die 
tiefste und leidenschaftlichste Solidari- 
tät 

(kommt uns’n bißchen wie Bewunderung 
vor!? d. s'in) 

20.6.1990 

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WwMWWwMwgVcew 


Hi ihr lieben Schweize- 
rinnen, 

wir haben uns riesig gefreut, als wir euer 
Papier in die Händ: bekommen haben. 
Die linksradikalc, feministische Szene tut 
sich schwer. Ziel, Inhalt und Methoden 
ihres Kampfes unter sich in die Diskus- 
sion zu bringen. Immer, wenn ein Text in 
der Richtung auftaucht, freuen wir und 
unsere Freundinnen uns doof und dusse- 
lig- 

Zuerst gehen wir auf euren Text ein. 
Gleichzeitig beziehen wir uns dabei in 
Gedanken selbstkritisch auf unseren Text 
aus der | radikal Nr., Anm. d. Hg.] 140. 
Kritik und Selbstkritik gehen fast immer 
Hand in Hand. 

Ob's so schlimm war, werdet ihr im fol- 
genden an unseren hoffentlich geistrei- 
chen Anmerkungen feststellen können... 
Anschließend machen wir einen kleinen 
Ausflug, welche Richtung wir inhaltlich 
und praktisch gut fänden weiterzuvcrfol- 
gcn. 

Ihr setzt euch mit zwei Frauen aus der 
Raf und dem antiimperialistischen Wi- 
derstand auseinander. Ihr sagt zu Beginn 
eure Schwierigkeiten, die ihr hattet, die 
Diskussion überhaupt anzuleiem. 

Ir) 

Genug - ihr habt ja trotz dieser Aufzäh- 
lung euch entschieden, eure Hcrange- 
hcnswcisc und Kritik darzustcllcn, und 
das finden wir gut. 

Eure inhaltliche Analyse hat uns über 
große Teile hervorragend gefallen. 

Die Einführung des Begriffs 
"Zwischenklassen" hat bei uns allerdings 
zu einigen 

Heiterkeitsanfällen geführt. Das liegt 
hauptsächlich daran, daß wir an unsere 
weiten Genossen denken mußten, die 
immer so ernsthaft Uber der neuesten 
"Klassenzusammensetzung" brüten. Die 
sich viel Mühe geben, neben der 
"Klasse" nicht die "Frauen" zu vergessen, 
und die nun mit diesem Begriff sehr ein- 
deutig ihren Platz zugewiesen bekom- 
men. 

Gleichzeitig sind wir hier am Knack- 
punkt angekommen. 

Einerseits fanden wir den Text unter dem 
Aspekt der Patriarchatsanalyse gut, aber 
er unterschlägt - wie unser Text der 140 
auch - die Diskussionen, die unter Frauen 
schon länger zu Rassismus laufen. 

Wie ihr richtig fcststellt gibt cs nichts, 
was geschlechtsneutral ist. Ebenso klar 
ist auch, daß cs nichts gibt, was nicht von 
der Hautfarbe abhängt bzw. der Her- 
kunft. 

Ein linksradikaler Frauenkampf, der sich 
Internationalismus auf die Fahnen 
schreibt, kann nicht in der Form, wie ihr 
oder wie wir dies tun. die Unterdrückung 


durch Rassismus, die Geschichte von 
Kolonialismus und Imperialismus am 
Rande abhandcln. 

Geschieht das, läuft es zwangsläufig auf 
eine Vcrcinnahmung von anderen Kämp- 
fen hinaus. Andere Kämpfe werden aus- 
schließlich aus der Perspektive der eige- 
nen (weißen) Geschichte und daraus 
entwickelten Kriterien betrachtet und mit 
diesen dann bewertet. 

Ihr sprecht über Solidarität mit Frauen 
der trikontincntalcn Länder, redet über 
ihre Kämpfe.. .doch wie können wir sie 
einschätzen, ohne sie wieder cinzuvcrlci- 
ben und in unsere Herangehensweise zu 
pressen? 

" Was empfinden schwarze Frauen ge- 
genüber der Frauenbewegung? Miß- 
trauen. Sie ist weiß, daher suspekt. Trotz 
der Tatsache, daß Befreiungsbewegun- 
gen in der schwarzen Welt Katalysatoren 
für den weißen Feminismus waren, ha- 
ben zu viele Bewegungen und bewußt 
begonnen, Schwarze einzubeziehen, mit 
dem Ergebnis, sie einzuwickeln. Sie wol- 
len nicht schon wieder benutzt werden, 
jemandem zu helfen, Macht zu gewinnen 
- eine Macht, die ihnen gezielt vorenthal- 
ten wird... Schwarze Frauen sind ver- 
schieden von weißen Frauen, weil sie 
sich selbst anders sehen, anders gesehen 
werden und ein anderes Leben geführt 
haben." Toni Morrison, 1971 (!). Beiträ- 
ge 27. S. 27 

Auf Seite 8 [in dieser Broschüre: S. 67 

Anm. d. Hg.) schreibt ihr von der Aus- 

grabungszeit, das sehen wir ähnlich. 
Aber gegraben wird nun wahrlich schon 
eine ganze Weile. Daß weiße Frauen jetzt 
mit der Nase auf die Rassismus-Ausan- 
dersetzung gestoßen werden und nicht 
schon weitaus früher "von selber" drauf 
gekommen sind, macht deutlich, daß da- 
hinter Maclitvcrhiiluüssc stecken. Wo 
"wir" unsere Rolle rieht reflektiert ha- 
ben. 

"Als Gruppe befinden sich schwarze 
Frauen in einer ungewöhnlichen Positi- 
on in dieser Gesellschaft, denn wir ... 
sind am schärfsten von sexistischer, ras- 
sistischer und klass'istischer Unterdrük- 
kung betroffen. Gleichzeitig sind wir die 
Gruppe, die nicht dahingehend soziali- 
siert wurde, die Rolle des Ausbeu- 
ters/Unterdrückers anzunehmen: Uns 
wird kein institutionalisierter 'Anderer' 
überlassen, den oder die wir unterdrük- 
ken könnten... Weiße Frauen und 
schwarze Männer haben beide Möglich- 
keiten. Sie können als Unterdrücker oder 
als Unterdrückte handeln. Schwarze 
Männer mögen Opfer von Rassismus 
sein, aber Sexismus erlaubt es ihnen, als 
Ausbeuter und Unterdrücker von Frauen 
zu handeln. Weiße Frauen mögen Opfer 
von Sexismus sein, aber Rassismus ver- 
leiht ihnen die Fähigkeit, als Ausbeuter 



71 


und Unterdrücker von Schwarzen Men- 
schen zu handeln. Beide Gruppen haben 
Befreiungsbewegungen geleitet, die ihre 
hitcrcssscn favorisierten und die anhal- 
tende Unterdrückung anderer Gruppen 
unterstützen." Bell Hooks. 1984. Beiträ- 
ge Nr. 27. S. 47. 

Da kommt das Modell der 
"Zwischenklassen" ins Schwimmen. Es 
kommt immer auf den Standpunkt an, 
von dem aus Un'.erdrUckung definiert 
und von daher die "Plätze zugewiesen" 
werden. 

"Zwischenklassen" könnten wir die Klas- 
se der proletarischen und kleinbürgerli- 
chen Männer in Bezug auf das interna- 
tionale Patriarchat nennen, das zwar ver- 
schieden ausgeprägt ist, aber als Grund- 
lage die Unterdrückung und Ausbeutmg 
von Frauen hat. 

Dann müssen wir unter den 
"Zwischenklassen" nochmal differenzie- 
ren. Wie bezeichnen wir weiße Frauen 
als Gruppe in ihrer Stellung gegenüber 
schwarzen Frauen? 

Weiße Frauen sind gegenüber schwarzen 
Männern privilegiert. Obwohl die Frauen 
von Männe rgewalt bedroht sind, werden 
rassistische Männerhorden auf der Straße 
als erstes "Ausländer klatschen". Auch, 
wenn diese Männerhorden die größten 
Frauenfeinde sind, möchten wir diesen 
Unterschied festhalten. 

Dabei geht cs nicht um die Frage: Wel- 
cher geht es besser, welchen geht’s 
schlechter (weißen Frauen oder schwar- 
zen Männern)? Daß schwarze Männer, 
die hier leben, auch weiße Frauen anma- 
chen. unterdrücken, sich über sie stellen, 
ist klar. Und die versuchen auch, das 
Rassismus- Argument gegen uns zu dre- 
hen: Vielen Frauen ist es schon passiert, 
daß ihnen der Mann, der sie in der U- 
Bahn anmachte, vorgeworfen hat: sie 
würde sich aus Rassismus wehren. ("Das 
machst du nur. weil ich Türke bin!" - 
"Du bist rassistisch, bei deutschen Män- 
nern würdest du dich nicht so anstellen!). 
Klar ist, daß uns das nicht im Geringsten 
ein schlechtes Gewissen macht. Solche 
Situationen sind eindeutig sexistisch und 
dementsprechend verteidigen wir uns 
dann auch. 

Uns geht es dabei um das Problem der 
Definitionsmacht. Wer hat das Recht zu 
definieren, wer wie stark unterdrückt 
wird, wer legt Rollen im revolutionären 
Prozeß fest usw. 

Z.B. der Spruch: 'Alle Menschen sind 
Ausländer - fast überall!" trifft den Kern 
der Sache. Der Spruch will eine 
"tolerante" Haltung gegenüber Auslände- 
rinnen fördern und erinnert daran, daß 
jede von uns in anderen Ländern auch 
nicht heimisch ist. Der Spruch unter- 
schlägt aber, daß die Definition 
"Ausländer" seine volle Bedeutung im 


rassistischen Zusammenhang bekommt. 
Der Begriff hat Menschen aus einem 
westeuropäischen Land gegenüber eine 

andere Färbung als bei Menschen aus ei- 
nem trikontincntalem Land oder aus Ost- 
europa. 

Es existiert eine rassistische Wertehierar- 
chic, die sich aus Geschichte 
(Kolonialismus/Faschismus) und der ak- 
tuellen wekweiten Hierachie von kapita- 
listischcn/impcrialisiischcn Industrie- 
mächten und von ihnen abhängigen Län- 
dern des Trikont ergibt und ableitet. 

In diesem System definieren weiße Män- 
ner und auch Frauen, wer "Ausländer" 
ist. 

Wenn eine von uns in ein Trikontland 
wist, ist sie dort weniger “Ausländerin", 
als vielmehr eine Weiße aus diesem oder 
jenem Land. Natürlich ist sic auch 
"Ausländerin", aber ob das Definitions- 
macht besitzt, sic das also zu spüren be- 
kommt, hängt vom Kräfteverhältnis ab. 
Aktuell zu sehen ist das bei Südafrika. 
Die Schwarzen können dort aufgrund ih- 
rer organisierten Stärke den Weißen 
praktisch zeigen, daß sie fehl am Platz 
sind. Vorher konnten sic das sagen, aber 
Konsequenzen folgen in einem Macht- 
kampf nur aufgrund von Siegen und auf 
Stärke von unten. 

Auf uns bezogen heißt das: Wir müssen 
als weiße Frauen Rassismus gleichwertig 
zu sexistischer Unterdrückung und Patri- 
archat miteinbeziehen. Wir können ande- 
ren Unterdrückten rieht unsere Definiti- 
onsmacht, die wir als Weiße haben auf- 
drückcn, wie weiße Männer dies uns ge- 
genüber lange genug gemacht haben, 
wenn sic uns als "Nebenwiderspruch" ab- 
taten oder unsere Autonomie als Spal- 
tung in Frage stellten. 

Wie wenig die Auseinandersetzung mit 
Rassismus entwickelt ist, merken wir an 
Sätzen wie : “ Ausgebeutete Frauen müs- 
sen . für ihre Befreiung den zentralen Re- 
pressions- und Ideologicapparat (Staat) 
zerschlagen, das Privateigentum an den 
materiellen Produktionsmitteln aufheben, 
den dezentralen Repressions- und Ideo- 
logieapparat (Mackos und Münncrban- 
den) zerschlagen, das Privateigentum 
von Männern an Frauen und Kindern 
aufheben und sich selbst aus der Stellung 
des Menschenproduktionsmittels und Se- 
xualobjekts befreien. Ausgebeutete Män- 
ner müssen für ihre Befreiung "nur" den 
Staat zerschlagen und Privateigentum an 
den materiellen Produktionsmitteln auf- 
heben." 

Der erste Abschnitt stimmt. Beim zwei- 
ten wird deutlich, daß ihr ausschließlich 
von weißen Männern redet. Die Erfah- 
rung von schwarzen Männern gehl über 
diese zwei von euch genannten Punkte 
hinaus. 


Aus den Befreiungskämpfen schwarzer 
Menschen, wie in dem Zitat von Toni 
Morrison erwähnt, kommen eine Menge 
Erkenntnisse, wie Unterdrückung "nach 
innen“ verlagert wird und so viel schwe- 
rer zu bekämpfen ist als ein konkret be- 
stimmbarer. äußerer Machtapparat. 

Fanon hat in den 50’em viel darüber ge- 
schrieben: 

"Ich wollte Mensch sein, nur Mensch. 
Manche verbanden mich mit meinen ver- 
sklavten. gelynchten Vorfahren: Ich be- 
schloß. diese Vergangenheit auf mich zu 
nehmen. Auf der universellen Ebene des 
Intellekts verstand ich diese innere Ver- 
wandtschaft - ich war ein Enkel von 
Sklaven... 

In Amerika werden Neger abgesondert. 
In Südamerika peitscht man die streiken- 
den Neger auf den Straßen aus und er- 
schießt sic. In Westafrika ist der Neger 
ein Tier. Und hier, ganz in meiner Nähe, 
gleich nebenan sagt mir ein aus Algerien 
gebürtiger Kommilitone: 'Solange man 
den Araber zu einem Menschen erklärt 
wie wir, wird es keine gangbare Lösung 
geben.’ 

'Weißt du. mein Lieber, das Vorurteil der 
Hautfarbe, das kenne ich nicht... Aber 
was denn, treten Sie doch ein Monsieur, 
bei uns gibt es kein Vorurteil der Haut- 
farbe... Jawohl der Neger ist ein Mensch 
wie wir... nicht weil er schwarz ist. ist er 
weniger intelligent als wir... ich hatte ei- 
nen senegalischcn Kameraden beim Re- 
giment. Er war sehr feinfühlig...' 

....wo mich verkriechen? 

’Martiniquaner aus 'unseren' ehemaligen 
Kolonien.' 

'Schau den Neger di! ...Mama, ein Ne- 
ger!...' - 'Still! Er wird böse werden... 
Achten Sie nicht darauf, Monsieur, er 
weiß nicht, daß Sie genauso zivilisiert 
sind wie wir...' 

Mein Körper kam ausgcwaltzt. zerteilt, 
geflickt zu mir zurück, ganz in Trauer an 
jenem weißen Winterlag. Der Neger ist 
ein Tier, der Neger ist schlecht, der Ne- 
ger ist bösartig, der Neger ist häßlich: 
sich mal, ein Neger, es ist kalt, der Neger 
zittert, weil er friert, der kleine Junge zit- 
tert, weil er glaubt, daß der Neger vor 
Wut zittert, weil er Angst vor dem Neger 
hat. Der Neger zittert vor Kälte, jener 
Kälte, die dir die Knochen verrenkt, der 
niedliche Kleine zittert, weil er glaubt, 
daß der Neger vor Wut zittert, der kleine 
weiße Knabe wirft sich in die Arme sei- 
ner Mutter Mam3, Jer Neger will mich 
fressen. 

Ringsum der Weiße, oben reißt der 
Himmel den Nabel aus. die Erde knirscht 
unter meinen Füßen und ein weißes, wei- 
ßes Lied. Das viele Weiß, das mich aus- 
brennt... 

Wo mich nun verkriechen? Aus den un- 
zähligen Zersplitterungen meines Seins 



72 


spüre ich das Blut in mir hochsteigen. Ich 
war im Begriff wütend zu werden. Seit 
langem war das Feuer erloschen, und 
abermals zittert der Neger... 

'Schau nur, er ist schön der Neger...' 

Der schöne Neger scheißt auf Sic, 
Madame!' 

....Endlich war ich befreit von meiner 
Grübelei. Und gleichzeitig wurde mir 
zweierlei klar: Ich identifzierte meine 
Feinde und erregte öffentliches Ärgernis. 
Überglücklich. Man würde sich amüsie- 
ren können!" 

Fanon. "Schwarze Haut und weiße Mas- 
ken" 

Eigentlich hatten wir nicht vor. einen 
Text zu Rassismus zu schreiben. Haben 
wir auch immer noch nicht vor. Andere 
haben dazu schon viel umfassendere 
Texte geschrieben und viel genauer, als 
wir das in der Kürze der Zeit könnten. 

Wir haben nur mitbekommen, daß häufig 
in autonomen Frauenzusammenhängen 
die Auseinandersetzungen über Rassis- 
mus sehr auf der subjektiven Ebene ver- 
laufen - bin ich eine Rassistin, weil ich 
eben gesagt habe: "Ich hätte gerne einen 
Negerkuß."? 

Das ist zwar eine wichtige Ebene, sich 
selber abzuklopfcn. aber wir weigem 
uns, das zum nonplusultra der Diskus- 
sion /.u machen. Wir hallen das für die 
absolute Luxusposition, wenn nicht 
gleichzeitig die gesellschaftliche Ebene 
des Rassismus analysiert wird, wo er sich 
aus ... Weltmarkt... { Der Salz war leider 
in dem uns vorliegenden Exemplar des 
Textes unleserlich. Anm. d. Hg.) 
Alleinstehend macht sic einmal mehr 
deutlich: Na. die Weißen haben jetzt in 
Zeiten des offensiven doitschen Macht- 
zuwachses und nationalem Taumel nichts 
besseres zu tun, als wieder mal um ihren 
Nabel zu kreisen. 

Im Emst: Das wichtigste an unserer Kri- 
tik/Selbstkritik ist für uns folgendes: 

In dem Moment, wo wir doch hoffentlich 
alle übcrcinstimmcn, daß Feminismus 
den Anspruch hat, alle Unterdrückungen 
und Ausgrenzungen vom Tisch zu fegen, 
müßten sich alle aufgrund ihrer eigenen 
Denkweise, Analyse und dementspre- 
chenden Praxis fragen, wie weit es damit 
her ist. Eigentlich ist es doch der Hohn - 
Alle wissen, mit EG 92 wird der Groß- 
raum Europa gegen trikontincntale Frau- 
en und Männer abgeschottet, es wird ab- 
geschoben und wird hier auf der Straße 
eine rassistische Gewalt materiell, die to- 
tal brutal ist. gibt es die institutioneile 
Entsprechung in Form von Ausländerbul- 
len. Sozialstrategen, die den ausländi- 
schen Jugendgangs auf den Straßen hin- 
terherjagen. gibt es die rassistischen 
Richterschweine, die alles juristisch ab- 
segnen... 


Und wir? Wo ist die Frauenbewegung, 
wenn eingewanderte Frauen und Männer 
angegriffen werden? 

Wie stellen wir uns das vor, uns interna- 
tionalistisch zu organisieren, wenn - aus 
was für Gründen auch immer - wir prak- 
tisch die Solidarität verweigern und oft 
genug allein lassen, weil wir nicht von 
uns aus die Bedingungen anderer in un- 
sere Überlegungen miteinbeziehen. Son- 
dern nur schauen, was passiert gegen 
uns, als feministische Frauen, als Teil der 
radikalen Linken etc. 

Das steht in keinem Verhältnis, wie sich 
über die eigene Psyche der Kopf gemacht 
wird - Bin ich eine, bin ich keine... - das 
interessiert keine, die angegriffen wird 
und damit crstmal allein steht. 

Wir machen das doch auch nicht anders. 
Vertrauen bekommen wir nicht darüber, 
daß Männer ihre eigene Sprache femini- 
sieren, daß sic sich beim Pissen hinset- 
zen, also "gute" aufgeklärte Männer sind. 
Seht her, ich bin ein "solidarischer 
Monn” - BÄH! 

Nein, wir achten auf die Praxis, auf die 
Hände, auf die Augen, wo hat er seine 
Blicke - müssen Frauen auf Demos Män- 
ner anmachen, weil sic ihre Knüppel in 
"entspannten" Situa'ionen demonstrativ 
zur Schau tragen und nicht unter die 
Jacke packen können, oder achten darauf 
auch Männer? 

Gehen Männer dazwischen, wenn Frauen 
angemacht werden- beziehen sie dar- 
über einen Teil ihrer Identität des star- 
ken, beschützenden Mannes, achten sie 
immer zuerst darauf, ob die Frau das sel- 
ber klarmacht Tritt in die Eier... oder 
werfen sic sich gleich in die Arena....? 
("Komm Kleine, jetzt komm ich und 
schmeiß den Laden!") 

So eine Sensibilität, so eine Praxis erwar- 
ten wir. Das ist unser Maßstab, unsere 
Basis, und ohne die läuft aber nix. 

"Erst in dem Moment, wenn weiße femi- 
nistische Aktivistinnen nicht nur den 
Rassismus in der Frauenbewegung einge- 
stehen und persönliche rassistische Vor- 
urteile verweisen, sondern der rassisti- 
schen Unterdrückung in unserer Gesell- 
schaft grundsätzlichen aktiven Wider- 
stand entgegensetzen, werden wir wis- 
sen. daß weiße Frauen sich dem Rassis- 
mus ernsthaft und auf revolutionäre 
Weise stellen. Wir werden wissen, daß 
sie sich gegen den Rassismus engagieren, 
sobald sie mithelfen, die Richtung der 
feministischen Bewegung zu verändern 
und daran arbeiten, die rassistische So- 
zialisation abzubautn, bevor sie FUh- 
mngspositionen übernehmen. Theorien 
entwickeln oder den Kontakt zu farbigen 
Frauen suchen, um so nicht der rassisti- 
schen Unterdrückung weiterhin Vor- 
schub zu leisten und nicht-weiße Frauen 
bewußt oder unbewußt zu mißbrauchen 


oder zu verletzen. Das sind die wahrhaft 
radikalen Gesten, welche die Grundlage 
für das Erleben politischer Solidarität 
zwischen weißen und farbigen Frauen 
schaffen". Bell Hooks 
Ja, es macht uns zu schaffen, daß bei 
Frauen in punkto praktischer Solidarität 
mit eingewanderten Frauen und Männern 
zur Zeit eine Lähmung festzustcllcn ist. 
Eine theoretische Auseinandersetzung 
mit Rassismus halten wir für wichtig, da 
wir die fehlende Klarheit über Bedeutung 
und Verzahnung anderer Unter- 
drückungsverhältnisse mit Sexismus und 
Patriarchat für eine Ursache halten, daß 
dazu wenig entwickelt wird. 

Eine weitere Ebene ist, daß - wie be- 
schrieben - entweder ausschließliche 

Tiefenforschung" bei sich selber betrie- 
ben wird, anstatt Rassismus ebenso als 
gesellschaftliches Unterdrtlckungsver- 
hältnis zu sehen. 

Oder die Auseinandersetzung schwebt 
knapp unter der Zimmerdecke und läßt 
von daher keine praktischen Ansätze 
mehr sehen. 

Was fällt uns dazu ein...(nicht so viel!)? 
Straße - alltäglicher Rassismus - garsti- 
ges Bedienen von ausländischen Frauen 
und Männern im Obstladen oder im Su- 
permarkt, Blicke: IIHH sind die dreckig; 
mitleidige Blicke auf türkische Frauen 
mit 1000'en Einkaufrtüten auf dem Arm; 
Sozi: Sacharbeitcr benutzen ihre Sprach- 
gewandheit, damit die Türkin nix ver- 
steht und wenn sie sich umdreht, gehl 
das Gehetze los: "Di: sollen doch dahin, 
wo sic herkommen. Schmarotzer"... 

Dann kommt dir Großdcutschland in den 
Sinn, und da sind sie und du hast sic im 
Kopf, und ein Wort wird groß 
"Konfrontation". 

Sic, das sind Skins. organisierte Faschi- 
sten, faschistische Fußballfans, bräunli- 
che Bürgers. Duckmäuser aber, wenn 
schlechte Laune, weil mieser Job. nach 
Untentrctcr. gegen allcs-was-frcmd-ist- 
Treter -AAARRRGGGHHHü! 

Die braune großdeutschc Sauce halt. 

Du denkst weiter. Spats: "In der Nacht ... 
wurde von mehreren Unbekannten das 
Asylantenlager... in ... mit Molotowcock- 
tails und Steinen teworfen. Die Täter 
entkamen unerkannt. 1 kurdische Frau 
liegt schwerverletzt im Krankenhaus. Die 
Polizei tappt im Dunkeln." 

Du gehst auf die Straße, da rempeln ein 
paar Doppelt-Deutsche einen Ausländer 
an: klopfen Sprüche. Du bist allein und 
traust dich nicht dazwischen - OHN- 
MACHT - du sagst dir aber, das nächste 
Mal bestimmt. 

ln unseren Diskussionen sind wir oft bei 
Konfrontation gelandet und dann waren 
wir schnell bei Angst. 

Es ist unter Frauen die Argumentation 
verbreitet (nicht nur da), sic würden sich 



73 


von den Faschos nicht die Ebene der 
Auseinandersetzung aufzwingen lassen. 
Das ist verquere Polit-Argumentation. Es 
ist natürlich richtig, genau eigene Kräfte 
und Möglichkeiten gegenüber dem Geg- 
ner abzuwägen und nicht in offene Mes- 
ser zu rennen (im wahrsten Sinne des 
Woites). Wir haben aber das Gefühl, daß 
damit die Probleme, daß viele sich nicht 
mehr sicher auf der Straße bewegen kön- 
nen. daß die Existenz von der Willkür 
des Staates abhangt, der abschicbi, aus- 
weist, damit nur verdrängt werden mit 
fadenscheinigen Argumenten. 
Konfrontation macht Angst. Na klar, aber 
was heißt überhaupt Angst? War doch 
komisch, wenn die nicht da whr. es ist ja 
auch zum Fürchten. Oder denken wir 
Frauen, wir sind alle als Kampfmaschi- 
nen auf die Welt gekommen, starke, 
funktionierende Frauen?! 

Aber sic ist real die Konfrontation. 

Selbst, wenn wir sie nicht realisieren 
wollen, sei cs aas politischer Unklarheit 
oder aus Verdrängung, für andere besteht 
gar nicht die Möglichkeit zu verdrängen, 
die müssen reagieren. 

Das sollte jede sehen und was draus ma- 
chen. 

Es geht um uns! 

Wenn z.B ein gemeinsamer Schutz für 
Flüchtlingslager organisiert werden 
solL.Da haben meist nur gemischt-ge- 
schlechtliche Gruppen vorerst Kontakt 
hin.. .mit denen haben wir wenig zu tun. 
die arbeiten zu Rassismus, haben zu 
Sexismus nichts im Kopf, also fehlt die 
Grundlage, ein Bündnis cinzugehcn ... 
aber was dann...- 

gar nichts dazu machen ... bei der Ab- 
grenzung stchenbleiben "außerdem sind 
hei so Angelegenheiten immer nur diese 
Macker vor Ort’ - Wo tauchen wir dann 
auf als großer Haufen, sichtbar und stark, 
nicht untergehend? 

Was hindert uns daran, fehlende Struktu- 
ren/Kontakte aufzubauen und ein eigenes 
Verständnis von anlirassistischcm, femi- 
nistischem Kampf zu entwickeln? 

Es gibt sicher eine Menge Erfahrungen: 
von Frauen, die in Flüchtlingsgmppen 
gearbeitet haben, von Fantifa-Fraucn, die 
feministische Antifa-Arbeit machen .... 
diese Erfahrungen und Ansätze müssen 
zusammengetragen und ausgewertet wer- 
den, damit nicht immer alle so isoliert 
vor sich hinwurcchtcln! 

Frauen bekommen alltäglich Gewalt zu 
spüren... Da schlagen wir zurück. Hier 
entwickeln wir den Ehrgeiz, Vergewalti- 
ger zu jagen und auszuteilen für die jah- 
relange. permanente Erniedrigung, die 
uns entgegenschlägt. 

Ja, cs geht um notwendige Militanz, or- 
ganisierte Militmz. Wir wollen neben 
dem notwendigen öffentlichen PtÜsent- 
Sein auf der Straße, die ausdrückt: Wir 


sind viele, die auf der Lauer liegen, falls 
einer was passiert, wir sind solidarisch 
miteinander, paßt bloß auf! noch viel 
mehr, z.B. die Ergänzung, heimlich, 
schlau und listig die Vergewaltiger auch 
wirklich zu bekommen. Das muß ge- 
nauso organisiert werden. 

Wir wollen die Diskussion und Praxis, 
die auch zielgerichtet die Schweine 
kriegt, die uns uiigicifcn. Alle Schweine. 
dieVergeualtiger. die Faschos, die 
Schreibtischtäter, egal. Um beim Beispiel 
Vergewaltiger zu bleiben, wenn wir ne- 
ben der öffentlichen Präsenz gleichzeitig 
überlegen, wie wir sie sicherlich in die 
Hände bekommen und was wir dann mit 
ihnen machen können und wie sehr so 
eine Aktion auch anpowem würde, Mut 
machen, die Frauen auf die Straße zu 
treiben, dann denken wir, sowas von vie- 
len organisiert, solche Überlegungen 
konsequent und ehrgeizig ans Ende ge- 
sponnen, wurden und einen großen 
Sprung weiterbringen. 

Mit dieser sehr ehrgeizigen Haltung fän- 
den wir cs sehr gut, wenn alle auch an 
die anderen "Themen" rangchcn. Das be- 
trifft dann wieder die praktische Solidari- 
tät mit anderen Unterdrückter. 

Um diese Haltung kommen wir nicht 
herum, weil Haarwurzeln angegriffen 
werden und wir es ziemlich nötig haben, 
uns wirkungsvolle Gcgcnstrstcgicn aus- 
zudenken. 

"Selbstbestimmtcs Leben" und jetzt 
womöglich auch noch "selbstbestimmtcs 
Angreifen ' kann auch Zeichen dafür 
sein, daß wir uns eines Privilegs bedie- 
nen, nämlich weiß zu sein, das heißt, cs 
uns an bestimmten Punkten selbst aussu- 
chen zu können, wann wir in eine Kon- 
frontation gehen, während andere (z.B. 
cingcwandcrtc Frauen und Männer) 
schon mitten in der Konfrontation stec- 
ken - ob sic wollen oder nicht. Das nur: 
von wegen "Selbstbestimmung". 

Das ist für uns keine Frage von Moral 
("Wie könnt ihr nur?') sondern Ausdnick 
dessen, wie stark die Unterschiedlichkeit 
der Stellung von uns und anderen hier 
ist, warum es so schwer ist, gemeinsam 
was zu machen, wo die Gräben liegen, 
wo das Mißtrauen... 

Eine ehrliche Diskussion um Ansätze, 
Perspektiven und Methoden des radika- 
len. feministischen Frauenkampfes ist 
mehr als überfällig . Hallo ihr alle- Pac- 
ken wir's an! 

Wir ergänzen noch 2 Kritikpunktc an 
dem Papier von den Schweizerinnen, die 
auch miteinander Zusammenhängen. 

Das wär zum einen, daß wir nicht ganz 
verstanden haben, wie ihr nun die Me- 
thode des bewaffneten Kampfes beurteilt 
und begreift. 

Ihr trefft da sehr absolute Aussagen, die 
wir immer relativieren würden. Aussagen 


wie: "...daß der bewaffnete Kampf zu- 
gleich die wirkamste Form der polni- 
schen Propaganda in i \icht- revolutionä- 
rer Periode ist" oder “Oh die Chance ge- 
nutzt wird, ob Teile der Zwischenklassen 
I Proletariat und Kleinbürgertum ) in ei- 
nen aniipairiarchalen Kampf gezogen 
und andere neutralisiert (scheußliches 
Wort übrigens) werden können, billigt 
ganz und gar von der autonomen Kraft 
eines revolutionären Feminismus ah. Di- 
ese Kraft beruht absolut nicht auf verba- 
ler Emanzipationshilfe, aber ganz und 
gar auf dem bewaffneten Kampf gegen 
Kapital. Staat und resistent patriarcha- 
len Teilen der Zwischenklassen.“ 

Wir würden immer dazu sagen, daß der 
bewaffnete Kampf zur wirkungsvollsten 
Methode werden kann, wenn die inhaltli- 
che Ausrichtung treffsicher in die Situa- 
tion paßt. Wenn cs ihm gelingt an/.upo- 
wem. Mut zu machen, Kopfkrümpfe zu 
losen (bei den Linken), Blicke zu ent- 
schleiern und den Feind zu verwirren. 
Eine Aktion muß natürlich nicht alle Kri- 
terien auf einmal erfüllen. Oft reichen 
schon weniger aus. um die Aktion zu ei- 
ner starken Wirkung zu bringen, aber das 
wären für uns wesentliche Gmndbedin- 

gungen. 

Eine weitere wichtige Voraussetzung ist. 
daß er optimale Effekte erzielt, wenn er 
eingebettet ist in Ansätze eines revolu- 
tionären Konzeptes, wenn er nicht allein 
mit diesen Ansätzen steht oder isoliert 
ausschließlich von der Gruppe selber nur 
getragen wird (aber auch da gibt es natür- 
lich Ausnahmen, wo man drauf scheißen 
muß. wie 77, wenn eine ganze Linke sich 
verabschiedet und entsolidarisicrt. kann 
an dem Punkt natürlich nicht die Me- 
thode an sich in Frage gestellt werden, 
also eine völlige Abhängigkeit von einer 
so schwankenden Szene wie hier, darf 
auch nicht sein), sondern sich organisch 
einbindet in den Diskussionspro/eß der 
radikalen Linken. 

Kriterien gäbe cs da noch mehr, und dies 
ist auch eine Diskussion an sich, aber ihr 
seht, eure spärlichen Bemerkungen dazu 
sind uns zu wenig, 

Dann haben wir nämlich Schwierigkeiten 
mit der Absolutierung, da sie auf eine 
Stilisierung hinausläuft, auf eine Stilisie- 
rung der Mclliodc und letztlich auch der 
Aktcurlnnen selber. 

Warum redet ihr nicht auch von 
"militanten Kampf', was noch mehr an 
.Aktionsformen und -möglichkcitcn er- 
schließen würde. Dann müßtet ihr auch 
nichl ständig betonen, daß hei euch in 
der Schweiz das "technologische Niveau" 
so niedrig ist. Das isi sicher auch ein 
Problem, aber sicher ist es vor allem ein 
inhaltliches? An dem Punkt ist uns auf- 
gefallen, daß ihr so gut wie gar nichts zu 
den Frauenkämpfen selber sagt in der 



74 


Schweiz. Wir kennen uns da nicht so gut 
aus. Es wäre sieter wichtig, da mehr 
drüber zu wissen. Dann könnte auch bes- 
ser eine Diskussion über Methoden und 
welche sind "angemessen" und welche 
nicht stattfinden. So schwebt das nur als 
Aussage im Raum. 

Um beim Beispiel zu bleiben, wenn ihr 
mehr von militantem Kampf reden wür- 
det. könnten wir euch gleich erwidern: 
genau da liegt u.a. eines unserer Haupt- 
probleme in der BRD, daß es so wenig 
Militante gibt. Wenn aber die einzigen 
Militanten die von der Guerilla wären, 
dann säßen die und die ganze Linke aber 
ganz schön auf dem Trockenen - wenn 
wir bei dem Bild eines "organischen 
Konzeptes*' bleiben - politisch und nicht 
strukturell gemeint. Militanz insgesamt 
und überall, Subversion in der Luft, im 
Herzen und in jeder unserer Handlungen 
Die Kraft beruht natürlich nicht auf 
emanzipaliver Argumentationshilfe, aber 
absolut auf der inhaltlichen Ausrichtung 
des Kampfes, der Entwicklung der Per 
sönlichkeiten der Kämpferinnen und 
Kämpfer und der parallel entwickelten 
revolutionären Kampftechnik. 

Wenn ihr vom * fongeschrittsten Beispiel 
in dieser Richtung" die " bewaffneten 
Gruppen schwarzer Frauen in Südafrika, 
die Vergewaltiger liquidieren “ hcranzi- 
tiert um eure These der Bedeutung des 
bewaffneten Kampfes zu belegen, wer- 
den wir ziemlich stinkig. Wir finden es 
dreist das Beispiel so herauszugreifen 
ohne ansonsten mehr über den Prozeß 
von schwarzen Frauen in Südafrika zu er- 
fahren, wie dort ihre Strukturen ausse- 
hcn. wie sic mit Repression umgehen, 
wie "iragfiihig” die Zusammenhänge sind 
etc. - was bleibt ist die Radikalität der 
Methode, ln der Form, wie ihr das aus 
dem Zusammenhang rausreißt, ist das ei- 
ne Instrumcntalisicmng der Kümpfe der 
Frauen dort. 

Aus diesem schrägen Verhältnis zum 
bewaffneten Kampf resultiert dann für 
uns euer opportunistisches Verhältnis zur 
RAF. Auf der einen Seite kritisiert ihr sie 
sehr stark inhaltlich (Seite 7, in dieser 
Broschüre S. ... Anm. d. Hg.), wenn auch 
schon fast durch die Blume. 

Wir wetten 10 Kästen Bier, Sekt. Selter 
oder Saft, daß bei sämtlichen anderen 
gemischt-geschlechtlichen Zusammen- 
hängen ihr bei solchen inhaltlichen 
"Korken", wie die von euch analysierten, 
nur noch mit dem Holzhammer drauf- 
hauen würdet. 

Wenn schon eine inhaltliche Polemik be- 
ginnen, dann richtig und ordentlich. Die 
kann auch solidarisch sein. 

Ihr würdet einer dermaßen ignoranten 
Haltung nur mit der absoluten Mißach- 
tung begegnen und sagen, pah. wir spre- 
chen uns in 10 Jahren wenn der militante 


Frauenkampf auch dem letzten Trottel 
eine Macht in den Weg gestellt hat. daß 
kein Vorbeikommen mehr möglich ist. 
Diese Diskrepanz ärgert uns außerordent- 
lich. 

Die Äußerungen der Gefangenen sind 
auch nicht ständig aus eurer Kritik her- 
ausnehmbar. wir ihr das tut: 

" Der gemeinsame radikale Bruch und 
die sich dann erschließende revolutio- 
näre Politik bedeuten ohne jeden Zweifel 
die tiefste aller Beziehungen Ihr nennt 
die Voraussetzungen befreiter. 
~ menschlicher " Beziehungen klar urui 
deutlich: “der radikale Bruch mit dem 
System-Alltag". Aus eurem Mund heißt 
das: bewaffneter Kampf mit all seinen 
Konsequenzen . Abseits vom radikalen 
Bruch (= auschließlich bewaffneter 
Kampf.?!? Protest!!!) abseits vom konti- 
nuierlichen und bewußt vorantreibenden 
Kampf .. gibt es nichts als den öden 
Kreislauf links-altemativer Reproduktion 
der Arbeitskraft. " 

Da haben wir noch einmal Heiterkeitsan 
fälle gehabt. Natürlich gehört es zu unse- 
rem Selbstverständnis, sowas wie einen 
"radikalen Bruch" zu leben, das auch 
kontinuierlich und bewußt..und voran- 
treibend. Aber mit den Beziehungen un- 
tereinander - vielleicht findet ihr es jetzt 
frech, daß wir uns jetzt mit der Guerilla 
"vergleichen" ? - wir denken das liegt 
doch auf der Hand, daß dir vor allem in 
Streßsituationen, die eine solche Arbeit 
mit sich bringt, die patriarchale Scheiße 
nur so um die Ohren fliegt (zisch!). Das 
hat nichts damit zu tun, daß die Bezie- 
hungen nicht außerordentlich "tief sind 
(auch wenn das dann auch nicht für alle 
gilt, wie das halt bei Gruppen so ist): Es 
zischt immer wieder. 

Dann gibt es keine Zeit, die Streitigkeiten 
aufzulösen, weil Teminc eingehalten 
werden müssen, du Verpflichtungen an- 
deren gegenüber haa usw. 

So hat es zwei Seiten: auf der einen Seite 
verbindet das Projekt, auf der anderen 
Seite erschweren de Bedingungen die 
Möglichkeiten, bis ins Letzte oder Vor- 
dcrletzte "genau” miteinander umzuge- 
hen - auch oft nicht dann, wenn du das 
willst, sondern wenn das Projekt es dir 
erlaubt. 

Du kannst die Männer, wenn sic Scheiße 
gebaut haben, oft ja nicht einfach sitzen 
lassen, weil du vielleicht grad was am 
koordinieren bist und daher aufeinander 
angewiesen, dann bist du genervt gereizt, 
die auch- na Halleluja! 

Jede Stilisierung der Guerilla finden wir 
daher aus unseren Erfahrungen falsch. 
Da ist sicher genauso wenig Friede. 
Freude, Eierkuchen wie woanders auch 
nicht. Selbst wenn sic cs behaupten wür- 
den - wir würden es nicht glauben, weil 
es allen Erfahrungen entgegenstehl und 


auch der objektiven Seite: Daß es nicht 
um einen einmaligen Bruch geht und da- 
nach ist klar Schiff, sondern es ein müh- 
sames Ringen umeinander ist. was an die 
Substanz geht und absolut nichts Glattes 
ist. 

Das wollten wir euch zum Schluß noch 
sagen. 

Wenn ihr euch nicht nochmal öffent- 
lich meldet, dann schreibt uns doch zu- 
mindest mal einen Brief!!! 

Anmd. Hg.: 

Wir habra di« Im Origina imtirslriihcncn Piiutn 
Mt iwut 


doc 


m 


or 


29 


'Ce die zeitung für die 
freiheit der politischen 
gefangenen 

& Information über 129a 
verfahren und andere 
politische prozesse 

einzelexemplar 

-gooen 3. -dm in briefmarken 

abobestellung 

-mind. 5 exompl. 6 -,60dm 

clockwork 129a 
leibnfestraße 24; 6500 mainz 



75 


Sterin 

Die inhaltliche Debatte 
weiterentwickeln! 


an. daß es keine Frau war. 

Mit Beiträgen von Kommunistinnen, die 
sich kritisch mit der RAF auscinandcrset- 
zen. wurde ja in den letzten Jahren sehr 
unoffen umgegangen. Dies mag zum Teil 
seine Berechtigung gehabt haben, inso- 
fern sic aus der Kritik an der alten K- 
Gruppenpolitik in der BRD entspringt. 
Dazu beigetragen hat sicherlich auch ein 
Dogmatismus, der steh ausschließlich an 
einer Parteiorganisierung orientierte und 
die Rolle des Proletariats überbetonte 
und als absolut setzte. Dazu kamen häu- 
fig auch persönliche Abneigungen gegen 
einzelne Personen, die sich nur kommu- 
nistisch nannten, aber in Wirklichkeit ih- 
re Position dazu benutzten unsolidarisch 
GEGEN die RAF oder bewaffneten 
Kampf im allgemeinen zu argumentieren. 
Andererseits gab es in den letzten zehn 
Jahren sehr produktive und ernsthafte 
kommunistische Kntiken. die von anti- 
imperialistischer Seite aus bestenfalls 
ignoriert wurden. In Frankreich, Belgien. 
Italien, Spanien etc. gab es vor dem, par- 
allel zu oder gar zusammen mit dem 
'Front-Prozeß" kommunistische 

"Linien", die hier fllr die BRD jedoch nie 
ernsthaft zur Debatte standen oder ein- 
fach “abgetan” wurden. Dies war sicher- 
lich ein Fehler der RAF und vieler Anti- 
impcrialistlnncn. Es erklärt, warum sie 
zum Beispiel heute noch nicht vom an- 
tagonistischen Widerspruch "Kapital-Ar- 
beit" oder einer Arbciterlnnenklasse 
sprechen, sondern sich eher auf sozial- 
demokratische bis grüne Vorstellungen 
einer "2/3 Gesellschaft" beziehen. 

Ich selbst - eine weiße - Frau aus dem 
Widerstand hier - schreibe ebenfalls von 
einer kommunistischen Richtung her, 
ober einer sehr undogmatischen. Ich 
werde deshalb im Folgenden zum Teil 
andere Begrifflichkcitcn verwenden als 
cs der Genosse in der Interim Nr. 208 
macht. Den intellektuellen Sprachstil will 
ich jetzt nicht kritisieren, denn seine Be- 
griffe sind zumindest klar definiert. So 
macht cs das Lesen einerseits schwerer, 
das Verstehen jedoch andererseits leich- 
ter. Beim August-Text der RAF dagegen 
war cs umgekehrt. Ich bin mir nicht si- 
cher, ob ich ihn richtig verstanden habe, 
obwohl er in einem eher lockeren Stil ge- 
schrieben ist. 


Einstellung 

Der August-Text der RAF macht einiges 
präzise, besonders das Kriterium der 


hen wird, sondern starker als bisher poli- 
tisch verstanden wird. Für viele ist die 
"Neue Politik" der RAF wohl eher unver- 
mittelt gekommen, sogar für einige Ge- 
fangene, doch die meisten Leute mit de- 
nen ich diskutiere, haben den Schritt der 
RAF - aus unterschiedlichen Gründen 
begrüßt oder verstanden. Mir dagegen 
ging es so. daß ich zunächst nach den 
Erklärungen vom April und Juni eine Ge- 
fahr darin sah. daß sich über die Einstel- 
lung der Raum für Politik nicht erwei- 
tern. sondern im Gegenteil noch einen- 
gen könnte. Im Nachhinein denke ich, 
daß sich der Raum in der Tat nicht erwei- 
tert hat, daß die Diskussion um revolu- 
tionäre Politik und effektive Organisie- 
rung jedoch wichtiger und notwendiger 
denn je geworden ist. Das hat die RAF 
völlig richtig erkannt. 

Gegenmacht von unten 

Der Begriff der "Gegenmacht von unten" 
sollte von dem Genossen pro Kommu- 
nismus meiner Ansicht nach nicht auf ein 
bloßes GEGEN reduziert werden. Weg- 
zukommen von einer Politik und von Ak- 
tionen von Revolutionärinnen, hin zu ei- 
ner wirklichen Politik. einer 
"Gegenmacht von unten", die auch Sozi- 
alrevolutionäre Prozesse etc. mitein- 
schlicßt, verstehe ich als eine Politik raus 
aus der antiimperialistischen Selbstisolic- 
ning. Wurden doch gerade Anfang/Mitte 
der 80er Jahre nicht nur eine kommuni- 
stische “Linie" für hier diskutiert, son- 
dern ebenfalls autonome u.a. Ansätze 
verworfen, wo sich Leute mit Arbeiterin- 
nen auseinandersetzen oder sogar im 
Stadtteil ansetzen wollten oder sich in 
“Bewegungen" oder "Kampagnen" enga 
gierten. (Stichwort: Teilbereichskämpfe). 
Nur zur Erinnerung ein Beispiel aus Ber- 
lin: Es gab einige Antiimperialistlnnen. 
die - aus inhaltlichen Gründen - sich 
nicht an der IWF-Kampagnc beteiligten, 
einige zogen es sogar vor. in den Urlaub 
zu fahren. Die KAI* hat sich jedenfalls 
damals verhalten. 

"Gegenmacht von unten" heißt für mich, 
revolutionäre Politik auf eine breite Basis 
zu stellen oder besser ausgedrückt: sie 
von unten zu entwickeln. Das ist ver- 
dammt notwendig, gerade jetzt wo sich 


die Widersprüche allzu sichtbar immer 
mehr zuspitzen; und das meine ich nicht 
allein quantitativ, sondern auch qualita- 
tiv. 

Bewegungsorientierung? 

Gegenmacht von unten ist gleichzeitig 
ein sehr undeutlicher Begriff. 

Niemand wird wohl darum herumkom- 
men. ihn genauer zu definieren. 

Bedeutet "Gegenmacht von unten", daß 
sich die RAF in Zukunft stärker auf so- 
ziale Bewegungen beziehen will oder auf 
autonome Kämpfe usw.? Orientiert sich 
die RAF zur Bcucgungsgucrilla um. 
wird sie etwa zu einer RZ? 

Einige wünschen sich das. andere be- 
fürchten es eher... 

Ich denke, um diese Diskussion weiter- 
zuführen fehlt eine Selbstkritik der auto- 
nomen und antiimperialistischen Bewe- 
gung bzw. des Widerstands in der BRD. 
Es geht überhaupt nicht, daß die RAF ih- 
re "Vcrmittlungs"problcmc löst, indem 
sie sich jetzt auf die Bewegung bezieht. 
Der Widerstand muß sich ZUSAMMEN 
MIT der Guerilla verändern. Das ist drin- 
gend. 

Zur Selbstkritik am Widerstand gab cs 
gerade in den letzten drei, vier Jahren ei- 
nige sehr interessanie Diskussionspapie- 
re. Sic wurden in WG-Küchcn ver- 
schlungen. aber sie standen nie offen zur 
Debatte Z.B. hätte das Papier "Ich sag’s 
wie's ist" - eine Kritik an der Hamburger 
Bewegung durchaus eine heftige Diskus- 
sion um wichtige Fragen im Widerstand 
anschicbcn können. Auch einige berech- 
tigten Fragen der RAF an die Hamburger 
Bewegung werden darin ansatzweisc an- 
gerissen. Wahrscheinlich war ja die Kon- 
sequenz aus dem Papier für Autonome 
wie für Antiimperialistlnnen 
"abschreckend"? Sollte ich es “die Angst 
der Autonomen u.a. vor der Partei”, nen- 
nen oder etwas zynischer die Angst vor 
jeder Art von Organisierung, die Uber die 
Sclbstorganisicrung hinausgeht. 

Hier nur einige Stichworte zur Selbstkri- 
tik an der Bcwcqung: Feuerwehrpolitik, 
Kampagnen Auf unJ Ab. leichte Vcrcin- 
nahmbarkeit durch den Reformismus. In- 
tegration von besetzten Häusern, unver- 
netzte Klcingruppcn-Politik, informelle 
Hierarchie. Mythos von riots, Defensive 
und Hilflosigkeit gegenüber den Angrif- 
fen auf Flüchtlinge. 

Theoretische Lücken 

Ich bin nicht die Einzige, der theoretische 
Lücken der RAF auffallen. Diese Lücken 
bestehen gerade dort, wo Widerstand 


Selbstkritik und der Einstellung des be- 
waffneten Kampfes: Für eine 

Zuerst einmal habe ich mich über den "revolutionäre Entwicklung", die nun 
Beitrag des kommunistischen Genossen weniger militärisch am Angriffsziel gc- 
in der Interim Nr. 208 gefreut. Ich nehme gen die imperialistische Strategie gese- 



76 


eben nicht allein gegen die Kapitalstrate- sagt, daß ihr aus der Bewegung der An- EINE FEMINISTISCHE 
gic, gegen Militär- und Staatsapparate fang 80er Jahre kommt ? roiTIlf 

entwickelt wurde (NATO/MIK). Diese Fragen klingen vielleicht sehr kri- KK1 1 1K 

Die inneren Widersprüche im Kapitalis- tisch, aber mehr noch sind sie mir wich- 

mus lassen sich miidertnple oppression tig. Ich bin mit all diesen Fragen auch Im Januar 1992 tritt die sogenannte kgi- 
beschreiben. Die äußeren würde ich ver- nicht allein. Die RAF schreibt und kriti- initiative' (kgt = koordinationsgruppe ter- 
ktlrzt als Imperialismus der triplc oppres- siert. daß es Leute gab. die sich nicht rorismusbekämpfung) an die öffentlich- 
sion bezeichnen. mehr kritisch geäußert haben und daß sic keit, im april verkündet die rote armcc 

Auch gibt es inzwischen gute Texte, wie umgekehrt auch nicht kritisiert werden fraktion (raf) die cinstcllung militärischer 
Bücher (Angela Davis, Viehmann und wollten. Das soll anders werden. aktionen. am 15. mai wird günther son- 

Genossinnen usw.) Übrigens ist kritische Solidarität keine nenberg nach 15 jahren haft entlassen, im 

Trotz dieser Lücken würde ich der RAF "bequeme Position", sondern sehr, sehr august bekräftigt und begründet die raf 
aut keinen Fall unicrstcllen, daß es ihr unbequem, denn sie übernimmt politi- die grundsätzliche auigabe des bewaffne- 
nicht um eine revolutionäre Entwicklung sehe Verantwortung. ten kampfcs. ende Oktober erklärt ein teil 

geht; oder daß sic sich auf einen In vollem Bewußtsein der Unterschiede der gefangenen ihrerseits die prinzipielle 
"bewaffneten Reformismus" hinbewegt, das Verbindende suchen. abkehr vom bewaffneten kampf. und daß 


wie cs der Genosse pro Kommunismus 
glaubt. 

die RAF hat das letzte Jahrzehnt offen- 
sichtlich einen eindeutigen praktischen 
Standpunkt bezogen, der nicht mehr zu- 
riickzunchmcn geht. 

RASSISMUS in d*r BRD kann aller- 
dings tatsächlich nicht mehr nur auf der 
Erscheinungsebene kritisiert werden. Die 
Wichtigkeit des antirassistischen bzw. 
antifaschistischen Kampfes wird immer 
dringender - sowohl die militante Ge- 
genwehr als auch eine politisch-revolu- 
tionäre Ebene. 

PATRIARCHAT / SEXISMUS: Für 
mich als Frau war cs besonders frustrie- 
rend, fast schon zynisch, darüber nur ei- 
nen Satz in der Erklärung zu lesen: 
"Steigende Gewalt gegen Frauen. Kinder 
und alte Menschen..“. 

Offene Fragen an die Genossinnen der 
RAF 

Habt ihr die Texte um die “triplc oppres- 
sion" gelesen oder nicht? Warum meßt 
ihr diesen Diskussionen so wenig Bedeu- 
tung bei? 

Warum habt ihr scheinbar immer noch 
Probleme mit dem Begriff Arbeiterin- 
nenklasse? 

Könnt ihr was zu den alten "Neuer Fa- 
schismus "-Debatten der RAF im Zu- 
sammenhang mit den aktuellen Angriffen 
gegen Flüchtlinge u.a. sagen? 

Denkt ihr, daß der Aufbau einer 
"Resistance" notwendig ist? 

Warum schreibt ihr Frauen aus der RAF 
nichts zu eurer eigenen Entwicklung, zu 
eurer Unterdrückung als Frauen, aber 
mehr noch zu eurem Widerstand als 
Frauen in der Guerilla? 

Hatten die Frauen und Männer der RAF 
keine Auseinandersetzungen mit femini- 
stischen Frauen? 

Anfang der 80er konstituierte sich doch 
überall ein neues Frauenspektrum, die 
mit den damaligen Kämpfen im Wider- 
stand verbunden waren? Die Rote Zora 
gewann damals an Bedeutung. Hatte dies 
keinen Einfluß auf euch? Obwohl ihr 


sie persönlich diesen im falle ihrer frei- 
lassung nicht wiederaufnehmen werden, 
mitte november ist entschieden worden, 
daß bemd rüssner. der zuvor im knast in 
kassel eingesperrt war. seine haft für 18 
monatc in einer therapeutischen cinrich- 
tung unterbrechen darf, 
zu fragen bleibt: was geht hier eigentlich 
vor und wie geht cs nun weiter? und da- 
vor noch die frage: wamm beschäftigen 
sich feministinnen überhaupt damit? zu- 
nächst zur zweiten frage: 
die ereignisse des letzten jahres im Zu- 
sammenhang mit der raf. dem bis dahin 
existierenden bewaffneten kampf in der 
brd und den politischen gefangenen in 
bundesdeutschen geflngnissen sind ein 
ausdruck der gesamten politischen ent- 
wicklung. gleichzeitig bestimmen diese 
Vorgänge die heutigen und zukünftigen 
politischen und gesellschaftlichen realitä- 
ten mit, innerhalb derer wir fraucn/lcsbcn 
leben und uns bewegen, darüber hinaus 
ist cs notwendig, sich sozusagen ‘ins in- 
nere' dieser auseinandersetzungen zu be- 
geben und zwar aus verschiedenen grün- 
den: 

die antiimperialistische bewegung und 
die raf haben lange zeit auf internationa- 
listischer grundlage gegen Staat und kapi- 
tal gekämpft, gemeint sind hier all dieje- 
nigen bewegungen, gruppen, Organisa- 
tionen, die mit grundsätzlich antiimpe- 
rialistischem anspruch gegen Staat, kapi- 
tal und Imperialismus vorgehen. 
nicht zufällig kämpften viele frau- 
en/lesben in der antiimperialistischen 
bewegung. nicht zufällig sind viele von 
ihnen aus der bewegung ausgetreten, um 
sich dem feminismus zuzuwenden, frau- 
en wurde und wird vor allem in der ab- 
Ichnung, dem sogenannte ’bnich mit den 
herrschenden Verhältnissen’ in der anti- 
imperialistischen bewegung eine ver- 
meintliche aniwort auf das eigene leben 
und erleben im patriarchal suggeriert, die 
antiimperialistische bewegung richtet 
sich aber weder subjektiv - d.h. ihrer 
praktischen arbeit und ihrem anspmch 
nach - noch objektiv gegen die tatsächli- 
chen Grundlagen des imperialistischen 



77 


Patriarchats. gegen die ökonomische, se- 
xuelle, emotionale und psychische aus- 
bcutung nicht des menschen durch den 
menschen. sondern der frau durch den 
mann, die praktische auswirkung dieser 
’begrenzung’ erleben trauen innerhalb der 
gcmischt-gcschlechilichen linken immer 
wieder als brachiale kluft. letztlich be- 
steht aufgrund einer gänzlich verschiede- 
nen klassenanalyse samt deren auswir- 
kungen auf alle bereiche des lebens und 
vor allem den daraus folgenden unter- 
schiedlichen Perspektiven und zielen des 
kampfes ein unüberwindbarer interessen- 
gegensatz zwischen dem feminismus und 
der antiimperialistischen bewegung. trotz 
dieses antagonismus besteht ein kritisch- 
solidarisches Verhältnis zwischen dem 
feminismus und bewegungen, gruppen, 
Organisationen, die mit antiimperialisti- 
schem anspruch gegen die herrschenden 
Verhältnisse” vorgehen. solidarisch sind 
feministinnen mit ihnen überall dort, wo 
ihr kampf, ihre kampfziele mit feministi- 
schen Ubereinstimmen, der feminismus 
aber mit dem umfassendsten anspruch: 
die befreiung der frauen weltweit, muß in 
theorie und praxis antworten auf die 
weitreichendsten politischen fragen fin- 
den. der feminismus muß die allgemein- 
ste und somit die konkreteste Perspektive 
zur befreiung aller frauen und somit auch 
aller männer weltweit beinhalten, hier 
beginnt die feministische kritik: jeder pa- 
triarchal geführte kampf und somit auch 
der der antiimperialistischen bewegung 
der brd kann nur um teilziclc kämpfen - 
staat/kapital/impcrialismus stellen nur 
Segmente im patriarchat dar. wichtige 
zwar: werden jedoch sie allein bekämpft, 
bleibt das patriarchat bestehen und orga- 
nisiert sich neu gegen die frauen. cs ver- 
steht sich von selbst, daß die feministi- 
sche Auseinandersetzung eine andere gc- 
schichtsforschung, andere organisations- 
formen und Strategien hervorbringen 
muß. 

die weiße frauen-bewegung in ihrer ge- 
samtheit hat viel geforscht und analysiert 
über die grundbedngungen vor allem 
von weißem frauenleben in geschickte 
und gegenwart. obwohl diese forschung 
in ihren anfängen steckt, hat sie doch ei- 
ne fülle von erkenntnissen über die ver- 
schiedensten formen der ausbeutung. Un- 
terdrückung und Vernichtung von frauen 
auf ökonomischer, politischer, sexueller, 
emotionaler, kultureller, spiritueller, 
psychischer und physischer ebene hcr- 
vorgcbtacht. auf dci anderen sette gibt cs 
von hier aus viel weniger anstrengungen, 
die bedingungen des lebens von frauen 
anderer hautfarben, kulturen, aus anderen 
teilen der weit grundsätzlich begreifen zu 
lernen, die folge davon ist, daß es hier 
kaum eine detaillierte forschung und ein 
wissen um den Zusammenhang der aus- 


bcutungsvcrhaltnisse von frauen weltweit 
gibt, und es gibt wenig bis keine Schluß- 
folgerungen aus all dem. wie und mit 
welchen mitteln eine grundlegende Auf- 
hebung patriarchaler hcrrschaft möglich 
sein wird - die internationale feministi- 
sche revolulion. 

die erkenntnisse aus der feministischen 
und frauenforschung werden nicht in ei- 
ne klassenanalyse umgesetzt, woraus sich 
der gmndcharakter der auseinanderset- 
zung ergibt - ein antagonistisches Ver- 
hältnis von internationalem feminismus 
und imperialistischen patriarchat. 
cs gäbe bände zu schreiben über die Vor- 
gänge des letzten jahres samt der jeweili- 
gen crkläningcn der verschiedenen seiten 
und beteiligten, und anhand derer wäre 
eine schier unermeßliche fülle von fal- 
schen grundlagcn, grober fchlcinschät- 
zung, eigennütziger geschichtsverdre- 
hung, reformistischer anbiederei und ein- 
fach patriarchaler, systemtragender Posi- 
tionen aufzudecken. 

ich beschränke mich und werde im fol- 
genden anhand einiger grundlegender 
diskussionspunkte zur bedcutung und zu 
den auswirkungen der cntschcidung der 
raf und der aktuellen entwicklung des 
kampfes der politischen gefangenen aus 
feministischer sicht Stellung beziehen. 

aschenputtel und andere marchen 
oder: was ist die 
"freilassungsdebatte"? 

mit der sogenannten 

'freilassungsdebatte” ist seit anfang des 
jahres 1992 zu erleben, daß das System 
seinen sieg über das kapitel bewaffneter 
kampf in der brd feiert, die politischen 
gefangenen sind ein "politisches erbe" 
aus der zeit davor, das nun aufgctcilt 
wird: die guten ins töpfchen, die schlech 
ten ins kröpfchcn. 

seit nunmehr rund einem jahr ist die öf- 
fentliche austragung eines zug-um-zug- 
"spicls" zu beobachten, der startpfiff fiel 
mit dem Vorschlag der koordinations- 
gtuppe terrorismusbekümpfung zur haf- 
tcntlassung von 7 gefangenen, die kgt be- 
steht aus Mitgliedern der bundcsanwalt- 
schaft, des Verfassungsschutzes, des 
bundeskriminalamtes, des bundesinnen- 
ministeriums, des bundesjustizministeri- 
ums. schon bei der aufzählung dieser 
mitgliedschaften wird deutlich, daß die 
kgt nichts anderes ist, als die effekti- 
vierte. weil direkte Verschmelzung von 
sogenannter offizieller icgieruiigsebene, 
polizei und gchcimdicnstcn. diese eh- 
renwerte gesellschaft bringt also in die 
diskussion, bestimmte gefangene freizu- 
lassen. teile der gefangenen schwenken 
darauf ein. die alte mär von gegeneinan- 
der ausspiclbarcn vcrhandlcm und bc- 
tonköpfen im System wird aufgewärmt. 


so sollen mehr linke draußen auf diese 
linic verpflichtet werden, der damalige 
bundesjusti/.minisier kinkcl und damit 
der offiziell-öffentliche Staat steigt in die 

debatte ein. die raf gibt ihre gcwultvcr- 
/ichtserklärung ab. das alles im dienste 
der neuen politik'. die raf erklärt den 
Staat /um Verhandlungspartner und er- 
kennt das gewaltironopol des Staates 
an... die letzte runde im Zeitgeschehen 
ist. daß bestimmte gefangene "der gewalt 
abschwören'', zum ersten mal haben da- 
mit gefangene aus dem 

"gefangenenkollektiv" offen nur für sich 
selbst gehandelt, parallel läuft die politi- 
sche isolierung der 'unverbesserlichen', 
deren vcmichtungshafibedinguiigcn da- 
mit ein weiteres mal als "selbstgewollt'' 
legitimiert und verschärft werden kön- 
nen. 

die "neuen politikcnnncn und politiker- 
erklären den kampf für die Zusammenle- 
gung sowohl praktisch als auch als politi- 
sche Orientierung für überholt, sic erklä- 
ren das ziel der freilassung der politi- 
schen gefangenen als einfacher, realisti- 
scher. als das ziel, bessere bedingungen 
im knast durchzusetzen, in den anfängen 
begründete die raf ihren kampf noch mit 
dem wissen, daß "foiter kein revolutionä- 
rer kamplbcgriff ist"; bliebe folter, re- 
pression im weitesten sinne zentrales 
moment im widerstand, würde wider- 
stand zum "moralischen rcflcx” und rich- 
te sich schlußcndlich gegen die politi- 
schen gefangenen, weil die inhalte. für 
die sic kämpfen und cingcspcrrt sind, ne- 
giert und bedeutungslos würden, wer im 
knast nicht auf die "neue politik" cin- 
schwenkt. darf für sich selber sorgen 
bzw. im knast verrotten? 
für die feministische bewegung muß das 
bedeuten, daß sie die gefangenen, die 
diesen aus verkauf nicht mitmachen, urv 
tcrstützl. sic wird an dem ziel der befrei- 
ung aller politischen gefangenen fcsthal- 
tcn. 

in einer Situation der schwäche der linken 
- wie z.b. heute - führt der weg raus nur 
über die aufgabc der politischen identität. 
für die individuelle suche nach wegen 
raus aus dem knast gibt cs immer ver- 
ständliche gründe, sic sollten aber auch 
als solche kenntlich gemacht werden, 
der Charakter der diskussion der letzten 
monate in bezug auf den knastkampf 
wird verschleiert mit den pseudonymen 
"realistisch", "durchsetzbar", mit diesen 
begriffen gibt der Staat die ebene der 
Auseinandersetzung vor. der widerstand 
draußen soll auf diese ebene verpflichtet 
werden, (s. dazu die crklärung der raf 
zum anti-weltwirtschaftsgipfcl-trcffcn in 
münchen: '...wir haben gesagt, daß es für 
uns ein wesentlicher bestandteil in dem 
jetzt notwendigen aufbauprozeß ist, die 
freiheit unserer gefangenen genosslnnen 



78 


zu erkämpfen. ..cs muß die sache von al- 
len sein, die ein ende der folter. die die 
freiheil der politischen gefangenen wol- 
len. in diesem kampf Verantwortung und 
initiative zu übernehmen... raf. 
29.6.1992). 

eine dem kalkül des Staates entgegen- 
kommende politik. 

die ullgemcinpulitischc diskussion kreist 
folgerichtig um "das neue", "die politi- 
sche debatte". die zu führen ist, zu orga- 
nisieren ist, zu "schützen" ist (gegen 
wen?) und darum, daß in Zeiten allge- 
meiner ver-gewilt-ung aller lebensberei- 
che es keine revolutionäre gcwalt geben 
könne, das ist d« ebene der sogenannten 
"Sozialpartnerschaft”, 
die letzten knapp 10 jahre betrachtend: 
die gefangenen forderten die Zusammen- 
legung und wurden draußen unterstützt, 
die sogenannte 'gmßaktion an die politi- 
schen gefangenen" war 1984 der versuch, 
die Situation im knast und die forderen- 
gen der gefangenen in weitere kreise hin- 
cinzutragcn, Öffentlichkeit gegen die 
kriminalisierung der zusammcnlcgungs- 
forderung zu schaffen, mit mehr leuten 
Uber die bedeutung der politik. für die 
die gefangenen einsaßen, zu diskutieren, 
gerade noch vorher brachten damals so- 
genannte "links-intellektuelle kreise" die 
"amnestickampagnc" ins rollen, deren 
begriindung davon ausging: 'jeder 

kampf, der gerechte, wie der ungerechte, 
ist einmal entschieden, wenn Sieger und 
Verlierer fcststchen, hört der kampf auf ... 
daß die raf und die gesamte linke in der 
brd verloren hat und besiegt ist, ist ein 
unbezweifelbares faktum." (wolfgang 
pohrt, konkret-reporter) dies hatte 3 
ziele: 

1. taktisch die bewegung draußen zu ent- 
solidarisieren 

2. die gefangenen zur aufgabe ihrer poli- 
tischen identität aufzurufen, bzw. die be- 
dingungen eines möglichen deals in 
scheinbar linke Vokabeln zu fassen, und 
schließlich 

3. den bewaffneten kampf für beendet, 
weil gescheitert zu erklären. 

auch die zweite argumcntationslini:. die 
heute wieder der hraten schmackhaft ma- 
chen soll, war damals schon formuliert 
und vom “komitee für grundrcchte und 
demokratic" vertreten, nämlich die soge- 
nannte "einsicht. daß das harte repressi- 
onskonzept in eine sackgasse mit demo- 
kratisch-rechtsstaatlich tödlichen folgen" 
geraten sei. heutzutage wird der soge- 
nannten kinkelfraktion als "verhandler” 
im gegensatz zu den "betonköpfen" diese 
"einsicht" zugcschricben, um die ver- 
handlcr für die linken salonfähig zu ma- 
chen. 


die neue rhetorik des reformismus - 
oder - 

der spate anschluß ans positive denken 
im wassermannzeitalter 

die politische fUhreng der kpdsu hat 
mitte der 80er jahre eine politisch-ideo- 
logische Stilrichtung mit bürgerlich-reak- 
tionären inhalt entwickelt, diese sollte 
fortan die innen- und außenpolitische 
praxis der Sowjetunion begründen, das 
sogenannte neue denken der perestroika 
stellt lediglich den höhepunkt der revi- 
sionistischen entwicklung dar und setzt 
somit wahrscheinlich insgesamt den end- 
punkt des revisionismus selbst, die zur 
zeit dominierende fraktion behauptet eine 
grundsätzliche Veränderung der interna- 
tionalen läge durch den entwicklungs- 
stand der kommunikationssjstcmc und 
der Waffentechnologie, durch den dro- 
henden ökologischen kollaps sowie die 
"soziale Zeitbombe" der Verelendung im 
trikont. ein fundamentales intcresse am 
erhalt der Zivilisation, der menschheit 
schlechthin verbinde nun die 
'weltgemeinschaft'. jenseits politisch- 
ökonomischer systemunterschiede müsse 
sie nun gemeinsam nach lösungen su- 
chen. Voraussetzung dafür sei, selbst 
neue wege zu gehen und gewohnte be- 
trachtungsweisen zu krieg und frieden 
abzubauen, aufgeklärte teile der westli- 
chen kapitalistischen weit mußten und 
könnten sich angesichts der drohenden 
katastrophe zur friedensfähigkeit hinent- 
wickeln. sogenannte "regionale kon- 
fliktc". die den Weltfrieden gefährden, 
sollten um den systcmwidcrspruch er- 
leichtert "praktikablen lösungen" zuge- 
führt werden. 

das neue denken mit seiner grundprä- 
misse der weltumspannenden interes- 
scnsgleichheit der menschen als rein bio- 
logische kategorie, ungeachtet ihrer klas- 
senzugehörigkeit und damit ungeachtet 
sexistischer und rassistischer ausbeutung 
und Unterdrückung, ist weder neu noch 
cmanzipativ. cs gleicht immer mehr dem 
reformismus, den wir hier schon lange 
kennen. 

die lediglich neue rhetorik des revisioni- 
stischen patriarchats akzeptiert und ver- 
söhnt sich mit dem kapitalistisch-impe- 
rialistischen patriarchal, sie untergräbt 
jede - auch patriarchale traditionelle mar- 
xistisch-leninistische kapitalismus- und 
imperialismusanalysc. negiert jedes ob- 
jektive klasseninteresse und setzt an die 
stelle der notwendigkeit des klassen- 
kampfes "die suche der mcnschcn nach 
neuen wegen zu politischen lösungen für 
akute, die gesamte menschbeit betref- 
fende problcmc"! 


nicht die neuerdings allseits festgestellte 
veränderte Weltlage hat diese politische 
Ideologie hervorgebracht, die gesamte 
entwicklung entsteht aus der dialcktik der 
klasssnkämpfe. umgekehrt hat das neue 
denken erst den politischen raum eröffnet 
und die legitimation verschafft für die 
politischen, ökonomischen und militäri- 
schen maßnahmen der sich im Umbruch 

befindenden real-sozialistischen Staaten 
zur beteiligung am aulbau der “neuen 
weltordnung". 

der bürokratische Sozialismus löste sich 
zuerst ideologisch und im nachgang 
praktisch auf. die ergebnisse sind im zer- 
fall der politisch-ökonomischen Systeme 
und in der territorialen auflösung der 
Staaten des ehemaligen Ostblocks zu se- 
hen. folge ist weiter die auflösung von 
wirtschafts- und handclsabkommen, die 
in einigen ländern der drei kontinente ei- 
ne teilweise wirtschaftliche entwicklung 
außerhalb des diktats des kapitalistischen 
Weltmarktes und der knebclpolitik von 
iwf und weitbank ermöglichten, die aus- 
wirkungen dieses Zerfalls sind außerdem 
kriege und blutige sogenannte 
"nationalitätenkonflikte" in den ehemali- 
gen Ostblockstaaten, die cinstellung mili- 
tärischer und wirtschaftlicher "hilfe" 
(materieller abhängigkeit und somit ideo- 
logischer und praktische kontrolle) für 
die lünder in den drei koatinenlcn und ih- 
rer berreiungsbewegungen. weiter die ra- 
pide ansteigende Verarmung afrikas. des 
trikonts überhaupt, auch Osteuropas, die 
ausweitung von flüchtlingsbewcgungcn, 
vor allem von frauen und kindem. das 
sprunghafte anwachscn faschistischer 
gcwalt in den nictropolcn u.v.m. darin ist 
z.b. die "konkrete forderung nach schul- 
denstreichung" längst kein thema mehr, 
die gläubigerseite - kapitalistisch-impe- 
rialistische Staaten und internationale 
banken - erlassen den ruinierten Volks- 
wirtschaften aus eigenen politisch Öko 
nomischcn erwägungen und intercssen 
die groteskgigantischen zins- und schul- 
denberge teilweise oder sogar ganz, er- 
gebne der beendigung des kalten krieges 
ist die einsetzung der uno als eine die 
ganze weit beherrschend? regierung unter 
der direkten kontrolle der stärksten kapi- 
talfraktioncn. direktes ergebnis ist die 
anneklion der ddr durch die brd. die Hun- 
gerblockade z.b. gegen cuba genauso wie 
der gemeinsame krieg der "zivilisierten 
weltgemeinschaft" gegen die arabische 
region. 

direktes ergebnis ist aber auch die mithil- 
fe der imperialistischen länder an der Zer- 
störung jugoslawiens, das ihnen als ur- 
sprünglich antiimperialistisches projekt 
im wege stand, ergebnis ist die besetzung 



79 


Somalias durch us-soldaten, zur strategi- 
schen kontrollc afrikas. ergebnis ist die 
erneute bombardierung des iraks und die 
durchsetzung der erttwaffnung des Iraks 
die weltweite sozialistische bewegung. 
hier verstanden als die Staaten des büro- 
kratischen Sozialismus, marxistisch-leni- 
nistische befreiungsbe wegungen, Partei- 
en und Organisationen weltweit, zog bei 
der ideologischen wende beinahe aus- 
nahmslos mit - sei es aus eigeninteresse 
ihrer bürgerlich-patriarchalen führungen 
oder aus dem zwang der sich verschär- 
fenden Verhältnisse. 

das imperialistische patriarchal baut die 
'neue weltordnung’ von oben her auf. um 
darin erfolgreich zu sein, benötigt cs und 
bedient es sich maßgeblich der mitwir- 
kung von ehemals cppositionellen Partei- 
en. Organisationen und bewegungen. die 
sich die grundzüge des neuen denkens zu 
eigen gemacht haben, 
was hat das nun mit dem heutigen thema 
zu tun? 

die raf und mit ihr ein teil der hiesigen 
antiimperialistischen bewegung reiht sich 
mit ihrer "suche nach neuen wegen" in 
genau diese entwicklung ein. 
in den crklärungen der raf von april und 
august und in jener an die teilnehmerin- 
nen und teilnchmcr des anti-weltwirt- 
schaftsgipfcl-kongrcsscs sind die grund- 
zlige der oben skizzierten neuen rhetorik 
des reformismus samt seiner bürgerlich- 
idealistischen. kapitulationistischen und 
chauvinistischen inhalte wiederzufinden, 
ausgangspunkt der raf in ihren crklärun- 
gen zur beendigung des bewaffneten 
kampfcs ist eine "veränderte weit", in der 
es "tausend probleme" gibt, die "nach lö- 
sungen schreien”, weil sie sonst die 
"ganze mcnschhcit in die katastrophe 
führen", die jeweiligen befreiungsbewe- 
gungen und "Völker - sind auf sich selbst 
zurückgeworfen, sie müssen aus "ihrer 
speziellen geschichte und ihren bedin- 
gungen" ohne die althergebrachten Wahr- 
heiten aus der zeit des kalten Krieges 
"authentische ziele" und "Lösungen" 
entwickeln, cs ist eine weit, in der die 
menschen das recht auf die erfüllung 
"unmittelbar konkreter bedürfnisse gegen 
die herrschenden durchsetzen“ müssen, 
in der alle althergebrachten Wahrheiten, 
analysen und erkcnnlnissc überdacht und 
aufgegeben werden müssen, um raum für 
neues, lebendiges, lösendes, politisches 
zu öffnen. 

politischen inhalt. Umsetzung und aus- 
wirkungen der raf-schen neuen rhetorik 
des reformismus werde ich im folgenden 
exemplarisch verdeutlichen. 


von der marxistisch-leninistischen 
klasseranalyse 

mit großen blinden flecken zur 
fehlenden klassononalyse und zum 
Subjektivismus 

auf die frage, wie cs dazu gekommen ist. 
kann ich hier nicht so cingchcn. wie cs 
nötig wäre. 

in der april- und august-crklärung der raf 
1992. sowie in der darauffolgenden dis- 
kussion innerhalb der gcmischt-ge- 
schlechtlichen linken (mit wenigen aus- 
nahmen) hat dieses angeschlagene politi- 
sche bewußtsein nur ein ausmaß erreicht, 
das eindeutig als reformistisch bezeich- 
net werden muß. 

von dem in sich schon unvollständigen 
antagonismus "Proletariat" 
"bourgeoisie" ist nichts mehr übrigge- 
blieben. die rede ist nur noch von 
"menschen". im kontext der 
"herrschenden Verhältnisse" von 
"menschen" zu sprechen, negiert die ge- 
samte ausbeutungs- und gewalthicrarchic 
im imperialistischen patriarchal, cs ist 
gewiss kein zufall. der entsprechende 
griechische begriff ’homo' bedeutet über- 
setzt gleich, entsprechend mann, die in 
der Verwendung des begriffes 'mensch' 
liegende negation von unterschiedlichen 
ausbeutungssituationen kann nicht al- 
leine mit fehlendem politischen bewußt- 
scin erklärt werden, ihr liegt ein Subjekti- 
vismus zugrunde, der es schafft, sich 
selbst als nabelpunkt der weit zu begrei- 
fen. nur so wird cs möglich, alles zu ver- 
gessen. was über (oder besser unter) das 
eigene sein hinausgeht, der "kämpf* wird 
so zum eigenen heilungsprozess. zur Ic- 
gitimation der eigenen "befreiung". 
frauen können sich niemals den luxus er- 
lauben, die "eskalation zurilckzunch- 
men", für frauen herrscht täglich krieg, 
der nur mit einem gegenkrieg von unten 
zu überleben ist. dis fehlende ziel: die 
befreiung der frauer, in bisher allen patri- 
archal-linken Konzeptionen macht deut- 
lich. daß der feminismus nicht ein einzi- 
ges ausbeutungsverhältnis vergessen 
darf, die reformistische, konterrevolutio- 
näre entwicklung der raf und der antiim- 
perialistischen bewegung ändert das kräf- 
teverhältnis aber auch für andere fort- 
schrittliche kräftc gegenüber dem impe- 
rialistischen patriarchat zum schlechten. 

der subjektive bruch mit dem System 
- qualltät und Verherrlichung 

schon oft wurde oberflächlich analysiert, 
daß die raf in ihren anfänpen ein ideolo- 


gisches konzept und daraus analytische 
kriterien gehabt, diese aber über die jalire 
aufgegeben hätte, eine solche bctrach- 
tung isi undifferenziert, als produkl der 
gesellschaftlichen Widersprüche ihrer zeit 
prägten drei ideologische grundelemente 
die raf in der brd: 

1. eine marxistisch-leninistische klassen- 
analysc und cinschätzung der sozialen Si- 
tuation für die mctropolen, die sich in 
etwa auf der ebene auch anderer kom- 
munistischer gruppen der zeit bewegte: 

2. eine theoretisch und praktisch intema- 
tionalistische/antiimpcrialistische aus- 
richtung ihres kampfes: 

und 

3. - aus der entwicklung der 60er jahrc 
hervorgehend - nicht nur das theoretische 
wissen von der bedeutung der 
"entfremdung" und der "totalität des Sy- 
stems' für den kampf in den metropolen. 
sondern die praktische antwort darauf als 
Perspektive, "der subjektive bruch". 
stimmt cs. daß die kämpfenden damals 
für die klassenanalyse in den metropolen 
und für den internationalistischen kampf 
auf ideologische grundsätzc und erfah- 
rungen zurückgreifen konnten, so stimmt 
es auch, daß sie die ideologi- 
schen/politischen kriterien nicht auf den 
dritten bereich übertrugen. der 
"subjektive bruch" blieb subjcktivistisch. 
machte das individuum zur zentralen in- 
stanz einer moralischen cntschcidung: 
Subjekt ist jede und jeder selbst im kampf 
und sich selbst verantwortlich. 

aber: jede politischc/gcscllschaftliche 
entwicklung entsteht aus der dialektik 
des aufstandes von unten gegen die herr- 
schaft von oben, jede äußern ng von wi- 
derstand ist ausdruck dieses kräftever- 
hältnisses innerhalb der gesamtgesell- 
schaftlichen bedingungen. auch wir. mit 
dem was wir heute wissen und denken, 
sind ein ausdruck der gesellschaftlichen 
Verhältnisse, in denen wir leben, in der 
geschichte der raf hat sich der 
"subjektive brach" zu so etwas, wie einer 
Zuflucht in der Vorstellung, zur nischc 
jenseits der gesellschaftlichen bedingun- 
gen entwickelt, und damit zu einer kon- 
terrevolutionären idcologie. es gibt aber 
weder für einzelne noch für kollektive 
die möglichkeit, sich jenseits des gesell- 
schaftlichen Kräfteverhältnisses zu defi 
nieren und zu bewegen, nichtsdcstotrotz 
liegt gerade im aufgreifen der theorien 
über die entfremdung und die totalität der 
Herrschaft in den mstropolen. in der be- 
antwortung dieser realität (dem durchbre- 
chen des staatlichen gewaltmonopols) die 
Gesellschaftliche bedcutune der raf 



80 


für die feministische bewegung heute ist 
es wichtig, zu verstehen, daß die 'raucn- 
bewegung damals und mehrheitlich auch 
heute noch organisierte militante politik 
vielfach praktisch ablchnt. ja bereits 
theoretisch für unangemessen, weil 
"unwciblich" erklärt. zurück zur bedeu- 
tung des "subjektiven bruchs": als lesbi- 
sche feministin ist mir sehr bewußt, wie- 
viel kraft freigeset/t wird, wenn flauen 
subjektiv "brechen” mit ihrer rolle und 
funktion in dieser gesellschaft. im patri- 
archat sind männcr aktcurc. also Subjekte 
und frauen opfer, also Objekte, daraus 
aufzustchen und Subjekt zu sein im 
kampf für die tefreiung der frauen heißt 
für jede frau persönlich ganz viel, heißt, 
erfahrene Verletzungen nicht länger zu 
leugnen und zu ignorieren; heißt, die ei- 
gene realitüt jenseits von patriarchaler 
Verschleierung wahrzunehmen: heißt, die 
kraft der frauen. fast alles crlragcn zu 
können, um/uwaniieln in den mul, nicht 
länger alles ertragen zu wollen! 

"der cntschluß. die weit zu nähren, ist der 
einzig sinnvolle entschluß. noch keine re- 
volution hat diese wähl getroffen, denn 
sic verlangt, daß alle frauen frei sind... 
solange wir einander nicht finden, sind 
wir allein." (adrienne rieh) 

"es existiert heute eine Vielzahl von mög- 
lichkcilcn, diese gesellschaft zu verän- 
dern. cs wäre kriminell und unmensch- 
lich. sic nicht aus/unutzen. alles, was 
möglich ist. um dieses System zu verän- 
dern. muß getan werden, dies ist. so 
glaube ich. der tiefere sinn unseres Ic- 
bens.' 

(mara cagol 1969. als kämpferin der bri- 
gatc rosse von den carabinicri 1975 er- 
schossen) 

seit april 1902 erklären die raf und teile 
der gefangenen, warum der deutsche 
Staat nun aus der oben genannten cinord- 
nung auszunehmen ist. die raf und teile 
der gefangenen arbeiten mit mehreren 
argumcntationslinicn. da wird cinnul aus 
der gcschichtc der brd erzählt, daß es in 
diesem land keine "resistancc" gegen den 
faschismus gegeben hat, daß cs vor über 
20 jahren so aussah. als könnte die brd in 
einen "neuen faschismus" abkipper. daß 
es damals also gerechtfertigt war. das hi- 
storisch versäumte nachzuholen und resi- 

stunce zu machen, für heute sei dieses 
konzept allerdings überholt, weil de brd 
sich als gefestigte dcmokratic erwiesen 
habe, (nachzulescn z.b. im spicgel-inter- 
view der celler gefangenen imjum 1992) 
sie denunzieren erstens ihre eigene ge- 
schichtc. da sie nicht als bürgerlich-anti- 
faschistische resistancebewegung. son- 
dern als kommunistische stadtgucrilla 
angetreten sind, zweitens arbeiten sie all- 
gemein darauf hin. die erfahrung des be- 
waffneten kampfcs als Strategie aktuell 
und historisch zu liquidieren. 


die brd ist nichts anderes ab die bruch- 
lose restrukturicning und re.irganisation 
der eieichen herrschafts- und ausbeu- 
tungsinteressen, die einige jihrc vorher 
ihre gewinne mittels faschismus, Völker- 
mord und krieg sicherten, unter der 
schwarz-rot-goldenen fahne der demo- 
kratic benutzten und benutzen gerade die 
herrschenden die drohung vom 
"wicdcrhcfcinbrcchcii des faschismus“ 
als katastrophenszenario zur Icgitimation 
der von oben bewachten rote und Ord- 
nung des bürgerlich-kapitalistischen Pa- 
triarchats. millionen gürtcl sollen enger 
geschnallt werden, damit das deutsche 
kapital und sein Staat mit dein so heraus- 
gepreßten gcld das aggressive vorantrei- 
ben seiner imperialistischen großmacht- 
plane finanzieren kann (Stichwort: annek- 
tion der ddr. Zugriff auf die markte in 
Osteuropa, südost-asien usw., eg und 
großrau mformierung. bundeswehr im 
■fllcdcnsclusatz'. Schließung der grenzen 
gegen flüchtlinge usw. usf.). am sich ge- 
gen verschärfende gegensätze im innem 
abzusichem. werden alte und neue fa- 
schisten real und medienwirksam aufge- 
baut und benutzt als Icgitimation. um das 
hollwerk des deutschen Staates funktion- 
stüchtig aiszubaucn. in diesem soge- 
nannten "klima der angst" rufen plötzlich 
nicht nur 'bundesdeutsche normalbürgc- 
rinnen und normalbürgcr" nach einer 
weise lenkenden Ordnungskraft, da 
"akzeptieren" auch viele linke "das klei- 
nere über. 

frauen sind aul'grond ihrer Sozialisation 
auf frieden und harmonie eingeschworen, 
wir beobachten, daß auch viele linke 
frauen immer mehr vor der kenfrontation 
mit den Verhältnissen zurückweichen, 
protestieren, wachen, sich zurtckzichcn. 
feministinren wissen, daß die herr- 
schende realität immer beängstigender 
wird, aber sie wissen auch, daß sich duk- 
ken nicht vor schlagen schützt, daß die 
herrschenden die Unsicherheiten benut- 
zen wollen, um die einen gefügig zu ma- 
chen und zu integrieren und die anderen 
zu isolieren und anzugreifen, 
frauen haben ein großes selbstschutzin- 
tcrcssc. sowohl diesen kern faschistischer 
ideologie und gewaltausübung zu be- 
kämpfen, als auch deren Verkörperung in 
form konkreter faschistcn/münncr. 
der deutsche Staat benutzt die faschistcn 
und die angst der mcnschcn vor faschisti- 
scher gewait, um seine macht zu festigen, 
und wer. wie die celler gefangenen, in 
dieser zeit fcststcllt. daß die brd sich ge- 
gen einen "neuen faschismus" als bürger- 
liche demokratie behauptet hat, dic/dcr 
handelt mit bewußter absicht. macht Pro- 
paganda für das System und gibt dem 
Staat dcckung gegen links, 
die raf betont außerdem, daß wir in einer 
zeit leben, in der die gewait so weit bis in 


jede zwischenmenschliche beziehung 
vorgednmgen sei. daß «Jas mittel der gc- 
walt damit stumpf und entwertet und so- 
mit aufzugeben sei - und alle müßten nun 
"ganz neu überlegen", 
dem feminismus ist ein gewisses be- 
wußUein über das ausnuß der strukturel- 
len und individuellen gewait während der 
letzten zwei- bis viertausend jalire von 
männern gegenüber frauen vor allein in 
"zwischenmenschlichen beziehungen" zu 
verdanken, wer so argumentiert, ent- 
waffnet den aufstand \on unten: direkt 
und geschichtlich, psychologisch, emo- 
tional, politisch. 

der feminismus beinhaltet allerdings kei- 
neswegs kommunistische konzepte wie 
z.b. das avantgarde-kenzept einer be- 
waffneten stadtgucrilla! 

-gewait" ist ein begriff, der in den letzten 
monaen verstärkt in der sogenannten öf- 
fentlichen diskussion auftaucht, dahinter 
stellt ein bewußtes unü • wie es scheint - 
leider auch erfolgreiches system: 
"gewait" wird durch die dauernde beru- 
fung zur schlänge, vor der die kaninchen 
erstarren, jede gesellschaftliche ausein- 
andersetzung soll so auf die sogenannte 
"demokratisch-rechtssiaailiche“ ebene fi- 
xiert werden. 

die öffentliche gewaltdebatte ist insofern 
ein strategischer countcrzug des Staates, 
denn - solange eine fixierung gelingt - ist 
dies die festschreibung der herrschenden 
gcwaltverhältnisse. es ist notwendig, öf- 
fentlich zu unterscheiden zwischen fa- 
schistischer gewait, gcwaltmonopol des 
Staates und rebellion von unten; es ist 
notwendig, Position zu beziehen, 
wenn die raf ihre aufforderung zum ge- 
walt verzieht gefühlsbetont zu untermau- 
ern versucht mit dem jammer: "wir haben 
immer nur auf den feind gestarrt, uns nie 
um uns gekümmert", dain ist das nicht 
nur unpolitisch und entpolitisierend, 
sondern sexistisch und rassistisch, aus- 
druckdcr Privilegien weißer männer (und 
sich daran orientierender weißer frauen). 
ein privatisierendes päuschen, wie die raf 
es vorschlägt, heißt mehr vergewaltigte 
frauen. mehr sexuell ausgcbcutete mäd- 
chen. mehr diskriminierung und entwür- 
digung, mehr ökonomische ausbeutung 
für jede einzelne und für unser ge- 
schieht als sozial unterdrückte klassc, 
heißt das fortbcstchcn, die fcstigung der 
hcrrschaft. 

"ich bin nicht frei, solange noch eine ein- 
zige frau unfrei ist auch wenn sie ganz 
andere fesseln trügt als ich. ich bin nicht 
frei, solange noch ein einziger farbiger 
mcnsch in ketten liegt, und solange seid 
auch ihr nicht frei." (audre lorde) 
in einer gesellschaft. in der weltweit 
trauen und mädchen aufgrund patriarcha- 
ler machtordnung unterdrückt werden, 
vergewaltigt werden, ihre gcfühle. ihre 



81 


kreativität. ihre körper. ihre phamasie. ih- 
re lusi. ihre arbeitskraft. ihre intclligcnz. 
ihr wissen ausgcbcutet werden, in der 
Trauen eine unterstellte, eine kolonisierte 
soziale klasse sind, haben Trauen indivi- 
duell und kollektiv die bercchtigung. mit 
jedem mittel gegen das System ihrer Un- 
terdrückung und gegen jeden einzelnen 
Unterdrücker vorzugehen! die würde der 
Tiuucii zu wahren. ist giund genug, sich 
zu wehren. Teminismus ist nicht nur 
Selbstverteidigung mit dem rücken zur 
wand und dem grauen im herzen. Temi- 
nismus ist nicht allein der gesellschaftli- 
che rückzug in fraucngemcinschaftcn. 
das empören gegen Ungerechtigkeit, die 
wut im bauch, die thcoric von Unter- 
drückung und Veränderung. Teminismus 
ist mehr als die reaktion auT politische 
umstände oder materielle bedingungen. 
Teminismus ist das bewußtsein, nicht nur 
von Ursachen der Unterdrückung, sondern 
auch von bedingungen, notwcndigkcitcn. 
mögliehkcitcn der Veränderung, dieses 
bewußtsein ist nicht abstrakt, sondern ist 
die benennung von verantwortlichen, täg- 
lich, nächtlich, privat und öfTentlich. hier 
und international! 
hamburg, den 20. Tebruar 1993 


Die RAF - eine nachho- 
lende Resistance? 

Die BRD - eine gefestigte 
Demokratie? 

Auszüge aus dem KONKRRT-Inter- 
view der Celler GeTangenen (6/1992) 
und dem <7dr(mo(/-Beltnig von Lutz 
TauTer 

In der in dieser Broschüre abgedmekten 
“Feministischen Kritik" an der neuen 
RAF Politik heißt cs: "da wird einmal aus 
der geschichte der brd erzählt, daß es in 
diesem land keine ’rdsistance' gegen den 
Taschismus gegeben hat. daß es vor Uber 
20 jahren so aussah, als könnte die brd in 
einen ‘neuen Taschismus' abkippen. daß 
es damals also gerechtfertigt war. das hi- 
storisch versäumte nachzuholen und r£si- 
siancc zu machen, für licutc sei dieses 
konzept allerdings überholt, weil die brd 
sich als gefestigte demokratie erwiesen 
habe, (nachzulesen z.b. im spicgel-intcr- 
view der celler gefangenen im jun 
1992). sie denunzieren erstens ihre eige 
ne geschichte. da sie nicht als bürgerlich 
antifaschistische i&istancebewegung 
sondern als kommunistische stadtguerill 
angetreten sind, zweitens arbeiten sic all 
gemein darauf hin. die erfahrung des be- 
waffneten kampfcs als Strategie aktuell 
und historisch zu liquidieren.“ Die Ver- 
fasserinnen sind dafür verschiedentlich 
der Lüge geziehen worden. Zwar gibt es 
kein “spicgcl-interview der celler gefan- 
genen im juni 1992“. Inhaltlich wollen 
wir es aber unseren Leserinnen überlas- 
sen, selbst zu entscheiden, ob sie die 
These der Verfasserinnen der feministi- 
schen Kritik für eine Lüge, oder für die 
polemisch Herausarbeitung einer Ten- 
denz. die sich auch in der Argumentation 
der Celler Gefangenen findet, halten. 


J. Aus dem KONKRET-Inlcrvicw 

“Täufer: [...J 

Unsere Einschätzung damals war. daß 
sich der Imperialismus 'in der strategi- 
schen Defensive' befindet. Es waren 
weltweit und zeitgleich Kräfte gegen das 
US-dominiertc imperialistische Weltsy- 
stem heraufgewachsen, und vor dem 
Hintergrund von Auschwitz und Viet- 
nam war cs politisch und moralisch 
denkbar, auch mit dem Versuch des be- 
waffneten Kampfs m den Zentren des 
Imperialismus, diesem Aufstand mit al- 
len Kräften beizutreten. Die schillernde 
Haltung, die Politik, Wirtschaft, Ju- 
stiz, Militär zur faschistischen Ver- 
gangenheit. und die eindeutige Position, 
die sie für den Genozid in Vietnam ein- 
nahmen. ließ darüber hinaus die Frage 


offen, ob der Faschismus in Deutsch- 
land wieder hervorkriechen könnte. 
Der bewaffnete Kampf in der Bundes- 
republik war gewissermaßen auch der 
Versuch einer nachholenden Resi- 
stance. 

l-l 

Die kommende Ära wird die Ära der 
sozialen Bewegungen sein, der ökono- 
mischen und sozialen Erfindungen. 
Vorausgesetzt, es gelingt, den dazu nöti- 
gen Raum aufzumachen und konkreter 
Utopie endlich mal einen diesseitigen 
Sinn zu gehen. Denn die Alternative wä- 
re eine sich ausbreitende diffuse Gewalt 
und Destruktivität von jenen und gegen 
jene, die um ihr Überleben kämpfen. Und 
was dann eine RAF zur Gcwaltfragc sa- 
gen würde, wäre dieser Eskalation ge- 
genüber völlig gleichgültig. 

Von dieser veränderten Weltlage 
spricht die Erklärung der RAF. Es ist 
keine Kapitulation, es ist die konsequente 
Neuorientierung auf eine Situation, zu 
der die bewaffnete Aktion quer steht. 
Gremliza: (...) 

Dell wo: (...) 

Heute fehlt etwas anderes. Das ist heute 
nicht durch die Staatsmacht begrenzt. 
Es fehlt der neue soziale Gedanke, so et- 
was wie ein neuer historischer Sinn für 
die Gesellschaft. Ich weiß, daß es etwas 
mit der Eigengeltung von Mensch und 
Natur zu tun hat. die wir uns zurücker- 
obern müssen. Aber unsere erste Schran- 
ke ist heute die Entfremdung in der Ge- 
sellschaft. 

1-1 

Gremliza: (...) 

Täufer: (...) 

Gremliza: (...) 

Täufer: Was die Liebe zum Vaterland 
angeht, die von vielen entdeckt wird - 
das hat u.a. seinen Ursprung auch darin, 
daß der Geist der grundsätzlichen Oppo- 
sition gegen den Kapitalismus von 68 
über die Legende von der endgültigen 
Demokratie liquidiert wurde, die 68 be- 
wirkt haben soll. Ich denke, daß die Dis- 
kussion, die die RAF jetzt angestoßen 
hat. auch die Chance bietet, die letzten 
25 Jahre noch einmal neu zu bewerten." 
(aus: KONKRET 6/1992, 10 - 19 (II. 
12] - Hervorh. d. Hg.). 

2. Auszug aus dem Odranoel-Beitrag 
von Lutz Täufer 

"Eine soziale, eine Sozialrevolutionäre 
Bewegung war ‘68‘ r.ur in ersten naiven, 
und deshalb um so kreativeren Ansätzen. 
In ihrem Wesen war sic Abwehrschlacht 
gegen tatsächliche oder vermeintliche 
Faschisierung im politisch-staatlichen 
Bereich und insofern Wiederholung oder 
Verlängerung der antifaschistischen Poli- 
tik der Weimarer Arbeiterparteien. Was 
wirklichkeitsfern an dieser Bewegung 



82 


war, war vor allem Spiegel einer patho- 
logischen politischen Kultur, in der frü- 
here Nazis durchaus etwas zu sagen hat- 
ten. der ersten Naclikricgagcncrutic« aber 
eins über die Schnauze gezogen wurde, 
sobald sie den Mund aufmachte. Die 
freudlosen Gcsichtszügc der Negation 
sind der Linken - von Ausnahmen abge- 
sehen - bis zum heutigen Tage geblieben: 
die Abwehrschlacht gegen Staa;. Fa- 
schismus. Imperialismus. Nicht zuletzt 
in meinem eigenen politischen Milieu. 
Die Analysen sind Legionen, in denen 
die Herrschenden und ihre Absichten 
entlarvt, eigene Vorstellungen aber nur 
sehr zurückhalicnd mitgcteilt werden. 
Wer zehn, zwanzig Jahre lang in diese 
trostlose Sackgasse gestarrt hat. dabei im 
aggressiver werdenden Imperialismus 
den Beweis entdeckt hat, daß wir alles 
richtig gemacht haben, wird so leicht den 
Mut nicht finden, einen freien und unab- 
hängigen Blick zu riskieren. Der erste 
Schock ist mit Sicherheit groß. Jene, die 
diese schlechte Unendlichkeit des Negie- 
rens noch am ehesten loslasscn könnten, 
gehen in die Illegalität. Damit sind wir 
sie dann aber auch los. Von dort teilen 
sie uns mit, wis dieser oder jerer an 
Schweinereien gemacht hat. Als ob diese 
Einzelheiten irgendeinen Gebrauchswert 


würde ich nicht als Emanzipationsschritt 
bezeichnen. Angesichts der globalen 
Verhältnisse schon gar nicht. 

Die cmanzipalivc, sozial-crfindcrischc 
Tendenz. Hat sie auch Überraschendes. 
Tiefgängiges hervorgebracht, ist sie doch 
meist seltsam zwiespältig und unterer- 
nährt geblieben. 

Schließlich, was heute gern als gelun- 
gene Demokratisierung gesehen wird. 
Wäre der Faschismus jene rein 
staaLsterroristischc Veranstaltung ge- 
wesen, als die wir ihn damals empfun- 
den hatten, könnte man das so sagen. 
Er war es aber nicht, die 
'Demokratisierung' war wohl eher eine 
Modernisierung des zweigleisigen Sy- 
stems der Macht." 

(aus: Lutz Täufer, Gedanken gegen die 
Mauern, in: Pizza [Hg.J, Odranoel. Die 
Linke — zwischen den Wehen. Verlag 
Libertäre Assoziation: Hamburg 1992. 59 
- 121 [67 f, 69. 76 f.] - Hervorh. d. Hg.). 

Das "System", der "politisch-staatliche 
Bereich", hat sich modernisiert - die 
Voraussetzungen des bewaffneten Kamp- 
fes sind entfallen, "veränderte Weltlage" 
halt?! 


hätten! 80% aller Jugendlichen fühlen 
sich von den Politikern betrogen und be- 
logen. "Das legale Land ist nicht das 
wirkliche Land.” Von außerparlamen- 
tarischen Möglichkeiten in dieser Brei- 
te hätten wir vor 25 Jahr nie zu träu- 
men gewagt. Wir überlassen es mal wie- 
der den Rechten [...]. 

Einer der Hauptgründe für das Zusam- 
mengehen von CDU und SPD war die 
heftig umstrittene Verabschiedung der 
Notstandsgesetze. Ein Gesetzespaket al- 
so, das die Grundlagen für den inneren 
Ausnahmezustand regelte. Mehr als al- 
les andere sab das nach totalitärer 
Entwicklung aus. Kem dieses Pakets 
war der Einsatz der Bundeswehr, der 
Armee also, zu polizeilichen Zwecken 
der Aufstandsbekümpfung. Die Aus- 
schaltung des Parlaments war vorgese- 
hen. Und das alles schließlich mit legalen 
Mitteln. War nicht auch Hitler auf ver- 
fassungsmäßigem Weg an die Macht ge- 
kommen?! Subjektiv eingezwängt in eine 
historische Situation, in der die Vergan- 
genheit noch nicht zu Ende war und be- 
reits als Zukunft wieder zu drohen 
schien, trugen die Notstandsgesetze er- 
heblich dazu bei. das alte Trauma wieder 
zu wecken. 

[-]. 

Drei Stränge hat 68 entwickelt: den in- 
ternationalistischen, der mit dem Viet- 
namkrieg steht und fällt. Die spätere De- 
nunziation des Internationalismus, die 
Kündigung der internationalen Solidarität 


Antwort auf den Text 
"feministische Perlen vor 
antii... E..." (interim 229 )* 

Wir wollen zu Eurem Referat Stellung 
beziehen. 

"Wir* sind deutsche Lesben aus dem 
linksradikalcn Fraucn/Lcsbcnspcktrum. 
Euer Referat hat in uns widersprüchliche 
Überiegungen/üelühle ausgelöst. Gut 
fanden wir, daß Feministinncn zu der 
jüngsten Entwicklung der RAF Stellung 
beziehen, und daß Ihr deutlich macht, 
warum eben dies für Feministinncn not- 
wendig ist. Ebenso wichtig ist cs. daß Ihr 
"Feminismus” auf die ursprüngliche Be- 
deutung "Befreiung von sämtlichen Hcrr- 
schafisvcrhältnisscn" zurückführt. 

Wichtig ist auch, daß Ihr deutlich macht, 
daß die RAF Gefahr läuft, reformistische 
Politik als “das Neue” zu verkaufen. Wir 
teilen diese Befürchtung. Allerdings rich- 
tet sich unsere Kritik an die Verknüpfung 

der "politischen Ncubcstimmung“ mit der 
"Gefangenenfrage", wie wir am Schluß 
erläutern werden. Viele Punkte, die Ihr 
ansprecht, sehen wir arch als Gefahr. 
Wir kritisieren jedoch. daß Ihr mit Unter- 
stellungen. Pauschalisierungen und aus 
dem Zusammenhang gerissenen Zitaten 
arbeitet, die haarsträubend sind. Wir hof- 
fen, daß am Ende unseres Textes nicht 
der Eindruck entsteht, wir seien unkriti- 
sch gegenüber den jüngsten Aussagen 
der RAF. NUN DENN: 

Aus den Erklärungen der RAF vom April 

und August 92 wird erstmal nur deutlich, 
daß sic von sich aus die Eskalation zu- 
rücknehmen. Was das heißt, sagen sie 
konkret: "Wir werden Angriffe auf füh- 
rende Repräsentanten aus Wirtschaft und 
Staat für den jetzt notwendigen Prozeß 
einstellcn.” (An alle, die auf der suche 
nach Wegen sind. 10.4.92). 

Die RAF hatte bestimmte Konzepte und 
sehr genaue Vorstellungen, auf welchem 
Wege das System hier gekippt werden 
kann. Dieser Kampf ist eindeutig an 
Grenzen gestoßen. Diese Erfahrung, wie 
auch die veränderte internationale Situa- 
tion. einschließlich der Entstehung 
"Großdeutschlands'', werfen viele Fragen 
auf. 

Daß die RAF entscheidet, Ihre bisherige 
Form des bewaffneten Kampfes cinzu- 
stcllcn, halten wir für legitim. Die Frage 
an Euch: Haltet Ihr es für politisch sinn- 
voll. als pol. Strategie weiterhin ab und 
an einen Repräsentanten dieses patriar- 
chal-imperialistischen Systems auszu- 
knipsen? 

Ihr macht aus der Entscheidung der RAF. 
diese Strategie nicht weiter/uführen, eine 
Absage der RAF an Gewalt generell. So 
sollen die Cellcr Gefangenen in einem 



Spiegel-Interview (Juni 92) gesagt haben, 
die BRD habe sich als gefestigte Demo- 
kratie erwiesen (Deswegen sei Resi- 
stance nicht mehr nötig). Dieses Inter- 
view haben wir nicht gefunden. 

Weiterhin unterstellt Ihr, die RAF 
schlage ein privatisierendes Pünschen 
vor, und nennt das "rassistisch und sexi- 
stisch - (S. 9. in dieser Broschüre S. 80, 
Anm. d. Hg.). Was ist daran sexistisch 
und rassistisch, wenn eine Guerilla ihre 
eigene Art zu kämpfen hinterfragt? 

Wie Ihr am Anfang Eures Textes gut her- 
ausgearbeitet habt, hat die RAF ihre Ak- 
tionen ausschließlich gegen die Herr : 
sehenden bzw. ihre Einrichtungen gerich- 
tet. Darin hatten allerdings der Kampf 
von Frauen gegen Männer, wie auch der 
Kampf von Schwanken gegen Weiße und 
viele andere Kämpfe keinen Platz. Sie 
sind zum Teil nicht einmal als notwendig 
erachtet worden. 

Wir glauben, daß Ihr Eure Behauptung, 
die RAF wolle generell auf Gewalt ver- 
zichten. aus den» NDR-Intcrview vom 
16.5.92 mit Irmgard Müller, Gabriele 
Rollnik, Hanna Krabbe & Christine Kuby 
nehmt: 

"Aber was sich z.B. auch verändert hat, 
ist (....) aber auch die Funktion von Ge- 
walt. Hier in der Gesellschaft, was wir 
jetzt sehen, ist fine unheimliche Brutali- 
sierung (...) wie gesellschaftliche Kon- 
flikte ausgetragen werden. Daß also die 
Menschen die Gewalt, die auf sic cin- 
wirkt (...) gegeneinander wenden. (...). 
Die Gewalt, die in den sechziger und 
siebziger Jahren was besonderes war und 
die auch die Funktion hatte - von unserer 
Seite - gesellschaftliche Widersprüche 
aufzubrechen, sichtbar zu machen (...) 
heute sehen wir auch an anderen militan- 
ten Aktionen, daß sich daran (an der Ge- 
walt, Anm. von uns) nichts mehr entwik- 
kclt." (Hanna Krabbe). 

Von dieser Aussage her, habt Ihr mit Eu- 
rer Kritik allerdings recht. Nur: diesen 
Aufruf zum Gewaltverzicht, wenn es 
denn einer ist. finden wir nicht in den 
RAF-Erklärungen. Es ist einfach verwir- 
rend und führt ausschließlich zu Mißver- 
ständnissen. wenn Ihr nicht eindeutig an- 
gebt. auf welche Texte Ihr Euch bezieht 
und welche Texte speziell Ihr kritisiert. 
Zurück zum "privatisierenden Pauschen". 
Ihr schreibt: "Ein privatisierendes Päu- 
schen. wie die RAF es vorschlägt, heißt 
mehr vergewaltigte Frauen, mehr sexuell 
ausgebeutete Mädchen usw." (S. 9, in 
dieser Broschüre S. 80, Anm. d. Hg.). 

Wir sagen: Die Fortführung des Kampfes 
der RAF hätte keine einzige Vergewalti- 
gung verhindert, da antipatriarchaler 
Kampf nie in (deren, Einf. d. Hg.) Theo- 
rie und Praxis verankert war. 
(Zugegeben, das ist polemisch. Wir wis- 
sen. daß Ihr das auch so seht.). 


Ihr hättet nur dann recht, wenn die RAF 
alle hier lebenden Frauen. Männer. Jun- 
gen, Mädchen aufgefordert hüte, in Zu- 
kunft gewaltlos für Veränderungen /.u 
kämpfen. 

Ein weiterer wichtiger Kritikpunkt ist ein 
undifferenziertes "Frauenals-Opfer"- 
Bild. Es hat uns gefallen, daß Ihr 
"Feminismus” wieder mit revolutionären 
Inhalten füllt, und daß Ihr deutlich 
macht, daß gerade rev. Feministinnen oft 
weitergehende Analysen haben als ge- 
mischt-geschlechtliche Zusammenhänge. 
Auch ist uns bewußt, daß Ihr das Referat 
vor gemischt-gcschlcchtlichcm Publikum 
gehalten habt, und vielleicht auch des- 
halb möglich« widerspruchslos argu- 
mentieren wolltet. Trotzdem sind manche 
Äußerungen einfach übel bzw. von rei- 
nem Wunschdenken gespeist: 

"Die feministische Bewegung wird an 
dem Ziel der Befreiung aller pol. Gefan- 
genen festhaltcn.” (S. 3. in dieser Bro- 
schüre S. 77. Anm. d. Hg ). 

Schön und gut. und cs solle auch so sein. 
Aber gerede Feministinnen haben sich 
bis heute herzlich wenig an den Frcilas- 
sungs- und ZL-Kampagnen beteiligt (als 
Feministirncn). 

"Für Frausn herrscht täglich Krieg, der 
nur mit einem GeEcnkricg zu überleben 
ist." (S. 6. in dieser Broschüre S. 79. 
Anm. d. Hg.). 

Stimmt ja eigentlich, aber für das blanke 
Überleben gibt es insbesondere für weiße 
Frauen 1000 Möglichkeiten, die sie flei- 
ßig nutzen: Anpassung an heterosexuelle 
Zwänge, 'der Charme der Weiblichkeit", 
rassistisch-faschistisches Treten nach un- 
ten uvm. 

"Frauen luben ein großes Selbstschutz! n- 
tcresse. sowohl diesen Kern faschisti- 
scher Ideologie (...) zu bekämpfen, als 
auch deren Verkörperung in Form kon- 
kreter Faschisten/Männer - (S 8. in dieser 
Broschüre S. 80, Anm. d. Hg ). 

HÄTTEN SIE ES DOCH NUR! Auch 
diese These sehen wir durch keine Reali- 
tät bewiesen. Denn dieses Selbstschut- 
zintcrcssc fällt nicht vom Himmel, son- 
dern muß sich erkämpft werden. Grade in 
jüngster Zeit ist cs doch auffällig, wie 
viele deutsche Frauen sich für ihre mick- 
rigen Privilegien (die meistens oft eher 
idelle Werte sind) entscheiden, statt die 
Verhältnisse zu bekämpfen. 

Deswegen finden wir Eure Einteilung 
"Männer - Täter - Subjekte - Frauen - 
Opfer - Objekte - fatal. 

Zur Gefangenenfrage 

In der BRD gibt es seit 22 Jahren Kämp- 
fe der rev. Gefangenen. 

In den Mobilisierungen ging cs immer 
darum. Forderungen gegen den Staat 


durchzusetzen. Und natürlich wurde auch 
verhandelt. 

Ihr schreibt: "Die RAF erklärt den Staat 
/.um Verhandlungspartner und erkennt 
das Gewaltmonopol des Staates an." S. 3. 
in dieser Broschüre S. 77. Anm. d. Hg. 

Na und? War das 1977 anders? Der Staat 
ist ja nun einmal existent, und von sei- 
nem Gewaltmonopol aus/.ugehen, heißt 
ja noch lange nicht, ihn zu akzeptieren. 
Weiter schreibt Ihr: “In einer Situation 
der Schwäche der Linken - wie z.B. 
heute - führt der Weg raus nur über die 
Aufgabe der pol. Identität." (S. 3. in die- 
ser Broschüre S. 77. Anm. d. Hg.). 

Wir denken, daß jede Vcrbcssctung für 
die Gefangenen nur erkämpft werden 
kann Das ist für uns auch die interessan- 
te Frage: Wie stellen wir uns denn vor, 
ein Kräfteverhältnis aut'zubaucn. das die 
Freiheit der Gefangenen erkämpft? Eure 
Aussage finden wir fatalistisch, weil 
darin wir und die Gefangenen zum Ob- 
jekt gemacht werden. Günter Sonnenberg 
wurde entlassen, weil es • seit Jahren 
Kämpfe für seine Freilassung gab und 
nicht, weil er seine Identität aufgegeben 
hätte. 

Wir finden es richtig, die Gefangenen- 
frage von der Entscheidung der RAF zu 
trennen, bzw. halten wir die Verbindung 
"Rücknahme der Eskalation"; Auseinan- 
dersetzung um die Freiheit für falsch! 

Weil sie den Gcisclstatus der Gefangenen 
fortsetzt, ihre Freilassung mit der Frage 
des bewaffneten Kampfes verknüpft. 
(Was in der Erklärung vom April darin 
gipfelte, mit seiner Wiederaufnahme zu 
drohen, falls der Staat die Gefangenen 
nicht rausläßt.). 

Wir glauben, daß eben diese Verknüp- 
fung die Fragen und Widersprüche zur 
Entscheidung der RAF genährt haben. 
Zumindest ging es uns so. Auf der einen 
Seite sehen auch wir die Notwendigkeit 
einer Zäsur, wünschen wir uns eine Dis- 
kussion über Ncubcstimmung revolutio- 
närer Politik. Grade auch, weil wir als 
Feministinnen Strategie und Analyse der 
RAF kritisieren, könnte das Angebot zur 
Diskussion ja auch eine Möglichkeit 
sein, unsere Vorstellungen. Fragen und 
Ziele zu formulieren. Eine Debatte einzu- 
fortbrn. Wie seht Ihr das? 

So. wie die Erklärungen aber geschrieben 
waren, wurden auch wir den Verdacht 
nicht los, daß sic sich mehr an den Staat, 
als in die rev. Linke richten. Aber, wir 
wissen cs nicht. Stellt sich heraus, daß 
der Vorschlag zur Diskussion nur vorge- 
schoben ist. stimmen wir dem Begriff 
"konterrevolutionär" zu. 

Aber so eindeutig finden wir das noch 
nicht! 



84 




...jetzt hat uns Wcitcrstadl samt Erklä- 
rung ‘cingcholf. wir lassen den Text 
trotzdem so stehen, weil es uns nicht um 


^ tV die zeitung für die freiheit 


V ’ der politischen gefangenen 

ein fertiges Produkt, sondern um Ausein- 
andersetzung geht. 

Liebe Grlißc! 


1 & information über 129a - verfahren 


Q und andere politische prozesse 

l 1 



M abobaatallung -mind. 5 axempl. i -.50dm 
™ ainzalaxemplar -gigen 3. -dm ln briafmarkan 

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wd o dtwr Fcon au» de* O^pml 06 emcm-en. 


■ 



BijJier vorgesehene Themen 

Beyond Blade Runner 

Gespräch mit Mike Davis »her Gewalt. Sicherheit. Urbanität 

Vcm Punk zum Harcore und zurück 

Autoritäre Demokratie, neofaschistisch-parlamentarisches Regime? 

Fortsetzung der Debatte 

Feministische Intellektuelle 

Zwischen Kult und Kritik 

Algerien 

Politischer Islam und das Eule des alten Regimes 

Kill the darling 

... Ein Abgesang auf den politischen Dokumentarfilm 

Die Klassentheorie des Oparaismo 

als Orientierung für autonome Politik? 

Europa vorn 

Internierung und Vertreibung 
Strukturelle Gewalt gegen Behinderte 

Nation of Islam 

Ein US-amcnkanisches Metiienercignis 

Antisemitismus 

-Einfühlung« als Methode linker Geschichtsschreibung? 

Zwei rosa Pünktchen. Biste Positiv? 

Slam Poetrv von Paul S. Beatty 

White Sou!: Country-Music, Roots-Rock-Revival 

Negative Mißverständnisse in der europäischen Rezeption 


Edition ID-Archiv. Budr.ersand 
KnobelsdorffstraÜc 8 
14059 Berlin 


Hett > der Baue erscheint Anlang September 



V. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Männern 
und Frauen II: Zur kommunistischen Debatte über das 
Patriarchat 


"Wir lassen uns in Schcindcballcn über Mockcrvcrhallcn in der S/.cnc nicht mehr verwickeln, 

Kommunistische Brigaden, Beitrag zur Debatte... 

"Frauen, die das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern bekämpfen. Frauen, die der pairiarchalcn Norm 
(...) den Krieg erklären, Frauen, die die herrschenden Verhältnisse, die Herrschaft im wahren Sinne des Wortes 
radikal aufheben wollen, bedürfen nicht so sehr der männlichen Genossen, die sich Tür ihre Freunde halten, als 
der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind des Mannes zu werden." 

Ingrid Strobl, in: Metropolen(gedanken) & Revolution , 13- 25 (25) 

"(...)der Kampf gegen das Patriarchat (muß) immer in der Orientierung als Kampf gegen den Kapitalismus bestimmt 
werden." 

Kommunistische Brigaden, Beitrag zu Debatte... 

“Die Art und Weise, in der Kapital, Patriarchat und 'Rasse' die Ausbeutung und Unterdrückung (...) strukturieren, 
läßt es unmöglich und auch nicht wünschenswert erscheinen, einen vornehmlichen Grund von Unterdrückung 
auszusondern: (...).” 

Pratibha Parmar zit n. Klaus Viehmann u.a-, Drei zu eins 


1 . Stellungnahme der Kommunistischen Brigaden 

2. Stellungnahme der belgischen CCC-Gcfangcnen 

3. Kritik von Pro Kommunismus an diesen beiden Texten 



86 


Kommunistische Brigaden 

Patriarchatsdiskussion 

Prinzipiell muß gesehen werden, daß 
die Installierung patriarchaler Gesell- 
schaftsstrukluren ebensowenig wie jeg- 
liche anderen Instrumentarien des kapi- 
mÜNtischcn Systems einen Selbstzweck 
darstellt. Das Patriarchal als soziale 
Struktur unterschciJct sich vom Zeit- 
punkt der Einführung der kapitalisti- 
schen Produktionsweise an insofern 
vom vorherigen gesellschaftlichen Prin- 
zip. da cs mit klarer Bestimmung zu ei- 
nem funktionellen Integral im Produkti- 
ons-Reproduktionszyklus geworden ist. 
Es ist für eine revolutionäre Theorie, die 
Massenperspektive haben muß. von 
elementarer Bedeutung, bei der Behand- 
lung dieser Thematik eine grundsätzli- 
che Differenzierung vorzunchmen. da 
sich das Patriarchal als Integral der be- 
stehenden Hcrrschaftsstrukiurcn auf 
verschiedenen Ebenen auch unter- 
schiedlich darstellt: 

- Im ökonomischen Bezug besteht der 
funktionelle Wert des Patriarchats im 
Kapitalismus in der ökonomischen 
Zwängen unterworfenen Installierung 
der Frau als Reproduktionsstätte des 
Arbeiters mit dem sozialen Auftrag, 
seine Verwertbarkeit als Menschenma- 
terial für die Produktion von Mehrwert 
aufrecht zu erhalten und zu reproduzie- 
ren. Sie dient als unbezahlte Reproduk- 
tionsarbeitcrin und darüber hinaus als 
Gebärmaschine. 

Im politischen Bezug ist die Funktion, 
neben der Schaffung eines Kanals zur 
Umsetzung der sozialen Deklassierung 
des Arbeiters, vor allem darin zu sehen, 
durch die Schaffung unterschiedlicher 

Ränge" in der beherrschten Klasse eine 
Spaltung und Umoricnlicrung auf die 
Existenz dieser "Range" innerhalb des 
revolutionären Subjekts, und somit eine 
Schwächung des Kkissenkampfes zu er- 
zielen - also der Einheit in der Orientie- 
ning präventiv durch künstlich geschaf- 
fene Strukturen, die diese Umorientic- 
rung erzwingen, entgegenzuwirken. 

- Eine andere Ebene bildet das histo- 
risch-strukturell verankerte und beding- 
te sexistische Gcwaltverhältnis zwi- 
schen den Geschlechtern, das einen ei- 
genständigen gesellschaftlichen Wider- 
spruch darstcllt. Dieser ist nicht kapita- 
lismusspezifisch, laßt sich im Kapita- 
lismus aber auch nicht auflöscn. da cs 
keinen gesellschaftlichen Ansatz gibt, 
um einen Kampf gegen diesen Wider- 
spruch zu bestimmen. (Wir negieren na- 
türlich nicht die Notwendigkeit, diese 
Frage im persönlichen Alltag aufzugrei- 
fen. darauf gehen wir am Endes des 
Kapitels noch ein. Hier aber geht cs uns 


um den gesamtgesellschaftlichen Zu- 
sammenhang, in dem ein entsprechen- 
der Appell prnxisfem und illusionistisch 
ist und keine gesellschaftliche Perspek- 
tive hat.). 

Für die Zusammenftlhrung des antipa- 
triarchalen und des antikapitalistischen 
Kampfes ist primär der politisch-öko- 
nomische Bezug von Bedeutung, um 
die Gesamtheit dci Bedingungen des 
Klassenkampfes richtig umzusetzen und 
die Positionen dann zu lokalisieren. 
Leider läßt sich eine Diskussion am 
Aspekt des funktionellen Wertes patri- 
archaler Gesellschaftsstrukturcn mit 
dem Ziel, klare Kriterien zur Integration 
des antipatriarchalen Kampfes in den 
antikapitalistischen Kampf seit dem 
Kursieren der "Patriarchatsdiskussion" 
in Szenestrukturen nur sehr begrenzt 
feststellen. Auch hier dominiert der 
Mißstand, daß über den Tellerrand der 
Szene In der Regel nicht hinausgeblickt 
wird, daß nicht die soziale Realität im 
Kapitalismus bzw. der Klassenkampf 
als Bezugspunkt und Ausgangspunkt 
dient, sondern lediglich die eigene Sze- 
neidentität. Der antipatriarchale Kampf 
wird zum Kampf gegen das Instrumen- 
tarium verfälscht, das der Installierung 
patriarchaler Gesellschaftsstrukturen 
und der Konditionierung, dem Schaffen 
einer Basis für unreflektierte Akzeptanz 
des Patriarchats beim Arbeiter dient; der 
Kampf wird kanalisiert in Scheinkämp- 
fe reformistischer Art gegen Pornogra- 
phie etc. Wenn es richtig ist zu sagen, 
daß das Patriarchat im Kapitalismus 
primär als Funktion zu sehen ist, 
kann es aber keinen wirklich antipa- 
triarchalcn Kampf per se, geschweige 
denn gegen das dem Patriarchat als 
Basis dienende Instrumentarium ge- 
ben, sondern muß der Kampf gegen 
das Patriarchat immer in der Orien- 
tierung als Kampf gegen den Kapita- 
lismus bestimmt werden. Zu diesem 
Zwecke ist nur die Orientierung am 
politisch-ökonomischen Bezug sinn- 
voll. Interessant erscheint in diesem Zu- 
sammenhang das scheinbar über Knast- 
korrespondenz zustandegekommene 
Papier "Drei zu Eins - Klasscnwider- 
spruch, Rassismus und Sexismus" (vgl. 
Interim Nr. 120 vom 25.12.90, S. IS 
23). in dem versucht wird, die Existenz 
einer "triplc Oprcssion“ analytisch zu 
belegen. Jedoch schweigen sich die 
Verfasserinnen über den elementaren 
Aspekt aus. nämlich welche Basis die- 
ses scheinanalytische Gebilde als 
Grundlage für die Orientierung und die 
Bestimmung eines revolutionären 
Kampfes bietet. Die konsequente Wei- 
terführung gemäß dieser Analyse würde 
bedeuten, im Kampf gegen die gegen- 
wärtigen Herrschafts- und Ausbeu- 


tungsstrukturen drei Feinde zu entlar- 
ven: 

- den Kapitalismus/Imperialismus 

- den Mann im Kapitalismus 

- den Rassisten im Kapitalismus. 

Die letzten beiden Kämpfe werden (von 
der offensichtlichen Absurdität abgese- 
hen. wie am Anfang erläutert) aber eben 
nur in der Differenzierung nach ihrem 
funktionellen, installierten Charakter 
und ihrer historischen Komponente, und 
nur durch die alleinige Orientierung am 
funktionellen Charakter bestimmbar. 
Rassismus ist eben nicht in erster Linie 
ein historisches oder genetisches Pro- 
blem. sondern eine notwendige Institu- 
tion im sozialen und ökonomischen Ge- 
fligc des kapitalistischen Systems, und 
die Denunziation des Mannes als sexi- 
stischen Unterdrücker leitet für sich die 
Notwendigkeit eines revolutionären, an- 
tikapitalistischen Umstur7.es nicht ab. 
Eine anderweitige Bestimmung des 
Kampfes gegen Rassismus und Patriar- 
chat als orientiert am funktionellen 
Charakter ist nicht möglich und öffnet 
höchstenfalls eine reformistische Per- 
spektive. Der Mann hat zwar historisch 
eine eigenständige Rolle als Unterdrük- 
ker inne, ein "Kampf' gegen den Mann 
im Kapitalismus ist aber substanzlos 
und nicht bestimmbar, und wird der 
spalterischen Zielsetzung der Installie- 
rung patriarchaler Gcscllschaftsstiuktu- 
ren gerecht. Es erfordert also nicht, wie 
eine Schlußfolgerung der Verfasserin- 
nen lautet, eine starke eigenständige an- 
tipatriarchale und antirassistischc Orien- 
tierung (Organisierung), um die Situa- 
tion, die aus der sozialen Deklassienmg 
der Arbeiter entsteht (Tritt nach unten), 
anzugreifen und zu kanalisieren, da 
diese Kämpfe für sich wie gesagt nicht 
revolutionär bestimmbar sind, keine 
Ansätze zur Entwicklung einer eigen- 
ständigen Massenbewegung bieten. 
Wenn diese Kämpfe nicht eingebunden 
in einer antikapitalistischen Orientie- 
rung stattlmdcn, so haben sic als eigen- 
ständige Projekte nur den Charakter iso- 
lierter Teilbereichskimpfe, die wie an- 
dernorts benannt, nicht die Möglichkeit 
zum Erreichen einer Massenperspektive 
eröffnen und nur reformistisch wirken 
können. Es erfordert eine einheitliche 
antikapitalistische Orientierung, in die 
antipatriarchale und antirassistischc Po- 
litik integriert sind. 

Gemessen am politisch-ökonomischen 
Bezug stellt das Patriarchat im Kapi- 
talismus einen Ncbenwidcrpruch dar, 
da das Patriarchal wie benannt mit- 
nichten Selbstzweck ist, sondern in 
seiner Funktion vor allem eine Vor- 
aussetzung zur Gewährleistung der 
Akkumulation von Mehrwert ist 



87 


Im übrigen zeichnet sich in diesem 
Punkt eine scheinbare Reformierbarkeit 
des Kapitalismus ab. - das soll heißen, 
daß sich der Kapitalismus in den Me- 
tropolen gegenwärtig so gestalten ließe, 
daß das Patriarchat als gesellschaftli- 
cher Widerspruch nicht mehr als syste- 
mimmanent in Erscheinung treten 
würde. Das heißt natürlich nicht, daß 
das historische Gewaltverhültnis zwi- 
schen den Geschlechtern verschwindet, 
sondern heißt: die Mechanismen und 
Widersprüche, die das Patriarchat mit 
sich bringt, treten nicht mehr als Inte- 
gral des kapitalistischen Systems auf,, 
die offenkundige Existenz und Auswir- 
kung des Patriarchats im politisch-öko- 
nomischen Bezug werden durch Refor- 
men auf sozialer, ökonomischer, juristi- 
scher etc. Ebene verdeckt. Dies resul- 
tiert vorrangig aus dem ominösen sozi- 
aldemokratisch-behafteten Begriff der 
Gleichberechtigung der Frau und den 
damit verbundenen Inhalten heraus, der 
jede antikapitalistischc Tendenz effektiv 
ausklammcrt, und sich gegenwärtig als 
gesellschaftlich realisierbar darstellt. 
Durch die damit verbundene Kampa- 
gne gegen Erscheinungsformen und 
Instrumentarien des Patriarchats, al- 
so die Umorientierung und Kanalisie- 
rung eines antikapitalistischen 
Kampfes gegen das Patriarchat, ist 
dem Staat als Instrumentarium des 
Kapitalismus das Rüstzeug gegeben, 
diesen reformistischen Forderungen 
nachzukommen, und den Kapitalis- 
mus damit in diesem Punkt scheinbar 
zu reformieren, was zweckmäßig er- 
scheint, da diese Kosmetik als Effekt 
die Isolierung und Schwächung eines 
radikalen antikapitalbtischcn Kamp- 
fes gegen das Patriarchat zur Folge 
hat 

Um dies noch einmal deutlich zu sagen, 
die Nichteinbezietng des Hauptaspek- 
tes der funktionellen Bedeutung des Pa- 
triarchats als analytische Basis und Ori- 
entienmgspunkt für die Bestimmung 
des Kampfes gegen das Patriarchat 
nährt die spalterische Zielsetzung der 
Installierung patriarchaler Gcscll- 
schaftsstrukturen; die Übernahme re- 
formistischer Scheinprogramme (Kampf 
gegen Instrumentarien wie Pornogra- 
phie, Kampf für soziale Gleichberechti- 
gung) in die eigenen Inhalte ermöglicht 
die Schwächung des antikapitalistischcn 
Kampfes und stärkt die Konterrevoluti- 
on! Der Kampf gegen das Patriarchat 
muß international und klassenbezo- 
gen bestimmt und als Kampf gegen 
Kapitalismus/Imperialismus gerührt 
werden. Im antiimperialistischen Kon- 
text muß gesehen werden, daß die Dik- 
tion patriarchale Gesellschaftsstrukturen 
als Expoitgut cer imperialistischen 


Staaten in die Länder des Trikonts unter 
ökonomischen Aspekten an Bedeutung 
verloren hat. Erhallen bleibt die politi- 
sche Komponente der präventiven Kon- 
terrevolution via Bevölkeomgspolitik 
nach dem Motto, 'es ist billiger, den 
Gucrillcro im Uterus zu töten, als ihn in 
den Bergen zu erschießen." 

Wir lassen uns in Scheindebatten über 
Mackerverhalten In der Szene mein 
mehr verwickeln, «eil das nicht die Pa- 
triarchatsdiskussion, ja nicht einmal Be- 
standteil davon ist. Es ist klar, daß Wi- 
dersprüche zwischen Frauen und Män- 
nern angegangen werden müssen. In- 
ncrstmkturelle Restaurationsarbeiten 
belangen uns nicht länger! Uns geht es 
um die Diskussion Uber die genannte 
politische Dimension, um die Schaffung 
revolutionärer inhaltlicher Substanz und 
die Bestimmung einer revolutionären 
Theorie auf der Basis der gcsamthcitli- 
chen Analyse der Bedingungen. Lauft 
es anders herum, so verkommt diese 
Diskussion um inrerstrukturclle Ange- 
legenheiten, ohne daß die Existenz der 
Strukturen eine inhaltliche Bestimmung 
hat. zu reinem Selbstzweck und macht 
so oft deutlich. daG es auch nur um die 
Szene an sich geht, also um einen 
selbstgefälligen Club, und nicht um ei- 
ne revolutionäre Bewegung! 


Bertrand Sassoye / Pierre Carelle / 
Pascale Vandegeerde / Didier Chevo- 
lei 

AN DIE MILITANTEN 
DER 

'INTERNATIONALEN 

INFOLÄDEN" 

(Antwort auf den offenen Brief vom 
Sommer 1990) 

AN ALLE GENOSSINNEN UND 
GENOSSEN 

Oktober 1991 


EINLEITUNG 

A. Zur Erinnerung: der Ursprung der 
Debatte 

Im Oktober 1988 ist eine kleine Bro- 
schüre mit dem Titel "Frontline Info / 
Neues von Frontline", (*) verteilt wor- 
den, in der verschiedene Dokumente 
und Kommuniques (in französischer 
Übersetzung oder in englischer Ver- 
sion) zusammengestellt waren. Sie 
stammte von der Buchhandlung 
'Slagerzicht". vom "Internationalen In- 
formationszentrum Frontline’, von der 
"Stedelijk Overleg Amsterdam" und 
von der "Revolutionär Initicf Amster- 
dam’. Auf diese Weise beabsichtigten 
die Autorinnen, die Elemente der In- 
formation und Analyse bezüglich der 
damaligen schweren Krise zwischen 
den militanten Kräften der Niederlande 
auf die internationale Ebene zu bringen. 
Sie haben damit versucht, eine Verurtei- 
lung der ihnen entgegengesetzten Ten- 
denz zu veranlassen, hauptsächlich ge- 
gen "Politieke Vleugel van de Kraak- 
beweging” und gegenüber der Zeitung 
"Knipselkrant” - zu deren Boykott sie 
übrigens aufriefen. 

Durch diese Veröffentlichung und die 
darin genannten Zusammenhänge und 
Schlußfolgerungen entschieden wir uns, 
an der Debatte teilzunehmen, und dies 
umso gewissenhafter, da uns außerdem 
die Militanten von "Knipselkrant" und 
vom "Politieke Vleugel van de Kraak- 
beweging" direkt dazu aufgefordert ha- 
ben. Im Juli 1989 haben wir mit ande- 
ren Genossinnen ein Dokument mit 
dem Titel "Betreffend die aktuelle Krise 
zwischen den revolutionären kämpferi- 
schen Kräften in den Niederlanden'^") 
veröffentlicht. Wir denken, daß die 
Kenntnis der Broschüre "Frontline Info" 
vom Oktober/November 1988 und un- 
seres eigenen Beitrags vom Juli 1989 
für ein gutes Verständnis der Debatte, 
wie sie sich zu Beginn darstclltc. nütz- 
lich ist. 



88 


B. Die Entwicklung der Debatte 
Unser Dokument vom Juli 1989 hat 
verschiedene Reaktionen hervorgerufen. 
Im September des gleichen Jahres hat 
der “Politieke Vleugel van de Kraakbe- 
weging” einen offenen Brief mit dem 
Titel 'De krisis binnen de links raifikale 
buitenparlementaire beweging in Neder- 
land’(*) an uns gerichtet. Der "P.V.K" 

stellte darin seine Analyse der Krise, ih- 
res Ursprungs, ihrer Entwicklungen und 
Perspektiven, dci sich gcgcnübcrstc- 
henden Parteien etc. dar. Er präsentierte 
auch die Geschichte und die Rolle der 
Hausbesetzerbewegung in den Nieder- 
landen. Wir finden hier die Gelegenheit, 
den Genossinnen des “Politieke Vleugel 
van de Kraakbcweging" für ihr Mitwir- 
ken zu danken. 

Im Juli 1990 erhielten wir eine impo- 
sante Broschüre in deutscher Sprache 
mit dem Titel "Dokumentation der Dis- 
kussion um den Boykott der Knipsel- 
krant”. herausgegeben von den 
"Internationalen Infolädcn"(*). Unter 
den Dokumenten dieser Publikation war 
im Namen eines "Teils der internationa- 
len Struktur der Infoshops 1 ' ein offener 
Brief an uns gerichtet. 

Ein Aspekt dieses Briefes ist der Mühe 
wert, hervorgehoten zu werden, denn 
wir finden hier die Gelegenheit, an ei- 
nen wichtigen Punkt unserer eigenen 
Position in der anfänglichen Debatte zu 
erinnern. In bezug auf die Krise zwi- 
schen den militanten Kräften in den 
Niederlanden haben wir von Anfang an 
die Grenzen und das Wesen unserer In- 
tervention festgelegt. Unser konkretes 
Außenvorbleiben vor der niederländi- 
schen Bühne (und dazu die Inhaftierung 
einiger von uns) löste unsere Autorität 
in nichts auf und räumte uns nur eine 
politische Verantwortung ein. Übrigens 
hat sich in diesem Zusammenhang un- 
ser Beitrag vom Juli 1989 streng auf 
theoretischem Terrain gehalten und ne- 
ben der Fragestellung nur auf den poli- 
tischen Ratschlag oder die politische 
Kritik gestützt, in deren Abschluß wir 
den Boykott von ’Knipsclkrant" verur- 
teilen. 

Die Genossinnen der "Infoläden - schei- 
nen, zumindest in dem an uns gerichte- 
ten Brief, die gleiche Zurückhaltung an 
den Tag zu legen. Dieser Text erwähnt 
nur kurz die Ereignisse in Amsterdam 
und bestätigt, daß cs vor allem den di- 
rekt betroffenen Parteien zukommt, 
Stellung zu beziehen. Das Wesentliche 
dieses offenen Briefes besteht also aus 
einer Reihe von Reflexionen, Fragestel- 
lungen, Aufforderungen, auf die wir 
antworten möchten, aber auch aus Be- 
hauptungen, die wir gänzlich ablchncn. 
Einerseits ist dies die Eröffnung einer 


Debatte, von der wir uns wünschen, daß 
sie sich auf politischem Gebiet entwik- 
kclt und qualifiziert, andererseits aber 

eine Art Streit, den wir unbegründet 
finden. Wir hoffen, daß sich die Debatte 
in Zukunft streng auf die Fragen des 
theoretisch-politischen Interesses für 
den Fortschritt der revolutionären Be- 
wegung beschränkt. In dieser Bezie- 
hung behalten wir volles Vertrauen und 

danken an dieser Stelle den Genossin- 
nen der "Infolädcn" für ihren Brief. 
Nachdem die Beiträge, die bis heute im 
Verlauf der Debatte erstellt wurden, an- 
geführt worden sind, drängt es sich auf, 
die Abwesenden zu einer Stellung- 
nahme aufzufordem... mit Ernsthaftig- 
keit. aber genauso mit Vorsicht. Wir 
können nicht akzeptieren, daß zwei zen- 
trale Teilnehmer der Anfangsdebatte, 
nämlich die "Revolutionär Initiaticf 
Amsterdam" und "Knipselkrant", cs bis 
zum heutigen Tage nicht für nötig ge- 
halten haben, sich zu äußern. Wir sind 
der Ansicht, daß ein solcher Rücktritt, 
wenn er sich bestätigt und als unge- 
rechtfertigt erweist, die Betroffenen 
sehr stark in Mißkredit bringt. Aber wir 
haben gesagt, daß wir vorsichtig sein 
möchten. Zu der Zeit, als wir dieses 
Dokument fertigstellten, entdeckten wir 
zum Beispiel eine Broschüre in deut- 
scher Sprache mit dem Titel "Beitrag 
für die Debatte... Mai '91". unterschrie- 
ben mit "Kommunistische Brigadcn"(*), 
die besonders die Begriffe der Diskus- 
sion, die uns beschiftigt, zu berücksich- 
tigen scheint und sich ihren politischen 
Thesen zuwendet. In der Erwartung, 
mehr darüber zu erfahren und unter an- 
derem diesen neuen Beitrag cinordncn 
zu können, begnügen wir uns damit, je- 
den an seine politische Verantwortung 
zu erinnern, in der Hoffnung, daß dies 
von allen geachtet wird. 

C. Die Fortsetzung der Debatte 
Mit unserer Intervention vom Juli 1989 
waren drei Kollektive aus unserem 
Land, "Gasse contre classc", die Zeit- 
schrift "Correspondances Rcvolution- 
naires" und die vier militanten Gefan- 
genen der Kämpfenden Kommunisti- 
schen Zellen (CCC). beschäftigt. Sie 
brachte folglich die jedem Kollektiv ei- 
gene militante Vorgehensweise zum 
Ausdruck. Der hier vorliegende Text 
unterscheidet sich von den vorherge- 
henden insofern, als er ausschließlich 
von den Gefangenen verfaßt wurde. 
Warum? Was "Classc contre classe" be- 
trifft. so hat sich diese Struktur Ende 
1989 selbst aufgelöst. Was die Zeit- 
schrift "Correspondances Revolution- 
naires" betrifft, so macht sie eine Peri- 
ode der internen Reflexion bzw. Neude- 
finition durch, deren Ergebnis Vorrang 


vor allen kollektiven öffentlichen Stel- 
lungnahmen hat. 

Die vorliegende Antwort auf den offe- 
nen Brief der Miliiantcn der "Infolädcn" 

stammt ausschließlich von den Gefan- 
genen; sie drängt noch mehr darauf, die 
Debatte streng auf den theoretisch-poli- 
tischen Bereich zu beschränken. Wir 
streiten nicht ab. daß dies eine genau 
vorgegebene Grenze ist, was manche 
unter Umständen beklagen werden. Un- 
sererseits aber glauben wir. daß man 
auch sagen kann: die Debatte auf die 
theoretisch-politische Ebene erheben. 
Uns scheint, daß be: einer Erklärung der 
zahlreichen aktuellen Sackgassen sub- 
jektive Orientierungen und Verhaltens- 
weisen vorherrschen über die wissen- 
schaftliche Analyse und die revolutio- 
näre Moral. Wir hoffen, daß der vor ei- 
niger Zeit begonnene Austausch sich 
auf internationaler Ebene vergrößern 
und verbessern wird. In dem Willen, ein 
ganz klein wenig diesem Fortschritt zu 
dienen, präsentieren wir diese Arbeit. 
Für die Verspätung entschuldigen wir 
uns. 

D. Vorstellung 

Unsere Antwort besteht aus zwei Tei- 
len. Der erste, unserer Meinung nach 
der wesentliche Teil, behandelt politi- 
sche Probleme von Bedeutung. Wie wir 
glauben, sind diese für die militante 
Bewegung in Deutschland oder in den 
Niederlanden besonders bedeutungs- 
voll. Dieser erste Teil besteht aus zwei 
Texten: 

- EIN BISSCHEN ÜBER POLITIK 

- ANTWORT AUF ZWEI PRÄZISE 
FRAGEN. 

Wie stellt ihr euch den Kampf gegen 
das Patriarchat vor? Welche Bedeutung 
hat dieser Kampf für euch? 

Der zweite Teil, der zwar nebensäch- 
lich, unserer Meinung nach aber not- 
wendig ist, liefert einige zusätzliche 
Präzisierungen zu unserem Dokument 
vom Juli 1989, ebenso wie er mit den 
Behauptungen der Militanten der 
"Infoläden'' aufräumt. Die Texte des 
zweiten Teils tragen die Titel: 

-"Falsche Zitate"?! 

- Verrat, Konfrontation und Gewalt 

- Die "Ätzerinnen" (sic) 

- Das Dokument der "Revolutionär In- 
itiatief Amsterdam” 

Die Dokumente, auf die in den Texten 
des zweiten Teils Bezug genommen 
wird, werden im Nachtrag in Form von 
Photokopien präsentiert. 

Muß darauf hingewiesen werden, daß 
wir Reaktionen nur auf die beiden Texte 
des ersten Teils erwarten? Was uns be- 
trifft, so betrachten wir den zweiten Teil 
als endgültig abgeschlossen. 



89 


Alle Dokumente mit Sternchen können 
bestellt werden bei: 

“CORRF.SPONDANCES RFVOLU- 
TIONN AIRES” 

BP 1310, 1000 BRUXELLES 1. BEL- 
GIQUE 

ERSTER TEIL 

EIN BISSCHEN ÜBER POLITIK 

"Wie soll man die Wahrheil über 
den Faschismus sagen, als des - 
sen Gegner man sich bezeichnet, 
wenn man nichts über den Kapi- 
talismus sagen will, der ihn er-, 
zeugt? 

Wie könnte eine solche Wahrheit 
ein praktisches Vermögen ha- 
ben?" 

BERTOLT BRECHT 

In unserem Dokument vom Juli 1989 
bestand das Wesentliche der Kritik am 
Aufnjf zum Boykott von 
“ Knipselkrant " in zwei Punkten. Er- 
stens: Wir wiesen darauf hin. wie sehr 
Sich die Anklageschrift als von Arglist 
aufgeblasen herausstellte. Zweitens: 
Wir beklagten die systematisch unpoliti- 
sche Haltung der Äußerungen, die die 
Denunziation von "KK" unterstützten, 
und dies um so mehr, als der Grund und 
der Einsatz der offenen Krise in aller 
Offensichtlichkeit höchstgradig poli- 
tisch waren. 

Folglich bedauern wir. feststcllcn zu 
müssen, daß sich auch der offene Brief 
der Genossinnen der ” Infoläden " durch 
eine Tendenz zur Festsetzung sehr rela- 
tiver Intcrcsscnpunktc charakterisiert, 
bei Vernachlässigung - bewußt oder 
nicht - der politischen Substanz und der 

politischen Möglichkeiten. 

Wir hofften, Gesprächspartner auf ei- 
nem vornehmlich politischen Terrain zu 
treffen, aber es wäre unbegründet, für 
unsere Enttäuschung ausschließlich die 
Militanten der “Infoläden" verantwort- 
lich zu machen. Wir sagten bereits, daß 
die "Debatte" in ihrem Ursprung unge- 
sunde Merkmale barg. Und in unserem 
Beitrag vom Juli 1989 waren wir ge- 
zwungen, Punkte zu untersuchen, die 
quasi gänzlich ohne reelles Interesse 
waren (um so mehr in der Form, wie die 
"R.I.A." diese ausgewertet hat). Aber 
wir versuchten gleichzeitig, diesen 
Stand der Dinge zu verändern, um dem 
Meinungsaustausch eine neue gesunde 
und konstruktive Orientierung zu ge- 
ben: eine politische, im wahren Sinne 
des Wortes. Die Militanten der 
"Infoläden" scheinen die Dringlichkeit 
unserer Sorge nicht zu teilen: ihr offener 
Brief kümmert sich nicht mehr um Fra- 
gen. die für die europäische revolutio- 
näre Bewegung und ihre Zukunft le- 


benswichtig sind, er erörtert allzu oft 
nur die Randpunkte ihrer entscheiden- 
den Interessen. 

Doch wir wollen unsere Kritik dort, wo 
sic persönlich wird, noch einmal relati- 
vieren. Denn es scheint uns. daß die 
Haltung und die Vorstellungen, von de- 
nen der erhaltene Brief zeugt, in einer 
großen Fraktion der revolutionären Be- 
wegung in Deutschland oder in den 
Niederlanden sehr weit verbreitet sind. 
In dieser Hinsicht hat uns die Erfahrung 
immer wieder gezeigt, daß die Neigung 
besteht, den Hauptfragen, die von der 
historischen Theorie abhängen, sorgfäl- 
tig ausziiweichen; Fragen, deren korrek- 
te Resolution (d.h.: Lösung. Anm. d. 
Hg.) den gesetzmäßigen Weg der sozia- 
listischen Revolution beschreibt. 

Das sehr häufige Fehlen von Reflexio- 
nen, bezüglich der Perspektiven der re- 
volutionären Aktivität - selbst im Her- 
zen der Bewegung, die diese tür sich 
beansprucht - kann uns ärgern, über- 
rascht uns jedoch nicht. 

Damit sich solche Reflexionen in zen- 
traler und unmittelbarer Art und Weise 
durchsetzen, muß öer objektive Nutzen 
des revolutionären Prozesses als grund- 
legend angesehen werden. Ein solch 
vorrangiges Interesse mag einem revo- 
lutionären Militanten nur natürlich er- 
scheinen; in Wirklichkeit ist dieser Zu- 
sammenhang jedoch viel seltener, als 
man glauben könnte. Dieser 
beträchtliche Mangel stammt vom äu- 
ßerst schädlichen Einfluß des Subjekti- 
vismus. 

Eine wichtige Demonstration von Sub- 
jektivismus besteht - genau gesagt - 
darin, die politischen, ideologischen, 
strategischen und taktischen Entschei- 
dungen von der revolutionären Sache 
abhängig zu machen: nicht von der wis- 
senschaftlichen Analyse der Realität, 
sondern von der Geistesverfassung der 
Militanten. Das heißt diese Entschei- 
dungen nicht von einer globalen Refle- 
xion abhängig zu machen, sondern von 
dem, was eine besondere Situation oder 
Erfahrung zu sein scheint. 

Thesen wie "Selbstbestimmung der 
Kampfpole". Optionen wie 
"antiimperialistische Front" sind nichts 
anderes als die Übertragung spezifi- 
scher Eigenschaften des Subjektivis- 
mus. die eng verbunden sind mit dem 
kleinbürgerlichen Individualismus, auf 
eine - formell und in Anspruch genom- 
mene - grüppchenbafte Stufe. Von dem 
Moment an. wo sich jeder gemäß seinen 
eigenen Beziehungen, ausgehend von 
seinen eigenen Erfahrungen, bestimmt, 
wo jeder nur mit dem Teil der Erfah- 
rung anderer übcrcinstimmt, der wie- 
derum auf die eigene Erfahrung paßt, 
erweist sich eine authentische Maß- 


nahme der Synthese - also der Vereini- 
gung und der Organisation - als unmög- 
lich. 

Auf diese Weise kann die revolutionäre 
Bewegung die nebulöse Form eines 
vielseitigen Bindemittels von stark un- 
terschiedlichen "Polen" annehmen, die 
aus einer großen Mannigfaltigkeit so- 
zialer Kategorien stammen, ihre jeweili- 
gen Wege verfolgen (welche bei Gele- 
genheit durchaus Ubereinstimmen kön- 
nen). stark mit ihren spezifischen Pro- 
blemen beschäftigt sind und so eine 
Unzahl von Prioritäten etablieren. Eini- 
ge werden sich aul das Problem des 
Sexismus polarisieren, andere auf die 
Solidarität mit irgendeinem Volk im 
Kampf, andere auf den Antirassismus, 
andere auf den Antimilitarismus, andere 
auf die Wohnungsfrage, die Hausbeset- 
zer. andere auf den antifaschistischen 
Kampf, wieder andere auf die Unter- 
stützung politischer Gerangener, und 
die Liste ist endlos, innerhalb eines sol- 
chen Mosaiks können Brücken geschla- 
gen werden, Verbindungen und Koope- 
rationen sich etablieren, jedoch wird 
dies niemals verhindern, daß Heteroge- 
nität und Zersplitterung strukturell vor- 
handen sind. Die Unfähigkeit, sich ein- 
zubringen, sich in ein globales, syntheti- 
sches und zusammenhängendes Projekt 
zu integrieren und sich in einer zentra- 
len. vereinigten Kraft zu organisieren, 
verurteilt folglich die revolutionäre mi- 
litante 

Bewegung dazu, in revolutionärer Hin- 
sicht nichts zu haben, als den Traum, 
den Anspruch oder, schlimmer, den sich 
widerrechtlich angeeigneten Titel. 

DER SUBJEKTIVISMUS SPIELT EI- 
NE ROLLE IM VORDERGRUND 
DER ENTARTUNG VON KRÄFTEN. 
DIE POTENTIELL REVOLUTIONÄR 
ODER SOGAR REVOLUTIONÄR AN 
ALTERNATIVEN KRÄFTEN SIND, da- 
zu verurteilt, ewig am Rande des System 
zu vegetieren, das zu bekämpfen sie 
vorgeben (vorgaben). 

Daß die Frage des Sexismus die Genos- 
sinnen. die direkt mit ihm konfrontiert 
sind, sehr stark beschäftigt, ist normal, 
genauso wie ein immigrierter Genosse 
in der Frage des Rassismus besonders 
wachsam sei» wird. Oder mehr nucli, 
daß die einer dramatischen ökonomi- 
schen Unsicherheit unterworfenen Ge- 
nossinnen persönlich gegen die Un- 
gleichheiten. die Verschwendung und 
die Spekulation revoltieren werden. 
Und wir könnten noch hundert ebenso 
unleugbare Fälle aufzählen. Denn wir 
beabsichtigen bestimmt nicht, bis zu 
welchem Grad auch immer, die Legiti- 
mität des Kampfes gegen den Sexismus, 
den Rassismus, die Degradierung der 
Lebensbedingungen etc. in Abrede zu 



stellen: so wie es auch nicht darum 
geht, eine Hierarchie von mehr oder we- 
niger widerwärtigen Phänomenen zu er- 
stellen und diese stufenweise anzugrci- 
fen. 

Wovon zumindest von einem revolutio- 
nären Standpunkt aus die Rede ist, ist, 
alle unsere Kräfte zusammenzunehmen, 
um eine starke Kriegsmaschine gegen 
das kapitalistische System (und all seine 
sozialen Äußerungen, wie Rassismus, 
Sexismus etc.) aufzubaucn, die homo- 
gen und zusammenhängend ist; eine 
Kriegsmaschine, die ihre Anstrengun- 
gen auf Punkte konzentriert, an denen 
das System verwundbar ist, an denen 
der revolutionäre Hebel es am sicher- 
sten und schnellsten ins Wanken brin- 
gen kann (und nicht dort, wo dieses Sy- 
stem für diesen oder jenen Genossen 
am widerlichsten ist). 

Wir lesen in dem offenen Brief der Ge- 
nossinnen der " Infoläden", daß als 
Antwort auf eine angeblich vom 
" P.V.K ." gemachte Äußerung - "Erst die 
Revolution, dann die Frauen “ - der 
Aufruf zum Doykott der 
"Knipselkrant", ausgehend von 
Deutschland, folgenden Abschnitt ent- 
hielt: “Ein revolutionärer Kampf kann 
nur antiimperialistisch und antipatriar- 
chal sein. Es gilt im Kampf um Selbst- 
bestimmung und Kollektivität gegen 
Unterdrückung und Ausbeutung in allen 
Punkten zu kumpfen und sich selbst 
darin zu verändern, sich selbst ah Sub- 
jekt. Nicht einen Bereich auf später 
oder irgendwann zu verschieben Ent- 
weder wir packen es an und kämpfen 
gegen Unterdrückung und Ausbeutung, 
oder wir bleiben Unterdrücker, Ausbeu- 
ter. Schwein. Um die HERRschaft des 
Menschen über den Menschen zu been- 
den. ist es notwendig, den antipatriar- 
chalen Kampf zu führen. Ein Kampf, 
der nicht antipatriarchal ist. ist KEIN 
revolutionärer Kampf. " Ja, ein Kampf, 
der nicht antipatriarchalisch ist, ist kein 
revolutionärer Kampf. Und ein Kampf, 
der nicht antirassistisch ist. ist kein re- 
volutionärer Kampf. Und ein Kampf, 
der nicht antifaschistisch ist, ist kein re- 
volutionärer Kampf. Und ein Kampf, 
der nicht das Ökosystem verteidigt, ist 
kein revolutionärer Kampf. Und ein 
Kampf, der nicht solidarisch mit ande- 
ren Völkern im Kampf ist, ist kein revo- 
lutionärer Kampf. Etc. etc. etc. 

Die Formulierung, mit der der oben zi- 
tierte Abschnitt schließt, ist schön und 
legitim, aber sie birgt nicht das gering- 
ste praktische Element einer Antwort 
auf die Frage nach dem revolutionären 
Kampf heute in Europa. Was tun? Dort 
liegt die wahre Frage. Die subjcktivisti- 
sche Konzeption der Welt ist absolut 
unfähig, dieser Frage auch nur einen 


Deut an Lösung zu geben: bestenfalls 
erzeugt sie nur eine illusorische und ste- 
reotype Einstimmigkeit (wir sind alle 
gegen Sexismus, Rassismus, Militaris- 
mus etc.), in keinem Fall aber erlaubt 
sic der revolutionären Aktivität, sich in 
rationeller Art und Weise zu orientie- 
ren. Die Marxisten-Leninisten ihrerseits 
sind der Ansicht, daß das Problem auf 
zwei Ebenen untersucht werden muß. 
Da ist einerseits das interne Problem in- 
nerhalb der revolutionären Bewegung 
und andererseits das Problem der Ver- 
hältnisse zwischen revolutionärer Be- 
wegung und dem Rest der Gesellschaft. 
Es scheint uns richtig und notwendig, 
daß innerhalb der revolutionären Bewe- 
gung größte ideologische Strenge 
herrscht, und daß man dort keine sexi- 
stische, rassistische, individualistische 
ctc. Äußerung toleriert. Hier müssen die 

Militanten auf genaueste Art und Weise 
den sozialen Verhältnissen der Gesell- 
schaft, die sie zu konstruieren beabsich- 
tigen, vorgreifen. Aber man darf dabei 
nicht aus den Augen verlieren, daß es 
Aufgabe der revolutionären Bewegung 
ist, die Revolution zu machen, daß die 
Revolution die gesamte proletarische 
Klasse betrifft und daß in der Bezie- 
hung zwischen revolutionärer Bewe- 
gung und Proletariat es der Erfolg der 
Revolution ist. der alle Kräfte und 
Aufmerksamkeiten mobilisieren muß. 

Es besteht durchaus eine Reihenfolge 
zwischen den beiden Ebenen, die gleic- 
hzeitig deren stärkste und ungeteilte 
Einheit begründet. Der Sinn der revolu- 
tionären Aktivität, also der Bewegung, 
die Anspruch auf die Verantwortung 
dieser Aktivität erhebt, ist die revolu- 
tionäre Umwandlung der Gesellschaft 
und nicht die Eroberung einer Enklave 
neuer Verhältnisse innerhalb der alten 
Gesellschaft. Die Verdrängung eines 
sozialen Systems durch ein anderes ist 
ein historisch-objektives Phänomen, das 
besonders strengen Gesetzen gehorcht, 
die durch die historisch-materialistische 
Analyse, relativ zur Entwicklung der 
Produktivkräfte und zu den Rollen der 
sozialen Klassen ctc. aufgedeckt wer- 
den. In dieser Hinsicht hat die revolu- 
tionäre Bewegung in erster Linie die 
Aufgabe, diese Gesetze zu kennen, sie 

zu verstehen und sie in all ihren Orien- 
tierungen und Taten zu berücksichtigen; 
bei der Strafe, auf ewig zum Scheitern 
verurteilt zu sein oder in der Jauche der 
Alternative (sei sie auch bewaffnet) zu 
degenerieren. 

Man muß sich von der bcichränktcn, 
egozentrischen und typisch subjektivi- 
stischcn Sichtweise befreien, die der re- 
volutionären Bewegung vor allem die 
Verantwortung zuschreibt, einen für die 
persönliche und kollektive Entfaltung 


der Militanten günstigen Bereich abzu- 
stecken. Die Revolutionäre verwirkli- 
chen sich, indem sic zur Umwandlung 
der Gesellschaft beitragen (also direkt 
und indirekt zur eigenen Umwandlung) 
und nicht, indem sie auf einer selbstbe- 
obachtenden und narzißtischen Suche 
vom Weg abkommen. was um so un- 
fruchtbarer und suspekter ist. als cs uto- 
pisch - falsch - ist, eine reale Befreiung 
von bürgerlich-ideologischen Katego- 
rien ins Auge zu fassen, außerhalb des 
objektiven Rahmens der sozialistischen 
Revolution und ihrer Kulturrevolutio- 
nen. Der revolutionäre Kampf ist zwar 

ein Befreiungsfaktor ftr diejenigen, die 
sich ihm verschreiben, aber er ist es nur 
soweit, als man sein Ziel nicht aus den 
Augen verliert: die Revolution, die Dik- 
tatur des Proletariats und den sozialisti- 
schen Aufbau in Richtung des Kommu- 
nismus. 

Abgesehen davon, daß es eine abscheu- 
liche Ungeschicklichkeit ist, "Erst die 
Revolution, dann die Frauen" zu ver- 
künden, ist es eine Dummheit. Eine 
Dummheit, dcmi die Revolution Iml nur 
einen Sinn als Befreiung der Frauen, der 
Männer, der unterdrückten Völker und 
schließlich der gesamten Menschheit. 
Eine Dummheit, weil die Formulierung 
glauben macht, daß ein mechanisches 
Verhältnis dort besteht, wo ein dialekti- 
sches ist. Das revolutionäre Vorhaben 
kann nur ein globales Vorhaben sein, 
das die Gesamtheit aller Bestrebungen 
des ganzen Volkes in seiner Verschie- 
denheit vereinigt und in der Praxis den 
Weg für die Verwirklichung dieser Be- 
strebungen öffnet (so auch die Bestre- 
bungen nach Gleichheit zwischen den 
Geschlechtern, zwischen den Rassen 
etc.). 

Aber “ Erst die Revolution" zu prokla- 
mieren. ist das Grundlegende, weil es 
für die revolutionäre Bewegung nicht 
darum geht, eine Unmenge einzelner In- 
teressen voranzubringen (seien sie auch 
legitim und lebenswichiig), sondern den 
Gang ihrer Globalität, einer Globalität 
derjenigen Klasse, die allein es erlauben 
wird, daß sich diese Interessen durch 
den Sturz des Kapitalismus endlich rea- 
lisieren und harmonisch miteinander 
übereinstimmen. (Könnte man nicht üb- 
rigem denken, daß dies die Genossin- 
nen vom "P.V.K." wirklich auszudrük- 
ken versuchten?) 

Das Prinzip "Erst die Revolution “ ist 
wesentlich; es muß gut verstanden und 
dann verarbeitet werden. Wir als Marxi- 
sten- Leninisten beabsichtigen eine per- 
manente Wachsamkeit in bezug auf un- 
ser Verhalten und unsere Beziehungen; 
wir achten darauf, daß sowohl persön- 
lich als auch kollektiv kein Keim sexi- 
stischer, rassistischer, individualisti- 



91 


scher etc. Fäulnis auftauchi. Aber wir 
nehmen diese Verhaltensweise als Re- 
volutionäre an. ausgehend von einer ob- 
jektiven Position der Revolutionäre und 
mit revolutionärer Zielsetzung. Wir 
glauben, daß Wachsamkeit und kollek- 
tive Kontrolle, revolutionäre Disziplin. 
Respekt der kommunistischen Moral 
nur im Rahmen eines globalen, zentrali- 
stischen Vorgehens möglich ist, das 
sich für eine einheitliche Linie, in einer 
organisatorisch-einheitlichen Kraft für 
das einzige Ziel, den Sturz der Bour- 
geoisie und ihres Staates und für den 
Aulbau des Sozialismus, einsetzt. Wir 
glauben, nur auf diese Art und Weise 
einen Anspruch auf den Einfluß der Ge- 
sellschaft und ihrer Entwicklung erhe- 
ben zu können. 

Daraus geht herver. daß wir das Recht 
auf Selbstbestimmung eines antipatriar- 
chalischen Kampfpols ablehnen, wie 
wir dieses Recht für alle Kampfpole ab- 
lehnen, (daß diese unvermeidlich als 
spontaner Ausdruck der Gegensätze 
existieren, ist eine andere Sache). Wir 
bemühen uns immer um die theoreti- 
sche, politische und organisatorische 
Einheit der revolutionären Bewegung, 
mittels der widerspruchsvollen Debatte, 
in der sich die richtigen Gedanken ge- 
genüber den falschen durchsetzen, und 
durch die Konstruktion der Partei. 

Das Besondere muß ins Allgemeine 
übergehen! Die Erfahrung eines jeden 
sollte in der kollektiven Erfahrung auf- 
gehen, damit sich die kollektive Linie in 
jeder einzelnen Kampffront ausdrückt 
(und diese in der Reihenfolge der Prio- 
ritäten und der Unterordnung, die die 
wissenschaftliche Analyse hervorheben 
wird, organisiert) und damit sie unauf- 
hörlich stärker wird durch den Reich- 
tum aller Erfahrungen und die Überprü- 
fung der Analyse. Außerhalb dieser 
Maßnahme schreitet nichts fort, ist 
nichts erreichbar. 

Auch wenn wir in dem offenen Brief 
Abschnitte lesen wie: "Wir wollen, daß 
eine Organisierung unseres Kampfes 
gegen das patriarchal-kapitalistische 
System in den wesentlichen Momenten 
des sozialen Zusammenlebens, wie wir 
es uns für die zu erkämpfende Gesell- 
schaft vorstellen, schon enthalten ist", 
denken wir. es mit einer (im nicht-mate- 
rialistischen Sinne) völlig idealistischen 
Konzeption zu tun zu haben; mit einer 
subjcktivistischcn Abweichung, die den 
Anspruch erhebt auf radikal neue so- 
ziale Verhältnisse "in den wesentlichen 
Momenten des sozialen Zusammenle- 
bens", vor und/oder unabhängig von 
einer revolutionären Umwandlung der 
Gesellschaft. 

Dies ist die Art von Überlegung, die im 
besonderen Sinn zur Aufgabe einer 


"revolutionären" Position zugunsten ei- 
ner alternativen Position führt, Denn 
schließlich, wenn es wirklich möglich 
Ist. "in den wesentlichen Momenten des 
sozialen Zusammenlebens" soziale Ver- 
hältnisse zu schaffen, die vollständig 
zum Ressort der "zu erkämpfenden Ge- 
sellschaft" gehören, warum muß be- 
sagte Gesellschaft dann noch erkämpft 
werden? Man sicht hier, wieviel Keime 
de* Linksradikalismus mit seinen un- 
vernünftigen Forderungen der Subjekti- 
vismus auf einmal in sich trägt; dazu 
noch Keime des Reformismus (wenn 
auch radikal oder bewaffnet) mit seinem 
Wunsch, das System zu verbessern und 
sogar eine Nische in seinen Innerem 
auszuhöhlen. Es ist unbestreitbar, daß 
der revolutionäre Kampf für diejenigen, 
die ihn führen, befreiend ist. aber er ist 
es nur insofern, als er wirklich revolu- 
tionär ist, das heißt, in der objektiven 
Funktion der übergeordneten Inter- 
essen der sozialistischen Revolution; 
und in den Rahmen dieser Funktion 
müssen sich die internen ideologischen 
Kämpfe der revolutionären Bewegung 
einfügen. wenn man nicht in den alter- 
nativen Typus der alternativen Gesellig- 
keit oder den Sektentypus verfallen will. 
Lenin bestand auf der Tatsache, daß der 
Klassenkampf, im genauen Sinn, nicht 
begänne, ehe sich die Proletarier Ziele 
gesetzt hätten (seien sie auch nur öko- 
nomischer Art), die ihre Klasse in der 
Gesamtheit betreffen (sich also der 
Klasse der Kapitalisten in ihrer Ge- 
samtheit widerset/.ten). Die Einzel- 
kämpfe (so auch der eine oder andere 
Streik in dem einen oder anderen Un- 
ternehmen), die unvermeidlich auftau- 
chen. bevor diese globalisierende Maß- 
nahme erscheint, stellen, um Lenins 
Ausdruck wieder aufzugreifen, nur eine 
" schwache Keimzelle" des Klassen- 
kampfes dar. Nun. wir wollen auf der 
Tatsache bestehen, daß man ebenso 
nicht von revolutionären Kampf spre- 
chen kann, bevor man es mit einem 
globalen, zentralisierenden Kampf für 
die Zerstörung des Kapitalismus und für 
den Aulbau des sozialistischen Systems 
zu tun hat. Die partiellen und verstreu- 
ten Kämpfe, die existieren, bevor dieses 
globale Projekt erscheint, können in der 
Tat (d.h. wenn sie Forderungen authen- 
tisch-proletarischer Natur ausdrücken) 
nur als "schwache Keimzellen" des re- 
volutionären Kampfes bezeichnet wer- 
den. 

Ein globales revolutionäres Projekt im- 
pliziert eine theoretische Vereinigung 
(weil die Maßnahme der Synthese eine 
der gesamten revolutionären Bewegung 
gemeinsame Vision der Welt erfordert, 
eine Vision der Welt, die unserer Mei- 
nung nach der Marxismus-Leninismus 


sein muß); dies impliziert eine politi- 
sche, strategische und programmati- 
sche Vereinigung (damit die Kräfte den 
objektiven Bedürfnissen entsprechend 
sinnvoll konzentriert und verteilt wer- 
den und der Zusammenhalt und die Ge- 
wicht ihrer Demonstrationen das Ver- 
trauen der Massen gewinnen); dies im- 
pliziert schließlich eine organisatori- 
sche Vereinigung (die den anderen An- 
sprüchen au Einheit die Krone aufset/t 
und aus der das Konzept der Partei 
seine historische Legitimität schöpft). 
Wir sind nicht naiv: Wir wissen, daß 
aus den Reihen derer, die sich als "die 
revolutionäre europäische Bewegung" 
bezeichnen, viele einem historischen 
revolutionären Schritt - der Klasse - 
fembleiben werden. Viele werden die 
“Selbstbestimmung der Kampfpo\e~ ver- 
teidigen und den Schritt der theoreti- 
schen, politischen, strategischen, pro- 
grammatischen und organisatorischen 
Vereinigung ablchnen; den Schritt der 
Unterordnung des Teils unter das Gan- 
ze. des Zweitrangigen unter das Vorran- 
gige, der einzelnen (oder fraktionellen) 
Interessen unter das kollektive (oder 
parteiliche) Interesse. 

Wir wissen, daß das subjcktivistischc, 
kleinbürgerliche Gift derartig in der eu- 
ropäischen militanten Bewegung ver- 
breitet ist. daß viele Genossinnen noch 
lange darin verharren werden, sich vor- 
rangig in ihren eigenen Intcrcsscnpolcn 
und nicht gemäß der übergeordneten In- 
teressen des revolutionären Kampfes zu 
positionieren und zu engagieren, wie sie 
der historische und dialektische Mate- 
rialismus und die Erfahrung der interna- 
tionalen kommunistischen Bewegung 
offenbaren. So werden auch die Genos- 
sinnen zahlreich sein, die gegenüber der 
historisch-zentralen Rolle des Klassen- 
kampfes blind bleiben (Klassen, die - 
erinnern wir daran - sich objektiv aus 
der politischen Ökonomie heraus defi- 
nieren und auf keine andere Weise), 
dem Widerspruch zwischen Proletariat - 
und besonders der Arbeiterklasse - ei- 
nerseits und der Bourgeoisie anderer- 
seits. genauso, wie sic blind bleiben ge- 
genüber dem wissenschaftlichen Weit 
der marxistisch-leninistischen Lehren. 
Unsere Pflicht als Kommunisten ist cs. 
diese Genossinnen inständig zu bitten, 
sich von dem schädlichen Einfluß des 
Subjektivismus zu befreien, der sie 
verwirrt. Auch, wenn wir nicht ignorie- 
ren. daß eine große Zahl dies nicht kann 
oder nicht will, solange es stimmt, daß 
die soziale und kulturelle Herkunft vie- 
ler revolutionärer Militanter ein großes 
Hindernis darstellt, die Abweichungen 
zu überwinden, die genauso kleinbür- 
gerlich sind wie der Subjektivismus 
(und seine frontistische Folge), und Ei* 



92 


nigkcit unter einer authentisch-proleta- 
rischen Position herzustcllcn. 

Diese Befreiung kann einen noch härte- 
ren und dauerhafteren Kampt erfordern, 
als die Kämpfe, die nötig sind, um sexi- 
stische. rassistische, chauvinistische etc. 
Verhaltensweisen in den Reihen der re- 
volutionären Bewegung auszurotten. 
Denn es verhält sich so. daß Antisexis- 
mus. Antirassismus etc. als solche, au- 
ßerhalb eines vorrangigen Klasscnzu- 
sammenhangs gänzlich mit einer 
(klein)-bürgerlichen Position überein- 
stimmen können; es reicht, an die hu- 
manistischen Grundlagen der Sozialde- 
mokratie zu denken, in denen sich das 
europäische. intellektuelle und 
"progressislischc“ Kleinbürgertum un- 
verfälscht wiedererkennt... und auf die 
es auch seinen fanatischen Antikommu- 
nismus stützt. Die Wahl von wirklich 
proletarischen Positionen und Schritten 
hingegen erfordert - mit allem, was dies 
in Begriffen von Engagement. Moral, 
Disziplin, Parteigeist, Unterwerfung des 

Teils unter das Ganze, des Opfers an 
das übergeordnete Klassenintercssc etc. 
bedeutet - einen fundamentalen und be- 
ständigen, definitiven Bruch mit den In- 
teressen und dem individualistischen 
Gepäck des Kleinbürgertums. Es ist we- 
sentlich. den Individualismus und den 
Subjektivismus zu verwerfen; es ist ein 
harter Kampf, den wir in unseren Rei- 
hen, unseren Köpfen, unseren Entschei- 
dungen, überall urd für alle, ununter- 
brochen und ohne Zögern führen müs- 
sen. Die Kapazität der europäischen re- 
volutionären Bewegung hat einen davon 
abhängigen, reellen revolutionären 
Kampf entwickelt. 

ANTWORT AUF ZWEI PRÄZISE 
FRAGEN 

Wie stellt ihr euch den Kampf gegen 
das Patriarchat vor? Welche Bedeutung 
hat dieser Kampf für euch? 

"Die Bourgeoisie, wo sie zur 

Herrschaft gekommen, hat alle 

feudalen, patriarchalen (...) 

Verhältnisse zerstört. " 

KARL MARX & FRIEDRICH 

ENGELS 

Manifest der Kommunistischen 

Partei 

Zuallererst, bevor wir zu unserer eigent- 
lichen Position kommen, erscheint cs 
uns sinnvoll, über den Gebrauch des 
Begriffes Patriarchat nachzudenken, um 
das Wesen der Ungleichheit zwischen 
den Geschlechtern, das dem sozialen 
Gebilde unserer heutigen Länder eigen 
ist, darzustellen. Wir denken, daß, wenn 
es auch noch erlaubt ist, in bezug auf 
bestimmte Länder auf dem Weg der 


Entwicklung oder periphere Länder (auf 
verschiedenen Stufen) von Patriarchat 
zu sprechen, es in bezug auf die cnlwik- 
kelten Länder der imperialistischen 
Zentren unzweckmäßig ist; ganz ein- 
fach, weil, ungeachtet der Beständigkeit 
von besonderen Fermen ökonomischer 
Ausbeutung, sozialer, ideologischer und 
kultureller Unterdrückung, die Gleich- 
heit der Rechte zwischen Männern und 
Frauen erworben ist. 

Das Patriarchat beruht auf der Familie, 
deren Vermögensbesitzer der Mann ist 
und in der die Übertragung des Vermö- 
gens der Abstammung in väterlicher Li- 
nie folgt. Allen anderen Aspekten des 
Patriarchats und insbesondere seinen 
ideologischen Folgen ist cs daran gclc 
gen, die Unterdrückung der Frau auf die 
eine oder andere Art zu rechtfertigen, 
was von der Frage des Besitzes des Fa- 
milienvermögens. seiner Ausdehnung 
und seiner Übertragung herrührt. Des- 
halb erlaubt unserer Meinung nach die 
Gleichheit der Reihte zwischen den 
Geschlechtern in der zeitgenössischen 
Familie und insbesondere die rechtliche 
Gleichheit auf dem Gebiet des Besitzes 
und des Erhes nicht, die moderne kapi- 
talistische Gesellschaft als patriarcha- 
lisch zu bezeichnen; und dies, wir wie- 
derholen es ausdrücklich, trotz der un- 
leugbaren Beständigkeit von spezifi- 
schen Äußerungen ökonomischer Aus- 
beutung, sozialer, ideologischer, kultu- 
reller etc. Unterdrückung der Frauen. 
Wir denken, daß es korrekter ist, unsere 
aktuellen Gesellschaften als fortge- 
schrittenen Kapitalismus und die bür- 
gerliche Demokratie als sexistisch zu 
beschreiben. 

Es scheint uns noch wichtiger, den Be- 
griff Patriarchat in seinen exakten histo- 
rischen Zusammenhang zu stellen. 
Denn es ist gänzlich absurd und falsch, 
zu behaupten, daß das Patriarchat die 
Gebärmutter des Kapitalismus sei oder, 
wie es die Genossinnen der " Infolüden " 
schreiben, "eine den Kapitalismus - mit 
bedingende Herrschafts- und Unter- 
drückungsform ". 

In einer allgemeinen Form beruht eine 
solche Konzeption auf dem philosophi- 
schen Idealismus: sic behauptet, daß der 
Überbau die Struktur kreiert; sic versi- 
chert in der Finalität, daß der Mensch 
die Gesellschaft und die Geschichte 
kreiert, statt ein historisches und sozia- 
les Produkt zu sein. Eine solche Kon- 
zeption verwirft in absoluter Art und 
Weise den gesamten historischen und 
dialektischen Materialismus. Sie ist 
falsch. 

Noch genauer, das Patriarchat ist das 
Ergebnis der Entwicklung der Produk- 
tivkräfte. die, indem sie das niedere Sta- 
dium der Barbarei überholten, mit dem 


primitiven (stämmischen, klanhaften) 
Kommunismus brachen, in dem die Ab- 
stammung nach Mutterrccht herrschte. 
Es ist das Wachstum der Produktivität 
der Arbeit, das (dank der Züchtung, der 
Agrarkultur, der Herstellung von Werk- 
zeugen) die neuen Reichtümer ins Le- 
ben rief und die Akkumulation erlaubte. 
Es maß dem Privateigentum eine neue 
Dimension bei und wurde dadurch zum 
Schlüssel für die Vernichtung der tradi- 
tionellen Verhältnisse, die von der 
Hauswirtschaft des primitiven Kommu- 
nismus abstammten. 

Engels: "In dem Verhältnis also, wie die 
Reichtümer sich mehrten, gaben sie ei- 
nerseits dem Mann c ine wichtigere Stel- 
lung in der Familie als der Frau und 
erzeugten andererseits den Antrieb, 
diese verstärkte Stellung zu benutzen, 
um hergebrachte Erfolge zugunsten der 
Kinder umzustoßen. Dies ging aber 
nicht, solange die Abstammung nach 
Mutterrecht galt. Diese mußte also um- 
gestoßen werden urd sie wurde umge- 
stoßen. (...) Damit war die Abstam- 
mungsrechnung in weiblicher Linie und 
das mütterliche Erbrecht umgestoßen, 
männliche Erblinie und väterliches 
Erbrecht eingesetzt. (...) Die erste Wir- 
kung der nun begründeten Alleinherr- 
schaft der Männer zeigt sich in der nun 
auftauchenden Zwischenform der patri- 
archalischen Familie.'' (aus: “Der Ur- 
sprung der Familie, des Privateigentums 
und des Staates”) 

Auch der Kapitalismus entsteht aus der 
Entwicklung der Produktivkräfte, aber 
einige Jahrtausende später. Das ist der 
ökonomische Rahmen in (und aus) dem 
der Kapitalismus zum Vorschein 
kommt, bzw. die feudalistische Produk- 
tionsweise, die unbestreitbar patriar- 
chalisch ist. Daraus kann man dennoch 
nicht den logischen Schluß ziehen, daß 
das Patriarchat der Ursprung des Kapi- 
talismus wäre. Das Wichtigste ist der 
Privatbesitz an Produktionsmitteln, und 
es ist belanglos - zumindest aus (dem, 
Einf. d. Hg.] historischen Gesichtspunkt 
des Auftauchens des Kapitalismus - ob 
er innerhalb der Familie von dem einen 
oder anderen Geschlecht monopolisiert 
ist oder sich durch die eine oder andere 
Abstammung überträgt. Dies wird be- 
stätigt durch die einfache Tatsache, daß 
heute die kapitalistischen Produktions- 
verhältnisse fortbestehen. wo doch die 
Gleichheit der Rechte zwischen den 
Geschlechtern festsieht, was den Besitz, 
seine Wertsteigerung und seine Über- 
tragung betrifft. 

Überdies wäre es sinnvoll zu unterstrei- 
chen. daß es die kapitalistische Ent- 
wicklung selbst ist (und besonders die 
industrielle Revolution, die die Frau aus 
dem Kreislauf des Haushalts hcrausholt 



93 


und sic in die lohnproduktion stürzt), 
der man die soziale Basis schuldet, die 
der Bewegung der Frauenbefreiung er- 
laubt hat. zu entstehen und zu Ergebnis- 
sen zu kommen. 

Das Patriarchat hinter sich gelassen 
zu haben, ist einer der historischen 
revolutionären Verdienste des Kapi- 
talismus. 

Dies alles um zu erklären, daß wir in 
keiner Weise die spezifische Unter- 
drückung der Frau in der imperialisti- 
schen Gesellschaft abstreiten (wie auch 
ihre Ausbeutung in der ehelichen Fami- 
lie als ökonomische Einheit, ihre größte 
faktische Unsicherheit, ihre Versachli- 
chung etc.) und noch weniger die bru- 
talste Unterdrückung, die sic in zahlrei- 
chen peripheren Drittweltländem erdul- 
det. Wir beabsichtigen weder, dieses 
Problem zu bagatellisieren, noch ihm 
einen Platz in der historischen Evolu- 
tion der Menschheit einzuräumen, den 
cs nicht hat. Der Kampf für die Gleich- 
heit der Geschlechter schließt sich dem 
Kampf für die Befreiung aller Unter- 
drückten und Ausgebeuteten dieser 
Welt an, aber er ist nicht der wesentli- 
che Hebel. Dieser wesentliche Hebel, 
wir brachten es kurz in unserem Text 
"Ein bißchen über Politik" zur Sprache, 
ist der universelle und antagonistische 
Widerspruch zwischen internationalem 
Proletariat und imperialistischer Bour- 
geoisie. Allein die revolutionäre Lösung 
wird diesem Widerspruch einen wirkli- 
chen sozialen, ökonomischen, politi- 
schen und ideologischen Fortschritt der 
Menschheit ermöglichen: Der Marsch 
zu der kommunistischen Gesellschaft. 
Wir möchten nun über einen fundamen- 
talen Umerscliied /.wischen de« Ansicht 
sprechen, die einerseits bei einer großen 
Mehrheit der füt die Befreiung der Frau 
kämpfenden Bewegungen besteh; und 
andererseits der Ansicht, die von den 
revolutionären Kommunisten vertreten 
wird, zu denen wir gehören. Dieser Un- 
terschied besteht in der Position und be- 
ruht auf der Klasscnanalysc. Unserer 
Ansicht nach können in einer Gesell- 
schaft, die in sozial-antagonisiische 
Klassen geteilt ist, keine Rechte oder 
Freiheiten existieren, die dem Klassen- 
kampf übergeordnet sind. 

Es ist vollkommen richtig, daß in der 
Vergangenheit Bourgeoisie und Proleta- 
riat manchmal ihre Kräfte vereinigt ha- 
ben (in widersprechender Form insofern 
beide selbst Produkte der herrschenden 
Produktionsweise sind), um den Feuda- 
lismus endgültig zu liquidieren. 

In diesem sehr allgemeinen Rahmen hat 
der Kampf gegen das Patriarchat und 
für die rechtliche Gleichheit der Ge- 
schlechter die Bewegungen der bürger- 
lichen, kleinbürgerlichen und proletari- 


schen Frauen vereinigen können (bis 
vor nicht allzu langer Zeit, das ist 
wahr). Aber heute ist cs unbedingt nötig 
zu verstehen, daß diese Zeiten durch die 
bürgerlichen Demokratien der imperia- 
listischen Zentren ein Ende gefunden 
haben. Es gibt gegenwärtig überaus 
mehr gegensätzliche als gemeinsame In- 
teressen einer Bürgerlichen und einer 
Pruletaricnn; die Intensität der ersten 
löscht die zweiten völlig aus. 

Tatsächlich hängt alles von den realen 
Zielen ab. die man zu erreichen sucht. 
Entweder eine radikale und komplette 
Veränderung der sozialen Verhältnisse, 
hin zu der Gesellschaft der Gleichheit; 
die Abschaffung der Ausbeutung und 
der Untercrtlckung des Menschen durch 
den Menschen, die Beseitigung des 
Sexismus, der Phallokratie etc. ; oder 
antisexistische, antiphallokratische Re- 
formen, die aber im Rahmen der global 
unveränderten sozialen Verhältnisse, in 
der die Teilung in Klassen und die Un- 
terdrückung des Menschen durch den 
Menschen fortbcstchcn, zwangsläufig 
unbefriedigend sind. Das erste Ziel ist 
das der revolutionären Kommunistin- 
nen. das zweite dos der reformistischen, 

bürgerlichen und kleinbürgerlichen Fe- 
ministlnnen. 

Welche Haltung muß die kommunisti- 
sche Avantgarde gegenüber den 
Kampfbewegungen proletarischer Frau- 
en (gegen Überausbeutung. Sexismus 
etc.) einnehmen? Natürlich eine unge- 
brochene Unterstützung, die aber in ei- 
ne politische Arbeit integriert sein muß. 
welche darauf abzielt, diesen Bewegun- 
gen ihren natürlichen Rahmen - den 
Klassenkampf - bewußt zu machen und 
somit in Richtung des revolutionären 
Kampfes zu qualifizieren. Und welche 
Haltung muß die kommunistische 
Avantgarde gegenüber dem bürgerli- 
chen und kleinbürgerlichen Feminismus 
einnehmen? Eine Kritik ohne Zuge- 
ständnisse an seinen reformistischen 
und antiproletarischen Charakter. 
Abschließend denken wir. wenn cs rich- 
tig ist, den Sexismus und die Phallokra- 
tic. dort, wo und in der Form wie sic 
sich zeigen, zu bekämpfen (auch im 
Proletariat und ganz besonders unter 
den Kommunisten, die beispiclhatt sein 
müssen, wo sie doch bloß die schwieri- 
gen Entwürfe der neuen Menschheit 
und ihrer sozialen Harmonie sind); dann 
wird nur die Revolution ermöglichen, 
alle sozialen, ökonomischen und politi- 
schen und auch die ideologischen, eng 
mit dem Kapitalismus verbundenen, 
Probleme zu lösen und mit der Ausbeu- 
tung des Menschen durch den Men- 
schen, der Unterdrückung des Men- 
schen durch den Menschen völlig 
Schluß zu machen. Für die Prolctaric- 


rlnnen der ganzen Welt ist dieser Ein- 
satz die doppelte Mühe wert. 

(Wir lassen an dieser Stelle die Ab- 
schnitte A. "Falsche Zitate"?.' und ß. 
Verrat. Konfrontation und Gewalt des 
zweiten Teils des Textes der CCC- Ge- 
fangenen aus. Denn diese beschäftigen 
sich kaum auf theoretisch-grundsätzli- 
cher Art und Weise mit der Frage des 
Patriarchats, sondern mit Einzclfragcn 
des eingangs angesprochenen Konflikts 
in der Amsterdamer Szene und der dar- 
aus entstandenen Debatte. Anm. d. Hg.] 

C. Die "Ätzerinnen" (sic) 

In der von den "Internationalen Info- 
Läden" herausgegebenen Broschüre 
findet man natürlich unser Dokument 
vom Juli 1989. Was wir weniger natür- 
lich linden ist, daß bei der Gelegenheit 
dieser Publikation sich unser Text ge- 
spickt mit achtzehn in Klammern ge- 
setzten Kommentaren wiederfindet, be- 
ansprucht von anonymen "Ätzerinnen". 
Wir wollen diesbezüglich reagieren, erst 
auf den Hauptinhalt der Kommentare 
und dann auf das Verfahren als solches. 
Die Mehrzahl der Kommentare betrifft 
die Abwesenheit von toxikologisch, or- 
thographisch oder grammatikalisch fe- 
mininen Formen in bestimmten Passa- 
gen unserer Abfassung. Eine unabhän- 
gige Notiz am Ende unseres Dokuments 
scheint den allgemeinen Sinn dieser 
Kommentare zu rekapitulieren: "Zur 
femininen Form, die so oft in diesem 
Text nicht vorhanden ist: es ist uns 
nicht klar, ob das ein Problem der 
Übersetzungen ist und zu Anfang haben 
wir noch versucht das im ganzen Text 
zu verändern, zum Ende hin haben wir 
es aufgegeben, das es einfach zu viel 
war'. 

Tatsächlich ist der Ursprung der 
Schwierigkeiten linguistisch und be- 
steht in der Tatsache, daß die gesamte 
Sprache nach der dominanten Ideologie 
gesittet ist Nehmen wir folgendes Bei- 
spiel: vier Interventionen der 

"Ätzerinnen" bestehen in dem Zusatz 
von " und frau “ hinter "man". Nun exi- 
stiert das Problem "man/Mann" im 
Französischen nicht. "Man" heißt "on” 
(unbestimmtes Fürwort), ohne daß da 
die geringste Erinnerung an seinen la- 
teinischen Ursprung "rtomo" wäre. Da- 
her kommt cs. daß im Französischen 
niemand je die Idee hätte, "et ellefs ) " 
oder "et la/les femmefs)" nach dem Ge- 
brauch von "on" hinzuzufügen. dessen 
Geschlecht gänzlich als unbestimmt 
etabliert und anerkannt ist. Was konnte 
der Übersetzer tun, konfrontiert mit all 
den "on" in unserer Abhandlung, als sie 
mittels ihres deutschen Ersatzes zu 
übersetzen? Wir können doch trotz al- 
lem nicht von unserem Übersetzer ver- 



94 


langen, dar» er des Sexismus der deut- 
schen Sprache schuldig sei! 

Wir sind Übrigens umso weniger ge- 
neigt. die Ubersetzungsarbeit zu kriti- 
sieren. als sie von einem vernünftigen 
antisexistischen Bemühen zeugt. Zum 
Beispiel beschreibt im Französischen 
das Wort "camcrade" 

(Gcnossc/Gcnojsin. d.Ü.) beide Ge- 
schlechter. sowohl im Singular als auch 
im Plural, wahrend im Deutschen vier 
unterschiedliche Formen existieren. 
Nun. die Überreizung löst dieses Pro- 
blem mit dem Begriff "Genoss/innen", 
um “des camarades (des deux sexes)“ 
(Genossen |beider Geschlechter). d.Ü.) 
zu ersetzen. 

Ist cs nun möglich, systematisch alle 
lexikologischen. orthographischen oder 
grammatikalischen Fälle zu beheben, 
die auf einem Vorrang des männlichen 
Genus beruhen, in einer durch eine ural- 
te patriarchalische, sexistische Kultur 
gestalteten Spruche? Im Französischen 
ist dies unmöglich, zumindest wenn 
inan die Sprache als Kommunikations- 
mittcl betrachtet. Die Präzision der Be- 
griffe. die Übereinstimmung der Adjek- 
tive. der Partizipien der Vergangenheit, 
die Wahl der Fürwörter etc. sind zu 
vielfältig und komplex, um die verall- 
gemeinerte Verweigerung der Vorherr- 
schaft des männlichen Genus oder sei- 
nes Vorranges in Fällen der Mischung 
zu erlauben. 

Wir müssen uns mit der historischen 
Realität der Kommunikation abfinden, 
immer darauf achtend, soweit wie mög- 
lich - d.h. ohne die Kommunikation 
selbst zu gefähnien - sexistische Äuße- 
rungen einer sexistischen Kultur za ver- 
werfen. Zum Beispiel opfern wir einen 
Teil unserer Lesbarkeit, indem wir "les 
militant(e)s “ (die Militanten, d.Ü.) 
schreiben oder wir verdoppeln die 
Übereinstimmung des Prädikatsnomens 
hinter "camarades". wir verwenden die 
Wiederholung 'les travailleurs et les 
iravaileuses " (die Arbeiter und die Ar- 
beiterinnen, d. Ü.), wir präzisieren "les 
proletaires, hommes et femmes" (die 
Proletarier, Männer und Frauen, d.Ü.) 
etc. Aber wir vermeiden auch den Ge- 
brauch von erfundenen Worten, deren 
antisexistische Orthodoxie ihresglei- 
chen nur in der Seltenheit der Einge- 
weihten findet; so verbinden wir 
" fraternel" und “fraterniie" (bürgerlich 
und Brüderlichkeit. d.Ü.) nicht mit 
"sororal" oder " sorurite " (schwesterlich 
und Schwesteriichkeit). was heutzutage 
ebenso rar m «Ln Wörterbüchern, wie 
der sozialen und politischen Kultur un- 
bekannt ist. 

Also? Also nichts. Genauso wie wir 
nicht beabsichtigen, den I ’bcrsct/cr un- 
seres Dokuments vom Juli 1989 für den 


Sexismus der deutschen Sprache ver- 
antwortlich zu machen, erklären wir uns 
nicht des Sexismus der französischen 
Sprache für schuldig. Diese isi unum- 
gänglich das einzige, uns zur Verfügung 
stehende Instrument, um uns verständ- 
lich zu machen, trotz all seiner Fehler 
verwenden wir cs zu diesem Zweck - 
der uns sehr teuer ist. Wir übernehmen 
ohne eine Spur von Zögern die Tatsa- 
che, dies zu respektieren unJ auch hier 
die Regeln der Orthographie, der Gram- 
matik etc., wenn die Klarheit unseres 
Ausdrucks davon abhängt. Und die Kri- 
tiken. die man uns eventuell zu diesem 
Thema senden könnte, nehmen wir mit 
einem Schulterzucken entgegen. 

Zumal cs irotzdom die Mühe wert wäre, 
sich über die reale Wirkung lexikologi- 
scher Formen und grammatikalischer 
Regeln auf den Klassenkampf Gedan- 
ken zu machen, oder sei es auch nur in 
der Beziehung zwischen Männern und 
Frauen innerhalb der revolutionären 
Bewegung... Ehrlich gesagt bezweifeln 
wir stark, daß dies irgendeine Wirkung 
haben könnte und es scheint uns, als 
wenn die deutschen Genossinnen der 
Sache eine übertriebene Wichtigkeit 
beimessen. Daß man seinen Ausdruck 
von Wörtern, Begriffen. Konstruktionen 
etc., die eine aktive Verwirrung mit 
Merkmalen der dominanten bürgerli- 
chen Ideologie etablieren würden, aus- 
merzt, ja natürlich, aber daä man sich 
nicht vorstellt, aus einer glcichmachcri- 
schen, grammatikalischen Richtigstel- 
lung ein dynamisches Element des 
Kampfes jegen die bürgerliche Organi- 
sation der Gesellschaft zu machen. Wir 
werden die Gesellschaft nicht verän- 
dern, indem wir die Sprache verändern, 
aber wir werden (besonders) die Spra- 
che ändern, wenn wir die Gesellschaft 
verändern. 

Vergessen wir auch nicht, daß die Spra- 
che aus dem Überbau stammt und daß 
ihre Wechselwirkungen mit der Basis 
nicht den Vorrang der Basis vor dem 
Überbau verdecken dürfen. 

Aber die Kommentare, die unser Do- 
kument spicken, sind nicht alles ideolo- 
gisch-linguistische Vorwürfe. Es sind 
dort andere, die sich auf eine Diskus- 
sion mit einer “ Gruppe Molotow“ (die 
wir nicht kennen» beziehen. Scherze 
sein wollen, uns beschimpfen und in la- 
pidarer Art und Weise eine Uneinigkeit 
in Erinnerung nifcn, die wir im offenen 
Brief entwickelt wiederfinden etc. Also, 
letztlich wollen wir öffentlich die Frage 
der Zweckmäßigkeit der Einfügung die- 
ser achtzehn in Klammern gesetzten 
Kommentare stellen. 

Uns erscheint schon die Vorgelienswei- 
sc an sich kritisierbar: sie begibt sich 
unaufhörlich und eigenmächtig daran. 


einem Genossen während seiner Dar- 
stellung das Wort abzuschneiden. Soet- 
was schickt sich nicht. In einer Debatte 
wartet man ab. bis man mit dem Reden 
an der Reihe ist. und man respektiert die 
Rechtschaffenheit der Beiträge, die die 
anderen Beteiligten zuversichtlich bei- 
bringen. 

Wenn die "Ät/.erinnen" an der Diskus- 
sion teilzunehmen wünschen oder an 

einer anderen mit der "Gruppe Molo- 
tow’, so werden wir die Beiträge, die 
sie bringen aufmerksam lesen,... aber 
außerhalb unserer eigenen Abfassun- 
gen. Worauf ihr Ausdruck, wie auch der 
unsrige unbestreitbar an Klarheit ge- 
winnen würde. Weil jenseits von ele- 
mentarem Respekt unter Genossinnen 
sich die Frage vom Nutzen des Austau- 
sches stellt. 

Unsererseits schreiben wir in erster Li- 
nie. um verstanden zu werden. Wir ver- 
binde also mit der Zugänglichkeit und 
der Lesbarkeit unserer Dokumente eine 
umso größere Bedeutung, als daß wir 
die ersten sind, die wir unsere Grenzen 
auf diesem Gebiet kennen: wir wissen 
unseren Schreibstil schleppend, bedürf- 
tig, widerlich, manchmal hochnäsig und 
innrer zum Kotzen. Und wir wissen 
auch, daß die Übersetzungen die unan- 
genehme Gepflogenheit haben, diese 
Mängel zu vergrößern, wenn sie nicht 
eine große Zahl von Sinnwidrigkeiten 
mit sich bringen, was schlimmer ist. So 
viele Schwierigkeiten, die verursachen, 
daß wir sehr ungern, was immer es auch 
sei - und besonders Unnötiges - sehen, 
was den Zugang und das Verständnis 
unserer Abhandlungen noch schwieri- 
ger macht. Deshalb bitten wir ausdrück- 
lich dämm, unsere Texte zukünftig 
nicht mehr einer solchen Behandlung zu 
unterziehen. 

D. Das Dokument der "Revolutionär 
initiatief Amsterdam" 
fDicscr Abschnitt beschäftigt sich ein- 
mal mehr mit einem Aspekt des Streits 
in Amsterdam. Wir dokumentieren ihn 
deshalb hier genauso wenig wie die 
dem Text der CCC-Gefangcncn beige- 
fügten Reproduktionen verschiedener 
älterer Stellungnahmen zu dieser De- 
batte, die für die gegenseitigen Vorwür- 
fe des Falschziticrens relevant sind.) 

Sauers. p>ac<i do Urin 

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P tu* Chm«, piaon öo Mau 

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95 


Pro Kommunismus 

Zur Kritik der Texte der 
Kommunistischen Briga- 
den und der CCC-Gefan- 
genen 

Vorbemerkung: Dieser Text bezieht 

sich auf die beiden vorsiehend abge- 
drackten Texte: das Kapitel zur Patriar- 
chatsdiskussion aus der (im Literatur- 
verzeichnis genannten) Broschüre der 
Kommunistischen Brigaden vom Mai 
1 99 1 sowie auf Ausführungen der CC- 
C-Gefangcncn zu diesem Thema in ih- 
rer Antwort auf einen Offenen Brief der 
internationalen Info-Läden. Dieser Text 
ist so aufgebaut, daß im ersten Teil ge- 
meinsame Positionen, der CCC-Gefan- 
genen und der Kommunistischen Briga- 
den (KomBri) kritisiert werden. In den 
beiden folgenden Abschnitten wird ge- 
sondert auf beide Gruppen eingegan- 
gen, während im letzten einige Not- 
wendigkeiten materialistischer Patriar- 
chatskritik skizziert werden. 

"Die Umstände befinden 
sich in einer ununterbroche- 
nen Wandlung; wenn wir 
unser Denken den neuen 
Umständen anpassen wollen, 
dann müssen wir studieren. 
Auch diejenigen, die den 
Marxismus bereits verhält- 
nismäßig gut verstehen, die 
bereits in ihrer proletari- 
schen Haltung relativ gefe- 
stigt sind, müssen immer 
wieder studieren; sic müssen 
sich mit Neuheiten vertraut 
machen, sic müssen die 
neuen Probleme untersu- 
chen." 1 * 

I. Zur Kritik der gemeinsamen Grund- 
Positionen von Kommunistischen Bri- 
gaden und CCC-Gefangenen 

1. Die Methode der Nicht-Argumen- 
tation: Aufspaltung des Patriarchats- 
Begriffs 

Sowohl die KomBri als auch die CCC- 
Gefangcncn teilen den Gesamtkomplex 
von Frauenunterdrückung in zwei 
Hauptbereichc auf: 

++ zum einen handele cs sich um ein 
vorkapitalistisches Relikt. Die KomBri 
nennen dies "historisches Gewaltver- 
hältnis zwischen Geschlechtern". Die 
CCC-Gefangenen wollen für diesen Be- 


1 Um Tss-Ijij an 120)57 0# Kzrttr«iz Ce* MiCMJe 

Fr«i>JViSDit>M Gu KPQt 


reich den Begriff "Patriarchat" reser- 
viert wissen. 

++ zum anderen handele cs sich um ei- 
nen Ausdruck des Kapitalismus. 

Der erste Bereich (und insoweit auch 
der Kampf gegen Frauenunterdrückung) 
sei in einer kapitalistischen Gesellschaft 
nicht mehr gesellschaftlich-politisch re- 
levant, sondern ein Privat problem. Der 
Kampf gegen den zweiten Bereich von 
Frauenunterdrückung sei ein bloßer Un- 
terfall des Klassenkampfes. Das “Recht 
(sic!, Anm. d. Verf.) auf Selbstbestim- 
mung eines antipatriarchalcn Kampf- 
pols” (CCC. 91) bzw. eine "starke ei- 
genständige antipatriarchalc und anti- 
rassistische Orientierung 

(Organisierung)" (KomBri, 86) wird 
abgelehnt. 

Diese Auffassung wird in beiden Tex- 
ten nicht begründet, sondern - durch die 
oben zitierte Aufspaltung - definitorisch 
gesetzt. ** Dies können sich die KomBri 
und die CCC-Gefangenen nur 
(scheinbar!) erlauben, weil sie den Ge- 
genstand ihrer Kritik, den heutigen Fe- 
minismus, nicht kennen bzw. so tun. al- 
so ob sie ihn nicht kennen. Dies ermög- 
licht ihnen, die traditionelle marxisti- 
sche Position einfach nur zu wiederho- 
len, ohne auch nur den Versuch einer 
argumentativen Widerlegung der femi- 
nistischen Marxismus-Kritik zu unter- 
nehmen. 

Im Einzelnen zeigt sich das an folgen- 
den Punkten: 

2. Ignoranz gegenüber dem feministi- 
schen Patriarchatsbegriff 
Im Gegensatz zu den beiden Texten will 
der Feminismus die n/c/ir-kapitalfunk- 
tinnale(n Teile von) Frauenunter- 
drückung nicht als bloße Relikte aus 
früherer Zeit betrachten. Deshalb ver- 
wendet der Feminismus den Begriff 
"Patriarchat" nicht (nur) für "the feudal 
rule of the father as head of the house- 
hold over 'his' woman. children, labou- 
rcr and servants“. Vielmehr ist die 
"general assumption behind the discus- 
sion of present-day patriarchy (...) that 
even if women have been oppressed 
throughout history, patriarchay today is 
not simple a historical left-over. The 


? öojlfcfi »nl data IMOdM an '«« Mi Ko-ßn Dw 

zmtt San Nu Kapfeb nie im* Ob 

P trtnra ab voia» SWAiu irbrsche.« at> m ZUpxki Ott 
ErtCftnng Oet »apWedschoi PMKoä-om * nxrtm v*n 
»or«ojcn gcMbcnanicMn Prtizo. mm trt t) a-w btxmrij zu 
Wajal In PicdtJami RiwoajUüntzitXrt 
gnctOtn 0‘ D*n Thwa M3 -gan» « d*n Tab bagnMaL 
dm mß w «rj cmti •>»>!( zuifckgagrMcn. mm Ui oaun 4 ««. 
InWflB ccftBch. ScMjOtotjanzigen aBaoUzan fzu 
«rtro OMnMMn): Bsp. 86 TVl m w nfOj in zu tagan. M8 Mi 
Para-^dl rn Kapüttmn plrj, te firKoi zu iMoi «. • |». 
mm «*iMiä)a<4tfn»ga).36 NM gwa*-. •** aoJaunob 
tmtm'. Vit WravT. 87: •uneinoäi «nroi M.llch zu lagen*. 
An ei fetan Skalen wtO Sn RiJöyal d» AusgingctMM eif>:h 
m> «ca-igwcia; am a 1 Ajvprqamu n*w zu. b-efn an ai 
Msan 8tt*o «a AigmMUl» zmmwn' 


subjcction of women ist not just the last 
kind of inequality to bc removed. as 
John Stuart Mill thought. but an integra- 
ted part of the stmcturc of prcscnt-day 
Society ."- 1 

Auch Juliet Mitchell schreibt, daß der 
Begriff Patriarchat verwandt wird, 
"nicht um die Herrschaft des Vaters zu 
bezeichnen, sondern die Herrschatt der 
Männer überhaupt. (...), so daß wir sa- 
gen können. Feminismus ist die Über- 
zeugung. daß die Unterdrückung der 
Frau zuallererst dagewesen ist und los- 
gelöst werden kann von jedem spezifi- 
schen historischen Kontext." 4 * 

Dies ist - in der hier zitierten Form! - 
auch nicht mehr als eine Begriffsdefini- 
tion und eine Behauptung ohne Begrün- 
dung. Aber die CCC-Gefangenen und 
die KomBri sind dafür zu kritisieren, 
daß sie es sowohl unterlassen haben 
++ die Nützlichkeit eines solchen wei- 
ten Patriarchats-Begriffs für die von den 
CCC-Gefangenen zu Recht cingcfor- 
derte "historisch-materialistische Ana- 
lyse" (90) der Gesellschaft zu prüfen, 
als auch 

++ die - an anderer Stelle vorgebrach- 
ten - Argumente für die feministische 
These (daß Frauenunterdrückung nicht 
[nur] "simple a historical left-over (...), 
but an integrated pan of the structure of 
prcscnt-day society" sei) zu erörtern. 

3. Ignoranz gegenüber der Kritik an 
einer kapitalfunktionalen Patriar- 
chatserklärung 

F.benfalls wurden in der feministischen 
Debatte längst Argumente gegen eine 
kapilalfunktionalc Erklärung des Patri- 
archats vorgebracht. 

a) Wem nutzt die Frauenlohndiskrimi- 
nierung? 

So läßt sich bspw. Fraucnlohndiskrimi- 
nierung nicht (nur) mit seiner 
(vermeintlichen) Funktionalität 5 für das 
Kapital erklären, sondern realisiert ein 
klassenübergreilendes Interesse aller 
Männerß Eine gleichmäßige Verteilung 
einer gegebenen Lohnsummc auf Frau- 
en und Männer ließe die Profitrate des 
Kapitals unberührt. 

"Wenn auch zwischen den Klassen 
höchst unterschiedliche Vorstellungen 
über die Lohnhöhe bestehen, so existiert 
doch in einem Punkt ein Konsens zwi- 


3 19S7. 93. * AJrOrg» gö w aucti wage FtmnstNm 

<*g denn wtnuc&r, PaüiirMlt-ea-jrff ab zu j^lzo# 
aW*v.tn. D«i tiMan- «®i ab *• Kcmön in) 0« CCC- 
üatanganen • noa oazv. Zu MM MM. MC ><»M-ixUit*-;c*u>g 
aixfi <xxn «re Cto-raao Mi hangen ganiiOWikhoi Sm»M 
et. 

4iamiis66-ini.60.82 

s s. Bf gnnOitizUtim PnOrviM t/Moi iWoMei Eit»- 
rj>3«ns¥zt Bzrw 1M0. 29. vtf. ?t t ; OraQltntr 1983. '.6 
6 S zun taiimlMiyiZan»« Cttratiei von Frajen.»i!in»ic»irg 
auMAMwiWoliMS.a« 



96 


sehen männlichen Arbeitern und Kapi- 
talisten. Die Löhne der Männer müssen 
bei vergleichbarer Arbeit höher sein als 
die der Frauen." 2 Es ist also nicht das 
Kapital, das die Lohnarbeitcrinnen 
'doppelt unterdrückt'. 8 
Dies gestehen unfreiwillig auch die 
CCC-Gefangenen zu. wenn sie auf S. 
93 von einer "Üftemusbcutung” 
IHervorh. d. Verf.J der Frauen sprechen. 
Eine solche "Merausbcutung" läßt sich 
im Rahmen de: Kapitallogik nämlich 
nicht erklären. 9 “(...) es ist mir nicht 
klar, warum cs im Interesse des Kapi- 
tals sein sollte, Frauen Löhne zu zahlen, 
die für Männer einen höheren Lohn not- 
wendig machen, damit diese ihre Frauen 
unterhalten können. (...) Die Funktion- 
sweise der Ausbeulung verstehen heißt 
noch nicht, daß geklärt ist. warum (...) 
ganz bestimmte Gruppen auf diese 
(ganz besondere, stärkere. Erg. d. Verf.) 
Weise ausgebeutet werden."*® - 
Also: Wieso zahlt das Kapital gerade 
schwarzen Frauen und nicht weißen 
Männern die niedrigsten Löhne? Und 
v.a.: Wieso zahlt das Kapital den sog. 
Familienlohn auch an unverheiratete 
Männer? 1 1 Nicht aufgrund seines Inter- 
esses als Kapital, sondern weil es neben 
der Herrschaft des Kapitals auch noch 
eine HERRschaft der Männer und der 
Weißen gibt. Die richtige Sichtweise 
lautet also: Nicht Kapitel unterdrückt 
die Frauen 'doppelt', sondern die Män- 
ner unterdrücken die Frauen; und als 
Lohnarbeiterinnen werden Frauen zu- 
sätzlich vom Kapital ausgebeutet. 

b) Wem nutzt die geschlechtshierarchi- 
sche Arbeitsteilung? 

Die gleiche k lassen Ubergreifende Män- 
nereinigkeit besteht hinsichtlich der 
(Nicht)-Eignung von Frauen für die Er- 
werbsarbeit und - wenn sich Frauen- 
Erwerbstätigkeit nicht verhindern läßt - 
in der Beantwortung der Frage, welche 
Branchen dafür in Frage kommen: näm- 
lich die hausarbeitsnahen. 12 
Die meisten Männer sind zwar als An- 
gehörige der Arbeiterlnnenklassc eben- 


? RMkNV 198$. a. 

8 Midi trafccrel ffttftttfetfcif AJIöjidq mtrötn Ff&tn 

Kapol ausgobtUMt ■ iimti ab AngaMnga dai ProWUuK i*>3 
Ou MM MM Ms 8. 4M» *• Kt* 

RfdatÄmMUtJw 1968.8. 

9 Vf# Ban« 1S6D. X> •& « ntfn «Au. -»im ra»«n dm 
tpirforai Forman dar Miraraiiduft ir ö fepikwta» Coi 
Hmbmp (Mt Kap4ali <(*«>» na dtnfuy OaSfte* 10*1. 
mrdasant tuchen et n ln* dar uoMicnkn iraTöscftan 
Atuf/sen Mbn>Bioai)kri ' 

lOBn« 19M.31 f.-HwKrtd V«d. 

11 U*WMI 1963. 127. IN 95 D* rr*Hce*lt F rrtarftg «< 
AftaJE'B>*«ajjr«j nach dan Famirntefn xfAoft • nirMta m 
R«n«i doi Wo-gatm« • »na GbtfCarahkro wo Fiwn unj 
Wnntm tut (Mbtot/HvtgWSevki) 1989. iS iriir Hiwao U 
J. tefyrati. Wart ird Prw dar Frajo-oitK* ft CM MM Zal 
Wrtld«fOG8. 4/194$. 1048) 

13Po-U<Mei 1S88. 3). 


falls ausgcbcutct und unterdrückt, "aber 
sic stehen auf einer anderen Stufe als 
Frauen. Sic sind mit der Reproduktion 
in Form von Hausarbeit in der Regel 
nicht belastet, sie haben die besseren 
Arbeitsplätze und die höheren Löhne, 
sie haben Sitz und Stimme in Betriebs-, 
Aufsicht- Stadträten usw." 13 Das Ka- 
pital hat insofern nur den Vorteil, seine 
Interessen gegen eine sexistisch (und 
rassistisch sowie auf andere Weise) ge- 
spaltene Belegschaft leichter durchset- 
zen zu können. Diese bloße Erleichte- 
rung kann aber kaum als Hauptaspekt 
des Patriarchats betrachtet werden. 

c) Schlägt das Kapital die Frauen? 
Ebenfalls nicht mit der Funktionalität 
für das Kapital zu erklären ist die mas- 
senhafte inner- und außerfamiliarc di- 
rekte körperliche Gewalt von Männern 
gegen Fracen. 14 

d) Das Patriarchat ist älter als Klas- 
senherrschaft 

Zwar ist dis Patriarchat in der Tat keine 
Naturgegebenheit (da haben sogar aus- 
nahmsweise die CCC-Gefangenen et- 
was mitbekommen (s. 92J). Nichts de- 
sto weniger ist es nicht nur lange vor 
dem Kapitalismus 1 ^, sondern sogar vor 
jeder Klasscnspaltung entstanden. Die 
Existenz des Patriarchats kann also auch 
deshalb nicht mit seiner 
(vermeintlichen) Funktionalität für 
Klassenherrschaft, insbesondere den 
Kapitalismus, erklärt werden: 

Bereits in den Jäger- und Sammlerin- 
nengesellschaften (Altsteinzeit), die 
noch kein Eigentum kannten, gab es ei- 
ne geschlechtliche Arbeitsteilung und 
ein gesellschaftliches Einfluß-Überge- 
wicht der Männer - von Frauenunter- 
drückung soll allerdings noch nicht ge- 
sprochen werden können. 17 In den 
meisten (ebenfalls noch klassenlosen) 
segmentären Gesellschaften 

(Jungsteinzeit) entwickelte sich diese 
Tendenz in den patrilincarcn (= männli- 
che Vcrwandtschaftslinicn) Gesell- 
schaften im Zusammenhang mit der 


13U*ar 1»7. 51. 

14 S <BTJ du lut 'ha ■ran Und ara tUdsUUrln' Co 
UM**-* « al UM. 3» UßtouJi ifa U*r*i 

irü Vetpftrttogr*. cö*n m) rtü rniel» U4jra> enj Frauen 
Mlrrtov urOor. Ufcrai GcraSo do UlVurrtu^ n Oe Kr«tc( 
in • Ma Hfl aMffcn alUKtra • tft ktUMrcMnemin ir*J mw 
nh« IT3 M tfmon datfiat) Oivon sp-erfoi <HB Mi« 
Ftuxmen da gaiabcftalNcfti Hol* <n S duu ft 

lenjm am Oer irimj'iömi UorMur top«: «Innrere üff.* 
FtMr«ara0i Ws). Zun Itm frum Wdai an) gigan Uln 
rag*««, o 0. (Wn®ar*i| ©J. (un iMABSi 
1SV# BmtM 1S61 18 
18 BsrH 19W.3D 

17 U-* WwM. GnndrCga Oer RatfegatcfttMa (Vortaw-*;). 
Wrietsontiny 1*197. 1. Streun oO. (Wattarft). oJ. (1966). 
lOtivtf 151 


Entslchung des Brautpreises zum Patri- 
archat. 1 8 Zusammenfassend: 

"Die ökonomischen 19 Gefahren konn- 
ten von den egalitären segmentären Ge- 
sellschaften noch weitgehend gemeistert 
werden. (...). Die sexistischen Gefahren 
haben sie nicht gemeistert. So entstand 
Macht in der überlegenen Stellung des 
Mannes gegenüber der deklassierten 
Frau oder gegenüber einer erst recht de- 
klassierten Vielzahl von Frauen und in 
der sozialen Kontrolle der Alten über 
diese Zirkulation der Reproduzentin- 
nen." 2 ® 

Erst später bildete sich mit der Sklaverei 
die erste Klassengesellschaft heraus. 
Davon gingen auch Marx und Engels 
ursprünglich in der "Deutschen Ideolo- 
gie” aus: Die Familie sei die erste Form 
der Arbeitsteilung und des Eigentums 
gewesen; 21 erst danach seien Klassen 
(Bürger und Sklaven) entstanden 22 . 
Diese Erkenntnis ging aber in der späte- 
ren - und für die orthodox-marxistische 
Fassung der sog. "Frauenfrage" maß- 
geblichen - Schrift von Engels "Der Ur- 
sprung der Familie, des Privateigentums 
und des Staates" (MEW 21, 25 ff.) wie- 
der verloren. 

e) Das Patriarchat ist längerwährend 
als Klassenherrschaft 
Schließlich hat die Erfahrung des "real 
existierenden Sozialismus" praktisch 
gezeigt, daß die Aufhebung des Privat- 
eigentums an den Produktionsmitteln 
nicht automatisch die Aufhebung von 
MännerHERRschaft über Frauen bedeu- 
tet. 23 

4. Ignoranz gegenüber den sozialisti- 
schen Feministinnen 
Schließlich denunzieren beide Texte 
(der der CCC-Gcfangcncn explizite [s. 
Fehler! Textmarke nicht definiert, 
93] und der der KomBri etwas versteck- 
ter (86; 86)) den Feminismus als 
(klein)bürgerlich bzw. antiproletarisch 
und reformistisch. 


18 Wm. a*0.. 25 8. 3* ZaHcft pnM anMefcaltan lieft ft 
anderen GaeaflicfeAan (all Autraftne) llatrflftaarUl «m 
MÄlobli* («• FanWlIa örttand* Wohnort dar Fre«. Nicft 

ml Ata GaMfcthtftn aiw rkH von Frai*nhMnehÄ 
icndMn afcrtab vw lattt« OomW« da Fraoio. ft *«*TV 
<t-n tia GlUfthaftnMtftMMftlQiro <ta< GMrNKftM t* 
kmnianM. (aaO.. 32 I). V# Ojoj mm Suk< 1981. 13: *So 
«a*g * CCei «i Uatiiacftd «a atuwn rmiMchiJa 
Gral Wal oi Mraan. alt gaaftad« Tefcntcft« Wonn. » ara 
kjrrai tu anaftnao. Oi8 Mt Om PfMarcftai Mt HarTKtMfl nur 
ft Imprtirigan ord bliAgan Kin^Mn durthsatan könne*.' 
(Manoft d. V*ri| 

19 Wn»r-oH B upgac fia G*W<an. dam nOa nur Kttoarftan- 

a uft OaaaMKfttartlCiUlMftaA ur«J "iimtu 40s- 
k« «ft ft öioxmetra Ut#a«ftftMU>3laiftrae(N>7rg me 
Amd.Vad. 
fDWat4.aaO.35 

21 Un’iiqstt 1845. 22. 29. 32. 

22 Mtftlroeh 1845. 23. 

23 Baad 1 »0.18 



97 


Daran ist zunächst richtig, daß der Fe- 
minismus notwendiger und daher auch 
begrflßenswcrter(!)weise insoweit inter- 
klassistisch ist, als sich der Kampf des 
Feminismus gegen eine interklassisti- 
sehe Erscheinung , nämlich gegen das 
Patriarchat, richtet. Fraucnunter- 
drilckung existiert in allen Klassen! 

Im übrigen beweist dieser Vorwurf aber 
nur aufs Neue, daß beide Texte nicht 
auf dem Stand der Debatte argumentie- 
ren. Denn in den letzten 20 - 25 Jahren 
hat sich eine Strömung sozialistischer 
Feministinnen herausgebildet, die 
4 + sowohl jenseits der traditionellen 
bürgerlichen Frauenbewegung steht 
44 als auch mit der traditionell-marxi- 
stischen Nebenwiderspmch-Thcoric ge- 
brochen hat. Deren Kampf richtet sich 
zu Recht gegen patriarchale Verhältnis- 
se in allen Klassen und gegen die kapi- 
talistische Klassenherrschaft. 24 
Darüber hinaus gibt cs eine Strömung 
von sog. radikal-feministischen Frauen, 
die sich zwar nicht auf den Lohnarbeit- 
Kapital-Widcrspruch beziehen, die sich 
aber nichts desto weniger in einem un- 
versöhnlichen (revolutionären) Wider- 
spruch zum als patriarchal analysierten 
System sehen. Das Problematische an 
dieser Strömung ist, daß deren Argu- 
mentationsmustcr - im Gegensatz zu 
denen der erstgenannten Strömung - 
in der Tat vor der Gefahr stehen, in ei- 
nen (umgekehrten) Biologismus abzu- 
rulschcn 2 - und deshalb für Konzepte 
der Neuen Mütterlichkeit vereinnahm- 
barsind 26 . 


24 V» Uftfsl • 1971. 61 1; T4en« M«rur>j luton Mitt IH» 
rödi 6a F**u»«ft «1 0* Bäoo 1*0. <ä 3 gtu* 
***** GtMTOwKMquij h »non Oar&matm 

«Mn uro Cf« *n« <wmg*MCi an; an 

rtUWi FarcaiSrrai 0*o*n. daß 6»l nljoO-o kWI *»<0*n 
Iäyi. cf« <Mß *r« IbtWWk« B*«*te*i an atao-io 9»» 
Otfil. ItaiM LOj rxtbik) ForwiiSnw 0« 04 »te'dnyl »n<J 
Oirtttr. daß 6a UfMnrtOirg Oo (au iraWngg re» anSaco 
IWod-jteng «öTrt »Man » tru. »avr<l S* mmotaOnn 
f o«n n d*f (auoOf-^rq. &atw. daß <W Kanpt gtg*n 
da UrttWCdarg du (rau *n rsruam. gMttndg a&o 
**nrekta( Toi «not afftccm nrreWötAm Karpt** Ist (_) Oi* 
FsnftoW«' HoMrin »Ul Ouu. W Zu)o Oo Fir-OU>) 
fm T«c« <4e«i tMwiäMfcng m« *ftfU>*Wft«n. (_).' 

25 Vjj. bst*. Ban« 19)0. JO t BacUUOnOoktl« 1168. 12. Drta 
&f*öl frxoiSOI, h: tfmtt Beo (Hg.). Kto» G.*cn* 3 f 
BeVaU. 1(63*. 132(137); !inö 1991. 14.21 1 

26 Mara M« -Maio. <U gor nön oOoci Wnrnn). ml/* 
&fohr*} erd 0*n Srtai Ja» laMm tm Kxt» (a> 

• .« madili int 6a !&.< nr (*ndn h: Bl. 
215.198«. S. 11 a ft ScfteOi 1167. 871) OwJ« von VWrtxit 'An 
doi Krdon »am ch dah« «ah*n. »o «4 («1 n^6. u*3 d*fl M m*M 
Voart-on j>g 10. «Wt fu «oi d« Kh«r Coucften ad »« 

Otts and*»» a Ms OM. «as aucti Oi unj afe acxJw tm>4*n • 
(WV »oOori das l«Mn inocai Knd*» ncW dem Fon schm «4im. 
tv Ga-Oaro« » 0 .. T »oroty Mi leben ioJkMU. 
R»rt<* 1*6. 24 a r. S4M4 1987. 89). Zur Kft» l aieft EVra 
Schoch. Münk« WonmOia'. ■ Watte« Ornuäit' inj IM 
l*u. SüMOafittnxMJtn MMecr* i«0 Fa«*. B 0« G-inoi 
(Hg). INxra-oM* Kt Fa» 2. Grs* BjxW4aj»<cWKO? 
23 • 29.11.1987 (RMMUft 9*8» Erg*rt M «.). &m. 1S7. 87 B 
ird 71 l; Guchn HrtgH ForirBloc« Kr*» in öo UrfK «ft 
Woirac« • er«*- BaoxOacar BanteticKvJ>g Oea ioB-»o- 
ncniofian Mali« ven V B*m«« T»OT»*n irO C. v WuM. 
Haiaibc« «n FactiMc*fi G»Mlte«»U»M*n«fxOHn irO Ptite- 
so ct<* dte PMpvUrfocOUl Uaftwg 136587. MaWig. oJ. (1568); 
SteB Engm. U* Fauan WO Hasfrau«n - dxB »as ötetei?. 


Darüber hinaus gibt cs selbstverständ- 
lich (weiterhin) sozialdemokratische 
und offen bürgerliche Feministinnen. 
Aber generalisierend kann gesagt wer- 
den, 

44 daß sich in den letzten Jahren der 
Begriff Feminismus zur Bezeichnung 
der revolutionären Strömung in der 
Frauenbewegung durchgesetzt hat 
und 

44 daß es den Gefangenen der CCC 
und den Kommunistischen Brigaden gut 
zu Gesichte stände, wenn sie sich nicht 
an den argumentativ schwächsten Geg- 
nerinnen. den bürgerlichen Feministin- 
nen. sondern den entwickelten femini- 
stischen Konzepten abarbeiten würden. 

"Ich beharre fest darauf, daß 
jemand, der kein« Untersu- 
chung angestellt hat. auch 
kein Mitspracherecht hat." 
Mao Tse Tung 27 

II. Zur Kritik die Position der Kom- 
munistischen Brigaden 

1. Das historisch-strukturell veran- 
kerte und bedingte sexistische Ge- 
waltverhältnis zwischen den Ge- 
schlechtern 

Die Argumentation der KomBri ist eine 
Mischung aus zutreffenden und fal- 
schen Behauptungen mit dem Ziel ei- 
nen eigenständigen anti patriarchalen 
Kampf als nebensächlich darzustcllen, 
da dieser den Kapitalismus nicht tongic 
re. Dadurch müssen sie allerdings indi- 
rekt die relative Unabhängigkeit von 
Patriarchat und Kapitalismus anerken- 
nen, also 7.ugeben, daß das Patriarchat 
kein aus kapitalistischen Produktions- 
verhältnissen direkt ableitbares Phäno- 
men ist. Es gibt also ein 'historisch- 
strukturell verankerte(s) und bedingte(s) 
scxistische(s) Gewaltverhäitnis zwi- 
schen den Geschlechtern, das einen ei- 
genständigen gesellschaftlichen Wider- 
spruch darstellt. Dieser ist nicht kapita- 
lismusspczifisch, (...).” (86) Diese zu- 
treffende Charakterisierung des Patriar- 
chats als "eigenständigen gesellschaftli- 
chen Widerspruch” ist der im gleichen 
Absatz aufgcstclltcn Behauptung, daß 
"es keine gesellschaftlichen Ansätze 
gibt, um einen Kampf gegen diesen Wi- 


n n<ata<. W. 1(0. *(rt 198«. 21 8; 6m. tjriy>-)r«™>eti*M 
P<5iTo)*r* Wr *7 m CMrc*. ft bw / X*urv 

«. Brite* t ffa» 0» Wtf WO). GriM* & AUm»*« J*M>u4 
1988. G-jT* P*npteJrtn w*v 1988. 233 fl. [Ifnfcft slti Ot* 
Ü)*neftrti •Giöm Sraugo miß iKnroittft un". «v Oe Gri«n 
D<r«»^Knjfti*8o (Hg), ven da ViTal Oft («oen ird Mi luO 
OKHOftm-7. eon. 19M. 24 « wo Ulte Ote xeooun ~Mrm*n 
vtn •otonvn (*r*te«n 9« f**j. mktiu vor d«an 

%ra *r Coiu) Moiir«)‘. n O« Gswn... »aO. 
1167. 73 *J An. FtmnsüK« OoMtftKfng*. It KcfwH 
f*. 6. SomTw 1988. 13 fl. 

27 a ft BO* A.TOM Fokteft. Ow yjnn* $aa</»ta. tr 
Rteatten (Hg ). BcndesspAB OoteOimd (KID) • B o* X-« 
FiaUOn (HAf). K»B » »84.5 - 13 (5). 


dcrspruch zu führen", allerdings diame- 
tral entgegengesetzt. 

”(...) die Denunziation des Mannes als 
sexistischer Unterdrücker leitet für sich 
die Notwendigkeit eines revolutionären, 
antikapitalistischen Umsturzes nicht 
ab." (86). 

"Der Mann hat (...) historisch eine ei- 
genständige Rolle als Unterdrücker inne 
(...).” (). Diese These ist richtig. Aber 
gerade die Erkenntnis der relativen Ei- 
genständigkeit des Patriarchats macht 
die relative Eigenständigkeit eines anti- 
patriarchalen Kampfes zwingend not- 
wendig. Daß die "Denunziation des 
Mannes als sexistischer Unterdrücker“ 
nicht notwendig antikapitalistischcn 
Charakter haben muß, ist so richtig wie 
unwichtig. Denn wenn es zutrifft, daß 
mit der "Installierung (?! Anm. d. Vcrf.) 
patriarchaler Gcsellschaftsstrukturen" 
eine 'spaltcrischc Zielsetzung“ (87) ver- 
bunden war. ist cs umso dringender den 
eigenständigen Kampf gegen diese spal- 
tenden Strukturen zu führen. Die angeb- 
liche "spaltcrischc Zielsetzung" wird 
nämlich genau dann realisiert, wenn 
Feministinnen (und die sie unterstüt- 
zenden Männer) erleben, daß für Kom- 
munistinnen dieser Kampf eine Neben- 
sache ist ! 

"Im übrigen zeichnet sich in diesem 
Punkt (das Patriarchat als 
"Voraussetzung zur Gewährleistung 
von Mehrwert", d. Vcrf.) eine schein- 
bare-^ Rcformicrbarkcit des Kapitalis- 
mus ab. - das soll heißen, daß sich der 
Kapitalismus in den Metropolen ge- 
genwärtig so gestalten ließe, daß das 
Patriarchat als gesellschaftlicher Wider- 
spruch nicht mehr als systemimmanent 
in Erscheinung treten würde.” (87). 
Hierzu muß angemerkt werden, daß auf 
der theoretisch-analytischen Ebene ein 
nicht-patriarchaler Kapitalismus durch- 
aus denkbar 29 ist (eine andere Frage 
ist. cb diese Vorstellung - aufgrund der 
real-historischen Verflechtung beider 
Hcrrichaftsvcrhältnissc - auch auf der 
politisch-praktischen Ebene realistisch 
ist (S. dazu unten). Wenn aber ein 
nicht-patriarchaler Kapitalismus denk- 
bar ist, dann läßt sich gerade nicht die 
These aufstellen, das Patriarchat sei das 
"funktionelle Integral im Produktions- 
Reproduktionszyklus" (86) des Kapita- 
lismus etc. geworden. Wenn cs richtig 
ist. daß sich der Kapitalismus so gestal- 
ten ließe, "daß das Patriarchat als ge- 


28 Du Won ‘sMrtkii' Khcrt nOI <U n*No»jcnl bteiwOU 

mgum. BW" w «a wnom n ziw 

ttfmvüttn S. duu IcV^nö* Pasajj r «i gtthui Spilo du 
'•>101 0* Koren ’(_) Ui 0*ra SUM Mi lnmm*rtirt)m 0** 
Kapuamu* «M R»iO*ug j*gte*a ökttn ntonrMic/an 
ForOtrtngm nK/miktmta. und dm KipUUunui Oanl to d» 

Mm PinU KfeVttar a ntonoMtn UV (IM* «wt. i 0 . 
»irswä v«ni 

29 Vgl 342ü au4 Ban»* 1 »3. 2?2 urd iWift dB 2oi m (N . 



98 


scllschaftlicher Widerspruch nicht mehr 
in Erscheinung treten würde", dann be- 
deutet dies. 

++ die Tatsache, daß trotz dieser Mög- 
lichkeit zur Zeit patriarchale Strukturen 
bestehen, 

- entweder für einen Zufall zu halten 
(eine Möglichkeit, die mir wenig wahr- 
scheinlich erscheint) 

oder 

- aber anzuerkennen, daß das Patriar- 
chat eine eigene vom Kapitalismus un- 
abhängig 'Ursache’ hat. 

2. Der "sozialdemokratisch behaf- 
tete" Begriff von Gleichberechtigung 
der Kommunistinnen 
Die These der KomBri. daß der 
"sozialdemokratisch behaftete Begriff 
der Gleichberechtigung der Frau (...) je- 
de antikapitalistischc Tendenz effektiv" 
ausklammcrt, übersieht, daß sozialde- 
mokratische Politik generell "jede anti- 
kapitalistischc Tendenz effektiv" aus- 
klammert. Denr sie ist objektiv unge- 
eignet. kapitalistische Produktionsver- 
hältnisse zu beseitigen. 3 ** Zum anderen 
ändert die Tatsache, daß Sozialdemo- 
kratinnen und Kommunistinnen unter- 
schiedlich geeignete Mittel zur Realisie- 
rung des Ziels einer klassenlosen Ge- 
sellschaft anwenden nichts an der Tat- 
sache, daß sowohl Sozialdemokratinnen 
als auch Kommunistinnen traditionell 
auf die sogenannte Frauenfrage die 
gleiche, verfehlte Antwort gebend* 
Soweit eine spezifische Unterdrückung 
der Fraucn/Arbcitcrinnen zugegeben 
wird (meist als vorkapitalistisches Re- 
likt betrachtet, so auch bei den KomBri 
87: "historisches Gewaltverhältnis zwi- 
schen den Geschlechtern"]), fordern So- 
zialdemokratinnen und Kommunistin- 
nen traditionellerweise die juristische 
Gleichstellung (Gleichberec/ifigung) 
von Frauen und die Einbeziehung der 
Frauen in die Erweibsarbeit und ähnli- 
ches. 32 (Und war in der Arbeiterbewe- 
gung noch eine avantgardistische Positi- 


30 Zui W'-'C S««. P»**<wrd Ott SP3 (Hj). 

Gnx>»aw«O0’*rr«" (Mi Soidtta'-Mitfiartu« P.',» DuffMi 
(IMS), Bmh. oi. 2i ntanrötag 0* KbiMftjBMfccMrt-). 72 
(\cn KOittraMrktn GtMixfiafl't 

31 VJ Oarj an Btaml d* HM.ng vm SfO ird CKP zu F*r*o 
KsMtKMal 1*4 

32 ci wdaSPC.dail*« Mw UBSnnrtm GleOOe 

(«rojrgyag-ü toiusgut So »fl da SPO r Wwi raton 
GnrCiatrwoTamo r*3t ruf 0 « «<v»m txl) d« 

■Qt^murtKht- -crurt* W ndil mtfn n* da 

FW>»<«rurg iWr fnur r 6m C rmWar vor«« KAtiOam 
heft es Oxl t**i ttfmjt r-Tl da Magnhon Ott fr» e> 
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on. 33 S. dazu weiter unten die Passage 
zur "proletarischen Frauenbewegung".) 
Soweit es um die ‘Unterdrückung der 

Frau als Verkäuferin ihrer Arbeitskraft' 
geht, wird eine (wie unterschiedlich im 
Einzelnen und im Grundsätzlichen auch 
immer vorgestellte) Überwindung des 
Kapitalismus anvisiert. 

Diese Auffassung steht im Kontext von 
Engels' - :n seinem “Der Ursprung der 
Familie....* entwickelten - Auffassung, 
daß die Frauenunterdrückung mit dem 
Privateigentum entstanden sei. 34 Die 
logische (nicht nur DKP- 
)Schlußfolgerung daraus ist daß “die 
Frauenfragc selbst mit der Vergesell- 
schaftung der Produktionsmittel ver- 
schwinde". 35 Dies war auch die Auf- 
fassung des Sozialdemokraten August 
Bebel: "Von unserem Standpunkt fällt 
diese Frage zusammen mit der Frage, 
welche Gestalt und Organisation die 
menschliche Gesellschaft sich geben 
muß. damit an Stelle von Unterdrük- 
kung, Ausbeutung. Not und Elend die 
physische und soziale Gesundheit der 
Individuen und der Gesellschaft tritt. 
Die Frauenfrage ist also für uns nur eine 
Seite der allgemeinen sozialen Frage, 
(,..)." 36 Soweit der Stand bis Jahrhun- 
dertwende. - 

Bei der Kommunistin Clara Zetkin 
kommt dann noch die Abgrenzung von 
der sog. bürgerlichen Frauenbewegung 
hinzu. 3 * Dabei ist die These von der 
Existenz einer proletarischen Frauenbe- 
wegung weitgehend ein Mythos. Denje- 
nigen proletarischen Politiker und Poli- 
tikerinnen, die sich auf jene bezogen 
haben, ging es weder um eine Bewe- 
gung noch um eine spezielle Intercs- 
senswahmehmung zumindest von 
proletarischen Frauen: "Vielen Männern 
sind die Zusammenschlüsse, aber auch 
die organisierten Treffen von Frauen 
suspekt. Ihre Ängste sind konkret und 
praktisch. Die tägliche Versorgung steht 
auf dem Spiel, Frauen erledigen die 
Hausarbeit nicht mehr so gut, nicht 
mehr so selbstverständlich und bereit- 
willig." 38 

Statt um Fraueninteressen ging es jenen 
Politikerinnen darum, daß Frauen dafür 
gewonnen werden, daß sic die Interes- 
sen ihrer proletarischen Ehemänner un- 


33 S avu Wr» « «I I m 49 1. 

34 FiMxfi Engat. 0*f Urconrg dor fante. dn PmMogarftra 
ird dos Saztts. frUnDCfl. 1563 zf n R rt M a wtoWfc 1»8. 7. 

35 So o* tet örahr-3 1 * Ha^ i»8. U. Sa ä« in 

t* IWWOTMW9. 1066. 6 c~. Oar Confetxa ni 6m VOM 
GUBfetfKtftgr« OwFrajnOD rukMiter 
» A^iet 8«t*l t>* fr» inj*« Soznlsruß. 1IT9 dnlic» 
(Mimn. Sozofanu ah •AkratoOm e Ott Kamen Sa *S«M 
f Q S7. Sorte* t« Hartmg 1 978. 1 1. 

37 R»ajMtrokdl9iv 19Ö. 8. Heru Herer o . Stthott). n Ottt 
(Hj). FiBio-o-a^pcfcm in) Sorööar>.*.T«l«. Fnnttul an Ujrv 
1*1.20 

3SKtfma( 61 1984 lS5m»H;s« cM.169n*N. 


terstützen 39 Deshalb bedeutete die Ge- 
genüberstellung einer angeblich bürger- 
lichen Frauenbewegung und einer pro- 
letarischen angeblichen Frauenbewe- 
gung de facto die Unterordnung von 
Fraucnintcrcsscn unter die Interessen 
der männerdominierten Partei. 4 ** So 
rückte bspw. Clara Zetkin zeitweise 4 * 
die Forderung nach einem Recht auf 
Frauenerwerbstätigkeit in die Nähe von 
vermeintlich bürgerlicher 

"Frauenrechtlerei" und stellte stattdes- 
sen die - sicherlich nicht falsche - For- 
derung nach einem Fraucnrccht in den 
Vordergrund. 42 Dies bestätigt erneut, 
daß Frauen vor allem ah Unterstützerin- 
nen, hier als Wählerinnen, der Arbei- 
tERcrganisationen. aber nicht als 
Kämpferinnen für ihre eigenen Interes- 
sen erwünscht waren. 

Über Rosa Luxemburg schreibt Ingrid 
Strobl schließlich: Luxemburg habe die 
radikalen Fcministinncn "Zeit ihres Le- 
bens aufs Schlimmste diffamiert" und 
sich stattdessen allenfalls auf reformi- 
stische Strömungen in der Frauenbewe- 
gung bezogen. Rosa Luxemburg selbst 
habe dagegen "nicht einmal eine refor- 
mistische Haltung in der Frauenfrage 
(gehabt), sic hatte keine. Was sie aller- 
dings nicht daran hinderte, Antifcmini- 
stin zu sein.“ 43 

Angesichts der gänzlich unrevolutionä- 
ren Haltung der Sozialdemokratie zum 
Patriarchat bestand für diese auch im 
Zuge der Parteispaltung keine Revisi- 
onsbedarf, 44 so daß Ende der 60er / 


30 KM« Md. 1064. 106 m.N. 

*0 a®. 1t«. 73. Vs* F. Bau» / N Uta 1564. 341: TW 
FofOofirj»« Ott MigrtMfl' fwrfcana. Ott ‘SUfaapaai': R*M 
Ott frta Bin» tut iuö*\ &t*t* 

«* füf Uliro. rfccfn iritz&m RocMo. 
-uöai nnfcM ■> tkc van Ott nBraOödafi ioxaSSÄfnn 
e*a4sxnj zun»Ss>i»eifn. ( .».* toM* »öfn * M. 1964. 174: » 0» 
wrefeäKtan F i5«-«-av f® irchoxa kam Ott 
GttaitcttrurKl in« von «uObi St Stixfirw irtschm 
int UW*n t« (bgmaD «iin, ImMim 

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Kirrwan. da <Utt nm G*j«n«nl fa!« l-l 1 
AJandrgi taotfan wJi Kör M al 1*4 bas. 164 H ndd twaigg 
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•Off-54a>3 ü 8u* Wo tt k. 1991. 200. FN 9). 

«1 Vj( <»jKtfr6lBUM4.lW.FN 7. 

49 Kama >1 1M4. 114 

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44 Vs». NggwTann. a«0. 37: ’E* l»J ufi. Ol8 6* Frortm Ott 
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Piss. Cnrta fcdi 1977 nd crcr KMKcrtainz i rttt Oa- &4til 
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99 


Anfang der 70er Jahre die neue Frauen- 
bewegung (in der BRD) sowohl in Op- 
position zur Sozialdemokratie als auch 
in Opposition zu den dominanten kom- 
munistischen Strömungen entstand. 45 
Denn eigenständige patriarchale Struk- 
turen, d.h. Strukturen, 

+ * die sich nicht nur auf den Bereich 
des (juristischen) Überbaus beziehen, 

++ die vor dem Kapitalismus, ja vor je- 
der Klassenherrschaft entstanden sind. 
++ die auch im Kapitalismus und im 
("real existierenden“) Sozialismus noch 
eine aktuelle Bedeutung haben, 
und 

++ die deshalb nicht mit der vollständi- 
gen Durchsetzung des Kapitalismus 
(Auflösung feudalistisch-patriarchaler 
Reste) bzw. der Durchsetzung des So- 
zialismus (Überwindung der 
'Unterdrückung der Frau als Verkäufe- 
rin ihrer Arbeitskraft' und der kapital- 
funktionalen Aspekte von Frauenunter- 
drückung) mehr oder minder automa- 
tisch verschwinden, sondern vielmehr 
relativ eigenständig bekämpft werden 
müssen, 

gibt cs traditionellerweise weder für So- 
zialdemokratinnen noch für Kommuni- 
stinnen! Sowohl Kommunistinnen als 
auch Sozialdemokratinnen beschränken 
sich traditioncllerweise - eben weil es 
solche Strukturen für sie nicht gibt! - 
auf die Forderung nach Gleichbe/vc/tri- 
gung von Mann und Frau. Genau hier 
muß die Kritik am "sozialdemokratisch- 
behafteten Begriff der Gleichberechti- 
gung" (und an der kommunistischen 
Antwort auf die sog. 'Frauenfrage’) an- 
setzen. Da die KomBri die wesentlichen 
Aspekte des "sozialdemokratisch-behaf- 
teten Bcgriff(s) der Gleichberechtigung" 
teilen, sind sie zu einer solchen Kritik 
nicht in der Lage! 

3. Noch einmal zur Aufspaltung des 

Patriarchats-BegrifTs 

Des weiteren behaupten die KomBri, 

daß sich das Patriarchat zur Zeit auf 

drei unterschiedlichen und vor allem 

auch analytisch zu trennenden Ebenen 

darstelle: 

a) die Ebene der (angeblichen!, d. 
Vcrf.J ökonomischen Funktionalität von 
Frauenunterdrückung für das Kapital 
("unbezahlte Reproduktionsarbeiterin" / 
Reproduktion des Arbeiters) (86). 

Der Sachverhalt als solcher ist hier von 
den KomBri zwar richtig erkannt und 
benannt worden, bietet aber keine 


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«Slüig 19«. 16 B.; Nggvrom ««O. II. 


(ausreichende) Erklärung für die be- 
hauptete Kapitalfunktionalität des Patri- 
archats: 

Zum einen greifen die KomBri hier nur 
einen Aspekt des Patriarchats heraus. 
Zum anderen ist es bspw. nicht einsich- 
tig, wieso cs nicht kapitalismus-imma- 
nent möglich sein soll, die Reprodukti- 
on der Arbeitskräfte weitgehend zu 
kommerzialisieren (und die (restliche) 
Reproduktionsarbeit auf Frauen und 
Männer gleichmäßig zu \crtcilcn) 46 
(Wie wir weiter oben gesehen haben, 
gestehen die KomBri diese Möglichkeit 
an anderer Stelle durchaus zu.) Dies 
würde dem Kapital nicht nur höhere 
Kosten (steigender Wert der Ware Ar- 
beitskraft aufgrund der Kommerzialisie- 
rung deren Reproduktion), sondern 
auch neue Mchrwertquellen verschaf- 
fen 4 ^ - nämlich durch die Arbeiten, die 
dann innerhalb des Lohnarbsitsverhält- 
nisses geleistet würden. (Dabei ist zu 
berücksichtigen, daß für den Kapitalis- 
mus jede Arbeit produktiv (sprich: 
mehrwcrlproduzicrend) ist. (unabhängig 
davon, ob sic in einem stofflichen Ver- 
ständnis produktiv ist; also unabhängig 
davon, ob sie neue Gegenstände her- 
stellt!), die in das kapitalistische Pro- 
duktionsverhältnis einbezogen ist. 48 ). 
Solange diese Arbeiten außerhalb des 
Lohnarbeitsverhältnisses geleistet wer- 
den drücken sie “sich nicht in Geld aus" 
und sind 'somit wertlos" 49 (Wert ist 
hier keine moralische, sondern eine 
ökonomische Kategorie). Sic kommen - 
da (tausch)wertlos - nicht dem Kapital, 
sondern - als Gebrauchswerte - den 
Männern zugute. Damit »st nicht gesagt, 
daß die Kommerzialisierung von Haus- 
arbeit automatisch das Patriarchat un- 
tergräbt, 50 sondern nur, daß dieser Vor- 
gang den Kapitalismus nicht stürzen 
würde. Vielmehr ist gerade mit einer 
Forderung wie der nach Lohn für Haus- 
arbeit die Gefahr der Verfestigung ge- 
schlechtshierarchischer Arbeitsteilun- 
gen verbunden. 5 * 

b) politische Funktionalität von Frauen- 
unterdrückung für das Kapital ("Kanal 
zur Umsetzung der sozialen Deklassie- 
rung des Arbeiters", Spaltung der be- 
herrschten Klasse, Schwächung des 
Klassenkampfes) (86). 


«6 Bragtra 19 «. 13 V« KJU 3 196 t. 6 S 01 . 6 Si 
*7 Oodab El in t-gatn« • m< «ucH f*M c <M BojninJug • du 
Up_*M -V, '»ei. 11 *6 Om 

KepU kM*n PI««.* 10 1 

« S. Oku JaaM» Böet Ssarwi Tibmw. 
FVeAM~eUwMiw Art*T. «r Gavgn u ba I Ginn 
Bamoon (Hj). •jtaaat WöflKtw* Om Uranu &rd 6. 
(W«HX*1«i. 1967.10« • ItW «Mi. 10*6 »Mn • '0»3 mm). 
49 SboM 1991. 151 

50 Vgl St» 1991 21.221 

51 Kag 19636. Ul lWtfuchenHajjlMl 6K 


c) das "historische Gewaltverhältnis 
zwischen den Geschlechtern", für des- 
sen Bekämpfung es aber "keine gesell- 
schaftliche Ansätze“ gebe. Daher sei 
diese Problem im "persönlichen All- 
tag" aufzugreifen: im gesamtgesell- 
schaftlichen Zusammenhang", also für 
kommunistische Politik, sei dieses Pro- 
blem aber irrelevant. Denn ein 
"entsprechender Appell“, den 

"persönlichen Alltag" zu ändern, sei - 
mangels "gesellschaftlicher Ansätze" 
(und so schließt sich die zirkuläre Ar- 
gumentation! Anm. d. Verf.) - 
"praxisfem und illusionistisch”. (164) 
Sagt der Kommunist, 
das Problem im 
"persönlichen Alltag" auf- 
greifen oder nicht, 
und bleibt das Patriarchat 
wie’s ist. 

(Frei nach der Volksmund- 
weisheit: 

Kräht der Hahn auf dem 
Mist, 

ändert sich das Wetter oder 
es bleibt wie's ist.) 

4. Die politische Konsequenz der Ne- 
gation der gesellschaftlich-materielle 
Basis der triple appression 
Die KomBri kritisieren, daß Viehmann 
et al (3: 1-Papier) nicht in der Lage 
seien, die gesellschaftlich-materielle 
Basis für eine triple oppression anzuge- 
ben. "Die konsequente Wciterführung 
gemäß dieser Analyse würde bedeuten, 
im Kampf gegen die gegenwärtigen 
Herrschafts- und Ausbeutungsstruktu- 
ren drei Feinde zu entlarven: 

- den Kapitalismus/Impcrialismus 

- den Mann im Kapitalismus 

- den Rassismen) im Kapitalismus." 

( 86 ). 

Demgegenüber müsse "der Kampf ge- 
gen das Patriarchat immer in der Orien- 
tierung des Kampfes gegen den Kapita- 
lismus bestimmt werden" (86). 
"Gemessen am politisch-ökonomischen 
Bezug stellt das Patriarchat im Kapita- 
lismus einen Ncbcnwiderspruch dar 
(...)". (86) Entsprechendes gelte auch 
für den Rassismus: "Rassismus ist eben 
(dieses Wörtchen ist das ganze Argu- 
ment: "eben" !, Anm. d. Verf.) nicht in 
erster Linie ein historisches oder geneti- 
sches Problem, sondern eine notwen- 
dige Institution im sozialen und ökon- 
omischen Gefüge des kapitalistischen 
Systems (...) \ Die Kritik an dieser kapi- 
talfunktionalen Erklärung von Patriar- 
chat und Rassismus soll hier nicht wie- 
derholt werden, da dazu das nötige 
schon in Teil I. dieses Textes gesagt 
wurde. 

Als Konsequenz fordern die KomBri. 
nicht nur "Scheinkämpfe reformisti- 



scher Art gegen Pornographie etc.' (86). 
sondern generell jegliche 

"reformistischen Forderungen” zur Mil- 
derung von Frauenunterdrückung zu un- 
terlassen. Denn "diese Kosmetik’ habe 
"als Effekt die Isolierung und Schwä- 
chung eines radikalen antikapiialisli- 
schen Kampfes gegen das Patriarchat 
zur Folge" (87). "(...) ein 'Kampf gegen 
den Mann im Kapitalismus ist (...) und 
wird (...) der spalterischen Zielsetzung 
der Installierung patriarchaler Gesell* 
schaftsstrakturen gerecht" (siche auch 
dazu die schon oben angeführte Kritik). 
Im übrigen muß auch hier auf den 
halbwahren Charakter der Behauptun- 
gen hingewiesen werden. 

So sind Kämpfe wie der Kampf gegen 
Pornographie in der Tat refomwrtsch 
(nicht notwendigerweise : reformisti- 
sch)^ . U nd zwar weil sic nur einzelne 
Erscheinungen patriarchaler Herrschaft 
und nicht die patriarchale (!) Herr- 
schaft als solche beseitigen (wollen). 
Daraus ist aber nicht zu schlußfolgern, 
daß solche Kampfe zu unterlassen sind. 
Vielmehr gilt hier - wie generell 
(zumindest für Lcninistlnncn!) -, daß 
der Kampf um Re form fordern ng so zu 
führen ist. daß er nicht nur eine unmit- 
telbare Situationsverbcsscrung, sondern 
eine Begünstigung des revolutienären 
Prozeß insgesamt bewirkt. D.h. also, 
daß der Kampf gegen Pornographie bei- 
spielsweise so zu führen ist, daß dieses 
Phänomen als systematischer Effekt ei- 
nes - von Klassenherrschaft (relativ) ei- 
genständigen - strukturellen, patriar- 
chalen Herrschaftsverhältnisses ange- 
griffen wird. 

Die Auffassung der KoinBri bedeutet 
demgegenüber allerdings nicht, einen 
"radikalen antikapitalistischen", sondern 
gar keinen Kampf gegen das Patriarchat 
zu führen. Denn: 

++ Soweit das Patriarchat angeblich ei- 
ne Funktion der Kapitalakkumulation 
ist. verbietet sich nach Ansicht der 
KoinBri ein Kampf dagegen, weil ein 
Erfolg dieses Kampfes den Kapitalis- 
mus kosmetisch verschönern würde 
(87). 

++ Soweit das Patriarchat angeblich ein 
bloßes "historisches Gcwaltvcrhöltnis" 
ist, verbietet sich nach Ansicht der 
KomBri ein Kampf dagegen, weil ei- 
nem Kampf gegen ein solches Relikt 
die "gesellschaftliche Perspektive' (87) 
fehle. 

"Durch diesen kleinen 'Kunstgriff wird 
die politische Strategie ableitbar: Zwar 
existieren patriarchalische Verhältnisse, 
von denen Männer profitieren, ein prin- 


5i Ah wtotoi nn itw KArö» von RrWfnitnen 

in t^grenjl« AM HwIM. •f&mMrtf r*r* di p*ad» 
Kaute«. <*• KsscrftaOk* mjl ■>**• bagreum Zeta 
taKMnten 


zipiellcr Gegensatz zwischen Männern 
und Frauen bestehe jedoch nicht, und 
daher könne der Kampf um die Gleich- 
berechtigung der Frau nur als Bestand- 
teil des Klassenkampfes geführt wer- 
den." 53 

III. Zur Kritik die Position der CCC- 
Gefangenen 

1. Das Wahre im Falschen 
Ebenso wie der Text der Kommunisti- 
schen Brigaden, enthält der Text der 
CCC-Gcfangenen verschiedene Thesen, 
die - zumindest dann, wenn man/frau 
sie aus dem Kontext des Versuchs, pa- 
triarchale Herrschaft als Nebenwider- 
spruch zu interpretieren, herauslöst - zu- 
treffend sind: 

"Der Sinn der revolutionären Aktivität, 
also der Bewegung, die Anspruch auf 
die Verantwortung dieser Aktivität er- 
hebt. ist die revolutionäre Umwandlung 
der Gesellschaft und nicht die Erobe- 
rung einer Enklave neuer Verhältnisse 
innerhalb der alten Gesellschaft. Die 
Verdrängung eines sozialen Systems 
durch ein anderes ist ein historisch-ob- 
jektives Phänomen, das besonders 
strengen Gesetzen gehorcht, die durch 
die historischmatcrialistisch; Analyse, 
relativ zur Entwicklung der Produktiv- 
kräfte und zu den Rollen der sozialen 
Klassen, etc. aufgedeckt werden. In die- 
ser Hinsicht hat die revolutionäre Bewe- 
gung in eister Linie die Aufgabe, diese 
Gesetze zu kennen, sie zu verstehen und 
sie in all ihren Orientierungen und Ta- 
ten zu berücksichtigen; bei der Strafe, 
auf ewig zum Scheitern verurteilt zu 
sein oder in der Jauche der Alternative 
(sei sic auch bewaffnet) zu degenerie- 
ren." (90) 

Das einzige, was. an dieser, ansonsten 
zustimmungswürdigen, Passage klä- 
rungsbedürftig ist, ist der Gssetzes-Be- 

griff der vier Genossen bzw. die prekäre 
Grenze zwischen Materialismus und 
Determinismus. Wenn sic von 
"besonders strengen Gesetzen" spre- 
chen, dann sind in dieser Hinsicht zu- 
mindest Bedenken anzumelden. Zur 
Vielschichtigkeit des marxistischen Ge- 

setzesbegriffs und der Determinismus- 
Gefahr s. die Stichworte “Basis" (Band 
1) und "Gesetz” (Band 3) im 
"Kritischen Wörterbuch des Marxis- 
mus". 

Ebenso richtig ist natürlich die Aussage, 
daß "es utopisch - falsch - (ist), eine 
reale Befreiung von bürgerlich-ideolo- 
gischen Kategorien ins Auge zu fassen, 
außerhalb des objektiven Rahmens der 
sozialistischen Revolution und ihrer 
Kulturrevolution. Der revolutionäre 


5J MMVtfaM» 19«. *. «X tU <*• OKP-Fw** 


Kampf ist zwar ein Befreiungsfaktor für 
diejenigen, die sich itim verschreiben, 
aber er ist es nur soweit, als man sein 
Ziel nicht aus den Augen verlieft: die 
Revolution, die Diktatur des Proletariats 
und den sozialistischen Aufbau in Rich- 
tung des Kommunismus." (90) 

"Auch wenn wir in ikm offenen Brief 
Abschnitte lesen wie: 'Wir wollen das 
eine Organisierung unseres Kampfes 
gegen das patriarchal-kapitalistische 
System, in den wesentlichen Momenten 
des sozialen Zusammenlehens, wie wir 
es ins für die zu erkämpfende Gesell- 
schaft vorstellen, schon enthalten ist', 
denken wir, es mit einer (im nicht-mate- 
rialistischen Sinne) völlig idealistischen 
Konzeption zu tun zu haben; mit einer 
subjektivlstischen Abweichung, die den 
Anspruch erhebt auf radikal neue so- 
ziale Verhältnisse "in den wesentlichen 
Momenten des sozialen Zusammenle- 
bens \ vor und/oder unabhängig von 
einer revolutionären Umwandlung der 
Gesellschaft. Dies ist die Art von Über- 
legung. die im besonderen Sinn zur 
Aufgabe einer 'revolutionären' Position 
zugunsten einer alternativen Position 
führt. Denn schließlich, wenn cs wirk- 
lich möglich ist, 'in den wesentlichen 
Momenten des sozialen Zusammenle- 
bens soziale Verhältnisse zu schaffen, 
die vollständig zum Ressort der 'zu er- 
kämpfenden Gesellschaft' gehören, 
warum muß besagte Gesellschaft dann 
noch erkämpft werden? Man sicht hier, 
wieviel Keime des Linksradikalismus 
mit seinen unvernünftigen Forderungen 
der Subjektivismus auf einmal in sich 
trägt; dazu noch Keine des Reformis- 
mus (wenn auch radikal oder bewaff- 
net) mit seinem Wunsch, das System zu 
verbessern und sogar eine Nische in 
seinen Innern auszuhöhlen." (91 - Her- 
vorh i.O.). 

Hier sind nur drei Bemerkungen anzu- 
fügen: 

a) Dis Patriarchat ist kein Untcrfall der 
"bürgerlich-ideologischen Kategorien". 
Weder ist cs bloß eine ideologische Er- 
scheinung. noch ist es (bloß) eine Funk- 
tion der Bourgeoisie. Daher kann das 
Zwischcnzicl auf dem Weg zum Kom- 
munismus auch nicht nur in einer Dikta- 
tur des Proletariats bestehen. Allerdings 
scheint mir der Begriff der feministi- 
schen und antirassistischen Revolu- 
tion 5 ** im Hinblick auf die eventuell 
Notwendigkeit/Möglichkeit einer anti- 
patriarchalen und anlirassistischen 
Übergangsgesellschaft noch nicht aus- 
gearbeitet zu sein. Die Theorie von der 
sozialistischen Übergangsgesellschaft 
(Diktatur des Proletariats) scheint mir 


M D* tryll larMB&a BtYoMDn’IrJM b v*. bf< 

IK6-H71.6I. 



101 


dafür allerdings nur äußerst begrenzt 
nutzbar zu machen sein. 

b) Der Kritik an den autonomen Antizi- 
pation-Hoffnungen ist ohne weiteres 
zuzustimmen; nur daß damit wohl das 
Zicl-Wcg/Miltcl-Problem nicht erschöp- 
fend behandelt ist. Denn die Gefahr, 
daß Handlung, die eigentlich als Mittel 
zum Zweck gedacht sind, sich real ge- 
genteilig auswitken (verselbständigen), 
also gerade nicht Mittel zum Zweck 
sind, war und ist real. 

c) Schließlich kann auch der Wunsch, 
bereits vor dem Sturz des Systems Ver- 
besserung durchzusetzen, nicht generell 
verworfen werden. Siche dazu schon 
oben Anmerkung zum Kampf gegen 
Pornographie. 

'Ein globales revolutionäres Projekt 
impliziert eine theoretische Vereini- 
gung (weil die Maßnahme der Synthese 
eine der gesamten revolutionären Bewe- 
gung gemeinsame Vision [?!, Anm. d. 
Verf.) der Welt erfordert, die unserer 
Meinung nach der Marxismus-Leninis- 
mus sein muß); dies impliziert eire po- 
litische, strategische und programma- 
tische Vereinigung (damit die Kräfte 
den objektiven Bedürfnissen entspre- 
chend sinnvoll konzentriert und verteilt 
werden und der Zusammenhalt und die 
Gewichtigkeit ihrer Demonstrationen 
das Vertrauen der Massen gewinnen); 
dies impliziert schließlich eine organi- 
satorische Vereinigung (die den ande- 
ren Ansprüchen an Einheit die Krone 
I?!. Anm. d. Verf.) aufsetzt und aus der 
das Konzept der Partei seine historische 
Legitimität schöpft).' (91) 

Die These ist insofern richtig, als sie die 
grundsätzliche Notwendigkeit der Or- 
ganisierung. der Vereinigung betont. 
Übersehen wird jedoch, daß die theore- 
tische Vereinigung nicht auf der Grund- 
lage des traditionellen "Marxismus-Len- 
inismus" mit seiner Nebenwiderspruch- 
stheorie erfolgen kann. Vielmehr ist 
diese theoretische Vereinigung nur 
möglich als Vereinigung des wissen- 
schaftlichen Sozialismus mit dem wis- 
senschaftlichen Feminismus und dem 
wissenschaftlichen Antirassismus. 
Diese vielfach (größernteils?) erst noch 
zu erarbeitende, neue revolutionäre 
Theorie wird dann sinnvoll auch nicht 
mehr Marxismus-Leninismus) heißen 
können (s. zu letzterem: Linke Liste TU 
1989). 

Neben den zitierten und großenteils 
richtigen Ausführungen finden sich im 
Text der CCC -Gefangenen allerdings 
auch Passagen, deren Inhalt als grund- 
sätzlich unzutreffend oder nicht nach- 
vollziehbar bezeichnet werden müssen: 


2. Zum dritten Mal: Die definilori- 
sche Abschaffung des kapitalistischen 
Patriarchats 

"Das Patriarchat beruht auf der Familie, 
deren Vermögensbesitzer der Mann ist 
und in der die Übertragung des Vermö- 
gens der Abstammung in väterlicher Li- 
nie folgt." (92). "(...) cs (ist) in bezug 
auf die entwickelten Länder der impe- 
rialistischen Zentren unzweckmäßig 
(von Patriarchat zu sprechen, d. Verf.) 
(...); ganz einfach, weil ungeachtet der 
Beständigkeit von besonderen Formen 
ökonomischer Ausbeutung, sozialer, 
ideologischer und kultureller Unter- 
drückung. die Gleichheit der Rechte 
zwischen Männern und Frauen erwor- 
ben ist." (92) "Wir denken, daß cs kor- 
rekter ist. unsere aktuellen Gesellschaf- 
ten als fortgeschrittenen Kapitalismus 
und die bürgerlichen Demokratien als 
sexistisch zu beschreiben.” (92). 

Die CCC-Gefangenen nehmen hier eine 
Definition der bestehenden Metropo- 
Icngesellschaftcn vor. Eine Definition , 
also auch die vorliegende, kann aber 
weder korrekt noch inkorrekt noch 
"korrekter' sein, sondern sie wird ge- 
setzt. Die (Un)nützlichkcit einer solchen 
Setzung kann sich erst int weiteren 
Gang der Untersuchung zeigen. Die 
Unnützlichkeit der in der These ange- 
führten Definition der CCC-Gefan- 
genen zeigt sich daran, daß es nicht 
etwa der Feminismus ist. sondern daß 
sie es selber sind, die keine Ursa- 
che/Basis für die von ihnen zutreffen- 
derweise diagnostizierte "Beständigkeit 
von spezifischen Äußerungen ökonomi- 
scher Ausbeutung, sozialer, ideologi- 
scher. kultureller, etc. Unterdrückung 
der Frauen" 92 benennen können. 
Wieso gibt es eine spezifische Ausbeu- 
tung und Unterdrückung der Frauen, 
wenn es nicht auch ein spezifisches, 
strukturelles Frauen-Untcr- 

drückungsverhaltnis (vom Feminis- 
mus "Patriarchat" genannt) gibt? 
Dem Begriff 'Sexismus' scheint ja. wie 
sich aus tfcr grundsätzlich nebenwider- 
spruchsthcorctischcn Position der CCC- 
Gefangcncn ergibt, eine solche spezi- 
fisch (eigenständige) strukturelle Be- 
deutung nicht bcigcmcsscn zu werden... 
Aus der definitorischcn Setzung der 
"aktuellen Gesellschaften als fortge- 
schrittenen Kapitalismus und (der) bür- 
gerlichen Demokratien als sexistisch" 
wird die scheinbare Plausibilität einer 
nächsten Ihcsc gewonnen: 

"Dieser wesentliche Hebel, wir brachten 
es kurz in unserem Text 'Ein bißchen 
Politik' zur Sprache, ist der universelle 


und antagonistische Widerspruch /wi- 
schen internationalem Proletariat und 
imperialistischer Bourgeoisie. (...). Un- 
serer Ansicht nach können in einer Ge- 
sellschaft. die in sozial-antagonistische 
Klassen geteilt ist. keine Rechte und 
Freiheiten existieren, die dem Klassen- 
kampf übcrlicgcn. Es gibt gegen- 
wärtig überaus mehr gegensätzliche als 
gemeinsame Interessen einer Bürgerli- 
chen und einer Proletarierin; (93) 
S. a 90 "das kapitalistische System 
(und all seine sozialen Äußerungen, wie 
Rassismus. Sexismus etc.)“. 90: 

"Globalität derjenigen Klasse " 
(Hervorh. d. Verf.). 

Wie erwähnt, wird an keiner einzigen 
Textstelle auch nur der Versuch einer 
Begründung dieser Aussage (Primat des 
Klas*enkampts) unternommen. Die 
oben zitierte Patriarchats/Sexismus-De- 
finition kann jedoch eine solche Be- 
gründung nicht ersetzen. 

Speziell zur Frage des klasscnübcrgrci- 
fenden Frauenintcrcsscs sei noch ange- 
merkt, 

++ daß sowohl bürgerliche als auch 
proletarische Frauen von Männergewalt 
(u.a. ehelicher und außerehelicher Ver- 
gewaltigung). sexistischer Anmache 
und Werbung bedroht sind; 

++ diß bürgerlichen und proletarischen 
Frauen die Verantwortung für Haushalt 
und Kinderer/.iehung aufgebürdet ist 
(auch wenn bürgerliche Frauen eher die 
Möglichkeit haben, einen Teil der Ver- 
antwortung gegen Entgelt an andere 
Frauen zu delegieren); 

++ daß bürgerliche und proletarische 
Frauen der sexistischen Arbeitsmarkt- 
stmktur (Entlohnung. Aufstiegschancen 
etc.) ausgesetzt sind (wobei proletari- 
sche Frauen aus Gründen ökonomischer 
Notwendigkeit vielleicht eher die Mög- 
lichkeit haben, einer Erwerbstätigkeit 
nachgehen zu können). 

Selbst Lenin stellte zu Recht fest, "die 
Hauswirtschaft ist in den meisten Fällen 
die unproduktivste, die barbarischste 
und schwerste Arbeit, die die Frau ver- 
richtet. Es ist eine sich im allerengsten 
Rahmen bewegende Arbeit, die nichts 
enthält, was die Entwicklung der Frau 
irgendwie fordern konnte." Er zog dar- 
aus den Schluß, die "Frau in die gesell- 
schaftlich produktive Arbeit einzubezie- 
hen. sie der 'Haussklavcrci' zu entrei- 
ßen. sie von der absiumpfcndcn und er- 
niedrigenden Unterordnung unter die 
ewige und ausschließlich Umgebung 
von Küche und Kinderstube zu befrei- 
en."^ 

Lenin schreibt hier wohlgemerkt "die 
Frau*, nicht "die Arbeiterin". Recht hat 


SSlW33 36u»JlW».40ian K*tmidal 198« IM 



102 


er - insoweit. Unrecht hat Lenin inso- 
weit, als die Frauen hier nur Zubefrei- 
ende, nicht als um ihre eigene Befreiung 
Kampfende Vorkommen. Im übrigen 
waren/sind Frauen auch in der Erwerbs- 
arbeit noch einer sexistischen Arbeits- 
teilung unterworfen. Dies war auch in 
der Sowjetunion - selbst in der ( relativ 
zum Stalinismus) anti-patriarchalen 
Phase unmittelbar rach der Oktober-Re- 
volution - der Fall.®** Selbst Alexandra 
Kollontai betrachtete speziell die haus- 
arbeitsnahen Berufe als Sache der Frau- 
en. 57 

3. Wessen "stereotype 

Einstimmigkeit"? / Den Kampf gegen 
den Reformismus/Ökonomismus 
tatsächlich führen! 

Auf der Grundlage der unbegründeten 
These, daß der Klassenwiderspruch die 
einzige Dominante der gesellschaftli- 
chen Struktur in der imperialistischen 
Metropole sei, kommt es in dem Text 

immer wieder 7.u einer Fbnenver- 
wischung: Statt wenigstens einmal den 
Versuch einer Begründung dieser These 
zu unternehmen, polemisieren die CCC- 
Gcfangcncn ständig - und zu Recht - 
gegen Trade-unionismus und Teilbe- 
reichs-Beliebigkeit. Sie erzeugen da- 
durch eine - wie sie selber schreiben - 
"stereotype Einstimmigkeit" (90): "Ja, 
ein Kampf der nicht antipatriarchalisch 
ist, ist kein revolutionärer Kampf. (...). 
etc. etc. etc." (90) "wir sind alle gegen 
Sexismus, Rassismus, Militarismus" 
(Seitenref wir_alle)). Damit wird an den 
längst vorgebrachten Argumenten für 
die Annahme eines (relativ) eigenstän- 
digen Geschlechterwiderspruchs ein- 
fach vorbeischwadroniert. 

Statt sich mit diesen Argumenten aus- 
einanderzusetzen. vermischen 58 die 


56 Sroö 1991. 21 . S. ttici da PoMbn «n 1919. 27. t/t 
xfafr. nur» Cmttrgro. Sc*Mtt.m>. K 

C* < kFmvnW HamwrtKtaß lohn. Ihd dt 
S tfaSr*} (I dnv Eivcforget et er* A/t*l dt heue Ofchfcft 
von den Foutn rj Woran id ' 

57 iMtrdri KdooUL Oe Sftaan fl* Freu «l d* peuütfiatfcfwi 

(19211. FdrtJat «ro U*\ 1975. 2» 

56V0 89 trtjt p&*t0** Pio<Wm «i pol* 
ntWitn «M ad (M S^Urtn ad tyrdtren lö* rn Kmol 
jrbvi aA d* Artrausmm. aVtn ad <Mn tmräoms. av 
<#t *J dt wwunjiii^». AeHeutMMO*. endm U dm er» 
IssOOtivrrf) KmpL me» a*Vi mt dt IMmntano 
Getmgo-ar. ird da Lö« a o nJo*’ Bi Viß da Frag» des S* 
OSTW <M Garoimun. dt rt im urtrmtnri w. vH 
IUI» « Mn* W* »n rWy*w Grrvsm n 

d» Fio^ des «aramrji tawrMo sen ««3 Odnimtv 

rcOi Utf. Ami . Manofi d rtdj OA da er« aaruDifan 
tUroB&fm Ui«**«*« udr-vWn«n Ganoiilrmn pertfnleti 
9*9a> *• M Vw*n.«<«*xg Sp«fcv4aUx> r»vol 

«•an mrdtn* & 9t: Ttuaut |*M h ao. daß M du RacM ad 
Satabaomrg enu «-rweatfutadwi Karr«x« iMeTncn. 
Mi wr <Wws R*3i W aw *jflt*sc* «Warinn. (..)’ 1 * «a 
CtocMh*". daß m tee* da '«Tru-gw (du UkaMrui. dw 
LdrUTi. - tK) taAhun oi aus dem KipuWttMIiB (irü so- 
m« «s m Fel dir mrwpna m» [«aOoW 
AAM#ixiSWinj>9 gtH au da- Ga*hWeMa<v*tU*!<i attl 
ab» IWIMM PhVoran or. dtfl i6k da. (taoamm nü du PsTV 
öO-a fnnall nritf aa dan Kj.tf.'.o-Alro etgoMM srd 


CCC-Gefangenen ihre - zutreffende! - 
Kritik an trade-unionistischen Positio- 
nen bzw. der Teilbereichs-Beliebigkeit 
mit einer - verfehlten! - Abgrenzung 
("Kritik“ zu schreibsn wäre falsch, denn 
es werden keinerlei Argumente vorge- 
bracht!) von Positionen, die auch den 
Geschlcchterwiderspruch und den Ras- 
sismus als Dominante der gesellschaft- 
lichen Struktur betrachten. Tatsächlich 
aber stellt sich dos Trade -unionn- 
mus/Rcformismus-Problem in jedem 
dieser drei Kämpfe. Es gibt also 
(genauso wie es einen reformistischen 
Kampf gegen einzelne Erscheinungen 
des Kapitalverhältnisscs und einen 
(revolutionären?) Kampf gegen das Ka- 
pitalvcrhältnis gibt) einen reformisti- 
schen Kampf gegen einzelne patriarcha- 
le Erscheinungen und einen 
(revolutionären?) Kampf für die Über- 
windung der patriarchalen Struktur 9 - 
und entsprechend hinsichtlich des Ras- 
sismus. 

F.ine tatsächlich revolutionäre Politik 
muß sich (aber) wohl aufgrund der real- 
historischen Verflochtenheit dieser 
Strukturen 6 ® gegen alle drei Hcrr- 
schaftsverhältnissc richten. Nehmen wir 
als Beispiel, wo dies - weitgehend un- 
bewußt (!) - realisiert wurde, die Okto- 
ber-Revolution: 

»++ Wenn erstens richtig ist, was Al- 
thusser schreibt. - nämlich, daß die Ok- 
tober-Revolution nur möglich war auf- 
grund der "Anhäufung und Zuspitzung 
aller damals in einem einzigen Staat 
möglichen historischen Widersprüche" 
(Althusser 1962, 59), 

++ und wenn zweitens bekannt ist, daß 
Frauen in revolutionären Situationen zu 
einem relativ höheren Anteil am politi- 
schen Prozeß teilnehmen (können) als 
in nicht-revolutionären Zeiten (Klenke 
1983, 28; Kolkenbrock-Netz 1983, 33, 
35). 

++ dann stellt sich drittens folgende 
Frage (...): (...) Ist nicht ein 'rein’ prole- 
tarisches (genauso aber auch: ein ’rein’ 
feministisches oder antirassistisches) 
revolutionäres Bewußtsein per se un- 
möglich? Ist revolutionäres Bewußtsein 
vielleicht als Produkt der gleichzeitigen 
Eskalation von Klassen- ('Brot und 
Frieden'), Geschlechter- (quasi Leibei- 
genschaft der Frauen im Zarenreich) 
und rassistischen Widersprüchen (Frage 
des Sezzionsrechts nationaler Minder- 
heiten) zu definieren? Und läßt sich 
vielleicht weiter sagen, daß der rcvolu- 


59 Zu rrrotKoWw ChanOla cos FbtT«s-«b nt Mfctal 1K6- 
71. 10.12.611 

60 V(f Hin Ol 19». 217: SM UrtwKOj-} <M Frau* M «r <to 

fUcroUUn <M> fcjpufet&ftt FVaUnraMBS nttran*) 
yrrlv Uro c Mb* *i «gavfcr** MMramUWj* 
Sm von OK Meuisuaw «W» w **«• 

Sa. Haiti 196). 221. 


tionärc Prozeß in der Sowjetunion ge- 
nau in dem Moment zum Erlahmen 
kam, als diese Überlagerung / dieses 
Zusammenwirken von proletarischen 
(sozialistischen), feministischen sowie 
(in heutiger Terminologie: antirassisti- 
schen) Kämpfe nationaler Minderheiten 
wegfiel / zum Erliegen gebracht 
wurde?« 61 

Julict Mitchell schreibt dazu in 
“Frauenbewegung - Frauenbefreiung“: 
"Trotz Lenins scharfer (Ökonomismus-, 
d. Verf.) Kritik sind die Kämpfe der Ar- 
beiterklasse in der westlichen Welt zu 
stark innerhalb der Grenzen ihrer eige- 
nen ökonomischen Ausbeutung geblie- 
ben und waren entweder an Gewerk- 
schaftspolitik oder an reformistische 
kommunistische Parteien gebunden. (...) 
Schlamm eines schwarzen Chauvinis- 
mus, was das rassische und kulturelle 
Gegenstück zum Ökonomismus der Ar- 
beiterklasse wäre, wo man nicht weiter 
als über seinen eigenen Bauchnabel 
hinausschaut: Was für Arbeiter gilt, gilt 
auch für Schwarze (und auch - so kön- 
nen wir sicherlich im Sinne von 
Mitchell ergänzen - für Frauen, d. 
Vcrf.J: 'Das Bewußtsein der Arbeiter- 
klasse kann kein wahrhaft politisches 
sein, wenn die Arbeiter nicht gelernt 
haben, auf alle und jegliche Fälle von 
Willkür und Unterdrückung, von Ge- 
walt und Mißbrauch zu reagieren, 

(.■•r 62 

4. Frauenunterdrückung ist nicht nur 
ein Überbauphänoraen! 

Wenn die CCC-Gefangenen schreiben, 
"denn es ist gänzlich absurd und falsch 
zu behaupten, daß das Patriarchat die 
Gebärmutter des Kapitalismus sei oder, 
wie es die Genossinnen der 'Infolüden' 
schreiben, 'eine den Kapitalismus mit 
bedingende Herrsckafts- und Unter- 
drückungsform'. In einer allgemeinen 
Form beruht eine solche Konzeption auf 
dem philosophischen Idealismus: sie 
behauptet, daß der Überbau die Struktur 
kreiert; sie versichert sich in der Finali- 
tät, daß der Mensch die Gesellschaft 
und die Geschichte kreiert, stau ein hi- 
storisches und soziales Produkt zu sein. 
Eine sulche Konzeption verwirft in ab- 
soluter Art und Weise den gesamten hi- 
storischen und dialektischen Materialis- 
mus," so ist ihrer Kritik an der Position 
der Infoläden als auch der Kritik an den 
menschlichen (humanistischen) All- 
machtsphantasicn zuzustimmen. Nicht 
zugestimmt werden kann allerdings der 

im zweiten Satz implizierten These, daß 


61 Scfuto* 1992. 2. FN 15. 

62 Ufct«l 1956-7!. 17. 1B. Oil ZU* H 7 IX am Wts an’. Da* 
1970. S 106 



103 


Frauenunterdrückung nur ein Über- 
bauphänomen sei. Vielmehr bestimmen 
Kapitalismus. Patriarchat und Rassis- 
mus gleichermaßen Basis und Überbau 
der Gesellschaft (s. dazu die ausführli- 
cheren Erläuterungen im ersten Teil 
dieses Textes). 

5. Kommunistischer Reformismus 
Das folgende Zitat dokumentiert unter 
anderem ein Mißverständnis der marxi- 
stischen Positionen bezüglich Gleich- 
heit und Ungleichheit, was zu objektiv 
reformistischen Forderungen der CCC- 
Gefangenen führt: 

‘Tatsächlich hängt alles von den realen 
Zielen ab. die mar zu erreichen sucht. 
Entweder eine radikale und komplette 
Veränderung der sozialen Verhältnisse, 
hin zu der Gesellschaft der Gleichheit: 
die Abschaffung der Ausbeutung und 
Unterdrückung des Menschen durch 
den Menschen, die Beseitigung des Se- 
xismus. der Phallokratie. etc.; oder anti- 
sexistische, antiphallokratischc Refor- 
men, die aber im Rahmen der globalen, 
unveränderten sozialen Verhältnisse, in 
der die Teilung in Klassen und die Un- 
terdrückung des Menschen durch den 
Menschen fortbestehen, zwangsläufig 
unbefriedigend sind. Das erste Ziel ist 
das der revolutionären Kommunistin- 
nen, das zweite das der reformistischen, 
bürgerlichen und kleinbürgerlichen Fe- 
ministlnnen." 

Zum einen ist hier anzufugen, daß die 
Einnahme einer feministischen Position 
noch lange nichts - weder positiv noch 
negativ - darüber aussagt, ob auch die 
Abschaffung der Klassen verfolgt wird. 
Zum anderen - und hier zeigt sich das 
Mißverständnis - ist “Gleichheit" eine 
Kategorie des bürgerlichen Rechts 
(MEW 19, 20); der Marxismus fordert 
daher nicht die Gleichheit der Klassen, 
sondern die Abschaffung der Klassen 
(MEW 19, 20; MEW 20. 580 f.). Ent- 
sprechend geht es für Revolutionärin- 
nen auch nicht (bloß) um die Gleichbe- 
rechtigung der Geschlechter, sondern 
um die Abschaffung der sozial konstru- 
ierten Geschlechter 3 und der ebenfalls 
sozial konstruierten "Rassen"® 4 als 


63 läch L-iriUnri M rf O l B f» Mutt « I-Ktwi Otn 
urtWKfUKtXMn tafcgBcMn Bgansduflin von MAran uxJ 
frai*n(rgl i«il aivKitei ix« Ojiaa angaökfv 
ttikfidi atai 8« WmsiMrtan ic- 

-UMOUf utf •MMOktr (an* 
OTMoarii tu vrta»Kh««Jan. Sa« ctou Kimay IW7 in) 
*Uim> 1987. CM wn forafunj «l hwus gaia*J. <US 

auffi bofcgsöl r*« onMmg -on *ra> Z-a»*schl**»lcM«l ga- 
IfKrtV* iwW Wn Vttlrufi UMal n UT. ha 0c> TIhm Kn 
Ott COtopHfan Z.ogasfJ«föö*el un an« Proben 
Wiriw*«* kMotog« aJ CM BdogM (GAMmMsaaiMiaew IBK). 
W S Om: Vtfmim 1990. Q' *Ei gt* nur am Rbi* CM 
m«n*I*ft Raum' ttn) om KcnBatTcn. :• öo müa md 
Udinla UritndHto n s-gaNO bctogsOi ladnj» 
W«»n»g*rddufla(v CCktmU Rum’ * an« <*M«« K««*- 

gtfa. da t\ 0*t GeWidWa gtfJl «arta. 

(BotogachganatiKfi an) tagm» da IManchM« r-WJvan 


Dominante der gesellschaftlichen Struk- 
tur. 

Drittens - und hier zeigt sich erneut der 
Reformismus - ist ja gerade der Vorwurf 
der Feminist innen an die Kommuni- 
stinnen. daß es letztere seien, die sich 
auf bloße “ antisexistische . antiphallo- 
kratische Reformen, die aber im Rah- 
men der global unveränderten sozialen 

Verhältnisse" blieben, beschränkten; 
daß sie die (klassenunabhängigen!) pa- 
triarchalen Strukturen unangetastet 
ließen ! 

Insofern läßt sich die These sinnvoll 
folgendcrwcise umformulicren: 
Tatsächlich hängt alles von den realen 
Zielen ab. die man/frau zu erreichen 
sucht. Entweder cire radikale und kom- 
plette Veränderung der sozialen Verhäl- 
tnisse, hin zu der Gesellschaft ohne 
Herrschaftsverhältnisse; die Abschaf- 
fung der Ausbeutung und Unterdrük- 
kung des Menschen durch den Men- 
schen, oder nur reformistisch die Ab- 
schaffung des Kapitalismus, aber wei- 
terhin im Rahmen der globalen, unver- 
änderten sozialen Verhältnisse, in der 
die Unterdrückung von Frauen durch 
Männer und von Schwarzen durch 
Weißen fortbestehl Das erste Ziel ist 
das der (umfassenden) Revolutionärin- 
nen, das zweite das der patriarchalen 
Kommunisten. 

6. Anmerkungen zum Verhältnis der 
CCC-Gefangenen zur Sprache als so- 
ziales Kommunikationsmittel: 

a ) Zur Feminisierung der Sprache: 

- Das Übersetzungsproblem: 

Wenn es stimmt, daß “das Problem 
'man/Mann im Französischen nicht 
(besteht). 'Man heißt 'on (unbestimmtes 
Fürwort), ohne daß da die geringste Er- 
innerung an seinen lateinischen Ur- 
sprung 'homo wäre." (93). 65 dann wäre 

- anders als die CCC-Gefangenen mei- 
nen (93) - gerade der Übersetzer zu kri- 
tisieren. Gerade dann wäre es angemes- 
sen gewesen, als - (ebenfalls) ge- 
schlechterübergreifende - deutsche in- 
haltliche Entsprechung zu 'on' 
'man/frau' zu wählen. 

- Das Problem der Feminisierung (der 
französischen Sprache): 

Die CCC-Gefangenen schreiben eine 
Feminisierung der französischen Spra- 


We*3«n goniu» ahrtö ir« go0 *M r*Oct*r\ Sä^arrao uvd 
w*0*n mJ «v« reefen Scfiwnan: So mxK D Beöjr«. Gaoe*. 
GawlwMfl. r Hrttrgird 101965 *6 t«rj: Tn 

(tnanv Zuarn»ft*g tai uvimiWian. drt de omtwtf« 
fränfTM 0* VmMia EigmNNn kd&cfi &• 

IHs-iO»*)« t-oO*o nö* tb* r*rcr*n NaHmn. 

Raum Ooi aiaU Crmm CtttfC Vgl oirP Imvaruel 
WihWHi. CM Kmonwov « v»im. n Ö*IS ) Ftama BiKoi. 
Raua KUs». f«wv. HarfcjrtfWan&arfn. I WO. 87 ■ 

65 OM» Mwt» wrf nmavdtst aucti K«v An-AS« Um. Passon 
c Ott Sag-tgarov 1 . n Oa SOr-ana Bart f». 29. Om 
l98SU«VF«b 1965. 10 ■ ISpSIgetet 


ehe sei aufgrund der “Übereinstimmung 
der Adjektive, der Partizipien der Ver- 
gangenheit. (der) Wahl der Fürwörter, 
etc." nur unter Zerstörung der Sprache 
als soziales Kommunikationsmittel 
möglich (94). Ich weiß nicht, wie das 
im Französischen genau ist; aber auch 
im Deutschen müssen ggf. / werden ja 
die Adjektive teilweise mit ergänzt, oh- 
ne daß die Verständlichkeit der Spruche 
zerstört wird. Im übrigen werden fran- 
zösische und belgische Feministinnen 
sicherlich längst eine Lösung für dieses 
Problem gefunden haben - falls es denn 
besteht. 

Schließlich weigern sich die CCC-Gc- 
fangenen “fratemel' und fraternite' 
(brüderlich und Brüderlichkeit. d.Ü.)" 
mit "'sororar oder so ro rite' 
(schwesterlich und Schwesterlichkcit, 
d.Ü.)" zu verbinden, da letztere 
“heutzutage ebenso rar in den Wörter- 
büchern. wie der sozialen und politi- 
schen Kultur unbekannt sind“ (94). Dies 
zeigt erneut nur den begrenzten politi- 
schen Horizont des "kommunistischen" 
Ansatzes der CCC-Gefangenen. Denn 
die Parole der Schwesterlichkeit ist 
nicht nur eine Parole der heutigen Frau- 
enbewegung. sondern hat eine Tradition 
seit den 30er Jahren des 19. Jahrhun- 
derts. 66 

- Das Überbau -Problem / das Problem 
der Wirkung: 

Die CCC-Gefangenen "bezweifeln 

stark, daß dies (eins Feminisierung der 
Sprache. Erg. d. Verf.) irgendeine Wir- 
kung haben könnte' und weisen in dem 
Zusammenhang darauf hin. "daß die 
Sprache aus dem Überbau stammt”. 
Sicherlich wird eine Feminisierung der 
Sprache (allein) nicht das Patriarchat 
stürzen, aber eine Änderung der patriar- 
chalen Sprache ist ein Elemente des an- 
lipatriarchalen Kampfes - und zwar ein 
relativ leicht zu bewerkstelligendes 
Element. Daher: Wenn selbst hier schon 
die Bedenken und Vorbehalte ansetzen. 

Frauen wollen zu Recht eine Sprache, in 
der sie Vorkommen - sei es bei Stellen- 
ausschreibungen; sei es bei Texten, die 
den Anspruch erheben eine, "historisch- 
materialistische Analyse" (90) der Ge- 
sellschaft zu geben. ... wo auch immer! 
Auch der wissenschaftliche Sozialismus 
mußte neue Begriffe prägen. Und da 
das Patriarchat anders (komplexer) 
strukturiert ist als der Kapitalismus, 
sind die sprachlichen Änderungen, die 
der Feminismus fordert umfassender, 
als die der Sozialismus (gc)fordcrt (hat). 
"Es hilft hier überhaupt nicht weiter, auf 
die Gcschlcchtsneutralität" bestimmter 
“Begriffe hinzuweisen. (...), wenn Frau- 


66Kärn«atl&4.1iZ 



104 


en sie schlicht als männliche Begriffe 
hören und verstehen. Eine Sprcchhand- 
lung und eine Anrede gelingt nur, wenn 
sich die Angcsprochcnc auch angespro- 
chen fühlt. Nun sind wir Frauen da et- 
was vorsichtig geworden, weil wir es 
immer wieder erleben, daß wir nicht 
mitgedacht werden. 'Die Abgeordneten 
kamen alle mit ihren Frauen zu dem 
Empfang " ist ein völlig normaler Satz. 
Mit 'Die Abgeordneten kamen alle mit 
ihren Männern zu dem Empfang' wissen 
wir weniger anzufangen. Also de Ab- 
geordneten, obwohl cs grammatikalisch 
ein wunderbar neutraler Begriff ist: im 
Singular parallel die Abgeordneu: und 
der Abgeordnete . im Plural: die Abge- 
ordneten, werden semantisch zunächst 
männlich interpretiert." 67 
Im übrigen sei in Erinnerung gebracht, 
daß selbst Stalin in einer seiner späten 
Schriften ("Marxismus und Fragen der 
Sprachwissenschaft"), in der er etwas 
von seinem Ökonomis- 

mus/Determinismus abriiekte, die 
These, die Sprache sei ein Element des 
Überbaus, zurückwies: 68 
"Das ständige Wachstum von Industrie 
und Landwirtschaft, von Handel und 
Transport, von Technik und Wissen- 
schaft, zwingt die Sprache, ihren Wort- 
bestand laufend mit neuen Worten zu 
ergänzen, die für deren Tätigkeit uner- 
läßlich sind. Als unmittelbaren Aus- 
druck dieses Bedarfs ergänzt die Spra- 
che ihren Wortbestand mit neuen Wör- 
tern, wird ihr grammatikalischer Bau 
vollkommener. Somit a) kann ein Mar- 
xist die Sprache nicht zum Überbau der 
Basis zahlen; b) die Sprache mit dem 
Überbau verwechseln, heißt einen ern- 
sten Fehler begehen." 69 (Hervorh. d. 
Vcrf.) Wo er Recht, hat er Recht. Wir 
müssen unsere Sprache so ändern 
("neue Wörter" / neuer "grammatischer 
Bau"), daß Frauen darin Vorkommen; 
die objektive Realität zutreffend wider- 
gespicgelt wird ("Wissenschaft"). 
Allerdings können sich die CCC-Gc- 
fangenen mit ihrer instrumentalistischen 
Konzeption (Sprache als neutrales 
Kommunikationsmi/re/) wiederum auf 
Stalin berufen. 7 * 7 Diese instrumentali- 
stische Konzeption bedeutet allerdings 
eine Vernachlässigung der "Dimension 
der Praxis, die cs ermöglichen würde, 
die sprachlichen Praxen (die Diskurse) 


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Vunstiia u». G-J» Foot Pc** Ten« n» 1 . 
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Sartwrt ‘Sporte’. R G*tge» lat« t Qtnra BentwOT (Hg) 
Kmsrt« HMtduti OKUMsiria Ban) 7. Hjrrtuj 108. S. 
1228-1233(1228. 123?» 

69 j Sam. Ue-Umu» unFoprMtatSeort-Beercrttf. «v tan. 
Menüt-ul u «3 Frag* ta- Spcartmnnurtrt / N. Men IÄ» Cie 
&Mrt»j<ta< Stnrte. Urrttn. 1958. 23 (23 • 28. «ot ;8) 

70 Sam. aa 0.23 -27. 


mit dem Überbau in Beziehung zu set- 
zen - ohne (...) die Sprachc_5clbst zu ei- 
nem Überbau zu machen" 7 *. D.h. die 
Sprache ist nicht einfach ein neutrales, 
Vorgefundenes Mittel, sondern sie ent- 
steht erst in der sprachlichen Praxis. 

b) Zum Monarchismus in der Sprache 
der CCC-Gefangenen 
Mit einer penetranten Häufigkeit kom- 
men in dem Text der CCC-Gefangenen 
schließlich - vielleicht der Übersetzung 
geschuldet? - gcsundhcitspolizcilichc 
bis Nazi- ["ungesunde Merkmale" (89); 
"gesunde (...) Orientierung" (89); 
"Entartung (89)]. unwissenschaftliche 
("revolutionäre Moral“ (88); "Respekt 
der kommunistischen Moral" (91)], re- 
ligiöse ['Vision" (91); "offenbaren" 
(91); "Opfer an das übergeordnete Klas- 
seninteresse" (Seitenref Opfer); "neue 
Menschheit (93)) und monarchistische 
("die Krone aufsetzi" (91)] Eegriffe vor. 

IV. Für eine materialistische Patriarc- 
hats-Kritik 

Der begrenzte Horizont des Textes so- 
wohl der Kommunistischen Brigaden 
als auch der CCC-Gefangenen zeigt 
sich schließlich daran, daß die KomBri 
behaupten, für die These von einer 
"triplc oppression" würde (von Vich- 
mann et al.) keine gcscllschaftlich-ma- 
tcricilc Basis angegeben werden 
(können) (86) bzw. an der These der 
CCC-Gefangenen, die heute noch be- 
stehende Frauenunterdrückung sei ein 
ideologisches bzw. Überbau phänomen 
(Seitenref Überbau). Vielmehr verfallen 
gerade die Vertreterinnen derartiger 
Einwändc gegen den Feminismus "in 
den bürgerlichen Idealismus'. Denn sie 
erkennen die Existenz eines sexisti- 
schen Bewußtseins an, ohne ein gesell- 
schaftliches Sein als dessen materielle 
Basis angeben zu können. 72 
Im übrigen ist zwar zuzugeben, daß es 
Feministinnen gibt, die den Geschlech- 
terwidcrspiuch dem Klassenwider- 
spruch mindestens glcichordncn, ob- 
wohl sic selbst das Patriarchat für ein 
Überbauphänomen halten. Eine solche 
Position ist in der Tat haltlos 73 
Aber im Widerstreit mit dieser Richtung 
erheben sowohl die radikal-feministi- 
sche Strömung (zu Unrecht) 7 “* als auch 
die sozialistisch-feministische Strö- 
mung (zu Recht) den Anspruch, eine 
materialistische Patriarchatstheorie zu 
formulieren. So lautet bspw. der Unter- 
titel des Buches von Mich&le Barrett 


71 Gata» »»0.1231 

72 Söc<* 101.2*1 

73 S. (tan (ta Ktk Mi Bjito? IS». SS *. Si f_ 218 ».; Bc um» 
IW. 22. H**VW 196*. 60. 62. 73 L VOTw ■>.!»}. 39. 

74 S dtfu 1968. 8 1. 12 1. 


"Umrisse eines materialistischen Femi- 
nismus".. 

Dazu ist es allerdings erforderlich, 

++ zum einen den marxistischen Basis- 
Begriff von seiner statistischen Ver- 
kürzung zu befreien 
und 

++ zum anderen auch noch über die so 
wieder zur Geltung gebrachte Theorie 
von Marx, Engels und Lenin korrigie- 
rend /imoMtzugehen. 

1. d«r marxistische Basis-Begriff 
Hier ist zu beachten, daß bei Marx der 
Begriff der materiellen Basis noch nicht 
- wie in der späteren marxistischen 
Theoriebildung - auf die Güterprodukti- 
on eingeschränkt war, 73 sondern auf 
die 'gesellschaftliche Produktion (des) 
Lebens " (Marx 1859, 8) insgesamt be- 
zogen war. Friedrich Engels bezeich- 
nete im Vorwort zum " Ursprung der 
Familie " nicht nur die Produktion, son- 
dern auch die " Reproduktion des unmit- 
telbaren Lebens" als "in letzter Instanz 
bestimmende(s) Moment in der Ge- 
schichte" (Balibar 1984a, 623 - Her- 
vorh. d. Verf.). Diese Ansätze einer 
nicht klassenreduktionistischen Gesell- 
schaftstheoric (vgl. Balibar 1984b, 634 
f.) wurden allerdings weder von Marx 
noch von Engels weiter ausgefühn und 
sind in der üeschichte des Marxismus 
wieder verloren gegangen (worden). 

2. Über den Marxismus hinaus! 

Ein solcher breiter Basis-Begriff ermög- 
licht cs dann, Gcschlcchtcrverhält- 
nissc 76 und Rassismus 77 ebenso wie 
Klasscnvcrhältnissc als Bestandteile der 
Produktionsverhältnisse zu betrach- 
ten. 78 Zur Analyse dieser 
"Übcrdctcrminicrung” (Überlagerung 
mehrerer Widersprüche) von 
"Sexismus, Rassismus und Klassis- 
mus' 79 läßt sich Althusscrs Kategorie 
des "komptcxc(n), stnikturicrtc(n) 
Ganzc(n)" 80 nutzbar machen. 81 


75 Fl* Hkij l(tac*X3*rt® VwtiAtx««’ fi <taf OOfi-W» 
Hj). T7OT<tan Idacfc- 
»an. (Wisjiedn. 1979 1 . 19« 3 .82« (3). 
78A.-xkHOTVfoliS68.44. 

77 VgL F. Maog 1968. 17. 

78 1 S». 9* 6m«N ‘(tan Bag* 'MkcOTiWlW nC* 

"u mf IfcoiOTi-tftiUn«« l D MM« aurt da T#*rj rart 
GatrtWM in 3 Rau«. Dtlnttnan wnrtiadanar Artolifccwi 
{*cpF i«d Hanäat«* iaw.) Baslfnxngan (Uritof. »•* »«San 

sol irfl imi‘ V» F. Hauj I Kuno 1984. ß; Vtafrarxi al « 
1W1.441 

79 So <tar IWHiaKta» BikR« ven UMarM 19«. <*« U>¥ n Iwa* 

HauOTut-DaTntOT - sxtao all h» ■ n«M vai onam 
vtattüw. serctam w>o arwn soiokgsrtan ra- 

gen (Muanoa* U66. 63). Zun QaiOTaf an S<wc«g*. <*a »H-« 
W«ot »» an. »ntam an« Her-irtaniiirtn* Bl i: Ka tu 1978. 37 
1; Mhaw 1953. 106. UO.MhuB« 1958. 107. 

80 Artua*» 1963. 137 9. da* aöt» srtsi ta Ou The» vtn «*«is 
•Mf ainao H»*o»itafscnjrt lasthtf VJemu* 103. 138. 1*9) AJ- 
I trfnp O es rrart Ntvn* 103. 159 r&ja i. rtß • nl don 
Wirtin (taf pstartan KcnfjrM* • dw H»*f>nJOTtiurt 
oaoansirtlrt -Ws irö an N(Wrai»vrt H*xft«ör»vrt 
«W S al tarn stf/att acf*a8«rt ns*n*< Alhj«ar-Qr«Rrt3 



105 


Aber auch bei der Suche nach einer ma- 
teriellen Basis des Patriarchats ist wie- 
derum dessen Spezifik zu berücksichti- 
gen: 

"Unlikc the marxian concept of dass 
exploitation which is defined exclusi- 
vley by the rclations to the means of 
production and the extraction of surplus 
value, the oppressbn of women does 
not derive from a single set of social rc- 
lations but from a complcx System of 
interrclatcd structurcs and rclaiions." 8 ^ 
[Daher erübrigt sich schließlich der 
Vorwurf der KomBri, die triple oppres- 
sion wolle 'den Mann' bzw. 'den Rassi- 
sten' zum Feind erklären. Vielmehr be- 
deutet die These von der Existenz 
(relativ) eigenständiger patriarchaler 
und rassistischer Hcrrschaftsjfru*/uren, 
gerade daß der einzelne Sexist und 
der/die einzelne Rassistin nur ein Teil 
des Problems ist 83 (genauso wie sich 
der proletarische Klassenkampf ja auch 
nicht nur gegen den/die einzelne N Ka- 
piralistin/en, sondern gegen die kapita- 
listische Produktionsweise insgesamt 
richtet).] 

Aber zurück zur Frage nach der Basis 
von Patriarchat und Rassismus. Sicher- 
lich ist diese Frage noch nicht abschlie- 
ßend geklärt aber Viehmann et al. ver- 
suchen in ihrem 3:1-Papier durchaus ei- 
ne Antwort zugeben. 

Zum Patriarchat schreiben sie: 

"Im Begriff der Arbeiterklasse ist das 
weibliche Geschlecht unsichtbar ge- 
macht. Arbeiterinnen werden durch 
Vernachlässigung ihrer zusätzlichen 
Rolle als Haus/Ehefrau auf das Lohnar- 
beitsverhältnis reduziert. Die zusätzli- 
che Ausbeutung durch den (Arbeiter- 
)Mann verschwindet in der von Marxi- 
sten/Leninisten oft propagierten 
'Proletarischen Familie'. (...). Die Berei- 
che der gesellschaftlichen Produk- 
tion, in denen hauptsächlich Frauen - 
besonders trikontirentale - arbeiten, 
fallen unter den Tisch. Die ganze ge- 
schlechtliche Arbeitsteilung und deren 
enormer Wert für Kapital (?!) und 
Männer verliert sich als quasi naturge- 
gebene Quelle im Reproduktionsbe- 
reich. dem dann keine revolutionäre 
Sprengkraft zugerechnet wurde. (...) Die 

Gewalt gegen Frauen wurde aus dem 
privaten Bereich geholt und als struktu- 


Oafi NaöamrdafJtnxJ-M rOl ■lOrotam ml da n Haut~t*rcprJ- 

(WgUWwMi- t*. •«>. '•"•***. U«~-ä/nj« d*. kem- 

[<e<eo Guuai (.. ) nu dar wton <to Goar***. da 
(Ha«*- und NMavJWdentricti« jeösl *W (Kar? 1976. 1*0- er- 
9« ö VM_ mii IOJ 

81 HiugHiusof 1984. 7?. MICM* 1 «671. 96 1 . 1 W. FN 53. M&ffel 
19M.17.47r.rN13. 

67 DaNane 1967. ICC. 

63 V* BCMH*l»4.17. 


rclle quer durch alle anderen sozialen 
Verhältnisse entschleiert; (,..)." 84 
Und zu den Rassismen schreiben die 
Genossinnen, daß 'sic in der Arbeite- 
rinnenklasse selbst real existieren. Die 
funktionierende (!) rassistische Spal- 
tung der arbeitenden Klasse (...). Ras- 
sismen nur als 'Schein', nur als Machen- 
schaften und Einrcdungcn der Herr- 
schenden anzuschen. verkennt ihre Po- 
pularität und ihre materiell wirksamen 
jahrhundertealten Traditionen. Ras- 
sismen sind zu Strukturen geworden, 
die sich nicht auf andere soziale 
Verhältnisse reduzieren lassen. Sic 
lassen sich auch nicht völlig ahleiten 
aus anderen sozialen Verhältnissen, sic 
haben eine relative Autonomie gegen- 
über Patriarchat und Klassenherrs- 
chaft.” 85 

3. Organisierung und Autonomie 
Nach alledem bedarf die Notwendigkeit 
einer "politisch autonomen Frauenbe- 
wegung (...) keiner ausführlichen Recht- 
fertigung mehr". 86 

Einige Elemente, die cs eigentlich auch 
Kommunistinnen einfach machen müß- 
ten. diese Notwendigkeit 

(an)zucrkcnncn. finden sich bereits bei 
Lenin. Sic müssen allerdings aus ihrer 
prinzipiellen Einordnung in ein Neben- 
widcrspruchs-Konzept herausgelöst 
werden. 

Zum einen sprach sich Lenin bekannt- 
lich für das Selbstbestimmungsrecht un- 
terdrückter Völker aus, zum anderen 
schrieb er: "Wir sagen, die Befreiung 
der Arbeiter muß das Werk der Arbeiter 
selbst sein und genauso muß die Befrei- 
ung Arbeiterinnen das Werk der Arbei- 
terinnen selbst sein ” 8 ^ Bei dieser For- 
mulierung bleibt unberücksichtigt, daß 
auch Frauen der Bourgeoisie als Frauen 
unterdrückt sind. Des weiteren ist cs ei- 
ne patriarchale Fchlanwcndung des zi- 
tierten Satzes, wenn Lenin mit ihm ver- 
sucht, die oben angesprochene ge- 
schlcchtshierarchische Arbeitsteilung 
nach der Oktober-Revolution zu recht- 
fertigen. 88 

Bei der erstgenannten Position Lenins 
muß korrigierend ergänzt werden, daß 
sich daß Problem des Rassismus nicht 


M VWrrsm n al 1993. 31. 38 • ■WW d Vad Zu« «m*ufMao 
Badvrtung ven lUnntrgtwtft gagan FrtMO ( au* oban ZU 

K FN 1 «. Zu Brtkii r*} öoi gMcMKMtNonreMKtMn 
ArtMftnaiung ak Ba*U da« Pkflaotwii vgl au* Ban« 15». 
19. 72. 75. 331. 34. HtojHaum 19M. 591. <*09 
»Maman (Wstf Hmm iimha <M (vw a*«n auf Oti 
Gfuxtoga Om aonogu PwWnw von Ban« ud HmgHanoi) 
ntnriJt/rraelyolMtarsril 
65 VMlmmn « al . 37. 34 - H*vcft IO 

86 ßa-rafl 1993. 723 

87 lann 1919. 77. F ßatfw/N laöa 1»4. 3*4 

MS.auudasLfrtn-ZoifiFN Pidcm urduiiscti: F. Balba / N 
laba 1564. 344. s* 342: 1.)ar*at«a 1925 (_) rn «vom <M< 
rtb&C*-*yti 3 mm rrans! oififimraiaöa S-.enwtj 
crr«^»i” Dai gaiOufi • wa (t*o - «fl tpfcp 


nur auf den Bereich des Staatsgrün- 
dungsrechts bezieht, sondern u.a. auch 
in d?r Arbeiterinnen- und Frauenbewe- 
gung selbst virulent ist. Deshalb muß 
Lenins Forderung • im Gegensatz zu 
seiner eigenen Auffassung - auch auf 
den Bereich der revolutionären Bewe- 
gung selbst erstreckt werden. 

"Erst auf der Basts von Autonomien 
waren dann wieder Einheiten möglich, 
die nicht vercinnahmbar, umarmend 
oder unglcichgcwichtig sind, (...).” 89 
Und hier fangen di: tatsächlichen Pro- 
bleme. die in der weiteren Diskussion 
zu klären sind, an. 

«-fettig* UMntw (»Hat* In dvr«4iW*i), 
lous AJruwai. WdtrsrAfi ud AaöflarraiWar-j AmeAingan 
an« Uwauchng (1967). h an . Fi Ua>. FirKud an Hin. 
1956.52-99 

dar*. ÜMf mUmikuaclM OuMf* V« do« df Ur 

*<ünje(19&3).n «W.KO-W 
Ml. Vc* -O« Kapod ksa»' (1945) ta Tarn ud da 
(19561 • Eif*v 1 «um Vemwl ( 1 MI •» dm. Ckrtru doi Safes- 
w*Mi. 1 trs. 97 ». 

Adraa ArefosIGua-inHartgoiiUloSpMng. ‘AAMdar AOMa- 
Uiu« «1 Kfl sofefl* • C*o AtotabaA ab Wa« ud <*o DwtürtM« 
d» Frauen, fi PohmMnoi. 7*. 5. An 1969. 17 1 - 
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04n4uwan. Kflod-oi WfidKt«* du Mumm* Bad 4. 
frV«St* 1 n 1566 pn Onjr&Mft*. Pao. 19M ? ).615" |a) 

Mi. Slcfmofl *KUu«r*arc4*. n «M . 676 H. |b) 

Faneo« BHWf/Ntd>i lab«. . SSdt«ul ftrrinmjf. n Goo- 
944 laöca I Gford Bouuü»i (Hg). Krt«r*i WOflatu* Om 
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«n ClaxU v WuTtf. n P«»*. Vol SO. Max 190. 22 «. 

Javr» Bonn«. Für w arMubsudwi Fomrana'. oO 
(Wwt^h?|. oJ |1993?|(anjl OnjnaSaag«« Wjuj« o> (Um 
U x®a 1964) 

u*am« Biag/Cac« laiu. W M M OdioiofMnng doi Ua- 
Bö* W MtWria. n: PRC40A. VOt 50. 1M3. 5 «. 

Ov3« CON»». CorfUWd conew» • «rtu ittHf a ffMOfrttal 
<hcu«** t* f« cuBarha! fflU Sh>mix* S*a>* (Ml 
nanoi ad n* ün« a v<t\ r»; t««daf «4 « pUMc ad pom« leo- 
d*. 1587. 83-177 

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mHM. n GuJruv4J«l Krott) I * nj»** WMkk (Hg). IraH» 
non 6 -C*friWj 19K.". 

CWM Hai-ay. GncHtOM. Grdaf. Garr«. n to-Mia Hm« 
(H 3 I VmWOi« ibtnfl. CftMXurWWreu’j. 1987. S. 72 * 
KonMfa lla». SoihalM GutTMtN ud uda-uSa G*40to*Ä 
n«M,42». 

Fdjga Kiuj M^nat BeacTino. FnoatMlfMjrg. Soriaknui. n 
0» Agmat Vö 179. 1»l. 645» 

d«. Fortuna -Uani4mj4.nP(«KMMffen.t*. 4. Njv isea.75 
It 

dat I Komata hm«. Ges<«»cfftn'«<tiilno 4 a. h Projaö Soaaiai 
ICP« Farroma (Mg). Gosaifedmr^<fiM-,ai4 ad Fiajarpettk. 
(WoöRMdn. 1564. 9». «7» 

SjJ Kau. TTMOta ad Pctak Uus ABuua. Fia^iun an Man > 
rrtMbe* I VWen. 19« ffrj Uxad. AfT*na Fa- 

)»d. 1974). 

Batiaa Kaoatw / Ousana Kcfm / Maan Ki ttu / frta NmN*. Dm 
F anfc aS BfUaüa da Bt-c*«n n Pio(l*1 Sooafef»«*« F«r, 
nanxo. G*KT(«cM arn-MB'OU ud fnjtrtoHk. (W«ol>aln. 
1564.113«. 

Sabno KlarBe. Pc*fc otra Fraum - Krm m»» ( Poö. ri UOZ. 6 - 
7/1963.77 - 37 

B-gl K*n / Ka '91 Mlz / Uaror. P«paf / Uta Rill. -VaUBi^M 
Frauarpauonan’ un3 ImuManuT. it Pr««M Sorataacnar Fo- 
mnsm* (Mg). GoKNacMaioMinsw ud Frauen««*. 
(WaaZMrfn. '«4. 1BJ« 


89 Vahman ae al 1950. 57 



106 


/ 


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KM9MM10) 1 RavdUoi? (Kjl. TuM ai Panwöiaü-, Bas- 
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iMM.AvMMdUrtaidftVMmiKnMen Ucädun* (MMOUU den 
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Klaus VaTnm inj GencurranGereuen. &• ni Ein (1993). rt 
PTOJ6M9VW6 UeliswlinQedrMn) l BavcMon? (Hj). Tum ajr 
PaWton-. Rassama. HerriMo(ijiBrirtds»us«n. Berte. 1991. 
271 



...erscheint mitte dezember 


Thfmfn: 

•Luke und Gewalt- 
•Interview mit Huidobro(Tupamaros)» 
•Theaterstück von Michael Wildenhain» 
•Beethovin 2.Teii • Unke Zensuf* 
•PlATTEN-UND BUCHKRITIKEN» 

•U.V.M.* 

ZU BESTELLEN BEI: 

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Amanu!: Nr. 0; N». 1; N«. 2 


Die Geschichte 

und die Mühen der Ebenen: 

Marxistische Arl»eit ganz unten 
in der Weimarer Zeit, im Exil und 
nach dem 11. Weltkrieg. 

Von der KPD zur 

"Kommunistischen Partei Opposition (KPD-O)", 
von der "Gruppe Arbeiterpolitik" zur 
"Gruppe Arheiterstimme". 

Isaac Abusch 

Erinnerungen und 
Gedanken eines 
oppositionellen 
Kommunisten 

Herausgegeben von Joachim Kowalczyk 

ca. 1 60 Seiten, Taschenbuch 
DM 19.80/Fr. 20.80/öS 155.- 
ISBN 3-929455-1 7-X 

Inhalt 

»Man muß doch die Menschen zum Kämpfer erzie- 
hen-. Über Psychologie und Pädagogik zur Politik; 
»Denken und Handeln waren eins«. Zur Lehrzeit; »Die 
Partei hat nicht immer Recht«. Erfahrungen in der KPD; 
»Und da haben wir einfach weiter diskutiert...«. Freund- 
schaft mit August Thalheimer und Heinrich Brandler; 
»Wir haben wie de Verzweifelten gearbeitet«. Zur 
Organisationsarbeit der KPO; »Die Gewerkschaften 
müssen revolutioniert werden«. Fraklionsarbeit in den 
Gewerkschaften; »Kennzeichen: Zeitung in der linken 
Hand«. Emigration nach Frankreich; -Wieder neu 
beginnen«. Rückkehr nach Deutschland; »Ich habe 
immer ein gewisses Mißtrauen gegen Moralisten 
gehabt«. Über kommunistische Morat »Es gab auch 
antisemitische Kommunisten«. Zur jüdischen Frage; 
»Das bürokratische System erstickt jede 
Eigeninitiative-. Zu DDR, Sowjetunion und Sozialismus 

Bitte über unsere Adresse bestellen: 

Thomas Gradl 
Postfach 910307 
90261 Nürnberg. 



107 


VI. Der gesellschaftliche Antagonismus zwischen Kapital 
und Arbeit II: Kommunistische Kritiken an der neuen 
Politik der RAF 


"wir haben Überlegt, daß cs darum geht, neue bcstimmu ngen für eine politik heraus/ufinden, die tatsächliche Verän- 
derungen für dos leben der mcnschcn heule durchsetzen kann und die längerfristig den herrschenden die bcstimmung 
über die lebensrealitüt ganz entreißt." 

RAF, April-Erklärung 

"Es ist grundfalsch und ganz ungcschichtlich. sich die gesetzliche Refonnarbsit bloß als die ins Breite gezogene 
Revolution und die Revolution als kondensierte Reform vorzustcllcn. Eine soziale Umwälzung und eine gesetzli- 
che Reform sind nicht durch die Zeitdauer . sondern durch das llfew/i verschiedene Momente." 

Rosa Luxemburg, Werke, Bd. 1/1, 428 

"die /erstemmg des sozialen unter den mensclien (...) bedeutet, daß auf der basis des kapitalistischen Systems, dem 
24-siundcn-alltag von leistung und kenkurrenz. den mcnschcn eigene kritcricn geraubt und durch für den Kapitalis- 
mus funktionale m erie ersetzt wurden • (...). cs zeigt sich ebran. daß in diesem System alles zur wäre wird. 

RAF, Weiterstadl-Erkliirung 

"Weshalb kann man behaupten, daß die Theorie des l Waren- /Fetischismus' (...) ein Hindernis bildet (...) für eine 
materialistische Theorie der Ideologie und der Geschichte der Ideologien? (...) Wie wir heute /.u wissen begin- 
nen, läßt sich ein ideologischer Vorgang (...) nur (...) durch die Existenz und die Funktionsweise echter ideologi- 
scher gesellschaftlicher Verhältnisse (juristischer, moralischer, religiöser, ästhetischer, politischer Art usw.) er- 
klären, die sich historisch im Klassenkanpf konstituieren. Es sind spezifische gesellschaftliche Verhältnisse, die 
sich real von den Produktionsverhältnissen unterscheiden, auch wenn sie durch diese 'in letzter Instanz’ determi- 
niert werden. 'Real unterscheiden' will heißen, daß sic sich in spezifischen Praxen realisieren bzw. materialisie- 
ren, die von besonderen ideologischen Apparaten abhängen usw.“ 

Etlcnnc Balibar, in: Theorien des historischen Materialismus, Frankfurt am Main, 1977 293 - 343 (310) 

1. ZK der PCE(r), Strategische Neuorientierung oder Das Ende des bewaffneten Kampfes (Juni 1992) 

2. Gefangene aus den CCC, Eine nicht zu rechtfertigende Erklärung (Okt. 1992) 

3. Bernhard Rosenköttcr / Ali Jansen / Michi Dietiker, "... sag mal wo leiten wir denn ?" (Mai 1992) 

4. Michi Dietiker / Ali Jansen / Bernhard Rosenköttcr, Über das Schleifen von Messerrücken (Juli 
1992) 



108 


Zentralkomitee der !‘CE[ r) 

STRATEGISCHE NEU- 
ORIENTIERUNG oder 
DAS ENDE DES BE- 
WAFFNETEN KAMPFS 

ln ihrer Erklärung vom 10. April gibt die 
RAF das Ende ihrer bewaffneten Aktio- 
nen mit folgenden Worten bekannt: "Wir 
haben uns entschieden, daß wir von uns 
aus die Eskalation zurticknchmcn. Das 
heißt, wir werden Angriffe auf führende 
Repräsentanten aus Wirtschaft und Staat 
für den jci/.t notwendigen Prozeß cinstel 
len." 

Aul diese Weise reagierte die RAF auf 
den Kinkel-Vorschlag, die schwerkran- 
ken politischen Gefangenen freizulassen 
und dies, bei den Gefangenen, die am 
längsten in Haft sind, in Erwägung zu 
ziehen, wenn diese ausdrücklich auf Ge- 
walt verzichten. Die RAF verlangte wei- 
terhin die sofortige Freilassung der Haf- 
tunfiihigen und die Zusammenlegung für 
die anderen. In ihrer Erklärung fragt sich 
die RAF. “ob er (Anm.: der Staat) Raum 
für politische Lösungen zuläßt - für das 
Problem der Gewillt und die anderen 
aufkommenden sozialen Konflikte. Sie 
sagen weiter "Wir haben von uns aus 
jetzt mit der Rücknahme der Eskalation 
aus der Auseinandersetzung einen Schritt 
gemacht, um diesen politischen Raum 
aufzumachen. Jetzt ist die staatliche Seite 
gefragt, wie sic sich verhält...". Die Er- 
klärung endet mit der Drohung, den be- 
waffneten Kampf wieder auf/.unehmen, 
wenn der Staat seine repressive Politik 
heibehült: "Wenn sie diejenigen, die die- 
%en Prozeß für sich in die Hand nehmen, 
mit ihrer Walze aus Repression und Ver- 
nichtung plattmachen, also weiter auf 
Krieg gegen unten setzen, dann ist für 
uns diese Phase des Zurücknehmens der 
Eskalation vorbei - wir werden uns das 
nicht tatenlos anschauen. Wenn sic uns. 
also alle, die für eine menschliche Ge- 
sellschaft kämpfen, nicht leben lassen, 
dann müssen sie wissen, daß ihre Eliten 
auch nicht leben kennen. Auch wenn es 
nicht unser Interesse ist: Krieg kann nur 
mit Krieg beantwortet werden." 

Diese neue Position der RAF gründet 
sich auf ihrem Handlungsprinzip, der so- 
genannten “Westeuropäischen Guerilla- 
front”, und diese sei zerbrochen. 

Sie schreiben: "Wir waren damit kon- 
frontiert, daß die Vorstellung, im ge- 
meinsamen internationalen Kampf einen 
Durchbruch für Befreiung zu schaffen, 
nicht aufgegungen ist." Ihre Selbstkritik 
bezieht sich auch auf andere Aspekte ih- 
rer politisch/militärischcn Aktionen: 


"Wir selbst waren damit konfrontiert, daß 
wir so. wie wir in den Jahren vor '89 Po- 
litik gemacht haben, politisch nicht star- 
ker. sondern schwächer geworden sind." 
’89 begann nach ihren 
Angaben der Prozeß, der zu ihrer neuen 
Position geführt hat. "Als einen zentralen 
Fehler haben wir gesehen, daß wir viel zu 
wenig auf andere. Cie hier auch aufge- 
landen waren, zugegangen sind: und auf 
die, die noch nicht aufgestanden waren, 
gar nicht.“ 

"Uns ist klar geworden daß es so 

nicht weitergeht. ... wir hatten unsere Po- 
litik ganz stark auf Angriffe gegen die 
Strategien der imperialistischen Kräfte 
reduziert, und gefehlt hat die Suche nach 
unmittelbaren positiven Zielen und da- 
nach. wie eine gesellschaftliche Alterna- 
tive hier und heute schon anfangen kann 
zu existieren... Aus unseren Erfahrungen 
und aus den Diskussionen mit Genossen 
über alle diese Fragen steht für uns heute 
fest, daß die Guerilla in diesem Prozeß 
von Aulbau nicht im Mittelpunkt stehen 
kann...” 

Aus all diesen Gründen kommen sie zu 
dem Schluß, daß es notwendig ist, "über 
unsere Fehler nachzjidenken” und "neue 
politische Definitionen" zu suchen. 

Die Erklärung hat innerhalb der revolu- 
tionären europäischen Bewegung und 
speziell in Deutschland einige Verwir- 
rung gestiftet. Dazu hat zweifellos die er- 
läuternde und verworrene Form - bei 
RAF-Erklärungen schon üblich - der Er- 
klärung beigetragen, die eigentlich dop- 
peldeutig sein soll - was sic für uns aber 
keinesfalls ist. Bekanntermaßen hatten 
wir schon vor einiger Zeit eine Ausein- 
andersetzung mit ihnen, in der wir ihre 
falschen Ideen und ihre falsche Art, den 
Kampf gegen den Imperialismus zu füh- 
ren. kritisierten; eine Kritik, die die RAF 
jetzt in ihrer selbstkritischen Bilanz in 
gewisser Weise anerkennt. 

Aus diesen Gründen, genauso wie in der 
Auseinandersetzung damals - betrachten 
wir es als unsere internationalistische 
Pflicht - zuallererst natürlich gegenüber 
unseren deutschen Genossen * noch mal 
klar zu sagen, das ihr Weg in die falsche 
Richtung führt. 

Es ist offensichtlich, daß die Kinkel-In- 
itiative implizit auch im Interesse der 
deutschen Bourgeoisie gestartet wurde, 
nicht nur. um mehr als zwanzig Jahre 
bewaffneten Kampf so bald wie möglich 
zu beenden, sondern auch, um jede Art 
von Widerstand auszulöschen, der im- 
stande wäre, ein Ansprechpartner für die 
Massen in der jetzigen, generellen Krise 
des Kapitalismus zu sein. 

Sic wissen sehr wohl über (ihre) ökono- 
mischen, sozialen und politischen Pro- 
bleme Bescheid und auch Uber die wach- 


sende Unzufriedenhat - vor allem in der 
Ex-DDR -, die sich auch sehr schnell 
verschärfen können, wenn sich die wirt- 
schaftliche Krise zuspitzt. Deutschland 
eine immer aggressivere Außenpolitik 
betreibt und es zu einer inncrimpcrialisti- 
schcn Auseinandersetzung kommt - was 
mehr als wahrscheinlich ist. In dieser Si- 
tuation ist es keinesfalls verwunderlich, 
daß der deutsche Staat der RAF einen 
Köder auswirft, wobei er ihre augen- 
blickliche Schwäche, die Sackgasse, in 
der sie sich befindet, und die zentrale 
Rolle der Gefangenen für die Bewegung 
ausnutzt. 

Deswegen scheint uns der Waffenstill- 
stand ein großer Fehler zu sein, zumal 
wenn wir die Bcgrifflichkcitcn betrach- 
ten und das Fehlen einer wirklichen poli- 
tischen und ideologischen Linie, auf die 
sich Revolutionäre stützen könnten. 
Vielmehr macht es der Regierung den 
Weg frei, die Liquidation der Bewegung 
fortzuführen und zu demonstrieren, daß 
jeglicher bewaffnete Widerstand gegen 
den Staat nutzlos ist. Genau deswegen ist 
cs auch schon fast lächerlich, damit zu 
drohen, die bewaffneten Aktionen wieder 
aufzunchnien. wenn ihre Fordeiungcn 
nicht erfüllt würden. 

In der augenblicklichen Situation der 
Schwäche und Desorientierung der RAF 
halten wir cs für illusorisch, daß das 
deutsche Großkapital - oder eine Fraktion 
dessen - ein Interesse daran hat. "Raum 
für politische Lösungen zu öffnen". Und 
noch weniger wird sich die Gcwallfrage 
lösen lassen. 

Hinter der Kinkel-Initiative, die der deut- 
sche Polizeistaat dafür nutzt, sich 
"human“ zu zeigen, steht der Gedanke, 
falsche Hoffnungen zu wecken und 
gleichzeitig die Repression zu verstärken. 
Unserer Meinung nach ist das einzige, 
was man vom deutschen Staat jetzt er- 
warten kann - auch im Hinblick auf die 
Ideen und Vorschläge der RAF -. daß er 
seine Politik der "Wiedereingliederung 
der Gefangenen" schlicht und einfach 
fortset/.t, was zu einer wachsenden Re- 
pression gegenüber den Gefangenen füh- 
ren wird; sozusagen die Anwendung der 
"Politik von Zuckerbrot und Peitsche". 
Milde für die. die bereuen - Härte (Iso 
und Folter) für die "Unverbesserlichen". 
Daß dies der Weg dir Regierung ist, hat 
sich schon gezeigt, als die Staatsanwalt- 
schaft nach der "großzügigen" Offerte 
begonnen hat. die Aussagen der reumüti- 
gen Ex-Aktivisten aus der fcx-DDK zu 
benutzen, neue Prozesse gegen die Ge- 
fangenen an/ustrengen. die zu weiteren 
langen Haftstrafen führen werden. 

Wie die Erfahrung zeigt, werden sich die 
Gefangenen der Erpressung durch die 
"Gevvaltvcrzichtserklärung" nicht beugen 



KW 


- aber auch der Staat wird sic keinesfalls 
freilassen, sondern die Repression gegen 
sie verstärken. So wird sich im Gegenteil 
ihre Situation sogar noch verschärfen. 
Gewiß, cs geht nicht dämm, auf Ver- 
handlungen als Waffe im politischen 
Kampf zu verzichten, die es eventuell er- 
lauben. dem Stau ein paar Verbesterun- 
gen abzuringen, wenn nicht sogar die 
Freiheit der politischen Gefangenen. 

Aber wenn die RAF jetzt, in einer Positi- 
on der Schwäche jeglichen bewaffneten 
Widerstand aufgibt und alle möglichen 
politischen und ideologischen Konzes- 
sionen macht, fuhrt das nicht zum Ende 
ihrer Isolierung und ihrer Schwäche, 
sondern zeigt, daß cs ohne vorherige Ka- 
pitulation keinen Ausweg gibt. Dies ist 
nicht gerade ein Beitrag dazu, die revolu- 
tionäre Bewegung zu stärken. 

In ihrer Erklärung rechtfertigt die RAF 
das Ende der bewaffneten Aktionen mit 
der Notwendigkeit, einen internen Dis- 
kussionsprozeß voranzutreiben und eine 
"Gegenmacht von unten" zu bilden. Aber 
diese Argumente sind bei näherer Be- 
trachtung nichts wert. 

Erstens, weil die Erklärung eines Waf- 
fenstillstandes das Ergebnis einer Dis- 
kussion hätte sein müssen, da sie doch 
der ganzen Bewegung die Hände bindet. 
Tatsächlich begeht die RAF - bzw. ihre 
Führer genau den Fehler, den sic eigent- 
lich korrigieren wollte: Sic treffen die 
Entscheidungen, die von den anderen be- 
folgt werden müssen. 

Zweitens, weil es ein Unding ist. eine 
"Gegenmacht von unten“ aufbauen zu 
wollen, in einem bis an die Zähne be- 
waffneten Polizeistaat, der jegliche revo- 
lutionäre Bewegung sofort ausradicrcn 
will, wie die Geschichte der letzten Jahre 
auch gezeigt hat. 

Es macht vielmehr Sinn, den bewaffne- 
ten Kampf aufrechtzuerhalten - als we- 
sentlichen Bestandteil des Kampfes für 
den Kommunismus -, nicht nur um die 
Konterrevolution zu bekämpfen, sondern 
auch vor allem zur Ergreifung der Macht. 
Der imperialistische deutsche Staat wird 
nicht darauf verzichten, "die unten' aus- 
zubeulen und zu unterdrücken, noch wird 
er die in Ruhe lassen, "die für eine huma- 
nere Gesellschaft kämpfen“. Zu behaup- 
ten. etwas anderes könne passieren - ab- 
gesehen davon, daß man so albcm ist, zu 
glauben, daß die Bourgeoisie als Klasse 
eines Tages Harakiri begehen könnte, 
zeigt nur. daß es am wirklichen Willen 
fehlt, den Kampf gegen das Unrecht und 
den Staatsterror weiterzuführen. 

Die Ursache für die neue Position der 
RAF sei die Einschätzung, daß sich "eine 
komplett neue Situation der weltweiten 
Kräfteverhältnisse" ergeben habe, als Er- 
gebnis der "Niederlage der sozialisti- 
schen Staaten”. 


Mangels einer genaueren Erklärung 
scheint die Ursache für ihren Positions- 
wechsel diese neue, plötzliche interna- 
tionale Lage zu sein. 

Da diese reue Situation für die RAF so 
wichtig zu sein scheint, ist es umso er- 
staunlicher. daß sie in ihrer Erklärung 
nicht genauer darauf eingeht. Wenn sie 
dies getan hätte, wäre sic wahrscheinlich 
zu dem Schluß gekommen, daß der Zu- 
sammenbruch des Ostblocks die inner- 
imperialistischen Rivalitäten speziell 
zwischen den USA und dem imperialisti- 
schen deutschen Staat verstärken würde. 
Dann hätte die RAF eine wirkliche Erklä- 
rung für dis Scheitern ihrer antiimperia- 
listischen Politik gefunden, nämlich die 
angebliche Integration der kapitalisti- 
schen Staaten und ihrer 'weltweiten 
Herrschaft'. 

Darüber hinaus ist jetzt nicht der Zeit- 
punkt, eine Debatte über das angebliche 
"Scheitern des Sozialismus" zu führen; 
die RAF bezieht sich darauf, indem sie 
die bürgerliche Propaganda übernimmt, 
die dazu dient, die Krise des Ausbeu- 
tungssystems und den Bankrett des revi- 
sionistischen Konzepts zu verdecken. 

Um verstehen zu können, warum die 
RAF so sehr irren konnte, muß man sich 
an ihre Entstehungsgeschichte erinnern 
und den damaligen historischen Kontext. 
Daher waren wir umso überraschter, daß 
diese Phase in der Erklärung überhaupt 
nicht vorkommt, obwohl dies der einzige 
Weg gewesen wäre, die eigene Ge- 
schichte cinzuschätzcn und die eigene 
Perspektive klarzukriegen. 

Das hätte dazu bcigclragen. die Diskus- 
sion transparenter zu machen und mit 
den vielen weißen Stellen der Geschichte 
aufgeräumt mit denen die deutschen Re- 
volutionäre im Augenblick ?u kämpfen 
haben. 

Deswegen ist es wichtig, sich daran zu 
erinnern, caß die RAF von Anfang an 
den Marxismus gefordert hat und auch 
die Notwendigkeit einer Partei anerkannt 
hat, auch wenn sic der Meinung war. daß 
in der BRD Ende der sechziger, Anfang 
der siebziger Jahre eine Gründung un- 
möglich war. da die Situation nach dem 
zweiten Weltkrieg und die speziellen Be- 
dingungen in der BRD dies nicht zulie- 
ßen. 

Trotzdem glaubten sie. daß sie im be- 
waffneten Kampf die Bedingungen dafür 
schaffen könnten. Aufgrund entgegenge- 
setzter Faktoren, sowohl internationalen 
(Aufstieg des Revisionismus) wie auch 
nationalen (Desorientierung -der Arbei- 
terbewegung. Einfluß revisionistischer 
Strömungen, der Aufschwung der Wirt- 
schaft, etc_.). wurden diese Wccn durch 
einen zweiten Plan ersetzt. 

Wenn dann noch die Gefangennahme 
und Tötung eines großen Teils der histo- 


rischen Führungskader und die Integra- 
tion von unerfahrenen, ideologisch nicht 
gefestigten jungen Aktivisten liin/.u- 
koninit. kann man sich bc.v'ci erklären, 
wie spontanciistischc Ideen Fuß fassen 
konnten und die Entwicklung der Theorie 
einer antiimperialistischen Front begün- 
stigten. die damals schon im Entstehen 
war. Daß die RAF jetzt ihre eigenen zu- 
letzt verfolgten Prinzipien in Frage stellt, 
ist unserer Meinung nach ein wichtiger 
Schritt, um die subjcktivistischen und 
spontaneiistischen Ideen über Bord zu 
werfen und die Strategie neu zu definie- 
ren. 

Diese Erkenntnis kann die revolutionäre 
Bewegung nur stärken, unabhängig da- 
von. welchen Weg die RAF tatsächlich 
nehmen wird. Denn so werden günstige 
Bedingungen dafür geschaffen, die De- 
batte zu vertiefen, die Irrtümcr richtig zu 
stellen, die Organisation voranzubringen 
und eine revolutionäre Strategie und ein 
revolutionäres Programm auszuarbeiten, 
das die Kampferfahrungen der Arbeiter- 
klasse wie auch die des deutschen Volkes 
zusammenfaßt. Bei konsequenter Be- 
trachtung sind dies unter anderen die 
Aufgaben, die die deutschen Genossen 
anpackcn müssen, wenn sie ihre Selbst- 
kritikemst meinen. 

Nichtsdcstotrolz sind wir besorgt, daß die 

Suche nach "neuen Definitionen" und 
"dem Raum für politische Losungen" zu 
einem verkappten Reformismus und in 
den Schatten der LcgaStät führen kann, 
ähnlich wie bei den lateinamerikanischen 
Guerilleros, die sich von der Sozialde- 
mokratie haben einfangen lassen. 

Daher wäre cs beklagenswert, wenn die 
RAF einmal mehr ihren Weg verlieren 
würde und sich in dem vom Staat ge- 
knüpften Netz verfangen würde. 

Trotz alledem vertrauen wir der Bewe- 
gung, daß sic in der Lage ist. diese 
schwierige Zeit zu überwinden, und daß 
aus ihrem Fundus heraus die Leute und 
Kräfte kommen, die in der Lage sind, ei- 
ne wirklich revolutionäre Organisation 
zu schaffen, und die in der Lage sind, ei- 
ne Kampfstratcgic für den Kommunis- 
mus in Deutschland auszuarbeiten. 

Juni 92 



110 


Didier Chevolet. Pascale Vandegcerde, 
Hertrand Sassoye & Pierre Carene 
Gefangenenkollektiv der Kämpfenden 
Kommunistischen Zellen 

Eine nicht zu rechtferti- 
gende Erklärung 

(Zum Brief der RAF vom 10. April 
1992) 

Im Frühling dieses Jahres hat die Rote 
Armee Fraktion ein wichtiges politisches 
Dokument veröffentlicht. In diesem Text 
stellt die revolutionäre deutsche Organi- 
sation verschiedene Gedanken dar, wel- 
che die internationale Situation und die 
soziale, militante und politische Lage in 
ihrem Land betreffen (mit besonderem 
Augenmerk auf die Frage der inhaftierten 
Genossinnen und Genossen); sic zieht 
eine Art Bilanz ihrer Aktivität und 
schließt mit der F.ntscheidung, den be- 
waffneten Kampf aefzugeben. 

In einer bestimmten Art und Weise hat 
uns dieser Schritt nicht überrascht. Seit 
langer Zeit verstehen wir nicht mehr, aus 
welchen historischen, politischen und 
strategischen Analysen die RAF ihre 
kämpfende Vitalität schöpfen konnte. 
Aber das heißt, daß nne dieser Schluß 
besonders verabscheuungswürdig er- 
scheint: Er drückt nicht die Eröffnung ei- 
ner kritischen und selbstkritischen Über- 
legung aus. die auf eine theoretisch-poli- 
tische Richtigstellung zugunsten der re- 
volutionären Sache bedacht ist. wohl 
aber das liqiiidntcrische Resultat des 
Prozesses von Abweichung und politi- 
scher Degradierung, den die RAF wäh- 
rend der zwanzig Jahre ihrer Existenz er- 
fahren hat. 

Wir wissen, daß vicie Militante der soge- 
nannten "antiimperialistischen'' Bewe- 
gung in Deutschland es für extrem unan- 
gebracht halten, von aufeinanderfolgen- 
den Etappen in der Geschichte der RAF 
zu sprechen. Trotzdem, wenn man sich 
auf den Diskurs und die Praxis der Orga- 
nisation seil Anfang der 70er Jahre be- 
zieht. ist unbestreitbar, daß die RAF von 
1972. 77 oder 82 drei verschiedene, sehr 
unterschiedliche Gesichter zeigt. 
Ursprünglich bezog sich die Organisation 
teilweise auf marxistische Prinzipien und 
auf die marxistische Analyse, bewies po- 
litische Kreativität und Initiative im revo- 
lutionären Kampf. 1977 befand sic sich 
auf dem Gipfel sirategisch defensiver 
Optionen. 1982 bestätigte sic - durch den 
Text " gucritla . widerstand und antiimpe- 
rialistische front" - die komplette Preis- 
gabe ihrer anfänglichen marxistischen 
Referenzen und ihr gänzliches Einschrei- 
ben in den Subjektivismus und den Mili- 
tarismus. Während der folgenden zehn 


Jahre hat sich die RAF immer weiter in 
diese Sackgasse rerrannt. Ausgehend 
von der sehr auffälligen Proklamation ei- 
ner "westeuropäischen Gutrillrfronr 
mit A.D. im Jahre 1985 und der nicht 
weniger medienwirksamen gemeinsamen 
Unterzeichnung einer Forderung mit den 
B.R./P.C.C. im Jahre 1988 bis hin zu ei- 
ner großen Zahl bemerkenswerter Gucril- 
laaktionen (ganz besonders die Exeku- 
tion des Treuhand-Chefs. Rohwcddcr). 
konnte sich die deutsche Organisation, 
mit gutem Willen zwar, nur in verlorenen 
Illusionen erschöpfen. Heute scheint die 
RAF nicht mehr zu verstehen, gegen wen 
sie kämpft und weshalb. Dies ist auf Zeit 
unvermeidbar, wenn man den histori- 
schen Materialismus und den wissen- 
schaftlichen Sozialismus, das Ziel der 
Klassenrevolution und der Diktatur des 
Proletariats aufgegeben hat. 

Das von der RAF im April veröffentlich- 
te Dokument und besonders seine 
Schlußfolgerung des "Abschieds von den 
Waffen “ haben unter der deutschen mili- 
tanten Bewegung wichtige Erschütterun- 
gen provoziert; sic haben zahlreiche Dis- 
kussionen und Stellungnahmen bis auf 
internationaler Ebene hcrvorgeiufen. So 
hatten wir die Gelegenheit, den sehr zu- 
treffenden Beitrag des Zentralkomitees 
der P.C.E.(r.) mit dem Titel 
"Re plant amiento estrategico o liqui- 
dacion? ” (in dieser Broschüre S. Anm. 
d. Hg.J zu lesen. Auch wir wollen zu die- 
sem Thema beitragen, wenn wir auch die 
Verspätung bedauern. Wir denken, daß 
es um unsere Verantwortung und politi- 
sche Solidarität gegenüber der gesamten 
revolutionären Bewegung geht. 


Bevor wir zum Inhalt des Dokuments der 
RAF kommen, möchten wir einige Worte 
zu diesem Brief selbst sagen. Seit vielen 
Jahren entwickelt sich in der revolutionä- 
ren europäischen Bewegung eine kriti- 
sche Debatte. Interessante Beiträge, be- 
sonders aus Spanien und Italien, sind im 
Umlauf, und von unserer Seite bemühen 
wir uns, an dem Austausch mit unseren 
bescheidenen Kapazitäten teilzunehmen. 
Ein großer Teil der Themen und Analy- 
sen dieser Debatte auf internationaler 
Ebene bezieht sich besonders auf die an- 
ti-marxistischen, süajcktivistischcn und 
militaristischen Positionen, welche in er- 
ster Linie die RAF seit Anfang der 80er 
Jahre vertritt. Nun hat aber, soviel wir 
wissen, die RAF es niemals lur sinnvoll 
erachtet, diese politischen Kritiken zu 
beachten oder sich den Argumenten zu 
stellen, auf denen sie basieren. Und der 
Brief vom 10. April ignoriert diese noch 
immer in großartiger Weise. 


Obwohl die RAF heute erklärt, daß ein 
Grund des Scheitems ihrer Ideen in der 
Tatsache besteht, daß sie sich isoliert hat, 
weil sie keine wirkliche politisch-organi- 
sche Beziehung mil denjenigen aufge- 
baut hat. die sich in die revolutionäre 
Perspektive einreihen. Sie ruft zu neuen 
Beziehungen, zu neuen gemeinsamen 
Diskussionen und Projekten etc. auf. 
Aber konkret fährt sic fort, die Debatte 
zu verhindern und de Fragen und Ant- 
worten so zu formulieren, wie sie alleine 
sie versteht. Zum Beweis die folgende 
merkwürdige Handlingswcisc: Um bes- 
sere Bedingungen für eine Grundüberle- 
gung - die sehr weit die militante Bewe- 
gung in Deutschland durchzieht - über 
den bewaffneten revolutionären Kampf 
zu schaffen, gibt die RAF diesen auf. 
Anders gesagt, um eine Reflexion über 
ein Thema zu begünstigen und dabei die 
Richtigkeit der Schlußfolgerungen zu ga- 
rantieren. beginnt sic damit, das fragliche 
Thema eigenmächtig zu liquidieren. Un- 
serer Meinung nach und in diesem be- 
sonderen Fall drückt eine solche Hand- 
lungsweise keine Suche nach revolutio- 
närem Fortschritt aus. sondern zeigt ei- 
nen Versuch, im Nachhinein eine Ent- 
scheidung zu rechtfertigen, die im Zu- 
sammenhang mit anderen, nicht zugege- 
benen Interessen getroffen wurde. 

Ein anderer Aspekt des Dokuments der 
RAF verdient, hervorgehoben zu werden. 
Wir haben gehört, daß er sehr verschie- 
den verstanden wurde: Einige sehen 
darin ein gerissenes taktisches Manöver, 
andere die Anerkennung der Unange- 
messenheit der revolutionären Gewalt, 
etc. Schließlich finden viele darin die 
Gelegenheit, sich von dem, worauf sic 
gerade Lust haben, zu überzeugen und 
ein unendliches und ungenaues Geplau- 
der zu betreiben. Wir denken, daß der 
RAF in dieser Angelegenheit ein Groß- 
teil der Verantwortung zukommt. Seit 
langer Zeit entwickelt sie in ihrem Dis- 
kurs wie in ihrer Praiis viele Zusammen- 
hanglosigkeiten und Verwirrungen, was 
ein Zeichen für den unbestreitbaren 
Mangel an ideologischer Klarheit ist. So 
etwas greift allmählich um sich. 

Die konfuse Ausdrucksweise des Briefes 
vom 10. April hält einer strengen Ana- 
lyse nicht stand. Die allgemeine Position 
im gesamten Text läßt weder mehrere In- 
terpretationen noch Zweifel zu. Sie ist 
weder zweideutig noch unbestimmt, und 
daß sie sehr ungeschickt formuliert ist. 
reicht nicht, um den ", Abschied von den 
Waffen ", den sie in sich birgt, unter ei- 
nem Schleier von Ehrenhaftigkeit zu ver- 
bergen. 

Übrigens müssen wir diesem Dokument 
ein großes (aber einziges) Verdienst an- 
erkennen: Es beleuchtet die Sterilität des 
subjcktivistischcn Vorhabens der RAF 



seil zehn Jahren und gibt sic zu. Ach, cs 
ist wirklich schade, daß diese Aufklärung 
und dieses Zugeständnis nicht aus einer 
Annäherung an den Marxismus-Leninis- 
mus licrvorgchcn, .»Iso aus einer Entfer- 
nung vom Subjektivismus (zum Beispiel 
durch eine Ablehnung des Militarismus, 
die wir begrüßen könnten), sondern im 
Gegenteil aus einer erneuten Demonstra- 
tion des Subjektivismus, diesmal im all- 
gemeinen Rahmen eines opportunisti- 
schen Debakels. Wenn sic sich in die 
Überlegungen und Konzeptionen, die in 
diesem Brief dargestcllt sind, versteigt, 
wird die RAF die revolutionäre Bühne 
verlassen und alle politischen und ideo- 
logischen Fehler konservieren, die wir 
von ihr kennen und die wir bereits kriti- 
siert haben - und sie wird diese Bühne 
ohne Hoffnung auf Wiederkehr verlas- 
sen. 

Es geht also darum, präzise und klar über 
die verschiedenen Punkte nachzudenken, 
die im Dokument vom April angeschnit- 
ten wurden. Denn den "Abschied von den 
Waffen ", der in diesem Text beschlossen 
wurde, politisch und ideologisch zu be- 
kämpfen. heißt in erster Linie, den Sub- 
jektivismus und seinen Nachfolger, den 
Opportunismus, beide in all ihren For- 
men zu bekämpfen, seien sic bewaffnet 
oder nicht. Ist denn schließlich der aktu- 
elle " Abschied von den Waffen " etwas 
anderes als die allerletzte und spektakulä- 
re Etappe einer langen politischen Ab- 
weichung? Stammt der schlimmste Fehl- 
tritt, der von der RAF begangen wurde, 
nicht aus der Mitte der 70er Jahre, als die 
Organisation begann, sich offen vom 
Marxismus und einer sicgcsgcwisscn 
Strategie loszusagca? 


Der Brief vom 10. April beginnt mit ei- 
ner Art lascher strategischer Rcflexi- 
on/Bilanz. Es ist die Rede vom Scheitern 
der von der RAF in den letzten Jahren 
entwickelten Strategie, aber nichts von 
den Urhebern des Kampfes, der Art der 
Auseinandersetzung, der kurz- oder lang- 
fristig angc.slrcblcn Ziele etc. wird näher 
bestimmt. Es ist immer nur die Rede von 
"wir", von der "kraft, die wir gegenmacht 
von unten genennt haben", einer 
" gesellschaftlichen alternative hier und 
heute ", "um befreiung kämpfen ", was 
eher ungenügend ist um eine ernsthafte 
revolutionäre strategische Reflexion an- 
zustellen. Jedoch ist dies tur die KAh 
vollkommcn ausreichend, um der An- 
sicht zu sein, ihre Erfahrung zeige, daß 
"die guerilla in diesem prozeft (wir ver- 
muten, daß es sich um den revolutionä- 
ren prozeß handelt ] (...) nicht im mittel- 
punkt stehen kann". Noch selbstkritischer 
präzisiert die RAF sogar, daß "gezielt 


tödliche aktionen (...) die gesamte Situa- 
tion alles, was in den anßtngen da ist 
und für alle (...) eskalieren .” 

Dieser erste Teil setzt sich in einem 
zweiten fort. 

Das berühmte "alles, was in den anfän- 
gen da ist und für alle, die auf der suche 
sind " impliziert "als ganz wesentlichen 
teil den kampf für die freiheit der politi- 
schen gefangenen ", Nach Meinung der 
RAF eine in bestimmtem Maße glaub- 
würdige Perspektive. Der Justizminister 
hätte sich tatsächlich zum Repräsentan- 
ten einer Fraktion der Bourgeoisie ge- 
macht. die verstanden hat, daß sie die so- 
zialen Widersprüche nicht durch Repres- 
sion lösen kann. Sich stillschweigend an 
diese aufgeklärte Fraktion wendend, fügt 
die RAF der Liste noch andere Forderun- 
gen hinzu: Die Gefängnisse müssen an- 
gemessen sein, alle müssen Uber einen 
Wohn- und Lcbcmraum verfügen, die 
Bürger der Ex-DDR müssen über eine 
Selbstbestimmung verfügen, der herr- 
schende Diskurs darf nicht mehr rassi- 
stisch sein etc. etc. 

Das Dokument endet mit einem drittem 
Teil, dessen Naivitit und Logik zu den- 
ken geben: Die Antwort, die der deutsche 
Staat auf diese Forderungen gibt, wird 
zeigen, ob der politische Reformismus 
praktikabel ist oder nicht! Und darauf 
bedacht, diesen Schritt, der ebenso platt 
reformistisch wie anmaßend ist und ge- 
münzt auf den "prizess von diskussion 
und aufhau". zu schützen, kündigt die 
RAF an, ihre ” eskalation " aufzugeben. 
Aber Vorsicht, wenn der Staat seinerseits 
den besagten Prozeß nicht ernst nimmt, 
nun, dann wird die RAF besagte Eskala- 
tion wieder aufnehmen ... obwohl diese 
einige Abschnitte weiter oben als, strate- 
gisch unheilvoll bftrachtet wurde. Der 
letzte Satz des Briefes schließt mit einer 
überwältigenden Redekunst: "auch 

wenn es nicht unser Interesse Ist (wir 
unterstreichen diesj; krieg kann nur mit 
krieg beantwortet werden". In etwa ist 
dies Rache bis zum Tod. 

Es ist seit langem offensichtlich, daß der 
Hauptfehler der RAF in ihrer Fehlein- 
schätzung - ihrer Ablehnung? - des histo- 
rischen Materialismus besteht. Beispiel- 
haften Mut und revolutionäre Selbstauf- 
opferung verbinden die deutschen Ge- 
nossinnen und Genossen mit einem uner- 
schütterlichen Subjektivismus. Leider 
reichen Heroismus und Hingabe nicht 
aus, um den revoluiionären Erfolg zu ga- 
rantieren. Die Revolution ist nicht nur 
eine Sache von Personen und des guten 
Willens. Sic ist ein historisches Phäno- 
men, das auf die objektiv sozial Bestim- 
menden antwortet. 

Es wäre höchste Zeit für die RAF, über 
diese wesentliche Dimension des revolu- 
tionären Kampfes nachzudenken und ihre 


1 1 1 


allgemeinen Vorhaben, ihre Analyse der 
objektiven Realität, ihr Verständnis der 
historischen Mechanismen, ihre strategi- 
schen und taktischen Auffassungen, ihre 
kurz- und langfristigen Ziele etc. dar/.ulc- 
gcn. Kurz, all das. was traditionsgemäß 
abhängig aus einer Plattform, aus Thesen 
und aus einem Organisationsprogramm 
hervorgeht. Wer könnte denn ohne dies 
jemals überhaupt wirklich und genau 
wissen, was die RAF denkt und will? 
Wie könnte die RAF selbst wissen, was 
sic denkt und will? Wie könnte sie ihren 
Kampf organisieren und führen? 

Was für einen Sinn hat es. von revolutio- 
närer Strategie zu sprechen ohne über- 
haupt klar definiert zu haben: 

- was die konkreten Vorhaben des revo- 
lutionären Prozesses sind (z.B. was denkt 
die RAF von der Diktatur des Proleta- 
riats. vom sozialistischen Aulbau?) 

- was darin der Hauptgegenstand ist (z.B. 
was denkt die RAF über das Proletariat? 
Wie definier, sie es? Welche Rolle er- 
kennt sie ihm zu?) 

- wie dieser sich entwickelt (z.B. wie 
geht die RAF das Problem der objektiven 
und subjektiven Bedingungen des revolu- 
tionären Prozesses an? Die Rolle der Par- 
tei?). Dies ist unserer Meinung nach die 
erste Arbeit, die die RAF zu leisten hätte 
und die sie der deutschen revolutionären 
Bewegung und dem deutschen Proletariat 
unterbreiten müßte. 

Die RAF stellt ehrlich fest, daß sie sich 
in der Sackgasse befindet. Sie hringt für 
diese Sachlage verschiedene Erklärungen 
vor, die uns nur ihre Schwäche in der 
Analyse zu zeigen scheinen. Zuerst der 
Zusammenbruch des Revisionismus und 
das aktuelle Debakel des ehemaligen 
Ostblocks in der innerimpcrialistischen 
Auseinandersetzung ... Aber wer konnte 
noch glauben, daß diese Länder - in ir- 
gendeiner Art - Träger einer authenti- 
schen Dynamik oder eines authentischen 
revolutionären Einflusses waren? Dar- 
aufhin das Scheitern des Projekts, "im 
gemeinsamen internationalen Kampf ei- 
nen durchbruch zur befreiung zu schaf- 
fen"... Wenn cs um anti-impcrialistischc 
Bewegung in der Drillen Well geht, so 
weicht sic seit bald fünfzehn Jahren zu- 
rück. und wenn es um die illusorische 
" Westeuropäische Cucrillafront" geht, so 
hat sie nur durch dai journalistische Sen- 
sationsbestreben gelebt. 

So sehr wir also mit dem Schluß, den die 
RAF gezogen hat, übereinstimmen, daß 
nämlich der revolutionäre Kampf sich 
nur auf den objektiven sozialen Bedin- 
gungen eines jeden Volkes gründen 
kann, so sehr glauben wir auch, daß sic 
in diesen besonderen Fall eher zu diesem 
Schluß gekommen wäre, hätte sic einfach 
einen Klassenstandpunkt eingenommen 
oder den Reichtum an Analyse und Er- 



112 


fahrung der Internationalen Kommunist!- 
sehen Bewegung siudicn. 

Dies ist ein Punkt, der umso entschei- 
dender ist, als de Richtigstellung, die 
von der RAF vorgenommen wird, mit ei- 
ner Abweichung einhergeht, die ihr jeden 
Vorteil ruiniert. Wenn sic ihr Hirnge- 
spinst der internationalen "Front" auf- 
gibt. indem sic sich der nationalen sozia- 
len Realität zuwendet, so hat die RAF bei 

der gleichen Gelegenheit ihren revolutio 
nären Grund und ihre politisch-militäri- 
sche revolutionäre Verantwortung als 
Avantgarde preisgegeben. 

Wir haben bereits weiter oben in unserer 
Kritik auf das Fehlen einer allgemeinen 
Definition seitens der RAF hingewiesen, 
ein Fehlen von Bezugnahmen, das einen 
wirklichen politischen Austausch prak- 
tisch unmöglich macht. Das Problem 
taucht wieder auf, wenn man entdeckt, 
daß die RAF unbekümmert das revolu- 
tionäre Ziel aufgibt und gelassen ihre 
Avantgarderolle (und Gott weiß, wieweit 
sic diese Rolle 1972 für die gesamte re- 
volutionäre Bewegung der Metropolen 
ausfülltc ... bis zu dem Punkt, an dem sie 
(die RAF. A.d.Ü.) noch heute deren Aura 
auskostet!) austauscht gegen ein Mitläu- 
fertum in der " alternativen ” Bewegung. 
Der wirkliche Inhalt der von der RAF im 
Moment vertretenen Positionen ist der 
folgende: Weil sie ihre militaristischen 
Illusionen sich nicht erfüllen sah, sucht 
die RAF eine neue Art. mit dem 
“ alternativen " Sumpf zu fusionieren, ei- 
ne Fusion, nach der sie offen seit 1982 
strebt. Damals - die Sache mußte stau- 
finden. indem der Sumpf liquidiert 
wurde - schrieb die RAF zu diesem 
Thema in "guerilla widerstand und anti- 
imperialistische front": "da ist nichts 
mehr von sysiemveründerung und 
'alternativen modelten' im Staat, sic sind 
nur noch skurril ." Zehn Jahre später sind 
die Militanten der RAF für die gleiche 
Sache bereit, die Liquidierung ihrer Or- 
ganisation anzubieten. Dies ist das logis- 
che Ergebnis ihrer frontistisch-stratcgi- 
schen und gegen die Partei gerichteten 
Abweichung. Anstitt sich mit Unabhän- 
gigkeit und Bestimmtheit an die Avant- 
garde des revolutionären Kampfes zu 
halten, dadurch, daß: 

- eine Selbstkritik und eine offensive 
Neuorientierung auf der Basis des Mar- 
xismus-Leninismus vorgenommen wer- 
den; 

- die Strategie und die Taktik, die zur Er- 
hebung des allgemeinen Niveaus des 
Kampfes In Deutschland notwendig sind, 
angenommen werden; 

- mehr und mehr kämpferische Proleta- 
rier und Revolutionäre mobilisiert, rekru- 
tiert und organisiert werden, etc.; beab- 
sichtigt die RAF eher, sich in der margi- 
nalen Masse aufzulösen und vor den ak- 


tuellen Wünschen und Grenzen des 
' alternativen " Sumpfes zu kapitulieren. 
Natürlich muß die revolutionäre Organi- 
sation niemals von den (proletarischen!) 
Massen abgeschnitien sein, aber dies darf 
sic niemals dahin führen, auf ihre politi- 
sche Unabhängigkeit zu verzichten und 
sich von einer autonomen Aktivität los- 
zusagen. 

Nun können wir im Dokument vom April 
lesen, daß die RAF das Problem ihrer 
Rolle und ihres Einflusses mit den fol- 
genden Worten darstellt: “wir halten un- 
sere politik ganz sterk auf angriffe gegen 
die Strategien der 'Imperialisten reduziert 
und gefehlt hat die Suche nach unmitte- 
lbaren positiven zielen und danach, wie 
eine gesellschaftliche Alternative hier 
und heute schon anfangen kann zu exi- 
stiere tu" Was bedeutet das? Daß, weit 
davon entfernt, die Kritik anzunehmen, 
die schon hundert Mal an der "anti-anti"- 
Strategie der " antiimperialistischen"' 
Strömung geübt werde, deren militaristi- 
scher Fahnenträger sie war ("unsere Stra- 
tegie ist es, gegen ihre Strategie zu sein" 
etc.), die RAF die Konstruktion und die 
Struktur einer starken kommunistischen 
Bewegung nicht als "positives Vorhaben" 
betrachtet. Dahingegen erscheint die vul- 
gärste Art von Reformismus, der als 
" positiv " nur diejenigen Ziele ansicht, die 
kurzfristig und im kapitalistischen Sy- 
stem erreichbar sind den Augen der RAF 
als die verlockendste strategische Option. 
Und der vollkommene Opportunismus 
setzt dem Ganzen die Krone auf: Hört 
man nicht, daß die RAF darauf bedacht 
ist. "eigene soziale werte in ihren alltag" 
derjenigen sich entfalten zu lassen, die 
Ihr nahcstchcn? UnJ dann noch, daß sie 
beabsichtigt, sich umzustcllcn auf eine 
"zeit, in der es für alle, um ein sich-fin- 
den auf neuer grundlagc geht ~? Der re- 
volutionäre Prozeß verlangt also keinen 
Prozeß der Aneignung von Klassenbe- 
wußtscin mehr? Ist es also nicht mehr die 
Verantwortung der Revolutionäre, dieses 
Bewußtsein aufrechtzucrhaltcn und da- 
durch der Aneignung durch die Bildung 
zu dienen - gegen die Entfaltung einer 
"Spontaneität“, die unvermeidlich nach 
den Kategorien der herrschenden Ideolo- 
gie gestaltet ist? 

Mit ihrem Brief vom 10. April verstärkt 
die RAF früher als erwartet ihren philo- 
sophischen Idealismus und ihren politi- 
schen Subjektivismus. Betrachten wir 
nun ihren Standpunkt und ihre konkreten 
Projekte im Rahmen der aktuellen sozia- 
len und politischen Situation in Deutsch- 
land. Die RAF ist der Meinung, daß sie 
einer "gesellschaftlichen alternative hier 
und heute" keine Aufmerksamkeit ge- 
schenkt hat. Eine Alternative, die, so 
glaubt man, griflbereit ist, denn "... daß 
das hier möglich ist, daß es geht, so et- 


was anzufangen, haben uns die erfah- 
rungen, die andere erkämpft haben, ge- 
zeigt". Weiter noch präsentiert die Orga- 
nisation eine Liste von sozialen Refor- 
men, die zu verwirklichen sic den Staat 
auffordert. Wir denken, daß all dies von 
einem phänomenalen Unverständnis der 
Wirklichkeit herrührt. 

Zuerst die Frage nach einer "alternative" 
zur Gesellschaft; worum handelt es sich? 
Es handelt sich um eine zwangsläufige 
Randposition. Ein Rand, der nur von 
Kleinbürgern oder deklassierten Elemen- 
ten besetzt werden kann. Wie können 
diese Kategorie und ihr Rahmen - spezi- 
fische Bestrebungen und Interessen - ei- 
ne zu verallgemeinernde revolutionäre 
Entwicklung bilden' 1 Die Revolution ist 
eine Sache sozialer Klassen, "hier und 
heute" eine proletarische Sache. Die Re- 
volution hat nichts mit einer Alternative 
zur Gesellschaft innerhalb der Gesell- 
schaft zu tun. aber alles mit einer Um- 
wandlung der Gesellschaft, der gesamten 
Gesellschaft. Die An. mit der die bürger- 
liche Macht gelegentlich auf die beson- 
deren Forderungen des alternativen 
Sumpfes eingehen kann, ist mit dem 
Klassenwiderspruch, der die ganze Ge- 
sellschaft durchzieht, nicht zu verglei- 
chen. Sich auf den Erfolg beim ersten 
Mal zu beziehen, um vorzugeben, daß 
andere ebenso erreichbar sind, ist ganz 
einfach irrig. Würde man jemals die 
Bourgeoisie sehen, wie sie die Interessen 
der Unterdrückten einräumt oder vertei- 
digt? Es ist absurd, sich so etwas vorzu- 
stellen, weil diese Verteidigung eben 
über die Eliminierung (und nicht die 
"alternative“ Ausrichtung) der Bourgeoi- 
sie und ihres sozialen Systems geschieht. 
Der philosophische Idealismus und der 
opportunistische Subjektivismus der 
RAF haben sie dahin geführt, zu glauben, 
daß die bürgerliche Macht frei sei zu tun, 
was sic wolle, und daß sic sogar für eine 
Art rationalen, überlegenen Verstand zu- 
gänglich sei. Zu ihrer Liste sozialer Ford- 
erungen erklärt die RAF, daß die Ant- 
wort, welche die Mscht erbringt, zeigen 
wird, "wie weit hier ein politischer raum 
für lösungen erkämpft werden kann". 
Aber wer könnte jemals glauben, daß es 
intcrklassistischc Losungen für den Kapi- 
talismus, seine antagonistischen Wider- 
sprüche. für den Anstieg der Ausbeutung 
und die durch seine Krise induzierte so- 
ziale Degradierung gibt? Die Bourgeoisie 
hat nicht die Wahl zwischen einer aus- 
gleichenden Intelligenz und einer 
"provozierenden und draufgängerischen" 
Haltung; sie ist die herrschende Klasse 
im Kapitalismus, die aus der kapitalisti- 
schen Ausbeutung Profil zieht und diese 
verteidigt, - eine Klasse, die weder etwas 
anderes sein, noch außerhalb des Rah- 
mens ihrer eigenen Gesetze handeln 



1 13 


kann. Wenn es eine Lösung für die Wi- 
dersprüche gäbe, die den Kapitalismus 
unterminieren und dazu führen, daß er 
gestürzt wird, wenn cs intcrklassisiische 
Lösungen für die ökonomische Krise gä- 
be. glaubt die RAF nicht, daß die bürger- 
lichen Herrscher diese nicht längs: ent- 
deckt und angewandt hätten? 

Was bleibt in dem neuen Schritt der RAF 
vom dialektischen materialistischen Ver- 
ständnis der Geschichte, vom wissen- 
schaftlichen, aufrichtigen Veitrauen in 
die revolutionäre Zukunft? Nichts, ein- 
fach nichts. Wenn man den deutschen 
Genossinnen und Genossen glaubt, wäre 
das kapitalistische System von innen her 
reformierbar, dazu würde ausreichen, daß 
die Bourgeoisie dies versteht, - und na- 
türlich macht es nichts, wenn dies ihren 
eigenen Interessen entgegensteht. Die so- 
zialen Reformen wären zu allen Zeiten 
erreichbar, von dem Augenblick an, in 
dem die Bourgeoisie die Intelligenz dafür 
besäße (oder muß man ihr vielleicht hel- 
fen?); der soziale Frieden wäre zu allen 
Zeiten erreichbar, von dem Augenblick 
an. in dem die Bourgeoisie den Willen 
dazu besäße (idem)! Schließlich faßt die 
RAF nun den Kapitalismus als ein Pro- 
dukt der Bourgeoisie auf und nicht die 
Bourgeoisie als ein Produkt des Kapita- 
lismus. 

Ein spezieller Punkt verdient, gesondert 
behandelt zu werden. Es handelt sich um 
die Frage der Gefangenen und eventuel- 
ler Entlassungen oder Haftverbesserun- 
gen. Wir denken, daß wir bei diesem 
Thema äußerst vorsichtig sein müssen. 
Die taktischen Manöver sind häufig kom- 
plex und können nur mittels der gesam- 
ten Kenntnis aller ihrer Verhältnisse ri- 
chtig bewertet werden; auch enthalten 
wir uns jeglicher kategorischer Beurtei- 
lung. Trotzdem verstecken wir unsere 
Verwirrung nicht und wollen einige 
Überlegungen darlcgcn. 

Wir denken natürlich, daß es nicht unwe- 
sentlich ist. sich um die Entlassung der 
Genossinnen und Genossen zu bemühen, 
und daß cs richtig ist. daß eine kämp- 
fende Organisation alle Möglichkeiten 
und Gelegenheiten zu diesem Zweck aus- 
schöpft. also auch die Verhandlung, 
wenn sic glaubwürdig ist. Aber zu kei- 
nem Zeitpunkt kann dies auf Kosten des 
Kampfes, seiner Zukunft und seiner 
grundlegenden Vorhaben geschehen. Der 
revolutionäre Kampf verursacht zwangs- 
läufig eine Repression: der revolutianäre 
Sieg wird immense Opfer erfordern, dies 
ist ein historisches Gesetz und sich davor 
vorrangig zu schützen suchen, führt 
zwangsläufig zur Aufgabe des Kampfes. 
Der Justizminister habe Anfang des Jah- 
res angekündigt, die Entlassung einiger 
sehr lang Inhaftierter oder Gefangener, 
deren Gesundheitszustand sich ver- 


schlechtert habe, sei in Betracht zu zie- 
hen. In Wirklichkeit nichts Beweiskräfti- 
ges. im Gegenteil, perfider Diuck auf die 
geweckte Hoffnung. Analysiert die RAF 
klar die Situation? Überschätzt sie in die- 
sem Fall nicht ihre Kraft, ihr Gewicht? 
Wird sie nicht dorthin gelenkt, wohin zu 
lenken sie glaubt? 

Daß eine bürgerliche Fraktion, die 
euphorisch ist. weil sic denkt, sic habe 
noch einmal die Grundlagen eines 
" Tausendjährigen Reiches' gelegt 
(diesmal heißt es "Neue Weitordnung") 
die sich humanistischem unJ - publi- 
kumswirksamem! - Sanftmut gegenüber 
einer Handvoll erfahrener Genossinnen 
und Gcnosien hingibt, darf nicht mit ei- 
nem defensiven Rückzug des Feindes 
verwechselt werden. Im Gegenteil! Übri- 
gens, soviel wir wissen, ist der Minister 
damit beschäftigt, die Repression gegen 
andere Gefangene zu verschärfen 
(besonders dank der Kollaboration ein- 
maliger Militanter, heute Kollaborateure, 
die in der F.x-DDR festgenommen wur- 
den). Die - verbale - Eröffnung von Kin- 
kel, beabsichtigt sic schließlich etwas 
anderes, als eine noch grausamere Re- 
pression gegen diejenigen zu rechtferti- 
gen. die ihre Ideen und ihre kämpferische 
Integrität behalten? Ist sie nick* eine Täu- 
schung. um die authentischen revolutio- 
nären Kräfte zu schwächen? Ist sie nicht 
ein wirkungsvoller Betrug, dci schon Re- 
sultate zeigt, weil man feststellt, daß er 
die RAF schon dahin gefühlt hat. ihre 
Sache, ihre Unabhängigkeit und ihre 
Waffen am Rande des Sumpfes zurück- 
zulassen? Für vage, barmherzige Ver- 
sprechungen, die schon durch eine re- 
pressive Verschärfung dementiert wur- 
den, hat die RAF nicht gezögert, öffent- 
lich ihr Erbe von zwanzig Jahren des 
Kampfes zu liquidieren. 

Wir werden jetzt schließen. Wir hoffen, 
daß der Brief vom 10. April nicht die Ge- 
danken aller deutschen Genossinnen und 
Genossen und besonders der Gefangenen 
wiedergibt, die sicher nicht erfreut dar- 
über sind, daß man dem Preis, den sic 
zahlen, die Negation ihres politischen 
Engagements und die Liquidierung ihrer 
Organisation hinzufügt. Der Weg der 
RAF ist sei; ihren Ursprüngen so gewun- 
den. daß es schwierig ist. den Gedanken 
zu akzeptieren, daß alle mit jeder einzel- 
nen seiner politischen Windungen direkt 
verbunden waren. Wir hoffen, daß - ist 
die Rauchwolke einer konfusen Formu- 
lierung einmal aufgelöst - die Genossin- 
nen und Genossen der RAF Kenntnis von 
der subjektivistischen und opportunisti- 
schen Natur der Positionen nehmen wer- 
den. die sie in ihrem Dokument vom 
April vorgebracht haben; daß sie es als 
einen Fehler auf ihrem Weg anschcn. cs 
als null und nichtig betrachten und 


schließlich die realen Probleme meistern 
werden, die sich ihrer Organisation und 
der deutschen revolutionären Bewegung 
.stellen. Und dies auf einer wirklich re- 
volutionären Grundlage, die den selbst- 
kritischen Verstand verbindet mit dem 
Willen, den Reichtum der Internationalen 
Kommunistischen Bewegung, der im 
Marxismus-Leninismus zusammengefaßt 
ist. in seinem Wert zu erkennen und zur 
Geltung zu bringen. 

Anfang der 70er Jahre hat die RAF im 
Wiederaufbau der europäischen revolu- 
tionären Bewegung eine unschätzbare 
und unersetzbare Rolle gespielt. Auch 
wenn zum Ende dieser Jahre immer 
schwerere Fehler gemacht wurden, ver- 
gessen wir niemals, wie viel wir ihr 
schulden, ihr und ihren heldenhaften 
Gründerinnen und Gründern, die auf Be- 
fehl desjenigen Staates massakriert wur- 
den. mit dem zusammenzuarbeiten der 
Brief vom 10. April einlädt ... Wir haben 
genug Vertrauen in die Dynamik der 
deutschen revolutionären Bewegung, um 
eine energische Reaktion gegen diese 
verheerende und nicht zu rechtfertigende 
Erklärung abzuwarten, gegen den Prozeß 
der politischen und ideologischen Ab- 
weichung, dem sie die Krone aufsetzt 
und hoffen, daß die Militanten der RAF 
ihren alten und ruhmvollen Platz in den 
ersten Rängen der europäischen revolu- 
tionären Bewegung wieder einnchmcn 
können. 

Für die Einreihung der Roten Armee 
Fraktion in die Erfahrung der Interna- 
tionalen Kommunistischen Bewegung, 
dio im Marxismus-Leninismus zusum 
mengeraßt ist! 

Ehrenvolle Erinnerung an die Genos- 
sinnen und Genossen, die im Kampf 
und in den Gefängnissen getötet wur- 
den! 

Ehrenvolle Erinnerung an die Genos- 
sen vom Kommando Martyr Halymch, 
die in Mogadischu getötet wurden! 

Es lebe der proletarische Internationa- 
lismus! 

17. Oktober 1992 



114 


Bernhard Rosenkötter, Ali Jansen. Mi- 
chael Dietiker 

"...sag mal, wo leben wir 
denn?" 

Briefe zur April-Erklärung der RAF 

Mit dem Folgenden wollen wir einige 
grundsätzliche Überlegungen in die Aus- 
einandersetzung um die Erklärung der 
Genossen und Genossinnen aus der RAF 
vom 10.4.92 cinbringen. 

Wir stehen dabei vor dem Widerspruch, 
daß cs uns einerseits unter den Nägeln 
brennt, so schnell wie möglich Stellung 
zu beziehen, daß aber andererseits die ei- 
gentlich nötige Ausführlichkeit und Ge- 
nauigkeit einer solchen Stellungnahme 
eine intensive Arbeit erfordert, die wir in 
der notwendigen Schnelligkeit gar nicht 
leisten können. Zumal wir immer noch in 
verschiedenen Knasten hocken und all 
unsere Diskussionen nur mühsam schrift 
lieh führen können. 

Weil wir jetzt aber auf keinen Fall den 
viel zu oft gemachten Fehler wiederholen 
wollen, aus diesem Dilemma heraus zu 
spät oder gar nicht zu reagieren, haben 
wir beschlossen, zwei Briefe aus der 
Diskussion mit unseren Genossen und 
Genossinnen draußen zu veröffentlichen. 
Das kann natürlich nur der Anfang sein. 

Bernhard Rosenkötter. Ali Jansen. Mi- 
chael Dietiker 

Gefangene aus dem antiimperialistischen 
Widerstand 

Butzbach/Schwalmstadt, Mai 92 
liebe 

nun also mal zum zur zeit alles dominie- 
renden thema. weißt du, was mir selbst 
beim ersten und nun wirklich noch flüch- 
tigen lesen des briefes vom 10.4 sofort 
wie 'ne heiße ncdel unter die haut ging, 
das war diese oberflächliche, sich selbst 
und damit auch seine eigene geschichtc 
nicht ernst nehmende und (nun, ich sag 
mal) lieblose art, in der dieser bref so 
runiergcschricbcn worden ist. daß an die- 
ser in jeder hinsicht ja wirklich sehr 
wichtigen crkläring richtig intensiv gear- 
beitet worden ist, sie darüber tage, Wo- 
chen und diskutiert, überlegt, disku- 
tiert ... haben, einmal bevor sie sich ans 
schreiben machten und dann noch einmal 
bevor sie den text dann wirtlich abge- 
schickt haben, das vermittelt dieser brief 
eigentlich in keiner zeile. mir zumindest 
nicht, auch das jetzt nachgcschobcnc 
■ps” vom 14.4. macht das m.M.n. deut- 
lich, ist Ictztcndlich aber praktisch nur 
noch sowas wie das pünktchen auf dem i. 
da ich nicht weiß, ob cs dir in dieser hin- 
sicht ebenso geht, will ich dir an zwei 


kurzen und m.M.n. sympKimatischen 
briefpassagen versuchen deutlich zu ma- 
chen, was ich damit meine. 

"uns ist klar geworden .... und dass es so 
nicht weitergeht, dass wir als gucrilla 
alle entscheidungen allein treffen und die 
anderen sich an uns orientieren, wir ha- 
ben das zwar oft anders formuliert, aber 
die realitäi war so. " - steht auf Seite 2 ih- 
res briefes. 

"wir, die ruf. haben seil 89 engefungen, 
verstärkt darüber nachzudenten, und zu 
reden, dass es für uns wie für alle, die in 
der brd eine geschichte im widerstand 
haben, nicht mehr so weilergehen kann 
wie bisher, wir haben überlegt, dass es 
darum geht, neue bestimmungen.... " - 
schreiben sie auf seitc 1 des gleichen 
briefes. 

auf der einen Seite zu sagen, cs geht 
nicht, daß wir alle entscheidungen allein 
treffen, sich alle an uns orientieren, auf 
der anderen scitc ohne vorherige breite 
diskussion gleich für alle, die in der brd 
eine geschichtc im widerstand haben, 
nicht nur nachzudenken, sondern auch 
entscheiden zu wollen, ob cs so wcilcr- 
gcht oder nicht, das ist einfach nur noch 
grotesk, leider ist der brief aber nicht nur 
das! 

wie du dir sicher vorstellen kannst, in 
den vergangenen 2 wochen habe ich die 
letzten 8 oder 10 jahre noch ein weiteres 
mal sehr gründlich für mich revue passie- 
ren lassen und ich kann mich auch da- 
nach nur nochmal wiederholen: dieser 
text ist so etwas wie der logische und 
auch beinah zwangsläufige schlußpunkt 
einer langjihrigen fehlentwicklung: einer 
sehr oft problematisierten und auch aus- 
führlich kritisierten fehlentwicklung. und 
offensichtlich wird jetzt noch ein weite- 
res mal, daß die vcrfasscr/innen des brie- 
fes sich mit der kritik an ihnen, an ihrer 
analyse und praxis nie ernsthaft auscin- 
andergesetzt haben. 

kurz, vorab, damit da keine missverständ- 
nisse aufkommen können: ihre cntschci- 
dung. die eskalation zurückzunehmen, 
die ist natürlich richtig, zu kritisieren ist 
dabei nur. daß sie sich in ihrer erklänrng 
nicht mit der cntwicklung hin zu ihrer 
weitgehenden reduktion auf ''gezielt 
tödliche aktionen" auseinandersetzen; 
mit einer cntwicklung, in der sic angriffc. 
die nur in besonderen ausnahmefällen le- 
gitimiert sein können, zu etwas beinah 
normalen verkommen ließen denn die 
dieser cntwicklung zugrunde Hegende art 
und weise, in der sie die realität und 
machtstrukturcn in der imperialistischen 
gesellschaft wahmahmen und 
"analysierten“, wiederholen sic jetzt nur 
noch ein weiteres mal. indem sie völlig 
unreflektiert ins gegenteil verfallen: 
"justizminister kinkel hat mit seiner an- 
kiindigung im januar, einige haftunfähi- 


ge gefangene und einige von denen, die 
am längsten im knast sind, freizulassen, 
das erste mal von staatlicher seite offen 

gemacht, dass es fraktionen im apparat 

gibt, die begriffen haben, dass sie wider- 
stand und gesellschaftliche Widersprüche 
nicht mit polizeilich-militärischen mittein 
in den griff kriegen, gegen die gefange- 
nen haben sie seit 20 jahren auf Vernich- 
tung gesetzt, die kinkel-ankündigung 
wirft die frage auf, ob der Staat dazu be- 
reit ist, aus dem ausmcrz-vcrhältnis, das 
er gegenüber allen hat. die für ein 
selbstbestimmtes leben kämpfen, die sich 
nicht der macht des geldes beugen, die 
eigene interessen und ziele entgegen dem 
profuinteressen formulieren und umsei- 
Zen, also ob er raum für politische lösun- 
gen zuläßt (und wenn auch Vertreter aus 
der Wirtschaft dahingehend druck auf die 
regierung machen, kann das nur gut 
sein)." 

wer sowas denkt und schreibt, der hat 
sich von der dringend notwendigen rc- 
bonstmktion revolutionärer polilik verab- 
schiedet, der sucht Zuflucht im reformis- 
mus. 

aber weißt du. beinah ist das ja sogar ein 
wenig verständlich, genossen/innen, die 
jahrelang falsche und völlig unbegründet 
euphorische "analysen" zum ausgangs- 
punkt ihres knmpfes machten, die den 
Imperialismus in politische agonie verfal- 
len sahen, die interventionsmögüchkeiten 
des staates/des kapitals für beendet 
wähnten und von "entscheidungschlacht" 
redeten, die müssen natürlich im momen- 
tanen siegeszug des iir.perialisinus ver- 
zweifeln. ihre Zuflucht im reformismus 
suchen — zumindest müssen sie das so- 
lange. wie sie sich nicht auf eine kriti- 
sche aufarbeitung der letzten jahre ein- 
lassen. sie nicht in den Vordergrund ihrer 
anstrengungen stellen, aber nein, sie ha- 
ben sich auch jetzt nicht verändert, d.h. 
ihre irt “polilik" machen zu wollen ist 
die gleiche wie vor 6, 7 oder 8 jahren ge- 
blieben. unter dem druck der globalen 
entwicklung haben sich nur die ergeb- 
nisse verändert, und korrespondierend 
zur analyse und praxis aus den letzten 
jahren ist Ictztcndlich daher auch der ge- 
samte brief vom 10.4. verfasst worden, 
mcnsch muß sich das mal vor äugen hal- 
ten: statt zu realisieren, daß kinkel er- 
kannt hat. daß die weitere von der politik 
eingeklagte inhaftiening von günter, 
bemd und z.b. auch irmgard (20 jahre...) 
kontraproduktiv zu werden droht und ein 
ständiger nicht zu kalkulierender mobili- 
sicrungsfaktor ist, und er deswegen eine 
völlig unverbindliche pantius-pilatus-in- 
itiati\e startete (und wie zu erwarten war, 
plötzlich erinnern sich diese herren wie- 
der an die Unabhängigkeit der staats- 
schutzsenate der obcrlandcsgcrichtc). da 
erkennen die illegalen darin eine ent- 



115 


Wicklung, in der sich politische lösungen 
nicht nur für uns politische gefangenen 
abzcichncn. sondern gleich auch für alle. 
“die für ein selbstbestimmtes leben 
kämpfen, die sich nicht der macht des 
geldes beugen, die eigene interesser. und 
ziele entgegen den profitinieressen for- 
mulieren und umsetzen" und das kapital 
macht gleich auch noch dahingehend 
druck.... sag mal. wo leben wir denn? 
nun ich laß das für heute erstmal so ste- 
hen und setz mich jetzt nicht auch noch 
mit dem restlichen brief auseinander, 
grundsätzlich werden wir aber daran 
nicht vorbeikommen, 
zum abschluß noch ein zitat aus dem be- 
schluß des olg (der 2/3 ablehnung): 

"der senat hat davon abgesehen, eine 
Sperrfrist gemäß § 57 abs. 6 STGB für 
die Stellung eines erneuten antrags fcst- 
zusetzen. im hinblick auf die dem senat 
nach dem anhönmgstermin bekannt ge- 
wordene. der raf zugeschriebenc crklä- 
rung vom 10.4.1992. in der auch der ver- 
uitciltc namentlich erwähnt worden ist. 
kann nicht ausgeschlossen werden, daß 
der verurteilte sich in naher Zukunft den 
dort angekündigten gewaltverzicht zu ei- 
gen macht und damit eine neue beurtei- 
lungsgrundlage schafft.” 

lieber...., 

was du von der atmosphäre der letzten 
zeit schreibst, diese mischung aus Unsi- 
cherheit wie was gemeint ist. und Unver- 
ständnis kann ich mir gut vorstellen — 
leider, daß es in einer Situation wie heute 
keine "fertigen antworten" gibt, ist klar 
(die gibt es in Wirklichkeit nie), aber das 
problem ist, daß zu den ganzen brennen- 
den fragen scheinbar nirgendwo wenig- 
sten klare grundhaltungen formuliert 
werden, die den jeweiligen einschttzun- 
gen zugrunde liegen, dabei ist auch das 
jetzt von existentieller bcdcutung. ich 

kann dazu nur sagen, wie wir das sehen, 
das in kinkeis "versöhnungs-offensivc“ 
(treffender begriff, hab ich aus einem ra- 
dio-kommentar) drinstecken würde, uns 
als politische ge%ner anzuerkennen, den- 
ken wir überhaupt nicht, im gegenteil: 
kinkeis eigene Interpretation seines 
schlagworts macht deutlich: er hat 
"Versöhnung” damit erklärt, daß sich 
schließlich auch die juden mit den deut- 
schen versöhnt hätten! wohlgemerkt, in 
dem bild sind raf. widerstand und gefan- 
gene die nazis und bundesregierung und 
kapital sind "die juden". was da drin- 
stcckt. ist also, uns mit dem terrcr der 
nazis gleichzusetzcn, sich als unschuldi- 
ges opfer zu gerieren und uns aus der real 
überlegenen machtposition heraus 
“anzubictcn", wir dürften uns schimcn, 
"entterrorifizieren" und reumütig bessern, 
natürlich muß es trotzdem darum gehen, 
dieses veränderte staatliche kalkiil zu 


nutzen für die durchsetzung von Zusam- 
menlegung und frcilassung. aber Voraus- 
setzung dafür ist, daß wir ihrem kalkül 
mit einer klaren und offensiven grundpo- 
silion gegenübertreten, die crklärung 
vom 10.4. hat da genau gegenteilig ge- 
wirkt: seither steht auch bei den staatlich 
gewollten vorzcigc-cntlassungen das 
"abschwören von der gewalt" noch viel 
betonter im Vordergrund, wir halten es in 
der Situation fUr notwendig, ein paar 
(eigentlich:) Selbstverständlichkeiten 
deutlich und offensiv zu formulieren, 
zum beispiel einfach mal klar feslzustcl- 
len, daß cs eine "gewaltfrage' im sinne 
von "ja oder nein" überhaupt nicht gibt, 
es gibt lediglich die frage nach dem ziel, 
was ich damit meine ist. daß der staut 
den gewaltverzicht ja nicht aus Pazifis- 
mus fordert, sondern im gegerceil die an- 
erkennung seines gewaltmcnopols -- 
sprich, der Staat ist der einzige, der ge- 
walt anwenden darf, was sonst ist denn 
golfkrieg, autobahnbau. Wohnungsnot, 
wozu dient miliütr, bullen-, justiz- und 
knastapparai. wenn nicht zur gezielten 
ausübung von gewalt? oder anders: zum 
staatlichen gewaltverständnis der brd ge- 
hört die feier des 20 . juli. also eines be- 
waffneten attentats gegen einen staat- 
schef. der gcwaltfragc muß also entge- 
gengehalter. werden, daß es erstmal nicht 
um gewalt an sich geht, sondern darum, 
mit welchem ziel welche gewalt ange- 
wandt wird, und daraus ergeben sich erst 
die kritcrien. ganz plump gesagt, die 
herrschenden setzen zur Verteidigung ih- 
rer ausbeutungsintcrcsscn untcrdrückeri- 
schc gewalt ein, und dagegen richtet sich 
der revolutionäre kampf. so kommts 
dann vom köpf auf die füßc. ein ende 
von gewalt setzt also die abschaffung der 
herrschenden Verhältnisse voraus, 
natürlich ist das so arg simpel ausge- 
drückt. dazu ist in jeder hinsicht noch 
sehr viel mehr zu sagen, aber es hleiht 
trotzdem die grundlage. und so wäre es 
möglich eine position zu formulieren, die 
die staatliche abschwör-forderung als 
entlassungsbedingung zurückweist, 
statt aber von der grundlage aus zu ar- 
gumentieren, bleibt die erkllmng vom 
10.4. auf eine ganz verheerende weise in 
genau diesen fragen unklar und wider- 
sprüchlich. einerseits wird das scheitern 
einer bestimmten politik fcstgcstcllt und 
die hoffnung auf eine einächtige, zu 
"politischen lösungen" bereite staatliche 
politik ausgedrückt, andererseits wird die 
Unversöhnlichkeit der ziele betont ("von 
allein werden sie an keinem punkt zu- 
rückweichen"). zu der deshalb notwendi- 
gen eigenen stärke wird aber nichts wei- 
ter gesagt, als die drohung, dann die Poli- 
tik fortzusetzen, deren scheitern zuerst 
festgestellt worden war. 


das isi unserer meinung nach aber kein 
zufall und auch kein einzelner fehler, es 
ist auch nicht nur absurd. sondern ist 
ausdnick von Unklarheiten und rehlem. 
die schon ziemlich lange die antiimperia- 
listische politik (nicht nur der raf) kenn- 
zeichnen. ich kann das auf die schnelle 
hier nur stichwortartig anreißen, aber es 
ist einfach existentiell notwendig, diese 
auseinandersetzung endlich zu führen, 
wenn wir die problemc jemals knacken 
wollen. 

und damit ist auch schon der erste punkt 
benannt, nämlich die fehlende bereit- 
schaft zur kritischen und selbstkritischen 
diskussion der jeweiligen politischen be- 
stimnung und politischen praxis. die 
obigen "Selbstverständlichkeiten" zur 
frage der gewalt heißen ja nichts anderes, 
als daß revolutionäre piaxis dem ziel ent- 
sprechen muß. daß das revolutionäre ge- 
walt nie was selbstverständliches werden 
kann, daß sic ein höchstmaß an Verant- 
wortlichkeit verlangt, wie weit eine pra- 
xis. die sich immer mehr' auf "gezielt 
tödliche aktionen” gegen einzelne reprä- 
sentanten beschränkt, diesen anforderun- 
gen entspricht, also im grund die erste 
frage nach selbstreflektion für revolutio- 
näre politik überhaupt, war beinah in der 
gesamten antiimperialistischen linken 
zumindest in den letzten 10 jahren kein 
thema. fast alle kritik und beinah alle 
versuche, solche auscinandcrsctzungcn 
anzugehen, sind im plumpen Pro-Contra- 
Schetna erstickt worden, zwischen Zu- 
stimmung und "counter” gabs für kriti- 
sche Weiterentwicklung kaum platz, darin 
hat sich eine im grnnd zutiefst unkriti- 
sche. unrevolutionäre denkweise etab- 
liert, die aus allem nur die clcmcntc hcr- 
auszupft. die die "an sich" gut und richtig 
sind oder sonst gerade in den kram pas- 
sen. und das, was ursprünglich "nur" ge- 
gen kritik immunisiert hat, führt jetzt da- 
zu. selbst mit staatlichen angriffen wie 
der kinkel-initiative genauso umzugehen, 
so stehen dann plötzlich hoffnungen auf 
den staatlichen willen zur "politischen lö- 
sung" unvermittelt und unvereinbar ne- 
ben dem wissen um die unvcrsöhnlich- 
keit der ziele, auf genau derselben ebene 
lief seit langem die auseinandersetzung 
mit revolutionärer gewalt. die kritik an 
der konkreten bestimmang einzelner ak- 
tionen wurde sofort zur grundsatzfrage 
gemacht: wer kritisiert, stelle den be- 
waffneten kampf in frage, vom notwen- 
digen und in seiner bestimmung ständig 
genau zu reflektierenden kampfmittcl 
wurde der bewaffnete kampf so zur ge- 
sinnungsfragc: und die ebene der "gezielt 
tödlichen aktionen' zur bestimmung re- 
volutionärer politik schlechthin, und des- 
halb kriegt jetzt auch die "an sich" ja völ- 
lig richtige entscheidung, eine ganz spe- 
zifische ebene von praxis so nicht mehr 



116 


fortzuset/en, diesen unklaren und schwer 
faßlichen tcigcschmack von 
"beendigung". 

aber in der erklärung vom 10.4. fehl! ja 
nicht nur ein versuch der analyse der ei- 
genen entwicklung. ja cs nicht mal die 
frage danach aufgeworfen, vielmehr wird 
als grund für die Veränderung an erster 
stelle der Zusammenbruch des rcalsozia- 
lismus genannt! 

durch den Zusammenbruch des realsozia- 
lismus hat sich natürlich die gesamte in- 
ternationale läge völlig verändert, und 
natürlich bedeutet das für die nationalen 
befreiungsbewegungen einen harten 
schlag und ganz veränderte strategische 
aussichtcn. auch die gesellschaftlichen 
widersprüche in der brd sind durch den 
ddr-anschluß massiven Veränderungen 
ausgesetzt, und sicher muß die kinkel-in- 
itiative auch vor dem hintergrund gese- 
hen werden, daß die herrschenden sich 
jetzt auf neue, in ihrem ausmaß noch 
ganz unvorhersehbarc probleme erstel- 
len und sich deshalb ein paar unfunktio- 
nal gewordene "altlasten" vom hals 
schaffen wollen, aber mit den fragen an 
die bestimmung revolutionärer politik 
hier und an die rolle des bewaffneten 
kampfs hat das ziemlich wenig zu tun. 
die fragen stellen sich auch nicht erst seit 
1989. 

natürlich ist die politik der raf von an- 
fang an internationalistisch bestimmt, im 
Zusammenhang mit dem weltweiten 
kämpf der befreiungsbewegungen anfang 
der 70er jalire. die Sowjetunion / der real- 
sozialismus hat darin aber allenfalls eine 
mittelbare rolle gespielt, als zwar strate- 
gischer aber insgesamt trotzdem passiver 
faktor im internationalen kräfteverhält- 
nis. dieser internationalistische hinter- 
grund war zudem nur ein teil, der andere 
teil war die Situation in der brd, die da- 
von gekennzeichnet war. daß eine breite 
Protestbewegung immer deutlicher in ih- 
re grenzen stieß und für die weiterfüh- 
rung der globalen antiimperialistischen 
offensive eine Überwindung dieser gren- 
zen (gerade) auch in den metropolen 
notwendig wurde, durch den zerfall und 
die integration der 68er-bewcgung hat 
dann crstmal zwangsläufig die interna- 
tionalistische bestimmung eine ganz be- 
sondere rolle für die revolutionäre linke 
in der brd eingenommen, aber spätestens 
in den 80er jahren wurde das zur Verein- 
seitigung insofern, als sich die politische 
analyse immer mehr auf die Untersu- 
chung und bewertung der imperialisti- 
schen planspiclc und Strategien icduzicit 
hat, die entwicklung in der brd einzig aus 
diesen blickwinkcl wahrgenommen 
wurde, und die Veränderung gegenüber 
den anfänglichen bestimmungen wurde 
vielleicht überhaupt nicht mehr realisiert, 
ganz sicher aber wurde sie nicht mehr 


Michi Dietiker /Ali Jansen (von 1970 - 
81 Gefangener aus der RAF ) / Bern- 
hard Rosenkötter - Gefundene aus dem 
antiimperialistischen Widerstand 

Über das Schleifen von 
Messerrücken 

"Es gibt keine völlig neue Arbeit, am 
wenigsten als revolutionäre; die alte wird 
nur klarer wcitergefühit, zum Gelingen 
gebracht. Die älteren Wege und Formen 
werden nicht ungestraft vernachlässigt, 
wie sich gezeigt hat." 

(Emst Bloch, Erbschaft dieser Zeit. Ffm 
1985, S. 146) 

Die Weiterentwicklung revolutionärer 
Politik verlangt eine nüchterne Einschät- 
zung der Lage und die genaue Analyse 
der Entwicklung, die ihr zugrunde liegt. 
Das gilt grundsätzlich und jederzeit. 

Die nüchterne Einschätzung für den anti- 
imperialistischen Kampf in der BRD 
heißt augenblicklich Niederlage - das ha- 
ben wir mit allen Teilen der Linken, nicht 
nur der revolutionären gemein. 

Es geht bei dieser Feststellung nicht um 
das Schaffen von Nestwärme dadurch, 
daß wir quer durch die Fraktionen bei der 
gesellschaftlichen Einsamkeit wenigstens 
die Niederlage gemeinsam haben. Es 
geht dabei erst recht nicht um die Kon- 
sumcntcnhaltung, bei nicht zufriedener 
Leistung die eigene Praxis und Ge- 
schichte einfach wegzuschmeißen und 
nach etwas prickelnd Neuem zu suchen. 
Es geht auch nicht einfach um Fehlersu- 
che. Denn das wirkliche Begreifen von 
Fehlem und das produktive Lernen dara- 
us setzt das Wissen darum voraus, was 
wann warum und wie gelaufen ist. Das 
Ziel der Auseinandersetzung liegt darin, 
die richtigen und wcitcrzucntwickelnden 
Momente hcrauszufmden, die Gründe zu 
erkennen, aus denen sie sich nicht entfal- 
ten konnten (hier geht es dann auch um 
die vermeidbaren Fehler), und aus dieser 
Erkenntnis ihre aktuelle Bedeutung zu 
bestimmen. Erst so wird sie nützlich für 
die Rekonstruktion revolutionärer Politik 
- und dieses Interesse ist schließlich die 
Grundlage der gemeinsamen linken Dis- 
kussion!?! 

Die gegenseitige Versicherung über die- 
ses Ziel sollte erlauben, von dem kurzfri- 
stigen Klammem an nachträgliche 
Selbstvergewisserungen abzulassen - ei- 
ne Haltung, deren Wiederholung Georg 
Fülbcrth in " nachgerade klassischer 
Welse " bei Thomas Ebcruiami entdeckt: 
"Ich weigere mich ja zu sagen, daß unse- 
re Hoffnung, die Einkreisung der Metro- 
polen möge mit unserer Mitwirkung ge- 
lingen, reiner Spinnkram war, sondern 
ich versuche einen Blick auf unsere Bio- 
eraohie und Geschichte zu behalten, der 


diskutiert, sondern sie wurde als quasi 
gradlinige fortcntwicklung unterstellt, 
und jetzt schlügt das ganz einfach um 
bzw. setzt sich mit umgekehrten Vorzei- 
chen fort, an die stelle der imperialismus- 
stratcgic-arsdysen treten die innergcscll- 
schaftlichen widersprüche, genauso ver- 
einseitigt und auch ohne darin die ent- 
wicklung der eigenen praxis und die Ver- 
änderungen der eigenen bestimmung zu 
untersuchen. 

klar ist nur eins: auf die art werden auch 
noch die letzten grundlagcn revolutionä- 
rer politik verlorengchen, 
ich laß cs mal bei diesen kurzen und sehr 
stichwortanigen bemerkungen. aber cs 
macht vielleicht schon mal deutlich, wo 
wir die cckpunkte (Ür die genauere aus- 
cinandcrsetzung jetzt und für die aufar- 
beitung der gcschichte sehen - als unbe- 
dingt notwendige Voraussetzung, wenn 
wir uns unsere politische geschichte 
nicht rauben lassen und der rekonstnikti- 
on revolutionärer politik und gcschichte 
arbeiten wollen. 



noch sieht, daß es einige Jahre lang 
wirklich auf des Messers Schneide stand, 
welche Kräfte sich in der Welt durchset- 
zen" (Ehermann. konkret fi/92). 

Unter der Überschrift “Auf des Messers 
Rücken" schreibt Fülbcrth (konkret 
8/92): "Es ist zu prüfen, ob das stimmt, 
und dabei sollte man vielleicht bis 1917 
zurückgehen. ... Wes wie des Ende des 
Kapitalismus aussah. war nur seine - zu- 
gegeben: konvulsivische - Umgruppie- 
rung ... Auf des Messers Schneide aber - 
dies wissen wir erst im Nachhinein - 
stand dabei nicht." 

Diese Einschätzung ist zweifellos richtig. 
Fraglich ist aber, welche Schlußfolge- 
rung zu ziehen ist. Bei Fülbcrth ist cs die 
Richtigkeit der " prinzipiellen Opposition 
gegenüber einem System, dessen mögli- 
cher Sieg nicht seine moralische Recht- 
fertigung bedeutete. ... Es handelt sich 
um eine Frage der Wertung, welche ei- 
ner gleichsam wissenschaftlichen Sortie- 
rung in Fatsch und Richtig nicht zugäng- 
lich ist. Fehlerhaft war die Einschätzung 
des Kräfteverhältnisses, doch auch eine 
andere Prognose hatte an der Stellung- 
nahme von Linken nichts geändert." 
(ebd.). 

So lassen sich immerhin schon einmal er- 
reichte Kriterien dafür retten, was falsch 
ist an einer ausschließlichen Konzentra- 
tion auf den "sozialen Prozeß" in der Mc- 
tropolengesellschaft und auf die Suche 
nach “politischen Lösungen von unten". 
Das kann aber nicht genügen, ebensowe- 
nig wie die Feststellung von Karl-Heinz 
Dell wo. daß cs "eine historische und mo- 
ralische Legitimation (gibt), hier in die- 
ser Gesellschaft der i bewaffneten Kampf 
geführt zu haben" (konkret 6/92). Die 
Richtigkeit der Stellungnahme und die 
Legitimität der politischen Praxis sind 
nur die Voraussetzungen für die wesent- 
liche Frage: die Frage danach, was an der 
konkreten Praxis nicht nur legitim, 
sondern politisch richtig war, und was 
heute politisch richtig ist! 

I 

Am Ende des Celler Interviews läßt sich 
Thomas Ebermann zu dem Ausruf hinrei- 
ßcn: "Ute berettschajt zur Konsequenz 
muß unbedingt verteidigt werden gegen 
die Propaganda, daß der Erfolg das al- 
leinige Kriterium für politisches Handeln 
sei" (konkret 6/92). Nachdem er kurz zu- 
vor die kollektive Haltung von uns Ge- 
fangenen gegenüber dem staatliche ge- 
forderten Abschwür-Ritual als 
~tm taktisch" qualifiziert hat, bleibt offen, 
was daran Selbstkritik ist und was Tribut 
an vermeintliches Märtyrertum. Richtig 
ist jedenfalls, daß der Erfolg keineswegs 
das einzige Kriterium für politische Pra- 
xis ist. 


Das von Fülbcrth für alle Teile der Lin- 
ken festgestellte Fehlen einer Gesamt- 
strategie heißt nicht, daß das Pochen auf 
richtige Elemente nur ein Klammem an 
Einzelstücke als Erkennungswimpel sein 
muß. 

Zumindest in den letzten 25 Jahren hat 
keine Gruppen der Linken hier auf der 
Grundlage einer umfassenden Gesamt- 
strategie operiert, es gab überall nur mehr 
oder weniger fundierte Analysen, vor- 
rangige Kriterien, darauf aufbauende 
Einschätzungen und Haltungen. Die Op- 
tion auf die organisierte Arbeiterbewe- 
gung oder auf grüne Reformpolitik be- 
ruhte kaum auf einer Gcsamtstrategic. die 
diesen Namen verdient hätte. Der be- 
waffnete Kampf und der antiimperialisti- 
sche Widerstand waren die Konsequenz 
aus bestimmten Erfahrungen und Ein- 
sichten. waren als notwendig erkannter 
Vorstoß und Versuch der Eroberung von 
neuem Terrain unter den veränderten Be- 
dingungen der spätkapitalistischen Me- 
tropolcngcscllschaft - auf einer Grund- 
lage, die ursprünglich sehr vielmehr um- 
faßt hat als den weltweiten Kampf der 
Befreiungsbewegungen. 

Was cs bedeutet, unseren heutigen 
Standort auf dem Messerrücken festzu- 
stellen. ist eine gcschichtsphilosophischc 
Frage: Ihre Beantwortung hängt davon 
ab, welche Entwicklungsgcsctzlichkcitcn 
das Umdrehen des Messers bewirken 
könnte. Wollen wir ans der Ungewißheit 
dieser Frage nicht auslicfcm. geht es 
darum herauszufinden, welche Elemente 
der eigenen Geschichte wir zur Bearbei- 
tung des Messerrückens scharf machen 
können - und da gibt es sicherlich mehr 
als die "Bereitschaft zur Konsequenz", 
die "historische und moralische Lcgiti- 
mation" und die grundsätzliche Richtig- 
keit der Parteinahme. 

Voraussetzung dafür ist allerdings die 
etwas genauere Kenntnis unserer Ge- 
schichte. Bisher kommt sie in der Aus- 
einandersetzung, wenn überhaupt, nur 
merkwürdig schemenhaft und cingeebnet 
vor. 

Auch der Begriff der Niederlage hatte 
mal einen weniger tabuisierten Klang: 
"die subjektive Seite der dialektik von re- 
volution und konterrevolution: das ent- 
scheidende ist, dass man zu lernen ver- 
steht. durch den kampf für den kampf. 
aus den siegen, aber mehr noch aus den 
fehlem, aus denflipps, aus den niederta- 
gen, das ist ein gesetz des marxismus. 
kämpfen, unterliegen, nochmals kämp- 
fen, wieder unterliegen, erneut kämpfen 
und so weiter bis zum endgültigen sieg, 
das ist die logik des Volkes," schrieb Hol- 
ger Meins 1974 in einem Brief aus dem 
Knast. 

Ein solches Verständnis braucht nicht 
den Glauben an ein« Situation auf Mes- 


sers Schneide. Es steht dazu sogar in ei- 
nem gewissen Widerspruch, denn cs geht 
aus von einem zähen, langandauemden. 
schwierigen Kampf, in dem auch jeder 
wirkliche Fortschritt mit Rückschritten 
und Niederlagen verbunden ist. Tatsäch- 
lich waren die Gründe für den Aulbau 
der Roten Armee Fraktion auch wesent- 
lich andere: Die politische Bestimmung 
Pur die Aufnahme des bewaffneten 
Kampfes und für die Organisierung der 
Illegalität war in erster Linie aus den Be- 
dingungen in der BRD und West-Berlin 
entwickelt. 

Die Vorstellung von einer auf Messers 
Schneide stehenden "instahilität des im- 
perialisischen Systems " wurde von der 
RAF erst 1982 im sogenannten Mai-Pa- 
pier zu einer grundlegenden und strate- 
giebestimmenden Einschätzung erklärt - 
ohne dort allerdings die Unterschiede 
und Widersprüche zu den anfänglichen 
Einschätzungen und Bestimmungen zu 
thematisieren. Daß solche späteren Ver- 
schiebungen heute als immer schon be- 
stehende Grundlagen erscheinen können, 
zeigt daß unsere Geschichte auch eine 
Geschichte der nicht geführten und ver- 
hinderten Diskussionen ist. Wenn wir 
uns also unsere "politische geschichte 
nicht rauben lassen wollen”, heißt das 
auch, sic uns gegen die selbstverschulde- 
ten Einebnungen zuriickzucrobcm. 

11 

Um das anfängliche Selbstverständnis 
der RAF zu skizzieren (und von da aus 
die späteren Veränderungen und Ver- 
schiebungen anzudeuten), müssen wir 
zunächst ein wenig ausholcn. Selbstver- 
ständlich waren die weltweiten Kämpfe 
der Befreiungsbewegungen von Anfang 
an der Hintergrund für den Kampf in der 
Metropole. Im "Konzept Stadtgucrilla“ 
schreibt die RAF 1971 zu ihrem Selbst- 
verständnis: "Der sozialistische Teil der 
Studentenbewegung nahm, trotz theoreti- 
scher Ungenauigkeit • sein Selbstbe- 
wußtsein aus der richtigen Erkenntnis, 
daß die revolutionäre Initiative im We- 
sten auf die Krise de: globalen Gleichge- 
wichts und auf das Heranreifen neuer 
Kräfte in allen Ländern vertrauen kann." 
Das war der Hintergrund, vor dem sich 
damals die gesamte Linke weltweit be- 
wegte. Aber die konkrete Bestimmung 
ihrer Politik entwickelte die RAF aus der 
Situation hier: "Die Rote Armee Fraktion 
leugnet... ihre Vorgeschichte ah Ge- 
schichte der StuderJenbewegung nicht, 
die den Marxismus-Leninismus als Waffe 
im Klassenkampf rekonstruiert und den 
internationalen Kontext für den revolu- 
tionären Kampf in den Metropolen her- 
gestellt hat. ... Was Stadlguerilla machen 
kann, hat die Studetenbewegung teil- 



weise schon gewußt. Sie kann die Agita- 
tion und Propaganda, worauf linke Ar- 
beit schon reduziert ist, konkret machen. 
Das kann man sich für die Springerkam- 
pagne von damals erstellen und für die 
Cabora Bassa Kampagne der Heidelber- 
ger Studenten, für die Hausbesetzungen 
in Frankfurt..." (Konzept Stadtguerilla). 

Es war also nicht die internationale Si- 
tuation, sondern in erster Linie die Ent- 
wicklung der Studentenbewegung und 
der Apo, die den bewaffneten Kampf in 
der BRD auf die Tagesordnung setzte. Im 
sogenannten Organisationsreferat des 
SDS von Rudi Dutschkc und Hans-Jür- 
gen Kralil hieß cs schon 1967: "Die Agi- 
tation in der Aktion, die sinnliche Erfah- 
rung der organisierten Einzelkämpfer in 
der Auseinandersetzung mit der staatli- 
chen Exekutivgewalt bilden die mobili- 
sierenden Faktoren in der Verbreiterung 
der radikalen Opposition und ermögli- 
chen tendenziell einen Bewußtseins-Pro- 
zeß für agierende Minderheiten inner- 
halb der passiven und leidenden Massen, 
denen durch sichtbare irreguläre Aktio- 
nen die abstrakte Gewalt des Systems zur 
sinnlichen Gewissheit werden kann. Die 
'Propaganda der Schüsse' (Che) in der 
'Dritten Welt' muß durch die 
‘Propaganda der Tot' in den Metropolen 
ven'ollständigt werden, welche eine Ur- 
banisierung ruraler Guerillatätigkeit ge- 
schichtlich möglich macht. Der städti- 
sche Guerillero in der Organisator 
Schlechthinniger Irregularität als De- 
struktion des Systems der repressiven In- 
stitutionen ." 

Die Studentenbewegung selbst war aber 
nicht in der Lage, diese Vorstellungen 
auch wirklich umzusetzen. "Die Studen- 
tenbewegung zerfiel, als ihre spezifisch 
studentisch-kleinbürgerliche Organisati- 
onsform, das 'Antiautoritäre Lager’ sich 
ab ungeeignet erwies, eine ihren Zielen 
angemessene Praxis zu entwickeln, ihre 
Spontaneität weder einfach in die Betrie- 
be zu verlängern war noch in eine funkti- 
onsfähige Stadtguerilla, noch in eine so- 
zialistische Massenorgan bation " 

(Konzept Stadtgucrilla). 

In dieser Situation mußte es darum ge- 
hen. den bereits zum Vorschein gekom- 
menen richtigen Kern aufzugreifen und 
ihn in einer anderen Form weiterzuent- 
wickeln. "Die Linken wußten damab, 
daß es richtig sein würde, sozialistische 
Propaganda im Betrieb mit der tatsäch- 
lichen Verhinderung der Auslieferung 
der Bild-Zeitung zu verbinden. Daß es 
richtig Wäre, die Propaganda bei den 
Gis. sich nicht nach Vietnam schicken zu 
lassen, mit tatsächlichen Angriffen auf 
Militärflugzeuge für Vietnam zu verbin- 
den. die Bundeswehrkampagne mit tat- 
sächlichen Angriffen auf Nato-Flughä - 
fen..." " Stadtguerilla zielt darauf, den 


staatlichen Herrschaftsapparat an ein- 
zelnen Punkten zu destruieren, stellen- 
weise außer Kraft zu setzen, den Mythos 
von der Allgegenwart des Systems und 
seiner Unverletzbarkeit zu zerstören " 
(ebd.). 

Für diese Aufgabe aber war die illegale 
Organisierung notwendig - auch als Kon- 
sequenz aus den Erfahrungen der Bewe- 
gungen in anderen Mctropolenstaaten. 
"Das Schicksal der Black Panther Partei 
und das Schicksal der Gauche Proletari- 
enne dürfte auf jener Fehleinschätzung 
basieren, ... (die) nicht realbiert, daß 
sich die Bedingungen der Legalität 
durch aktiven Widerstand notwendiger 
weise verändern und daß es deshalb 
notwendig bt, die Legalität gleichzeitig 
für den politischen Kampf und für die 
Organisierung von Illegalität auszunut- 
zen und daß es fabch bt. auf die Illegali- 
sierung durch das System ab Schicksals- 
schlag zu warten, weil Illegalisierung 
dann gleich Zerschlagung bt und das 
dann die Rechnung bt, die aufgeht" 
(ebd.). 

Das hieß jedoch nicht, daß nur die Illega- 
lität das "echte" Kampfterrain wäre: “Wir 
sugen nicht, daß die Organisierung ille- 
gal bewaffneter Widerstandsgruppen le- 
gale proletarische Organisationen erset- 
zen könnte und Einzelaktionen Klassen- 
kämpfe und nicht, daß der bewaffnete 
Kampf die politbche Arbeit im Betrieb 
und im Stadtteil ersttzen könnte. Wir be- 
haupten nur, daß das eine die Vorausset- 
zung für den Fortschritt und Erfolg des 
anderen bt~ (ebd.). 

Die Stadtgucrilla sollte als Fraktion der 
Bewegung fungieren; als diejenige Frak- 
tion. die im Zusammenwirken mit ande- 
ren Fraktionen der Bewegung die Orga- 
nisierung des bewaffneten Kampfes und 
den Aufbau der Roten Armee vorantreibt 
- als Rote Armee Fraktion. ' Unser ur- 
sprüngliches Konzept beinhaltete die 
Verbindung von Stadtguerilla und Basb- 
arbeit. Wir wollten, daß jeder von uns 
gleichzeitig im Stadtteil oder im Betrieb 
in den dort bestehenden sozialistbchen 
Gruppen mitarbeitet, den Diskussions- 
prozeß mit beeinfußt, Erfahrungen 
macht, lernt. Es hat sich gezeigt, daß das 
nicht geht. Daß die Kontrolle, die die po- 
litbche Polizei übet diese Gruppen hat, 
ihre Treffen, ihre Termine, ihre Dbkus- 
sionsinhalte, schon jetzt so weit reicht, 
daß man dort nicht sein kann, wenn man 
auch noch unkontrolliert sein will. Daß 
der Einzelne die legale Arbeit nicht mit 
der illegalen verbinden kann" (ebd ). 

Das war die Situation 1970/71. Die Stu- 
dentenbewegung wir an eine Grenze ge- 
stoßen, und cs ging darum, durch Trans- 
formation der bereits angelegten richti- 
gen Momente diese Grenzen zu überwin- 
den. 


118 


III 

Die Genossinnen und Genossen, die nur 
wenige Jahre später in die Illegalität ge- 
gangen sind, machten diesen Schritt be- 
reits aus einer sehr veränderten Situation. 
"Wir wollten für die Linke einen Raum 
schaffen, die Illegalität, in dem du erst 
mal Subjekt sein kannst - politisches 
Subjekt, das zum Angriff kommt", sagt 
Karl-Heinz Dellwo im konkret-Interview 
- der Unterschied zu den im "Konzept 
Stadtguerilla" formulierten Bestimmun- 
gen ist offensichtlich. Die politischen 
Bedingungen hatten sich stark verändert. 
Apo und Studentenbewegung hatten den 
Sprung über ihre Grenzen nicht ge- 
schafft. Was 70/71 noch an gemeinsamer 
Bewegung vorhanden war, hatte sich 
aufgelöst in K-Gruppen und reformisti- 
sche Integration. Der Entschluß zum 
Aufbau der Stadtgucrilla war auch eine 
Antwort auf diese schon absehbare Ten- 
denz, die in selbstverschuldete Bedeu- 
tungslosigkeit führen mußte, "wenn die 
Avantgarde selbst die Frage nicht be- 
antwortet, wie die politische Macht des 
Proletariats zu erlangen, wie die Macht 
der Bourgeoisie zu brechen ist, und 
durch keine Praxis darauf vorbereitet bt, 
sie zu beantworten" (Konzept Stadtgue- 
rilla). 

Es war die richtige Antwort in dieser Si- 
tuation, obwohl auch die bewaffnet 
kämpfenden Gruppen den Zerfall der 
Bewegung letztlich nicht aufhalten konn- 
ten. Gleichzeitig und durch diese Ent- 
wicklung begünstigt, nahm die staatliche 
Repression massiv zu und konzentrierte 
sich zwangsläufig auf die im Vergleich 
zu den "Bewegungszeiten" leichter über- 
schaubaren revolution'iiicn Kräfte. Stau 
des Kampfes als Fraktion mußte cs ohne 
die Bewegung nun darum gehen, die be- 
gonnene Organisierung der Illegalität al- 
leine voranzutreiben; die Genossinnen 
und Genossen, die den Schritt in die Ille- 
galität mit all seinen Konsequenzen ge- 
macht hatten und die. die in den Knästen 
saßen, nicht einfach im Stich zu lassen 
und das neu eroberte Terrain der Illegali- 
tät für künftige Mobilisierungen zu hal- 
ten. 

Natürlich hat sich in dieser Situation 
auch das Selbstverstandnis der RAF ver- 
ändert. Angesichts des Zerfalls der Apo 
und der damit wesentlichen Bezugspunkt 
innerhalb der Metropolengcscllschaft trat 
der internationalistische Bezugspunkt 
stärker in den Vordergrund. Gleichzeitig 
verschob sich auch das Verhältnis zum 
Staat: Von der im Rahmen einer breiten 
politischen Mobilisierung bestimmten 
bewaffneten Aktion zur direkten Kon- 
frontation. die sowohl durch verschärfte 
Repression und die Verfolgung draußen 
bedingt war als auch durch die ganz kon- 



krcie Notwendigkeit, die Gefangenen aus 
den Kndstcn zu holen. Eine Notwendig- 
keit. die Uber ihre Selbstverständlichkeit 
hinaus auch den Grund hatte, die Gefan- 
genen vor der Folter und Vernichtung im 
Knast zu schützen. 

Es ist nicht das anfängliche Selbstvcr- 
ständnis der RAF. aber in der Situation in 
den Jahren nach 1972. die Karl-Heinz 
Dellwo im Interview beschreibt: "Wir 
haben zurückgcschosscn, das Verhältnis, 
das sie nach unten haben, umgedreht und 
auf sie selbst gerichtet." 

Durch das staatliche Vemichtungspro- 
gramm gegen die Gefangenen rückte das 
Ziel der Gefangenenbefreiung zuneh- 
mend in den Mittelpunkt. Damit verän- 
derte sich aber auch die Bedeutung der 
"Machtfrage". 

Der Staat behandelte die Gefangenen als 
Geiseln (woran sich bis heute im Prinzip 
nichts geändert hat) und verknüpfte so 
die eigene Machtposition unmittelbar mit 
der Frage der Gefangenen. Was umge- 
kehrt bedeutete, daß Gefangenenbefrei- 
ung zu einem Angriff wurde, der ganz 
zentral mit der gesamten Staatsmacht 
konfrontiert war - viel mehr als "den 
staatlichen Herrschaftsapparat an ein- 
zelnen Punkten zu destruieren, stellen- 
weise außer Kraft zu setzen ". 

Diese Entwicklung ist aber erst im Nach- 
hinein so deutlich r.u erkennen. Anfang 

1975 gelang der Bewegung 2. Juni durch 
die Entführung des Berliner CDU-Spit- 
zenkandidaten Lorenz noch die Befrei- 
ung von 5 Gefangenen aus den Knästcn. 
Die Botschaftsbesetzung in Stockholm 
durch ein Kommando der RAF wenige 
Wochen später - ein Angriff in einer bis- 
her noch nicht dagewesenen Schärfe - 
traf auf die harte Haltung der Bundesre- 
gierung, deren damaliger Staatssekretär 
Kinkel als politischer Verantwortlicher 
die Sicherheit der Botschaftsangehörigen 
dem Zerschlagungskalkül opferte. 

Nach dieser Erfahrung, und nach dem 
Tod von Ulrike Meinhof. die am 1 1. Mai 

1976 in ihrer Zelle "erhängt aufgefun- 
den" wurde, sollten die Aktionen des 
Jahres 1977. die Entführung des Arbeit- 
geberpräsidenten Schleyer und die ge- 
plante Entführung des Dresdner Bank- 
Chefs Ponto, die Bundesregierung zum 
Nachgeben zwingen. Ponto und Schleyer 
gehörten zur Elite des BRD-Kapitals. 
und sie verkörperten wie kaum jemand 
sonst die faschistische Kontinuität der 
BRD: einen auf "Arisierungen", auf 
Ausbeutung von KZ- und Zwangsarbeit 
fußenden Machlaufstieg, der ohne Un- 
terbrechung 1945 direkt in die BRD-Eli- 
teposition führte. 

Aber diese Einschätzung ging nicht auf. 
Die Bundesregierung entschied sich, 
Schleyer zu opfern und schreckte auch 
nicht davor zurück, (da Aussagen über 


die Todesart der Stammheimer Gefange- 
nen mit einer gegen die sic veröffentli- 
chenden Medien unterdrückt werden, be- 
schränken wir uns hier gezwungenerma- 
ßen auf selbst von der BAW unbestreit- 
bares:) die Ermordung der Gefangenen 
von Prominenten in der Öffentlichkeit 
propagieren zu lassen und sie im Krisen- 
stab zu erörtern. 

Konfrontiert mit dieser geballten und vor 
nichts mehr zurücktchrcckcndcn Staats 
macht endeten die Aktionen von 77 mit 
einer umfassenden Niederlage, die von 
bisher nicht dagewesenem Terror und 
Repression gegen die legale Linke und 
alle auch nur halbwegs kritischen Stim- 
men begleitet war. 

Wenn sich auch im Rückblick deutlich 
Fehler erkennen lassen, falsche Einschät- 
zungen der eigenen Kräfte und des staat- 
lichen Kalküls, gehören sie wohl zu den 
"unvermeidlichen" (Gremliza). Nach 
dem Zerfall der Apo blieb der RAF nur. 
alleine zu handeln: und in der Situation, 
in der keine Bewegung mehr politischen 

Druck zum Schutz der Gefangene entfal- 
ten konnte, mußt es darum gehen, alles 
zu tun. um sic vor Folter und Vernich- 
tung zu schützen: sie zu befreien. 

IV 

Für die Entwicklung nach 1077 läßt sich 
allerdings keine vergleichbare Notwen- 
digkeit behaupten. 

Vor dem Hintergrund der stärker wer- 
denden sozialen Bewegungen seit Ende 
der 70er Jahre und der damit verbunde- 
nen Massenmilitanz formulierte die RAF 
ihren politischen Neuansatz im Mai-Pa- 
pier von 1982: 

Die Niederlage von 77 wurde jetzt 
gleichzeitig als Beginn einer neuen Phase 
interpretiert: " sie hätten es fast geschafft, 
aber die ironie ist, dass sie genau da- 
durch eine Situation geschaffen haben, in 
der wir unter veränderten und so besse- 
ren bedingungen weiterkämpfen konn- 
ten" (Mai-Papier). Denn die Entschei- 
dung des Staates für die militärische Lö- 
sung " war der sprung an die spitze der 
reaktionären gegenoffensive zur Verein- 
heitlichung der apparate der inneren Si- 
cherheit in Westeuropa," an ihm "ist aber 
auch die politische schwäche der metro- 
polenstaateit, die innere brüchigkeit der 
ganzen nach außen so potenten Struktur, 
so evident geworden wie noch nie" 
(ebd.). 

Im offenen Widerspruch zu dem 1 1 Jahre 
früher im "Konzept Stadtgucrilla" formu- 
lierten Ansatz hieß es nun: "nachdem aus 
dem internationalen Zusammenhang der 
kampf um befreiung vom isolierten gue- 
rillaprojekt zur greifbaren Wirklichkeit in 
den auseinandersetzungen des tages 
durchgebrochen ist geht es jetzt um den 
sprung mit beiden beinen auf der boden 


der Situation hier, tut i widerstand in der 
metropole in der umgekehrten bewegung 
von hier aus zur frort im internationalen 
klusseukrieg zu bringen, also die Strate- 
gie, die ihre würze! hier hat" (cbd.). 
Anstatt die Frage zu untersuchen, wie aus 
den strategischen Anfangsbestimmungen, 
die ihre Wurzeln hier hatten, der bewaff- 
nete Kampf zum "isolierten gucrillakon- 
zept" werden könnt«; und was daraus zu 
lernen ist, wurde die Geschichte einfach 
umgeschrieben: "wenn man so will, un- 
terscheidet sich unsere aktionslinie von 
77 von der jetzt darin, dass es bis 77 im- 
mer auf das ankam. was direkt zum be- 
waffneten kampf gekommen ist oder die- 
sen schritt vorbereitet hat und dass es 
jetzt darauf ankommt, dass gtterilla, mili- 
tante und politische kämpfe als integrale 
komponenten im perspektivischen flucht- 
punkl der zu entfaltenden mctropolen- 
strategie Zusammenkommen " (ebd.). 
Wurde im "Konzept Stadtguerilla" das 
Verhältnis von bewaffneter und legaler 
Politik noch damit beschrieben, "daß das 
eine die Voraussetzung für den Erfolg 
des anderen ist", heißt cs nun: "wenn 
auch bewaffnete, illegale Organisation 
der kern dieser Strategie ist, bekommt sie 
erst ihre ganze notwendige kraft, wenn 
bewaffnete politik mit militanten angrif- 
fin. mit den kämpfen aus der ganzen 
breite der erdrückmg und entfremdung 
und mit dem politischen kampf um die 
Vermittlung ihres prozesses zusammen zu 
einem bewussten und gezielten angriff 
gegen die dreh- und angelpunkte des im- 
perialistischen Zentrums gebracht wird" 
(Mai-Papier). 

Und zwar vor den Hintergrund einer 
weltweiten Schwäche des Imperialismus. 
Der Sieg der Befreiungsfront in Vietnam 
wurde als historischer Durchbruch mit 
weitreichenden Auswirkungen beschrie- 
ben: ” die 'Instabilität des imperialisti- 
schen Systems bedeutet seitdem weltweit 
eine Situation, in der der Imperialismus 
mit einer niederlagt an jedem punkt sei- 
nes Weltsystems, oder dem vertust ir- 
gendeiner seiner rmchtpositionen ... in 
die endliche krise des Systems kippen 
kann " (cbd.) 

Erst hier taucht der Glaube an eine Situa- 
tion auf Messers Schneide auf - und 
wurde gleich zur zentralen Grundlage des 
strategischen Ansatzes. Mit einer gewis- 
sen Notwendigkeit, denn das neue Front- 
Konzept beruhte. anders als das 
"Konzept Stadtguerilla”, nicht auf den 
Erfahrung und dem bereits geführten 
Kampf einer Bewegung, sondern war ein 
theoretisch entwickelter Ansatz, der sich 
ausgehend vom Kampf der Guerilla 
durchsetzen und in einer so erst zu schaf- 
fenden Bewegung verankern sollte. 

Die Chance dafür wurde darin gesehen, 
daß die Polizeistaatsformierung nach 77 



120 


zu der allgemeinen Erfahrung geführt 
habe, daß "der Imperialismus ... über 
keine positive, produktive Perspektive 
mehr (verfügt), er ist nur noch die von 
Zerstörung, das ist der kem der etfah- 
rung, die die wurzel der neuen militanz 
in allen lebensbereichen ist." (ebd.). 

So wurde das ganze Problem der politi- 
schen Verankerung auf eine völlig neue 
Weise betrachtet: "es ist jetzt mehr der 
punkt. die inneren Veränderungen hier 
im einzelnen zu analysieren, denn die 
haltung und die lebenspraxis derjenigen, 
die seitdem kämpfen, hat die veränderte 
Situation schon in sich und geht ganz 
einfach von ihr aus. wir stellen einfach 
fest: fundamentalopposition ist mit die- 
sem System wie nie zuvor grundsätzlich 
fertig, kalt, illusionslos. vom Staat nicht 
mehr zu erreichen ... da ist einfach 
Schluss ... und erst hinter dem ende des 
Systems wird eine lebensperspektive vor- 
stellbar" (ebd.) 

Vor diesem Hintcrgiund hieß die Konse- 
quenz für die Bestimmung der Politik: 
" revolutionäre Strategie ist einfach die 
Strategie gegen ihre Strategie, die ihren 
strategischen plan in ihren konkreten 
Projekten angreift und durch den militä- 
rischen angriff die imperialistische of- 
fensive nach innen und aussen politisch 
bricht und damit bewußtsein schafft, das 
neuer widerstand und prozeß der front 
national wie international wird, die ihre 
pläne blockiert, bevor sie sie ausführen 

können “ (cbd.). 

Es ist deutlich: Hier wird das, was in der 
Entwicklung bis *77 die vielleicht unver- 
meidliche Bewegung weg vom Aus- 
gangspunkt war, zum Programm erklärt. 
Die Gesellschaft wird nur noch von au- 
ßen wahrgenommen, Analyse beschränkt 
sich auf die Untersuchung der imperiali- 
stischen Pläne und NATO-Siratcgicn, 
militärische Guerillaaktionen werden 
zum politischen Kern. Politische Ausein- 
andersetzung und Vermittlung entwickelt 
sich nicht aus den gesellschaftlichen Wi- 
dersprüchen, sondern beschränkt sich auf 
Angriff und angestrebte Verhinderung 
der fortgeschrittensten strategischen Pro- 
jekte des imperialistischen 

"Gesamtsystems". Der Bruch mit der Me- 
tropolenrealität wird zur Bewußtseins- 
grundlagc - nicht mehr als aufklärerische 
"Irregularität”, sondern als subjektiver 
Bruch mit der gesamten Lcbcnswirklich- 
keit der Metropole. Etwas theoretischer 
formuliert: Mit dem Aufbau der Roten 
Armee Fraktion ging es ursprünglich 
datum, die von der Studcntcnbcwcgung 
theoretisch erkannte totale Verdingli- 
chung des Lebens im Kapitalismus zu 
druchbrechen. ein Kampfterrain zu er- 
öffnen, auf dem die wesentlichen Ele- 
mente der "spontanen Irregularität" zu 
einer kontinuierlichen und nicht mehr in- 


tegrierbaren politischen Praxis entwickelt 
werden können. 

Im Mai-Papier dagegen drückt sich die 
Verdinglichung eben der Schritte und 
Formen aus, die ursprünglich gerade das 
Durchbrechen der tctalcn Verdinglichung 
ermöglichen sollten. 

Das verlangte aber Interpretationen der 
gesellschaftlichen Wirklichkeit, die da- 
mals nicht weniger falsch waren als 
heute: Die Behauptung eines weltweiten 
Kräfteverhältnisses, das die imperialisti- 
sche Herrschaft auf Messers Schneide 
stellt, und der Behauptung vom Verlust 
der (im "Konzept Stadtguerilla" noch als 
Ausgangsfähigkeit verstandenen) Inte- 
grationsfähigkeit des Kapitalismus: ~Die 
Offensive jetzt ist für sie auch deswegen 
zur entscheidungsschiacht geworden, 
weil die reformistische Variante, sozial- 
demokratismus und verdeckter krieg auf 
allen ebenen gelaufen ist ... weil die mili- 
tärstrategie zum angelpunkt geworden 
ist, ist auch die politik gestorben - bzw. 
darin kommt sie auf ihren reinen begriff ” 
(Erklärung zu 77 der Gefangenen aus der 
RAF, 1984 im Stammheimer Prozeß). 
Damit waren dem Front-Konzept von 
vomehercin die Grenzen gesetzt, an de- 
nen es auflaufen muStc - spätestens dann, 
als sich in der Niederlage nicht länger 
übersehen ließ, daß die gesellschaftliche 
Wirklichkeit in der Metropole doch viel- 
schichtiger und widersprüchlicher ist. 
Trotzdem hat sich auf dieser Grundlage 
in den 80er Jahren breiter Widerstand 
entwickelt, Ansätze zu einer revolutionä- 
ren Bewegung wie in keinem anderen eu- 
ropäischen Land zu dieser Zeit. Eine 
Entwicklung, die ohne den Kampf der 
Guerilla so sicher nicht stattgefunden 
hätte. 

Trotz der Fehler in der Analyse, der feh- 
lenden wirklichen Verankerung, war der 
Kampf der RAF eine wichtige Orientie- 
rung für viele: Die Existenz einer grund- 
legenden Opposition in einem System, 
das alle Veränderungsimpulse, alle Sub- 
kulturen so umfassend aufschluckt, re- 
formistisch oder direkt kapitalnützlich 
umbiegt oder blockiert; in einem System, 
in dessen Rahmen viele wirklich keinen 
Lebenssinn mehr sehen konnten, das sich 
aber als allumfassend und ausweglos 
darzustellen sucht.' Die Selbstinszenie- 
rung der spätkapitilistischcn Metropo- 
lengesellschaft als quasi pragmatischer 
Gesamtsachzwang, als Beste aller histo- 
risch möglichen Gesellschaften, die zu- 
nächst nicht durchschaubar ist. wurde in 
den Angriffen der Guerilla durchbro- 
chen, mit denen konkrete Verantwort- 
lichkeit erkennbar gemacht und die Ang- 
reifbarkeit des Systems bewiesen werden 
sollte. Nicht zuletzt gehört dazu auch die 
Ausstrahlung des konsequenten Kampfes 
der Gefangenen, den auch das Isolations- 


regime der Hochsichcrhcitstraktc nicht 
brechen konnte. Es gab ein starkes Be- 
dürfnis bei vielen, die von diesen Mo- 
menten angesprochen wurden, sie auf- 
grlffcn, sich anclgncicn und weiterzuent- 
wickeln suchten. Anti-Nato-Mobilisic- 
rungen wie die Bush-Demo 1983 in Kre- 
feld 1983, die Vielzahl militanter Aktio- 
nen in den Jahren 85/86 oder der Anti- 
imperialistische Kongreß in Frankfurt 
1986 seien hier nur als Beispiele für die 
Entwicklung erwähnt. 

Aber cs gab keine politische Diskussion, 
keine Auseinandersetzung um die we- 
sentlichen Fragen, und so konnten die im 
Ansatz angelegten Grenzen und Fehler 
auch nicht erkannt und überwunden wer- 
den. Stattdessen führte das zur immer 
stärkeren Verdinglichung des politischen 
Bewußtseins: 

Revolutionäre Politik war nur noch als 
bewaffneter Angriff denkbar, die militä- 
rische Aktion wurde zum nicht hinter- 
fragbaren Fetisch, Illegalität wurde zum 
Mythos, zur Verkörperung des "Bruchs”, 
zur Voraussetzung von Kollektivität 
schlechthin. 

Mit teilweise verheerenden Folgen, die 
Lutz Täufer in seinem "Brief an einen 
Gefangenen" (konkret 8/92) ganz zutref- 
fend als "reaktionäre Symbiose ” von 
wortführenden Aktivisten und apologe- 
tenhaften Anhängern beschreibt. Daß wir 
ein "ehrliches Verhältnis zu unseren Feh- 
lern und Schwächen entwicklet (Täufer, 
cbd.), wird aber verhindert, wenn nur die 

oberflächliche Erscheinung der 
" reaktionären Symbiose" beschrieben 
wird: "Welche Bedürfnisse auf beiden 
Seiten mitspielen urd woher sie stam- 
men, will ich hier nicht näher untersu- 
chen" (ebd.). Denn tatsächlich gibt es 
dabei mehrere Seiten. Auch die Gefan- 
genen aus der RAF liabcn die Diskussion 
um die im Mai-Papier formulierte Politik 
der "bewaffneten Aktion" zumindest 
nicht forciert. Dieser Zusammenhang 
darf aber nicht länger aus der Auseinan- 
dersetzung verdrängt werden. Wird seine 
Untersuchung nicht zum Ausgangspunkt 
gemacht, erscheint alles Übrige nur als 
leicnrertige Schuldzuweisung für den in- 
dividuellen Sprung aus dem Schlamassel 
- und läßt die Gnindstrukturen unangeta- 
stet. statt an ihrer Überwindung zu arbei- 
ten. 

V 

Denn die Gefahr der heutigen Situation 
liegt darin, daß dieses verdinglichte Be- 
wußtsein, nachdem cs unleugbar an seine 
Grenze gestoßen ist, nun - anstatt durch 
Reflexion und selbstkritische Untersu- 
chung seine Grenzen zu überwinden - 
undialektisch in sein scheinbares Gegen- 
teil umschläßt: An die Stelle, die vorher 



121 


das "Gesamtsystem" und die imperialisti- 
schen Strategien eingenommen haben, 
treten plötzlich, als das Neue, das Ande- 
re, die “sozialen Prozesse in der Gesell- 
schaft". 

'Heute fehlt etwas atuieres. Das ist nicht 
durch die Staatsmacht begrenzt. Es fehlt 
der neue soziale Gedanke, so etwas wie 
ein neuer historischer sozialer Sinn für 
die Gesellschaft \ so Karl-Heinz Dellwo 
im konkret-Interview. Daß die spätknpi- 
talistische Metropolcngescllschaft über 
keinen sozialen Sinn verfügt, war aller- 
dings schon der Ausgangspunkt der Apo. 
Ihre Stärke beruhte auf der Entwicklung 
eines eigenen "jozialcn Sinns’, aus dem 
dann auch der bewaffnete Kampf hervor- 
gegangen ist - der ihn allerdings in der 
eskalierenden Konfrontation mit der 
Staatsmacht immer mehr verloren hat. Im 
Mai-Papier sollte dann das Fehlen des 
"sozialen Sinns', das Fehlen jeglicher 
Lcbensperspektive im System alleine 
schon die Möglichkeit der revolutionären 
Front begründen Heute ist unübersehbar, 
daß die Konfrontation mit der Staats- 
macht keine ausreichende politische 
Grundlage sein kann. Aber wenn nicht 
gemeint ist daß es unsere neue Aufgabe 
wäre, der bestehenden Gesellschaft einen 
Sinn zu stiften, dann ist das Fehlen des 
"sozialen Gedankens" nichts "anderes", 
nichts Neues, sondern das, wovon revo- 
lutionäre Politik immer schon auszuge- 
hen hatte: Die Notwendigkeit, im Kampf 
gegen die herrschenden Verhältnisse ei- 
nen sozialen Sinn zu entwickeln, der 
diese transzendiert. 

Tatsächlich etwas völlig Neues ist aber, 
wenn Karl-Heinz Dellwo jetzt sagt: " Für 
mich hat RAF bedeutet, ein bestehendes 
Vernichtungsverhältnis aufzubrechen, 
das von diesem Staat immer gegen Min- 
derheiten, gegen Opposition eingesetzt 
wurde " (ebd.). 

Denn ein Verrichtungsverhältnis läßt 
sich nur da aufbrechen, wo der zugrunde- 
liegende Widerspruch nicht mehr an- 
tagonistisch ist. 

Wer jetzt fcststcllt: "Wir müssen unser 
Ghetto verlassen, wir müssen in die Ge- 
sellschaft zurück ' (Täufer, konkret 8/92). 
ohne daran die allererste selbstkritische 
Frage anzuschlieäen, wie es nämlich zum 
damit unterstellten Herausfallen aus der 
Gesellschaft kommen konnte, für den 
trifft wirklich zu: ’ Die Tür in die Gesell- 
schaft wird erst einmal in jene brandge- 
fährlichen sozialen Gegenden führen, wo 
der Reformismus lauert" (Täufer, ebd.). 

Es ist diese Gefahr, vor der auch Fülberth 
zurecht warnt: Daß nämlich in der 
Euphorie über die neuentdeckten Betäti- 
gungsmöglichkeiten beim Erobern von 
"Räumen" in der Gesellschaft und bei der 
Suche nach "Lösungen von unten" leicht 
vergessen werden kann, daß es (wenn 


dieses Wort einen Sinn haben soll) keine 
Lösungen unterhalb der Revolution, im 
Rahmen des kapitalistischen Systems 
gibt. Natürlich geht cs um Sclbstorgani- 
sation. geht es um einen "sozialen Sinn", 
darum. Ansätze für ein anderes Leben, 
jenseits der Herrschaft von Geld und Wa- 
re zu erkämpfen und so Schritt für Schritt 
Raum zu erobern. Darum ging cs auch 
bei der Gründung der RAF. Gefährlich 
sind nicht die "sozialen Gegenden", son- 
dern das Verhältnis, mit dem wir uns ih- 
nen nähern. Dann nämlich, wenn die 
Haltung, die politische Basisarbeit - sei 
es in Bürgerinitiativen oder anderen lega- 
len Gruppen, sei cs in Gewerkschaften, 
im Betrieb, an Schulen und Unis -. die 
zum Teil sogar Ausbildung und Berufs- 
arbeit als "Counter" gebrandmarkt hat. 
jetzt plötzlich schlicht gewendet wird. 

Es ist weniger das tatsächliche Hcrausfal- 
len (das so total nie war, sonst hätte der 
antiimperialische Widerstand nicht so 
vielfältig ind relativ zahlreich sein kön- 
nen). als die im Mai-Papier formulierte 
mutwillige Verortung des eigenen politi- 
schen Standpunkts außerhalb der Gesell- 
schaft, die zu dem jetzt auftauchenden 
Rückkehr-Bedürfnis geführt hat. Die 
Neuentdeckung politischer Basisarbeit 
"in der Gesellschaft" beruht weniger auf 
deren neuer Qualität als auf der Ignorie- 
rung dieses Hintergrunds. 

VI 

Das Problem ist nur. daß sich aus politi- 
scher Bassarbeit nirgends unmittelbar 
revolutionäre Politik entwickeln läßt. Mit 
dieser Erkenntnis sind wir wieder bei den 
Fragen der Studentenbewegung angc- 
langt. 

Die Tatsache, daß die damaligen Antwor- 
ten heute nicht einfach wiederholt wer- 
den können, ist aber noch lange kein 
Grund, das ganze damals schon erreichte 
Erkenntnisniveau und Problembewußt- 
scin über den Haufen zu schmeißen. 
Deutlich wird das an einer Äußerung von 
Knut Folkerts im konkrct-Interview: " Der 
Emanzipationsgedanke muß wirklich aus 
der Tiefe und geschichtlichen Reife neu 
begründet werden, weil ja eine ganze 
Epoche zu Ende gekommen ist. Befreiung 
- was ist das heute? Heute lind Aufhe- 
bungen möglich, wie sie bisher nicht 
möglich waren. Die strukturelle Massen- 
arbeitslosigkeit ist zB. ein Negativaus- 
druck für die tendenziell mögliche Auf- 
hebung der Arbeit. Wir brauchen ein 
Wirklichkeitsmoment in der Gegenwart, 
auch weil es ein langandauenuler Über- 
gangsproztß sein wird. Befreiung kann 
keine Abstraktion bleiben, kein fernes 
Ziel. Die Ziele müssen in der Lebens- 
wirklichkeil beginnen, als Aneignungs- 
bewegung. ' 


Daß Befreiung nicht abstrakt bleiben und 
daß Ziele nicht völlig außerhalb der Le- 
benswirklichkeit wurzeln dürfen, ist si- 
cher richtig - aber nicht erst seit gestern. 
Schon vor längerem hat Marx deswegen 
mal das Kapital als die bestimmende 
Sphäre der Lebenswirklichkeit in der 
bürgerlichen Gesellschaft analysiert, um 
so den Idealismus der utopischen Sozia- 
listen auf eine materielle Grundlage stel- 
len zu können. 

So konnte er das Proletariat und die In- 
dustrialisierung ab diejenigen 
"Wirklichkeitsmomente in der Gegen- 
wart" bestimmen, von denen aus revolu- 
tionäre Politik im langandauemden 
Übergangsprozeß damals entwickelt 
werden mußte. Seither geht cs darum, 
was unter dem "Wirklichkeitsmoment" 
für die konkrete politische Arbeit zu ver- 
stehen ist. Etwa Lenin oder Luxemburg 
haben das als Problem von Reform und 
Revolution untersucht und auch heute 
noch Lesenswertes darüber geschrieben. 
Darauf aufbauend hatte die RAF im 
"Konzept Stadtgucrilla" festgestellt: " Die 
'revolutionären Übergcngsforderungen 
die die proletarischen Organisationen 
landauf landab aufgeitellt haben, wie 
Kampf der Intensivierung der Ausbeu- 
lung, Verkürzung der Arbeitszeit, etc., - 
diese Uhergangxfnrderungen sind nichts 
als gewerkschaftlicher Ökonomismus, 
solange nicht gleichzeitig die Frage be- 
antwortet wird, wie der politische, mili- 
tärische und propagandistische Druck zu 
brechen sein wird, der sich schon diesen 
Forderungen aggressiv in den Weg stel- 
len wird, wenn sie in massenhaften Klas- 
senkämpfen erhoben werden." 

Die Gründung der RAF als damalige 
Antwort kann heute natürlich nicht stu- 
pide wiederholt werden. Aber richtig 
bleib:, daß sich heute genauso allen Ver- 
änderungen, die auf eine Überwindung 
der strukturellen Massenarbeitslosigkeit 
zielen, mächtige und aggressive Kiäftc in 
den Weg stellen. Zudem ist die Erkennt- 
nis des Zusammenhangs von struktureller 
Arbeitslosigkeit und möglicher Aufhe- 
bung der Arbeit nicht neu, die IG Metall 
beispielsweise begründet darauf seit En- 
de der 70er Jahre ihre Tnrifpolitik. 1980 
formulierte Andre Gorz seinen 
"Abschied vom Proletariat", wo er aus 
dem Gedanken der "möglichen Aufhe- 
bung der Arbeit" ein Modell entwickelt, 
das ebenso zwangsläufig wie konsequent 
die Grundlagen der Metropolengesell- 
schaft. nämlich die imperialistische Ar- 
beitsteilung des Weltmarkts, unberück- 
sichtigt läßt. 

Wenn es jedoch um mehr geht als um die 
andere Verteilung des geraubten Profits 
zur Aufrechtcrhaltung des zerstöreri- 
schen Konsumwahns, dann sind gesell- 
schaftliche Umwälzimcen nötip. die ein 


122 


Ende des gifi- und müllproduzierenden 
Metropolenwohlstands, eine Umwälzung 
der imperialistischen Weltmarkt-Arbeits- 
teilung mit sich bringen und somit 
zwangsläufig ein Mehr an Arbeit (ur alle 
Menschen weltweit. 

Die Vorstellung der Abschaffung der 
Arbeit ist nur der konsequent zu Ende 
gedachte sozialdemokratische Gedanke 
von Umverteilung im Kähmen der beste- 
henden Verhältnisse. Wenn der Zusam- 
menbruch des Realsozialismus als Zei- 
chen einer zu Ende gegangenen E[>oche 
etwas gezeigt hat, dann ist es die Priorität 
von Eigeninitialivc. von Selbstorg>nisa- 
tion. 

Statt um "Abschaffung der Arbeit" geht 
es um die Verfügungsgewalt: um die 
gleichberechtigte Selbstbestimmung aller 
beteiligten Menschen darüber, was und 
wie produziert wird. Auch ohne eine fer- 
tige Antwort auf die Frage nach der prak- 
tischen Durchsetzung dieses Zieles wird 
an dem Beispiel deutlich, warum revolu- 
tionäre Politik nicht unmittelbar auf das 
zurtickgreifen kann, was in konkreten ge- 
sellschaftlichen Auseinandersetzungen 
schon vorhanden ist. 

Das "Wirklichkcitsmomcnl" ist das in 
dieser Gesellschaft nicht lösbare Problem 
der Massenarbeitslosigkeit, aber durch 
die eurozentristische Vorstellung von 
"Aufhebung der Arbeit" wird es sich ge- 
rade nicht revolutionär überwinden las- 
sen. Andererseits ist der Gedanke von 
Sclbstorganisation in den real existieren- 
den Arbeitskämpfen so gut wie nicht 
vorhanden. Aufgabe revolutionärer Poli- 
tik ist deshalb, ihn dort hineinzutragen. 
Das setzt aber eire Verankerung in dieser 
"sozialen Gegend" voraus, die in der an- 
tiimperialistischen Linken bisher tenden- 
ziell für überflüssig oder falsch gehalten 
wurde. Diese Verankerung, dort wie in 
anderen "sozialen Gegenden", ist Korrek- 
tur eines Fehlers, ist Voraussetzung für, 
ist aber nicht selbst schon revolutionäre 
Strategie. Nicht die "sozialen Gegenden", 
sondern diese Verwechslung ist das 
"brandgetührliche“, "wo der Reformis- 
mus lauert". 

Dasselbe gilt für die "sozialen Prozesse 
in der Gesellschaft". In der zweiten Hälf- 
te der 70er Jahre entstanden in den unter- 
schiedlichsten Bereichen soziale Bewe- 
gungen, in denen eine Vielzahl von Er- 
fahrungen gesammelt wurden. Sie alle 
sind später je für sich an eine Grenze ge- 
stoßen. nämlich an die Macht und an die 
Intcgrationsfähigkeit des Kapitals. Schon 
vorher gewußt zu haben, daß sic ihre 
Ziele gegen diese Macht nicht einfach 
werden durchsetzen können, rechtfertigt 
nicht ihre Geringschätzung durch die an- 
tiimperialistische Linke als 
"Teilbereichskämpfc". die von echtem 
revolutionärem Kampf gegen die impe- 


rialistischen Zentren eher ablenken wür- 
den. Sicher, die AKWs stehen noch, die 
Startbahn West ist gebaut, die Häuser 
sind geräumt, die Raketen stationiert - 
doch auch hier ist der Erfolg nicht das 
einzige Kriterium. 

Mit der neuen Entdeckung der “sozialen 
Prozesse“ und ihrer Bedeutung aber um- 
gekehrt das Wissen um ihre Begrenztheit 
aufzugeben, wäre ein ebenso schlimmer 
Fehler, genauer: die Fortsetzung des alten 
mit umgekehrten Vorzeichen. Erst die 
richtige Einschätzung aller konkreten 
Kämpfe, sowohl in ihrer gesellschaftli- 
chen Begrenztheit als auch in der politi- 
schen Brisanz der darin anfbrechenden 
Widersprüche, der entstehenden Um- 
gangs- und Organisationsfermen, der 
Mittel und Ziele macht es möglich, auch 
aus ihren konkreten Niederlagen nicht als 
Verlierer hervorzugehen. 

Das gilt gleichermaßen für die Kämpfe 
der sozialen Bewegungen wie für die des 
antiimperialistischen Widerstands. Statt 
der bedingungslosen Identifikation mit 
den einzelnen Fordenmgen und den je- 
weiligen Parolen geht es darum, diese 
Eingebundenheit und Widersprüchlich- 
keit zu erkennen und ertragen zu 
lernen. (Wir empfehlen: Mao zu lesen, 
z.B. "Übcrdcn Widerspruch"!) 

Denn es gibt keine einfachen, gradlini- 
gen, unverrückbaren Siege, der revolu- 
tionäre Prozeß ist keine Entscheidungs- 
schlacht. Erst dieses Bewußtsein setzt 
uns in die Lage, ein Leben lang zu kämp- 
fen, anstatt in grandiosen Anstrengungen 
auszubrennen, um sich dann zurückzu- 
ziehen. 

Daraus ers: entsteht Identität, die auch 
für andere erkennbar sein wird, das ist 
der Schritt von Subkultur zu eigener Kul- 
tur und endlich auch die Überwindung 
der vielbeklagten Unfähigkeit zu solida- 
rischkriiischcm Streit. 

VII 

Heute müssen wir von Niederlage spre- 
chen und nicht von einer Grenze: 

Anders als bei der Grenze, an die die 
Apo 1970 gestoßen war, gebt es heute 
nicht um eine Transformation der fortge- 
schrittensten Praxis in eine höher organi- 
sierte Form, sondern es geht zunächst nur 
um die Bestimmung der nach wie vor 
gültigen Analysegrundlagen und derjeni- 
gen Elemente unserer Geschichte, die in 
veränderten, für heute angemessenen An- 
sätzen und Formen weiterentwickelt 
werden sollen. 

Einige zentrale Ausgangsbedingungen 
sind immer noch dieselben wie vor 25 
Jahren, wenn auch in extrem verschärfter 
Form: Das Problem der Entfremdung, der 
Verdinglichung aller menschlichen Ver- 
hältnisse. der zunehmenden Kapitalisie- 


rung und warenförmigen Durchdringung 
aller Lcbcnsbcrciche. Voraussetzung für 
die Subjektwerdung. für den Aufbau von 
Formen der Sclbstorganisation, ist nach 
wie vor ein "Bruch" mit dieser umfas- 
senden gesellschaftlichen Fremdbestim- 
mung. "Bruch” darf aber weder autono- 
me Selbstghcttoisierungscin, noch Bruch 
mit der gesamten Lebenswirklichkeit der 

Melrupolcngcscllschiift durch die Identi- 
fikation mit einem illegalen Terrain, das 
zudem isoliert ist und nicht Fraktion ei- 
ner Bewegung. Trotzdem muß er, als 
Bruch in der Wertselzung, als Bruch mit 
der kapitalistischen Extermination, im 
eigeren I«ben für andere erkennbar sein. 
Anstelle des Holzhammerverhältnisses 
"Jeder muß sich entscheiden" geht es um 
die Suche nach Formen, in denen viele 
Menschen Schritt für Schritt diesen 
Bruch mit den Werten des metropolita- 
nen Konsumalltags vollziehen können. 
Innerhalb dieses Rahmens bleiben Sabo- 
tage und bewaffnete Aktion grundsätz- 
lich unverzichtbar. Genauso, wie es 
falsch ist, in der illegalen bewaffneten 
Aktion die Verkörperung des "Bruchs" 
zu sehen, die höchste Form revolutionä- 
rer Politik schlechthin, so ist cs falsch, 

den bewaffneten Kampf mit dem "Sturm 
aufs Winterpalais", mit einer letzten Auf- 
standsphasc zu identifizieren, wie Fülber- 
th das in schlechter DKP-Tradition tut. 
Im Fall der russischen Revolution ist 
letzteres übrigens auch historisch falsch, 
denn trotz aller Widersprüche war der 
Terrorismus' der Narodniki in der zwei- 
ten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein wich- 
tiger Vorläufer, ohne den die Entwick- 
lung der revolutionären Bewegung in 
Rußland nicht verstanden werden kann. 
Damit soll natürlich keine Analogie zur 
heutigen Situation zusammengeschustert 
werden, aber das Wintcrpalais-Argumcnt 
fällt sogar hinter das politische Niveau 
der Friedensbewegung zurück, die im- 
merhin mit Sitzblockaden schon Formen 
massenhaften zivilen Ungehorsams orga- 
nisiert hat. und zwar bewußt als Sabota- 
ge, als Angriff auf das herrschende Ge- 
setz, anstatt alles auf eine spätere Aus- 
nahmesituation namens Aufstand zu ver- 
schieben. 

Gleichzeitig geht es um die Suche dcije- 
nigen Wirklichkeitsmonente in der Ge- 
sellschaft, die den grundlegenden Wider- 
spruch und seine mögliche Aufhebung 
beinhalten. Anders als vor 20 Jahren, vor 
dem Hintergrund einer breiten Bewegung 
mit starken revolutionären Impulsen, sind 
dieso heute aber nicht in den gesell- 
schaftlichen Konflikten schon aufgreif- 
bar vorhanden. Vorhanden sind nur die 
Probleme, an denen sich der Wider- 
spruch zeigt, aber die Momente seiner 
möglichen Aufhebung können zunächst 
nur abstrakt bestimmt werden: Jede Kon- 



123 


kretion als "Lösung von unten" mündet 
zwangsläufig in Reformismus. Wirkliche 
Konkretion kann nur im praktischen 
Kampf erfolgen, auf der Grundlage des 
Bewußtseins, daß es keine Lösungen un- 
terhalb der Revolution gibt, und daß die 
Richtigkeit jedes einzelnen Schrittes sich 
daran bemißt. ob er den Blick auf den 
gesellschaftlichen Gesamtzusammenhang 
freilegl oder versrhilttet. 

Statt der unbeantwortbaren Frage nach 
einer Gesamtstrategic oder einer Zcatral- 
perspektive geht es also um die immer 
weitergehende Bestimmung von Krite- 
rien und deren schrittweise Konkretion in 
der Praxis. 

Diese Kriterien können zunächst nur ab- 
strakt bestimmt werden, denn die Ent- 
wicklung revolutionärer Politik verläuft 
dialektisch: Sie verläuft unausweichlich 
in dem ständigen Widerspruch von ab- 
straktem Wertmaßstab und notwendig 
unzulänglicher praktischgesellschaftii- 
chcr Umsetzung. Es gibt die lange Tradi- 
tion eines falschen, positivistischen Ver- 
ständnisses der gesellschaftlichen Wider- 
sprüche, das letztlich in allen Fehlem 
und Niederlagen linker Politik eine Rolle 
gespielt hat. Diesem Verständnis er- 
scheinen gesellschaftliche Widersprüche 
als etwas Äußerliches, sie müssten nur 
richtig erkannt werden und linke Politik 
könnte dann auf der unteren Seite dieses 
Widerspruchs eindeutig, klar und in sich 
widerspruchsfrei Position beziehen. 

Das ist keine Eigenart der alten Lehre 
vom Hauptwiderspruch Kapitalvcrhält- 
nis, dem alles andere als Nebenwider- 
spnich untergeordnet wurde, es hat ge- 
nauso in dem reduzierten Antiimperialis- 
musbegriff der 80er Jahre eine wichtige 
Rolle gespielt. 

Tatsächlich aber ziehen sich die Wider- 
Sprüche immer und unausweichlich auch 
durch die eigene Praxis. -Es gibt keinen 
“Bruch”, kein Programm und keine Stra- 
tegie, mit dem wir uns selbst aus den wi- 
dersprüchlichen Zusammenhängen von 
Rassismus. Sexismus und Klassenuider- 
spnich hinauskatapultieren könnten Re- 
volutionäre Politik kann nicht durch die 
Bestimmung einer "richtigen” Praxis 
oder einer "richtigen“ Position aufgebaut 
werden, sondern nur durch ständige kriti- 
sche und selbstkritische Überprüfung, 
Veränderung. Weiterentwicklung, er- 
neute Überprüfung und so weiter - in ei- 
nem Prozeß, in dem die Kriterien durch 
die Praxis zunehmend an Umfang und 
Deutlichkeit gewinnen. 

Welche Kriterien aus unserer Geschichte 
zu gewinnen sind, haben wir zu skizzie- 
ren versucht. 

Sic bleiben vorerst relativ abstrakt. Aber 
nicht das Fehlen von Wirklichkciismo- 
menten. nicht das Fehlen klarer Vorga- 
ben ist das Problem, sondern das Bedürf- 


nis nach eindeutigen Gewißheiten, nach 
einer widerspruchsfreien Position. 

Wenn wir eine wirkungsvolle konkrete 
Praxis entwickeln wollen, die sich nicht 
selbst wieder fesselt und verdinglicht, 
müssen wir die Angst vor Widersprü- 
chen. die Abneigung gegen das Abstrakte 
überwinden. 

Hier wird der Mut zur Befreiung ge- 
braucht. Voraussetzung ist das Wissen 
um den grundlegenden Antagonismus. 
Aber lebendige revolutionäre Politik 
kann nur aus der praktischen Kenntnis 
und der Verankerung in den vielfältigen 
gesellschaftlichen Widersprüchen entste- 
hen. aus der Neugier auf das Leben. 

~ Es flbi riesige Täuschungen der Unwis- 
senheit. Btirug an falscher- Phantasie. 
Weihrauch über ilurchschau/xjren Gr - 
Mlah.J?aä.C5..gibt auch rote Geheim- 
nisse. in .der MIUo-üul rel:" (Emst 
Bloch, ebd. S. 409) 

FÜR DEN KOMMUNISMUS 

Butzbach/Schwalmstadt. Juli 1992 



ZEITUNG ANTtRASStSTtSCHER GRUPPEN 


SchwetpunMsMHjii^HMBHH 

Nr. 6 ’ JSeicbe Rechte für-alle 

Nr. 7 _R»$sismus und Medien 

Nr. 8 Abschiebung und Ausweisung 

Nr. 9 Bltiberecht für Yertragsarbeiterlnnen 

Nr. 10 (2/94) • Rassismus und Medien 

aus «Sem InhaB von Nr. 9 ■■§^■■■■1 

t A. Snranandan: Statewatetihg • ' ' 

t Neue Wiehe: Eine Verfcfihnunj 

aller Opfer des deutschen Faschismus 


( »Wem die Arbeit getan ist -« 

Ober neue Formen der Vertragsarbeit 



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Fax: 0431/ 7 51 41 



124 


VII. Kritische Theorie : Die Totalität eliminiert die gesell- 
schaftlichen Antagonismen. Die theoretischen Ursachen 
der Defizite der alten und neuen Politik 

"Lukdcs's Interpretation of the ideological battle between capitalism and socialism as a conflict between formal 
analytic rationality and the viewpoint of die toiality is bc found again and again in «he works of later thinkers, 
among them, Goldmann, Marcusc, Satre" and has "permcated the attitudes und activities of radicals and revolu- 
tionäres who may never have read a line of Lukäcs's book." 

Gareth Stcdman Jones, in: Western Marxism. A critical rtader, London, 1977, 11-60 (57, 18) 

Der “Unterschied, daß der Arbeiter der einzelnen Maschine, der Unternehmer dem gegebenen Typus der maschinel- 
len Entwicklung, der Techniker dem Stand der Wissenschaft und der Rentabilität ihrer technischen Anwendung ge- 
genüber stehen muß, bedeutet eine bloß quantitative Abstufung und unmittelbar keinen qualitativer Unterschied (...)" 
in der Verdinglichung des Bewußtseins. 

Georg Lukäcs, Werke, Bd. 2, 273. 

"Der Neohegclianismus" - d.h. Georg Lukäcs u.a. - "interpretiert die Gesellschaft als homogene Totalität, (...). 
Ihre konstitutiven Elemente sind in eine undifferenzierte Ganzheit aufgelöst, die inneren Widersprüche und 
Querheziehungen zwischen den besonderen Ebenen und Strukturen innerhalb eines gegebenen Sozialgebildes 
werden ignoriert 

Miriam Glucksmann, in: alternative, Vol. 71, 1970, 74 - 87 (74). 

"Für den Marxismus ist die Erklärung jedes Phänomens in letzter Instanz intern: der innere ■Widerspruch' ist der 
'Motor'." 

Louis Althusser, in: Was ist revolutionärer Marxismus? , Westberlin, 1973, 97, FN 2 

1. Herausgeber- Kollektiv, Frankfurter oder Rote Armee Fraktion? - Zur Kritik des Einflusses der Kri- 
tischen Theorie auf die RAF 

2. Galvano della Volpe, "Kritik eines spätromantischen Paradoxes (Über die 'Dialektik der Aufklä- 
rung' von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno)" und "Marcuses Moralismus und Utopismus " 

3. Karl Marx und Friedrich Engels, Über die revolutionäre Rolle der Bourgeoisie. Auszug aus dem 
Kommunistischen Manifest 

4. Lucio Colletti, Von Hegel zu Marcuse 

5. Friedrich Engels über die Parole " Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes Tagewerk" 

6. Karl Marx über die Forderung nach " gerechter Verteilung des Arbeitsertrags " 

7. Rolf Nemitz, Ideologie als "notwendig falsches Bewußtsein" bei Lukdcs und der Kritischen Theorie 

8. Stuart Hall, Ideologie und Ökonomie - Marxismus ohne Gewähr 

9. Desch, Vom Protest zum Widerstand - aber wie? 



125 


Broschüren-Gruppe 

RAF und Frankfurter 
Schule 

Nachfolgend drucken wir verschiedene 
Texte zur Kritik der Frankfurter Schule 
(Adorno. Horkhcimer. Marcuse, im wei- 
teren Sinne auch: Hsbermas. Fromm u.a.) 
und des ihr vorausgegangenen links- 
'kommunistischen' Frtlhwerkes von Ge- 
org Lukacs ab. Denn wir denken, daß 
die RAF-Thcoric nach dem Scheitern der 
Mai-Offensive von 1972 zunehmend von 
der Kritischen Theorie beeinflußt wurde - 
analytisch von Horkheimer/Adomo. stra- 
tegisch eher von Marcuse’. Auch die 
GRAPO/PCE(r)-Gefangcnen schreiben 
in ihrer in dieser Broschüre dokumentier- 
ten RAF-Kritik von 1986: "Der subjek- 
tive Ansatz der RAF in Bezug auf die 
Klasse und den Klassenkampf wird durch 
den Trugschluß der Entfremdung und 
Verbürgerlichung der europäischen Ar- 
beiterklasse vervollständigt. Der Neo- 
’Marxisf H. Marcuse sagt, daß die Arbei- 
terklasse in der modernen kapitalisti- 
schen Gesellschaft unterwürfig allen In- 
teressen der Bourgeoisie dient, und daß 
sie. weil sie objektiv an der Ausbeutung 
anderer Völker teilaimmt, sich in ihrer 
privilegierten Position sehr wohl fühlt. 
Etwas ähnliches sagt die RAF." 

Im Anschluß an diesen Text gehen wir 
näher auf die philosophischen Grundpo- 
sitionen der Frankfurter Schule ein und 
kritisieren diese ausgehend von einer hi- 
storisch-materialistischen Position. 

Im ersten Teil werden in erster Linie die 
politischen Implikationen der Rezeption 
der Kritischen Theorie durch die Studen- 
tinnenbewegung und die RAF beleuchtet. 
Der zweite Teil thematisiert primär die 
grundsätzlichen philosophischen 

Aspekte. 

Frankfurter Schule und Studentin- 
nenbewegung 

Diese These vom Frankfurter Schule-Er- 
be der RAF mag zunächst diejenigen 
überraschen, die wissen, daß Adorno sein 
während der Studcntlnncn-Revolte be- 
setztes Institut von der Polizei räumen 
ließ, und daß es Habermas war, der in 
Bezug auf diese Revolte das Schlagwort 


1 T-) Om Kn* im HertMrr»<<AdxrD mh äuti 9«l. da 

Kutx Oat krpoMfarrus ab rawfwriiMbi. /tat u 

danuMhn (_ ml*) Fnm irü Ukuh (.) 

EitfiÄ hn*r Oxl galwd. wo 04 IM»' r*t\ f»tm «or Po 

MM battaU M. u<j Planu^n (..) GrnM 

sj MM ml irdann W0fl»n: *o Om ttMfejrgartiM AMcnisTxs 
an iw* lagbnaMn Brmrt* (Siprud Pbrowttl Da/ 
rfWtüxf* Itanbma. Voc*a*atnpg*. VaüU«. Vrnimrn ud 
WiUrgan Om KrttcT* Th*ort» |T«i »t Aäikxa nr (Wann 
(VIXF»*»u1 am MW).VoUS.S«* 1981.0- 134 (Big. 


vom "linken Faschismus" in die Debatte 
warf. 1 2 * 

Tatsächlich ist es aber zum einen so. daß 
kcinE Theoretikerin davor gefeit ist, von 
seinen/ihren Leserinnen - in von jenen 
selbst nicht gewünschter Weise - beim 
Wort genommen und ’die Praxis’ umge- 
setzt zu werden. 

Zum zweiten war es in der BRD so. daß 
die Kritische Theorie der Frankfurter 
Schule tatsächlich (fast) die einzige 
'kritische' Theorie über die hiesigen ge- 
sellschaftlichen Verhältnisse war. Ori- 
ginär marxistische Positionen (oder auch 
nur deren stalinistische Abwandlungen) 
waren in der BRD aufgrund des vorheri- 
gen Faschismus, des KPD-Verbots. der 
Verfolgung KPD-n»her Organisationen 
sowie von 'Ost-Kontakten' fast nicht vor- 
handen (Ausnahmen existierten in Person 
der Professoren Abcndroth. Brückner 
und Hoffmann). So war das einzige be- 
griffliche Instrumentarium, mit dem die 
Studentinnen seit Mitte der 60er Jahre ihr 
radikal-demokratisch-humanistisches 
Unbehagen artikulieren konnten, eben 
das begriffliche Instrumentarium der 
Frankfurter Schule. Durch deren - vor- 
rangig an die hegelianischen und feuer- 
bacherianischen Frühschriften von Marx 
anknüpfende 2 - Theorie lernte die Stu- 
dentinnenbewegung 'den Marxismus' 
kennen. Aber was ist nun eigentlich diese 
Frankfurter Schule? 

Was ist die Frankfurter Schule? 

Die Frankfurter Schule ist in den zwanzi- 
ger Jahren als eine mit dem Marxismus 
sympathisierende Theorieströmung ent- 
standen und hat sich mit dem Institut für 


2S ntft n» dun den wVftqan Aifutz von Uno IhwSor» Du 
FortM SfftMl (1*7071). «: Qm* SHdnin Jy*i « tl. WiOan 
Uanom ACrttalRaaiat HB: lx<ton 1877. *3 • 130 (138. FN 31). 

S (*1 »Hfl 6m Uno ferafi Mi. 7K. IWi « 

*#E»*iiAta,S 11-TO. 

3 'MvMrfUan M m-a rati. OA da Uina:*i rw-ab h Om lagt 
»n wwWn. fgen) ofwM m Om Fiajar Om 'tttoicf** voi UiO 
in3 Om fl«* hi« rrautamioi tu MMihin. *a uh 
rkn mtmTMßan. FMatacft m Imm irO di ftdoan S* mHOm u 
VO* M (MH WM* aptrai ab VW Mn w Mntfttv 

«** vwi (Mitafi an. (_).• (EMn* B*«r. Oha/ Uuonnfta 
ft«Mf*.h:UnJMW</A«ilHcnr»p|Hgl Tfacom Oat HoKfocfian 
Xitut* ßnraOxnm tu Ln h Cmtal Stfirtaro: 
fartJJI mb UM. 1877. 2«3 - 3*3 038. FN 19Q. 

V(» Ukv low AlfcMM. Tft* Om an gm (Fag*n 0t< 

Thac*) (IMG) vrt &. Un«« Kn fW4- k» XU Uar. (190). 
h 8 m. Ua oOpa irt Vaot&xf* (Ht** POSI- 

TONEN hs) w SOöB*). VSA IWKwgWtijHrin. 1977.9- 
44 uni 45 *50: 

Mn. Vorwvt Hat» (1965) ~K 04 Vünc&oam UmfaM' 
f—mtaOa ( 1 MÜ) ird IWWmm uW Mnaittnra ( 116 !). n Md . 
FiV Uan. Sjn»rg. 1«fl. » • 38 rd 43 • SO i*3 IM • I«. 

0*t.\ Dmrana 0* V8A. i»TJ. M - M. 

Pmc4ra. Das äayf Oat Krtk ird <t* Krtt iat (oHecf* 
CtrorM (WanecnM UnuM OBUmKn 28). Um* Vafog 
r^bWh. 1972 

urd KfMaai • *1 po« Khtar Om gownan ToU: log* 
Anhm/r m John lamb (1972), Ire Hont tnm I Jo«Mn 
BIWK4I I VM Jwggl (Hg), Wm kt mcMonirw KMm) 
Kortnern «* Orunfrtg* mnhUKMr Thni* nfecton 
Lob. kf.bjum urd Im*. VSA: WwB**n 1973. J5 - 71 (M 

MIß 


Sozialforschung an der Frankfurter Uni- 
versität institutionalisiert. 

Nach dem Machtantritt des Faschismus 
Hohen ihre Protagonisten in die USA. 
Die Erfahrungen mit Faschismus und 
Stalinismus ließen insbesondere Hork- 
heimer und Adorno ab 1940 mehr und 
mehr die Rolle resignierter Intellektueller 
cinnchmen. Die dritte Quelle ihres zu- 
nehmenden Geschirhtsppcrimicmin; war 
die Erfahrung mit der integrierten, vor- 
nehmlich weißen, männlichen Arbeiter- 
klasse der USA. In ihren Studien über die 
US-Kulturindustrie entwerfen sic ein 
Bild einer alle Lcbcnsberciche manipu- 
lierenden Kultur, die cs der Arbeiterklas- 
se nicht mehr erlaube, systemantagonisti- 
sche Interessen zu entwickeln. Ihre in 
diesen Jahren verfaßten Schriften 
"Dialektik der Aufklärung" (1947) und 
■Negative Dialektik' (1966) fanden bei 
den sich für den Marxismus interessie- 
renden Studentinnen in den 60er Jahren 
großen Anklang. Ähnliche - und eben- 
falls von den Studentinnen rezipierte - 
Analysen legte Marcuse 1964/65 unter 
dem Stichworten der 

"Eindimensionalität" und der 
"repressiven Toleranz" vor. 4 Marcuse 
blieb aber mit seiner Randgruppen-Stra- 
tcgic ein voluntaristischer, gcschichtsop- 
timistischcr Ausweg aus der von ihm be- 
haupteten Totalität der Herrschaft'. 5 
Die Gründe für die Hinwendung gerade 
zu den Theoretikern der Frankfurter 
Schule sind vor allem: 

++ hier wurde eine kritische Denkweise 
vorgestellt, die die politische Praxis der 
rcalsozialistischen Staaten ablchnte. 

++ die Erfahrungen mit der Integration 
der US-Arbcitcrlnncnklasse schienen in 
der 'formierten Gesellschaft' der BRD der 
60er Jahre ihre Bestätigung zu finden 
++ Marcuse reflektierte mit seiner Rand- 
gruppen-Theorie das Verhältnis von Inte- 
gration der Arbeiterinnen und sozialer 
Lage der radikalisicrten Studentlnnen- 
schaft. 

Der 'Marxismus' von Rudi Dutschke 
und Hans-Jürgen Krahl 

Die Frankfurter Schule-Rezeption führte 
- bspw. bei Rudi Dutschke - zu einem 
Marxismus- Verständnis, das sich folgen- 
dermaßen charakterisieren läßt: 6 


4 S nn EHU3 Mjüxb» bpj PthMtd* SZvWväf ur) 
ht»mj»*faTxs. D* ErM H»t*1 Motuu jrf Om nUoW* 
MimrgMi'VJ'g* " Om Kg. OrOcn «KW« 
äxtriacMwvgxg p Om BP© (SMnM* Oat ShatogiMlldUfl 
Mr SoiaSgMtfteft« ir3 Att«4(ib«a*ging f*jg. voi Fm* wi3 
fObmK VWi t Hd 

GM*hchlftiwiM*anÄUirtMBl9ö.b« 15 1.34 -36. 38 - 4S 
5V(»J»W*.»»0.(FN4|.31I 411. 

8 V(t um bpvdio: 04». Catmmr/ Stva ® f&n Ft# AfO B 

Gnara. r SR. ScWhl «K*r Vol 14. Od.-0«C 1868. 
131.142(1331) 



126 


** philosophisch um die Kategorie der 
“Entfremdung" statt wissenschaftlich um 
den Begriff der Ausbeutung zentriert und 
generell von der hege Ischen Philosophie 
beeinflußt 

** politisch deshalb nicht auf den prole- 
tarischen Klassenkampf, sondern auf das 
mittclständische Leiden am vermeintli- 
chen 'Konsunitetror' bezogen 
•• antilcninislisch in dem Sinne, daß ei- 
ne Partei allenfalls mit einer Nachtrab- 
politik gegenüber den sozialen Bewe- 
gungen akzeptiert wird 
•• curo-zentristisch in dem Sinne, daß 
der Stalinismus (ausschließlich) aus der 
‘kulturellen Rückständigkeit' Rußlands 
(wozu anzumerken ist, daß die Aufklä- 
rung nach “Petersburg eher und nachhal- 
tiger kam als nach Potsdam oder Gar- 
tnisch" I * * * * * 7 ) erklärt und der bewaffnete 
Kampf (“Propaganda der Schüsse*) auf 
den Trikont beschränkt wird (s. unten) 
und 

** schließlich von nicht-marxistischen 
ethischen Vorstellung bspw. Emst 
Blochs und der kritischen protestanti- 
schen Theologie (Helmut Gollwitz«) be- 
einflußt. 

Nicht ohne Grund wurden deshalb Lu- 
käcs, Gollwitzer. Marcuse und Bloch als 
die “vier Väter" Dutschkes bezeichnet. 8 
Eine genauere Ausformulierung hat diese 
Konzeption im Organisations-Referat 
von Rudi Dutschke und Hans-Jürgen 
Krahl auf dem SDS-Kongrcß 1967 erfah- 
ren. 9 * * Dieses Referat, das erst 1979 nach 
Dutschkes Tod wiederveröffentlicht 
wurde, verdient aus mehreren Gründen 
größere Aufmerksamkeit: 

-- zum einen schuf cs die theoretische 
Grundlage für die Veränderung der 
Machtverhältnisse innerhalb des Soziali- 
stischen deutschen Studentenbundes 
(SDS) zugunsten des 'undogmatisch'- 
’amiautoritüren' Hügels 
- zum anderen versuchte cs ausdrücklich 
nicht mit marxistischen, sondern mit 
Theoricansätzcn der Frankfurter Schule 
die Möglichkeit/Notwendigkeit der 
“Urbanisierung ruraler (= ländlicher, d. 
verf.l GucrillaUtigkeit" zu begründen 
(wobei aber "Guerilla" fllr die Metropole 
wohl nicht im Sinne von bewaffneten il- 
legalen Organisationen verstanden 
wurde. Denn Dutschke und Krahl un- 
terschieden ausdrücklich zwischen 


I fnuu Okj WM. UWmtsTu'tfi Itetorxs du 

Zu r/HututSOu Sbcbauig du Sahma-Sfr^m n UOZ 

|SOA* Hunmi) 4/I963 (<*). 42 • U (62). 

6 Gnkhui IXUd**C». 0* Vtof b* Je*. CWT tru.Uuteu. 

sec* n 4« «» (Hfl), na dmoh cm r«* i«3. 

10- 17 an X*N*.*«0 FmiW.FNK.t11. 

9 Ru* Dfflcf *• I Kraft OpuittaicirWaf (1987). it 

Ir*» Le« l XkvuH 1 f-nöul (Hj|. CM knxun oO 

(fartful an Uir|. IMS*. 137 - 139 h: OOa 

) 1940). 

10 V» «xfi JuNtr. taO TN fl. 41: UM fcuHW» Uto*wk> 0¥ 

l-l l>*«n u»cu»i. uö Q* Gvtvaraa Ml« 4* 

hlltetlu«Mn vor ff* Sdr«^»»<Ki: 


“Propaganda der Schüsse" prikont] und 
“Propaganda der Tat" (Metropole].) 

So wurde die BRD-Gcscllschoft in An- 
lehnung aa Horkhcimer als "integraler 
Etatismus" bezeichnet, d.h. die umfas- 
sende Verstaatlichung aller Interessen- 
gemeinschaften, z.B. der Gewerkschaf- 
ten, Arbeit’gebcr'-Vcrbändc etc. 

Dos Oigonisationsrcfcrat relativierte die 
marxistische Anarchismuskritik, was die 
RAF später verstärkt fortsetzte. Der aus 
der Frankfurter Schule kommende Sub- 
jektivismus wurde mit Aussagen folgen- 
der Art auf die Spitze getrieben: 

“Die Agitation in der Aktion, die sinnli- 
che Erfahrung der organisierten Einzel- 
kämpfer in der Auseinandersetzung mit 
der staatlichen Exekutivgewalt bilden die 
mobilisierenden Faktoren in der Verbrei- 
terung der radikalen Opposition und er- 
möglichen tendenziell einen Bcwußt- 
seinsprozeS für agierende Minderheiten 
innerhalb der passiven und leidenden 
Massen, denen durch irreguläre Aktionen 
die abstrakte Gewalt des Systems zur 
sinnlichen Gewißheit werden kann.“ * ' 
Was hier als neue Erkenntnis moderner 
kapitalistischer Herrschaft ausgegeben 
wurde, wußten Marx/Engels schon im 
"Kommunistischen Manifest" am 

"kritisch-utopischen Sozialismus und 
Kommunismus“ zu kritisieren: 

"Sie sind Sich zwar bewußt, iu ilucn Plä- 
nen hauptsichlich das Interesse der arbei- 
tenden Klasse als der leidemten Klasse 
zu vertreten. Nur unter diesem Gesichts- 
punkt der Icidensten Klasse existiert das 
Proletariat für sie. Die unentwickelte 
Form des Klassenkampfes wie ihre eige- 
ne Lebenslage bringen es aber mit sich, 
daß sic weit über jenen Klassengegensatz 
erhaben zu sein glauben. Sie wollen die 
Lebenslage aller Gesellschaftsmitglic- 
der," - des Menschen - “auch der bestge- 
stelltcn verbessern. Sic appellieren daher 
fortwährend an die ganze Gesellschaft" - 
an den Menschen - "ohne Unterschied, ja 
vorzugsweise an die herrschende Klasse. 
Man braucht ihr System ja nur zu verste- 
hen, um es als den bestmöglichen Plan 
der bestmöglichen Gesellschaft anzuer- 
kennen." 12 * 

Aber immerhin war das Organisationsre- 
ferat in der Lage, mit dem Legalismus 
der an der DDR und der Sowjetunion ori- 
entierten Teile des SDS zu brechen und 
die Happenings und die militante Demo- 
Praxis der Studcntlnnenbewegung zu 
rechtfertigen - dies allerdings nicht auf 
ein Projekt der Umwälzung der Staats- 
macht, sondern auf die Aussendung von 


11 Oj«M»*r#t>aO.(lN9).139 

12 Kal Min / FmiiJi Eng«e. Umlm du KcmrMxftm R*W> 
»1M4MV WEW 4. 4M • 493 (**). 

13 d«iu ixfht. »«0. |fN fl. 9. 17. 27 I. »i K - 48. d* &u 

•CN Ww « «T Itso-gistfwi so® rüge mx*** 


"aufklärcndcn Gcgensignalcn“ 14 , die 
Manipulation durchbrechen sollen, bezo- 
gen. 1* Dulschkc/Krahl schrieben: 

"Die 'Propaganda der Schüsse' (Che) in 
der Dritten Welt muß durch die 
'Propaganda der Tat' in den Metropolen 
vervollständigt werden, welche eine Ur- 
banisierung ruraler Guerilla-Tätigkeit 
möglich macht. Der städtische Gucrill© 
ist der Organisator Schlechthinniger Irre- 
gularität als Destruktion des Systems re- 
pressiver Institutionen."'^ 

Es ist nicht verwunderlich, daß dieser 
Text - bis zu seiner Wiederveröffentli- 
chung 1979 - so lange in Vergessenheit 

gerici (bzw. verdrängt wurde): Zeigt er 
doch, daß die Genossinnen der RAF 
keine exotischen schicßwütigcn Despera- 
dos waren, wie sie bald - vor allem als 
sich die staatliche Repressionsschraube 
dichte - auch von vielen APO-Aktivi- 
stlnnsn hingestellt wurden. Vielmehr 
knüpften sie durchaus an Überlegungen 
der Studentinnenbewegung insgesamt an 
und entwickelten diese weiter. 

Das Organisationsreferat belegt, wie an- 
dere Reden auch, die bspw. auf dem Vi- 
etnam-Kongreß 1968 gehalten wurden, 
daß wesentliche Elemente der Theorie 
und Praxis der RAF zumindest Ende 60er 
Jahre von vielen vorweggenommen ,' 7 
von Zehntausenden akklamatorisch be- 
grüßt, allerdings nur vun einigen in die 
Praxis umgesetzt wurden. 

Die 'proletarische Wende' von 1969 

Ein weiterer Grund für das Vergessen 
bzw. Verdrängen des Inhalts des Refera- 
tes lag gerade darin, daß die theoreti- 
schen Anleihen bei der Frankfurter Schu- 
le unverkennbar waren während diese 
ihre Attraktivität bei der sich rasch politi- 
sierenden und radikalisierenden Studen- 
tinnen- und außerparlamentarischen Be- 
wegung verlor, was mehrere Gründe 
hatte: 


14 CU*l*»Kr»t *aO. (in «. IM. 
isv(j ouu Qrf.uopiei na - cm* r<M e-wovrg oc an *- 
IWÖ* Ff»Mn UWto** ra Jan 1K6*. 4 Vul ) buMM «X du 
T>*C*« Ml M»n • AJLMnxg PlXMfcMrf -. 

4« CM II» du twwBl M t ft MindMa» PcmiM >tn 

panx***u\ Attoun Wem CDwN 4 m« KoWn rtft 
'nua^rteurf rn lUdNf n Mnh«f*i Sn* Bt w dxfivcn 

du Min «rar oujuKJuittui AiwQrd« *>. Ei (das ie*M\ d. 
Vari) «4M K&flMm «not turtan hpii «n der RarcpWi vn 
r>« Ujros«. uri Otoo» irü 0«. uidr^na* 

UuaO\ fitYuKnkOu - r«y«a.'wi ird 0 u 

Kuhr 0m KcmuTU u«J M rudi du SiuMnar*’) ird utiuu 

R ■* rrWcoJurn Hantgrf («j«ncy . uoa: Ajrhr. 
hMmSrnavoA v*r«en^iuQ9*^fl • (Ü*i dVWi:H«vom 
«0|. 

icnuv*t*«nN.a>o (ornnt 
17 CM InUaJn mMn ‘Ug« FanMbr^nulDnri n <Mn 
hct.lcm 0Uu\. Ot Uu Om VMiMg vonraMn. WArttjer 
tUn. 4« BMfium'ßuW SiKiBn. 

«1 HuuaxUu IMS yurKayvB F®mr IMS WnB^r. Otr 
<jrtt au vemruVufui Votu inä 4« GtxaiamnM 0a 
trpvMtoTul. 1987 (RtomQ »Mn «d». »»0 (TN 

4). 73. 1(6. fN 31. 114. 



127 


-- einmal bot der Maoismus die Mög- 
lichkeit. sich mit dem Marxismus zu be- 
schäftigen, ohne dadurch Sympathie mit 
den osteuropäischen nominalsozialisti- 
schcn Ländern zu haben, die durch die 
Prager Ereignisse 1968 nicht an Ansehen 
gewonnen hatten. 1 8 

- wichtiger noch war. daß sich das Theo- 
rem der Frankfurter Schule von der tota- 
len Integration der Arbcitcrlnncnklnssc in 
das System des 'integralen Etatismus’ als 
falsch hcrzustcllcn schien. Die Ereignisse 
um den Pariser Mai 1968, der proletari- 
sche Widerstand in Italien sowie die Sep- 
tember-Streiks 1969 in Teilen der 
Schwerindustrie der BRD ließen viele 
Aktivistinnen der außerparlamentari- 
schen Bewegung die Bücher von Ador- 
no. Marcusc etc. in die Ecke werfen und 
traditionelle marxistisch-leninistische 
Parteikonzepte studieren. 

- Dabei konnten sie den Kulturpessi- 
mismus der Frankfurter Schule in die len- 
inschc These vom Imperialismus als an- 
gebliche Täulnis'-Phasc des Kapitalismus 
transformieren. 

Die rasche Gründung verschiedener ML- 
Partcicn oder Fraktionen, die sich gegen- 
seitig darin überboten, auf dem Boden 
der Vorstellungen der 20er Jahre zu ste- 
hen. ließ erkennen, daß viele die rein be- 
trachtende Perspektive von Adorno. 
Horkheimer etc. als hinderlich für ihren 
Aktivismus zu begreifen begannen. 

Wir können insofern Lutz Täufer zu- 
stimmen, wenn er schreibt: "Aber cs liegt 
in der Logik der 68er-Bewegung. Die 
marxistisch-leninistischen Studentenpar- 
teien sind ihr legitimes Kind. Insgesamt 


tiadogt irU*. »« u amno-rnn Unu au> 
dum "II* n orn 0«-«v»l 0>Q— I ™ H» V«- 

i«*ju>g au SttJmmi Mw gthm ton« b r* » 
Pst* Oros \er, One VKt«i»rq nmnMsl ny« 
Dm l» temjbfi* Ki Krtfc ua Mm da tamrimdwi 
So lag «i zimröm» ruM. M0 sa m tot nOmwd* 
KPflSU raOi Säht Tod bn WC« «timn» TM«. 0. , 
ItWJOxn an» SKManuC, da SDVaMtU 

inadO >a Kouttwnr nt dem rterulvrin 0* EfM&ng da 
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19* n d* tUkdcPm Vtrimuig ut) «xi OmMfafo. 
ur* mt »o*n rorertatm RitKfc* xt dt toftmat r*ol/tcn*sl> 
KtiKB riSrtx* SuTo re wtmfci rU dm UrtimoUrnfca Prna 
SUirs rnttgOwd n i ütowMn CM AMKWIwn da 3i«j«<irn-*v 
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jrenn an au* Mfcji • rfcM gvOtUrk* po*v atf M p- 
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KP» - kMi Antrt tn Krtk m OmcHHOow aO 
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0»’*T>rUlai da SAngrufrvo Md« S«Mn r CW 

ftMm* ita 04 G**4*m* M Ixennoaitn Kc-rmmteOwi 
ßnnpnp. Ctatwj^aOg [Vrt«tB**V e k/ayc r-ncMn 1970 
ird 1973 Füf dai VwijJi so« ^mtnSr^K-tdOrt^; da itocb» 
so» RmHoWxsXftt • atotir-jt oha Out optto w 

- o J ikn CtiAnoxwi. Clw.ie Dolbar. Üt»r dm OttmU/ du 

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1 m. S auu BvOi: OTfur* u<k Hmrtvrut inj " 

da tarmmatfm) GutMut. n 6*d*p Md 
fenlfama (VS A. W*««1rvHir*.xa). Vtf 8. Mt. 3. S«*.C« 197«. 
I« ■ 197: Mn. HrtayinM 0a <n*io<t*c Kv*»<mMro\. rt 
S<Mp Md **i*\vwrf*d SdMbrta. VW II. K'i M7>. IM • 
I» 


blieb uns ja gar nicht anderes, als an der 
Vergangenheit anzuknüpfen, die, ohne 
Durcharbeitung, liegengeblieben war. 
Und wie anders sollte die Ablösung von 
dieser Folie erfolgen als Zug um Zug?! 
Nachdem die Generation vor uns den Fa- 
schismus nicht erledigt hatte, wie sollten 
wir Uber den traditionellen Antifaschis- 
mus hinauskommen, die Fehlentwicklun- 
gen der organisierten Arbeiterbewegung. 

dem Gegenspieler dss Faschismus, korri- 
gieren? (...) In ihrem Wesen war” die 
68er-Bewegung "Abwehrschlacht gegen 
tatsächliche und insofern vermeintliche 
Faschisierung (...) und insofern Wieder- 
holung oder Verlängerung der antifaschi- 
stischen Politik der Weimarer Arbeiter- 
parteien." 19 

So wurden die mit der Infragestellung 
der Frankfurter Schule aufgeworfenen 
Probleme aber nicht gelöst. Vielmehr 
wurde der Subjektivismus der Frankfur- 
ter Schule einfach umgekehrt und durch 

einen Objektivismus, der gleichermaßen 
die post-stalinistische ('revisionistische') 
DKP wie auch die 'maoistisch'-stalinisti- 
schen ('anti-revisionistischen') ML-Grup- 
pen prägte, ersetzt. 

Dieser weitgehend auf Proletkult und ei- 
nem stalinistischen Verständnis von Par- 
teidisziplin reduzierte 'Parteiaulbau' ei- 
nerseits und die Reformpolitik der An- 
fangsjahrc der sozialliberalen Koalition 
blockierten eine revolutionäre Weiter- 
entwicklung der Revolte von 68. 

Bei den einen führte also der Weg vom 
kritisch-theoretischen Bewußtsein der 
Studentinnenbewegung zurück in die 
20er Jahre. Die anderen “gehen in die Il- 
legalität". 21 Sie radikalisicrtcn den 
Randgruppen-Ansatz von Marcuse sowie 
Dutschkc/Krahl: Sic entdecken die 

"Propaganda der Schüsse" auch für die 
Metropole und wollen damit den integra- 
len Etatismus und das angepaßte Be- 
wußtsein der "passiven und leidenden 
Massen" durch-/aufbrechen. 22 S. dazu 
die Erklärung zur Befreiung von Andreas 
Baader (1970) und die RAF- Erklärungen 
seil November 1972 Dazwischen lag ei- 
ne kurze Phase, in der sich die RAF be- 
mühte, eine marxistische Konzeption des 
bewaffneten Kampfes in der imperialisti- 
schen Metropole zu entwickeln (s. Kon- 
zept Stadtguerilla [April 1971 1 und 


1» UU TW*. GfMnMo sejen da n Pua (Hj J 
t>*UM - rwaOwi dm MBn. V«bg IbaOtn Am Mfc* 
1992 . 59 -121 ( 47 ) 

20 V* Bey. *» 0 . (fN St. 137 . IC fN 9 

21 T«/*.a*0 (FM 191. «8. 

22 Vj» M Swmrg Mt drfinpn da nön «WW. 

Wt*tW 5 a’»*n’ pi grxOm. roci trän lUr TbJk TM Fern» 
IX" tr*»lcm9l.tPm«.Kaiuii^*WwEr*«rUtfn< ) 
UmluMntfiii'aacral«iU«-a3HO>o<H<fM<1 CM 

XtM*( >ioi»c«1«n| Sjl*ft»>«n 

ird SUMrtm ( ) Ut tltry/CWt ZsfMo m my*VMMn 
UuiBW»flt*s *n}«9*t^ooTm«n *vM ‘ (tat*. uO [*N 
I«.e9i| 


Stadtguerilla und Klassenkampf [April 
1972]). 

Rote Armee Fraktion: 

Der Versuch einer revolutionären In- 
itiative 

In die oben skizzierte Zeit der hektischen 
ArbdtFRtiimclci und der Pnrteigründun- 
gen fiel also die Gründung der RAF. Ihre 
Auseinandersetzung führte sie deshalb 
zunächst kaum mehr mit der obsolet ge- 
wordenen Frankfurter Schule, sondern 
vor allem mit dem Marxismus-Leninis- 
mus und den verschcdenen Parteien, die 
jeweils allein die korrekte Interpretation 
davon beanspruchten. Deshalb es nicht 
verwunderlich, daß sich zwar gestritten 
wurde, ob die RAF marxistisch-leninisti- 
sch oder anarchistisch sei. Auf Verbin- 
dungen zur Theorie der Frankfurter 
Schule aber nicht geachtet wurde; bzw. 
wurden diese Verbindungen allein von 
reaktionären CDU/CSU-Politikerlnnen in 
ihrem Kampf selbst gegen die Position 
der radikalliberalen kritischen Kritik der 
gesellschaftlichen Verhältnisse in der 
BRD thematisiert. 

Die RAF versuchte mit der in ihren er- 
sten theoretischen Schriften skizzierten 
Konzeption die vorstehend angespro- 
chcnc Blockierung des revolutionären 
Prozesses durch die Fortsetzung des stu- 
dentinnenbewegten Subjektivismus 
durch die Spnntis einerseits und «len Ob- 
jektivismus der diversen 

'kommunistischen Parteien' andererseits 
aufzubrcchcn: 

I. Die Gründung und Existenz von Gue- 
rillagruppen. nicht nur in der BRD, war 
ein praktischer Btuch mit der Versozial- 
demokratisterung der Kommunistischen 
Parteien, ihrem Revisionismus und Lcga- 
lismus. Anders als die ML-noslalgikerln- 
nen, die in den "0er Jahren massiv 
auftraten, war die Metropolcngucrilla ein 
praktischer Bruch mit dem Revisionis- 
mus, auch dem stalinistischen. 

Das mag erst einmal überraschen, weil 
zumindest in ihren theoretischen Beiträ- 
gen wenig Auseinandersetzung mit dem 
Phänomen des Stalinismus erfolgt ist. 
Während aber die legalistische. revisioni- 
stische Praxis und Theorie der KPs kein 
Bruch, sondern eine logische Fortsetzung 
stalinistischer Politik ("Sozialismus in ei- 
nem Land". Volksfront-Kurs seit 1936 
etc.) war. entstand die Metropolcngucril- 
la weltweit aus einer linken, nichtstaiini- 
stischen Linie. Die Gucrillagruppcn im 
Trikont. auf die sich auch die RAF be- 
rief. wie die Tupamaros in Uruguay, die 
Gucrillagruppe um Che Gucvara oder 
ähnliche Gruppen :n anderen Staaten, 
gründeten sich in Abgrenzung und oft im 
Kampf mit dem Volksfront-Kurs der 
KPs. Dies veranlaßte Fidel Castro seiner- 



128 


scits zu der Aussage, daß dann, wenn 
Kommunisten versagen, andere die Re- 
volution weitertreiben müssen. 23 So sah 
sich die RAF auch von Anbeginn in einer 
Linie mit international kämpfenden revo- 
lutionären Gruppen von Lateinamerika 
bis Palästina. Die Aktivitäten dieser Ge- 
nossinnen lösten weltweit einen revolu- 
tionären Schub aus. 

2. In diesem Kontext lehnte es die RAF 
im 'Unterschied zu den •proletarischen 
Organisationen’ der Neuen Linken" ab. 
"ihre Vorgeschichte als Geschichte der 
Studcntcnbcwcgung’ zu leugnen. 24 
Gleichzeitig versuchte die RAF - wenn 
auch sehr vorsichtig - die Defizite der 
Studentinnenbewegung zu benennen: 
'Gewiß war das Pathos übertrieben, mit 
dem sich die Student/nnen, die sich ihrer 
psychischen Verelendung (?!) bewußt 
geworden waren, mit den ausgebeuteten 
Völkern Lateinamerikas. Afrikas und 
Asiens identifizierten; stellte der Ver- 
gleich zwischen der Massenauflage der 
Bild’-Zeitung hier und dem Massenbom- 
bardement auf Vietnam eine grobe Ver- 
einfachung dar; (...); war der Glaube, 
selbst das revolutionäre Subjekt zu sein - 
soweit er unter Berufung auf Marcusc 
verbreitet war gegenüber der tatsächli- 
chen Gestalt der bürgerlichen Gesell- 
schaft und den sie begründenden Produk- 
tionsverhältnissen ignorant-'' 2 ^ 

Die "proletarischen Organisationen" so- 
wie die linken Intellektuellen kritisierte 
die RAF aber nicht (nur) - wie es richtig 
gewesen wäre - wegen deren falscher 
theoretischen und politischen Praxis, 
sondern sic setzte deren (falscher) Theo- 
rie einen praktizislisthcn Standpunkt 
('die Praxis’) entgegen. Die RAF schrieb: 
''Praxislos ist die Lektüre des 'Kapitals' 
nichts als bürgerliches Studium." 26 Sie 
setzte der notwendigen theoretischen Ar- 
beit die These entgegen, daß es "ohne 
die praktische, revolutionäre Intervention 
der Avantgarde" keine Vereinheitlichung 
der Arbeiterlnnenklasse geben könne 27 
(was an sich richtig, aber in dieser Entge- 
gensetzung falsch ist). Die "praktische 
revolutionäre Initiative" reduzierte die 
RAF dabei wiederum auf den bewaffne- 
ten Kampf: "Die Rote Armee Fraktion 
redet vom Primat der Praxis. Ob es 
richtig ist. den bewaffneten Widerstand 
jetzt zu organisieren, hängt davon ab. ob 


a V$» U d mm KatrmnUntUxtg Kpw JCk«. aaO. («N 4 ). 53 . 
55.57.73 9?mwN 

2t na« Am*« Frauen. Du Ketvta &*»***• (1W«|. * 
AcdsMoi Ajjsgr-i-*, 0*u-*rt« «* ZttptxUHt &■» 
Ositp-A« ÜROtfitrO {BRO ) ■ ZU Ar*« FraUoi (W). GW 
VVUj KOI. 1938*. 5 • 13 »; • -*Oche Fom«i h* 

iȟ mtoipnjan *n dtn Vfd. cnjefi# 

K BAF.aaO. (FN 2«X 8 • Arm d 7«rt 
»RAF.aaO <FN2«i* 

27 RAF. ja 0 :‘N?4)9t 


/ 

es möglich; ob cs möglich ist, ist nur 
praktisch zu ermitteln." 28 
Sicherlich - es gab such andere Bestim- 
mungen in den frühen RAF-Tcxtcn (auf 
diesen Unterschied zu den späteren RAF- 
Schriftcn haben Ali/Bemhard/Michi in 
ihrem in dieser Broschüre dokumentier- 
ten Messcrriickcn-Tcxt zu Recht hinge- 
wiesen). Bspw.: "Wir sagen nicht, daß 
die Organisierung illegal bewaffneter 
Widcrstandsgmppen legale proletarische 
Organisationen ersetzen könnte und Ein- 
zelaktioncn Klassenkämpfe und nicht, 
daß der bewaffnete Kampf die politische 
Arbeit im Betrieb urxl im Stadtteil erset- 
zen könnte.” 29 Diese Bestimmung ließ 
sich aber aufgrund der Repression und 
des weiteren Abflauens der Bewegungs- 
reste von 1968/69 nicht durchhaltcn. 
Und mit ihrer anti-theoretischen Posi- 
tion hatte sich die RAF die Möglichkeit 
verbaut, diese F.rfahrungen zu verar- 
beiten und sie produktiv nach vorne zu 
wenden. 

Die subjektivistische Wende der RAF 

nach dem Scheitern ihrer Mai-Offen- 
sive 

Die Folgen sind bekamt: Mit dem Schei- 
tern der Mai-Offensive, den Festnahmen 
von Andreas Baader, Holgcr Mcins. Jan 
Raspe am 1 .6.72 und kurz darauf - neben 
anderen - Gudrun Ensslin und Ulrike 
Meinhof. war die - von Mao beeinflußte - 
marxistisch-leninistische Phase der RAF 
weitgehend zu Ende. Die spätere RAF- 
Politik war kaum noch vom Ziel ihrer 
Anfangsjahre - Revolution auch hier 
sondern - neben der Solidarität mit dem 
trikontincntalcn Befreiungskampf - vom 
Kampf gegen die staatliche Repression 
(insbesondere gegen die Gefangenen) 
und später auch von den Kämpfen der 
sozialen Bewegungen (Anti-AKW. Anti- 
NATO). die ihre 'revolutionäre Identität' 
aber hiiuflg auch weniger aus ihren Inhal 
ten als vielmehr aus ihrer militanten Pra- 
xis zogen, bestimmt. 

Ali/Michi/Bemhard zitieren zu dieser 
(gegenüber dem Kcnzcpt Stadtgucrilla) 
neuen Bestimmung Karl-Heinz Dellwo 
aus dem KONKRET-Interview der Cel- 
ler-Gefnngenen: "Wir wollten für die 
Linke einen Raum schaffen, die Illega- 
lität. in dem du erst mal Subjekt sein 
kannst - politisches Subjekt, das zum 
Angriff kommt." 

Die Politik jener Jahre nach dem Schei- 
tern der Mai-Offcnsivc der RAF (und mit 
der langsam einsetzenden Ernüchterung 
über den stalinistischen 'Parteiaufbau') 
bedeutete eine Wiederaufnahme des Mo- 
tivs der 68er Revolte: 


TS RAF. a» 0. (FN 24). 9 • 3 Verf. 

29 RAF. ja 0 (FNT4X6 


"In Westdeutschland rekonstituierten 
zwei Faktoren die alle Opposition (...). 
Einer war die Bcrufsvcrbotc/Anti-Tcrro- 
rismus-Polilik, welche das antiautoritärc 
Motiv als mobilisierendem Medium einer 
breiten, vereinten Kraft aktualisierte. Der 
andere war der Anti-Atom-Protcst. wel- 
cher die BI-Bcwcgurg radikalisierte und 
ausweitete (...) bis der 1972 gegründete 
Bundesverband der Bürgerinitiativen 
Umweltschutz (BBU) über 300000 Mit- 
glieder hatte. 1977 brachte die Kombina- 
tion beider Themen" [Brokdorf/Kalkar, 
Stammheim und der militärische Sieg des 
Staates in beiden Fällen] "die außerpar- 
lamentarische Bewegung in ein wichti- 
ges, neues Stadium, das 1980 zur For- 
mierung der GRÜNEN als bundesweiter 
Partei führte. (...). In einem überzeugen- 
den Sinn repräsentiert grüne Politik die 
Wiederaufnahme des Anti-Autoritatis- 
mus der APO mit seiner charakteristi- 
schen Betonung der Themen der Herr- 
schaft und der Entfremdung und der Ba- 
sis von Befreiung/Emanzipation und der 
Hervorhebung der gleichen Wichügkeit 
der gegenkulturellen Erkundung eines al- 
ternativen Weges des Lebens. Die Beto- 
nung der direkten Demokratie (...) und 
die einer zentralistischen und bürokrati- 
schen Partei entgegengesetzte Idee der 
sozialen Bewegung. In diesem Sinne war 
die APO die eiste 'neue soziale Bewe- 
gung'. (...) der Spruch ( talk ) vom 'Ende 
Arbeiterklasse' (...)" 3 ° kam auf. 

In ihrer rcchtsopportunistischen Variante 
führte die Wiederaufnahme des Motivs 
von 68 also zur Gründung der GRÜ- 
NEN; 31 in ihrer linksopportunistischen 
Variante bildete diese Renaissance den 
Hintergrund des schon früher als die 
GRÜNEN-Gründung einsetzenden mili- 
taristischen Subjektivismus der RAF. 32 
der allerdings theoretisch erst mit dem 


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Hixgnsia* 1561 maxolacne (ragmnti urfl BagritllfcfUaMn 
Om SUxtnHrfngirq CM S*axn d« attingm« ip«9«*» 
«UT(*rodi tMOm, itom ut\ UkMm: «oflita BoMWo 
«tavjtn «4M OOamfctiSjai Pot&M- urü (fcanrKftur^ 
IrtWfl vCrt ÄW)lh|f N 

I«eftn«*S9M wsuiiKin SUMwewrai* 

Orra, AJtHjvuUk i nS **xtvf*r**t " Pmtet&m Wktmw- 
nM 5\Oo-(l»>orj*lrg iTimMirt Mari). T« - 27(26 J 



129 


Front-Papier von 1982 zum vollen 
Durcnbruch kam 33 : 

1967 sagten Rudi Dutschke und Hans- 
Jürgen Krahl in ihrem schon erwähnten 
Organisationsreferat: 

'Durch die globale Eindimcnsionalisic- 
ning aller ökonomischen und sozialen 
Differenzen ist die damals berechtigte 
und marxistisch ricltigc AnarchismusAri- 
lik, cic des voluntaristischen Subjekti- 
vismus. daß Bakunin sich hier auf den 
revolutionären Willen allein verlasse und 
die ökonomische Notwendigkeit außer 
acht lasse, heute überholt Z' 3 ** 

Die RAF griff diese und die schon oben 
angesprochenen Üterlcgungcn aus dem 
Organisationsreferat zu 'integralem Etati* 
smus'/Manipulation sowie von Marcuse 
die Kategorie des "ganzen Menschen" 35 
in ihrer Stellungnahme zur "Aktion des 
Schwarzen September" während der 
Olympischen Spiele 1972 in München, in 
der sie erstmals ihre neue "Strategie des 
antiimperialistischen Kampfes” begrün- 
dete. und 10 Jahre später im Front-Kon- 
zept lolgendermaßcn auf: 

•w Oh cWtfvmo Mt WJutJtnajM rat oh 2tSxrJ*n»j Oh 
Mdöxi Mi SfCtoa Cf* Om -ft**« tHrtn S»5*ii\>3 BigMfMan 
• ml Mf ScfWTuig «n i*>3 Q*wr™nttpö«« ha 

du S|P-m den SegM&o M Ptt». EbWVüs«. AHnuM* 
Promt* . Spcntmrtd. tan: Om gmrn\ Utoteftm B'gH'iWn 1 Du 
s»aim n 0 u n Om Mwcp*n gtuMfll Oe Mauai » M «Mn 
ö*a oj MMn. MS ta MS GtfM Ur tot Up ak Ausgo6M«< xd 
UMittCcta. ab CCjM* Mt mnHUOm Sp ln -Kgüwfil 
-Htxm ju neun ictu«n. » Mt m för» AUo. an paar Pümr T» 
Ut*-sv( vttrxiQ ind Mo )»Mi VtrtfoJxn dsi Sy ■ 

eure MM« f KbJ Mftwn. M to* h*s sxWw ak •* Wo. am 
FaMraaka. ak gü*7«lK 8a! öun rex" voai(**i uU mrvtm 
Unox C sun ktyXa.ätäOm rmtaOoHn Süf#« HOrR Mt 
Motto*" Ks <tet*i l<tict/m *ial urd «ra Ttfufm. bi Mn 
Vubntfx n Ms Systors toatijd. COS pMR On.Ot m BoVitrgi- 
an# OH Wfcaf OH Crt» Wtf « Uarttk IWMtfl 

0*<l« ttn v^nrüprt. |adar, Motfa ntfo ntfv r*r*M rtrakflml 
>H S«*)M i Mt ■ OatuHi* 

TtoraH VwiMsrw.Yor.of 1 bq nc« inato tu g# 0 c»xf*n ■ rxM h 
Mr Fo«. <M U*r». Eng«. Irtc Rot» UaMuig au Mf Sot» 
(J^e^)(»ut(>r*UMraMn-ej»K«f*M«iM»F»TOiMBfcr.- 
9» Büx n. U*t. Kgpoft» tm KT-ÜM xü vaila-Mn MC*n • uv 
n(«ltorin* trreftn Shnfcn. (..) 06 M» M> 

afai AmctaUran an Vo «ft. ■* o* Mt ant Oroi (to Enfatji] 
des tic«iabnus o*aläo HoroJud Ms K*«ator«.i 06« Mn 
VantcM'i • (..) • man*»jn«att sat uMnucroi • at lavi tan. -36 
•0« EfntyM dH »mar« HxnOg» « toftMlm Pmwai **M st- 
« Mstta\ Am a VHf ) varwoana Ucman Mf Vaiititrsi) Oh 
BadrvjunBitCrOoiKjntfhBrtJ Es 9«q MCoi JWs trq dm. 
(i <tou< [cOOtMi Wiö*. p Oh itot im Stfnv Wra. Vawtanj. 


33 2d Bav«gxi?tcflai«aan] Mi riort-KanracU *.: ftoa Mnsa Pial- 
taiGuacU tVOsuwü aW «ttwofanKf* (tse 2 ). n üs- 
d*»i a.tO ffN 24). «16 - 122 (IH I. 120 1) ’Mtfl 9 « •• (Ml 
•« «aoaa-t ab (Vifi « G#9*U«i jö $<•»! 

«rfwn Uh M ift.i iM fu» ak tfvjtMTra UVankrvj «iito ad 
I« SM. Karpt naiMn a tarn (.) Du haÄ (.) h aMm <* 


Htm WM&scfai Kernt# tu ao jedes, oh aut 0*n Er« 
M> «gavn Lagt, au san« GanAtfita inJ taium 
PraJfO a" (..) n dan lorKKai Karp. n Mi Zuurnro-naij Ott 
PcU du Guarfi) trat. Untntf du guatechiMtriai Vufvtoiasa 
H. Wem LaMi nJ< r amr .huui CbaiTangaU««. Steg oöf 
aä Üjsmor* Ott SSaVt v^aSi* O. nröun du wIkCOu 
P raaB det Wduttudt. ird du UirgaOatjij rjr 

dHmq' CHuvxn a vm.). 

M OuwNBXrm. aa.0. (TN W 119- HuwA d. Vad 
JS %.) ugen. d(fi tau d« grn Manwr nn;<M ird ttrai Wai 
am Latar. amaOW, (_).* (Hubtl Mututr Ojs PwCMn otr Cent 
r> Ott Cftotox. in dar». Ob tnM Otr Itte* VMjo in3 
aauuo-01 <1 west»» 1*7. ftw*Ju- m ilah. 1 SW. u . sa (S 7 ) 
a n. JxttH. * a O (PN 4). 65 102 fs f. 1 17V 
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dun 7af SB«g>s Ml BfärpaftibW.-nai n R*»xn. 
»•0. (FN 241.31 -«004.37). 


lüje wd B«v} at. dH G«1 mt Usstl. da Pnut (to tc»««'* 
Oununng det -^r-demdöien 6ucW ird dei 2e<tiüv<j dat Sy- 
Mis haiarautrtigan [.-! « 0 * Si-Wffa. 4a K-a »Vxirf Sa* Mi 

hi tx^ort iclco fdii th#o cn0»‘to Lft^ h (Jh 

du lotttm das »rperUttMcftw Zanruns. (. ) Ctow Pcük (du 
RAT . a Vad.) ) -M» n<M ncdi er« Mw- »6 »tttenJBi deoH- 
jsfoi UMela (u-| »At.J* Sa « vMtwk sei "Sijiäl de* Wcpd 
I I. da WtoMrMmaAWv du «Mn »nanston Me UanacAan 

Nachdem nun (1992) auch die RAF die 
Grenzen dieses Subjektivismus erkannt 
hat, deutet vieles darauf hin. daß sie jetzt 
(wenn auch vorerst nicht organisatorisch, 
sondern nur politisch) in den Hafen des 
anderen (rechtsopportunistischen, grü- 
nen) Subjektivismus cinläuft. Die sog. 
"Propaganda der Schüsse" wird wieder- 
um - wie bei Rudi Dutschke und Hans- 
Jürgen Krahl - auf den Trikont be- 
schränkt. ln ihrer WWG-Erklärung hat 
die RAF im vergangenen Jahr erklärt, 
daß hier keinerlei "bewaffnete aktionen” 
den "jetzt notwendige(n) prozess (...) 
voranbringen" könnten (interim. Nr. 201, 
09.07.1992. 16 f.) (inzwischen scheinen 
sie cs wieder etwas anders zu sehen), 
während sie den "bewaffneten befrei- 

ungskampf in anderen lündcm" nicht in 

Frage stellen wollen (S. 15). 

Frankfurter Schule-Elemente in der 
RAF-Theorie 

Abschließend wollen wir (noch einmal) 
auf die wichtigsten theoretischen Paralle 
len zwischen der Kritischen und der 
RAF-Theorie hinwetsen: 

- Ausgangspunkt der Kritik an den herr- 
schenden Verhältnissen ist nicht die Aus- 
beutung, sondern die Entfremdung; nicht 
das Sein, sondern das Bewußtsein. 


W« »H U>»M in) AüT*T«J>; Ott V*to<l KtlUl 0*1 

HgtrttchH) f Hrt tut 0m kijm VHt rktl mH Mn QrxOrt*- 
tpAOi Omtt GtMftKMfl iflH rugyttactwi WMnp W r-v 
«Mo Ktpul in) AMT. i*-hh u«? g«w<*M(l- 

lOi« Pn>4*»i) all U(to(t)« fd« jMt0schi» l h«n WOHKtOtfit lt- 
roOra taxMm Mn n FcAgen UB. VaorOttkm Kommen *ai 
Totoi 0h Art) «OUan 2«aö-jij Ott Um«! airnl 0« kowrt 

fcdi otnJ. Oa Art»Mrt»w« aa rmpjtortan Um arajuMn 
W«f M TUueM BugMt (Ufl Ot *ttfHJf*t (Otn* BUU Bl VtoOJCr 
<nn*tt\\ MO ( to OtfPt/m uO. «* b» «xk Nh 

Mn«ft Bl Ot AMtfaKifl Oh AuMMng Ms UmMwi 9#* 0t 

ItoiKToi t'tJHm rrCli"-. 0i «• 0* Enipfo w>5. (to 

m«MMo.Mo»fc46W»ifcSTBi. Mr MM Mehrte* MO Ot 
HVütOStwt Ot »kHijM Knfl t« M( ZHVftttjn} Ott m««h«rv 
wntMmMi. wt* Hl AuitoUuij Mc/wMo OOxnj Br ErrtSi- 
W)a>S (Cw Mi V(rtalBi y» 7^*1 Triti <» AtoMitUaa Uru.- 
IhoMVtM 06 « Qu Taipo cd IVgKUd tbtt Ot VUU wi 901(6 
s4cto»4nMrdai Kinrai m3 zw wakOtcb. O^lai «6« r»t« 

W« für AuiMfti^sn'öHBiicfl. trMrt «OU Bi Mn bMlMnMn 
VtOliWsun. Btorfeb «Tun H nt OHM WdBKüttP« 


WB stör UfTB^s ird WrtoXfj •kib.-kN. 0h .otofl !ö«l (to M 
OHtSthm Fsrt. sul Mn Ajjm W(M«öx (W |rW«| Om 
Gn»d->5BS<iöi Ml fMi «fOgr-SOTiai «l»sndi 

rMvrai Mcä ird Artxl m te ton pvHat Avxgxnj uij gtu» 
RTrfto« Prototon) ab UiskM Hamlo goMlxtoMcMf Ef 
otorr« lodern Mm fc^Bi (rß XammjaHtn. *»• 
M»on «1 IHOI 0« ajmmtwo-uaim. Z«osnng M( IA1-WS 
ovm) (\rd (to oiMnn aUgxäscMn WMflp-XM gWfi vOSfl 
OxMd). M«Vto «Ofm« soff) MraA. <to Art4i«w«4asM M rw* 
cutorton Vjim o-JuuMn m5 l«m«McM Jd BK<a»s)ccr« 
«UfW • mt*MH M K*W • n« tut KsntM tu Mftrxn. 
TaakMcn a6« ird <to PoMU»«Vn#i |c(r* Bsur m MM- 
M— M*i). slw Ot Lofnitf*Wn. Ot Enogoa tto (to U&jrJtat 


J7«V.a»0(lNm(117.12l| 


W". (to H«wa" Ml KjptUl U Kimn ird (to Ilo-Irta* 16« 
0* P-cdÄai«n0e( ru cm. (to0 dWi mm re» H«i- 

«Mf! i«w (to AtMBtownitaiM goWuMn »rt ato UUtohkh 
«« W s i M WmmW »foWiBim wm «0 Rom voi .«« Uuw 
»IBi G.waWu(1 ncfl M« lf«B (^rais Nrtwi w» (üm Ottl aio 

«Mt B*J«II »g. s8 Ml • ctotfao bMdwleMn - Ka» im (to 

Uh*ä\ÄT 5 öff r? * Rccfxo {CAj^^is&schcn) Pruts dw 
iWhWMim n tet «Vi--Jl (nkBcn • dh moUoüfB • Prim ad- 
w<f«T»n Ei« Aiig«.. Ot nJi fruJJOi Mi b«J«*i LMtrait- 
hnqWt lM niBS • ml Mn rOMtntyn Afdo-^gan • magfoS-o-d 
Kd ErMiBdung it>« au VertaS«) ven grUUn Taten fl« Art«» 
«nnitüuc. UigMiU traMcn Ott T«rpM vnj UlMMMWM 
rnl Mn MiaMn Mr iUrt*nj«>Mi KStpl«) trO twai Ox- 

len Kot nci txn VKUttw 0 h »g*rtkMn Un«M. Mi «a»«i- 
(>-)/„! Mt K^-io««vkn Xe». l>nn Ommo oe iu 

CMfanMn (kitfi M AJnBm« Ml ^oBUfOd»! co- 

K«Mn. t)~>t(«7« ) KLcw-fccr«/« - W«Vt«M 

nx Auiwrtuigto M*i-cfl. in»l MJ« 1 ai Mn toneOKden Wh- 
ntoiai«\ itoidli vfrft «'» nu ihm 
-- die gesellschaftliche Wirklichkeit wird 
(im Rahmen der hegelianischen Marx-In- 
terpretation von Lukäcs und der Frank- 
furter Schule) nicht als (komplex geglie- 
dertes) Ganzes, sondern als Totalität be- 
griffen; statt von einer Einheit der Wi- 
dersprüche geht diese Vorstellung von 
der Identität der Widersprüche aus; die 
Widersprüche sind (Eher nicht entschei- 
dend, sondern bloß 'Ausdruck' eines ein- 
fachen Prinzips. 38 

-- bei Hegel ist dies der Wcltgeist, bei 
Lukäcs und der RAF das Warenverhält- 
nis; mit diesem einfachen Schema wird 
alles und daher nichts erklärt; eine 
"konkrete Analyse der konkreten Situati- 
on“ 39 wird nicht geleistet: im Rahmen 
dieses Konzeptes kann schon die marxi- 
stische l'hese von der relativen Autono- 
mie der Überbauten nicht gedacht wer- 
den; die Überlagerung des Kapiialvcr- 
hältnisses durch Rassismus und Patriar- 
chat erst recht nicht. 

- da so die tatsächlichen Widersprüche 
(Bruchlinicn) - als Ansatzpunkte ftir ef- 
fektiven Widerstand! - nicht analysiert 
werden können, bleibt als einziger Aus- 
weg der subjektivistischc Sprung. 

-- ebenfalls im Anschluß an Hegel wer- 
den (philosophisch;) Vernunft und 
(wissenschaftlicher) Verstand entgegen- 
gesetzt und crstcrer letzterem vorgezo- 
gen; die Wissenschaft wird - aufgrund 
ihrer Funktion, die Realität (und - was 
geflissentlich übersehen wird: ihre Ver- 
ändetungstendenzen!) zu erkennen - als 
unkritisch, demgegenüber die Philoso- 
phie - da sie nicht von den Tatsachen, 
sondern von den Ideen ausgeht - als kri- 
tisch dargesteUt. "Die alte spiritualisti- 
schc Verachtung fllr das Endliche und 
die irdische Welt Wiedererstehen als Phi- 


38 S. Omi U«n Glefam*#. g^on GMtoova 

Potttrtn |1K9). n atxrjfv» 2*icMl Kt U«*.f irO OHuum 

Wna*9r& VO 71: u Uo*i Gottnvm IMfoM 

.n»ftövw<-«9MM*.»<>m 970.X 87(7(1 

loul AJhuSMf. Wöbs*«" «W iew»l*mn*i«v Vmo*uig*n 
l> Mto UW«*x»g |1W21 xö rtx. "uiiruUisQx ftit. O* Von 
Mf Ufgt*cf(#l Mi UiW>gB |1953). n: Mn. Kt Um. S(7-a-p 
VBl*;PrvMu1BnMj«.1Xi.S2 99;a)xö 103- 1S7 1137-167) 
SsJ *Jf«. ».toxi iro Pe«c loa APunif. irt(Mi V«ag Fr»-# 
I jl am Van ! (Wptfxtlr / Vtoi 1576.1*9.163 

39 W l Uro. Xonrnnarva* (1K0). n Ml . WM& SarO 31. »M 
(15*. 1 a 153) *i Mül* AuHnuvMiMOunj rx tw tttP «n 
litaci MMVuSm ZdiOiffi 



130 


i 



«3V0 (UMPccjW.Uil.no IFNII ) .ml 


losophie der Revolution, besser der 
Revolte'. Es werden nicht etwa be- 
stimmte historisch-gesellschaftliche Insti- 
tutionen bekämpft (wie 'Profit', 
Monopol' oder auch 'sozialistische Büro- 
kratie'). Man /frau bekämpft Gegenstände 
und Dinge." Genau in diesem Sinne kon- 
vergieren auch bei der RAF Theorief- 
eindlichkeit und eins Kritik des analyti- 
schen, zerlegenden (im Gegensatz zum 
'organischen') Denken einerseits und die 
Forderung nach 'Vernünftigen" (Eva 
Haute) bzw. ''sinnvollen Losungen" 
(RAF-Erklärung vorn Aug. 1992). 40 

- Auf der Grundlage dieser Übernahme 
des hegelschen Idealismus ist es dann 
auch kein Wunder mehr, daß sich die 
RAF und Teile d:r Gefangenen die 
Durchsetzung gesellschaftlicher Verän- 
derungen im Wege der Durchsetzung 
neuer Werte' vorstellen. 

- Diese 'Strategie' steht schließlich im 

Kontext der Interpretation des Kapitalis- 
mus nicht als eine Art der Organisation 
des sozialen Zusammenhangs, sondern 
als Zerstörung des Sozialen’. Dadurch 
scheint der Imperialismus ständig am Zu- 
sammenbruch zu sein. In dieser Perspek- 
tive mag cs vielleicht plausibel erschei- 
nen. sich auf die Durchsetzung 'neuer 
Werte' beschränken zu wollen und da- 
durch dem Imperialismus den letzten 
Stoß zu geben 4 * In dieser Perspektive 
wird ideologischer Klassenkampf allen- 
falls dahingehend verstanden, "'bedrohte 
humanistische Werte’ dem 

verdinglichten' Einfluß spatburgcrlichcr 
'Kunstindustrie' zu entreißen und dem 
Erbe' cinzuverlcibcr." 42 In Anbetracht 
der tatsächlichen Stabilität und des tat- 
sächlichen Kräfteverhältnisses ist eine 
solche Geringschätzung des revolutionä- 
ren ideologischen Kampfes und die Ge- 
ringschätzung der Schaffung einer Org- 
anisation. die ihn fuhrt, 43 fatal. 

Wenn diese Punkte in den folgenden 
Texten an der Frankfurter Schule kriti- 


«V0 UcsCOM HtpU pi U*o** n Val 72?} 

1970.129- 1*6 

(12* I. Ul n. IW). Zun Urterxrirt r*wt*n Oem 4iOi «n Ce*e» 
»ervuem« W® der defle Vobe-SMe wri den AtfunerArasu i ■ 
lew» A*«U**. «r Mlir. t »0 . S I. CWSWl Uö4(l »Cf-C*l 
’WOttwMf. n G*«}« lHw l G*ra* BeMusun (Hg). 
.C-MdW» HMOl Ott Um*rut. ftyd 8 A/gur** Verleg 
Herrtuig 1*9. 1*31 - 1*36 (1*32 Ifc W ScfrMl fWtmt 
tr* UM*U <* MTiKOtQ* GMiwat-Vene; ftxttfr, 1160. 2*9 
• 2SI ml Zun [dßic7«r. MIMilu«! *n 

HigeMfcrui uö *.-0H*}rtJnona t: OO KaScfieior. ’ArO 
HtgUa-a na* r 0 * AOMerNne^ng »ffcnw rur «JIkss»- 
utl Oeb Vc«*StfW« n: aUmUM. Kl 97. 1974. IM - 17*. 

*1 V* Ncoi PoArtzm. Poltat* U*N irO gnefecAertlrte 
«aum »mnJun (wrMjrl an U*\ 197* 196 (m AMCWU t Du 
3*» u*i i mwmuK7>* Auiw»u>g 

0 * U#o*»»T Wem «unNifO. Fr»j» des ö*:*#«**' 
*3ais*r*a*trt rrt iniK*t K/tfc ncW RAF PwArOM MMtien. 
«:**•' ctrt r<f. mo*Ui. Oü «öi Ot RIF n enj«*i ’ngn 
&rcn*u* fi Ct*' 0 H!'i’mu>j ni PwMntrss MUnJ w *1 M*Wm roen 
UnM 

*2 Gwtwfl Ptarpe. tlF** (n7/r*laft* OKOft EMtnng {u 
3em*W fdbran T»i tOg.<fcf« FWc-f ««»Hl uxj 

rtn*. n VO. 118 Hb «78 28 • 31 C?9) 


siert werden, dann können diese Texte 
unseres Erachtens also auch als Kritik an 
der RAF-Theorie nach dem Mai 72 - teils 
bis zum April 1992, teils erst ab dem 
April 1992 - gelesen werden. 


Lateinamerika ist mehr als 
Salsa, Drogen und Bananen 

Seil mehr oll 1 Sichren berichtet die Informationsstelle lotemamo- 
rika (ilo) uberdie politischen, sozialen und kulturellen Entwicklun- 
gen oul dem Kontinent. Aktuollo und hintergrindige Artikel über 
Verdrängtes und ßrhantei, kritische und engogiorlo Berichte über 
Unrecht und Ungerechtigkeit gebon der "ilo" ihr eigenes Profil. 


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Lateinamorila 
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131 


Grundzüge der Kritischen 
Theorie 

Der vorliegende Text befaßt sich mit der 
von Vertretern der Frankfurter Schule 
entwickelten Kritischen Theorie. Nach 
einem kurzen Hinweis auf die spezifi- 
sche Denktradition dieser von vielen als 
marxistisch betrachteten Strömung, sol- 
len einige ihrer zentralen Aspekte darge- 
legt und kritisiert werden. 

Es muß aus Platzgrinden verallgemeinert 
werden. Dies ist jedoch legitim, da die 
einzelnen Vertcter der Kritischen Theorie 
zwar jeweils sehr individuelle Konzcp^ 
tionen entwickelten, jedoch ausgehend 
von grundlegenden Gemeinsamkeiten. 
Eben diese elementaren Übereinstim- 
mungen werden von uns, ausgehend von 
einer historisch-materialistischen Positi- 
on, untersucht. 

Zur Beantwortung der Frage, weshalb die 
Beschäftigung mit Philosophie für den 
revolutionären Kampf von großer Bedeu- 
tung ist, kann eine Notiz zur Einführung 
in die Philosophie von Antonio Gramsci 
herangezogen werden: "Man muß das 
Vorurteil zerstören, die Philosophie sei 
etwas sehr Schwieriges aufgrund der Tat- 
sache. daß sie eine spezielle Tätigkeit ei- 
ner bestimmten Kategorie von Wissen- 
schaftlern ist. den professionellen Philo- 
sophen oder Systematikern. Man wird 
daher zeigen müssen, daß alle Menschen 
Philosophen sind, indem man die Gren 
zen und die Wesenszüge dieser 
{ 'spontanen' | 'Jedermanns’-Philosophie 
definiert, nämlieh den Alltagsverstand 
und die Religion. Nachdem gezeigt ist, 
daß alle auf ihre Art Philosophen sind, 
daß cs keinen normalen und intellektuell 
gesunden Menschen gibt, der nicht an ei- 
ner bestimmten Weltauffassung teilhat. 
sei es auch unbewußt (...), geht man zum 
zweiten Moment über, zum Moment der 
Kritik und der Bewußtheit. Ist cs vorzu- 
ziehen, 'zu denken' ohne Bewußtheit da- 
von zu haben, auf zersetzte und zufällige 
Weise, ist cs vorzuzichcn an einer Welt- 
auffassung teilzuhabcn. die 'vorgegeben' 
ist von außen, von einer gesellschaftli- 
chen Gruppe, oder ist es vorzuziehen, die 
eigene Weltauffassung bewußt und kri- 
tisch auszuarbeiten und im Zusammen- 
hang mit dieser Aibcit des eigenen Ver- 
standes. die eigene Tätigkeitswclt zu 
wählen, an der Hervorbringung der Uni- 
versalgeschichte aktiv teilzuhaben?"* 

Die Bedeutung der Philosophie besteht 
also darin, daß sie als ein System verall- 
gemeinerter theoretischer Auffassungen 
von der Welt Orientierung innerhalb die- 
ser vermittelt und somit zielgerichtetes 
Handeln ermöglicht. Jedes Individuum 


I Gra-uo * Cgrtngntihgfl. (KiObTi GaorrOÄjiö». v 
BoOintm. K . HtoQ W F.J; HKttxrg. Biim 1993. S itti'iCM. 


findet sich konfrontiert mit einer objektiv 
gegebenen, spezifisch strukturierten 
Umwelt (z. B. mit einer von verschiede- 
nen Herrschaftsverhältnissen durchzoge- 
nen Gesellschaft). Um sich innerhalb 
dieser Strukturen bewegen zu können, 
muß Handlungsfähigkeit erworben wer- 
den; es muß eine Rezeption der äußeren 
Welt staUfinden. Diese individuelle Er- 
klärung der Welt vollzieht sich ständig 
und meistens unbewußt. Sie findet ihren 
Ausdruck sowohl in der frühzeitlichen 
Naturmythologie als auch später in der 
Religion. Auch der von Gramsci erwähn- 
te Alltagsverstand ist ein Versuch, die 
Welt durch Thcorctisicrung zu begreifen 
und somit handlungsfähig zu werden. Er 
ist "die 'Philosophie der Nichtphiloso- 
phen' [...], das heißt die unkritisch von 
den verschiedenen gesellschaftlichen Mi- 
lieus aufgenommene Weltauffassung, in 
der sich die moralische Individualität des 
Durchschnittsmenschen entfaltet."^ im 
Gegensatz zum Alltagsvcrstand ist eine 
wissenschaftliche Philosophie nicht ein- 
fach eine Sammlung, sondern ein in sich 
folgerichtig aufgebautes System von The- 
sen, Tatsachenfeststellungen und Ideen. 
Es wird also nicht bei der Verkündung 
einer bestimmten Weltauffassung ste- 
hengeblicbcn, sondern versucht, die 
Richtigkeit der Position durch Schlußfol- 
gerungen und Ictztlichcn Vergleich mit 
der materiellen Realität zu begründen. 
Das Verhältnis der wissenschaftlichen 
Philosophie zu den Einzelwissonschaflcn 
besteht darin, daß sie sich permanent an 
deren Erkenntnissen orientieren muß. um 
nicht spekulativ zu werden, darauf auf- 
bauend jedoch Fragen stellt, die jenseits 
des jeweiligen Fonchungshorizontes lie- 
gen. So trügt die Feststellung, daß die 
Dialektik das Gmndprinzip jeglicher 
Entwicklung ist, primär philosophischen 
Charakter. Sic wird bestätigt durch die 
Ergebnisse der modernen naturwissen- 
schaftlichen Forschung, z. B. der Phy- 
sik. 3 

Philosophie im wissenschaftlichen Sinn 
ermöglicht also die Herausbildung einer 
kohärenten Weltanschauung als Voraus- 
setzung selbstbewußten Handelns. Daß 
sie unerläßlicher Bestandteil des revolu- 
tionären Kampfes ist, formulierte Marx 
in seiner Einleitung zur Kritik der Hegel- 
selten Rechtsphilosophie: 

"Wie die Philosophie im Proletariat ihre 
materiellen, so findet das Proletariat in 
der Philosophie seine geistigen Waffen, 
und sobald der Blitz des Gedankens 
gründlich in diesen naiven Volksboden 
cingcschlagcn ist, wird sich die Emanzi- 


2«M.S 

3 Siet* Nm Imrn ptnfepn» SOtt. Uarttfimu urü 
CrpktoWIMirui IWH.7B 


pation der Deutschen zu Menschen voll- 
ziehn." 4 

Die theoretischen Ursprünge 

Die Marx-Rezeption der Frankfurter 
Schule ist stark beeinflußt von einer 
Denkrichtung deren bekanntester Vertre- 
ter wohl Georg Lukdcs ist. Seine 1923 
erschienenen Studien über Geschichte 
und Klassenbemfitsrin $ bilden bis heute 
die klassischen Texte des linken Radika- 
lismus. Mühelos lassen sich schon dort 
zentrale Topoi des im Rahmen der Fran- 
kfurter Schule geführten Diskurses iden- 
tifizieren. Ausgehend von einer starken 
Beeinflussung durch Hegel thematisierte 
Lukäcs das Phänomen der Verdingli- 
chung. In diesem Zusammenhang maß er 
dem Kapitel über den Fetischcharakter 
der Ware im ersten Band des Kapital 
eine zentrale Bedeutung zu. Die dortigen 
Ausführungen bilden zwar nur den theo- 
retischen Überbau der vorhergehenden 
Analysen von Ware und -Arbeitskraft, 
wurden jedoch auch von Ernst Bloch und 
später der Frankfurter Schule ins Zen- 
trum der marxschen Theorie gerückt. Im 
genannten Kapitel analysiert Marx das 
Phänomen, daß der gesellschaftliche 
Charakter des Warenwertes nicht er- 
kannt. sondern als etwas der Ware im- 
manentes aufgefaßt wird. Der Weit ist 
jedoch keine materielle Größe; er be- 
zeichnet das Quantum der für die Pro- 
duktion einer bestimmten Ware durch- 
schnittlich notwendigen einfachen Ar- 
beit. Da der Wert also gesellschaftlich 
konstituiert wird, kann er sich auch nur 
in einem gesellschaftlichen Verhältnis - 
dem Tausch und hier als Tauschwert - 
ausdrückcn. Die Menschen tauschen ihre 
Produkte jedoch nicht selbstbewußt als 
Resultate eigener Aibcit, sondern als Ge- 
gegnstände, denen sie einen natürlichen 
Wert zuschreiben. 'Das Geheimnisvolle 
der Warenform besteht also einfach 
darin, daß sic den Menschen die gesell- 
schaftlichen Charaktere ihrer eignen Ar 
beit als gegenständliche Charaktere der 
Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftli- 
che Natureigenschaften dieser Dinge zu- 
rückspiegelt, daher luch das gesellschaft- 
liche Verhältnis der Produzenten zur Ge- 
samtarbeit als ein außer ihnen existieren- 
des gesellschaftliches Verhältnis von 
Gegenständen. (...] Es ist nur das be- 
stimmte gesellschaftliche Verhältnis der 
Menschen selbst, welches hier Für sic die 
phantasmagorischc Form eines Verhält- 
nisses von Dingen annimmt." In dem 14 
Seiten langen Kapitel über den Fctisch- 


4MEW1.M1 

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nuotfaM Ck*K*. h Mi VMrte. Bä ? FrttacMta I 

i*»JW«SS*rtP 19» 

6UEW23.SSI. 



132 


Charakter der Ware thematisiert Marx 
somit die Frage, wanim originär mensch- 
liche Verhältnisse als dingliche wahrge- 
nommen werden. Die starke Konzentra- 
tion der Frankfurter Schule auf auf die 
dortigen Ausführungen bildete die 
Grundlage für deren Forschungen zur 
Ideologie, sowie für falsche theoretische 
Schwerpunktsetzungen, auf die weiter 
unten cigcgangen wird. 

Ebenso wie das Phänomen der Verding- 
lichung als eine Zentralkategorie der Kri- 
tischen Theorie erscheint, bleibt im Kreis 
um Horkhcimcr und Adorno die Rezep- 
tion der marxschen Theorie aus einer, 
früher von Luk£cs repräsentierten, hege- 
lianisierenden Sicht erhalten. Besonders 
Theodor W. Adorno und Herbert 
Marcuse praktizieren eine Rückführung 
von Marx auf Hegel, indem sie den histo- 
rischen Materialismus als rein geistesge- 
schichtliches Produkt auffassen, also als 
die logische Konsequenz des Denkens, 
die Marx aus der hegelschen Philosophie 
gezogen habe. Diese Konstruktion einer 
einfachen Kontinuität ignoriert die Ent- 
wicklung der materiellen Bedingungen 
(deren Repräsentation ein spezifisches 
Denken ist) und vor allem den aufgrund 
dieser Umstände von Marx und Engels in 
den 1840er Jahren vollzogenen Bruch 
mit Hegel. 

Idealistische Spekulation statt materia- 
listischer Analyse 

Ein zentrales Bestreben der Frankfurter 
Schule ist die Kritik der bestehenden Ge- 
sellschaft mittels eines neu zu etablieren- 
den Begriffes von Theorie. In Abgren- 
zung zu den als affirmativ bczcichnctcn 
Einzelwissenschaften wird interdiszi- 
plinär gearbeitet, unter Zuhilfenahme der 
Soziologie, der Psychoanalyse unJ des 
historischen Maierialismus. "Die isolie- 
rende Betrachtung einzelner Tätigseiten 
und Tüiigkeitszweigc mitsamt ihren In- 
halten und Gegenständen bedarf, um 
wahr zu sein, des konkreten Bewußtseins 
ihrer eigenen Beschränktheit. Es muß zu 
einer Konzeption übergegangen werden, 
in der die Einseitigkeit, welche durch die 
Abhebung intellektueller Teilvorgänge 
von der gesamtgesellschaftlichen Praxis 
notwendig entsteht, wieder aufgehoben 
wird." 7 

Die an die Wissenschaft gerichtete For- 
derung, die eigene Funktion im gesell- 
schaftlichen Prozeß zu reflektieren, ist so 
richtig wie banal Diese schlichte metho- 
dologische Notwendigkeit wird im Rah- 
men der kritischen Theorie allerdings 
zum Postulat einer vcmunftgclcitctcn 
Wissenschaft hypostasiert: "Die Selbst- 
erkenntnis des Menschen in der Gcgcn- 


7 HJU.™. M Tr*5tO*U und ThKrt* « Om 

TrM.o-1* u>5 7****. FortlirtU 1«?. 8 218215. 


I 

wart ist [...] nicht die mathematische Na- 
turwissenschaft, sondern die vom Inter- 
esse an vernünftigen Zuständen durch- 
herrschte kritische Theorie der bestehen- 
den Gesellschaft." 8 Die sich hier ab- 
zcichncnd: Affinität zum von der Auf- 
klärung beeinflußten Idealismus erklärt 
auch den Charakter der Kritischen Theo- 
rie. die weniger wissenschiftliche Ge- 
scllschaftsanalysc als vielmehr spekula- 
tive Geschichtsphilosophie isL 
Die Frankfurter Schule bedient sich zwar 
eines marxistischen Vokabulars, bei nä- 
herer Betrachtung treten jedoch ihr Pseu- 
domatcrialismus und ihre im Wesen idea- 
listische Dialektik zutage. So wird der in 
der Deutschen Ideologie 9 dargclcgte hi- 
storische Materialismus im Sinne einer 
(in der Phänomenologie des Geistes^ 
formulierten) hegelschen Dialektik von 
Subjekt ued Objekt aufgefaßt. Dialektik 
wird reduziert auf die Bcwegungsfonn 
des die Umwelt erfassenden Denkens. 
Hier wird zurückgcgangcn hinter die von 
Engels erarbeitete Erkenntnis, daß Dia- 
lektik keine rein formale und unabhän- 
gige Form des Erkenntnisprozesses, son- 
dern die geistige Widerspiegelung der 
Realität und somit von universeller Gül- 
tigkeit ist. In der Dialektik der Natur 
schreibt er in Abgrenzung zu Hegel: "Die 
Dialektik des Kopfs (ist] nur Wider- 
schein der Bewegungsformer, der realen 
Welt, der Natur wie der Geschichte."* 1 
Dialektik ist nicht einfach eine Denk- 
form, die aus Gründen methodischer 
Zweckmäßigkeit anzuwenden ist, son- 
dern bezieht sich als "Wissenschaft von 
den allgemeinen Bewegungs- und Ent- 
wicklungsgesetzen der Natur, der Men- 
schengesellschaft und des Denkens" 
auf die maiericllc Realität. Die Frankfur- 
ter Schule ignoriert - wie auch in anderen 
Punkten - den fundamentalen Unter- 
schied zwischen der hegelschen und der 
historisch-materialistischen Dialektik- 
konzeption und betreibt infolgedessen 
spekulative Gcschichtsphilosophic. Die 
gesellschaftliche Entwicklung vollzieht 
sich aus hegclianisicrender Sicht somit 
unter dem Gesichtspunkt eines Subjek- 
tes, dessen Bewegungsgesetz die Dialek- 
tik ist, also die Entäußerung des Subjekts 
und sein schlicßlicher Übergang in das 
Objekt, seine Verdinglichung. Bei Fort- 
setzung dieses Gedankenganges erscheint 
die gesellschaftliche Wirklichkeit, der hi- 
storische Prozeß als das sich objektivie- 
rende Subjektive. Dies bedeutet einer- 
seits eine sinnvolle Akzentuierung des 
subjektiver, Faktors gegenüber dem De- 


8«M.S.215 

9MtWX» 

!CHö?>\GWP. Um C«li!«i Sifijvl IJ68. 

I1UEWJ0.47S 

12UEW20.132(htr»TA d Vati 


terminismus des damaligen offiziellen 
Marxismus. Andererseits erscheint hier 
das Konzept einer historistischen Ge- 
schichtsspekulation, in deren Rahmen 
"history is viewed as one all-embracing 
process, in which an historical subjccl 
realizes itsclf. This subicct is no longcr 
Hegels Idea, but Man.*’ 3 Geschichte ist 
folglich ein Prozeß der Selbstbewußt- 
werdung des Menschen, in dem das ihm 
inhärente Ziel realisiert wird. Aus der 
Sicht der Frankfurter Schule "this goal 
(nämlich das einer vernünftigen Gestal- 
tung sozialer Beziehungen, d. Verf.) can- 
not be realized in ths present society 
which is charactcrizcd. on the contrary, 
by its negation - the reification of human 
relations and the alienation of Man. But 
in spitc of this. human beings still main- 
tain a will and a struggle for a ‘rational’ 
Organization of society, and it is through 
this will and this struggle, inherent in 
Man and human oxistencc, tliat Man can 
discovcr the fact that human goals arc 
negated in the prevailing conditions. 
Thus a knowlegde of society becomes at 
the samc time a judgement or cvaluation 
of it. In this way. Man and social reality 
(crcatcd by Man) rcach sclf-know- 
legde.”' 4 

Dieses von Hegel übernommene Dialek- 
tikverständnis ist verbunden mit einer 
Kritik der bestehenden Gesellschaft, die 
ausgeht von den Positionen der klassi- 
schen deutschen Philosophie. Unter aus- 
giebiger Bezugnahme auf Kant und He- 
gel wird die spätkapitalistischc Realität 
dem Anspruch der ursprünglich progres- 
siven bürgerlichen Ideen hinsichtlich der 
Konstituierung einer vernünftigen Ord- 
nung gegenübergestellt: "Der Nachweis 
des Widerspruchs zwischen dem Prinzip 
der bürgerlichen Gesellschaft und ihrem 
Dasein bringt die einseitige Bestimmung 
der Gerechtigkeit durch die Freiheit und 
dieser durch bloße Negation ins Bewußt- 
sein and definiert die Gerechtigkeit posi- 
tiv durch den Grundriß einer vernünfti- 
gen Gesellschaft.”* 3 

Der Sozialismus - Wissenschaft oder 
Utopie? 

Im Bewußtsein der Unmöglichkeit einer 
Aufhebung dieser Diskrepanz zwischen 
Begriff und Gegenstand bezüglich der 
bürgerlichen Gcscllschift innerhalb die- 
ser selbst wandte sich Horkheimer dem 
historischen Materialismus zu. Seine di- 
stanzierte Parteinahme für den Sozialis- 
mus beruhte auf der Hoffnung, die in der 
bürgerlichen Gesellschaft ad absurdum 


13 Ihotan. G : Tht Frarftturt Scfocl kt SfcOiun Jx«. G « * 
W#o«mUjns« * öl ral üuötr. Ionen 1977. S 96 

15 IWhfmff. K. lUIKUttmrt n) UKsp-rix »t 0*\. 
TWteo*!« uvl IrtBcfi* nnof«. a s 0. S. 19 



133 


geführten bürgerlichen Ideale würden in 
einer zukünftigen Gesellschaft realisier- 
bar. Kernpunkt dieses Denkens ist in 
letzter Konsequenz das Bestreben nach 
Materialisierung des Ideellen respektive, 
wie oben formuliert, die Objektivierung 
des Subjektiven. An diesem Punkt, dem 
Insistieren auf der Idee als der Substanz 
des historischen Prozesses, wird der hc- 
gelsche Ursprung der Dialektik Hork- 
heimers - und, nuanciert, der gesamten 
Frankfurter Schule - deutlich. "Zuerst 
müssen wir beachten, daß unser Gegen- 
stand. die Weltgeschichte, auf dem gei- 
stigen Boden vorgeht. Welt begreift die 
physische und psychische Natur in sich; 
die physische Natur greift gleichfalls in 
die Weltgeschichte ein [...]. Aber der 
Geist und der Verlauf seiner Entwicklung 
ist das Substantielle." 16 so Hegels Auf- 
fassung von der Geschichte, der auch die 
Frankfurter Schule unterschwellig ver- 
haftet blieb. Horkheimers Auffassung der 
Schaffung einer sozialistischen Gesell- 
schaft als Realisierung bürgerlicher Idea- 
le zeugt vom hegelschen Ursprung seines 
Denkens. Die Erkenntnis objektiver Ge- 
setzmäßigkeiten und daraus abzuleiten- 
des Handeln tritt für ihn zurück hinter 
dem Wunsch der Realisierung einer Idee. 
Es geht also, wie oben schon erwähnt, 
um die Objektivierung (Realisierung) des 
Subjektiven (Idee). Mit einer solchen 
Überbewertung bzw. Verabsolutierung 
des Bewußtseins, des Subjektiven, haben 
sich Marx und Engels intensiv in der 
Deutschen Ideologie auseinandergesclzt 
und fcstgestellt. daß der historische Pro- 
zeß letztlich abhängig ist von den objek- 
tiven Bedingungen: "Diese Vorgefunde- 
nen Lebensbedingungen der verschiede- 
nen Generationen entscheiden auch, ob 
die periodisch in der Geschichte wieder- 
kehrende revolutionäre Erschütterung 
stark genug sein wird oder nicht, die Ba- 
sis alles Bestehenden umzuwerfen, und 
wenn diese materiellen Elemente einer 
totalen Umwälzung, nämlich einerseits 
die vorhandenen Produktivkräfte, andrer- 
seits die Bildung einer revolutionären 
Masse, die nicht nur gegen einzelne Be- 
dingungen der bisherigen Gesclls:haft, 
sondern gegen die bisherige 
'Lebensproduktion’ selbst, die 
'Gcsamttätigkcit'. worauf sic basierte, re- 
volutioniert - nicht vorhanden sind, so ist 
cs ganz gleichgültig für die praktische 
Entwicklung, ob die Idee dieser Umwäl- 
zung schon hundertmal ausgesprochen ist 
- wie die Geschichte des Kommunismus 

dies beweist. "17 

Das dargcstcllte Konzept eines philoso- 
phischen Historismus, von dem die Fran- 


18 H*g»t QWF- YcrlMuifl*n rur PNoMftfM 6m C«KMeN* 
SMs»ii«i.S.5H>l«fvoe iOJ 


kfurter Schule ausgeht, zieht verschiede- 
ne praktische Konsequenzen nach sich. 
Der heute primär mit Hegel assoziierte, 
aber auch in der Soziologie verwandte 
Begriff der Totalität wird als philosophi- 
sche Kategorie auf die Sczialwisscn- 
schaften Übertragen. Er bezeichnet im 
Rahmen der Kritischen Theorie nicht 
mehr ein Netz sozialer Beziehungen, 
dessen einzelne Teile in Wechselwirkung 
zueinander stehen. Vielmehr steht Totali- 
tät nun für die Gesamtheit gesellschaftli- 
cher Phänomene als Ausdruck eines ih- 
nen gemeinsam zugrundeliegenden Prin- 
zips. Dieses ist grundsätzlich die inhalts- 
leere Abstraktion, daß die gesellschaftli- 
che Realität Produkt menschlichen Han- 
delns ist: "There ist no room in the histo- 
ricist conception of history fer social to- 
talities as structures of irreducible com- 
plcxity. or for a discontinuous develop- 
ment of those complex structures. 
Society is ilways reduciblc to its ercator- 
subjcct, and history is the continuous un- 
folding of this subject. At every given 
point in time, society is a unique mani- 
fcstation cf man. This mcans that the 
concept of a mode of producion, which 
in any classical reading of Marx is the 
central concept of historical mateiialism. 
plays at most a quilc subordinatc rolc. 
Capitalism is not sccn as one mode of 
production among others, but as a com- 
pletcly unique moment in the history (...) 
of Man."** 

Historistisch interpretiert ändert sich 
auch der Charakter des historischen Ma- 
terialismus. der ursprünglich als Wissen- 
schaft entstanden war und nicht als phi- 
losophische Spekulation Uber die Be- 
stimmung des menschlichen Seins. Im 
Rahmen der Kritischen Theorie “the 
scientific «pecifity of Marx's critique of 
political economy disappears That criti- 
que is citbcr rcgarded as philosophical 
critique (Horkheimer), or as an examina- 

tion of political economy from the stand- 
poinl of the totality of social being 
(Marcuse), but not as a scientific Opera- 
tion. This is quitc clcarly different from 
Marx's own conception of his work and 
cpistemology in general." *** 

Der junge Marx - 

das einzig Wahre 

Das Festhalten der Frankfurter Schule an 
einer hcgcbchen Konzeption der Dialek- 
tik korrespondiert mit einer Marx-Rczcp- 
tion, die sich vornehmlich auf die Werke 
des sogenannten 'jungen Marx' konzen- 
triert. 20 Also auf die Phase des theoreti- 


18 rhwtwT. Q - TM Frtmfurt Sctooi. i • 0 . S P. 
i»«J.S.» 

20 Zu inoirflicr Rtlmrj Om nautfan atfa 

Oaorun, HO» jungt' Um kn tttottgscran Km& Om 


scheu Schaffens von Marx, in der dieser 
selbst noch deutlich unter dem Einfluß 
Hegels stand, und in der er sich intensiv 
mit der Kategorie der Entfremdung be- 
faßte. In der Deutschen Ideologie wird 
dieses Phänomen erläutert: “Die soziale 
Macht, d.h. die vervielfachte Produkti- 
onskraft. die durch das in der Teilung der 
Arbeit bedingte Zusammenwirken der 
verschiedenen Individuen entsteht, er- 
scheint diesen Individuen, weil das Zu- 
sammenwirken nicht freiwillig, sondern 
naturwüchsig ist, nicht als ihre eigne, 
vereinte Macht, sondern als eine fremde, 
außer ihnen stehende Gewalt, von der sic 
nicht wissen woher und wohin, die sie 
also nicht mehr beherrschen können, die 
im Gegenteil nun eine eigentümliche, 
vom Wollen und Laufen der Menschen 
unabhängige, ja dies Wollen und Laufen 
erst dirigierende Reihenfolge von Phasen 
und Entwicklungsstufen durchläuft.” 21 
Nach Marx bedeutet Entfremdung also 
eine spezifische, sich unter den Bedin- 
gungen der kapitalistischen Produkti- 
onsweise vollziehende Form der Verge- 
genständlichung, die jedoch aufhebbar ist 
im Zuge der Konstitution einer Gesell- 
schaft, in der "die Gesetze ihres eignen 
gesellschaftlichen Tuns, die ihnen bisher 
als fremde, sic beherrschende Naturge- 
setze gegenübe rstanden, (...) dann von 
den Menschen mit voller Sachkenntnis 
angewandt und damit beherrscht 
(werden)." 22 Die Theoretiker der Fran- 
kfurt Schule bctrachicn nun fälschli- 
cherweise die Bezeichnung ■entfremdet' 
als Synonym für 'materiell'. So gehl 
Adorno geht in seinem 1966 erschienen 
Werk Neguüve Dlutekuk davon aus. daß 
Marx, wenn er von Naturgesetzen der 
Gesellschaft spricht, damit nicht den ob- 
jektiven Charakter dieser Gesetze als ma- 
terielle Zusammenhänge gemeint habe, 
sondern die Verdinglichung der kapitali- 
stischen Produktionsweise. 23 Materiell 

und verdingliche wird von Adorno syn- 
onym aufgefaßt. Marx dagegen unter- 
schied schon in den Ökonomisch-philo- 
sophischen Manuskripten- 4 deutlich 
zwischen beiden Begriffen und wies 
auch in einem Brief an einen russischen 
Bekannten darauf hin, daß "jede neue 
Generation die von der alten Generation 
erworbenen Produktivkräfte vorfin- 
det"“ 3 , und diese deshalb als materiell zu 
bezeichnen seien. 

Der ungerechtfertigten Ineinssetzung von 
materiellen und verdinglichten, also ent- 
fremdeten Verhältnissen entspricht auf 
einer anderen Ebene die Identifikation 


ZI Mc A3. 34 
22MEW18.228. 

aAttro.mw MegiUraDUlÄHFiKfcVlM 19W.S J47 
24 MEV, 1.4«*. 

JSMFA2? 4MUS1 


134 


von Arbeit mit warenproduzierender Ar- 
beit. Die Tatsache, daß Arbeit als 
"Aneignung des Natürlichen für mensch- 
liche Bedürfnisse, allgemeine Bedingung 
des Stoffwechsels zwischen Mensch und 
Natur, ewige Naturbedingung des 
menschlichen Lebens und daher unab- 
hängig von jeder Form dieses Lebens, 
vielmehr allen seinen Gesellschaftsfor- 
men gleich gemeinsam" 2 *’ ist, wird ins- 
besondere von Herbert Marcusc überse- 
hen. Er betrachtet die Arbeit allein unter 
dem Aspekt der Erzeugung einer Herr- 
schaft der Dinge über die Menschen - al- 
so Entfremdung - und setzt sic in einen 
konstruierten undialektischen Gegensatz 
zur menschlichen Freiheit. Diese - in ei- 
ner derartigen Abstraktion falsche - Ent- 
gegensetzung von Produzieren und Frei- 
heit läßt Befreiung sowohl im histori- 
schen als auch im logischen Sinn unmög- 
lich erscheinen. Die hier zugrunde lie- 
gende Entleerung des Arbeitsbegriffs be- 
dingt eine ungesellschaftliche Auffas- 
sung der Produktivkraftentwicklung, die 
letztlich in einen - durchaus als reaktio- 
när zu bezeichnenden - Technikskepti- 
zismus mündet. Formalistisch wird bei 
Betrachtung der Produktivkraftentwick- 
lung von deren sozialem Gehalt abstra- 
hiert. so daß nicht die Handhabung von 
Technik innerhalb einer spezifischen 
Epoche, sondern die Technik an sich als 
negativ, ja gefährlich erscheint. Nach 
Horkheimer und Adorno "involviert An- 
passung an die Macht des Fortschritts 
den Fortschritt der Macht, jedes Mal aufs 
neue jene Rückbildungen, die nicht den 
mißlungenen sondern gerade den gelun- 
genen Fortschritt seines eigenen Gegen 
teils überführen. Cter Fluch des unauf- 
haltsamen Fortschritts ist die unaufhalt- 
same Regression.' 27 Die durch die tech- 
nische Entwicklung ermöglichte und 
weiter zunehmende Beherrschung der 
Natur determiniert, nach Ansicht der 
Frankfurter Schule, aufgrund der so er 
zeugten sachlichen Zwänge, einen Pro- 
zeß zunehmender Entfremdung. Die 
"Kritik (der Frankfurter Schule, d. Vcrf.) 
an der Gesellschaft, die ein sich von Ent- 
fremdung emanzipierendes Bewußtsein 
anzielt, geht folglich von einer deutlichen 
Voraussetzung aus: von der Charakteri- 
stik der gesellschaftlichen Produktion als 
eines unhistorischen, naturhaften Prozes- 
ses. der zu wachsender Herrschaft der 
Sachwelt über die Menschenwclt führt. 
D. h„ die eigentliche Ursache der Ent- 
fremdung. die Produktionsverhältnisse, 
genauer, die Funktionsweise der kapitali- 
stischen Produktionsverhältnisse, werden 


»UEW23(Ka*UBdn.l9e 

2/ IWm«. M . Th W DMMUk OB MMftwg: * I 0 . 

S *2 


I 

ausgcklammert." 28 Mit dieser Akzent- 
verschiebung von der Dialektik von Pro- 
duktivkraftentwicklung und Produkti- 
onsverhältnissen hin zur Gegenüberstel- 
lung von Tcchnikcntwicklung und 
Mensch hat die Frankfurter Schule den 
Boden des historischen Materialismus 
hinter sich gelassen. Resultat ist die all- 
seits bekannte Kritik an 
Tcchnikgläubigkcit', die angesichts von 
Rüstungspolitik und Umweltzerstörung 
auch in linken Kreisen eine gewisse Re- 
levanz besaß und besitzt. Noch 1933 
hatte Horkheimer formuliert: "Der Mate- 
rialismus fordert die Vereinigung von 
Philosophie und Wissenschaft." 29 Mit 
zunehmendem Alter vertrat er immer 
stärker idealistisch: Positionen 3 ** und 
konstruierte von dort aus den Gegensatz 
zwischen Wissenschaft und Philosphie, 
wobei er letzterer einen größeren Er- 
kenntniswert zusprach. Bei Horkheimer 
erscheint diese Kritik an der als affirma- 
tiv aufgefaßten Wissenschaft als eine 
Kritik am streng rationalen Positivismus: 
"Die positivistische Philosophie, die das 
Werkzeug 'Wissenschaft' als den automa- 
tischen Verfechter des Fortschritts an- 
sieht. ist so irreführend wie andere Glori- 
fikationen der Technik. Die ökonomische 
Technokrate erwartet alles von der 
Emanzipation der materiellen Produkti- 
onsmittel. Platon wollte die Philosophen 
zu den Herren machen; die Technokraten 
wollen die Ingenieure zum Aufsichtsrat 
der Gesellschaft machen. Positivismus ist 
philosophische Technokrate."^ * Eine 
derart generalisierende Kritik an Wissen- 
schaft und Technik verunmöglicht eine 

wirkliche Auseinandersetzung mit dem 

von der Frankfurter Schule als Positivis- 
mus bczeichncicn Denken.-* 2 Hier wer- 
den die Stärken einer wissenschaftlichen 
Vorgehensweise aufgegeben zugunsten 
von Hermeneutik und Moral 


2t B ourmv n. (tost*. H-J : DiaMdk Cm Anptii orrj. « ■ 0 

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79 IWmtw. M tUUrMlwTui uM UMprrp*. k • 0 . S II . 

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31 IterffiMr*. U. Goo«wibkto AJrtakriM »i öon Zur Kritik 
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WbMnKMT kn Lkm dm WUuiuchtfl. FtvWuVU 1972 


Die 'Ergänzung' des historischen Ma- 
terialismus durch Freud 

Fine zentrale Kategorie der Kritischen 

Theorie ist die Entfremdung. Zur Ana- 
lyse dieses Phänomens bediente sich - 
neben allen anderen Theoretikern - vor 
allem Erich Fromm der von Sigmund 
Freud entwickelten Psychoanalyse. Ohne 
hier im einzelnen auf die sich daraus er- 
gebenen Konsequenzen cingchcn zu 
können, sei angemerkt, daß der im Rah- 
men der Psychoanalyse entwickelte Be- 
griff des Menschen und seiner Trieb- 
struktur durchaus problematisch ist. Den 
Ausgangspunkt individueller Entwick- 
lung bildet eine anthropologische Kon- 
stante. die von Freud als TEs' bezeichnet 
wird: "Die älteste dieser psychischen 
Provinzen oder Instanzen nennen wir das 
Es; sein Inhalt ist alles, was ererbt, bei 
Geburt mitgebracht, konstitutionell fest- 
gelcgt ist, vor allem also die aus der Kör- 
perorganisation stammenden Triebe, die 
hier einen ersten uns in seinen Formen 
unbekannten psychischen Ausdruck lin- 
den.’’ (In der zugehörigen Fußnote heißt 
cs: “Dieser älteste Teil des psychischen 
Apparates bleibt durchs ganze Leben der 
wichtigste." 3 -*) Diese Konstruktion eines 
'menschlichen Wesens', die sich in ge- 
wisser Weise auch d:e Frankfurter Schule 
zu eigen macht, bedeutet einen Rück- 
schritt hinter die von Marx in der sech- 
sten Feuerbachthesc formulierte Er- 
kenntnis, daß "das menschliche Wesen 
[...] kein dem einzelnen Individuum in- 
newohnendes Abstraktum", sondern “in 
seiner Wirklichkeit (...) das Ensemble der 
gesellschaftlichen Verhältnisse" 34 ist. 
Eine solche 'Ergänzung' von Marx durch 
Freud 35 bedeutet, daß die Gcscllschafts- 
analysen der Frankfurter Schule die 
Auswirkungen der kapitalistischen Pro- 
duktionsweise auf die gegebene mensch- 
liche Triebstniktur thematisieren. Nach 
dieser Sicht wird 'der Mensch’ in jeder 
bestimmten Epoche den objektiven Be- 
dingungen entsprechend modifiziert und 
nicht jeweils neu geschaffen. Eine spezi- 
fische Produktionsweise und die aus ihr 
resultierende Gesellschaftsformation 
kann somit dem menschlichen Wesen 


33 Frwl S ttrt» 0« Pnehwnrt**. FrariJurtU 1972. S. 9 
34MEW3.6 

35 Om ahrtriwn • inrcfcn • C*iucf«. ntttt Mwi ttayKüft 
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135 


adäquat sein oder ihm widersprechen. 
Diese Auffassung des Menschen korre- 
spondiert im übrigen hervorragend mit 
der schon oben erwähnten Rezeption der 
marxschen Frühschriften. Der bis Anfang 
der 1840er Jahre von der Anthropologie 
Feuerbachs beeinflußte Marx stellte da- 
mals ebenfalls noch ein 'natürliches' 
menschliches Wesen den gesellschaftli- 
chen Verhältnissen gegenüber.- 56 Er be- 
schrieb "die Entfremdung als die 
■Entmenschung' der menschlichen Ver- 
hältnisse, als nicht der menschlichen Na- 
tur entsprechende Form der gesellschaft- 
lichen Verhältnisse, in der 'das menschli- 
che Wesen sich unmenschlich [...] verge- 
genständlicht."' 37 

Eine Affinität zwischen Psychoanalyse 
und Frankfurter Schule besteht auch hin- 
sichtlich der Auffassung von Gesell- 
schafts- bzw. Kulturentwicklung. Der 
schon erwähnte, sich vor allem im Tech- 
nikskeptizismus äußernde Geschichts- 
pessimismus Horkheimers und Adornos 
steht in enger Beziehung zur von Freud 
formulierten These der auf Triebsubli- 
micrung und -verzieht beruhenden Kul- 
turentwicklung: "Die Tricbsublimicrung 
ist ein besonders hervorstechender Zug 
der Kulturentwicklung, sic macht es 
möglich, daß höhere psychische Tätigkei- 
ten, wissenschaftliche, künstlerische, 
ideologische, eine so bedeutsame Rolle 
im Kulturleben spielen. [...) Drittens end- 
lich, und das scheint das Wichtigste, ist 
cs unmöglich zu übersehen, in welchem 
Ausmaß die Kultur auf Triebverzicht 
aufgebaut ist, wie sehr sic gerade die 
Nichtbefriedigung (Unterdrückung, Ver- 
drängung oder sonst etwas ?) von mäch- 
tigen Trieben zur Voraussetzung hat. 
Diese Kulturversagung beherrscht das 
große Gebiet der sozialen Beziehungen 
der Menschen; wir wissen bereits, sie ist 
die Ursache der Feindseligkeit, gegen die 
alle Kulturen zu kämpfen haben." 3 * Aus 
dem hier Dorgelcgtcn wird ersichtlich, 
daß Psychoanalyse und Frankfurter Sch- 
ule ein gewisses konservatives Moment 
bezüglich des Menschenbildes und der 
Einschätzung der gesellschaftlichen Ent- 
wicklung gemeinsam ist. "Gerade die 
Bezugnahme auf Freuds metapsychologi- 
sche Theorie weist aus. daß die 'kritische 
TTieorie' den Ansatz zur Gesellschaftskri- 
tik festlegt, indem sie zunächst gesell- 
schaftliche Fragen biologisicrt, durch die 
Konzentration auf die Freudsche Lehre 
von der Triebstruktur des Menschen psy- 


36 Mt* Ottno>r>*clv?titoteptilKt« lUnalr». MOV. tB l. 

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38 fiwd S_- Du U-t*h*j«n In <Mr «u«ur * 0*1 «xfl »i 
PrjOcavfyie a a 0 . S 91 


chologisicn und anschließend mit Be- 
zugnahme auf das menschliche Wesen 
gesellschaftliche Fragen individualisiert. 
Erst hier erfolgt ein Umschlag, der nun 
aus der psyehologisierenden Sicht auf die 
gesellschaftlichen Zusammenhänge zu- 
rückwirkt. In der Folge wird die gesell- 
schaftliche Emanzipation als eine sozio- 
psychologischc Emanzipation ausgewie- 
sen.' 39 

Die Resultate - kritische Kontempla- 
tion und Resignation 

Die weiter oben schon kurz angedeutete 
partielle Konvergenz von Positionen der 
Frankfurter Schule und der Junghegelia- 
ner der 1830er Jahre war latent immer 
vorhanden, trat aber erst in der Spätphase 
der Frankfurter Schule besonders deut- 
lich zutage. Die geschichtspcssimisrischc 
Auffassung der bestehenden Gesellschaft 
als eine industrielle, im wesentlichen un- 
aufhebbar entfremdete, ließ etwaige Vcr- 
ändcrungsversuchc als unsinnig erschei- 
nen: "Freilich, suspekt ist nicht die Dar- 
stellung der Wirklichkeit als Hölle, son- 
dern die routinierte Aufforderung, aus ihr 
auszubrechen." 4 ® Dabei ermangelt die 
theoretisch: Entwicklung der Frankfurter 
Schule nicht einer gewissen Ironie. Aus- 
gehend von einer kritischen, jedoch idea- 
listischen Position erfolgt eine Rezeption 
des marxschen Werkes. Im Mittelpunkt 
steht 'der junge Marx’, da sich in dessen 
Schriften noch deutliche Reminiszenzen 
an Hegel finden lassen. Dies bedeutet 
ein Pars pro loto und eine Uminterpreta- 
tion zentraler Kategorien des historischen 
Materialismus. Mit einer derart licgclia- 
nisierten Theorie, in der die Totalität ei- 
ner manipulierten Konsumgesellschaft 
eine differenzierte Analyse antagonisti- 
scher Verhältnisse ersetzt, mußte die Ret- 
tung im individuellen Rückzug auf eine 
Position der kritischen Kaitemplation 
liegen. Nach Horkhcimcr und Adorno ist 
gesamtgesellschaftliche Befreiung illuso- 
risch, einzig und allein der kritische 
Intellekt vermag sich über das Beste- 
hende zu erheben und somit seine Frei- 
heit zu realisieren: "Das Bestehende 
zwingt die Menschen nicht bloß durch 
physische Gewalt und materielle Interes- 
sen sondern durch übermächtige Sugge- 
stion. Philosophie ist J...| die Anstren- 
gung, der Suggestion zu widerstehen, die 
Entschlossenheit zur intellektuellen und 
wirklichen Freiheit." 4 ' Diese individua- 
listische Tendenz findet sich bei Hork- 
heimer schon 1937, hier allerdings in ei- 
ner Formulierung, der für sich genom- 


3?B**m*«\R WtttS* d« inpuwng B a 0. 
S 46 

40 MxVfw-». M. Adsns ThW.: OlaMUk d* »utUlrur* llO. 

S37J 

I1W.S »0 


men umstandlos zuzustimmen wäre: 
"Der Intellektuelle, der nur in aufblik- 
kender Verehrung die Schöpferkraft des 
Proldnrials verkündigt und sein Genüge 
darin findet, sich ihm auzupassen und es 
zu verklären, übersieht, daß jedes Aus- 
weichen vor theoretischen Anstrengung, 
die er in der Passivität seines Denkens 
sich erspart, sowie vor einem zeitweili- 
gen Gegensatz zu den Massen, in den ei- 
genes Denken ihn bringen könnte, diese 
Massen blinder und schwächer macht, als 
sie sein müssen. Sein eigenes Denken 
gehört als kritisches, vorwärtstreibendes 
Element mit zu ihrer Entwicklung." 42 Im 
Kontext der weiteren Arbeiten Horkhei- 
mers erscheint diese Aussage nicht als 
eine berechtigte Kritik am Prolet- und 
Massenkult der damaligen kommunisti- 
schen Bewegung, sondern als Versuch, 
aus der Not eine Tugend zu machen und 
intellektuelle Isolierung zum Resultat 
geistiger Unabhängigkeit zu stilisieren. 
Hier erscheint die Konstruktion des Ge- 
gensatzes von kritischem Geist und trä- 
ger Masse. Diese elitäre Vorstellung von 
der Rolle der 'kritischen Kritik' der Iniel- 
Ickturilcn als Triebkraft gesellschaftli- 
cher Entwicklung wurde von Marx und 
Engels in ihrer ersten gemeinsamen Ar- 
beit {Die heilige Familie oder Kritik der 
kritischen Kritik) ausdrücklich zurück- 
gewiesen. 43 Sic gehen dort ein auf eine 
bestimmte Sorte von Intellektuellen, die, 
über die Masse des Volkes schreibend, 
sich von diesem distanzieren und sich 
über es erheben: "Die kritische Kritik, so 
erhaben sic sich Uber die Masse weiß, 
fühlt doch ein unendliches F.rbarmen für 

dieselbe. (...] Es verstellt sich, und die 
Geschichte, die alles beweist, was sich 
von selbst versteht, beweist auch dies, 
daß die Kritik nicht Masse wird, um 
Masse zu bleiben, sondern um die Masse 
von ihrer massenhaften Massenhaftigkeit 
zu erlösen, also die populäre Redeweise 
der Masse in die kritische Sprache der kr 
irischen Kritik aufzuheben." 44 
Die sich in der Spätphasc der Frankfurter 
Schule immer deutlicher abzeichnende 
Nähe zum junghcgclianischcn Denken 
wurde letztlich auch von den Theoreti- 
kern selbst erkannt. Adorno bemerkte 
dazu: "Die gesellschaftliche Realität hat 
sich in einer Weise verändert, daß man 
fast zwangsläufig auf den von Marx und 
Engels so höhnisch kritisierten Stand- 
punkt des Linkshegclianismus zurückge- 
drängt wird: einfach deshalb nämlich, 
|...I weil der Gedanke, daß man durch die 
Theorie und durch das Aussprechen der 
Theorie unmittelbar die Menschen ergrei- 
fen und zu einer Aktion veranlassen 


4? U xtftWB •». M TridMy*M and tatücl* Tt*ort*. ftrt WUO. 
FrvtaU 19». S 931 
43 MC« 1 Z 31t 
44eM.s.am 



136 


kann, doppelt unmöglich geworden ist 
durch die Verfassung der Menschen."^ 
Ihre Denunzienmg der Wissenschaft und 

ihr Beharren auf idealistischen Positio- 
nen geben der Kritischen Theorie bezüg- 
lich politischer HandlungmöglicHccitcn 
einen reaktionären Zug. Die Unfähigkeit 
hinter der Totalität der Verdinglichung' 
Widersprüche und emanzipatcrische 
Kräfte wahrzunehmen, führt zu der An- 
nahme manipulierter Massen, aus denen 
sich kraft eines kritischen Verstandes das 
einzelne Individuum erheben kann. Da 
die Perspektive kollektiver Befreiung im 
Diskurs der Frankfurter Schule als un- 
wahrscheinlich sich darstellt, bleibt als 
letzte Rettung der subjektive Sprung, der 
zudem ein primär intellektueller Vorgang 
ist. "Thus criticil thcory's conccption of 
politics [...] ends in a paradox. On the 
onc hand. it presents itsclf as a mere 
component of a political praxis; on the 
other. it lacks any specific political an- 
chorage."**^ 


ÜZtr, Baiarrsn R. WaU *. HO CUM» der A «pm*. i 
> 0 . S K A*r-o rorrt he Miug aJ 4* Ptortrq ton Mi M. 
w «nt 1h«or» nuHnO*G«l tr* M <WW M W« 

d* Umi fntarh rr«fl O- W*t» «¥ Kitt Um ata< 1r$j da 
Kitt » rat «Kn. da *»*•**« Of»*« r*e gm ära 
war. OjOi rroMiaM G«U alt* au* de Ihtone «3 tu 
mmUn (Waal. total) tada Masun n-ief. ' tyan. X: la Kritik 
<M> Htgtttctan RtcMapNkaopNa. ElnMtufij MEiVI.ÄS; 
46naHw0:1hafrmttrtSchx(.a.«0. S. 91. 


Galvano della Volpe 


i 


Zur Frankfurter Schule 

KRITIK EINES SPÄTROMANTI- 
SCHEN PARADOXES 
(Über die "Dialektik der Aufklärung" 
von Max Horkheimer und Theodor W. 
Adorno) 


Das Paradox ist mit einfachen Worten 
folgendes: Insofern Aufklärung auf den 
wissenschaftlichen Kalkül des Nützli- 
chen und damit auf die genaue Einschät- 
zung der einem Zweck angemessenen 
Mittel reduzierter ist. verkehrt sie sich 
(das ist die "Dialektik") in ihr Gegenteil, 
in Technik der Herrschaft und Unter- 
drückung mit ihren modernen, alten und 
neuen, funktionalen Mythen. "Als ... 
bloße Konstruktion von Mitteln ist Auf- 
klärung so destruktiv, wie ihre romanti- 
schen Feirde es ihr nachsagen ... . Auf- 
klärung vollendet sich und hebt sich auf 
..." ( 1 ), so lautet die (zumindest in der 
Form hcgclianisicrcndc) Schlußfolgerung 
des ersten, dem "Begriff der Aufklärung" 
gewidmeten Teils. Und dcch hindert 
diese These von (wie wir sehen werden) 
ziemlich brüchiger Konsistenz die Auto- 
ren nicht an der festen Überzeugung, daß 
"die Aufklärung ... sich auf sich selbst 

besinnen (muß), wenn die Menschen 
nicht vollends verraten werten sollen", 
und daß "an Aufklärung geübte Kritik ... 
einen positiven Begriff von ihr vorberei- 
ten (soll), der sic aus ihrer Verstrickung 
in blinder Herrschaft löst." (2) (Hier und 
im ganzen Buch, das zuerst 1944 heraus- 
gegeben wurde, halten die Autoren vor 
allem das "monstrum horrendum" des 
Nazismus gegenwärtig.) Es ist jedoch ei- 
ne Überzeugung oder Hoffnung, die, so 
edel sic ist, kein Fundament hat, wenn 
dieses in der oben ausgesprochenen ex- 
travaganten These bestehen soll. Der als 
Prämisse genommene Begriff der Auf- 
klärung ist nämlich zu einseitig und arm. 
Wahr ist: das Kriterium der Berechnung 
des menschlichen und gesellschaftlichen 
Nutzens ist sicherlich eine Komponente 
dieser Ideologie, welche jegliches Prinzip 
dogmatischer Autorität, beginnend mit 
dem der religiös-kirchlichen Autorität, 
kritisiert und zurückweist und deshalb 
dem Individuum sagt (um die klassischen 
kantischen Formulierungen zu gebrau- 
chen): Sapere aude! oder "Habe Mut, 
dich deines eigenen Verstandes zu be- 
dienen". um dadurch aus dem Zustand 
der Unmündigkeit herauszutreten, usw. 
usw.; dies ist jedoch nicht die einzige 
Komponente; für sich oder abstrakt ge- 
nommen, ibstrahierend, und zwar von 
der weltlichen Pflichtcnlchrc. die sie be- 
gleitet, oder auch von der "Toleranz“, der 
"Achtung" des menschlichen Individu- 


umsais Zweck und niemals Mittel, usw., 
ist jener Begriff selbst deformiert oder 
verstümmelt. 

Mit anderen Worten, man wird der Auf- 
klärung weder historisch noch philoso- 
phisch gerecht, wenn man den Bacon- 
schen und szientivischcn Beitrag überbe- 
tont, der demnach darin besteht, die auf- 
geklärte Vernunft auf eine bloß 
"kalkulierende Vernunft" und auf die mit 
ihr mehr oder weniger synonyme 
"formalistische Vernunft", 

"Naturwissenschaft", "Technik", 

"statistische Erhebung" (beispielsweise 
von bei einem Pogrom Ermordeten) und 
so weiter zu 

reduzieren. Es ist aber evident, daß eine 
solche Verarmung des Begriffs der Auf 
klärung sich der (unglaublich) extremen 
Allgemeinheil seiner Bedeutung ver- 
dankt. für die die Aufklärung geradezu 
mit 'List" des Odysseus beginnt ("Wie 
die Erzählung von den Sirenen die Ver- 
schränktheit von Mythos und rationaler 
Arbeit in sich beschließt, so legt die 
Odyssee insgesamt Zeugnis ab von der 
Dialektik der Aufklärung": siehe "Exkurs 
1, Odysseus oder Mythos und Aufklä- 
rung' (3)] und - über Bacon und das Auf- 
kommen der experimentellen Wissen- 
schaft - mit Sade und Nietzsche endet: 
"Das Wert; Sades, wie dasjenige Nietz- 
sches ... steigert das s/.ientivischc Prinzip 
ins Vernichtende" (4) (siehe "Exkurs 1 1 . 
Juliette oder Aufklärung und Moral"). 
Der alte Hegel jedoch (der Schutzheilige 
unserer Autoren) hatte (abgesehen auch 
von der historischen Unzweideutigkeit 
der “Phänomenologie" in dem Abschnitt 
über die kamischc "Moralität", in wel- 
cher sich für ihn das aufklärerische Be- 
wußtsein einer unmittelbaren Freiheit 
auflött) auf die historische Substanz der 
Aufklärung weder in den "Vorlesungen 
über die Geschichte der Philosophie" 
Verzicht getan, in denen es beispielswei- 
se heiß«: "Was daher in den französi- 
schen philosophischen Schriften ... be- 
wunderungswürdig ist. ist die erstaunli- 
che Energie und Kraft des Begriffs gegen 
die Existenz, gegen den Glauben, gegen 
alle Macht der Autorität seit Jahrtausen- 
den" (5), noch in den "Vorlesungen über 
die Philosophie der Geschichte", in de- 
nen sich die berühmten Seiten über die 
"Tugend" Robespierrcs usw. finden. So 
viel steht fest: die "Dialektik" unserer 
gebildeten Autoren schwebt über der Ge- 
schichte. schwebt. Das Ende ihres Flu- 
ges, wenn wir so sagen wollen, wäre die 
Überschreitung der bürgerlichen (mit der 
Aufklärung geborenen) Zivilisation oder 
auch ihre ideologische Widerlegung, aus 
Gründen, die jetzt nicht mehr schwer zu 
erraten sind: "Aufklärung hatte als bür- 
gerliche längst vor Turgot und 
d'Alctnbcit sich an ihr positivistisches 



137 


[szientivisches] Moment verloren. Sic 
war vor der Verwechslung der Freiheit 
mit dem Betrieb der Sclbstcrhaltung 
(oder der Anwendung der Kategorie des 
Nützlichen ) nie gefcit".(6) "Je weiter aber 
der Prozess der Selbsterhaltung durch die 
bürgerliche Arbeitsteilung geleistet wird, 
um so mehr erzwingt er die Sclbstcntäu- 
ßcning der Individuen, die sich an Leib 
und Seele nach der technischen Appara- 
tur zu formen haben“ (6a) ... . So bliebe 
das Verhältnis der Notwendigkeit zum 
Reich der Freiheit bloß quantitativ, me- 
chanisch, und Natur, ... wurde Totalität 
und absorbierte die Freiheit ... Mit der 
Preisgabe des Denkens [Selbstrcflcxion 
oder Selbstbewußten], das in seiner 
verdinglichten Gestalt als Mathematik. 
Maschine, Organisation an den seiner 
vergessenden Menschen sich rächt, hat 
Aufklärung ihrer eigenen Verwirklichung 
entsagt.” (7) Wie man sicht, handelt cs 
sich um die soundsovielte spiritualisti- 
sche. im Grunde romantische, Reaktion 
gegen die Technik und die moderne ge- 
sellschaftliche Organisation. Worum es 
diesen romantischen und folglich der 
bürgerlichen Welt, die sie aufs Korn neh- 
men. verhafteten Kritikern geht, ist tat- 
sächlich die Versachlichung und Ver- 
dinglichung nicht so sehr des menschli- 
chen Wesens, des wirklichen menschli- 
chen Individuums, sondern eher des Den- 
kens. des Sclbstbewußtseins oder des 
Geistes: "Aufklärung", wiederholen sic 
Schopenhauer, "hat die klassische Forde- 
rung. das Denken zu denken ... beiseite- 
geschoben. weil sie vom Gebot, der Pra- 
xis zu gebieten, ablenke ... ” (8) Und: 
'Ule Verweisung des Denkens aus der 
(modernen symbolischen] Logik ratifi- 
ziert im Hörsaal die Versachlichung des 
Menschen in Fabrik und Büro” (9) - hier 
wird der Romantizismus konfus und ver- 
fährt kontaminierend. Die Verdingli- 
chung des realen Individuums, des Men- 
schen ln der Fabrik und Im Büro, laßt 
sich durchaus nicht mit der Dekadenz des 
Kultes von Geist und Innerlichkeit erklä- 
ren, sondern, nach Marx, durch die Öko- 
nomie und die Ethik der bürgerlichen 
Klasse, wobei die letztgenannte gerade 
durch die platonisiercndc oder idealisti- 
sche und spiritualisiischc Auffassung des 
menschlichen Wesens konstituiert wurde, 
in deren Schutz der bürgerliche Besitzin- 
dividualismus und das Ideal seiner 
“heiligen Persönlichkeit" und die daraus 
folgende wirklichs Entäußerung des 
Menschen sich verbirgt. Es ist also alles 
genau umgekehrt: die bürgerliche 

ökonomische Struktur mit ihrem spiri- 
tualistischcn aristokratischen kulturellen 
Überbau erklärt die Versachlichung des 
Menschen in Fabrik und Büro usw. und 
seine Entäußerung: jene Entäußerung, 
welche das "sich verhärtende" oder "sich 


versachlichende" selbstbewußte Denken 
(oder Geist) als "Mathematik. Maschine" 
usw. usw*. nicht zu erklären vermag, ab- 
gesehen von der voraussehbaren Tatsa- 
che, daß die Wissenschaft und ihre An- 
wendungen (Früchte der angeblichen 
"Verhärtung” des Geistes) einen Teil 
dessen ausmachen werden, was das Po- 
sitivere des bürgerlichen Vermächtnisses 
an die zukünftige Zivilisation sein wird. 
Denn nicht die Maschine, die Technik an 
sich, bedroht die Autonomie des 
menschlichen Individuums, sondern (und 
hier kommen wir auf den wichtigeren 
Punkt, der deutlicher hervortreten sollte) 
der Gebrauch, den die Menschen in ihren 
gesellschaftlichen Verhältnissen einer die 
andere ausbeutenden und unterdrücken- 
den Klasse davon machen. Die Technik 
ist in sich selbst optimal, insofern sie ein 
unerläßliches Instrument des fortgeschrit- 
tenen menschlichen Lebens ist, sie ist je- 
doch wesentlich ein gesellschaftliches 
Instrument und ihre größere oder gerin- 
gere menschlich-erzieherische Wirksam- 
keit hängt letztlich von der größeren oder 
geringeren Menschlichkeit der Gesell- 
schaft ab, welche sie anwendet. Und hier 
bietet sich die einzige Möglichkeit der 
dialektischen Entwicklung und der Ver- 
wirklichung des historischen moralischen 
Gehalts der Aufklärung (der "Achtung" 
vor dem realen menschlichen Indivi- 
duum), über den unsere Autoren hinweg- 
gegangen sind. Obwohl sie sich davon 
unterscheiden wollen, reihen sie sich in 
eben jene Schar von "Kritikern der Zivi- 
lisation" ein, zu denen Huizingo, Ortega 
y Gasset und Jasp:rs gehören, um die 
bedeutenderen zu nennen. Ihnen allen 
gemeinsam ist nämlich ein gewisses ari- 
stokratisches Nicht-Ertragcn können 
nicht nur der Technik, sondern auch 
(natürlich) der "Massen" (im allgemei- 
nen) und ihrer "barbarischen" Kultur, die 
hinter der Technik der mass-media 
drängt. 

"Die Regression der Massen heute" - so 
lamentieren unsere demokratischen Äs- 
theten - "ist die Unfähigkeit, mit eigenen 
Ohren Ungehörtes hören. Unergriffenes 
mit eigenen Händen fassen zu können, 
die neue Gestalt der Verblendung, die je- 
de besiegle mythische ablöst." (9a) 
Unvermeidlich sind diese Kritiker dieser 
"Krise" oberflächlich, denn sie sind de- 
ren hauptsächliche (mehr oder weniger 
berühmten) Patienten. (10) 

Abschließend noch eine Dctailbcobach- 
tung zu einer typischen "dialektischen" 
Vergewaltigung eine«: Grundgedanken«. 

Spinozas: "Comntiseratio - sagen unsere 
brillanten Autoren - ist Menschlichkeit in 
unmittelbarer Gestalt, aber zugleich 'mala 
et inutilis' [vgl. Spinoza, Ethik], nämlich 
als das Gegenteil der männlichen Tüch- 
tigkeit". der "römischen virtus". 


"Weibisch und kindisch nennt Clairwil 
(vgl. Sade] das Mitleid. "(I I) 

Nun sagt Spinoza gerade an der zitierten 
Stelle, im Fünfzigsten Lehrsatz, des vier- 
ten Teils: "Mitleid ist bei einem Mensc- 
hen. der nach der Leitung der Vernunft 
lebt, an und für sich schlecht und un- 
nütz”; (12) im Beweis erklärt er, daß 
"Mitleid ... Unlust (ist) (also ein besonde- 
rer 'Affekt' oder Passivität bzw. Irratio- 
nalität] und daher an und für sich 
schlecht" und "das Gute .... das aus ihm 
folgt, daß wir nämlich den bemitleideten 
Menschen von seinem Leid zu befreien 
suchen .... suchen wir nach dem bloßen 
Gebot der Vernunft zu tun ... ; und nur 
von dem. was wir rach dem Gebot der 
Vernunft tun, können wir gewiß wissen, 
daß es gut ist ... . Daher ist Mitleid bei 
einem Menschen, drr nach der Leitung 
der Vernunft lebt, an und für sich 
schlecht und unnütz.' Und er schließt die 
Anmerkung "Denn wer weder durch die 
Vernunft noch durch Mitleid bewegt 
wird, anderen Hilfe zu leisten, der wird 
mit Recht unmenschlich genannt, denn er 
scheint ... mit einem Menschen keine 
Ähnlichkeit zu haben.“ (13) 

Was hat also der leilige Spinoza - für 
den ebenfalls derjenige, der sich bemüht, 
die anderen nach der Vernunft zu leiten, 
nicht aus Affekt, sondern menschlich 
und gütig handelt - mit dem römischen 
virtus und - geradezu unaussprechlich 
mit dem skrupellosen, verbrecherischen 
Kalkül der Lehrerin und Komplizin im 
Sadismus von "Julicttc" zu tun? Wie 
kann man übersehen, daß Spinozas Vor- 
behalte gegen das 'Mitleid" durch den 
ethischen Rigorismus seines Rationalis- 
mus bedingt sind, dem gegenüber das 
Gefühl des Mitleids nicht bestehen kann, 
es sei denn fautc-Je-mieux'! Mißgriffe 
dieser Art lassen sich - in ernsthaften Un- 
tersuchungen - nur mit den Flügen einer 
unbefangen phantasierenden Dialektik 
erklären: das bestätigt im übrigen, was 
oben über das antiaufklärcrischc und an- 
tirationalistische Paradox dieser beiden 
spätromantischen Ideologen gesagt 
wurde. 

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138 


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Vofcfl 1972 S. 312 (SWmr* QdVJ 
(13) Öd. S. 313 

MARCUSES MORALISMUS UND 
UTOPISMUS 

Da wir bei dem Thema Ideologie und 
Utopie sind, wollen wir die Leser noch 
auf Herbert Marcuse hinweisen. dessen 
letztes Buch "Orc-dimensional Man” 
(Boston 1964; Neuwied-Berlin 1967) 
den naiven und verwirrenden Untertitel 
"Sludics in Ihc Ideology of odvanccd in 
dustrial society“ trägt. Gewiß zeigt dieses 
Buch (vielleicht das beste Marcuses) eine 
viel breitere und angespanntere Aufmerk- 
samkeit auf die Tauachen der gegenwär- 
tigen bürgerlichen amerikanischen und 
amerikanisierten Kultur als das Buch von 
Horkheimer und Adorno, das fast aus 
schließlich auf das Phänomen der mass- 
media eingeht. Das wird schon gleich in 
den ersten Zeilen der Vorrede deutlich: 
"Dient nicht die Bedrohung durch eine 
atomare Katastrophe, die das Menschen- 
geschlecht auslöschen könnte, ebenso- 
sehr dazu, gerade diejenigen Kräfte zu 
schützen, die diese Gefahr verewigen? ... 
(wir) stehen der Taisache gegenüber, daß 
die fongeschrittene Industriegesellschaft 
reicher, größer und besser wird, indem 
sic die Gefahr verewigt. Die Verteidi- 
gungsstruktur erleichtert das Leben einer 
größeren Anzahl von Menschen und er- 
weitert die Herrschaft des Menschen über 
die Natur. Unter diesen Umständen fällt 
cs unseren Massenmedien nicht schwer, 
partikulare Interessen als die aller ein- 
sichtigen Leute zu verkaufen. ... Und 
doch ist diese Gesellschaft als Ganzes ir- 
rational. Ihre Produktivität zerstört die 
freie Entwicklung der menschlichen Be- 
dürfnisse und Anligen, ihr Friede wird 
durch die beständige Kriegsdrohung auf- 
recht erhalten, ihr Wachstum hängt ab 
von der Unterdrückung der realen Mög- 
lichkeiten. den Kampf ums Dasein zu be- 
frieden.” (I) Und so weiter, den Haupt- 
aspekten der fortgeschrittenen Indu- 
stricgesellschaft folgend: von den 

"neuen Formen der Kontrolle" ("Eine 
komfortable, reibungslose, vernünftige 
demokratische Unfreiheit herrscht in der 
fortgeschrittenen industriellen Zivilisati- 
on. ein Zeichen technischen Fortschritts 
... (In der Übcrflußgcscllschaft) erzwin- 
gen die sozialen Kontrollen das überwäl- 
tigende Bedürfnis nach Produktion und 
Konsumtion von unnützen Dingen; das 
Bedürfnis nach abstumpfender Arbeit, 
wo sie nicht mehr wirklich notwendig ist; 
das Bedürfnis nach Arten der Entspan- 


nung, die diese Abstumpfung mildem 
und verlängern; das Bedürfnis, solche 
trügerischen Freiheiten wie freien Wett- 
bewerb bei vcrordnelcn Preisen zu erhal 
ten. eine freie Presse, die sich selbst 
zensiert, freie Auswahl zwischen gleich- 
wertigen Marken und nichtigem Zube- 
hör" (21) bis zur "Abriegelung des Poli- 
tischen" ("Die neu: technische Arbeits- 
welt erzwingt so eine Schwächung der 
negativen Position der arbeitenden Klas- 
se ... . Mit dem trchnischcn Fortschritt 
als ... Instrument wird Unfreiheit - im 
Sinne der Unterwerfung des Menschen 
unter seinen Produktionsapparat - in Ge- 
stalt vieler Freiheiten und Bequemlich- 
keiten verewigt” (32)) und zur 
"Absperrung des Universums der Re- 
de" oder "gesellschaftlichen Denkge- 
wohnheiten' ("Diese Art des Wohlerge- 
hens ... durchdringt die 'Medien', die zwi- 
schen den Herren und ihren Dienern 
vermitteln. Ihre Reklameagenten modeln 
das Universum der Kommunikation, in 
dem das eindimensionale Verhalten sich 
ausdrückt” (4)) und schließlich zum 
"Triumph des positiven Denkens", al- 
so des neopositivistischen, szientisti- 
schen, mathematisierenden und forma- 
listischen und damit antidialcktischcn 
(oder dem "negativen“ Denken entgegen- 
stehenden) und zugleich antihistori- 
schen Denkens - kurz, der eigentlichen 
Philosophie der technologischen Welt 
und ihrer idealen oder vielmehr ideo- 
logischen Garantie : "Aber dieses radika- 
le Hinnehmen des Empirischen verletzt 
das Empirische (die Wirklichkeit, die 
Geschichte); denn in ihm spricht das ver- 
stümmelte. 'abstrakte' Individuum sich 
aus. das nur das erfährt (und ausdrückt), 
was ihm (in einem wörtlichen Sinne) ge- 
geben ist, das nur die Fakten und nicht 
die Faktoren hat. dessen Verhalten ein- 
dimensional und manipuliert ist" (5) 
(worauf die Macht in der fortgeschritte- 
nen IndustriegcselUchaft beruht). Wie 
schon gesagt, die Fakten, die die gegen- 
wärtige bürgerliche Gesellschaft konsti- 
tuieren, werden dargestellt und die do- 
kumentarische Analyse ist nahezu er- 
schöpfend (eine Reihe von Problemen 
haben wir hier auslassen müssen): und 
dennoch ist .ihre Diagnose und 
"therapeutische” Einschätzung verworren 
und die Schlußfolgerungen vage und uto- 
pisch. Nehmen wir als Beispiel das zen- 
trale Phänomen der fortschreitenden 
technischen Entwicklung; "Ich gab zu 
verstehen, daß sich erweiternde Automa- 
tion mehr ist als ein quantitatives An- 
wachsen der Mechanisierung - daß sie 
ein Wandel im Charakter der grundle- 
genden Produktivkräfte ist. Es scheint, 
daß die bis zu den Grenzen des technisch 
Möglichen getriebene Automation mit 
einer Gesellschaft unvereinbar ist, die auf 


der privaten Ausbeutung menschlicher 
Arbeitskraft im Produktionsprozeß be- 
ruht. Fast ein Jahrhundert vor der Ver- 
wirklichung der Automation faßte Marx 
ihre sprengenden Aussichten ins Auge.” 
(6) Nur läßt das von Marcuse gegebene 
Zitat aus den "Gninilrissen der Kritik der 
politischen Ökonomie”, das seine These 
von der Automation als dem großen Ka- 
talysator der fortgeschrittenen Industric- 
gesellschnft" belegen soll, die folgenden 
Marxschcn Texte beiseite, die unseren 
Verfasser vollkommen dementieren: 
"Das Kapital ist selbst der prozessierende 
Widerspruch dadurch, daß es die Ar- 
beitszeit auf ein Minimum [vermittels 
des technologischen Fortschritts, der in 
der Automation kulminiert) zu reduzie- 
ren sucht*, während cs andererseits die 
Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle 
des Reichtums setzt. Es vermindert die 
Arbeitszeit daher in der Form der not- 
wendigen, um sie za vermehren in der 
Form der überflüssigen; setzt daher die 
überflüssige in wachsendem Maß als 
Bedingung - question de vic et de mort - 
für die notwendige ... . Die Schöpfung 
von viel disposablc time außer der not- 
wendigen Arbeitszeit .... diese Schöpfung 
von Nicht-Arbeitszeit erscheint auf dem 
Standpunkt des Kapitals ... als Nicht-Ar- 
beitszeit. freie Zeit (nur] Für einige ... . 
(Das Kapital) ist so, malgr6 lui. instru- 
mental in ercating the means of social 
disposablc time, um die Arbeitszeit für 
die gesamte Gesellschaft auf ein fallen- 
des Minimum zu reduzieren, und so die 
Zeit aller frei für ihre eigne Entwicklung 
zu machen .... Je mehr dieser Wider- 
spruch sich entwickelt, um so mehr stellt 
sich heraus, daß das Wachstum der Pro- 
duktivkräfte nicht mehr gebannt sein 
kann an die Aneignung fremder surplus 
labour, sondern die Arbeitermasse selbst 
ihre Surplusarbeit sich aneignen muß ... . 
Es ist dann keineswegs mehr die Arbeits- 
zeit, sondern die disposablc time das 
Maß des Reichtums." ("Grundrisse“. 
Berlin 1953, S. 593, 595-596) Während 
also Marcuse heute utopistisch geradezu 
behauptet: "einmal zum materiellen Pro- 
duktionsprozeß schlechthin geworden, 
würde Automation die ganze Gesell- 
schaft revolutionieren - und 'vollständige 
Automation im Reich der Notwendigkeil 
würde die Dimension freier Zeit als die- 
jenige eröffnen, in der das private und 
gesellschaftliche Sein sich ausbildcn 
würde" (7), hat Marx vor fast einem Jahr- 
hundert exakt vorausgcschcn, daß der 
Kapitalismus, in einen neuen extrem wi- 
dersprüchlichen Prozeß versenkt, zum 
Zwecke des Profits • question de vie et 
de mort - auch die die Produktion alles 
Überflüssigen oder die Schöpfung neuer 
Bedürfnisse vermittelnde Automation be- 
herrschen, gleichzeitig jedoch malgrt lui 



139 


- in einer zukünftigen ökonomisch-jorffl- 
len Revolution - Instrument der Schaf- 
fung freier Zeit für alle sein würde. 

Die Wahrheit ist. daß Marcuse in diesem 
Duch in der Methode unentschieden 
bleibt und deswegen im vorliegenden 
Fall (trotz der Hinweise von Marx) die 
klassenbezogene, alio materialistisch-hi- 
storische, Formulierung des Problems der 
kapitalistischen Produktivität nicht liefert 
und so. ohne es zu wollen, durch seinen 
soziologischen fideistischen und utopi- 
stisclien Standpunkt gegenüber der Auto- 
mation zur "Ideologie der fortgeschritte- 
nen (hyperbUrgerlichcn) Industriegesell- 
schaft". zu ihrer Stärkung und zur 
"Abriegelung" ihres politischen Univer- 
sums beiträgt. (8) Richtig ist. daß ein 
solcher Standpunkt sich dann in einer 
Theorie der "Neubcstimmung der Werte 
[vielmehr: der "Endjrsachcn"] in techni- 
schen Begriffen, als Elemente(n) des 
technologischen Prozesses" entfaltet: 
"die geschichtliche Leistung von Wissen- 
schaft und Technik hat die Übersetzung 
der Werte in technische Aufgaben er- 
möglicht die Materialisierung der 
Werte." (9) Zum Beispiel: "Berechenbar 
ist das Minimum an Arbeit, mit dem, und 
das Maß, in dem die Lebensbedürfnisse 
aller Mitglieder einer Gesellschaft be- 
friedigt werden könnten - vorausgesetzt. 
daß die verfügbarer. Ressourcen zu die- 
sem Zweck verwandt wurden, ohne 
durch andere Interessen eingeschränkt zu 
sein und ohne daß die Akkumulation des 
Kapitals behindert würde, dessen cs zur 
Entwicklung der jeweiligen Gesellschaft 
bedarf. Mit anderen Worten: quaritifi- 
zierbar ist der verfügbare Spielraum der 
Freiheit von Mangel.'(lO) Gewiß, die 
Hindernisse, die der Verwirklichung der 
Werte entgegenstehen sind "bestimmbare 
politische Hindernisse".(l 1) Marcuse 
kann cs nicht verhehlen,' daß die Antwort 
moralistisch und utopistisch ist: "... die 
ehemals metaphysischen Ideen der Befre- 
iung (können) zum geeigneten Gegen- 
stand der Wissenschaft werden. Aber 
diese Entwicklung konfrontiert die Wis- 
senschaft mit der unangenehmen [sic!] 
Aufgabe, politisch ni werden - das wis- 
senschaftliche Bewußtsein als politisches 
Bewußtsein anzuerkennen und das wis- 
senschaftliche Unternehmen als politi- 
sches. Denn die Überführung der Weite 
in Bedürfnisse, der Endursachen in 
technische Möglichkeiten ist eine neue 
Stufe der Unterwerfung oppressiver. un- 
bcwältigtcr Kräfte der Gesellschaft und 
der Natur ... . Denn die technologische 
Neubestimmung unJ die technische Mei- 
sterung der Endursachen ist der Aufbau, 
die Entwicklung und Anwendung der 
(materiellen und geistigen) Ressourcen. 
befreit von allen partikularen Interessen, 
die die Befriedigung der menschlichen 


Bedürfnisse und die Entfaltung der 
menschlichen Anlagen behindern. Mit 
anderen Worten, sic ist dis rationale Un- 
ternehmen des Menschen als Menschen, 
das der Menschheit. Die Technik kann so 
die geschichtliche Korrektur der verfrüh- 
ten Identifikation von Vernunft und Frei- 
heit herbeifuhren, dcr/ufolgc der Mensch 
mit dem Fortschreitcn der sich selbst per- 
petuicrenden Produktivität auf der Basis 
von Unterdrückung frei werden und blei- 
ben könne."(l2) Und so ist "die von ih- 
ren ausbeuterischen Zügen befreite 
technologische Rationalität der einzige 
Maßstab und Wegweiser für die Planung 
und Entwicklung der verfügbaren Res- 
sourcen für allc."(l3) Andererseits müsse 
man zugestehen, daß "diese Korrektur 
niemals das Ergebnis des technischen 
Fortschritts selber sein" könne und daß 
sie "eine politische Umwälzung notwen- 
dig" mache. (14) Im Namen welcher Sa- 
che? Der (technologischen) 
"Wissenschaft" im Dienst der 
"Menschengattung", der "Menschheit”, 
großgeschrieben, wie sic. mutatis mut- 
andis. der treuherzige' Marcuse des 19. 
Jahrhunderts, Auguste Comtc. der weltli- 
che Prophet und Pipst, verheißen hat? 
Eine ziemlich vage politische Bedrohung 
für die Machthaber in der fortgeschritte- 
nen Industriegesellschaft. 

Diese (heute) starke Strömung des 
(überholtesten) Utopismus ist sicherlich 
eine der zahllosen Bsstätigungen a contr- 
ario der realistische Grundthesen des 
historischen Materialismus: von der öko- 
nomisch-klassenmäßigen Formulierung 
des Problems der menschlichen 
"Befreiung" bis zu der der historischen 
"Entwicklung” des Problems selbst, die 
auch wohlbekannt ist und von Marcuse 
explizit widerlegt wird ("Was folgt dar- 
aus? Daß 'Befreiung der inhärenten 
Möglichkeiten' die geschichtliche Alter- 
native nicht mehr angemessen ausdrückt” 
[15]). Feststeht, daß die "Dialektik" und 
die “dialektischen Begriffe" des 
"negativen" Denkens, die er lebhaft ge- 
gen das "positive" Denken des gegen- 
wärtigen Szientismus verteidigt, noch 
hegelianisch oder hegelianischen Typs 
sind (und darin vor allem unterscheidet 
sich der Philosoph Marcuse von dem - 
positivistischen - Philosophen Comte): 
"Das dialektische Denken versteht die 
kritische Spannung zwischen 'ist' und 
'sollte sein' zunächst als einen ontologi- 
schen Sachverhalt, der der Struktur des 
Seins selbst zukommt ... . Die gegebene 
Wirklichkeit hat ibre eigene Wahrheit; 
die Anstrengung, sie als solche zu begrei- 
fen und über sie hinauszugehen. setzt ei- 
ne andere Logik [die des 'sollte sein'], ei- 
ne widersprechende Wahrheit voraus ... . 
Als geschichtlicher Prozeß schließt der 
dialektische Prozeß Bewußtsein ein: daß 


die befreienden Potentialitäten erkannt 
und erfaßt werden. Damit schließt er 
Freiheit ein ... die Freiheit, die ein not- 
wendiges Aprinri der Befreiung ist [sic]. 
Darin besteht Denkfreiheit in dem einzi- 
gen Sinne, in dem das Denken in der 
verwalteten Welt frei sein kann - als das 
Bewußtsein ihrer repressiven Produktivi- 
tät und als das absolute Bedürfnis . aus 
diesem Ganzen auszubrechen."(16) Den- 
noch besteht Marcuse entschieden (und 
verdienstvollerweise) auf der histori- 
schen Verantwortung der Philosophie: 
jene methodische Unentschiedenheit, 
von welcher oben die Rede war. enthüllt 
sich schließlich als eine Un entschieden- 
heit zwischen Hegel und Marx. 

Und die Schlußfolgerungen? Gesetzt, 
daß in die Bannfbrtnel ("die industrielle 
Gesellschaft" etc.) unterschiedslos auch 
die sozialistische Sowjetgesellschalt 
einbezogen ist ("Die totalitäre Tendenz 
dieser [technischen sozialen] Kontrollen 
scheint sich ... durehmsetzen ... dadurch, 
daß sic Ähnlichkeiten in der Entwicklung 
von Kapitalismus und Kommunismus 
hervorbringt" etc. etc.), was wird in letz- 
ter Instanz dank dieser Politik der 
Wissenschaft zu erlösen bleiben, wenn 
nicht die, die an den äußersten, uner- 
heblichsten Rändern der Geschichte 
leben? Wenn die Vclkssouvcriinität eine 
"Illusion" ist. weil "das 'Volk', früher das 
Ferment gesellschaftlicher Veränderung, 
... ’aufgestiegen' (ist), um zum Ferment 
gesellschaftlichen Zusammenhalts zu 
werden", bleibt jedoch "unter der konser- 
vativen Volksbasis ... das Substrat der 
Geächteten und Außenseiter die Ausge- 
beuteten und Verfolgten anderer Rassen 
....", die Subprolctaricr. die “außerhalb 
des demokratischen Prozesses" existieren 
(17) - oder das Lumpenproletariat 
(i.O.dt.) seligen Manschen Angedenkens 
. In dieser Verkleidung wäre das 
"Gespenst" "wieder da", wenngleich 
Marcuse nicht verbergen kann, daß die 
"ökonomischen und technischen Kapazi- 
täten der bestehenden Gesellschaften ... 
umfassend genug (sind), um Schlichtun- 
gen und Zugeständnisse an die Benach- 
teiligten zu gestatten, und ihre bewaffne 
ten Streitkräfte hinreichend geübt und 
ausgerüstet (sind), um mit Notsituationen 
fertig zu \vcrden."(l8) Und so (Marcuse 
verhehlt es nicht) besitzt "die kritische 
Theorie der Gesellschaft ... keine Begrif- 
fe. die die Kluft zwischen dem Gegen- 
wärtigen und seiner Zukunft übcrbrücken 
könnten; indem sic nichts verspricht (sic) 
und keinen Erfolg zeigt [sic] bleibt sie 
negativ" - rein negativ. "Damit will sie 
jenen die Treue halten, die ohne Hoff- 
nung ihr Leben der Großen Weigerung 
hingegeben haben und hingeben. "(19) 
Abschließend kann man leider sagen, daß 
Marcuse. sei cs mit jener utopischen 



140 


"Politik der Wissenschaft” (die er auf ei- 
ne ferne Zukunft zu vertagen scheint), sei 
es mit jener gegenwärtigen "großen Wei- 
gerung". ungewollt jener Fähigkeit, die 
gesellschaftliche Veränderung aufzuhal- 
ten, die für Marcuse der vielleicht cha- 
rakteristischste Erfolg der fortgeschritte- 
nen (hyper-bürgerlichen) Industriegesell- 
schaft ist, seine ideologische Unterstüt- 
zung gibt. (20) 

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*10. saVi 

(I) H Uinvo«. *D«c (nfr-aucro)* M*r*ft. Sb4*n n* U.»»* dm 

kn/nOiimc ln»a*riagri«<M«r. 1*67. S 1MI 

C?)EM.S 21irdS.27 

(3)EM.SS2 

(«EM.S KHßpamngGiV) 

(5) EM. 5 196-197 

(6) EM_S $5 (Sptmrg Gev.) 

(0EM.S.47 

10 HUikfi ad mOt mOmikfi H <ta LtUin Haut Uuoi* m» Om 
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Ulfc, B>*n. bi vartrtan laehwft ba***| * Uarcu». Zim Bm 
Wal Obm *sHi * Kam*’ ad In »coxi*f*i Gftrt*: 'Htfi 
totn*w Kd ta*, aptoi ut* orr*A M *««■ k> la WO H 
to» d roW (Mraril _ IW> raqun ( Umog I • f» «U«'C* a 
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mtniien c» Hat), Ktn: «Mio« *dw. Uan lu-OH rurrah rav 
Jimrtgm. <*£ d*( Vadata« d*< "Gaia»«** *n Ct**ß' Man p* 
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f!|Uirao*»»0.S.?« 

(1WEM. (Sparjy-Gd VJ 

(II) EM 

(i«cm.c. autit 

( 13 ) an. s. 26? 

(M)Bd.S.WS 

(15) Bd.SJM 

(16) Bd. S. 149. 158. 234. IW 

(17) EM. S. »» 

(16) EM. S. 287-2(4 

(19) EM 

( 20 ) Zu Uaruso v\». »Oi di fatoj*. aiai InOix» Raremin i*r*& 
Utmm fasaar«h*n) Bxha» T'imrf ird BivoUxn* Kt Ka- 
Sata Nai^Mdeartn 1K2) dnh UKtt CeMB (M Tmi* tao* vom 4. 
kUn 1968» El MnaM ettn mm aMaom. xt«TUng: *Oai* Im- 
sdnng dw C«igt -acnacatiUmdtfaU Ukojm adaangsudm- 
t*h da Havouaen nnMN ■ laakaal Hapi «MM a«Mi CUlaU» 

F j M*$* »**Oi rMUan Wi 4m 7r»*u>g Oai Oog.’ *rf*o 
4*rh uran tdaiEteem lad nv Mm ¥ 4* Dnja »Mw irt. 
« i*(«*a< M. wa» n«N ingasaji Waban *o»a. r*ti mf* Onga. 
»Mm nt r«h VcmUrotn WM). -*v*v. Uitom 0m altt 
«*to*hi wmrc-Mi 'itvaUcnkn ux) Kn*M»«hep Hin* 

iwrvT WH' S«a uliU« Hmtf M Ml VbOMwm L« 

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<ar«rtirqd*«Hj: 

Cka hat Ea^v gauraan Sukn itO «r OOpna g • i p • 1 1 1 j*4utt 
O« imao H*ewih*t«X9«i aawran ^ dan Hb. 


Karl Marx und Friedrich Engels 

Über die revolutionäre 
Rolle der Bourgeoisie 

Auszug aus dem Kommunistischen 
Manifest 

Die Bourgeoisie hat in der Geschichte 
eine hrtchs: revolutionäre Rolle gespielt. 
Die Bourgeoisie, wo sic zur Herrschaft 
gekommen, hat alle feudalen, patriarcha- 
lischen, idyllischen Verhältnisse zerstört. 
Sic hat die buntscheckigen Fsudalbande. 
die den Menschen an seinen natürlichen 
Vorgesetzen knüpften, unbarmherzig zer- 
rissen und kein anderes Band zwischen 
Mensch und Mensch übrig gelassen als 
das nackte Interesse, als die gefühllose 
"bare Zahlung". Sic hat den heiligen 
Schauer der frommen Schwärmerei, der 
ritterlichen Begeisterung, der spießbür- 
gerlichen Wehmut in dem eiskalten Was- 
ser egoistischer Berechnung ertränkt. Sic 
hat die persönliche Würde in den 
Tauschwer, aufgelöst und an die Stelle 
der zahllosen verbrieften und wohler- 
worbenen Freiheiten die eine gewissen- 
lose Handelsfreiheit gesetzt. Sic hat, mit 
einem Wort, an die Stelle der mit religiö- 
sen und politischen Illusionen verhüllten 
Ausbeutung die offene, unverschämte, 
direkte, dürre Ausbeutung gesetzt. 

Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwür- 
digen und mit frommer Scheu betrachte- 
ten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins 
entkleidet. Sic hat den Arzt, d:n Juristen, 
den Pfaffen, den Poeten, den Mann der 
Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnar- 
beiter verwandelt. Die Bourgeoisie hat 
dem Familienverhältnis seinen rührend- 
sentimentalen Schleier abgerissen und cs 
auf ein reines Geldverhältnis zurückge- 
führt. 

Die Bourgeoisie hat enthüllt, wie die bru- 
tale Kraftäjßerung, die die Reaktion so 
sehr am Mittelalter bewundert, in der 
trägsten Bärenhäuterei ihre passende Er- 
gänzung fand. Erst sic hat bewiesen, was 
die Tätigkeit der Menschen zustande 
bringen kann. Sie hat ganz andere Wun- 
derwerke vollbracht als ägyptische Pyra- 
miden, römische Wasserleitungen und 
gotische Kathedralen, sic hat ganz andere 
Züge ausgeführt als Völkerwanderungen 
und Kreuzzüge. 

Die Bourgeoisie kann nicht existieren, 
ohne die Produktionsinstrumente, also 
die Produktionsverhältnisse, also sämtli- 
che gesellschaftlichen Verhältnisse, 
fortwährenJ zu revolutionieren. Unver- 
änderte Beibehaltung der alten Produkti- 
onsweise war dagegen die erste Exi- 
stenzbedingung der früheren industriel- 
len Klassen. Die fortwährende Umwäl- 
zung der Produktion, die ununterbroche- 


ne Erschütterung aller gesellschaftlichen 
Zustände, die ewige Unsicherheit und 
Bewegung zeichnet die Bourgeosepoche 
vor allen anderen aus. Alle festen, einge- 
rosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge 
von altchrwürdigcn Vorstellungen und 
Anschauungen werden aufgelöst, alle 
neugebildctcn veralten, ehe sie verknö- 
chern können. Alles Ständische und Ste- 
hend; verdampft, alles Heilige wird ent- 
weih*. und die Menschen sind endlich 
gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre ge- 
genseitigen Beziehungen mit nüchternen 
Augen anzusehen. 

Das Bedürfnis nach einem stets ausge- 
dehnteren Absatz für ihre Produkte jagt 
die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. 
Überall muß sie sich einnisten, überall 
anbauen, überall Verbindungen herstel- 
len. 

Die Bourgeoisie hat durch ihre Exploita- 
tion des Weltmarkts die Produktion und 
Konsumtion aller Länder kosmopolitisch 
gestaltet. Sie hat zum großen Bedauern 
der Reaktionäre den nationalen Boden 
der Industrie unter den Füßen weggezo- 
gen. Die uralten nationalen Industrien 
sind vernichtet worden und werden noch 
täglich vernichtet. Sic werden verdrängt 
durch neue Industrien, deren Einführung 
eine Lebensfrage für alle zivilisierten Na- 
tionen wird, durch Industrien, die nicht 
mehr einheimische Rohstoffe, sondern 
den entlegensten Zonen angchörige Roh- 
stoffe verarbeiten und deren Fabrikate 
nicht nur im Lande selbst, sondern in al- 
len Weltteilen zugleich verbraucht wer- 
den. An die Stelle der alten, durch Lan- 
dcscizcugnissc befriedigten Bedürfnisse 
treten neue, welche die Produkte der ent- 
ferntesten Länder und Klimate zu ihrer 
Befriedigung erheischen. An die Stelle 
der alten lokalen und rationalen Selbst- 
genügsamkeit und Abgeschlossenheit 
tritt ein allsciligcr Verkehr, eine allscitigc 
Abhängigkeit der Nationen untereinan- 
der. Und wie in der materiellen, so auch 
in der geistigen Produkbon. Die geistigen 
Erzeugnisse der einzelnen Nationen wer- 
den Gemeingut. Die nationale Einseitig- 
keit und Beschränktheit wird mehr und 
mehr unmöglich, und aus vielen nationa- 
len und lokalen Literaturen bildet sich 
eine Weltliteratur. 

Die Bourgeoisie reißt durch die rasche 
Verbesserung aller Produktionsinstru- 
mente, durch die unendlich erleichterten 
Kommunikationen alle, auch die barba- 
rischsten Nationen in die Zivilisation. 
Die wohlfeilen Preise ihrer Waren sind 
die schwere Artillerie, mit der sic alle 
chinesischen Mauern in den Grund 
schießt, mit dem sie den hartnäckigsten 
Fremdenhaß der Barbaren zur Kapitulati- 
on zwingt. Sie zwingt alle Nationen, die 
Produktionsweise der Bourgeoisie sich 
anzueignen, wenn sie nicht zugrunde 



141 


gehn wollen; sie zwingt sie. die soge- 
nannte Zivilisation bei sich selbst einzu- 
führen, d.h. Bourgeois zu werden. Mit ei- 
nem Wort, sie schafft sich eine Welt 
nach ihrem eigenen Bilde. 

Die Bourgeoisie hat das Land der Herr- 
schaft der Stadt unterworfen. Sic hat 
enorme Städte geschaffen, sie hat die 
Zahl der städtischen Bevölkerung gegen- 
über der ländlichen in hohem Grade ver- 
mehrt und so einen bedeutenden Teil der 
Bevölkerung dem Idiotismus des Landle- 
bens entrissen. Wie sie das Land von der 
Stadt, so hat sie die barbarischen und 
halbbarbari sehen Länder von den zivili- 
sierten, die Bauemvölker von den Bour 
geoisvölkem. d:n Orient vom Okzident 
abhängig gemacht. 

Die Bourgoisie hebt mehr und mehr die 
Zersplitterung d:r Produktionsmittel, des 
Besitzes und der Bevölkerung auf. Sie 
hat die Bevölkerung agglomeriert, die 


Produktionsmittel zentralisiert und das 
Eigentum in wenigen Händen konzen- 
triert. Die notwendige Folge hiervon war 
die politische Zentralisation. Unabhän- 
gige. fast nur verbündete Provinzen mit 
verschiedenen Interessen, Gesetzen, Re- 
gierungen und Zöllen wurden zusam- 
mengedrängt in eine Nation, eine Regie- 
rung, ein Gesetz, ein nationales Klassen- 
intcrcssc. eine Douancnlinic. 

Die Bourgeoisie hat in ihrer kaum hun- 
dertjährigen Klassenherrschaft massen- 
haftere und kolossalere Produktions- 
kräfte geschaffen als alle vergangenen 
Generationen zusammen. Unterjochung 
der Naturkräfte, Maschinerie, Anwen- 
dung der Chemie auf Industrie und Ak- 
kerbau. Dampfschifffahrt. Eisenbahnen, 
elektrische Telegraphen, Urbarmachung 
ganzer Weltteile. Schiffbarmachung der 
Flüsse, ganze aus dem Boden hervorge- 
stampfte Bevölkerungen - welches frü- 


here Jahrhundert ahnte, daß solche Pro- 
dukiionskräfte im Schoß der gesellschaft- 
lichen Arbeit schlummerten. 

Wir haben also gesehn: Die Produktions- 
und Verkehrsmittel. auf deren Grundlage 
sich die Bourgeoisie lieranbildcte, wur- 
den in der feudalen Gesellschaft erzeugt. 
Auf einer gewissen Stufe der Entwick- 
lung dieser Produktions- und Verkehrs- 
mittel entsprachen die Verhältnisse, 
worin die feudale Gesellschaft produ- 
zierte und austauschtc. die feudale Orga- 
nisation der Agrikultur und Manufaktur, 
mit einem Wort die feudalen Eigentums- 
verhältnisse den schon entwickelten Pro- 
duktivkräften nicht mehr. Sic hemmten 
die Produktion, statt sie zu fördern. Sie 
verwandelten sich in ebenso viele Fes- 
seln Sic mußten gesprengt werden, sie 
wurden gesprengt. 


/ui OnKumon 


ßt'itiitge 

(ui 


Weiße Flecken 

otH'» dir CpuhiiHic Oei Sowjetunion 


ftCUc* Oninionn.il** Pulitil* 

tnduitiinlilic'urg 

Holtcklividunq 

Opposition umtfia/rui 

UnirniJuDciuigcn 

KrMqntr fcilunq 

ru.MhAoit 



$ D./cnBi i 1983 - 90 

Gtuppe Aibritiipolitili 
OM ».- 


GESELLSCHAFT ZUR FORDERUNG DES STUDIUMS 
DER ARBEITERBEWEGUNG e.V. 

Postfach 15 0247, 2800 Bremen 15, Postscheck Hamburg Nr. 410077-205, BLZ 20010020 






142 


Philologischer Nachtrag 
zum 'Manifest der Kom- 
munistischen Partei' 


Dt merta-o-a «vaiuttodx Angabe dai Ktctt» «tft dm 
•Ba haf*}. Uran hm da nAcirttq CMtfgi EmöMq du 
ZUHVMJ* I tut DK Otwö* Vinicn ^ dH daUMOn 
Emuagabe ven IM' 1 . nwW-jiMMfl Tat niWKi am 
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-t*W KaMU aiHda*unrn>qfcroAMm<*an>v' 
CafttoM. ahc da Kmnetappj ven CoWmH inj up»ioi.ieh«r 
«*» S>-rtRuuUiUiMnvc»*4wcinsdai«Ptcj«iiu««r 
da fctoirfl ndiowiH SoinKtnfcirm watimn« 
rtotgadtucn areadcn» <97>>r*i*cn dH SttM. Tn CmOiOhi 
( da dH mcnrgtaan AUunnoi d Veef.) rm n vtcsNejenn 
li'dtm vtivhcdent Fbftng hi inj OrrttkA da varOiaJmen 
PtosHi n itwadr« FHtordAja 01J n vandiojanen 
GisOnJliBxOao Nr n (n^md. du ■* dator ah Baepil rartron. 

Da Hnaaa tu! nOe n HJiaa irr)« da Herta *»UQ« 10 
«leepcebert. daO lOT»« räd e rn « Mn SaiAhim. ird r*u n mlo 
Ina da rasiBdo Dy^^rerorfaft. da Ctmfmtr a ara M 
udüTmj*x?a. a! Gurmtaa? m 8o)m taMmta Ga- 
wtKfafhtyraön »Wl weden cnCftuv ur da ErtMttrg du 
Kaeaahrut iu wiownw E* dar. » dt AafatMig tu «p* 
urafeMd» Poipattn« dt-tbu 

utn Mfco «* orcdi ibtidti« lOr*«« GawNuflauj>) 
inj arqaria n dH r-wnoi >tr> ja lots Kimo-mm 
KmÄhdUn Augala da neniolodtta Ptuaja Dm ««« h 
« m «u *4 t*i« ’SJuna'. da »Mn lir ■Wotajoca’ 
inengticrri-ilt Guttat hab« B dH Veneej« tj usuellen 
Aut^M du Ko mumw ManAua ven 18» gahm Oh« inj 
E-gah nxrtnah al da Frap dH Baiortrg nmefon at^manan 
GaMmTdV^atHi injramiUm BatnJHtaUn «n 
•Du 'Kxrnnsteffa Uaraur Kant nr Adgata. da irwroadch 
CarxCatHda HXtejr, du POMmai birgerUPm Egons* ru 
CcUaUHto. »1 ».4m Jim fndan ■». gagmiöer rucn 
aiftfcBarda^ MptaMsdioii SefiunlM ud stfi «tan ad cm»« 
»Man tOrpartenom GortMgrtHk da grtflori tun« dB Ba 3 ers 
n Garrarta* dH Samt. Ei Irag! «h mv Kam da noudia 
Obtdmdiu. on. »am audi iraargcabana Feon dai uni»' 
CtmtfC tatet» Hl ftMai. inraiata n dt NSara dat 
WrnnuBWtan Gameatastzai ieovafn ? C«h mÄ oa imjataM 
vohH deniabtn AMwjmtta djditwtn. dH da gtandlkh« 
ErrtieMrq dat WaOant aionadl 7 

Da aroja Anaol hoaif. da taidia^i ir^fDi. O da: Wad da 
uoWcta navoU»! du S91H orac pryoatcMn RnOfWi Hi 
Watm *3 d>8 bada trandc rpkinn. n >Hin du |B0ga 'auBOa 
C*-*«a^arOn am 6od» mt kjvytfpprt?. eroi Onrui- 
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Gamnrq ha*H*üiH Tw« tojlbj vxrv/t» irt f>tn 

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Hl“ C HariMH t~ V*VJ toCiad-w. 

■u W am P«BC bk Idm* et leö* a sa«<tö»Hi 
MAamWJWan in) iui Wadtctoirfl nm Fahlem. 

Du uiritv Oh Ke my n u dm Psi* «irt«. W^Mti «m 
iBWenlun Ert^UMn. HtrraVj an Eaton 18*8 B Und» 
nrtBamd« &n nn Jatn <wec tote Man w«it ötowrucftri 
Sixlan tmjarm) id *;• nui oaramsan mt Enjw uf>» 
ra&ut* Uaroda nm «ntn Ud ayuamaUdi da A*fl4*)«m k/ 
du UanMB dt «mt 903a Aute«»»H»aOu^ « Ktaim 
ms tcmTKrtttcf^i 

B am« Uia toidtl aa tidi nett m aran «uamdatikfan 
Oatun. vndan im Agwct. Zjn Eridanr^utapirM ?«g at nx 
alam ur »Asda Wrtuig. Wim. bJ da «B napanendm Komme 
ErA4 n natman Dia nandodt Dgaruiaruvj das Pötunm 
Mdvg tu ttfodan Fcm>.t«nrgri in) tad-Qa da KOoa das Taeti 
Oh aglM netfa OotMa ras U»rtn am *>xn noi »1 avj 
M dtuni mUHOtraflcra Gcindagm vom alan AJ doi U Satan 
HMBtt idi da >on Mar. aündaCt höandia Uaffoda. ml dH h 
dJOi da Vr-mdrq da Pmpan oh Daiatl* ird «1 UHoiUana 
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Da V-Hdnj dH Gant« vcm >»-(. nt dH Eint« dH 
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BtiHraMdngxgan dal <«tthiTu in) mBh 


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PnO*U.lc«*»«irt>»ivj ja PaMUCPnamifruian CM Edanriru. 
d»3 da Ertmd»rg dH tijrjHWian GtMfeäu* fotmtfirWrafdg 
■». im da In DjOUtx’S mlrnmOm: WdanjfCOi« »JnBttian 
tm fron mm hOh» Catmthm zu gatoi. ttdiil da Emöt £03 
audi da (tCQt Uran gmchcMcrim Entert! notiHl mtdan nt> 
inefr cs Hdi nfcfl .-hi in da Nctiwd^a« hm CbHwndng 
vtrvj Om« wn«<oöum«Pe A««c*irg ven ga»totfoWftm 

Ga tMirM&Um <MM«9a mrtjChj da ladaair-j da CaoHkMa 

l»atia »rB» Virt«nrig<n Zi«m 
(Var*. VKfdams a ano ttn»M Uhto« iph dot*Wtn 
GaKfwfmaJUiung um «Hnnttt da»" u»M m urtrtt 
Oj» «n« Sdutfit. dt aanga m^pmma « w raHutu 
Mtaeoma in) aiffSant CM siraatudian iom-diavp inj 
arUdi in) Un TM Gxrgoua N» r« 1« M. da 
Zan^PHin; du KoMamraM dai Saioei ud dH Ba^Amrg 
kl S« "H d« BaiMinn; a^Cmaap. da ÄodrMfonr«: wo» 
imn ml du Og-am n -an^n nmdm Mmtmitci Da 
naoadge Fdge havoi m am putsaa TmHxtn ( ) CM 
W«m. mm« da Sorg»*« dan FauMurui tu Boi m gtKMagan 
HB. rOlan Ben (ad gapn da Bojgtotm uta " 1 * * * * * * DjOi da ROM 
VaiWOrg von KWOnm iBuctiHlaaaaain^i inj FVogicaHi 
i£h da ntfrftgt GaiaKCdUaitamn; otdl du Unten an« 
»f«t*ne tOted» Strm>nÄ ei «WH dm ctpkl* 
nUtndgm UHi^anjäH tOcgadOim GosatoO. 

Bi Do-41 daiu eckotf)«" Warten CK ac« ScrtM inj Vfyt«l 
da MtHCfPHUtraH» nxigu Ano» anagl m to martT« m 
Unten ntfiaftr* Cm-KraJe Urganii^s« 'i*m *1 ha« ‘C«a 
Beer jmo»a iaÄ <wn da nwnt Vutiauenrg a» P/odJöenMw 
dnnda grm«i«de<MHim Ko«rruito«nana)e. mxt> da l®ta- 
notumt Nmrm n da Zvbaeo-. » « m W imurticnahWi. 
d» a^jatuna ■BVCüjartnm dm Vomu) dai Rnaomui gegen 
Um Httedm 

Omih VhwI burt M arom UBrMn TeeiH»rdHi An «Ban 
Hd bai gm*»> l«Bn U. daß Um Brfi to> "cWochan 
GaKtraOirgm arte {MgrdtiacMn Spafa t«6«pi E) andurt. 
W mnlm dt fMaAM dH UptaMtartim PiHMeena-aoa ert dm 
Augen dH Bxigcoia btncnti ”Da BcugtHtia M B dH 
GaitnctM ena MB» iHoUerdt FBM gaacM** n) 'p Wh Eaur 
Kjoeafitntn KiuiHnamcW i.i««.i in) 
FnylMörtBdße gatenafan aH aM vugmgm 
tuumra»" 8 Oaudga FocrtMnrgm Bnj MB o«cciin»i«n*i 
lob. icndm" raudarm am dH «rtaarttnaJ&nai DUcrra. dB) 
Di ent m EUtAauv; dH KluiarA«~v** dH Ru-aaoia an" da 
rrawaim Bufc^uigm du Komxnanuj ertKMB OK Mjmdm 
Ptiugm m UmAcbanmdtB da r.ünrtge IWe dai ProKuaftai 
Dh BU ad dt toguvn« Gatakman art^i Nh am «Bh mtum 
Pinpatis«. $«<*)« in)Dmttlipgi-«i»habmdamHiKrtcrim] 
«MmrOaimCMiBH 

Am untren gbntrn u GninJm dH JO WBiog m dH 
uonan Sola am gMinatna Draatrg dH KcnBrtBOi »m 
tGgadcnm in) votOgatcnm GatakdOMn. Da «Bt Pd an) « 

■Wa““'. dH •» B».« WiWwl S»»>m Nh Old 

da amddu B iv». « Bi Btg« dH *t«t«tchBm Nxnnm' 
Ba« BBam Um wJti nairWi ganau. a» ara Naüm aarrort. 
m) OBI Bt tcanM.il EUmm dH Wcgaidim Epxfa « 
2a«rtn »«e« inj 5»taV b«D«M Um an Goganuu. ba»a 
GegPt iu «uipgan bodt.lal K<airikra IBgana^M DKu-uda 
augnnm bbh »Hm VotnAPg inj Pocumimn] dat Taea« B 
Kai gennman. gm an Gagmaao idi JOgM U du Um agmi 
neue, aotiua Tamri m Hh • m) aun an »al um Pirtdm - 
StR bcp alnjngi da Fugt nen dH BUmsn vonUea m) 2-aefc 
KmeuMi -Ha Un ml dem «igmera. dafl h. ortoN h Di ibH 
duan CBmKH rfrsBankh Bi Mnen ■». tut dmtygicn 
[•S'y-w'a ScnOa MrtHiW Ei «n*«o «n n.i 
t*gHMB.e ca x* o . OTdem roc<o>ir«il cu tootnrOe 
So Krtj-Ban rtimt saBm ragBABm Irpasira- Ei mtMO 
Bert n»r m gnkM(dl KcgagetH-an Sfraartmm ioph !h 
l»Ji entserttcbH »Ire], xrüem tcrta-rtd daum Snttu 
uOBBkdg («u « talsarm bö Farn .sn rerUstfoi 
BaudtOrgm -ii »1 Kr dt n» Xlge Fenertng na iivn. mna- 
-»« dH jTimpv« (<yH^«fijixfi m ‘amreati Um/aB (in) 
m)arm Tuim') uiOMdi iu daiim «tau VeO’lirg bt-gecrajm 
hB 0dH « dai KM aBa Ba-ueöenar-a«tru>a tar^di dec 


SUEW*.*6?«8 

euere«. <oa. «or 

7 Ai tB atra-it Bt«a! bafa Ergatt' Reimicn dH von Mm 
vtcljawi Mal /jKtk Ott KMaJan O W4 UEW U. 4M. Un 
den Taö omgamt n dai 'uKcnlnn Zautfitt Du Vc*abd«tm 
m tfrron - Um n) irgtB KBim imja lei mxra Pnoame. löi 
ene Cfltrtfcrttl jj schUm • btgnr! ei «in UclKtim G'intn 
to*gr«HT-aß«n 'Hl atoi mumieraOenm Gomthi lubm dt 
Oec/seMn Vr-fl lue EbHDJU^M at dm reem frt 
IMguM gegaaCH dm (Cirgm iMsoem Wonm bt-aim.' 


P«*vani*m SiOT» m) mMru EKrati dai Uwtiaui bafirdtd 
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OK Gagri6art«»rg rm TvMBim - in) •Boba-af p dH «allen 
Pauojt du Mm«*» dH Kenminmcftm P«th »1 iBo da 
NBCrteTa BUKtAiq m) dt dH*ul «i*K<m)m IHmertade 
raacrimbadm Ffobm vudtufcrtm Da» IWanchod« m) bai 
«ph mBmunocnm Ba»«uig!-*M Uw dH Ka UMUUi m ai 
da inemalen BaJrgrgm men MC MccHfc» C« d« 
Pn»»»inHMInej« d« GnnJaga »dH GawfacnaltUmraBm 
inl in) n Win Bslmi A BeracBt du gewMchUaelim Itbam 
trnnm. d du K/tcnn l> du jt-algi EitoeMmguifcoiu n dH 
ScBM der Piodttcn des gualadiBllöm labam aruviia)«B CMS 

«t da HVliga Ulglrrtaa aBar H«altMr. Baaamng NnvMrHH 

CiCHOtrgm CM Foga. ob Uautfim r.l-rann EggcHm 0 ttxTet 
VüMttw edti n gdöeam Ertlm; n dH NBi> gtkO Nbm. a 
im in Uittfeienng dH gAm Um 2et ItlflardkP »ewn 
i»|*!vtiiai «d K< rnitrona AnUyianicrrK im:u 
DK» AiVPirg dtl Nlkrteftm UBHlUmxn S -a* vhOhh m) 
MSiAHt C«rt »*m «ul «Bh bHKrt9r Kr«* m denen Igocm? 
gaganX« PabBitf«! in) RaaUaaia ah rafcir. egenolMgi 
ga»(aermkt« Artagmorm: •WeunJent Gnntoge i r m uhtfi- 
laniuLKMi OHiHu^Ua-ra»* W da WcgacKlraleriJUröiaa 
FcPidvpijMmte Nun U14 u)«bipj ® dH Katfafenw irt 
»ph ta»n)arm F«mi dH EriwcUnj dH PredABKiUlt injdn 
Kroidaing du KUumgogmuuas rtMchm lo'mrtal in) 
Kae«B(njdHdimiM<tm)anmFonaBi<ctAn;cdrannaM'UHrt 
in) teacoam AiMCflaling • Hat dMn -Bj ntf* w genau 
gandH) an« ge»fcenBt»i ncrtmdga tnj dort «^antcfi 
Vcaa» W *' Eic-cOigmi« ad den um KempinoPM. ( ) 

0«i rrdTHne Gtnta an dt FcrtenroBta« dH BiNK*Ang OH 
PTOU3AHM' • mtrab lu unBlHdH iHUMBBcnH 
UatouBuim - b< rart zu lamm von Ghbtm m da Fcmomcn 
1H dat nrannalm AiftUnnjiöligerjrs pi tcBnUm Eiroca 
OitmToUcrtir banrtt r a«Wm ail dti AuKAndmnj pd 
ZaiDMpf voi Pep<»«>man*l.iti p m»ftat**C«Bm 
GeietuKif.m B dm Dai Krrtrmm ird a.« dH NtuergapeKcuig 
rm Gtmi- ird AMgamgatorm gtganXai Flauen ird h’tm 
icoodABfp ird Ab«!'HTi6^p’ f 

Obs Zib Ot ix neron exnxUnxTi er* roUloUr Kitt mt 
N n r ae nm UBtrotaius Zn enm ■*) r mutmenaRcn «n 
ridH>g«i Waäa «p luV» ftntutl irgonmenm. in ardtfm 
wn) dH *««*Jiia FccBetrtsbagH dai UmMrnus nbfKx. Um 
fWiMcn*Hird sAgeUfl! \W daiem MOwtkel aa nufl dtnm 
TamvotogK ah HjmiatiWetfi «»ehtBav B dH Kotohuhu a ei 
NfaMgHd dm Nnwenm Unnatvi! nojn nmdan OH 
UMOa Hntobuig «Bai WartMtgoi « iedxfi MB B«mb K> da 
IBUugfcfM« daneOm 9 Uo> in) Ergeh amnttfan dm 
SancWrnoi UnadtbiTU -M ak ap «IrmAlai rVgiu. 
KPdam m WOMPKtot. m< darm Ult da RaUUI zu acUiim Bt 


8 nt« ZOk UHa IHU aa« dam Vultm. \'cn PnutEm SeltMcn. 
EitewftH. dmalm SB« m) dam VaWi 6>»m irw da Fifla 
fwtrttgm oO Decmtai 1KJ.S2021. 

9 CM ZuieBrtdirg tnti »iöoti Sim»rtiei Ost nert dmCn 
NurtgUuKftm. dV3 era irranata Kit* nOfcfi ul nah rodi 
mjuunt Aspeaie n oh iranaatta IKcono ma So lubm 
FarrMWrm caert ml dmi U n rnh ml da s^srnianan« 
VHnacrttiBgng dei ah RegiWiüxonmSo coMOinaem 
KiuUman bn. MnUim Boi «hoi ;u gti ajn rar. da 
fetterer« PevctOAUp du Kau» lafcn). 'Uxfi Om 
rrulHUtafiP Aiflmrg Bl du B KZler Bnm? MUnrwdt 
“raff r dH Ga«itfla dt FVoeUden ird RacrodAdem du 
im U etam Irbceu (UEW 21. 27% Bada BoiMra Bthm B 
daKMaefar Bantu-q nerivdH. Brd Mo «uMnOi aa ramm 
btoen B caaltH (aJxfi «Ba pehnrnta Ertöt Im lnl« dH 
ErfKMmj das Uammun tm) «Ba rjulrnoda öoumanrg im 
m*H0*H Baw inj fertmaetor PitdKUn nu. Do FUrthUa 
oHdt nr gaimtm Wal. Oirtn dat ViratooUMnrg «rai 
QMMPMM «rtCmj ob vAjdti texora-w. Oh ru .BurHrn 
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ujft arda. Aipuie 0 h «BB.m R«o»> • Pal-oo-cr. Ruiarm • 

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Uroobnui 1 bw-aöim San» dan dm Mrraaii nd dm 
mmaaefm BuhCagrtt p K«(4al V (Kd* -m Pm Kenpuiema m 
dm TKm dH Kcrrnirtoucran &)g»m ird dH CCCGatBvgronl 
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Ep» leite baioi irgatUna Fugt dt da nacn dH EnattBuig up 
U mBganbn. «n BamftiaB. Uw da Konflikten du SUi*«w 
dnn da ct>**avm Bedn^ngan. 2aei Hd bada Cbmen rttnt» 
autriert oh PmieO du Tnmlonnucn von 0W«K« B 
SiOjcHWU Ol Wiüi -aagHord metm San« <Uiu (P nirart 
Irtt-m: OK PraJiCOn du Untmr.Son Dt Wegaem dH 
PijOda-ciyia n de mimcsOo thame; lörtcrg Bann l%0 U0> 
1 ErtkMndmg. Neuiota, wetoga Ena dar 

PnduHoy» udda EnJiemangnaention KaflUux KiB 19» 
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Lucio Collelli 

Von Hegel zu Marcuse 

1. Hegel und die Verwirklichung der 
Philosophie 

Hegels Philosophie basiert auf drei Be- 
hauptungen. Erstens, die Philosophie ist 
immer Idealismus: "Der Satz, daß das 
Endliche ideell ist, macht den Idealismus 
aus. Der Idealismus der Philosophie be- 
steht in nichts Anderem als darin, das 
Endliche rieht als ein wahrhaft Seiendes 
anzuerkennen. [...] Die Philosophie ist es 
so sehr als die Religion; denr die Religi- 
on anerkennt die Endlichkeit ebensowe- 
nig als ein wahrhaftes Sein, als ein Letz- 
tes, Absolutes oder als ein Nicht-Gesetz- 
tes. Unerschaffenes, Ewiges.'* Zweitens, 
das Problem der Philosophie besteht 
darin, das Prinzip des Idealismus zu ver- 
wirklichen: "Jede Philosophie ist wesent- 
lich Idealismus oder hat denselben we- 
nigstens zu ihrem Prinzip, und die Frage 
ist dann nur, inwiefern dasselbe wirklich 
durchgcführt ist." 2 Drittens, die Verwirk- 
lichung des Idealismusprinzips bezieht 
die Aufhebung des Endlichen und die 
Auflösung der Weh mit ein, denn: “Diese 
Durchführung hängt zunächs davon ab, 
ob neben dem Fürsichscin nicht noch das 
endliche Dasein selbständig bestehen 
bleibt." 3 

Die erste Behauptung bedarf keiner Er- 
klärung. Das Prinzip des Idealismus ist 
die Idee, das Unendliche oder der christ- 
liche Logos. Die zweite wird am Schluß 
dieses Paragraphen erklärt. Schwieriger 
zu verstehen ist die dritte, auf die man in 
den Hegeistudicn auch äußerst selten 
hingewiesen hat: (a) warum nämlich der 
Idealismus, um sich zu verwirklichen, 
das Endliche aufheben und die Welt auf- 
löscn muß; (b) wie diese Auflösung statt- 
findet. 

Punkt (a) ist leicht zu beantworten. Das 
Prinzip des Idealismus schließt die Auf- 
hebung ilec Endlichen ein, weil, solange 
das Endliche besteht, das Unendliche 
nicht zu erfassen ist. "Das Unendliche so 
gestellt”, sigt Hegel, "ist Eines der bei- 
den; aber als nur eines der beiden ist es 
selbst endlich, es ist nicht das Ganze, 
sondern nur die Eine Seite; es hat an dem 
Gegenüberstehenden seine Grenze; cs ist 
so das endliche Unendliche. Es sind nur 
zwei Endliche vorhanden." 4 In der Enzy- 
kiopädie heißt es: "Der Dualismus, wel- 
cher den Gegensatz von Endlichem und 
Unendlichem unüberwindlich macht, 
macht die einfache Betrachtung nicht, 
daß auf solche Weise sogleich das Un- 
endliche nur das Eine der Beiden ist. daß 
es hiermit zu einem nur besonderen ge- 
macht wird, wozu das Endliche das ande- 
re Besondere ist. Ein solches Unendli- 
ches. welches nur ein Besonderes neben 


dem Endlichen ist. an diesem eben damit 
seine Schranke. Grenze hat. ist nicht das. 
was es sein soll, nicht das Unendliche, 
sondern ist nur endlich. In einem solchen 
Verhältnisse, wo das Endliche hüben, das 
Unendliche drüben, das erste diesseits, 
das andere jenseits gestellt ist, wird dem 
Endlichen die gleiche Würde des Beste- 
hens und der Selbständigkeit mit dem 
Unendlichen zugeschrieben: das Sein des 
Endlichen wird zu einem absoluten Sein 
gemacht, cs steht in solchem Dualismus 
fest für sich. Vom Unendlichen sozusa- 
gen berührt, würde es vernichtigt; aber es 
soll ein Abgnind, eine unübcrstcigbarc 
Kluft zwischen beiden sich befinden, das 
Unendliche schlechthin drüben und das 
Endliche hüben verharren." 3 
Damit der Leser diesen Text vollkommen 
verstehe, eine kurze Erklärung. Das Un- 
endliche als "Eines der Beiden", d.h. das 
falsche Unendliche, ist das Unendliche 
des Verstandes. Das Unendliche als Gan- 
zes ist das Unendliche der "Vernunft". 
"Die Hauptsache ist", behauptet Hegel, 
"den wahrhaften Begriff der Unendlich- 
keit von der schlechten Unendlichkeit, 
das Unendliche der Vernunft von dem 
Uncr.dlichcn des Verstandes zu unter- 
scheiden." 6 

Der 'Verstand" ist das Prinzip des Nicht- 
Widerspruchs, das Prinzip der Ausschlie- 
ßung oder der Trennung der Entgegenge- 
setzten. Die Vernunft ist das Prinzip des 
dialektischen Widerspruchs oder des Zu- 
sumiucnfallciis der Eiitgcgcngc.sct/.tcn. 
Ersterer ist das logische Allgemeine, des- 
sen besonderer oder realer Gegenstand 
außerhalb seiner selbst steht. Letztere ist 
die Einheit von Endlichem und Unendli- 
chem im Unendlichen, die Einheit von 
Sein und Denken im Denken, d.h. 
"Selbstheit" und "Andersheit", Tauto-Hc- 
terologie oder Dialektik. 

Die Stelle der Enzyklopädie, die wir oben 
zitiert haben, zeigt auf, welche Mängel 
Hegel dem “Verstand" zuschreibt: I . Er 
läßt das Endliche bestehen, hebt cs nicht 
auf, sondern macht es zu einem "festen 
Sein'. 2. Er macht des Unendliche end- 
lich. 3. Er setzt das Endliche "diesseits", 
das Unendliche "jenseits", d.h. das End- 
liche wird dadurch zur wirklichen oder 
irdischen Existenz und das Unendliche 
zu etwas Abstrakcem odir Idealem. 

Der Kernpunkt ist, daß der “Verstand” 
das Prinzip des Nicht-Widcrspruchs, der 
gesunde Menschenverstand, der Standort 
des Materialismus (Empirismus) und der 
Wissinschaft ist. Alles, was die Philoso- 
phie oder der Idealismus behauptet, d.h. 
daß das Endliche “nicht ist" und d3s Un- 
endliche "ist", wird vom Verstand umge- 
kehrt dargestellt. Der Materialismus und 
die Wissenschaft sind also die Unphilo- 
sophic, d.h. die Antithese oder Vernei- 
nung der Philosophie. 



144 


Und nun /.um Problem der traditionellen, 
d.h. der vorkrilischcn Metaphysik 
(Descartes, Leibniz. Spinoza), die eben- 
falls diese Methode des Nicht-Wi.ler- 
spruchs anwendet. Hegel behauptet, daß 
das Prinzip dieser Philosophie das Un- 
endliche. das Absolute sei; daß diese Phi- 
losophie folglich wahre Philosophie oder 
Idealismus sei. Ihr Fehler liege aber in 
der Methode. Der Inhalt jener Metaphy- 
sik sei zwar richtig, die Form jedoch 

falsch.** 3 Die Substanz sei 
■philosophisch”, die Methode trocken 
"wissenschaftlich“. Daraus folge, daß die 
Anwendung des Prinzips des Nicht-Wi- 
derspruchs die herkömmliche Metaphy- 
sik hindere, den Idealismus zu verwirkli- 
chen. 

Das Argument, aul das sich Hegel oft 
bezieht, ist das Vorgehen der metaphysi- 
schen Gottesbeweise. Hin gutes Beispiel 
liefern die kosmologischen Gottcsbc- 
weisc. Ausgangspunkt für ihre Verfech- 
ter. sagt Hegel, "ist allerdings die Welt- 
anschauung. auf irgendeine Weise als ein 
Aggregat von Zufälligkeiten (...| be- 
stimmt”^. d.h. eine Anhäufung wertloser 
Sachen. Indem sie aber prinzipiell davon 
ausgingen, daß die Welt nur Vergäng- 
lichkeit und Unwert darstcllc. und daß 
Gott. Gott allein die wahrhafte Wirklich- 
keit sei. verfälsche die von ihnen ange- 
wandte Methode tatsächlich den Sinn ih- 
rer Beweise. Sie schlössen von der Exi- 
stenz der Welt auf die Gottes und be- 
haupteten, daß die Existenz des Weltalls 
die seines Schöpfers beweisen könne. Sie 
nähmen aber freilich nicht wahr, daß ihr 
Syllogismus die Welt, die das Nichts sei. 
zum Grund des Gottesbeweises und Gott, 
der das Ganze sei. zu einer Folge oder 
etwas Mittelbarem mache. Die Schöp- 
fung, die die Nachfolge ist, stehe an er- 
ster Stelle, der Schöpfer an zweiter, 
lacobi habe jenen Beweisen "den gerech- 
ten Vorwurf gemacht, daß damit 
Bedingungen (die Welt) für das Unbe- 
dingte aufgesucht werden, und das Un- 
endliche (Gott) auf solche Weise als be- 
gründet und abhängig vorgcstclit 

werde." 8 

Mit anderen Worten: "die metaphysi- 
schen Beweise vom Dasein Gottes sind 
darum mangelhafte Auslegungen und 
Beschreibungen der Erhebung des Gei- 
stes von der Welt zu Gott, weil sie das 
Moment der Negation, welches in dieser 
Erhebung enthalten ist, nicht ausdrückcn 
oder vielmehr nicht herausheben, denn 
darin, daß die Welt zufällig ist. liegt es 
selbst, daß sie nur ein Fallendes, hr- 
scheinctulcs, an und für sich Nichtiges 
ist. Der Sinn der Erhebung des Geistes 
ist. daß der Welt /.war Sein zukomme, 
das aber nur Schein ist. nicht das wahr- 
hafte Sein, nicht absolute Wahrheit, daß 
diese vielmehr jenseits jener Erscheinung 


nur in Gott ist. Gott nur das wahrhafte 
Sein ist. Indem diese Erhebung Übergang 
und Vermittlung ist, so ist sic ebensosehr 
Aufheben cte«i Ültergangee mul der Ver- 
mittlung, denn das. wodurch Gott vermit- 
telt scheinen könnte, die Welt, wird viel- 
mehr für das Nichtige erklärt: nur die 
Nichtigkeit des Seins der Welt", so 
schließt Hegel, "ist das Band der Erhe- 
bung. so daß das. was als das Vermit- 
telnde ist. verschwindet, und damit in 
dieser Vermittlung selbst die Vermittlung 
aufgehoben wird.” 9 

Wie man den Ausführungen entnehmen 
kann, ist der "Verstand”, das Prinzip des 
Nicht-Widerspruchs derart eng mit dem 
Materialismus verbunden, daß er, selbst 
auf metaphysische oder idealistische 
Voraussetzungen angewandt, den Sinn 
der Philosophie verkehrt und sie zwingt, 
das Gegenteil von dem zu behaupten, 
was sic meint. Das Endliche, das das 
Nichts ist. witd vom Verstand verfestigt: 
wird zu einem "festen Sein" oder einem 
Gegebenen. Das Unendliche, das die 
wahrhafte Wirklichkeit ist, wird zu etwas 
Begründetem und Abhängigem. Das 
Endliche, das Negative, schlägt ins Posi- 
tive. d.h. in die wahre Existenz um; das 
Unendliche hingegen, die wahrhafte 
Wirklichkeit, wird zu etwas Unwirkli- 
chem oder Negativem, d.h zu etwas Ab- 
straktem oder Gedanklichem. 

Verstand und Vernunft kennzeichnen 
dann zwei verschieden Logiken. "Im ge- 
wöhnlichen Schließen", sagt Hegel, 
"erscheint das Sein des Endlichen als 
Grund des Absoluten; darum weil Endli- 
ches ist. ist das Absolute. Die Wahrheit 
aber ist. daß dämm, weil das Endliche 
(...) nicht ist. das Absolute ist. In jenem 
Sinne lautet der Salz des Schlusses so: 
Das Sein des Endlichen ist das Sein des 
Absoluten; in diesem Sinne aber so: Das 
Nichtsein des Endlichen ist das Sein des 
Absoluten.”^ Ziehen wir ein erstes 
Resumö. Sämtliche wahren’ Philosophi- 
en sind Idealismus oder gehen wenig- 
stens von seinem Prinzip aus. Der Mate- 
rialismus und die Wissenschaft sind t'n- 
philosophic. Schließlich kommt es aber 
darauf an. wieweit eine Philosophie die- 
ses Prinzip durchführt, nämlich den Idea- 
lismus verwirklicht. 

Bedingung dieser Verwirklichung ist die 
Aulhebung des Endlichen, die Auflösung 
der Welt. (Wir werden später darlegcn. 
wie Hegel dies gelingt). Mit der Autlie- 
bung des Endlichen geht das Unendliche 
(d.h. der Geist oder Gott), das die 
"intcllckiualistische" Metaphysik ins 
"Jenseits" versetzt, vom Jenseits ms 
Diesseits über, es wird also existent und 
wirklich. Das ist die Verwirklichung der 
Philosophie. Sie bedeutet das Immanent- 
werden der Transzendenz, die 
"Verweltlichung des Christentums" 11 . 


die Menschwerdung oder Verwirkli- 
chung des göttlichen I.ngos. Mit anderen 
Worten, der Unterschied zwischen alter 
»ml neuer Metaphysik isl der zwischen 
gemeiner und spekulativer Theologie, 
zwischen Theismus und Philosophie, 
zwischen vorkritischer Metaphysik und 
absolutem Idealismus. 

Feuerbach hat den Kern tlcs Problems er- 
faßt. Die spekulative Theologie, sagt er 
am Anfang seiner Vorläufigen Thesen 
zur Reform der Philosophie, unterscheide 
sich dadurch von der gemeinen, "daß sie 
das von dieser (...) in das Jenseits ent- 
fernte göttliche Wesen ins Diesseits ver- 
setzt. d.h. vergegenwärtigt, bestimmt, 
realisiert." 12 Und er fährt in Grundsät- 
zen der Philosophie fort: "...daß sic (die 
spekulative Theologie) den Gott, welcher 
im Theismus nur ein Wesen der Phanta- 
sie. ein ferngehaltenes, unbestimmtes, 
nebulöses Wesen ist. zu einen) gegen- 
wärtigen. bestimmten Wesen gemacht 

(...) hat." 

2. Die linkshegelianischc Schule 
Die "Verwirklichung" der Philosophie 
(von Hegel) ist das zentrale Problem der 
Linkshegelianer (Feuerbach und Marx 
ausgenommen). Entscheidend ist hier 
aber, daß das Problem ein politisches 
wird. Es ist das Problem der liberal-radi- 
kalen Revolution in Deutschland. In He- 
gels Philosophie, so erklärten die Links- 
hegelianer, bestehe ein Widerspruch zwi- 
schen 'Prinzipien' und 'Folgerungen*. Die 
Prinzipien seien revolutionär, die Folge- 
mngen aber konservativ. Dies liege 
daran, daß der Höhepunkt Megelschen 
Denkens mit der Rcstaurationszcii zu- 
sammenficl. "So fiel er selbst seinem ei- 
genen Ausspruch anheim, daß jede Phi- 
losophie nur der Gedankeninhalt ihrer 
Zeit ist. Andererseits wurden zwar seine 
persönlichen Meinungen durch das Sy- 
stem geläutert, aber nicht ohne auf die 
Konsequenzen desselben zu intimeren. 
So wäre die Religions- und Rechtsphilo- 
sophie unbedingt gaaz. anders ausgefal- 
len. wenn er mehr von den positiven 
Elementen, die nach der Bildung seiner 
Zeit in ihm lagen, abstrahiert und dafür 
aus dem reinen Gedanken entwickelt 
hätte. Hierauf lassen sich alle Inkonse- 
quenzen. alle Widersprüche in Hegel re- 
duzieren. Alles, was m der Keligionsphi- 
losophie zu orthodox, im Staatsrecht zu 
pseudohistorisch erscheint, ist unter die- 
sem Gesichtspunkt /u fassen. Die Prinzi- 
pien sind immer unabhängig und freisin- 
nig. die Folgerungen das leugnet kein 
Mensch - hier und da verhalten, in illibe- 
ral." 14 

Diese Stelle stammt aus der Jugend- 
schrift Stitelling und die Offenbarung. 
die Engels 1842 unter dem Decknamen 
Oswald als Wortführer des Berliner Dok- 



145 


torchibs veröffentlichte. Hier sind alle 
wesentlichen Züge der Hegelinterpretati- 
on nachweisbar, wie sic damals bei den 
L i nk sh o ge I i am* ni gängig waren: (a) die 
Entdeckung eines angeblichen Wider- 
spruchs bei Hegel /.wischen revolutionä- 
ren Prinzipien und konservativen Folge- 
rungen: <b) die These, daß alle 
'Inkonsequenzen, alle 'Widersprüche' der 
hegelschen Religions- und Staatsphiloso- 
phic nicht in seinem Denken begründet, 
sondern vielmehr der Preis seien, den er 
seiner Zeit, der Restaurationsperiode, ge- 
zahlt habe. d.h. das Ergebnis eines per- 
sönlichen Kompromisses, mit dem Hegel 
die Kluft zwischen der Kühnheit seiner 
Prinzipien und der Rückständigkeit der 
deutschen Lage zu Uberbrücken glaubte. 
Wir können dieses Problem hier nicht 
eingehender behandeln. Wesentlich an 
der Interpretation der Linkshcgcliarer ist. 
daß die berühmte hcgclschc Identität von 
Wirklichem und Vernünftigem nicht als 
Konsekration oder Bejahung einer schon 
vorhandenen Situation angesehen wird, 
sondern vielmehr als zu verwirklichendes 
Programm. Die hegelsche Identität be- 
deutet in dieser Interpretation, daß das 
Vernünftige wirklich werden muß. Alles, 
was ist und der Vernunft nicht entspricht, 
scheint zu sein, aber im Grunde ist es 
nicht: man muß es auf den Kopf stellen, 
um Platz für eine neue Wirklichkeit zu 
schaffen. Formal ist das Problem dassel- 
be. wie bei Hegel: es geht darum, die 
Philosophie zu verwirklichen, die Idee in 
die Tat umzusetzen. In Wirklichkeit aber 
wird alles in Begriffe der politischen Re- 
volution üherflifin. Das Programm der 
Verwirklichung des christlichen Logos, 
der Menschwerdung Gottes, ist zum Pro- 
gramm der liberal-radikalen Revolution 
geworden. 

Ganz kurz ein Wort zum Schicksal dieser 
Auslegung. Vom jungen, noch linkslibe- 
ralen Engels übernommen, wurde diese 
Interpretation - mit der berühmten These 
über den Widerspruch zwischen revolu- 
tionärer, dialektischer Methode und idea- 
listischem, konservativen System hei He- 
gel - 1888 im Ludwig Feuerbach weiter- 
geführt. Von Engels übernahmen sie 
Plcchanov und Lenin: sic wurde dann 
zuin festen Bestandteil des russischen 
"dialektischen Materialismus". 

Die Auslegung des Doktorclubs b/w. der 
Jugendschrift Engels war zuvor aber 
schon auf anderen Wegen nach Rußland 
gelangt. Sie spielte eine entscheidende 
Rolle im Denken der 'demokratischen 
Revolutionäre" (Belinskij, Merzen und 
Ccmiscvskij). deren Einfluß auf 
Plcchanov und Ireni» bekannt ist. Die 
oben erwähnte Stelle des jungen Engels 
wurde Belinskij durch eine fast wörtliche 
Abschrift seines Freundes, des Krtikci«. 
Botkin. bekannt und gefiel ihm unge- 


mein. 15 Herzen selbst hat die Schrift 
Uber Sehe Hing und die Offenbarung im 
selben Jahr 1842 kommentiert. Hegel, 
schreihi Herzen, habe «las 'Heldentum 
der Konsequenz“, die Fähigkeit gefehlt, 
die Folgen seines Denkens, die offen- 
sichtlichen Ergebnisse seiner Prinzipien 
anzunehmen. Er habe darauf verzichtet, 
weil er "das Bestehende lieble und ach- 
tete"; "er .sah. daß er den Schlag nicht 
aushnlien würde und wollte dämm nicht 
selbst schlagen." Vorerst konnte cs ihm 
genügen, überhaupt so weit gekommen 
zu sein. Aber seine Prinzipien "waren 
ihm (Hegel) treuer als er sich selbst, treu- 
er ihm. dem von seiner zufälligen Person. 
Epoche u. 2 . losgelösten Denker." 16 
Wir werden später auf die von der links- 
hegelianischen Schule abweichenden 
Hegelauslcgung Feuerbachs und des jun- 
gen Marx cingchcn.*^ Hier nur soviel, 
daß Marx sowohl in seiner Doktorarbeit 
als auch in seinen Ökonomisch-philoso- 
phischen Manuskripten von 1844 den 
Versuch energisch abgelehnt hat. die he- 
gclsche Philosophie und ihren angebli- 
chen Widerspruch zwischen 'Prinzipien' 
und 'Folgerungen' als Ergebnis des Kom- 
promisses zu erklären, den Hegel mit 
dem preußischen Staat abgeschlossen 
haben soll. "Auch in betreff Hegels ist es 
bloße Ignoranz seiner Schüler", schreibt 
Marx in einer Anmerkung zur Doktorar- 
beit. "wenn sie diese oder jene Bestim- 
mung seines Systems aus Akkomodation 
und dergleichen, mit einem Worte mora- 
lisch erklären. [...] Daß ein Philosoph 
diese oder jene scheinbare Inkonsequenz 
aus dieser oder jener scheinbaren Akko- 
modation begeht, ist denkbar. Er selbst 
mag dieses in seinem Bewußtsein haben. 
Allein was er nicht in seinem Bewußtsein 
hat. ist. daß die Möglichkeit dieser 
scheinbaren Akkomodation in einer Un- 
zulänglichkeit oder unzulänglichen Fas- 
sung seines Prinzips selber ihre innerste 
Wurzel hat. Hätte also wirklich ein Phi- 
losoph sich akkomodiert, so haben seine 
Schüler aus seinem inneren wesentlichen 
Bewußtsein das zu erklären, was für ihn 
selbst die Form eines cxoterischcn Be- 
wußtseins hatte. Auf diese Weise ist. was 
als Fortschritt des Gewissens erscheint, 
zugleich ein Fortschritt des Wissens. Es 
wird nicht das partikulare des Philoso- 
phen verdächtigt, sondern seine wesent- 
liche Bewtißtseinsform konstruiert, in ei- 
ne bestimmte Gestalt und Bedeutung er- 
hoben und damit zugleich darüber hin- 
ausgegangen. 8 

Der Auslegung von Feuerbach und Marx 
wurde dagegen in der Hegelforschung 
fast keine Bedeutung zugemessen. Selbst 
Lukäcs' Monographie Der junge Hegel. 
in der Fcutrbachs Schriften um 1839-43 
und Marx' Manuskripte (nicht aber Kritik 
des Hegelschen Staatsrechts) mehrmals 


zitiert werden, nimmt ihre Auslegungen 
nur auf. um sie in einem anderen Argu- 
mcnlationszusammcnhang einzubringen. 
Fr nimmt sie gewissermaßen nur auf. um 
ihre Wirksamkeit abzuschwachcn und sic 
leichter "verdauen" zu können. Außer in 
der Frage der "Dialektik der Materie", 
über die noch zu sprechen sein wird, 
folgt Lukäcs’ Monographie der von den 
Linkshcgcliancm' cingcschlagenen Rich- 
tung - für I.ukäcs um so unvermeidlicher, 
als diese Auslegung oder zumindest ihr 
Kernpunkt (der Widetspruch zwischen 
"Methode" und "System”), wie bereits er- 
wähn. über Engels' Ludwig Feuerbach 
ebenfalls zur Interpretationsrichtung des 
"dialektischen Materialismus” geworden 
war. 

Sämtliche oben erwähnten Motive, ein- 
schließlich des Atheismus Hegels und 
der "diplomatischen" Doppeldeutigkeit 
seines Denkens 19 (religiös in der 
"exoterischen". atheistisch und revolu- 
tionär in der "esoterischen'' Form) - ein 
gängiges Motiv des Doktorcluhs. insbe- 
sondere von Heine vertreten -. sind von 
Lukäcs in seiner Monographie geschickt 
wiederaufgenommen und verwertet wor- 
den und so. mehr oder weniger, zur cotc- 
rie der französischen Neu-Ilegelianer ge- 
langt Bei Lukäcs wird schließlich die 
Zurückgebliebenheit Deutschlands, auf 
die B Bauer und Runge hingewiesen 
hatten, zum Schlüssel für das Verständ- 
nis des Hegelschen Welkes. 

Vernunft und Revolution von Marcuse 
folgt gänzlich dieser Perspektive. Hegel 
ist der philosophische Gegenpol Robc- 
spierrcs 20 ("Rohespiefres Vergötzung 
der Vernunft zum Höchsten Wesen ist 
das Gegenstück zur Glorifizierung der 
Vernunft in Hegels System"). Hegels 
Philosophie ist die Philosophie der Revo- 
lution. denn die Identität zwischen Wirk- 
lichem und Vernünftigem ist so zu ver- 
stehen. daß die Vernunft sich verwirkli- 
chen muß und daß "die 'unvernünftige' 
Wirklichkeit so verändert werden (muß), 
daß sie mit der Vernunft zur Überein- 
stimmung gelangt." 21 Nach Hegel habe 
die französische Revolution rtason's ulti- 
matc power over reality zum Ausdruck 
gebracht. "Die in dieser Feststellung ent- 
haltenen Folgerungen", schreibt Marcuse. 
"führen mitten ins Zentrum seiner Philo- 
sophie. (...) Was die Menschen für wahr, 
gerecht und gut halten, sollte in der tat- 
sächlichen Organisation ihres sozialen 
und individuellen Lebens verwirklicht 
werden.” 22 

Eine ähnliche Bedeutung hat bei 
Marcuse das Argument des 
Kompromisses'. Die von Hegel verkün- 
dete 'Versöhnung' von Vernunft und 
Wirklichkeit geht nicht aus dem Prinzip 
seiner Philosophie selbst hervor, sondern 
ist das Ergebnis einer subjektiven Akko- 



146 


modation. "Jedoch wird der radikale Sinn 
der grundlegenden idealistischen Begrif- 
fe allmählich aufgegeben, und sic werden 
in ständig wachsendem MalJe dazu ge- 
bracht. sich der herrschenden gesell- 
schaftlichen Form anzupassen. [...] Die 
besondere Form, die die Versöhnung von 
Philosophie und Wirklichkeit in Hegels 
System annahm, war jedoch bedingt 
durch die reale Lage Deutschlands wäh- 
rend der Periode, in der er sein System 
ausarbeitete." 25 

Marcusc nimmt nicht nur die Idee des 
"Kompromisses" wieder auf. er weist ihr 
noch größere Bedeutung zu. ohne daß sie 
ihren psychologisch Charakter damit 
verlöre. Der Konflikt, der Widerspruch 
zwischen der "Bereitschaft, sicli mit der 
gesellschaftlichen Wirklichkeit 

(Deutschlands) auszusöhnen" und dem 
"kritischen Rationalismus" oder dem 
Drang nach Revolution, der Hegels Phi- 
losophie zugrunde liegt, ist nicht mehr 
nur Kennzeichen seines Denkens, son- 
dern Kennzeichen des gesamten dcut 
sehen Idealismus. Diese "Bereitschaft“ 
zur Versöhnung habe der Protestantismus 
der deutschen Kultur eingeflößt. 24 So- 
weit die allgemeinen Grundlinien der 
Hegelauslegung von Marcusc. Hätte es 
dabei sein Bewenden, so brauchten wir 
uns hier nicht damit zu beschäftigen. Neu 
und wichtig aber bei Marcusc ist - der 
linkshcgclianischen Schule und selbst 
dem "dialektischen Materialismus" gege- 
nüber - die Wiederentdeckung eines 
Hauptmotivs bei Hegel: die Zerstörung 
des Endlichen und die Aufhebung der 
Welt. Die "soziale Rolle" der Philosophie 
Marcuses hat hier Wurzeln. 

3. Der dialektische Materialismus und 
Hegel 

[..J 

4. Hegel und die Dialektik der Materie 
[-] 

5. Vernunft und Revolution bei 
Marcusc 

Und nun endlich zu Marcusc. Zunächst 
seien die Grundelemente seiner Hegelin- 
terpretation genannt: 

1. Die Auslegung der Hegelschen Ver- 
nunft als subjektive raison, als Vernunft 
des empirischen Individuums und nicht 
als Vernunft des christlichen Logos; da- 
her - wie bei der linkshcgclianischen 
Schule, vor allem bei Bruno Bauer - die 
Interpretation Hegels unter dem Ge- 
sichtspunkt des subjektiven Idealismus 
(Fichte): Die Vernunft ist das Ich; das 
"Ich" und die "Masse" usw. Die Ausle- 
gung der Hegelschen Verwirklichung des 
christlichen Logos erscheint als politi- 
sches Programm, mit dessen Hilfe 
"Ideale” realisiert werden sollen bzw. al- 


les, was die Vernunft den Menschen vor- 
sehrcibt. (Das Grundprinzip des Hcgcl- 
schen Systems liegt demnach in der Er- 
kenntnis, daß das, "was die Menschen für 
wahr, gerecht und gut halten, in der tat- 
sächlichen Organisation ihres sozialen 
und individuellen Lebens verwirklicht 
werden sollte." Vgl. dagegen den Brief 
von Marx an Rüge vom September 1843: 
"Wir treten dann nicht der Welt doktrinär 
mit einem neuen Prinzip entgegen: Hier 
ist die Wahrheit, hierkniee nieder!"). 

2. Die Einfügung des Hegelschen Motivs 
der Zerstörung des Endlichen in diesen 
liberal-radikalen Begriff von Revolution 
(cs wurde übrigens %on der ganzen Aus- 
legungstradition, Stimcr und Bakunin 
vielleicht ausgenommen, vergessen). 
Während dieses Motiv aber an die Trans- 
substantiation oder Immanentwerdung 
Gottes gebunden ist. nimmt es allmählich 
bei Marcuse. da die lheologische Bedeu- 
tung entfällt, eine wörtliche bzw. säkula- 
re Bedeutung an. 

Daher die Antithese, die im Mittelpunkt 
von Vernunft und Revolution sowie von 
Der eindimensionale Mensch 45 steht: 
der Gegensatz von 'positivem* und 
‘negativem Denken'. Ersteres entspricht 
dem 'Verstand', d.h. dem Prinzip des 
Nicht-Widerspruchs als 

(materialistischem) Prinzip des gesunden 
Menschenverstandes und der Wissen- 
schaft. Letzteres entspricht der dialekti- 
schen und philosophischen 'Vernunft'. 
Das 'positive' Denken ist dasjenige, das 
das Dasein der Well, die Autorität und 
die Realität des 'Gegebenen' anerkennt. 
Das 'negative' Denken dagegen negiert 
die 'Gegebenheiten'. Das Endliche außer- 
halb des Unendlichen hat keine wahr- 
hafte Wirklichkeit. Die Wahrheit des 
Endlichen ist seine Idealität ("Der Satz, 
daß das Endliche ideal ist, macht den 
Idealismus aus", hatte Hegel behauptet). 
Die 'Gegebenheiten', insofern sie außer- 
halb des Denkens sind und sich der Ver- 
nunft widersetzen, snd nicht die Wirk- 
lichkeit, sondern die Unwahrheit. Die 
Wahrheit ist die Verwirklichung der 
Vernunft: sie ist die Idee oder Philoso- 
phie. die sich in Realität verwandelt. "Für 
Hegel”, schreibt Marcuse. "besitzen die 
Tatsachen in sich selbst keine Autorität. 
(...) Alles, was gegeben ist. muß vor der 
Vernunft gerechtfertigt werden, die allein 
in der Totalität der Inhalte von Natur und 
Mensch besteht.” 44 

Im Gegensatz zu Hegel stehen, Marcusc 
zufolge. Hume und Kant: "Sollte Hume 
akzeptiert werden, dann müßte der An- 
spruch der Vernunft, die Wirklichkeit zu 
organisieren, zurückgewiesen werden. 
Denn wie wir gesehen haben, beruhte 
dieser Anspruch auf der Fähigkeit der 
Vernunft. Wahrheiten zu gewinnen, de- 
ren Gültigkeit nicht aus Erfahrung abge- 


leitet war und die in der Tat gegen die 
Erfahrung stehen konnten (...). Dieses 
Ergebnis der cmpiristischcn Untersu- 
chungen untergrub nicht nur die Meta- 
physik. Sie schränkte die Menschen auf 
die Grenzen des 'Gegebenen' ein. auf die 
bestehende Ordnung der Dinge und der 
Ereignisse. (...) Das Resultat war nicht 
nur Skeptizismus, sondern Konformis- 
mus. Die empiristische Beschränkung der 
menschlichen Natur auf die Erkenntnis 
des 'Gegebenen' beseitigte nicht nur den 
Wunsch, das Gegebene zu transzendie- 
ren. sondern auch den, an ihr zu verzwei- 
feln." 45 

Und weiter: “Die Verwirklichung der 
Vernunft ist bei Hegel keine Tatsache, 
sondern eine Aufgabe. Die Form, in der 
die Objekte unmitte'-bar erscheinen, ist 
noch nicht ihre wahre Form. Was einfach 
gegeben ist, ist zunächst negativ, ein an- 
deres als seine wirklichen Möglichkeiten. 
Es wird wahr nur im Prozeß der Über- 
windung dieser Negativität, so daß die 
Geburt der Wahrheit den Tod des gege- 
benen Zustands des Seins erfordert. He- 
gels Optimismus beruht auf einer de- 
struktiven Auffassung des Gegebenen. 
Alle Formen werden von der auflösenden 
Bewegung der Vernunft ergriffen, wel- 
che sie aufhebt und «rändert, bis sie ih- 
rem Begriff adäquat rind." 4 ^ Hegels Phi- 
losophie ist in der Tat "eine negative Phi- 
losophie". "Sie ist ursprünglich durch die 
Überzeugung motiviert, daß die gegebe- 
nen Tatsachen, die dem gesunden Men- 
schenverstand als der positive Index von 
Wahrheit erscheinen, in Wirklichkeit die 
Negation der Wahrheit sind, so daß die 
Wahrheit nur durch deren Zerstörung 
hcrgestellt werden kann.' 47 
Ein glänzendes Beispiel von Inkonse- 
quenz! Die alte spiritualistische Verach- 
tung für das Endliche und die irdische 
Welt Wiedererstehen als Philosophie der 
Revolution, besser der 'Revolte'. Es wer- 
den nicht etwa bestimmte historisch-gc- 
scllschaftlichc Institutionen bekämpft 
(wie 'Profit', 'Monopol' oder auch 
'sozialistische Bürokratie'). Man be- 
kämpft Gegenstände und Dinge. Wir sind 
von der repressiven Gewalt der 
'Gegebenheiten' belastet. Wir ersticken in 
der Sklaverei, daß wir das Dasein der 
'Dinge' anerkennen müssen. "Sie sind da 
- grotesk, eigensinnig, riesig, und (...) ich 
bin inmitten von namenlosen Dingen. Al- 
lein, ohne Worte, ohne Verteidigung sind 
sic rings um mich, sie sind unter mir, 
hinter mir. über mir. Sic fordern nichts, 
sic drängen sich nicht auf: sie sind da.' 48 
Vor diesem Schauspiel der Dinge ergreift 
und Entrüstung, die zum Ekel wird. Es ist 
leicht zu sagen: die Wurzeln eines Bau- 
mes! "Da saß ich nun. ein wenig vorn- 
übergebeugt, den Kopf nach unten, allein 
dieser schwarzen und knotigen Masse 



147 


gegenüber, die ungeschlacht war und mir 
Angst einjagte.' Da ist Absurdität, die 
zum Himmel nach Rache schreit: "... 
monströse, weiche Masse, ungeordnet, 
nackt, von einer erschreckenden und ob- 
szönen Nacktheit." 49 Es ist keineswegs 
absurd, daß Roquentin seine kleinbürger- 
liche ddbauche durch die öffentlichen 
Anlagen spazieren tragt, als Konsul oder 
sogai als Laval; absurd sind die Wurzeln 
eines Baumes. "Die Absurdität war nicht 
eine in meinem Kopfe entsprungene 
Idee, auch keine Einflüsterung - sie war 
die lange tote Schlange zu meinen Füßen, 
diese Schlange aus Holz. Schlange oder 
Tatze oder Wurzel oder Gcicrklauc. ganz 
gleich. Und ohne es klar zu formulieren, 
begriff ich, daß ich den Schlüssel der 
Existenz, den Schlüssel meines Ekels, 
meines eigenen Lebens gefunden 
hatte." 50 

Das Manifest dieser Zerstörung der 
Dinge - und das verstellt Marcusc unter 
"Revolution' - findet er in den Schriften 
Hegels. Die Befreiung von der Knecht- 
schaft des 'Gegebenen' fällt mit der Nacht 
und dem Nichts, von denen in Hegels Ju- 
gendschrift Differenz die Rede ist, zu- 
sammen. "Hier in seinen ersten philoso- 
phischen Schriften”, so hebt Mircuse 
hervor, "betont Hegel absichtlich de ne- 
gative Funktion der Vernunft, ihre Zer- 
störung der verfestigten und sicheren 
Welt des gesunden Menschenverstandes. 
Vom Absoluten ist die Rede als ven der 
‘Nacht’ und dem 'Nichts', um es von den 
klar definierten Gegenständen des All- 
tagslebens abzuheben. Die Vernunft be- 
deutet ein 'absolutes Negieren' der Welt 
des gesunden Menschenverstandes." 51 
Es handelt sich offensichtlich um alte, 

romantische Motive. In der Schrift Diffe- 
renz findet man überall Anklänge an 
Schclling. Da Marcusc aber aus der 
Schule Heideggers kommt, kann man 
doch wohl annehmen, daß diese Erhe- 
bung der Nacht und des Nichts (eben 
dort, wo man gewöhnlich die 'Sonr.e der 
Zukunft' erwartet) auch gewisse Anklän- 
gc an Was ist Metaphysik? enthält. Hei- 
degger ist ein Meister der Wichtung'. 
Auch wenn die Wichtung' keine 
'Vernichtung' und auch keine 
'Verneinung' 5 * 3 ist, überrascht diese phi- 
losophische 'Revolution': Sic versetzt 

nicht nur die 'authentische' und nicht 
mehr entfremdete Existenz in die 'helle 
Nacht des Nichts", sondern, als wäre sie 
unzufrieden und einer pedantischen Wut 
verfallen, besteht sie auf der Feststellung, 
daß "das Nichts selbst vernichtet." 

6. Die idealistische Wendung gegen die 
Wissenschaft 

Es ist müßig, hier noch weiter zu insistie- 
ren. Die Bedeutung von Marcuscs Auf- 
fassung wurzelt in der sogenannten 


'Kritik der Wissenschaft'. Das Entgegen- 
setzen von 'positivem' und 'negativem' 
Denken, von Nicht-Widerspnich und dia- 
lektischem Widerspruch, ist vor allem 
der Gegensatz von Wissenschaft und 
Philosophie. "Für ihn (Hegel)", sagt 
Marcuse, "ist die Unterscheidung zwi- 
schen Verstand und Vernunft identisch 
mit der zwischen gesundem Menschen- 
verstand und spekulativem Denken, zwi- 
schen undialektischer Reflexion und dia- 
lektischer Erkenntnis. Die Operationen 
des Verstandes bringen die gewöhnliche 
Art von Denken hervor, die sowohl im 
Alltagsdenken als auch in der Wissen- 
schaft herrscht." 52 

Diese romantische Hcgclschc Kritik des 
"Verstandes' tauchte um die Jahrhundert- 
wende mit der sogenannten 
"idealistischen Wendung gegen die Wis- 
senschaft" 53 wieder auf. Hinsichtlich ih- 
rer kritisch-negativen Bestandteile treffen 
sich, wie Crocc richtig bemerkt hat, diese 
beiden Einstellungen und decken sich. In 
Logica come scienza del concctto puro 
schreibt er in bezug auf Bergsons Kritik 
der Wissenschaft: “AHe diese kritischen 
Revolten gegenüber der Wissenschaft 
kommen demjenigen nicht neu vor, der 

die Kritiken Jacobis. Schellings, Novalis' 
und anderer Romantiker kennt, vor allem 
die schöne Kritik, die Hegel am abstrak- 
ten (d.h. empirischen und mathemati- 
schen) Verstand übte. Alle seine Werke, 
von der Phänomenologie des Geistes bis 
zur Wisserschaß der Logik, durchzieht 
diese Kritik, die dann anhand von Bei- 
spielen in den Anmerkungen zu den Pa- 
ragraphen der Naturphilosophie weiter 
ausgeführt ist.” 54 

Es is* nicht möglich, sich hier ausführlich 
zur Tragweite dieser "idealistischen 
Wendung" gegen die Wissenschaft zu 
äußern. "Entsteht die Wissenschaft, ver- 
geht das Denken” 55 - lassen wir Heideg- 
ger seine Meinung, über ihn macht man 
sich ohnehin keine Illusionen mehr. Aber 
die gleiche Ware wird heute auf seiten 
der Linken verkauft. Horkheimer und 
Adorno: “Wissenschaft selbst hat kein 
Bewußtsein von sich, sie ist ein Werk- 
zeug. Aufklärung aber ist die Philoso- 
phie. die Wahrheit mit wissenschaftli- 
chem System gleichsetzt Der Versuch, 
diese Identität zu begründen, den Kant 
noch aus philosophischer Absicht unter- 
nahm. führte zu Begriffen, die wissen- 
schaftlich keinen Sinn ergeben [...]. Der 
Begriff des Sichselbstvcrstchcns der 
Wissenschaft widerstreitet dem Begriff 
der Wissenschaft selbst [...]. Mit der von 
Kant als Resultat vollzogenen Bestäti- 
gung des wissenschaftlichen Systems als 
Gestalt der Wahrheit, besiegelt der Ge- 
danke seine eigene Nichtigkeit, denn 
Wissenschaft ist technische Übung, von 
Reflexion auf ihr eigenes Ziel so weit 


entfernt, wie andere Arbeitsarten unter 
dem Druck des Systems.” 56 
Es muß hervorgehoben werden, daß die- 
se Kritik der Wissenschaft sich auch als 
Kritik der Gesellschaft versteht. Der wis- 
senschaftliche Verstand ist die Denk- 
weise, die sowohl in der Praxis als auch 
im Alltagsleben üblich ist. Die Allge- 
mcingültigkcit der Wisanschaft, d.h. die 
Universalität ihrer Aussagen, fällt völlig 
mit der Unpersönlichkeit und Anonymi- 
tät des Lebens in der Gesellschaft zusam- 
men. Alle diese Ansätze sind im Keim 
schon bei Bergson zu finden. Unser In- 
tellekt. sagt er in Schöpferische Entwick- 
lung, ist eine "wesenilich praktische", 
“mehr zu Vorstellung von Dingen und 
Zuständen als von Veränderungen und 
Akten gemachtc(n) Funktion". "Dinge 
aber und Zustände sind bloße Ansichten, 
die unser Geist vom Werden aufnimmt. 
Es gibt keine Dinge, es gibt nur Hand- 
lungen.” wenn ‘ein Ding das Ergebnis 
einer vom Verstände vollzogenen Ver- 
dichtung (ist), und (cs) nie andere Dinge 
geben (kann), als die der Verstand ge- 
formt hat" 57 , bedeutet daß. daß die na- 
türliche Welt, die die Wissenschaft uns 
als Wirklichkeit darstcllt. in der Tat nur 
ein Kunstgriff ist. Die Materie ist das 
Produkt des Verstandes. Die 'Dinge' sind 
das Resultat unserer Neigung zum - 
'Verdinglichen', d.h. die Welt zu 
'befestigen', um in ihr praktisch zu han- 
deln und sic zu verändern. Diese ur- 
sprüngliche Zusammengehörigkeit von 
Wissenschaft und Materialismus ist ge- 
wissermaßen überlagert von der von Ma- 
terialismus und Gesellschaft, Wissen- 
schaft und zugehörigem Leben. Um auf 
die Welt zu wirken, verdinglichen wir. 
aber diese Verdinglichung ist zugleich 
auch Mittel zur intersubjektiven Verstän- 
digung. Die echte oder persönliche und 
die soziale oder unpersönliche Existenz 
sind auf zwei verschiedene Subjekte zu- 
rückzuführen: das eine 'wesentlich', das 
andere 'oberflächlich' und 'scheinbar' - 
"zwei verschiedene Ichs, eines gleichsam 
als nach außen gerichtete Projektion des 
anderen, seine räumliche und sozusagen 
soziale Repräsentation.' 58 Die Verräum- 
lichung oder Material iiation der Wirk- 
lichkeit, sagt Bergson, ist schon eine An- 
leitung zum sozialen Leben. 
"Meistenteils leben wir uns selbst gegen- 
über äußerlich und gewahren nur das ent- 
färbte Phantom unseres Ichs, einen 
Schalten, den die reine Dauer in den ho- 
mogenen Raum wirft. Unsere Existenz 
spielt sich also mehr im Raum als in der 
Zeit ab: wir leben mehr für die äußere 
Welt als für uns." "Dies* Anschauung ei- 
nes homogenen Mediums (...) erlaubt 
uns, unsere Begriffe im Verhältnis zuein- 
ander zu exteriorisieren und enthüllt uns 
die Objektivität der Dinge, und so bedcu- 



148 


Ict sic durch ihre doppelte Wirksamkeit, 
indem sie einerseits die Sprache begün- 
stigt und andererseits uns eine von uns 
selbst scharf unterschiedene Welt darbie- 
tet, deren Perzeption allen Intelligenzen 
gemeinsam ist. eine Ankündigung und 
Vorbereitung des sozialen Lebens. ^ 
Alles wesentliche künftiger irrationaler 
Gesellschaftskritik ist hier schon, wie er- 
sichtlich, vorweggenommen: die Wissen- 
schaft als Verdinglichung und die Gesell- 
schaft als entfremdete Existenz. 

Über die Ausarbeitung und die Entwick- 
lung dieser Thesen durch die verschiede- 
nen Strömungen des deutschen Irrationa- 
lismus. u.a. der Lebensphilosophie zu 
sprechen, ist hier nicht möglich. Es sei 
lediglich auf die entscheidende 'Wende 1 
hingewiesen, die Lukäcs' berühmtes 
Buch von 1923 einleitete. Wie der Ver- 
fasser in einer selbstkritischen Erklärung 
vom September I962^ a un d dann j n 
seiner Einleitung zur jüngsten italieni- 
schen Ausgabe zugegeben hat, basiert 
Geschichte und Klassenbewußtsein auf 
der Verwechslung der Marxschen Ent- 
fremdungstheorie ('Fetischismus', 

'Verdinglichung') mit der Hcgelschen. 
Der kapitalistische Fetischismus ist in 
diesem Werk in den Termini der Hcgcl- 
schen Kritik analysiert worden. Der 
'Fetisch' ist nicht cas Kapital oder die 
Ware, sondern der natürliche Gegen- 
stand, der außerhalb des Denkens liegt. 
Die vom Kapital bewirkte Trennung zwi- 
schen dem Arbeiter und den objektiven 
Arbeitsbedingungen wird mit der vom 
'Verstand' getroffenen Unterscheidung 
zwischen Subjekt und Objekt verwech- 
selt. Die Folge ist, daß - wie Lukäcs 
selbst dann bemerkt hat - ein historisch- 
gesellschaftliches Problem in ein ontolo- 
gisches verwandelt wird. Die kapitalisti- 
sche 'Verdinglichung' wird auf diese 
Weise zum Produkt des materialistischen 
Verstandes und der Wissenschaft, deren 
analytische Anschauung der Wirklichkeit 
als "positivistisch und bürgerlich" ausge- 
geben wird. Während das Proletariat mit 
der philosophischen Vernunft gleichge- 
setzt wird, die zusammenbringt bzw. wie 
man heute sagt 'totalisiert', was der Ver- 
stand und der gesunde Menschenverstand 
Tag für Tag zu unterscheiden pflegen. 

Aus dieser Verwechslung ergab sich, daß 
Geschichte und Klassenbewußtsein unter 
der 'revolutionären' Form einer Kritik an 
der bürgerlichen Gesellschaft die ver- 
schleiernden Inhalte idealistischer Wis- 
senschaftskritik präsentierte. Aus der 
Schule von Ricken und Lask stammend 
und nicht wenig durch Simmels (des 
deutschen Bergson) Philosophie des 
Geldes beeinflußt, bezog Lukdcs letzten 
Endes den Marxismus in den Bereich der 
idealistischen Wentking gegen die Wis- 
senschaft ein, die um die Jahrhundert- 


wende aufkam und deren ferne Voraus- 
setzungen, wie wir festgestellt haben, 
eben in Hegels Kritik des 'Verstandes' 
liegen. 

Der 'Fetisch' ist der natürliche Gegen- 
stand, den die Wissenschaft erforscht. 
Die 'Verdinglichung' (oder, wie Bergson 
sagt, "le chosisme ") ist dis Produkt des 
wissenschaftlichen Verstandes, der die 
fließende und "lebendige" Wirklichkeils- 
einheit zerschneide« und zerstückelt (der 
berühmte morcelage.') und sic zu 
"scheinbaren" Gegenständen neu zu- 
sammensetzt, die zum praktisch-techni- 
schen Handeln nützen sollen. Kurzum, 
die Entfremdung ist die Wissenschaft, 
die Technik. Nachdem Lukdcs diese The- 
sen aufgenommen hatte, vertrat er sie 
seinerseits mit großer Überzeugungs- 
kraft. Die alte Aversion des philosophi- 
schen Spiritualismus gegenüber der Pro- 
duktion. der Technik, der Wissenschaft - 
in einem Wort: der Abscheu vor den Ma- 
schinen - verbarg sich hinter der Anzie- 
hungskraft einer Kritik der modernen 
bürgerlichen Gesellschaft. 

Hier liegt der Kern der Marcuscschcn 
Philosophie. Die Oppression ist die Wis- 
senschaft. Die Verdinglichung besteht in 
der Anerkennung der Existenz von Din- 
gen, die außerhalb von uns liegen. Die 
Dialektik von 'hier' und 'jetzt', d.h. die 
Dialektik des alten Skeptizismus, mit der 
Hegel am Anfang der Phänomenologie 
die sinnliche Gewißheit von der Existenz 
der äußeren Gegenstände zerstört er- 
scheint Marcusc als die Befreiung des 
Menschen: "Die ersten drei Abschnitte 
der Phänomenologie sind eine Kritik des 
Positivismus und mehr noch der 
'Verdinglichung*. (...) Wir entlehnen den 
Begriff der 'Verdinglichung’ der Mar- 
xschen Theorie, wo er die Tatsache be- 
zeichnet. daß in der Welt des Kapitalis- 
mus alle Beziehungen zwischen Men- 
schen als Beziehungen zwischen Dingen 
erscheinen. (...) Hegel stieß innerhalb der 
Philosophie auf die nämliche Tatsache. 
Der gesunde Menschenverstand und das 
traditionelle wissenschaftliche Denken 
nehmen die Welt als eine Totalität von 
Dingen hin, die mehr oder weniger per se 
existieren und suchen die Wahrheit in 
Gegenständen, die als unabhängig vom 
erkennenden Subjekt aufgefaßt werden. 
Das ist nicht nur ein; crkcnntnisthcorcti- 
sche Haltung, sondern geht durch die 
Praxis der Menschen hindurch und führt 
sie dazu, sich dem Gefühl zu überlissen, 
daß sic nur dann sichergehen, wenn sie 
objektive Tatsachen kennen und handha- 
ben." 60 

Das läuft auf eine undifferenzierte An- 
klage gegen Wissenschaft und Technik 
oder, um Marcuses Ausdruck zu benut- 
zen. gegen die “Industricgcscllschaft" 
hinaus. Dis gleiche Motiv bildet die 


Grundlage von Husserls 'Krisis' (ganz zu 
schweigen von Horfcheimcrs und Ador- 
nos Angriffen auf Bacon und Galilei). 
Von diesem Motiv hat in den letzten 
Jahrzehnten die ganze Publizistik der so- 
genannten 'Krisis der Kultur’ ihren Aus- 
gang genommen (so u.a. Jaspers' Vom 
Ursprung und Ziel der Geschichte ). Das 
"Böse” ist weder eine bestimmte gesell- 
schaftliche Organisation noch ein gewis- 
ses System von gesellschaftlichen Bezie- 
hungen, sondern die Industrie, die Tech- 
nik, die Wissenschaft. Es ist nicht das 
Kapital, sondern die Maschine als solche. 
Marcuse - das soll niemand verletzen - ist 
der Nachfahre eben derselben Denktradi- 
tion, der er heute Angst einflößt. 

7. Schlußfolgerung 

In Marcuses Buch Der eindimensionale 
Mensch gibt es eine kurze Bemerkung, in 
der der Autor sich von Marx distanziert. 
Damit wollen wir unsere Ausführungen 
beschließen: "Die klassische Marxsche 
Theorie stellt sich den Übergang vom 
Kapitalismus zum Sozialismus als eine 
Revolution von das Proletariat zerstört 
den politischen Apparat des Kapitalis- 
mus, behält aber den technischen Appa- 
rat bei und unterwirft ihn der Sozialisie- 
rung. In der Revolution gibt es eine Kon- 
tinuität: befreit von irrationalen Schran- 
ken und Zerstörungen, erhält und vollen- 
det sich die technologische Rationalität 
in der neuen Gesellschaft." 61 
Dieser Analyse stimmt Marcusc nicht zu, 
weil er nämlich der Meinung ist. daß die 
Wurzeln des Bösen eben im technologi- 
schen Apparat als solchem liegen. Er hat 
aber sicherlich recht, wenn er in ihr das 
Wesentliche der Marxschen Theorie 
sieht. 

Die kapitalistische Entwicklung ist die 
Entwicklung der Großindustrie. Nach 
Marx ist diese Entwicklung im Kapita- 
lismus von einer Reihe sehr negativer Er- 
scheinungen nicht zu trennen: Ausbeu- 
tung, Lohnarbeit, Bildung der 
"industriellen Reservearmee" usw. In 
dieser Situation werden trotzdem, Marx' 
Meinung nach, die Voraussetzungen für 
die Befreiung des Menschen geschaffen: 
riesiger Zuwachs der Arbeitsproduktivi- 
tät (wenn auch in der Form der 
"Intensivierung" der Ausbeulung der Ar- 
beitskraft); Auflösung der lokalen und 
nationalen Grenzen und Vereinheitli- 
chung der Welt (wenn auch in der Form 
des Wcli-"Marktes") Sozialisierung des 
Menschen, d.h. Wiederherstellung der 
Verbindung mit seiner Gattung (wenn 
auch vorerst nur durch die Herausbildung 
des Fabrikproletariais). "Die Bourgeoi- 
sie". heißt cs im Manifest, "hat durch ihre 
Exploitation des Weltmarktes die Pro- 
duktion und Konsumtion aller Länder 
kosmopolitisch gesultct. Sic hat zum 



149 


großen Bedauern der Reaktionäre den na- 
tionalen Boden der Industrie unter den 
Füßen weggezogen. (...J An die Stelle der 
alten lokalen und nationalen Selbstge- 
nügsamkeit tritt ein allscitigcr Verkehr, 
eine abseitige Abhängigkeit der Nationen 
voneinander." 63 

Den Sinn dieser Theorie hat Marx in der 
bekannten Formel zusammengefaßt: Wi- 
derspruch zwischen modernen Produk- 
tivkräften und kapitalistischen Produkti- 
onsverhältnissen; zwischen dem sozialen 
Charakter der industriellen Produktion 
und der noch privaicn Art der kapitalisti- 
schen Aneignung. 

Diese Formel ist durch allzu häufigen 
Gebrauch entschärft worden. Immerhin 
läßt sich auch heute noch auf zwei wich- 
tige Bedeutungen verweisen. Erstens, Art 
und Charakter der an der Veränderung 
und Befreiung der modernen Gesell- 
schaft interessierten Kräfte sind bei Marx 
nicht aus dem reinen 'Ideal' der philoso- 
phischen Vernunft (die dann sowieso 
immer die 'Vernunft' oder das 'Ideal' von 
Hinz und Kunz sind) abgeleitet, sondern 
entstammen einer wissenschaftlichen 
Analyse der modernen Gesellschaft 
selbst Sie resultieren also nicht aus ei- 
nem apriorischen Ausklammcm des er- 
forschten Objekts (der sogenannten 
'Zerstörung' des Endlichen), sondern aus 
der Erkenntnis der Rolle, die die Arbei- 
terklasse im modernen Produktionspro- 
zeß spielt "Wir (wollen) nicht dogma- 
tisch die Welt antizipieren", schrieb 
Marx an Rüge, "sondern erst aus der Kr- 
itik der alten Welt die neue finden. Bis- 
her hatten die Philosophen die Auflösung 
aller Rätsel in ihrem Pulte liegen, und die 
dumme exoterische Welt hatte nur das 
Maul aufzusperren, damit ihr die gebra- 
tenen Tauben der absoluten Wissenschaft 
in den Mund flogen." 63 Das heißt, daß 
die Lösung nicht von irgendeinem außer- 
halb stehenden deus ex machina erwartet 
sondern in den wirklichen historischen 
Kräften, die in dieser Gesellschaft vor- 
handen sind, aufgesucht wird. Zweitens, 
eben diese Funktion im modernen Pro- 
duktionsprozeß macht die Arbeiterklasse 
(vom einfachen Hilfsarbeiter bis zum In- 
genieur) zu dem historischen Akteur, 
über den die neue Gesellschaft die alte 
beerben kann: die modernen Produktiv- 
kräfte, die innerhalb dieser Gesellschaft 
entstanden sind, d.h. die Wissenschaft, 
die Technik, die Industrie, die kritische 
Denkweise und die experimentelle Le- 
bensweise. 

Für Marx - und da» hat Marcuse richtig 
gesehen - gibt es eine Kontinuität in der 
Revolution. Ich würde sagen, daß damit 
der Unterschied zwischen der Revolution 
als wirklichem, historischem Ereignis 
und dem prometheischen Versuch der 
"Großen Weigerung" gefaßt ist. Die Re- 


volution ist ein konkretes Ereignis: sie 
entsteht aus der Geschichte und strebt 
wieder nach wirklichen, geschichtlichen 
Bedingungen. Sie ist die Befreiung der 
von der historischen Entwicklung akku- 
mulierten Kräfte. Sie ist, auf höherer 
Ebene, die Wiedergewinnung all dessen, 
was die Menschheit im Laufe ihrer Ge- 
schichte erreicht hat, abgerungen der Na- 
tur und den irrationalen Einreden des 
Mythos. 

Die "Große Weigerung" Marcuscs hin- 
gegen ist eben durch ihre Ungeschick- 
lichkeit gekennzeichnet. Sic ist eine tota- 
le Verneinung des Bestehenden. Da 
Marcuse diagnostiziert hat, daß die Tech- 
nologie das entscheidende Medium der 
Verdinglichung ist. kann er die Befreiung 
nur vor oder nach der Geschichte suchen. 
In beiden Fällen außerhalb des gesunden 
Menschenverstandes. 

"... daß Schrecken und Zivilisation un- 
trennbar sind" - "Im Zeichen des Henkers 
vollzog sich die Entwicklung der Kultur" 
- "Man kann nicht den Schrecken ab- 
schaffen und Zivilisation übrigbehal- 
ten" 6 ^ - solche Aphorismen Horkheimers 
und Adornos machen die "Große Weige- 
rung“ Marcuses begreiflich. Sogar ein 
kaum kultivierter Geschmack könnte die- 
se Sätze anders verstehen. Ein Leser, der 
sich auskennt, entdeckt bald ihren Hci- 
deggerschen Ursprung ("Der Mensch irrt. 
Die Irre, durch die der Mensch geht, ist 
nichts..." 65 ). Man sollte sic mit Nach- 
sicht betrachten. Es sind die letzten 
"Blumen des Bösen", jenes alten Spiri- 
tualismus. der die Dinge zu zerstören 
strebte. Es ist der Schwanengesang zwei- 
er alter Herren, die etwas nihilistisch und 
altmodisch mit der Geschichte streiten. 

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S 181 

2 «M.3 161. 

3 «M.S 18» 

4 «M.S 16«. 

5. GW.F Mp* Eri*«** Mi WUrcdufto 

Harrtwg 1959. S. 113 

6. G.W.F. Mp* O* Wsrffltf dp lo* ** 0 . S. 1 W. 

6a. «M S. 317-318, An <fep l*IMu>pw*n *1*1 Mp* 
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7 G.W.F. Mp* ErayU***«. uO.S?S. 

8 «M.S 78. 

9 «M.S. TV 78. 

10. GW f. Kpgat 0« WftMratMldp legt. «*0. S. SSI. 

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H«*1*P1. 

?0 H UarcuM Vpixrtl inj RntUm NaiwM *1968. S 16 
21. «M.S. •» 

22 «M. 3. 1» 

23. «M.S 23 
24 «M.S 24t. 

II 

«3 H Upcum Dp «nfenpuaa« Manvti WoM Bafel 1967. 
Kap VirtVI 

*4 H Uartu» Vpixrt irrt Breiten. uO. S 35 
4$. «M.S 28-29 
«6. «M.S. 3*. 

47. «M.S 34. 

«8 JP. Soü* D« (XU Umipf «I H WjBwh Rtnu* 1963. S 
133 8. 

«9. «M.S 1». 136 
10 «M.S 137. 

51. H Uaoiw VpnaVl ml RneUCn. »*0. S. S3 
51a. M H*d«g*. Was Ol UPi*r»*? FiaMlrt 1949. S. 31. 

52 H. uaoj». Vimurt u>3 Rmun a»0 . S <9 50 

53 Oiasp Aiaiixi -o» incnfgfcp n (cUvai Snrx *nur< 
Ei rnr» Oir «n F. Londant • n Sn» im rtgtssMn RKno- 
nwa • rpM<ü«. oö «i tpion i 'sano gm toxi» rt>- 
ma 1965, $ 137 «.. n dam dp Aux s*»i NMg *i 0p*n irrt H» 
saitB«*« V* «Ol F looWn» F tunk » sce*U Ffcrra i»7. S. 
1*9 8.. KM« «M» ENrting M MpmuH^« vo» Irren» Mft io*n 
F*iru1967. 

54 B OK«:Legc«co»tC*uadUctra»puo Ban 1942. S MS 

55 U. Hpdp»p'. ÜtP *n Mimroma. FnrtAjd 19*9, S 39. 

5«. M MyVafror. IK W. A*»ro Do CUMUfc 1 p AiftJlrg. Furt- 
hrt 1989,8.92 

57. H. Btnpai: Sth&PBOia Enwttoj Ltoiuai «an G Kxnoo- 
■a Jena 1971. S 252. 253 

56. H Bpgion M Ort Fn9n« fopstui von P. Ft*. U«eaW«pi 
19*9. S. 191. 194. 

59 «M .S 191.19* 

59t I. Fatschcr Dp Uansnrs B«. I. MJrOipv 1962 

60 H Um Vmrt ux) (MJkrx ». 0, S 106 
61. K Uooa« Dp *«xfe»nMnM Manien. **0 . S «2 

62 KMan.MfGA.Bd IV. Boln t»4. S. 4M 

63 K Ua« Bi*« *a Or OPA»n FiKj6*Oipi UE- 

OA.M L3.3*« 

6« U. Mylfornp. IhW «m OOWk dp AMtonrg. a»0 . S 
227. 

«5 M Hong*: Von W««n dp WaMat FrrtJjd 1949. S 22. V{« 
m PXl\ <U AuRusuvg dp G«a«K« als 'Uitan*. 



150 


Friedrich Engels 

Ein gerechter Tagelohn 
für ein gerechtes Tage- 
werk 

("The Labour Standard" Nr. I vom 7. 
Mai 1881, Leitartikel) 

Das ist nun während der letzten fünfzig 
Jahre der Wahlspruch der englischen Ar- 
beiteibewegung gewesen. Er leistete gute 
Dienste zur Zeit des Aufstiegs der Tradc- 
Unions nach Aufhebung der schändli- 
chen Antikoalitionsgesetze von 1824; 
noch bessere Dienste leistete er zur Zeit 
der ruhmreichen Chartistcnbcwcgung, als 
die englischen Arbeiter an der Spitze der 
europäischen Arbeiterklasse marschier- 
ten. Aber die Zeit bleibt nicht stehen, und 
gar viele Dinge, die vor fünfzig und 
selbst noch vor dreißig Jahren wün- 
schenswert und notwendig waren, sind 
nun veraltet und würden völlig fehl am 

Platze sein. Gehört das altehrwtlrdige 
Losungswort auch zu diesen Dingen? 

Ein gerechter Tagclohn für ein gerechtes 
Tagewerk? Aber was ist ein gerechter 
Tagclohn. und was ist ein gerechtes Ta- 
gewerk? Wie werden sie bestimmt durch 
die Gesetze, unter denen die medeme 

Gesellschaft existiert und sich entwik- 
kclt? Um hierauf eine Antwort zu finden, 
dürfen wir uns weder auf die Wissen- 
schaft von der Moral oder von Recht und 
Billigkeit berufen, noch auf irgendwel- 
che sentimentalen Gefühle von Humani- 
tät. Gerechtigkeit oder gar Barmherzig- 
keit. Was moralisch gerecht ist, ja selbst 
was dem Gesetz nach gerecht ist, kann 
weit davon entfernt sein, sozial gerecht 
zu sein. Über soziale Gerechtigkeit oder 
Ungerechtigkeit wird durch eine einzige 
Wissenschaft entschieden - durch die 
Wissenschaft, die sich mit den materiel- 
len Tatsachen von Produktion und Aus- 
tausch befaßt, die Wissenschaft von der 
politischen Ökonomie. 

Was wird nun na:h der politischen Öko- 
nomie ein gerechier Tagclohn und ein ge- 
rechtes Tagewerk genannt? Einfach die 
Lohnhöhe und die Dauer und Intensität 
einer Tagcsarbeit die durch die Konkur- 
renz des Unternehmers und des Arbeiters 
auf dem freien Markt bestimmt werden. 
Und was sind sie. wenn sie derart be- 
stimmt werden? 

Ein gerechter Tagelohn ist unter norma- 
len Bedingungen, die Summe, die erfor- 
derlich ist. dem Arbeiter die Existen/.mit- 
tcl zu verschaffen, die er entsprechend 
dem Lebensstandard seiner Stellung und 
seines Landes benötigt, um sich arbeits- 
fähig zu erhalten und sein Geschlecht 
fortzupflan/.cn. Die wirkliche Lohnhöhe 
mag. je nach den Schwankungen des Ge- 


schäftsganges manchmal über, manchmal 
unter diesjm Satze liegen; enter norma- 
len Bedingungen sollte dieser Satz je- 
doch den Durchschnitt aller Lohn- 
schwankungcn bilden. 

Ein gerechtes Tagewerk ist diejenige 
Dauer des Arbeitstages und diejenige In- 
tensität der tatsächlichen Arbeit, bei de- 
nen ein Arbeiter die volle Arbeitskraft 
eines Tages verausgabt, ohre seine Fä- 
higkeit zu beeinträchtigen, am nächsten 
Tag und an den folgenden Tagen diesel- 
be Arbeitsmenge zu leisten. 

Der Vorgang kann demnach folgender- 
maßen beschrieben werden: Der Arbeiter 
gibt dem Kapitalisten die volle Arbeits- 
kraft eines Tages, das heißt, so viel er 
geben kann, ohne die ununterbrochene 
Wiederholung des Vorgangs unmöglich 
zu machen. Im Austausch erhält er gera- 
de so viel und nicht mehr an Existenzmit- 
ten, wie nötig sind, um die Wiederholung 
desselben Geschäfts jeden Tag zu ermög- 
lichen. Der Arbeiter gibt so viel, und der 
Kapitalist so wenig, wie es die Natur der 
Übereinkunft zuläßt. Das ist eine sehr 
sonderbare Sorte von Gerecht gkeiL 
Wir wollen aber etwas tiefer in die Sache 
eindringen. Da nach den politischen 
Ökonomen Lohn und Arbeitszeit durch 
die Konkurrenz bestimmt werden, 
scheint es die Gerechtigkeit zu verlangen, 
daß beide Seiten zu den gleichen Bedin- 
gungen denselben gerechten Ausgangs- 
punkt haben. Aber das ist nicht der Fall. 
Wenn der Kapitalist mit dem Arbeiter 
nicht einig werden kann, kann er es sich 
leisten, zu warten, und von seinem Kapi- 
tal zu leben. Der Arbeiter kam das nicht. 
Er hat nur seinen Lohn zum Leben und 
muß daher Arbeit annchmcn, wann, wo 
und zu welchen Bedingungen er sie be- 
kommen kann. Der Arbeiter hat keinen 
gerechten Ausgangspunkt. Durch den 
Hunger ist er außerordentlich benachtei- 
ligt. Und dennoch ist das nach der politi- 
schen Ökonomie der Kapitalistcnklassc 
der Gipfel der Gerechtigkeit. 

Aber das ist noch das wenigsie. Die An- 
wendung von mechanischer Kraft und 
Maschinerie in neuen Gewerben und die 
Ausbreitung und Vervollkommnung der 
Maschinerie in Gewerben, in denen sie 
sich bereits durchgesetzt hat, verdrängen 
immer mehr “Hände" von ihrem Arbeits- 
platz; und das geschieht in weil schnelle- 
rem Tempo, als die überflüssig geworde- 
nen "Hände" von den Fabriken des Lan- 
des aufgesogen und beschäftigt werden 
können. Diese überflüssigen "Hände" 
stellen dein Kapital eine richtige indu- 
strielle Reservearmee zur Verfügung. Bei 
schlechtem Geschäftsausgang mögen sic 
hungern, betteln, stehlen oder ins Arbe- 
itshaus gehen; bei gutem Geschäftsgang 
sind zur Hand für die Ausdehnung der 
Produktion; und solange nicht auch der 


allerletzte Mann, die letzte Frau und das 
letzte Kind Arbeit gefunden haben soll- 
ten - was nur in Zeiten stürmischer Über- 
produktion der Fall ist-, solange wird die 
Konkurrenz dieser Reservearmee die 
Löhne niedrig halten und durch ihre 
bloße Existenz die Macht des Kapitals in 
seinem Kampf gegen die Arbeiter ver- 
stärken. In dem Wcttlauf mit dem Kapital 
sind die Arbeiter nicht nur benachteiligt, 
sie haben eine ans Bein geschmiedete 
Kanonenkugel mitzuschleppen. Aber das 
ist nach der kapitalistischen politischen 
Ökonomie Gerechtigkeit. 

Nun wollen wir untersuchen, aus wel- 
chem Fonds das Kapital diese so überaus 
gerechten Löhne zahlt. Aus dem Kapital 
natürlich. Aber Kapital produziert keine 
Werte. Arbeit ist, abgesehen vom Grund 
und Boden, die einzige Quelle des Reich- 
tums; Kapital ist nichts weiter als aufge- 
häuftes Arbeitsprodukt. Hieraus folgt, 
daß der Arbeitslohn aus der Arbeit ge- 
zahlt wird und daß der Arbeiter aus sei- 
nem eigenen Arbeitsprodukt entlohnt 
wird, Entsprechend dem, was man ge- 
wöhnlich Gerechtigkeit nennt, müßte der 
Lohn des Arbeiters aus dem Produkt sei- 
ner Arbeit bestehen. Aber das würde 
nach der politischen Ökonomie nicht ge- 
recht sein. Im Gegenteil, das Arbeitspro- 
dukt des Arbeiters geht an den Kapitali- 
sten, und der Arbeiter erhält davon nicht 
mehr als die bloßen Existenzmittel. Und 
das Ende dieses ungewöhnlich 
"gerechten" Wettlaufs der Konkurrenz ist 
somit, daß das Arbeitsprodukt derer, die 
arbeiten, unvermeidlich in den Händen 
derer angchäuft wird, die nicht arbeiten, 
und in ihren Händen zu dem mächtigsten 
Mittel wird, eben die Menschen zu ver- 
sklaven, die cs hervorgebracht haben. 

Ein gerechter Tagelohn für ein gerechtes 
Tagewerk! Mancherlei wäre auch über 
das gerechte Tagewerk zu sagen, dessen 
Gerechtigkeit auf genau der gleichen 
Höhe steht wie die Löhne. Aber das müs- 
sen wir uns für eine andere Gelegenheit 
aufsparen. Aus dem Dargclcgtcn geht 
ganz klar hervor, daß sich das alte Lo- 
sungswort überlebt hat und heutzutage 
kaum noch Stich hält. Die Gerechtigkeit 
der politischen Ökonomie, wie sie in 
Wirklichkeit die Gesetze fixiert, die die 
bestellende Gesellschaft beherrschen, 
diese Gerechtigkeit ist ganz auf der einen 
Seite -auf der des Kapitals. Begrabt 
darum den alten Wahlspruch für immer, 
und ersetzt ihn durch einen anderen: 
Besitzer der Arbeitsmittel - der Roh- 
stoffe, Fabriken und Maschinen - soll 
das arbeitende Volk selbst sein. 



151 


Friedrich Engels 
Das Lohnsystem 

( "The Labour Standard" Nr. 3 vom 21. 
Mai 188!, Leitartikel) 

In einem früheren Artikel untersuchten 
wir den altehrwürdigen Wahlspruch "Ein 
gerechter Tagelohn für ein gerechtes Ta- 
gewerk!" mit dem Ergebnis, daß der ge- 
rechteste Tagclohn unter den gegenwärti- 
gen gesellschaftlichen Verhältnissen un- 
vermeidlich gleichbedeutend ist mit der 
allcrungcrechtesten Teilung des von Ar- 
beiter geschaffenen Produkts, da der grö- 
ßere Teil dieses Produkts in die Tasche 
der Kapitalisten fließt, während der Ar- 
beiter gerade mit soviel vorliebnehmen 
muß, wie er berötigt. sich arbeitsfähig zu 
erhalten und sein Geschlecht fortzu- 
pflanzen. 

Das ist ein GcKtz der politischen Öko- 
nomie oder, mit anderen Worten, cm Ge- 
setz der gegenwärtigen ökonomischen 
Organisation de: Gesellschaft, das mäch- 
tiger ist als alle ungeschriebenen und ge- 
schriebenen Gesetze Englands zusamme- 
n, das Kanzleigericht eingeschlossen. So- 
lange die Gesellschaft in zwei feindliche 
Klassen geteilt ist: auf der einen Seite die 
Kapitalisten, die die Gesamtheit der Pro- 
duktionsmittel - Grund und Boden, Roh- 
stoffe, Maschinen - monopolisieren; auf 
der anderen Seite die Arbeiter, die arbei- 
tende Bevölkerung, die jeglichen Eigen- 
tums an den Produktionsmitteln beraubt 
sind und nichts anderes besitzen als die 
eigene Arbeitskraft - solange diese ge- 
sellschaftliche Organisation besteht, wird 
das Lohngesetz allmächtig bleiben und' 
jeden Tag auf*; neue die Ketten schmie- 
den, die den Arbeiter zum Sklaven seines 
eigenen vom Kapitalisten monopolisier- 
ten Produkts machen. 


Kar! Marx 

Auszug aus der Kritik des 
Gothaer Programms 

3. "Die Befreiung der Arbeit erfordert die 
Erhebung der Arbeitsmittel zu Gemein- 
gut der Gesellschaft und die genossen- 
schaftliche Regelung der Gesamtarbeit 
mit gerechter Verteilung des Arbeitser- 
trags”. 

""Erhebung der Arbeitsmittel zu Gemein- 
gut"! Soll wohl heißen ihre 
"Verwandlung in Gemeingut"". Doch dies 
nur nebenbei. 

Was ist "Arbeitsertrag'? Das Produkt der 
Arbeit oder sein Wert? Und im letzteren 
Fall, der Gesamtwert des Produkts oder 
nur der Wertteil, den die Arbeit dem 
Wert der lufgezehrten Produktionsmittel 
neu zugesetzt hat? 

'Arbeitserjag" ist eine lose Vorstellung 
die Lassalle an die Stelle bestimmter 
ökonomischer Begriffe gesetzt haL 
Was ist “gerechte" Verteilung? 

Behaupten die Bourgeois nicht, daß die 
heutige Verteilung "gerecht" ist? Und ist 
sie in der Tat nicht die einzige “gerechte" 
Verteilung auf Grundlage der heutigen 
Produktionsweise? Werden die ökonomi- 
schen Verhältnisse durch Rechtsbegriffe 
geregelt, cxlcr entspringen nicht umgeke- 
hrt die Rechtsverhältnisse aus dem öko- 
nomischen? Haben nicht auch die sozia- 
listische» Sektierer die verschiedensten 
Vorstellungen über "gerectoe" Vertei- 
lung? 

Um zu wissen, was man sich bei dieser 
Gelegenheit unter der Phrase “gerechte 
Verteilung" vorzustcllcn hat, müssen wir 
den ersten Paragraphen mit diesem Zu- 
sammenhalten. Letzterer unterstellt eine 
Gesellschaft, worin "die Arbeitsmittel 
Gemeingut sind und die Gesamtarbeit 
genossenschaftlich geregelt ist", und aus 
dem ersten Paragraphen ersehen wir. daß 
“der Ertrag der Arbeit unverkürzt, nach 
gleichem Rechte, allen Gcsellschafts- 
glicdcm gehört". 

"Allen Gesellschaftsgliedcm"? Auch den 
nicht arbeitenden? Wo bleibt da "der un- 
verkürzte Arbeitsertrag’? Nur den arbei- 
tenden Gescllschaftsgliedem? Wo bleibt 
da "das gleiche Recht" aller Gcscll- 
schaftsglicdcr? 

Doch “alle Gesellschaftsgliedcr" und 
"das gleiche Recht" sind offenbar nur 
Redensarten. Der Kern besteh: darin, daß 
in dieser kommunistischen Gesellschaft 
jeder Arbeiter seinen "unverkürzten" 
Lasalleschen "Arbeitsertrag" erhalten 
muß. 

Nehmen wir zunächst das Wort 
“Arbeitsertrag“ im Sinne des Produkts 
der Arbeit, so ist der genossenschaftliche 


Arbeitsertrag das gesellschaftliche Ge- 
samtprodukt. 

Davon ist nun abzuzichen: 

Erstens: Deckung zum Ersatz der ver- 
brauchten Produktionsmittel. 

Zweitens: zusätzlicher Teil fllr Ausdeh- 
nung der Produktion. 

Drittens: Reserve- oder Assekuranzfonds 
gegen Mißfalle, Störungen durch Natur- 
ereignisse cic. 

Diese Abzüge vom "unverkürzten Ar- 
beitsertrag" sind eine ökonomische Not- 
wendigkeit, und ihre Größe ist zu bestim- 
men nach vorhandenen Mitteln und Kräf- 
ten. zum Teil durch Wahrscheinlichkeits- 
rechnung. aber sic sind in keiner Weise 
aus der Gerechtigkeit kalkulierbar. 

Bleibt der andere Teil des Gesamtpro- 
dukts, bestimmt, als Konsumtionsmittcl 
zu dienen. 

Bevor cs zur individuellen Teilung 
kommt, geht hiervon wieder ab: 

Erstens: die allgemeinen, nicht direkt zur 
Produktion gehörigen Verwallungsko- 
sten. 

Dieser Teil wird von vornherein aufs be- 
deutendste beschränkt im Vergleich zur 
jetzigen Gesellschaft und vermindert sich 
im selben Maß. wie die neue Gesell- 
schaft sich entwickelt. 

Zweitens: was zur gemeinschaftlichen 
Befriedigung von Bedürfnissen bestimmt 
ist, wie Schulen. Gesundheitsvorrichtun- 
gen etc. 

Dieser Teil wächst von vornherein be- 
deutend im Vergleich zur jetzigen Ge- 
sellschaft und nimmt im selben Maß zu, 
wie die neue Gesellschaft sich entwik- 
kelL 

Drittens: Fonds für Arbeitsunfähige etc., 
kurz, für, was heute zur sog. offiziellen 
Armenpflege gehört. 

Erst jetzt kommen wir zu der 
"Verteilung", die das Programm, unter 
Lassalleschcn Einfluß, bomierterweise 
allein ins Auge faßt, nämlich an den Teil 
der Konsumtionsmittel, der unter die in- 
dividiellen Produzenten der Genossen- 
schaft verteilt wird. 

Der 'unverkürzte Arbeitsertrag“ hat sich 
unterderhand bereits in den “verkürzten"" 
verwandelt, obgleich, was dem Produ- 
zenten in seiner Eigenschaft als Privatin- 
dividuum entgeht, ihm direkt oder indi- 
rekt in seiner Eigenschaft als Gcscll- 
schaftsglicd zugut kommt. 

Wie die Phrase des "unverkürzten Ar- 
beitsertrags“ verschwunden ist, ver- 
schwindet jetzt die Phrase des 
"Arbeitsertrags" überhaupt. 

Innerhalb der genossenschaftlichen, auf 
Gemeingut an den Produktionsmitteln 
gegründeten Gesellschaft tauschen die 
Produzenten ihre Produkte nicht aus; 
ebensowenig erscheint hier die auf Pro- 
dukte verwandte Arbeit als Wert dieser 
Produkte, als eine von ihnen besessene 



152 


sachliche Eigenschaft, da jetzt, im Ge- 
gensatz zur kapitalistischen Gesellschaft, 
die individuellen Aibcilcn nicht mehr auf 
einem Umweg, sondern unmittelbar als 
Bestandteile der Gcsamtarbeit existieren. 
Das Wort "Arbeitsertrag", auch heutzu- 
tage wegen seiner Zweideutigkeit ver- 
werflich, verliert so allen Sinn. 

Womit wir es hier zu tun haben, ist eine 
kommunistische Gesellschaft, nicht wie 
sie sich auf ihrer eigenen Grundlage ent- 
wickelt hat. sondern umgekehrt, wie sie 
eben aus der kapitalistischen Gesellschaft 
hervorgeht, also in jeder Beziehung, öko- 
nomisch, sittlich, geistig, noch behaftet 
ist mit den Muttermalen der alten Gesell- 
schaft, aus deren Schoß sic herkommt. 
Demgemäß erhält der einzelne Produzent 
- nach den Abzügen - exakt zurück, was 
er ihr gibt. Was er ihr gegeben hat. ist 
sein individuelles Arbeitsquantum. Z.B. 
der gesellschaftlich: Arbeitstag besteht 
aus der Summe der individuellen Ar- 
beitsstunden. Die individuelle Arbeitszeit 
des einzelnen Produzenten ist der von 
ihm gelieferte Teil des gesellschaftlichen 
Arbeitstags, sein Anteil daran. Er erhält 
von der Gesellschaft einen Schein, daß er 
soundsoviel Arbeit gelieren (nach Abzug 
seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen 
Fonds), und zieht mit diesem Schein aus 
dem gesellschaftlichen Vorrat an Kon- 
sumtionsmitteln soviel heraus, als gleich 
viel Arbeit kostet. Dasselbe Quantum Ar- 
beit. das er der Gesellschaft in einer 
Form gegeben hat. erhält er in der andern 
zurück. 

Es herrscht hier offenbar dasselbe Prin- 
zip, das den Warenaustausch regelt, so- 
weit er Austausch Gleichwertiger ist. In- 
halt und Form sind verändert, weil unter 
den veränderten Umstanden niemand et- 
was geben kann außer seiner Arbeit und 
weil andrerseits nichts in das Eigentum 
der einzelnen übergehn kann außer ind- 
ividuellen Konsumtionsmitteln. Was aber 
die Verteilung der letzteren unter die ein- 
zelnen Produzenten betrifft, herrscht das- 
selbe Prinzip wie beim Austausch von 
Warenäquivalenten, es wird gleich viel 
Arbeit in einer Form gegen gleich viel 
Arbeit in einer andern ausgetauscht. 

Das gleiche Recht ist hier daher immer 
noch - dem Prinzip nach - das bürgerli- 
che Recht, obgleich Prinzip und Praxis 
sich nicht mehr in den Haaren liegen, 
während der Austausch von Äquivalen- 
ten beim Warentausch nur im Durch- 
schnitt, nicht für den einzelnen Fall exi- 
stiert. 

Trotz dieses Fortschritts ist dieses gleiche 
Recht stets noch mit einer bürgerlichen 
Schranke behaftet. Das Recht der Produ- 
zenten ist ihren Aibcitslieferungen pro- 
portioneli, die Gleichheit besteht darin, 
daß an gleichem Maßstab, der Arbeit, ge- 
messen wird. Der eine ist aber physisch 


oder geistig dem andern überlegen, lie- 
fert also in derselben Zeit mehr Arbeit 
oder kann während mehr Zeit arbeiten; 
und die Arbeit, um als Maß zu dienen, 
muß der Ausdehnung oder der Intensität 
nach bestimmt werden, sonst hörte sic 
auf, Maßstab zu sein. Dies gleiche Recht 
ist ungleiches Recht für ungleiche Arbeit. 
Es erkennt keine Klassenunterschiede an, 
weil jeder nur Arbeiter ist wie der andre; 
aber es erkennt stillschweigend die un- 
gleiche individuelle Begabung und daher 
Leistungsfähigkeit der Arbeiter als natür- 
liche Privilegien an. Es ist daher ein 
Recht der Ungleichheit, seinem Inhalt 
nach, wie alles Recht. Das Recht kann 
seiner Natur nach nur in Anwendung von 
gleichem Maßstab bestehn; aber die un- 
gleichen Individuen (und sie wären nicht 
verschiednc Individuen, wenn sie nicht 
ungleiche wären) sind nur an gleichem 
Maßstab meßbar, soweit man sie unter 
einen gleichen Gesichtspunkt bringt, sic 
nur von einer bestimmten Seite faßt, z.B. 
im gegebnen Fall sic nur als Arbeiter be- 
trachtet und weiter nichts in ihnen sicht, 
von allem andern absiehL Femen Ein 
Arbeiter ist verheiratet, der andre nicht; 
einer hat mehr Kinder als der andre 
etc.etc. Bei gleicher Arbeitsleistung und 
daher gleichem Anteil an dem gesell- 
schaftlichen Konsumtionsfonds erhält al- 
so der eine faktisch mehr als der andre 
etc. Um alle diese Mißstände zu vermei- 
den. müßte das Recht, statt gleich, viel- 
mehr ungleich sein. 

Aber diese Mißständc sind unvermeidbar 
in der ersten Phase der kommunistischen 
Gesellschaft, wie sie eben aus der kapita- 
listischen Gesellschaft nach langen Ge- 
burtswehen hervorgegangen ist. Das 
Recht kann nie hoher sein also die öko- 
nomische Gestaltung und dadurch be- 
dingte Kulturcntwicklung der Gesell- 
schaft. 

In einer höheren Phase der kommunisti- 
schen Gesellschaft, nachdem die knech- 
tende Unterordnung der Individuen unter 
die Teilung der Arbeit, damit auch der 
Gegensatz geistiger und körperlicher Ar- 
beit verschwunden ist; nachdem die Ar- 
beit nicht nur Mittel zum Leben, sondern 
selbst das erste Lebensbedürfnis gewor- 
den; nachdem mit der allscitigcn Ent- 
wicklung der Individuen auch ihre Pro- 
duktivkräfte gewachsen und alle Spring- 
quellen des genossenschaftlichen Reich- 
tums voller fließen - erst dann kann der 
enge bürgerliche Rechtshorizont ganz 
überschritten werden und die Gesell- 
schaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder 
nach seinen Fähigkeiten, jedem nach sei- 
nen Bedürfnissen! 

Ich bin weitliufiger auf den 
"unverkürzten Arbeitsertrag" einerseits, 
"das gleiche Recht“, die "gerechte Vertei- 
lung" andrerseits eingegangen, um zu 


zeigen, wie sehr man frevelt, wenn man 
einerseits Vorstellungen, die zu einer ge- 
wissen Zeit einen Sinn hatten, jetzt aber 
zu veraltetem Phrasenkram geworden, 
unsrer Partei wieder als Dogmen auf- 
drängen will, andrerseits aber die realisti- 
sche Auffassung, die der Partei so müh- 
voll beigebracht worden, aber Wurzeln in 
ihr geschlagen, wieder durch ideologi- 
sche Rechts- und andre, den Demokraten 
und französischen Sozialisten so geläu- 
fige Flausen verdreht. 

Abgesehen von dem bisher Entwickelten 
war es überhaupt fehlerhaft, von der sog. 
Verteilung Wesens zu machen und den 
Hauptakzent auf sie zu legen. 

Die jedesmalige Verteilung der Konsum- 
tionsmittcl ist nur Folge der Verteilung 
der Produktionsbedingungen selbst; letz- 
tere Verteilung aber ist ein Charakter der 
Produktionsweise selbst. Die kapitalisti- 
sche Produktionsweise z.B. beruht dar- 
auf, daß die sachlichen Produktionsbe- 
dingungen Nichtarbiitem zugeteilt sind 
unter der Form von Kapitaleigentum und 
Grundeigentum, während die Masse nur 
Eigentümer der persönlichen Produkti- 
onsbedingung, der Arbeitskraft, sind. 
Sind dio Elemente der Produktion derart 
verteilt, so ergibt sich von selbst die heu- 
tige Verteilung der Konsumtionsmittel. 
Sind die sachlichen Produktionsbedin- 
gungen genossenschaftliches Eigentum 
der Arbeiter selbst, so ergibt sich ebenso 
eine von der heutigen verschiedne Ver- 
teilung der Konsumiionsmittcl. Der Vul- 
gärsozialismus (und von ihm wieder ein 
Teil der Demokratie) hat es von den bür- 
gerlichen Ökonomen übernommen, die 
Distribution als von der Produktionswei- 
se unabhängig zu txtrachten und zu be- 
handeln, daher den Sozialismus haupt- 
sächlich als um die Distribution sich dre- 
hend darzustcllcn. Nachdem das wirkli- 
che Verhältnis längst klargelegt, warum 
wieder rückwärtsgehn? 



153 


Rolf Nemitz 

Ideologie als "notwendig 
falsches Bewußtsein" bei 
Lukäcs und der Kriti- 
schen Theorie* 

1. Entstehungsbedingungen von 
"Geschichte und Klasscnbewußtscin" 
Auch wenn man bezweifeln wollte, 'daß 
Lukäcs neben Lenin und 
Gr.imsci der hervorragendste Philosoph 
war, der in unserem Jahrhundert aufgc- 
treien ist" (Sienek 1977, 59) - zu den 
einflußreichsten gehört er ganz gewiß. 
Sone Studien Uber “Geschichte und 
Kliissenbcwußtsein” aus dem Jahre 1923 
"sind der locus classicus vieler Themen, 
die bei der seit dem Verfall der Zweiten 
Internationale andauernden Debatte Uber 
das Wesen des Marxismus im Zentrum 
stehen" (McDorvough 1977, 33). 

Für den "linken Radikalismus" ist 

"Geschichte und Klassenbewußtsein" bis 
heute der klassische Text. Lukäcs’ Ein- 
fluß auf die beiden hierzulande wirksam- 
sten marxistischen Strömungen, die 
"Frankfurter Schule" und den in den so- 
zialistischen Lindem vorherrschenden 
Marxismus, dürfte schwerlich zu über- 
schätzen sein. Adorno spricht von 
"Geschichte und Klasscnbewußtscin" als 
dem Wert:, in dem Lukäcs "als dialekti- 
scher Materialist die Kategorie der Ver- 
dinglichung" - ein Zentralbegriff der Kri- 
tischen Theorie • "erstmals auf die philo- 
sophische Problematik prinzipiell an- 
wandte" (Adorno 1961, 152); Alfred 
Schmidt beruft sich bei seiner Krfcik an 
Engels' Auffassung der Naturdialektik 
ausdrücklich auf dieses Buch (Schmidt 
1971, 57; vgl. auch 66); Helmut Reichert 
erwähnt zwar in seiner Untersuchung des 
Kapitalbegriffs bei Karl Marx (Reichert 
1970) Lukäcs mit keinem Wort, seine 
Auffassung des Marxismus als 'Methode 
auf Widerrur, seine Interpretation des 
"Kapital” als einer Dialektik von Subjekt 
und Objekt sind jedoch, wie die ganze 
hegelianisiercnde Marx-Interpretation der 
"Frankfurter Schule", nichts weiter als 
Aufnahme und Ausführung der wichtig- 
sten Theoreme aus "Geschichte und 
Klasscnbewußtscin". Obwohl Lukäcs. 
"der zweifellos berühmteste aller marxi- 
stischen Theoretiker nach Lenin, ... von 
den Theoretikern des 'offiziellen' Mar- 
xismus unermüdlich kritisiert, angegrif- 
fen und verstoßen wurde" (de la Vcga 
1977, 121), ist dieser "offizielle Marxis- 
mus". zumindest in der DDR. ohne den 
Einfluß des späten Lukäcs kaum zu den- 
ken. In der sowjetischen Besatzungszone 
erlangte er "auf litcraturthcoretischem 
und philosophischem Gebiet eine Gel- 


tung. wie sie kaum jemals ein Literatur- 
wissenschaftler zuvor besessen hatte." 
(Mittenzwei 1975. 86). Doch auch der 
frühe Lukäcs ist hier nicht ohne Wirkung 
geblieben. Dies betrifft nicht zuletzt 
seine Idcologicthcoric. Wcrei beispiels- 
weise Richard Sorg (1976) den Warenfe- 
tischismus als Grundlage der Idcologie- 
theorie von Marx und Engels ansieht und 
sich dabei auf die führenden DDR-Philo- 
sophen Wolfgang Eichhorn I und Erich 
Hahn berufen kann (Eichhorn/Hahn 
1967/68), so steht dies, obwohl er den 
Namen nicht nennt, unübersehbar in der 
Tradition von "Geschichte und Klassen- 
bewußtsein". 

Auf die meisten heutigen Leser wird 
"Geschichte und Klassenbewußtsein" den 
Eindmck einer abstrakt-philosophischen 
Abhandlung machen. Für Lukäcs und 
seine Zeitgenossen war das Buch, ge- 
schrieben kurz nach dem Sieg der Rätcrc- 
volution in Rußland und ihrer verheeren- 
den Niederlage in Westeuropa, eine Ver- 
arbeitung der Erfahrungen der Revoluti- 
onsjahre. Geboren 1885 in Budapest als 
Sohn eines geadelten Bankdirektors. 
Schüler Simmels, Mitglied des "Max- 
Webcr-Kreises", international angesehe- 
ner Autor auf dem Gebiet der Philoso- 
phie und Ästhetik, führenden verschiede- 
nen Zirkeln der oppositionellen ungari- 
schen Intelligenz, tritt er Ende 1918 der 
eben gegründeten winzigen KP Ungarns 
bei, wird ins ZK kooptiert, nach der ver- 
hängnisvollen Vereinigung der Partei mit 
der Sozialdemokratie und dem Sieg der 
Revolution im März 1919 Volkskommis- 
sar für das Unterrichtswesen und nach 
Kontroversen über seine Kulturpolitik als 
politischer Kommissar zur Armee ver- 
setzt. Nach dem Sturz der Räteregierung 
im August 1919 versucht er mit einem 
Genossen, die illegale Arbeit in Budapest 
aufzubaucn, muß vor dem gegenrevolu- 
tionären Terror nach Wien fliehen, wird 
dort aufgrund eines Auslicfciungsbcgch- 
rcns verhaftet und kommt, nach einer 
Protestkampagne prominenter deutscher 
Intellektueller (darunter Richard Dehmel, 
Paul Emst, Bruno Frank. Alfred Kerr. 
Heinrich und Thomas Mann. Emst 
Bloch) Ende 1919 wieder frei. In Wien 
wird er führendes Mitglied der "mühsam 
um ... die Überwindung des Status eines 
bloßen Emigrationsclubs ringenden klei- 
nen KPU" (Kammler 1974. 142). In den 
erbitterten Fraktionskämpfen lehnt er, als 
einer der Exponenten der Landler-Frakti- 
on. "die auf einen baldigen erneuten Re- 
volutionsversuch in Ungarn gerichtete 
Perspektive des Sinowjcw-Schützlings 
Bela Kun entschieden" ab (ebd.). Er ar- 
beitet maßgeblich mit in der von Gerhard 
Eisler (dein Bruder des Komponisten) 
geleiteten Zeitschrift "Kommunismus. 
Zeitschrift der Kommunistischen Interna- 


tionale für die Länder Südosieuropas" 
und ist hier 'zuvörderst an dem Versuch 
beteiligt, eine theoretische Plattform für 
die starke linkskommiinistische Strö- 
mung der Komintern zu schaffen. ... Da- 
mit gerät er ... in Gegensatz zur Politik 
der Komintern, die vor allem nach der 
fehlgeschlagenen 'März-Aktion' in 
Deutschland 1921 entschieden gegen die 
linkskommunistischen Elemente in der 3. 
Internationale vorging, und die sich im 
Fraktionskampf der KPU letzten Endes ... 
entschieden hinter Bela Kun stellte” 
(ebd. 1420- “Das harte Eingreifen des 
EKKI ( = Exekutivkomitee der Kommu- 
nistischen Internationale) in den Frakti- 
onskampf der KPU seit dem Sommer 
1921, das die Auflösung der Publikati- 
onsorgane der Partei und zugleich der ei- 
ner linkssckticrerischen Linie bezichtig- 
ten Zeitschrift 'Kommunismus' impli- 
zierte und das Wiener Emigrationszen- 
trum der ungarischen KP praktisch liqui- 
dierte, bedeutet für Lukäcs de facto den 
Abschluß einer Phase der theoretisch- 
praktischen Aktivität, deren Credo und 
Fazit er in 'Geschichte und Klassenbe- 
wußtsein' vorlegte" (ebd. 143). "Das 
Werl löst sogleich eine lebhafte Diskus- 
sion aus. In der Ungarischen KP kommt 
es zu heftigen Debatten, in deren Folge 
sich namhafte Angehörige der Landler- 
Fraktion in einem Brief an die Komintern 
von dem Buch distanzieren, weil die 
Fraktion ein öffentliches Auftreten gegen 
Lukäcs untersagt hatte ... 'Geschichte und 
Klastenbewußtsein' wird zu einem der 
zentralen Angriffspunkte in den Ausein- 
andersetzungen innerhalb der Kommuni- 
stischen Internationale um revisionisti- 
sche Tendenzen in der kommunistischen 
Weltbewegung.” (Rosenberg 1975, 
405f). Auf dem V. Weltkongreß der 
Kommunistischen Internationale Mitte 
1924 wird Lukäcs' Position heftig kriti- 
siert. Deborin veröffentlicht eine Kritik 
an "Geschichte und Klassenbewußtsein" 
(Deborin 1969). 

Politische Brisanz gewannen Lukäcs' 
Ansichten durch die Kritik am Lenin- 
schen Parteikonzept, an der Mitarbeit in 
Parlamenten und Gewerkschaften und an 
der Kooperation mit dem linken Flügel 
der "zentristischen" Arteiterparteien (wie 
USPD), womit er in den Auseinanderset- 
zungen der Dritten Internationale mitten 
im Lager des "Links"-Kommunismus 
stand. Es ist interessant daß Lenin in ei- 
ner Kritik am "linken Radikalismus" der 
Zeitschrift "Kommunismus" Lukäcs aus- 
gerechnet seiner Methode wegen kriti- 
sierte - einen Autor, der mit der Behaup- 
tung, "Orthodoxie in Fragen des Marxis- 
mus bezieht sich ... ausschließlich auf die 
Methode" (171), berühmt geworden ist: 
"Der Artikel von G.L. ist ein sehr radika- 
ler und sehr schlechter Artikel. Der Mar- 



154 


xismus darin ist ein Marxismus der blo- 
ßen Worte ... Es fehlt eine konkrete Ana- 
lyse ganz bestimmter historischer Situa- 
tionen. Das Wesentlichste (die Notwen- 
digkeit, alle Arbeitsgebiete und Einrich- 
tungen, durch welche die Bourgeoisie ih- 
ren Einfluß auf die Massen ausübt usw., 
zu erobern und erobern zu lernen) bleibt 
unberücksichtigt.“ (LW 31, I53f) Im sel- 
ben Artikel kritisiert er Lukäcs' Gegner 
Bela Kun mit ähnlicher Argumentation: 
"Gen. B.K. übt Kritik auf Grund von Zi- 
taten aus Marx, die sich auf eine der jet- 
zigen ganz unähnliche Situation beziehen 
... Er umgeht das, worin das innerste We- 
sen. die lebendige Seele des Marxismus 
besteht: die konkrete Analyse einer kon- 
kreten Situation.“ (LW 31, 154). Über- 
haupt erscheint der “linke Radikalismus" 
in l^nins Darstellung weniger als eine 
bestimmte politische Position als viel- 
mehr als Effekt der Übertragung einer 
theoretischen Arbeitsweise mit begrenz- 
ter Leistungsfähigkeit auf eine Situation, 
in der etwas anderes gebraucht wird: statt 
der Verteidigung allgemeiner Wahrheiten 
des Marxismus (die zuweilen nötig sein 
kann) die konkrete Analyse. Die Not- 
wendigkeit, den "linken Radikalismus" 
.zu bekämpfen, folgt aus seinem 
"operativen Ideologiebegriff' (s. Kapitel 
2 dieses Bandes; gemeint ist der Band, 
dem wir diesen Aufsatz entnommen ha- 
ben. Anm. d. Hg.). Seine These, in unse- 
rer Sprache: Der 'linke Radikalismus’ 
verhindert den Bruch mit der ideell ver- 
mittelten Vergesellschaftung von oben 
und die Herausbildung einer horizontalen 
Vergesellschaftung in der Perspektive 
des Abbaus aller ideologischen Mächte. 
"Solange cs sich darum handelte (und in- 
soweit es sich noch darum handelt), die 
Avantgarde des Proletariats für den 
Kommunismus zu gewinnen, solange 

und insoweit tritt d:e Propaganda an die 
erste Stelle; sogar Zirkel mit allen dem 
Zirkelwesen eigenen Schwächen sind 
hier nützlich und zeitigen fruchtbare Er- 
gebnisse. Wenn es sich um die praktische 
Aktion der Massen, um die Verteilung ... 
von Millionenarmeen, um die Gruppie- 
rung uller Klasscnkiäftc einer gegebenen 
Gesellschaft zum letzten und entschei- 
denden Kampf handelt, so kann man al- 
lein mit propagandistischer Gewandtheit, 
allein mit der Wiederholung der Wahr- 
heiten des 'reinen’ Kommunismus nichts 
mehr ausrichten." (LW 31, 81) "Mit der 
Avantgarde allein kann man nicht siegen 
... Damit ... wirklich die ganze Klasse, 
damit wirklich die breiten Massen der 
Werktätigen und vom Kapital Unter- 
drückten zu dieser Position gelangen, da- 
zu ist Propaganda allein, Agitation allein 
zuwenig. Dazu bedarf es der eigenen po- 
litischen Erfahrung dieser Massen. Das 
ist das grundlegende Gesetz aller großen 


Revolutionen ... Konnte die erste histo- 
rische Aufgabe (die Gewinnung der klas- 
senbewußten Vorhut des Proletariats für 
die Sowjetmacht und die Diktatur der 
Arbeiterklasse) nicht ohne den vollen 
ideologischen und politischen Sieg über 
den Opportunismus und Sozialchauvi- 
nismus gelöst werden, so kann die zweite 
Aufgabe, die nun zur nächsten wird und 
die in der Fähigkeit besteht, die Massen 
heranzuführen an die neue Position, die 
den Sieg der Vorhut in der Revolution zu 
sichern vermag - so kann diese nächste 
Aufgabe nicht erfüllt werden, ohne daß 
man mit dem linken Doktrinarismus auf- 
räumt" (LW 3 1 , 80f). 

2. Kern des Ideologischen: das ver- 
dinglichte Bewußtsein 
Im Zentrum von Lukäcs' Überlegungen 
über die Möglichkeiten der Revolution 
nach ihrem Scheitern stehen die 
"Idcologicnprobleme des Kapitalismus" 
(258). Mit einer Reihe anderer kommuni- 
stischer Theoretiker war er - in Reaktion 
auf den Ökonomismus der Zweiten In- 
ternationale - zu der Auffassung gelangt, 
daß hier die Ursachen für die unerwartete 
Stabilität des westlichen Kapitalismus zu 
suchen seien. Eugen Varga, führender 
Wirtschaftspolitiker und Ökonom der 
ungarischen Räterepublik (später der 
Kommunistischen Internationale): "Bei 
der unvoreingenommenen geistigen 
Durchdringung des Verlaufes der ungari- 
schen RHtediktalur ergab es sich im all- 
gemeinen, daß der Ideologie in revolu- 
tionären Zeitläufen eine viel größere Be- 
deutung zugestanden werden muß, als 
ein großer Teil der Marxisten glaubt." 
(z.n. Kammlcr 1974, 148). Anton Panne- 
kock, Revolutionstheoretiker der Frakti- 
on des "linken Radikalismus", leitete die 
Notwendigkeit der "radikalen“ Taktik für 
Westeuropa "in erster Linie aus der spe- 
zifischen ideologischen Struktur des 
westeuropäischen Proletariats“ ab: “die 
langandauemde, intensive Vorherrschaft 
einer hochentwickelten und differenzier- 
ten bürgerlichen Kultur habe im Gegen- 
satz zu Rußland - zu einer schwer zu 
Überwindenden Verankerung bürgcrlich- 
idcologischcr Strukturen im Bewußtsein 
des Proletariats geführt." (Kammlcr 
1974, 164). In Deutschland befaßten sich 
Rosa Luxemburg und Karl Korsch mit 
dem Problem. In Italien war Gramsci zu 
vergleichbaren Überlegungen gekommen 
(s. Kapitel 4 dieses Bandes; gemeint ist 
der Band, dem wir diesen Aufsatz ent- 
nommen haben, Anm. d. Hg.). Lukäcs 
sicht die Ursache für die Schwierigkeiten 
der Revolution darin, daß großen Teilen 
der arbeitenden Klassen der Kapitalismus 
als naturgegeben unveränderlich er- 
scheint; sic erkennen nicht dessen 
"historischen, d.h. transitorischen, vor- 


übergehenden Charakter" (186). Im 
Kampf gegen diese "Verewigung des 
Kapitalismus" (183) besteht für Lukäcs 
die Aufgabe revolutionärer Theorie im 
•Zerreißen der EwigkeitshUlle“ (187). In 
den Begriffen von Roland Barthes (1964) 
könnte man dies so ausdrücken: Der be- 
ständigen “Denomination", 

"Entncnnung" des Kapitalismus hat der 
Theoretiker das fortwährende Benennen 
entgegenzusetzen. Bei Lukäcs’ Analyse 
des "Entnennungs“-Vorgangs spielt der 
Ideologie-Begriff allerdings keine beson- 
dere Rolle. Er hat, überwiegend in adjek- 
tivischen Wendungen wie "ideologische 
Gebilde" (183), “ideologische Fragen" 

(254) usw. verwandt, verschiedene Be- 
deutungen, die Lukäcs vermutlich im da- 
maligen internationalen Marxismus vor- 
gefunden hat. Man kann drei Verwen- 
dungsweisen unterscheiden. 

Lukäcs redet von "einem ideologischen 
Kampfe um das Bewußtsein, um Verhül- 
lung oder Aufdeckung des Klassencha- 
rakters der Gesellschaft" (233). Ideologie 
ist hier die zwischen den Klassen um- 
kämpfte Art und Weise, in der die Pro- 
duktionsverhältnisse gedacht werden. 
Die "ideologische Geschichte der Bour- 
geoisie ist ... nichts anderes, als ein ver- 
zweifelter Kampf gegen die Einsicht in 
das wahre Wesen der von ihr geschaffe- 
nen Gesellschaft, gegen das wirkliche 
Bewußtsein ihrer Klassenlage." (241) Sie 
habe ein "ideologisches Bedürfnis" 
(182). ihre eigene 'Produktionsordnung 
... so aufzufassen, als wäre sie von zeitlos 
geltenden Kategorien geformt" (182), 
und verwende hierzu das 
"Erkenntnisidcal der Naturwissenschaf- 
ten" als "ideologisches Kampfmittel“ 
(182). Durch Theorie und Praxis des Pro- 
letariats werde die Bourgeoisie 
"ideologisch in eine bewußte Defensive 
gedrängt. Der dialektische Widerspruch 
im 'falschen' Bewußtsein der Bourgeoisie 
verschärft sich, das falsche' Bewußtsein 
wird zu einer Falschheit des Bewußt- 
seins." (240) Da “das Schicksal der Re- 
volution ... von der ideologischen Reife 
des Proletariats, von seinem Klassenbe- 
wußtscin" abhängc (245), gehe es, in ei- 
ner "ideologischen Krise" um "die ideo- 
logische Überwindung des Kapitalismus” 

(255) . Ideologische Reife" wird hier mit 
"Klassenbewußtsein' gleichgesetzt. Ist 
demnach Klasscnbcwußtscin eine Ideo- 
logie? Lukäcs schließt sich dem bei Le- 
nin beobachteten Sprachgebrauch an, 
wenn auch, wie die Anführungszeichen 
signalisieren, mit Vorbehalten: "Für das 
Proletariat ist seine 'Ideologie' keine 
Flagge, unter der cs kämpft, kein Deck- 
mantel der eigentlichen Zielsetzungen, 
sondern die Zielsetzung und die Waffe 
selbst." (245). 



155 


Der ideologische Kamp!" um das Be- 
wußtem von den Produktionsvcrhiltnis- 
sen hat verschiedene Orte. "Jedoch ob 
diese Verewigung des Kapitalismus von 
der ökonomischen Basis oder von den 
ideologischen Gebilden aus ... geschieht, 
läuft im Wesen der Sache auf dasselbe 
hinaus." (183) Hier finden wir. mit dem 
Hinweis auf die 'ideologischen Gebilde", 
einen zweiten Idcologic-Bcgrii'f, der in 
seinem Gegensaz zur “Basis” anschei- 
nend den "Überbau" meint und hier vor 
allem, wie aus anderen Stellen hervor- 
geht. Oie Bereiche von Wissenschaft und 
Kultur: so spricht er vom "theoretischen 
und praktischen Verhalten des Proleta- ‘ 
riats zu rein ideologischen Fragen, zu den 
Fragen der Kultur" (254). Auch hier ist 
der Rückgriff auf den Sprachgebrauch 
unschlüssig. An einer Stelle hält eres für 
nötig, die Anführungszeichen durch das 
distanzierende "sogenannt“ zu ergänzen: 
die Vulgarükonomie erweise sich als un- 
fähig. “den Zusammenhang der soge- 
nannten ‘ideologischen’ Formen der Ge- 
sellschaft mit ihrer ökonomischen 
Grundlage... zu begreifen" (207). 
Schließlich gibt es eine Reihe von For- 
mulierungen. in denen die distanzierende 
Verwendung eines neutralen Ideologie- 
Begriffs in eine rein pejorative Um- 
schlag!, so wenn er davon sprich;, daß 
die Hcgcl-Epigcncn die geschichtlichen 
Ereignisse "mit ihren rein ideologischen 
Konstitutionen“ (207) nicht treffen kön- 
nen. Auch hier sichert er sich Häufig 
durch Anführungszeichen und Adjektive 
ab. Über das Kleinbürgertum heißt es: 
"Seine eigenen Ziele, die eben aus- 
schließlich in seinem Bewußtsein existie- 
ren, müssen ... immer ausgehöhltcrc, 
vom gesellschaftlichen Handeln immer 
losgelöstere, rein 'ideologische' Formen 
werden." (234). Und über das Proletariat: 
"Jede unprinzipielle oder prinzipienlose 
Taktik des Proletariats erniedrigt den hi- 
storischen Materialismus zur bloßen 
Ideologie"' (245). Die Frage nach dem 
Zusammenhang zwischen diesen Ver- 
wendungsweisen des Ideologie-Begriffs 
wird von Lukäcs nicht gestellt. Seine 
Kritik erschöpft sich in distanzierendem 
Signalement. Auf diesem Wege werden 
wir also keine Einsicht in seine Theorie 
des Ideologischen bekommen. Wir müs- 
sen uns seiner Hauptkategorie zuwenden, 
in der er das Ideologische theoretisch 
faßt: cs ist dies das "ideologische Phä- 
nomen der Verdinglichung" (269). 
Ausgehend von der Problembestimmung. 

' daß das Bewußtsein des Proletariats der 
Verdinglichung vorläufig noch erlegen 
ist" (252). entwickelt Lukäcs seine Ana- 
lyse <lcs Ideologischen als Theorie der 
Verdinglichung. Das Kernstück dieser 
Theorie stellt er als einfaches Referat der 
Marxschcn Untersuchung des Fetisch- 


charakters der Ware dar. Mit seiner Ein- 
schätzung. daß es "kein Problem dieser 
Entwicklungsstufe der Menschheit" gebe, 
"dessen Lösung nicht in der Lösung des 
Rätsels der Warenstruktur gesucht wer- 
den müßte' (257), steht er am Beginn je- 
ner Tradition in der Marx-Rezeption, 
wonach in diesem Kapitel und vor allem 
im letzten Abschnitt über den 
"Fctischcluraktcr der Wuic und sein Ge- 
heimnis” 'die ausdrücklichste und ge- 
naueste Formulierung des theoretischen 
und gcsclichtlichen Standpunktes der 
ganzen materialistischen Gcscllschafts- 
lehrc” (Korsch 1969. 101) gesehen wer- 
den muß. 

Lukäcs will auf die Probleme hinweisen, 
"die sich aus dem Fetischcharakter der 
Ware, als Gegenständlichkeitsform einer- 
seits und aus dem ihr zugeordneten Sub- 
jektverhalten andererseits ergeben; deren 
Verständnis uns erst einen klaren Blick 
in die Idcologicnproblcmc d:s Kapitali- 
smus und seines Untergangs ermöglicht.“ 
(258) Das "Wesen der Warenstruktur" 
beruhe darauf, "daß ein Verhältnis, eine 
Beziehung zwischen Personen den Cha- 
rakter einer Dinghaftigkeit" erhält (257). 
Damit erscheinen die gesellschaftlichen 
Verhältnisse als natürlich und unverän- 
derbar. In diesem von Marx analysierten 
Vorgang sicht Lukäcs den Grund für die 
"Verewigung des Kapitalismus" (183). 
Was dies für die Tätigkeit der Menschen 
in der Prixis des Täuschers. Kaufens 
und Vcrkcutcns bedeutet, wird von Lu- 
käcs nicht näher untersucht, ihn interes- 
sieren vor allem die Auswitkungen auf 
den Arbeitsprozeß. An der Ware selbst 
interessiert ihn vor allem, daß sic zur 
"Univcrsalkategorie des gesamten gesell- 
schaftlichen Seins” (260) geworden sei. 
Zunächst fällt hierbei eine Totalisierung 
des Erklätungsanspruchs der Warenana- 
lyse auf. wie sic bei Marx nirgends zu 
finden ist. Dort hatte es noch bescheiden 
geheißen, das "Rätsel des Warcnfctischs" 
sei der Zugang zum "Rätsel des Geldfe- 
lischs“ (MEW 23. 108); bei Lukdcs gibt 
cs überhaupt kein Problem dieser Gesell- 
schaftsformation, das nicht letzten Endes 
durch Bezug auf die Ware gelöst werden 
könnte, das "Rätsel des Warcnfctischs" 
wird zum Wclträtscl. Von der Koexistenz 
kapitalistischer und vorkapitolistischcr 
Formen ist keine Rede; die vielfältigen 
Zusammenhänge, in denen die Menschen 
sich, auch im Kapitalismus, nicht als Wa- 
renbesitzer gegenübertreten, in Kirche, 
Familie, Schule. Vereinen uiw.. werden 
keines Gedankens für wert befunden. Die 
Fiktion eines Kapitalismus mit einer 
"einheitlichen Wirtschaftsstruktur", die 
"eine - formell - einheitliche Bcwußt- 
scinsstrukiur" für die Gesamtheit der Ge- 
sellschaft hervorgebracht (275) habe, die 
Unterstellung, die theoretischen Abstrak- 


tionen im "Kapital" erfaßten vollständig 
die empirische Wirklichkeit, muß für die 
Analyse des Alltagsbewußtseins gravie- 
rende Folgen haben. Die Frage nach des- 
sen Heterogenität und Widersprüchlich- 
keit (der Gramsci besondere Aufmerk- 
samkeit widmete, s. Kapitel 4 dieses 
Bandes; gemeint ist der Band, dem wir 
diesen Aufsatz entnommen haben. Anm. 
d. Hg.), kann im Rahmen von Lukdcs' 
"Kapital"-Interprctation. die die durch 
theoretische Anstrengung gewonnenen 
Wirklichkeitsaspekte zur Fülle des wirk- 
lichen Lebens verabsolutiert, nicht ein- 
mal gestellt werden. 

Methodisch schlägt Lukäcs einen der 
Marxschen Analyse ganz entgegenge- 
setzten Weg ein. Marx konzentriert seine 
analytischen Anstrengungen auf die 
"einfache, einzelne oder zufällige Wert- 
form' (MEW 23. 63); auf das "Element" 
und den "Keim" (MEW 23. 85) der ent- 
wickelteren Formen. Wenn Lukäcs sagt, 
daß die Ware "nur als Lnivcrsalkategorie 
des gesamten gesellschaftlichen Seins (... 

) in ihrer unverfälschten Wesensart be- 
greifbar" sei (260), behauptet er damit, 
daß erst die Untersuchung der durchge- 
setzten Form zum Kern des Problems 
vorstoßen könne. Das Problem, was das 
"Unzulängliche" (MEW 23, 76) und die 
"Mängel" (MEW 23. "8) der einfachen 
Formen sind, die zur Produktion der 
komplizierteren Formen drängen, liegt 
außerhalb seines Gesichtskreises. Ihn in- 
teressiert das "verdinglichte Bewußtsein” 
(268) nur als Resultat, nicht in seinem 
notwendigen Gewordensein. Was bedeu- 
tet das für eine Theorie des Alltagsbc- 
wußiseins? Daß nicht nur die Wider- 
sprüchlichkeiten im Bewußtsein, die 
durch die Koexistenz und Überlagerung 
sehr unterschiedlicher Lebenspraxen ent- 
stehen. nicht erfaßt werden können, son- 
dern genausowenig die Widersprüche im 
gewissermaßen reinen Wertform-Be- 
wußtsein. 

Im Lichte von Lukäcs’ Marx-Lektüre 
stellt sich die Entwicklung des Arbeits- 
prozesses dar als Zerreißen einer unmit- 
telbaren Einheit von Subjekt und Objekt 
des Arbeitsprozesses. 

"Du Umach tna+n »»dB ctyttiv roSt t< i#n»m VutuKtn am Ai< 
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nwiw rn h k> mctereet*i SrU«i k** i*. du •> itflfl u«J n 
»zi hn ArMimmaj d»uan G*m- 
miMi «Mm oi Ilgen tat Dea iMqtn iC* 

rxcP dx»jr3\. «ß ml uiitmröH Prtoiteumvj utj Uetfunsi*- 
nrfl Ob MMCproecai da T 4 «»ol des Malm ime« SW*> t* 
rtn TU^ucsttmHB urtefl ird oj trai tawpHMn Hihng 
•WpBJl 

Wem man sich den taylorisierten Ar- 
beitsprozeß. den Lukäcs vor Augen hatte, 
konkret vorstellt. wirkt diese Behauptung 
zynisch, bestenfalls weltfremd. Die Be- 
hauptung vom "kontcmplativc(n) Verhal- 
ten einem mechanisch-gesetzmäßigen 
Prozeß gegenüber, der sich unabhängig 
vom Bewußtsein, unbeeinflußbar von ei- 



156 


ner menschlichen Tätigkeit abspieli. sich 
also als fertiges geschlossenes System of- 
fenbart" (264), wird durch jeden Streik, 
ja, jede Streikdrohung widerlegt. Wie 
kommt er darauf? 

Lukäcs stellt die Arbeiter in der kapitali- 
stischen Produktion dar wie die ven der 
materiellen Produktion des Lebens abge- 
trennten Intellektuellen mit ihrem an- 
schauenden Denken (s. Kapitel I dieses 
Bandes; gemeint ist der Band, den wir 
diesen Aufsatz entnommen haben, Anm. 
d. Hg.). Die erste Feuerbachthcsc, mit der 
sich Marx gegen die Kopfprodukte bür- 
gerlicher Intellektueller wie Feuerbach 
wandte - “Der Hauptmangel olles bishe- 
rigen Materialismus ... ist, daß der Ge- 
genstand. die Wirklichkeit, Sinnlichkeit 
nur unter der Form des Objekts oder der 
Anschauung gefaßt wird; nicht aber als 
sinnlich menschliche Tätigkeit. Praxis; 
nicht subjektiv" (MEW 3. 5) - wird von 
Lukäcs anscheinend auf "die' Menschen 
in der kapitalistischen Gesellschaft, vor 
allem die Arbeiter bezogen. Für ihn ist 
das anschauende Denken der Intellektu- 
ellen und das Für-Ewig-Haltcn des Kapi- 
talismus durch die Arbeiter ein und das- 
selbe verdinglichte Bewußtsein. Eine 
spezielle Problematik des von der mate- 
riellen Produktion abgetrennten Denkens 
gibt es hier nicht, weil auch die Arbeiter 
als von dieser Produktion abgetrennt ge- 
dacht werden. 

Der Kem dieses Problems liegt in Lu- 
käcs' Gegenüberstellung der Ware "als 
Gegenständlichkeitsform einerseits und 
... dem ihr zugeordneten Subjektsverhal- 
ten andererseits" (258). Damit ver- 
schwindet aus der Marxschcn Wertfor- 
manalysc. daß diese Form" sozialer Pra- 
xis, Praxisfonn" (Haug 1976a, 159) ist. 
Wieder betrachtet Lukäcs die Sache vom 
Effekt her, der Ware auf der einen, dem 
Warenbesitzer auf der anderen Seile. Er 
verfehlt systematisch den Kem, nämlich 
die starre und selbständige Form, die die 
Tätigkeit hier gegenüber den Individuen 
annimmt, ohne doch etwas anderes zu 
sein als Tätigkeit Praxis. Also nicht Ge- 
genstand ("Objekt") auf der einen, 
"Subjekt" auf der anderen Seite, sondern 
eine den "Subjekten" fix und fertig ge- 
gcnübcrstchcndc Zwangsform, in der sie 
ihre Praxis zu organisieren haben. In die- 
ser starren Form verhalten sich die Indi- 
viduen keineswegs kontemplativ, ja. die 
Entwicklung dieser Form bedeutet gera- 
dezu eine Explosion von Subjektivität; in 
der einfachen Form des Vcrkaufcns etwa 
die Künste des Beschwatzens. Überli- 
stens, Sich-Einfühlens, Seincn-Vortcil- 
Wahmchmcns usw. Zwischen Warenbe- 
sitzer und Ware herrscht alles andere als 
ein kontemplatives Verhältnis - im Ge- 
genteil. sic treibt ihn um. Als natürlich 
und gegeben erscheint in dieser Praxis- 


form nur diese selbst; sie selbst ist nicht 
Gegenstand der Tätigkeit. 

Das alltägliche Bewußtsein, soweit es 
durch die Warcnstniktur bestimmt ist, er- 
scheint bei Lukäcs nicht als das eine be- 
stimmte Tätigkeit regulierende Bewußt- 
sein, als "objektive Gedankenform" einer 
bestimmten Form menschlicher Praxis 
(MEW 23. 90; vgl. hierzu Haug 1976a, 
I74ff), sondern als Bewußtsein eines 
Subjekts gegenüber einem Objekt, als 
kontemplativ. Er hat freilich recht, was 
das Verhältnis des Individuums zum Ge- 
samtzusammenhang dieser einzelnen 
Praxen betrifft; und insoweit dies in die 
individuelle Praxis hincinspielt, verhält 
sich das Individuum ’anschaiend". Ein 
"Preisrutsch" auf dem Markt wird im 
durchschnittlichen Fall eine hektische, 
ganz und gar nicht kontemplative Aktivi- 
tät der Käufer und Verkäufer auslösen, in 
der sie versuchen, diesen Vorgang zu ih- 
rem Vorteil zu kontrollieren, dies aber 
eingebettet in ein kontemplatives Verhal- 
ten gegenüber einem Schicksal, in das 
man sich schicken muß, das man ausnut-' 
zen, aber nicht beherrschen kann. Diese 
Andeutungen müssen hier genügen; sie 
dienen nur zur Illustration unserer Kritik 
an der Methode. Der "Schein der Einer- 
Iciheit" (MEW 23, 534), den sic produ- 
ziert. eliminiert die Widersprüche des 
Alltagsbcwußtseins, auf die es in der Per- 
spektive seiner massenhaften Verwissen- 
schaftlichung ankommt. 

In der verdinglichten Keimform liegt für 
Lukäcs schon das verdinglichte Ganze. 
"Eine solche Wirkung der inneren Orga- 
nisationsform des industriellen Betriebes 
wäre aber ... unmöglich, wenn sich in ihr 
nicht der Aufbau der ganzen kapitalisti- 
schen Gesellschaft konzentriert offenba- 
ren würde." (265) Man lese hierzu die 
genau entgegengesetzten Darlegungen 
von Marx über die Teilung der Arbeit in- 
nerhalb der Fabrik und innerhalb der Ge- 
sellschaft (MEW 23, 371 ff). Der Gegen- 
satz zwischen planmäßiger, wenn auch 
despotischer Vergesellschaftung der Ar- 
beit innerhalb des kapitalistischen Unter- 
nehmens und der planlosen Vergesell- 
schaftung all dieser Arbeiten auf dem 
Markt wird unterschlagen, damit auch 
die entsprechend widersprüchlichen Be- 
wußtscinsformcn. Tn seinem Vorwort zur 
Neuauflage von "Geschichte und Klas- 
scnbcwußtscin" im Jahre 1968 hat Lu- 
käcs diesen Fehler sehr scharf kritisiert: 
"Es wird zwar versucht, all: ideologi- 
schen Phänomene aus ihrer ökonomi- 
schen Basis verständlich zu machen, aber 
die Ökonomie wird doch eingeengt, in- 
dem ihre marxistische Fundamcntalkatc- 
goric. die Arbeit als Vermittler des Stoff- 
wechels der Gesellschaft mit der Natur 
aus ihr herausfällt ... Es verschwindet 
aber damit zugleich auch jene Wechsel- 


wirkung, die zwischen der echt materiali- 
stisch betrachteten Arbeit und der Ent- 
wicklung der arbeilenden Menschen ob- 
waltet." (Lukäcs 1968a, 19) Der Keim 
der "forschenden, 'experimentierenden' 
Erfahrungsgewinnung" im Arbeitsprozeß 
(Holzkamp 1973, 130), die Entfaltung 
von Kooperationsbeziehungen, all das, 
worauf cs in der Perspektive eines Ab- 
baus der ideologischen Mächte durch die 
bewußte Selbst-Vergesellschaftung der 
Produzenten ankommt. fallen in 
"Geschichte und Klasscnbcwußtscin" den 
falschen Abstraktionen zum Opfer. 

In "Geschichte und Klassenbewußtsein" 
treten an die Stelle eines gemeinschaftli- 
chen Lebensprozesses die "rationell ver- 
dinglichte^) Beziehungen" (266) isolier- 
ter Warenbesitzer. “Freilich ist die so 
entstehende Isolierung und Atomisierung 
ein bloßer Schein.“ (266) Was ist damit 
gemeint? 

"D» (Mf *i» «n Uutli _ ntfl ab Grindig* 0 k Katu- 

bten ctimg' G*wOltf*»4 alas GuMm wua Ott* Aa> 
riMang <M «O'JW'H * «so rw <W tM-vawnwrMftg« DAi 
MW *6 <U tSM-stHG* - 0* kJptoKsdun PiaMacn drrfcl* 
LdxnUiBtnppn 0 k 0 «IO Ht«\ (MC • wi «ouo 

Uiks h Mt GudotM - da gan» GoMfectefl «tnoami da> I«v 
Oou ran. mwi WMKMpoam vittoMtl (MC du 

SOWku i*ir GMv du GataBUun vm MVaOctin Gantrm t*- 

GW) 

Um herauszufinden, was cs mit dem 
"bloßen Schein" der verdinglichten Be- 
ziehungen auf sich hat, ist es nützlich, 
von den falschen Verabsolutierungen 
und Widerspruchseliminierungen einmal 
abzusehen. (Wieso setzt Kalkulation eine 
strenge Gesetzlichkeit allen Geschehens 
voraus? Warum scheitern Kalkulationen 
so oft, wo sic sich doch angeblich auf ei- 
ne strenge Gesetzlichkeit beziehen? 
Wies) haben die "Naturgesetze" der ka- 
pitalistischen Produktion sämtliche Le- 
bcnsiußcnmgcn erfaßt? Wieso ist "das” 
Individuum atomisiert - was ist mit den 
Mitgliedern einer Familie, eines Vereins, 
einer Gewerkschaft usw.?) Wenn wir 
auch noch die unerklärte Merkwürdigkeit 
übergehen, daß der "bcwußtscinsmäßigc 
Reflex" eines Vorgangs genau dessen 
Gegenteil enthalten soll, so läßt sich als 
Behauptung festhaltcn, daß die Isolie- 
rung "des“ Individuums (also der Indivi- 
duen, soweit sie sich zueinander als Wa- 
renbesitzer verhalten) deswegen ein 
"bloßer Schein" sein soll, weil in Wirk- 
lichkeit alle Individuen von einheitlichen 
Gesetzen bewegt werden. Aber ist die 
Form, in der sich diese einheitlichen Ge- 
setze (gemeint ist hier wahrscheinlich das 
Wertgesetz) durchsetzen, nicht gerade 
die des Austauschs zwischen Privatleu- 
ten. wenn man so will von isolierten und 
atomisierten Individuen? Ist dieser Aus- 
tausch ein "bloßer Schein”, 
"bewußtseinsmäßiger Reflex"? Lukäcs 
versucht, die Frage mit dem Hinweis auf 
die Notwendigkeit "bloßen Scheins" zu 
beantworten: 



157 


•Aft* <Mm> Stf*r <9 U Stf-n n*«o<t 9 dh 
W«M « 9»0r**J* Acs^arÄn»inr«j toi MrWra M 
0» G«M&rfuft. tot jmcojoi» '^IWa' inj R«^d*l«y «i l* 
tara _ um 1O1 ru n dm Fom du «ly«»*' irt ad*"w 

Selbst wenn man von dem Irrtum absicht, 
daß die Produktion des Lebens sich nicht 
nur in Tausch-, sondern zumindest auch 
in Produktions- und Konsumtions vorgan- 
gen abspielt, bleibt die Frage, wie Lukäcs 
seine Behauptung vom Scheincharakter 
dieser Atomisierung zwischen den Wa- 
renbesitzem aufrechterhalten und zu- 
gleich von der Realität dieser Atomisic- 
mng reden kann. Das geht eigentlich nur, 
wenn man davon ausgeht, daß das Leben 
der Warenbesitzer für sic nur etwas Pri- 
vates und ihre Gesellschaftlichkeit etwas 
ihren Handlungen notwendig Äußerli- 
ches ist, und daß die Privatheit ihrer 
Handlungen zwar notwendig, aber weni- 
ger real ist als deren Gesellschaftlichkeit. 
Darin wird verkannt, daß die Beziehun- 
gen der Privatleute, die ja keine Robin- 
sons sind, sowohl privat als auch gesell- 
schaftlich sind (worin der Grundwider- 
spnich dieser Produktionsweise besteht), 
daß diese Privatheit etwas der Gesell- 
schaftlichkeit nicht Äußerliches ist, son- 
dern die reale Form ihrer Durchsetzung. 
In «er Wendung vom "notwendig fal- 
schen Bewußtsein" kaschiert der Verweis 
auf die Notwendigkeit die Objektivität 
des Privaten und damit die Richtigkeit 
des mtsprechenden Bewußtseins; es ist 
nicht "notwendig falsches“, sondern ein 
“pral lisch richtiges Bewußtsein“. Zu- 
gleica enthebt er der Mühe, zu bestim- 
men. in welcher Hinsicht dieses Bewußt- 
sein falsch ist. Lukäcs verabsolutiert da- 
mit diese Hinsicht nämlich das Begrei- 
fen des gesellschaftlichen Gesamtzusam- 
menhangs - zur einzigen Realität, der ge- 
genüber alles andere bloßer Schein und 
Bewußtseinsreflex ist. Der Fetischcha- 
rakter der Ware wird so primär als Vor- 
gang der Bewußtseinsverfälschung, als 
das Nicht-Durchschauen des gesell- 
schaftlichen Charakters der Warenform 
begriffen, statt als wirkliches Beherrscht- 
werden der Warenproduzenten durch die 
Dinge, die sie selbst gemacht haben. Ja, 
das ganze "Kapital" von Marx wird gele- 
sen als eine Theorie über die Entstehung 
von falschem Bewußtsein, nicht als 
Theorie über die Bewegungsgesetze des 
praktisch-tätigen Lebens im Kapitalis- 
mus, es wird umskzentuiert von einer 
Theorie über die Widersprüche einer 
verkehrten Vergesellschaftung des Men- 
schen in eine Theorie des eigentlich fal- 
schen Bewußtseins von dieser Gesell- 
schaft. 

Dem kommt der Rückgriff auf zwei phi- 
losophische Richtungen entgegen; auf 
die Lebensphilosophic mit ihrem Gegcn- 
satzpaar von organischem, irrationalem 
Ganzem und mechanischen, rationalen 
Teilen und auf die Hegelsche Philoso- 


phie mit ihrer Dialektik von Subjekt und 
Objekt. Die "Übersetzung" des Verhält- 
nisses von Privat unJ Gesellschaftlich in 
das Verhältnis von Teil und Ganzem ver- 
hindert die Erkenntnis der Widersprüch- 
lichkeit des Privaten (das zugleich gesell- 
schaftlich ist), zugleich ermöglicht sic, 
wo immer etwas zerlegt, zerteilt, geglie- 
dert. analysiert wird, von der Arbeitstei- 
lung in der Fabrik bis hin zur Entwick- 
lung der Wissenschaften, darin die Wa- 
renstruktur und Entfaltung der Privatheit 
zu sehen. Die hegelianisierende Interpre- 
tation der gesellschaftlichen Verhältnisse 
als Subjekt-Objekt-Dialektik steht ganz 
im Mittelpunkt von Lukäcs' Interesse. 
Das verdinglichte Bewußtsein, der Kern 
der kapitalistischen Ideologie, wird, wie 
wir gesehen haben, als ein anschauendcs 
Verhältnis von Subjekt und Objekt ge- 
faßt, das "Kapital“ als die Theorie gele- 
sen. die erklärt, daß diese Kontemplation 
etwas historisch Besonderes, nichts Ewi- 
ges darstellt. Die Marxsche Forderung, 
von der Tätigkeit auszugehen, versucht 
Lukäcs durch die Annahme einer ur- 
sprünglichen Subjckt-Objekt-Einhcit cin- 
zulöscn. Damit kann abgcbildet werden, 
daß es ihre eigenen Bewegungen sind, 
die den Menschen fetischartig, wie ein 
fremdes Objekt gegenübertreten und sie 
beherrschen. Zugleich aber wird die Per- 
spektive. daß die Menschen nicht von ih- 
ren eigenen Produktionen beherrscht 
werden, verbaut. Der emphatische An- 
spruch, daß alles Subjekt werden solle, 
läßt alle Anstrengungen, Widerstände, 
jeden Arbeitsprozeß und jede Tätigkeit, 
worin man sich an einem Gegenstand ab- 
arbeiten muß, als Form der Entfremdung 
erscheinen, jede Vcrgcgenständlichung 
als Verdinglichung (vgl. hierzu ausführ- 
lich seine eigene Kritik, Lukäcs 1968a). 
Immerhin erkennen wir im Mythos der 
Einheit und Spaltung des Subjekt-Ob- 
jekts die Perspektive des radikalen Ab- 
baus der ideologischen Kontemplations- 
Struktur, wenn auch in einer abstrakten, 
widcrspruchsfcindlichen Form, die alle 
Ansatzpunkte innerhalb der entfremdeten 
Verhältnisse, dieser Verhältnisse Herr zu 
werden durch Selbst-Vergesellschaftung 
der Produzenten, systematisch verfehlt. 

3. Durchsetzung des Ideologischen: 
"expressive Totalität" 

Die Analyse der Ware als “Urphänomcn 
der Verdinglichung" (269) bildet nur den 
Ausgangspunkt von Lukäcs' Theorie. 
Sein Hauptinteresse gilt den Auswirkun- 
gen dieses Prozesses. Er stellt sic dar als 
"Steigerung der verdinglichten Bewußt- 
seinsstniktur als Gnindkategoric für die 
ganze Gesellschaft' (275), wobei sie 
“immer abgeleitetere, immer verdinglich- 
te Stufen" (280) erreich;. Von den unte- 
ren Stufen Staat. Recht und Verwaltung 


schreitet Lukäcs zur Analyse der neuzeit- 
lichen Wissenschaft und Philosophie 
fort: "Aus der verdinglichten Struktur des 
Bewußtseins ist die moderne kritische 
Philosophie entstanden." (287). 

Die Beziehungen zwischen diesen Stufen 
stellt Lukäcs als "strukturelle Ähnlich- 
keit" (270) oder “strukturelle Analogie" 
(273) dar. jede Stufe als Ausdruck der 
Warenstruktur, dem “Urbild aller Gegen- 
ständlichkeilsformen und aller ihnen ent- 
sprechenden Formen der Subjektivität in 
der bürgerlichen Gesellschaft” (257). "So 
wie das kapitalistische System sich öko- 
nomisch fortwährend auf erhöhter Stufe 
produziert und reproduziert, so senkt sich 
im Laufe der Entwicklung des Kapitalis- 
mus die Verdinglichungsstruktur immer 
tiefer, schicksalhafter und konstitutiver 
in das Bewußtsein der Menschen hinein." 
(268) Es handelt sich um eine "Potenzie- 
rung der Verdinglichung" (268). Die 
Analyse der Zusammenhänge zwischen 
diesen Formen geht an keiner Stelle Uber 
die hier zitierten Bestimmungen hinaus. 
Steigerung. Ausdruck. Struklurähnlich- 
keit, Stufen: das sind die Kategorien, in 
denen Lukäcs den Verdinglichungspro- 
zeß abbildct. Warum cs überhaupt zur 
Herausbildung eigener "Stufen" (wie ei- 
nes speziellen Rechts, Staats, von Philo- 
sophie und Wissenschaft) kommt, wird 
nicht analysiert, an tfe Stelle der Unter- 
suchung des Entstehens und der Wider- 
sprüche dieser Formen tritt ein quantifi- 
zierendes Denkmuster. Der Verdingli- 
chungsprozeß muß sich immer mehr 
"steigern" (268), führt zu einer "immer 
stärker" verdinglichten Behandlung aller 
Fragen (274). Der "Unterschied, daß der 

Arbeiter der einzelnen Maschine, der Un- 
ternehmer dem gegebenen Typus der ma- 
schinellen Entwicklung, der Techniker 
dem Stand der Wissenschaft und der 
Rentabilität ihrer technischen Anwen- 
dung gegenüber so stehen muß, bedeutet 
eine bloß quantitative Abstufung und 
unmittelbar keinen qualitativen Unter- 
schied in der Struktur des Bewußtseins." 
(273) Die Verdinglichung produziert eine 
"einheitliche Bewußtseinsstruktur'', die 
sich darin äußert, "daß die Bewußtseins- 
problemc der Lohnarbeit sich in der herr- 
schenden Klasse verfeinert, vergeistigt, 
aber eben darum gesteigert wiederholen.“ 
(275) Wir haben hier dasselbe, alle Un- 
terschiede. Gegensätze und Widersprü- 
che erschlagende Verfahren vor uns. das 
wir schon bei der Analyse der Waren- 
struktur kennen gelernt haben: das Mo- 
ment des selbstverständlichen Sich-Be- 
wegens in Vorgefundenen Bedingungen, 
die die Menschen produziert haben, die 
ihnen aber als fremde gegenübertreten, 
wird zum allein Bestimmenden verabso- 
lutiert und als die ganze Wirklichkeit un- 
terstellt. Immer auf der Suche nach dem 



158 


Vcrdinglichungs- und Verewigungsef- 
fekt, werden Lukdcs die konkreten Diffe- 
renzen gleichgültig: 

’JMxfl c<> Vtfqtl Ö*l ***>»'<.' *»> 0» 

Basa odw da «JatogHtf»nG»e«»n m. tf> rai.<rt»t*T«T*i 
o» CfadT-tdW^I 0 »W>«ra. m Wcs«n 6* Saf* W OHM*» 
hrom'(IM) 

Die relative Autonomie verschiedener In- 
stanzen ist reiner (wenn auch notwendi- 
ger) Schein: 

*5 MSeftBi munc TatHtf*n «tat« >JUa3io»3Tt**n tut* 
gtwOK iMjeP*«» (tenor* H«f* uw ). 4« *So> •> *<•> w>- 
n-n*a«i CncftMv«g»toma »i «m a*J* wiu*n- 

Ktunkt» ätadivg -MgV-o* «qibniMM rj vn xft»*«n* 
CM *Outttfi. <M «tun MMri* irü ooMnndn Ttfocha 
inj TWftKrr. 'w Jv •* UrtiM WM Ou Gaurn btlcrt*. 
rnp.« -dUMT <<N>n ah mn - ikrioyi "XI dal ■JpUknul nX- 
•*->) j-cdüWflcn • Seren’ (I fi). 

Die Univcrsalkategurie. mit der Lukdcs 
die Verbindung zwischen den isolierten 
Tatsachen und so die 'konkrete Einheit 
des Ganzen' oder "Totalität" zeigen will, 
ist die Kategorie “Ausdruck". 

Die Sozialdemokrat ist für Lukdcs 
"ideologischer Ausdruck " der " kleinbür- 
gerlich gewordenen A rbeiterarislokratie " 
(204). "Der literarische, der wissen- 
schaftliche Ausdruck eines Problems er- 
scheint als Ausdruck einer gesellschaftli- 
chen Ganzheit, als Ausdruck ihrer Mög- 
lichkeiten. Grenzen und Probleme. " 
(207) Das "ganze Dasein der bürgerli- 
chen Klasse und als ihr Ausdruck die 
bürgerliche Kultur " sei "in die schwerste 
Krise geraten. " (242) Der Marxismus ist 
"der ideologische Ausdruck der sich be- 
freienden Proletarierklasse. " (435) 

Die Stelle der "Ausdrucks"-Beziehungcn 
kann auch durch die Widerspicgclungs- 
und die Wesen-Erschcinungs-Beziehung 
vertreten werden. 

Besondere Aktivitäten von seiten der 
herrschenden Klasse zur Integration der 
Beherrschten scheinen nicht notwendig 
zu sein, da die freiwillige Unterwerfung 
sich als blinder Effekt, durch den 
"Ausdruck" der Verdinglichung im Be- 
wußtsein aller Grscllschaftsmitglicdcr 
von selbst herstellt Die freiwillige Un- 
terwerfung unter die Staatsmacht erklärt 
Lukdcs damit, daß eine ursprüngliche ge- 
sellschaftliche Funktion von Recht und 
Staat 

’«* «ttcrKMrtM öKkgftdMf H*>U m D«*in ml KNan 6tt r 
tan to Gm* mC M asO*n !nk< 

CoitnÖ.Cta Ge.s«0<9ar.Wttfiift WO m* ötn («UOaBiMr) U- 

101 mw d«rang xto'nanj» CfeMHgW** ttm g»- 

prtDtr aß Out 0 » Ms fätmlcW» afe ncMnjg* iw-* Im 
Duo* urctmai. Uusdi Hmp dmutfWg» trttnrt- 

'fift’IOJ) 

Diese "völlige Reduktion einer Struktur 
auf eine andere, die dann als absoluter 
Bezugspunkt, als der Originaltext zu 
mehreren Übersetzungen erscheint" 
(Althusscr/Balibar 1972. 335), hat Louis 
Althusser "Theorie des Ausdrucks", 
"Theorie der expressiven Totalität (in der 
jeder Teil eine pars totalis ist, die das 
Ganze, welches ihr persönlich inne- 
wohnt, unmittelbar zum Ausdruck 
bringt)" (Althusscr/Balibar 1972, 17) ge- 


nannt, und den Bruch mit diesem Dcnk- 
modell ins Zentrum seiner Kapital-Re- 
zeption gestellt. Er bekämpft diese Kon- 
zeption, weil sic unpraktisch ist, weil sic 
in allen Lebensüußerungen immer nur die 
eine Praxis (und die eine Verdingli- 
chung) wiedererkeatt, unfähig zur kon- 
kreten Analyse einer konkreten Situation. 
"Es gilt zu erkennen, daß es keine Praxis 
im allgemeinen, sordem nur verschiede- 
ne Praxisformen gibt” (Althusscr/Balibar 
1972, 76). Für eine Theorie des Alltags- 
bewußtscins ist diese Tatsache funda- 
mental. Die philosophische Abstraktion 
■Praxis” (oder “Subjekt-Objekt") erlaubt 
nicht, den Vorgang abzubildcn, daß die 
Menschen keineswegs in "der" Praxis, 
sondern in sehr verschiedenen Praxen le- 
ben, als Käufer, Klassenkämpfer, Kon- 
sumenten, Kirchgänger, und diese Praxen 
zunächst durch "private Weltanschauun- 
gen“ (Haug 1975, 662) integrieren. Nur 
bei Unterscheidung verschiedener Praxis- 
formen in verschiedenen Instanzen läßt 
sich ideologische Arbeit als besondere 
Tätigkeit darstellen, etwa das Aufgreifen 
und Umarbeiten objektiver Gedanken- 
formen zu Weltanschauungen (vgl. Ne- 
mitz 1977), das Hochholen und Zurück- 
senden von Elementen des Alltagsbe- 
wußtscins durch die Ideologen in den 
verschiedenen ideologischen Instanzen 
(vgl. Elfferding 1979) usw. 

Althusser verbindet seine Kritik an der 
egalisierenden Praxiskonzeption mit ei- 
ner des genetischen Denkens, das danach 
fragt, wie die verschiedenen Praxisfor- 
men auseinander hervorgegangen sind 
(Althusser/Balibar 1972, 84, 87). Dieses 
genetische Denken ist für ihn identisch 
mit dem "Ausdruckismus", demzufolge 
ein zugrundeliegendes Wesen sich in 
verschiedenen Erscheinungsformen her- 
umtrcibt, in denen es nichts als immer 
dieses selbe Wesen zu erkennen gelte. 
Wir haben allerdings gesehen, daß Lu- 
käcs die Zusammenhänge zwischen den 
verschiedenen Praxen alles andere als 
genetisch denkt, genetisch verstanden im 
strengen Sinn einer Rekonstruktion des 
lebensnotwendigen Entwicklungs- 
zwangs, durch den aus einer bestimmten 
Praxisform aufgrund ihrer inneren Wi- 
dersprüche eine neue Form hervorgehen 
muß. Eine solche Fragestellung liegt völ- 
lig jenseits von Lukdcs’ Horizont. An die 
Stelle genetischer Rekonstruktion tritt bei 
ihm ein Emanationsdenken, ein Diffusi- 
onsmodcll der immer verdinglichteren 
Verdinglichung, die keinerlei qualitativ 
neue Praxis- und Gedankenformen her- 
vorbringt, sondern bloß quantitative Ab- 
stufungen immer Desselben. 

4. Intellektuellentätigkeit: Ideologie- 
kritik ohne Subjekt 

Die Frage, wie es angesichts dieses ge- 
schlossenen Universums einheitlich ver- 


dinglichten Bewußtseins zur Erkenntnis 
und zum befreienden Handeln kommen 
kann, liegt auf der Hand. Die Antwort 
von Lukdcs ist durch das Ausdrucks-Mo- 
dell bestimmt: Was das politische Hand- 
lungsfeld betrifft, liefert dieses Modell 
einen Schlüssel zu seiner "linksradika- 
Icn“ Position in der Dritten Internationa- 
le. Auch die kommunistische Partei ist 
für ihn Ausdruck, “der organisatorische 
Ausdruck des revolutionären Willens des 
Proletariats”, sie stellt "den reinen Aus- 
druck des Klassenkampfes" dar (Lukäcs 
1968b, 107), ist “Trägerin des Massenbe- 
wußtseins des Proletariats. Gewissen, 
seiner geschichtlichen Sendung" (214). 
Konkrete Probleme der politischen Praxis 
einer Arbeiterpartei können mit diesem 
Ausdrucksmodell gar nicht untersucht 
werden, es kann nur gefragt werden, ob 
in einer Aktion das Klassenbewußtsein 
auch unverfälscht und gewissenhaft ge- 
nug zum Ausdruck kommt. Das Aus- 
drucksdenken verhindert das Studium der 
Schwierigkeiten dci Sich-selbstVerge- 
sellschaftens der Massen auf den ver- 
schiedenen Handlungscbcnen und führt 
zu einer "spekulativen Harmonisierung 
des revolutionären Prozesses" (Kammlcr 
1974,217). 

TM ErtBitti wrt am HmSatt. 6 a ThteM iui Pmto. 4 * 0 # 

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imq*n iQiumtonutison!. da «f t*/n. Uau*iniA«}*n MW« 
»<a »xfi • pf#»n<a»«>ta*fi • hl» fitOM hegen.* «215» 
Althusser, für den die wissenschaftliche 
Revolution von Marx darin besteht, daß 
er "den 'ideologischen' und universalen 
Begriff der Fcucrbachschen 'Praxis' durch 
eine konkrete Auffassung der spezifi- 
schen Unterschiede ersetzt, die es gestat- 
tet, jede besondere Praxis in den spezifi- 
schen Unterschieden der sozialen Struk- 
tur zu situieren" (Althusser 1968. 1780, 
sicht den Skandal dieses Ausdrucksden- 
kens vor allem darin, daß damit auch die 
revolutionäre wissenschaftliche Tätigkeit 
als eine besondere Praxisform ver- 
schwindet und zum bewußtlosen Aus- 
druck der historischen Entwicklung wird. 
Für Lukdcs ist die marxistische Theorie 
"nichts als der gedankliche Ausdruck des 
revolutionären Prozesses selbst” (173). 
Für den Vorgang, daß diese Theorie nicht 
von "der“ Wirklichkeit einfach ausge- 
schwitzt wird, auch nicht von "dem" Pro- 
letariat. sondern von einzelnen Intellek- 
tuellen und intellektuellengruppen in 
wechselndem, oft spannungsreichem 
Verhältnis zur Arbeiterbewegung erar- 
beitet wurde, ist Lukdcs absolut blind. 
Althusser hat die Konzeption, "welche 
die Erkenntnis des Realobjekts als realen 
Bestandteil dieses Realobjekts denkt" 



159 


(Althusscr/Balibar 1972. 47). 

''Empirismus" genannt, "Historizismus" 
die damit oft verbundene Vorstellung, 
daß es im Laufe der Geschichte zu einem 
Punkt komme, an dem Geschichte “jene 
besondere und außergewöhnliche Gegen- 
wart produziert habe, in der die wissen- 
schaftlichen Abstraktionen bereits im Zu- 
stand empirischer Realitäten und die 
Wissenschaft (einschließlich der wissen- 
schaftlichen Begriffe) - so wie die Wahr- 
heiten aus offenem Himmel - in Form 
sichtbarer Erfahrungen existieren" 
(Althusser/Balifcar 1972, 165). In diesem 
Sinne ist Lukäcs' Theorie-Begriff sowoh} 
"empiristisch" als auch "historizistisch". 
Doch bei Lukäcs ist es nicht einfach "die 
Wirklichkeit", die im Laufe ihrer Ge- 
schichte ihre eigene Erkenntnis gleich 
mitliefert, sondern er sieht "das Proleta- 
riat als Subjekt des Denkens der Gesell- 
schaft" (212). Allerdings zeigt der Blick 
auf die Wirklichkeit der arbeitsteiligen 
Produktion von Wissenschaft sehr rasch, 
daß die Rede von der Arbeiterklasse als 
einem Subjekt wissenschaftlicher Er- 
kenntnis eine Fiktion ist. Lukäcs versucht 
diesen Widerspruch zwischen Theorie 
und Wirklichkeit mit seiner berühmt ge- 
wordenen Differenzierung von 
"empirischem" (bzw. “psychologi- 
schem") und "zugerechnetem Klassen- 
bewußtsein" zu lösen. Während, das em- 
pirische Klassenbewußtsein betrachtet, 
"das Bewußtsein des Proletariats der 
Verdinglichung vorläufig noch erlegen 
ist" (252). sei cs Subjekt der Erkenntnis, 
was sein "zugerechneles Klassenbewußt- 
sein" betrifft Im Rückgriff auf den Max 
Wcbcrschen "ldealtypus” soll 
"zugerechnetes Klassenbewußtsein" die 
"rationell angemessene Reaktion _.. die 
... einer bestimmten typischen Lage im 
Produktionsprozeß zugerechnet wird" 
(223f.), bezeichnen. 

•Wtm <3M BmflöMi ml Sat Gau» Om Gcotoftfi »W. 
—o-' )»»• tortar CTWtaaigan uw. «tan. <*• <*• MmcMa 
n Mw MflfnrMn lat»n*B?a IK« mVa*t nm Da da» Ugt. 
d» i*h H fWB.1 »jsMrOao «ireuan »n h t*zij bjI Ojs 
inrM«r* HaxMi m ml 6ar> - dmrni nmw gonMoi • kt 
t» Om vmn OMeferhaf lokmw m «tusai trag Wr. a* 
GadMan ur>. «•>. da rra oSiatdnn laga ngrrauan ml* (TS) 
Gerade die äußerste Verdinglichung, in 
der der Arbeiter lebt, sei es, die ihn zur 
Erkenntnis des Gesamtzusammenhangs, 
der "Totalität" befähige: 

TM ra* «tmtta NagMü n Ou* Om HfUn « Dm «« 
daot#Wrn»MJ«EiKnarirgiWmOa«Var«H(äKi>3..*y>3arn 
• a6an «eh* - da fw«. w Om SJn*ax M 
gaf>Mn i«wa« Wata (t*non datfftiKMn ««m «am: 

osn 

Zum Umschlag des vorläufig nur zuge- 
rechnctcn Klassenbewußtseins ins empi- 
rische komme cs in der Krise. Wenn es 
bei Lukäcs etwa heißt, daß "die gegen- 
wärtige Krise das richtige Handeln aus 
dem Gang der Geschichte ablesbar 
macht” (254), daß in der Krise die 


ist hier die von Althusscr kritisierte 
"historizistischc" Vorstellung vom Mo- 
ment der Offenbarung am Werk, in dem 
das verborgene Wesen unmittelbar in die 
Erscheinung tritt, und die Wahrheiten ei- 
nem zuflirgen wie die gebratenen Tau- 
ben im Schlaraffenland. 

Lukäcs weiß aus eigener politischer Er- 
fahrung, daß Krise nicht automatisch 
Klassenbewußtsein bedeutet. Er versucht 

den Widerspruch zwischen 

"historizistischem" Offenbaningsdcnkcn 
und Revolutionserfahrungen auf folgen- 
de Weise zu lösen: 

'Am 6m Kn» dB Kjptakvru Um nm Oe* Biwlan 6u tVMeO- 
KM (Mn /usaag »gm SWnj» «w nett 0» dL DM« 

<fe Kikt itrrawt. «Mal ni Mn kAgr&f**» nric*. mlWai 
0* Saaten, to n&h r*9t \x*nUf*r\ LMMn n«h ichiadAhen 
Uimon 0 * Uiffiiuroiaimffl 6m vImM «n IWI 

»PMIaM **»*«■] tnfetf 4» rCtangfeG»- 
«*«• n d* hw» gu ca» ptMoiM m «. im. an wt is 
infl. UM Um u* Nn mr g «gaMMr 6m Wal. »Opi auh 
X* uh setef m IOum ■MS»\ dh 6a itimitO* ttXmnOfet 
w* KUu«»n»M nm Wokn err ntiarun KBs- 

urM». 0 uMttnetan.*<K 1 ). 

In solchen und ähnlichen Formulierun- 
gen - "das Proletariat kann sich seinem 
Beruf nicht entziehen. Es handelt sich 
nur darum, wieviel cs npeh zu leiden hat, 
bis cs zur ideologischen Reife, zur richti- 
gen Erkenntnis seiner Klassenlagc, zum 
Klassenbewußtsein gelangt’ (252) - 
spielt die in der Dritten Internationale 
damals noch ungebrochene Hoffnung auf 
die Weltrevolution (die erst Jahre später 
mit der von Varga ausgearbeiteten Theo- 
rie von der "relativen Stabilisierung des 
Kapitalismus" zu Grabe getragen wurde) 
die entscheidende Rolle. 

Die konkreten, praktischen Probleme der 
Entwicklung von Klassenbewußtsein fin- 
den in "Geschichte und Klassenbewußt- 
sein” auf keiner der 350 Seiten irgend- 
eine Erwähnung. Das Proletariat er- 
scheint hier in rein erkenntnistheoreti- 
scher Funktion: Ausgehend von der 
Frage nach der Überwindung der kon- 
templativen, verdinglichten Gegenüber- 
stellung von Subjekt und Objekt. Denken 
und Sein. Geist und Materie usw., fun- 
giert hier das Proletariat als die Klasse, 
von deren Standpunkt aus das Begreifen 
des gesellschaftlichen Zusammenhangs, 
der "Totalität", in kommunistischer Per- 
spektive möglich ist. Der Bruch zwi- 
schen Marx und Hegel wird auf diesen 
Standpunktwcchsel reduziert. Hegel war 
es unmöglich, "das identische Subjekt- 
Objekt in der Geschichte selbst aufzufin- 
den und aufzuzeigen" (329), er muß des- 
halb "in die kontemplative Dualität von 
Subjekt und Objekt" (330) zurilckfallen, 
Marx entdeckt "das methodisch gefor- 
derte Subjekt-Objekt" (328) im Proleta- 
riat, für Lukäcs ist deshalb die Aufhe- 
bung der verdinglichten Subjekt-Objekt- 
Dualitäi im Proletariat gegeben. Er ver- 
wandelt die wissenschaftstheoretische 


die Kritik der politischen Ökonomie" 
(vgl. Haug 1972) zunächst in eine cr- 
kenrtnistheoretische: statt wisscnschafts- 

ihcorclisch zu analysieren, wie Mur* 
seine Erkenntnisse produziert hat und 
worin jeweils ihr Wissenschaftscharakter 
besteht, versucht er erkenntnisthcoretisch 
mit der Frage nach der "Entstehung der 
Erkennbarkeit eines Gegenstandes" (185) 
"von außen die Bedingungen der Mög- 
lichkeit a priori zu reflektieren, die die 
Möglichkeit der Erkenntnis garantieren 
sollen" (Althusscr/Balibar 1972, 71). Die 
erkenntnistheoretische Bestimmung des 
Proletariats als Garanten eines nicht-kon- 
templativen, nichtverdinglichten Den- 
kens verwandelt er dann in eine politi- 
sche: das Proletariat als das behauptete 
wirkliche Subjekt der Erkenntnis, wenn 
auch nur im Modus der "objektiven Mög- 
lichkeit" (223), mit 'zugeschriebenem 
Klastenbcwußtsein“. 

Im Dunkeln bleibt, wer da zuschreibt: der 
Intellektuelle. Der Vorgang, daß ein Phi- 
losoph großbürgerlicher Herkunft sich 
den revolutionären Arbeitern anschlicßt 
und seine Erfahiungcn unter Hinzuzie- 
hung seiner philosophischen Kenntnisse 
theoretisch verarbeitet, das Produkt die- 
ser Arbeit, das Buch "Geschichte und 
Klassenbewußtscin", wieder in die politi- 
schen Auseinandersetzungen cinspcist, 
die Ablehnung auf die dieses Buch bei 
den eigenen, die Zustimmung, auf die cs 
bei den anderen stößt • dieser Vorgang 
ist in Lukäcs Konzeption nicht denkbar. 
Revolutionäre Theorie, die mit dem ver- 
dinglichten Bewußtsein bricht, ist, ganz 
in wisscnssoziologischer Manier (siehe 
Kapitel 7 in diesem Band; gemeint ist der 
Band, dem wir diesen Aufsatz entnom- 
men haben, Anm. d. Hg.). Ausdruck ei- 
ner Klasse, der Theoretiker ein Lautspre- 
cher der Revolution. Nicht er spricht: es 
spricht durch ihn hindurch. Er leiht dem 
Denken des Proletariats nur seine Stim- 
me. Nicht er drückt etwas aus: die Ge- 
schichte drückt sich durch ihn hindurch 
aus, so wie die Gottheit im Orakel aus 
dem Mund des Priesters spricht. Dieses 
Nicht-Denken der theoretischen Praxis 
ist von unheimlicher Zweideutigkeit: In- 
dem der Intellektuelle bescheiden hinter 
dem Gang der Geschichte zurücktritt, 
wird seine Stimme zum Organ einer un- 
umstößlichen Wahrheit. 

Dieses Schweigen Uber die Funktion der 
Intellektuellen und ihre Praxis wird noch 
vernehmbarer, wenn wir mit Lukäcs den 
Gedanken vom Proletariat als dem Ga- 
ranten des nicht-kontemplativen Denkens 
zu Ende verfolgen: Das Denken der Tota- 
lität. das Begreifen des gesellschaftlichen 
Zusammenhangs ist für ihn nichts ande- 
res als die Revolution selber. 

■0« SMrfcrt 6» t «Mn M Wa» El «er e«M» W & 
P«“**» Oh Om Ertxra* «Xrrxj MM wram* 
eh*. Ytofcvfeiuv} «m hrw EAKrt-rt * 053) 


“Einheit des Gesamtprozesses ... in Frage nach der "Bedeutung von Stand- 
handgreifliche Nähe genickt" sei (250), punkt und sozialistischer Perspektive für 


160 


i Sctvü txdtifct 

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fir ‘Ob Prtktaal irö njtlr Ui PKttW 1* 'mögt EfW> r 
du iVnoi dar Graba'-oT tr uxfrvour alKKnin Ravgai.^M« 
BcK da W« <*> ErtsdvfcJnj (743) 

Imlciu die Frage, wie man dafüi sorgen 
könnte, daß die Theorie von den Massen 
ergriffen wird, wie, um mit Gramsci zu 
sprechen, die Arbeitenden sich als 
"kollektiver Intellektueller” organisieren 
können, nicht gestellt, sondern statt des- 
sen die unumstöäliche Notwendigkeit 
dieses Prozesses behauptet wird, wird 
das Verhältnis von Theorie und Praxis 
einseitig zur Theorie hin aufgelöst: das 
Begreifen des Ganzen ist dann schon 
seine Revolutionierung. Das Denken des 
Warenfctischs scheint dann die sachliche 
Gewalt, die er Über die Menschen hat. 
nnfzulösen. 

Aber natürlich ist Lukdcs’ Theorie eine 
bestimmte theoretische Praxis eines be- 
stimmten Intellektuellen, auch wenn sie 
dies dementiert. Sie kann als Vorschlag 
für revolutionäre theoretische Praxis ge- 
lesen werden, für eine Praxis mit der Ei- 
gentümlichkeit. dnß sie ihren Namen 

nicht nennen darf. Lukäcs’ Ausgangs- 
frage war wie kann die Ohmacht der 
Theorie gegenüber der Wirklichkeit be- 
seitigt werden, das kontemplative inter- 
pretieren, ohne etwas zu verändern. In 
der Marxschen Theorie findet er, was er 
sucht: die Theorie, die anscheinend zu- 
gleich Praxis ist. das Subjekt-Objekt-Pro- 
letariat, das. die Wirklichkeit erkennend, 
sich selbst erkennt. Aber es ist eine be- 
sondere Lesart des "Kapital", eine Me- 
thode. die Marx mit den Worten kritisiert 
hat: 


*El St n <Mr TM •*( k*ftc. Arei AniVs« 0*n rtahtn Kam dai <»• 
H***r*o Dt fndax Ms tu Mn (MOTtfgiri 

•Mctw U<*ntv*MtnR»- »1» «f-iTTOlm fomco m *ff»* 
Uh Du «n« w 4 * UrO) rrffenfeasch« uU nah« «iinicM» 
ctx Utro» * (UJW 23. 3M) 

Die Ausdrucks-Kategorie organisiert, in 
der Form der Selbstverleugnung, eine 
theoretische Tätigkeit, die man 
"identifizierenden Reduktionismus" nen- 
nen könnte. Statt die "verhimmelten 
Formen" aus den wirklichen Lebensver- 
hältnissen, von unten nach oben, zu ent- 
wickeln, werden umgekehrt die religiö- 
sen. plilosophischcn. literarischen usw. 
’Ncbclbildungen" auf den immerglcichen 
"irdischen Kern" - die Verdinglichung, 
den Warenfetisch - zurückgelührt. Das 
"Kapital" wird gewissermaßen rückwärts 
gelesen. Kaschiert wird dies dadurch, daß 
formal von "unten" nach "oben" fortge- 
schritten wird, aber, wie wir gezeigt ha- 
ben. ohne daß die Notwendigkeit der 
neuen Form tatsächlich rekonstruiert 


wird. Daß dies Neue aus dem Alten her- 
vorgegangen ist, dafür reicht der reduk- 
tionistische Nachweis einer Strukturana- 
logie. Es ist dieser Reduktionismus, den 
Lukdcs für die Theorie hält, die zugleich 
Revolution ist, indem sie die 
"Ewigkeitshüllc d:r Kategorien" und 
damit zugleich ihre 

"Dinghaftigkeitshülle" (187) zerreißt. 
Wir schlagen vor, dieses reduktionisti- 
sche Herangehen an die Phänomene des 
Ideologischen, das annimmt, daß die 
Stabilität des Kapitalismus in seinem 
Nicht-Durchschautwerdcn, die Revolu- 
tion also im "Entschleiern" besteht, als 
"reduktionistische Ideologiekritik" zu be- 
zeichnen. 

5. Ausblick auf die Ideologiekritik der 
"Frankfurter Schule" 

Im Zentrum der Kritischen Theorie steht 
die Kritik von Ideologie. Mag die Sensi- 
bilität ihrer Analysen - organisiert durch 
"die geheimeren Hoffnungen" auf eine 
"Resuncktion der gefallenen Natur" 
(Habermas 1968, 54) - auch zuweilen in 
Empfindungslosigkeit gegenüber den 
Unterschieden, auf die es ankommt, Um- 
schlagen, so war sic doch vor der Studen- 
tenbewegung die umlberschreitbare Mög- 
lichkeit, im Rahmen der postfaschisti- 
schcn westdeutschen bürgerlichen Ge- 
sellschaft ohne eins soziale Bewegung 
den Widerstand gegen diese Gesellschaft 
zu denken. Unbeirrbar lehrt sie, die For- 
men der Herrschaft auch noch im Entle- 
gensten zu entziffern, und ist bis heute 
die wirksamste Form kritischer Denk- 
und Kunstpraxis hierzulande. Dem 
Reichtum vor allem ihrer ästhetischen 
und philosophischen Analysen können 
wir hier nicht gerecht werden, nur den 
Punkt benennen, an dem die Kritik an 
Lukdcs auch - und erst recht - sie treffen 
muß. 

Der Unterschied ist unübersehbar. Das 
Versagen der Arbeiterparteien vor dem 
deutschen Faschismus, dem Stalinismus, 
die Massenintegraticn durch Konsum im 
amerikanischen Exil und im Deutschland 
der Nachkriegszeit waren ihr Beweis für 
das Abdanken der Arbeiterklasse als re- 
volutionärem Subjekt. (Wenn man sich 
die spekulative Form der Huffnung des 
frühen Lukdcs auf das Proletariat verge- 
genwärtigt. nimmt dieser Umschlag in 
Enttäuschung nicht wunder; hier wäre zu 
fragen, wie Lukdcs unter extrem wech- 
selnden politischen Bedingungen sein 
Engagement hat stabilisieren können.) 
Auf die erheblichen Unterschiede in äs- 
thetischen und philosophischen Fragen, 
vor allem zum späteren Lukdcs, kann 
hier nicht cingcgangcn werden (vgl. 
Adorno 1961). Jedoch kann unsere Kritik 
an Lukdcs’ Methode auch Gültigkeit für 
die Kritische Theorie beanspruchen. 


Auch für sie ist Ideologie "notwendig fal- 
sches Bewußtsein" (vgl. Institut für So- 
zialforschung 1956; Schnädelbach 1969). 
Sie denkt den 7us«mmenhang sozialer 
Formen als Ausdracksbczichung, die 
Analyse ist rcduktbnistisch. Sie kennt 
den "historizistischen” Moment absoluter 
Wahrheit, wo Wesen und Erscheinung 
ineinanderfallen und Wissenschaft über- 
flüssig wird. Sic verleugnet jedoch nie 
die Tatsache, daß sie sich intellektueller 
Anstrengung verdankt. Der Intellektuelle 
tritt aus der Anonymität des Schweigens 
über die theoretische Praxis heraus und 
nimmt die leere Stelle des Proletariats 
ein, wo er freilich auch bei Lukdcs längst 
gewesen ist. Zur Vorstellung von Ideolo- 
gie als blind sich objektivierendem Geist 
tritt, unter dem Eindruck faschistischer 
Propaganda und kapitalistischer Kultur- 
industrie, eine Theorie der Manipulation, 
ohne daß das Verhältnis zwischen beiden 
theoretisch geklärt würde. 

Den Bruch mit dem Modell "expressiver 
Totalitär" vollzieht Habermas (vgl. Ha- 
bermas 1968). Er hält an der Frage fest, 
wie Herrschaft durch freiwillige Zustim- 
mung stabilisiert wird, denkt jedoch die 
radikale Differenz der gesellschaftlichen 
Instanzen. In unersättlicher, oft gewalttä- 
tiger Einverleibung der jeweils neuesten 
sozialwissenschaftlichen Theorien und 
der philosophischen Tradition arbeitet er 
ein Gesellschaftsmodell aus, das statt von 
den klassischen Kategorien Produktiv- 
kräfte und Produktionsverhältnisse von 
den Instanzen Arbeit und Interaktion 
ausgeht (vgl. Tuschling 1979). Das wirft 
tausend Probleme auf, die hier nicht dis- 
kutiert werden können. In unserem Zu- 
sammenhang ist wichtig, daß dies mit ei- 
ner Abkehr vom Basis-Übcrbau-Model! 
einhergeht. infolge der 

■Dauerregulierung des Wirtschaftspro- 
zesses durch staatliche Intervention" 
"stehen Gesellschaft und Staat nicht län- 
ger in einem Verhältnis, das die Mar- 
xsche Theorie als das von Basis und 
Überbau bestimmt hatte." (Habermas 
1968, 75). Da Habermas sich das Ver- 
hältnis von Basis und Überbau nur als 
Ausdrucksverhältnis vorstellcn kann, 
vollzieht er den Bruch mit der 
"expressiven Totaliiat" zugleich als 
Bruch mit der Basis-Überbau-Konzcp- 
tion. Dabei hätte es nie einen Staat gege- 
ben. wenn die Basis sich jemals 
"sclbstrcgulierend” (tbd.) hätte erhalten 
können. Interessant ist auf jeden Fall, daß 
Habermas’ Abbildung von Gesellschaft 
ab gegliedertem Ganzen von beeindruk- 
kender Leistungsfähigkeit in der Erzeu- 
gung ideologietheoretisch relevanter Fra- 
gestellungen ist. Ein: Kritik an seinen 
Erklärungen wäre nur als konkurrierende 
Interpretation der vor ihm herausgestell- 
ten Phänomene fruchtbar. Seine Leitvor- 



161 


Stellung allerdings, der "hcrrschaftsfrcic 
Diskurs" kann auf dem Boden des in die- 
sem Band Entwickelten thcorctisicrt 
werden als Verewigung der Perspektive 
ideologischer Vergesellschaftung: durch 
Werte, deren Inhalt zwar zur Disposition 
gestellt wird, nicht aber ihre verhimmelte 
Form. 

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RacftA H. 1970 Zir bgsrfMn On Kaptoto*»«! tat Kart 
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Kxvtvi 2. 1975: Cm laWn G*<g UAto’ • En» CTvml »t Ul- 
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trdcnjtM: OfiUdiK torBfeaMiK S3rfSoMi. LaoOg S. 796 - 42S 
Stfmd. K. 1971: Ok BcgUdK Md« h Ok Lato Kn Uan Obar*. 
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Santa*«*. H. I*». Wm« lOteM»*’ V»r*öi «iw B*g«t*iUI- 
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SdmalUJ. 1977: CM*dk Kt f&evxKfa Ok Prad» WWMan- 
MK. B «a. fig ). 1977: FTdnmMÄOa ird UKdimu». 4 Bt» Furt- 
KdV.S 59-94 

Sog. R. 1976 OKiögtowim Zir» VatiUn« Kn gatrficfat» 
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Irtddn« B. 1979 OM ‘o'MV od 4* •|Otll»M»• Catabdiatl Ka- 
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* h Oesam Kap4» anOen ZlB» ks UM« 1964c 'Gasfiaa* ird 

KkusKMautttah* Oj3i orfaai» Anja« Ok SadanaN k 


Siuan Hall 

Ideologie und Ökonomie - 

Marxismus ohne Gewähr 

Vorbemerkung der Herausgeber: 

Der folgende Text diskutiert folgende 
Passage aus dem zweiten Abschnitt des 
Ersten Bandes des Kapitals : 

"Die Konsumtion der Arbeitskraft, gleich 
der Konsumtion jeder andren Ware, voll- 
zieht sich außerhalb des Marktes oder 
Zirkulatioassphäre. Diese geräusch- 
volle, auf der Oberfläche hausende und 
aller Augen zugängliche Sphäre verlas- 
sen wir daher, zusammen mit Geldbesit- 
zer und Aibcitskraftbcsitzcr, um beiden 
nachzufolgen in die verborgene Stätte 
der Produktion, (...). Das Geheimnis der 
Plusmachetei muß sich endlich enthül- 
len." In der "Sphäre der Zirkulation oder 
des Wanntauschs, innerhalb derer 
Schranken der Kauf und Verkauf der Ar- 
beitskraft sich bewegt.“ vollbringen alle, 
"weil so jeder nur fllr sich und keiner für 
den andren kehrt. infolge einer 
prästabilierten Harmonie der Dinge (...), 
nur das Werk ihres wffhselwillgpn Vor- 
teils. des Gemeinnutzens, des Gesamtin- 
teresses. Beim Scheiden von dieser Sphä- 
re der einfachen Zirkulation (...) verwan- 
delt sich (...) die Physiognomie unsrer 
dramatis personis. Der ehemalige Geld- 
besitzer schreitet voran als Kapitalist, 
der Arbeitskraftbesitzer folgt ihm nach 
als sein Arbeiter, der eine bedeutungsvoll 
schmunzelnd und geschäftseifrig, der an- 
dere scheu widerstrebsam, vie jemand 
der seine eigne Haut zu Markt getragen 
und nun nichts andres zu erwarten hat als 
die - Gerberei." (MEW 23. 189 - 191 - 
unsere Hen'orh. Zur Frage des Verhältnis 
von "Oberfläche“ und 'Verborgenem' 
(Wesen und Erscheinung'! bei Marx 
siche außerdem: Louis Althusser / Eti- 
enne Balibar, Das Kapital lesen, Reinbek 
bei Hamburg. 1972, 18 - 32, 42 - 55]. 
Stuart Hall stellt sich nun folgende Frage, 
ist die Muktideologie, die die Wider- 
sprüche des Produktionsprozesses igno- 
riert. eine ’Verzeming“ der Wirklichkeit 
bzw. - wie Lukäcs sagt - "falsches Be- 
wußtsein"? . 

[-1 

3. "Falsches Bewußtsein" oder Pluralität 
der ökonomischen Diskurse? 

Nehmen wir zum Beispiel das äußerst 
heikle Gebiet der "Verzerrungen" der 
Ideologie und die Frage des "falschen 
Bewußtseins". [...]. Der Ausdruck 
"Verzerrungen" wirft unmittelbar die 
Frage auf, weshalb Leute, die ihr Ver- 
hältnis zu ihren Existenzbedingungen in 
den Kategorien einer verzerrten Ideologie 


leben, nicht erkennen können, daß sic 
verzerrt ist. während wir es mit richtig 
gebildeten Begriffen können. Sind die 
"Ver/crrungcn" einfach Unwahrheiten? 
Sind es absichtlich geförderte Fälschun- 
gen? Wenn ja. durch wen? Funktioniert 
Ideologie wirklich wie bewußte Klassen- 
propaganda? (...) Offensichtlich sind die 
Ausdrücke, so wie sie sind, hilflos. Sic 
lassen sowohl die Massen als auch die 
Kapitalisten wie erklärte Deppen aussc- 
hen. Sie ziehen zudem eine merkwürdige 
Sichtweise der Bildung alternativer Be- 
wußtseinsformen nach sich. Man muß 
annehmen, daß diese dann entstehen, 
wenn den Leuten die Schuppen von den 
Augen fallen, oder wenn sie, wie aus ei- 
nem Traum erwacht, das Licht erblicken, 
das durch die Transparenz der Dinge 
unmittelbar auf ihre essentielle Wahrheit, 
deren verborgene strukturelle Prozesse 
strahlt. Dies ist eine Darstellung der 

Entwicklung des Arbciicrklosscnbcwußl- 
seins, die auf dem recht wunderlichen 
Modell des Heiligen Paulus und der 
Straße von Damaskus beruht. 

[...] ein ideologischer Vorgang (...) 
"verschleiert, verbirgt, versteckt" - die 
Ausdrücke kommen alle im Text vor - 
ein anderes Set von Verhältnissen, die 
nicht an der Oberfläche erscheinen, son- 
dern die “in der verborgnen Stätte der 
Produktion" (MEW 23. 189) versteckt 
sind (dort, wo Besitz und Eigentum hau- 
sen. wo die Ausbeutung der Arbeitskraft 
und die Enicignung vcii Mehrwert vor 
sich gehen). Die ideologischen Katego- 
rien 'verbergen'' diese daruntcrlicgcndc 
Realität (...1. 

Wie steht cs nun mit den "Verzerrungen" 
der bürgerlichen Politischen Ökonomie 
als einer Ideologie? Eire Ixsart ist. daß 
sie, da Marx die bürgerliche Politische 
Ökonomie "verzerrt” nennt, "falsch” sein 
muß. Diejenigen, die ihr Verhältnis zum 
ökonomischen Leben ausschließlich in 
deren Denk- und Erfahrungskategorien 
leben, haben somit per definitionem ein 
"falsches Bewußtsein". Hier müssen wir 
wiederum auf der Hut sein vor zu schnel- 
len Schlußfolgerungen. Zum einen macht 
Marx einen wichtigen Unterschied zwi- 
schen "vulgären" Versionen der Politi- 
schen Ökonomie und fortgeschritteren 
Versbnen wie derjenigen von Ricardo, 
von der er deutlich sagt, daß sie 
"wissenschaftlichen Wen" habe. Was 
kann er aber nun in diesem Kontext 
"falsch" und "verzerrt" meinen? 

Er kann nicht meinen, daß der Markt 
nicht existiere. Der ist in der Tat allzu 
wirklich. In bestimmter Hinsicht ist er 
gerade das Lebcnsclexier des Kapitalis- 
mus. Ohne ihn hätte der Kapitalismus 
niemals den Rahmen des Feudalismus 
gesprengt; und ohne seine unablässige 
Kontinuität würde die Zirkulation des 


162 


Kapitals zu einem plötzlichen und kata- 
strophalen Stillstand kommen. Ich denke, 
diese Worte machen nur Sinn, wenn wir 
an eine Darstellung des aus einer Wech- 
selbeziehung zahlreicher Momente be- 
stehenden ökonomischen Kreislaufes 
denken, die vom Standpunkt eines einzi- 
gen dieser Momente erfolgt. 

Wenn wir in unserer Erklärung mir ein 
Moment liervorlieben und nicht das dif- 
ferenzierte Ganze oder "Ensemble' be- 
rücksichtigen. dessen Teil es ist, oder 
wenn wir. um den ganzen Prozeß zu er- 
klären, Dcnkkatcgoricn verwenden, die 
nur einen dieser Momente zugehören, 
dann riskieren wir eine "einseitige" Dar- 
stellung, wie es Marx (im Anschluß an 
Hegel) nennen würde. 

Einseitige Erklärungen sind immer eine 
Verzerrung. Nicht im Sinne einer Lüge 
über das System, aber in dem Sinne, daß 
eine "Halb-Wahrheit” nicht die ganze 
Wahrheit von irgend etwas sein Kann. 
Mit solchen Verstellungen wird man 
immer nur einen Teil des Ganzen repräs- 
entieren. Man wird damit eine Erklärung 
produzieren, die nur teilweise adäquat - 
und in diesem Sinne "falsch“ - ist. Wenn 
man ferner nur Marktkalegorien und - 
konzepte verwendet, um den kapitalisti- 
schen Kreislauf als ganzen zu verstehen, 
dann kann man viele seiner Aspekte 
buchstäblich nicht sehen. In diesem 
Sinne verdunkeln und mystifizieren die 
Kategorien des Marktes unser Vcrsänd- 
nis des kapitalistischen Prozesses: das 
heißt, sie befähigen uns nicht dazu, Fra- 
gen über sie zu sehen und zu forrr.ulie- 
ren, denn sic machen andere Aspekte un- 
sichtbar. 

Hat die Arbeiterin, die ihr Verhältnis 
/.um Kreislauf der kapitalistischen Pro 
duktion ausschließlich in den Kategorien 
eines "gerechten Preises" oder eines 
"gerechten Lohnes" lebt, ein "falsches 
Bewußtsein"? Ja, wenn wir damit mei- 
nen, das cs in ihrer Lage etwas gibt, das 
sie mit den von ihr verwendeten Kaiego- 
rien nicht begreifen kann; etwas von dem 
Prozeß als ganzem, das systematisch ver- 
borgen bleibt, weil die verfügbaren Be- 
griffe ihr nur den Zugriff zu einem winer 
vielen Momente erlauben. Nein, wenn 
wir damit meinen, das sie sich vollkom- 
men darüber täuscht, was im Kapitalis- 
mus vor sich geht. 

Die Falschheit entsteht daher nicht aus 
der Tatsache, daß der Markt eine Iliasion. 
ein Trick, eine Taschcnspiclcrci wäre, 
sondern sie besteht nur im Sinne einer 
inadäquaten Erklärung des Prozesses. 
Dabei wird ferner an die Stelle des gan- 
zen ein Teil des Prozesses gesetzt - ein 
Verfahren, das in der Linguistik als 
"Metonymie” und in Jer Anthropologie. 
Psychoanalyse und (in einer speziellen 
Bedeutung) in Marx' Werk als Fetischis- 


mus bekamt ist. Die anifcren dabei 
"verlorengegangenen" Momente des 
Kreislaufs jedoch sind unbewußt, nicht 
im Freudschen Sinne als vom Bewußt- 
sein verdrängte, sondern in dem Sinne, 
daß sie unsichtbar sind bei den gegebe- 
nen Begriffen und Kategorien, die wir 
verwenden. 

Dies ist auch hilfreich, um die sonst ex- 
trem verwirrende Terminologie im Kupl- 

tal zu erklären, soweit sie das betrifft, 
was "an der Oberfläche erscheint“ (von 
dem manchmal gesagt wird, ei sei "bloße 
Erscheinung", das heißt nicht wichtig, 
nicht die wirkliche Sache), und was 
"darunter verborgen" und in die Struktur 
eingebettet ist. weil es nicht auf der 
Oberfläche liegt. Entscheidend ist je- 
doch, daß - wie das Beispiel 
Tausch/Produktion deutlich macht - 
"Oberfläche" und "Erscheinung" nicht 
falsch oder illusorisch im gewöhnlichen 
wortsinn bedeutet. Der Markt ist nicht 
mehr oder weniger "wirklich” als andere 
Aspekte, zum Beispiel die Produktion. 
Die Produktion ist in Marx' Terminologie 
nur das. womit wir die Krcislaufanalysc 
beginnen sollten: "... der Akt. worin der 
ganze Prozeß sich wieder verläuft.” 
(Grundrisse. 15). Aber die Produktion ist 
vom Kreislauf nicht unabhängig, denn 
die gemachten Profite und die auf dem 
Markt gekaufte Arbeitskraft müssen in 
die Produktion zurilckfließen. "Wirklich" 
drückt deshalb nur einen gewissen theo- 
retischen Primat aus. den di: marxisti- 
sche Analyse der Produktion einräumt. In 
jedem anderen Sinn ist der Austausch auf 
dem Markt ein ebenso realer, materieller 
Vorgang und absolut "wirkliches" Erfor- 
dernis für das System - wie die anderen 
Teile auch: alle sind "Momente des Akts" 

(Grundrisse, 15). 

Auch die Ausdrücke "Erscheinung" und 
"Oberfläche" selbst stellen ein Problem 
dar. Erscheinungen können etwas konno- 
tiercn, das "falsch" ist. Oberflächenfor- 
men scheinen nicht so tief zu gehen wie 
"Tiefenstrukturen". Diese sprachlichen 
Konnotationcn haben den unglücklichen 
Effekt, daß sie uns die verschiedenen 
Momente in der Form mehr/weniger real, 
mehr/weniger wichtig anordnen lassen. 
Aber von einem anderen Standpunkt aus 

ist das. was an der Oberfläche ist, was 
fortwährend erscheint, gerade dasjenige, 
was wir fonwährend sehen, dem wir täg- 
lich begegnen, was wir ganz selbstver- 
ständlich als die offensichtliche und ma- 
nifeste Form des Prozesses annchmcn. Es 
ist dann nicht überraschend, daß wir 
spontan das kapitalistische System den- 
ken im Sinne der Teilslücke, die uns 
ständig bes:häftigen und die so manifest 
ihre Präsenz bekunden. Was kann die 
Abpressung von "Mehrarbeit" als ein Be- 
griff ausrichtcn gegen so handfeste Tat- 


sachen wie die Lohntüte, die Ersparnisse 
auf der Bank, die Groschen im Automa- 
ten. das Geld in der Ladcnkassc? (...). 

In einer Welt, die vom Geldverkehr 
durchtränkt und allerorts durch Geld 
vermittelt ist. ist die Erfahrung des 
"Marktes" für jeden die unmittelbare, all- 
tägliche und universelle Erfahrung des 
ökonomischen Systems. Es ist deshalb 

Dicht überraschend, daß wir den Markt 

für ganz selbstverständlich nehmen, nicht 
fragen, was ihn ermöglicht, worauf er 
gründet oder was er voraussetzt. Es sollte 
uns nicht wundem, wenn die Massen der 
arbeitenden Menschen rächt über die Be- 
griffe verfügen, um an einer anderen 
Stelle des Prozesses einen Einschnitt zu 
machen, eine andere Anordnung von 
Fragen zu entwerfen, und an die Oberflä- 
che zu bringen oder zu enthüllen, was die 
überwältigende Faktizität des Marktes 
fortwährend unsichtbar macht, f...] wir 
[haben! aus diesen fundamentalen Kate- 
gorien [...] alltägliche Wörter, Redewen- 
dungen und idiomatische Ausdrücke im 
praktischen Bewußtsein gefunden [...]. 
Auf diese Weise sehen wir (...) im Kon- 
kurrieren um Marktvorteile die 
"Repräsentation" von etwas Natürlichem, 
Normalem und Universalem in der 
menschlichen Natur selbst. 

Ich möchte nun versuchen, einige 
Schlüsse aus der "Rc-LcktUrc" der Pas- 
sage von Marx zu ziehen, die ich vor 
dem Hintergrund der neueren Kritiken 
und der vorgebrachten neuen Theorien 
angeboten habe. 

Die Analyse wird nicht mehr durch die 
"Unterscheidung" zwischen dem 
"Wirklichen" und dem "Falschen" orga- 
nisiert. Die verdunkelnden und mystifi- 
zierenden Effekte einer Ideologie werden 

nicht länger als das Produkt einer Täu- 
schung oder einer magischen Illusion be- 
trachtet, noch werden sie einfach einem 
falschen Bewußtsein zugeschrieben, in 
das unsere armen, umnachteten, theorie- 
losen Proletarier auf ewig eingekerkert 
wären. Die Verhältnisse, in denen die 
Leute leben, sind immer die "wirklichen 
Verhältnisse", und die Kategorien und 
Begriffe, die sie verwenden, helfen ih- 
nen. diese gedanklich zu erfassen und zu 
artikulieren, (...). Auch haben wir die 
Untcischcidung "wahr* und "falsch" 
verworfen und durch andere, genauere 
Ausdrücke wie "partiell', "adäquat" oder 
"einseitig" und "in seiner differenzierten 
Totalität" ersetzt. Zu sagen, daß ein theo- 
retischer Diskurs uns ein konkretes Ver- 
hältnis im Denken erfassen läßt, bedeu- 
tet, daß der Diskurs uns einen vollständi- 
geren Begriff liefert vor, den verschiede- 
nen Beziehungen, aus denen dieses Ver- 
hältnis sich zusammensetzt, und von den 
vielfältigen Bestimmungen, die dessen 
Existenzbedingungen bilden. Das bedeu- 



163 


lei, daß unser Zugriff konkret und voll- 
ständig ist, statt eine dünne, einseitige 
Abstraktion zu sein. Einseitige Erklärun- 
gen. die partielle, den Tcil-für's-Ganze 
nehmende Erklämngstypen sind, die le- 
diglich erlauben, ein Element (den Markt 
z.B.) zu abstrahieren und zu erklären, 
sind genau auf dieser Grundlage 
inadäquat: und nur insofern können sie 
als "falsch" betrachtet werden. Obgleich 
der Ausdruck strenggenomen irreführend 
ist, wenn wir dabei so etwas wie eine 
einfach Alles-oder-Nichts-Unterschci- 
dung zwischen dem Wahren und dem 
Falschen oder zwischen Ideologie und 
Wissenschaft im Kopf haben. [. .] 


Bahamas 


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164 


Desch 

Vom Protest zum Wider- 
stand - aber wie? 

Vorbemerkung der Hg.: 

Der folgende Text irt ein für diese Veröf- 
fentlichung - in den Teilen 2. und 4 leicht 
sowie in den Teilen 6 bis 8. stärker - 
überarbeiteter Auszug aus einem länge- 
ren Papier zur Frage des Humanismus 
von Anfang '92. Die neue RAF-Politik 
spielt deshalb in dem Text keine Rolle. 
Er geht zurück auf einen humanismus- 
kritischen Artikel d;s Verfassers in der 
Berliner PROWO und einer - den Huma- 
nismus verteidigenden Antwort - von Ali 
Jansen. Bernhard Rosenkötter und Michi 
Dietiker in der Frankfurter SWING. Da 
sich die drei genannten Autoren in ihrer 
Antwort auf Horkheimer bezogen, ver- 
sucht der Verfasser des vorliegenden 
Textes, der sich seinerseits auf den An- 
satz des französischen, kommunistischen 
Philosophen Althusser bezieht, nachzu- 
weisen, daß auf der iheoretischen Grund- 
lage der Frankfurter Schule keine revolu- 
tionäre Politik möglich ist. Der Verfasser 
bezeichnet das folgende Zitat aus dem 
Historischen Wörterbuch der Philoso- 
phie als - wenn auch selbst im Rahmen 
der humanistischen Ideologie formulierte 
- "prägnante Zusammenfassung der Posi- 
tionen der Frankfurter Schule”: 

"Die Ambiguität gesellschaftlichen Fort- 
schritts und nicht in erster Linie die kapi- 
talistischen Umstände stehen einer wirk- 
lichen Humanisierung entgegen (...). Je- 
des provozierende Moment in der Frage 
nach der Revolution entfällt in den späte- 
ren Schriften; die Kritische Theorie hält 
an den Idealen der bürgerlichen Gesell- 
schaft fest, die (und da sie), obgleich von 
ihr desavouiert, (noch) nicht in der mar- 
xistischen Ideologie bzw. einem revolu- 
tionären Ansatz aufhebbar sind." (R. 
Romberg. Abschnitt "//." des Artikels 
"Humanismus, Humanität " in: Joachim 
Ritter (Hg.). Historisches Wörterbuch 
der Philosophie. Band 3. Wissenschaftli- 
che Buchgesellschaft / Schwabe & Co.: 
Darmstodt/Bascl, 1974, Sp. 1219 - 1225 
|S P - 1222 f.]). 


"Me-ti sagte von einem Arbeiter, 
den einige gut nannten: Harmlo- 
sigkeit ist nicht Güte." 

B. Brecht 1934 ff., 478 
(Verurteilung der Ethiken)* 

"Die Klassiker/nnen- stellten 
keine Satzungen auf. welche das 


I M-vvt, fl Vfrf 


Töten verboten. Sie waren die 
mitleidigsten aller Menschen, 

aber sie iahen Feinde der 
Menschheit 3 vor sich, die durch 
Überredung nicht zu besiegen wa- 
ren. Das ganze Sinnen der Klassi- 
ker Innen war darauf gerichtet, 
solche Verhältnisse zu schaffen, 
daß das Töten niemandem//* mehr 
Nutzen bringen konnte. Sie 
kämpften gegen die Gewalt, die 
zuschlägt, und gegen die Gewalt, 
die die Bewegung hindert, sie zö- 
gerten nicht, der Gewalt die Ge- 
walt cntgcgcnzustcllcn.” 

B. Brecht 1934 ff., 553 (Über 
das Töten) 

1. Antiimperialistischer Widerstand mit 
Max Horkheimer 

[...) 

2. Kritik der Kritischen Theorie 

Oinc wichtige Ausgingsthcsc der Frank-, 
furter Schule ist folgende: "Eingespannt 
in die herrschende Produktionsweise löst 
die Aufklärung, die zur Unterminierung 
der repressiv gewordenen Ordnung 
strebt, sich selber auf." Die Aufklärung 
schlägt also - nach Ansicht der Kriti- 
schen Theorie - in ihr Gegenteil um.“* 
Damit können wir schon zwei grundle- 
gende Fehler erkennen: 1. Die 

"herrschende Produktionsweise" ist nicht 
erst im Laufe ihrer Existenz "repressiv 
geworden', sondern war cs von Anfang 
an. 2. Die Aufklärung strebt(e) nicht zur 

"Unterminierung“ der jetzigen, sondern 
der vorhergehenden Produktionsweise. 
Damit erwartet die Kritische Theorie von 
der Aufklärung etwas, was sie weder 
wollte noch kann. Des hat zwei reaktio- 
nären Folgen - eine wissenschaftsthcore- 
tischc und eine politische. 

Zunächst die wksenschaftstheoreti- 
schc: 

renn K/OkM TMcrt. fes nvt*. v*rW« m • trinOI ■ <U 
A-ÄSnng repar« inj rr* h »*h tn 0 Urrt- 

ran (»*<Oot» Sflln 5 Om yezCiKt r»*r' m <fa aaVafa We- 
Hnatu/tttnoit «n Kail Prw* ab ’pxtMdKft’ «nult. Ort 
sOAo» («nt an* rraraBtadu Kt* an Ott ara fyteJm AVuav 
anjtmwo'a (i. «Um Arm 4) au inj tomutart tu Krt* in Oeni 
US Ott $ Ot Ou HtmarmaaP US*» poaultf utoi Bo-Jing kJ 

OH (K »» -WH««« (. <Ü*I V** « <1M 

(« MKiKWWWti« ViWifd) «n Om fciuuMn EiUKtn Ott Nj- 


2 Ol brev gtuttoi wtttc hm form n aO haijrd m M^nOai 

«mY*1 oojtliiji 

3 CbMm B^n Unn • M Ol atbnn ZUli ■ Mi UOi 

r^«KM0iö*Vli^ftWxW«ni*»rein.S/rtn t. 

4 Ui, W)| Mr 1 TMofc» hXm. Oa*K* Ott j. firrUjr 

an Uar.. 1978. *5 a n Sch-i* HM. 18 . Ott 6» ProUm** Stau 
7Mm «zonal (i chm Arm 2 n» HtUCOcoi Oer lirthaat StfiAe) 
SVjlMpw HvwdxW Acteno. htphvi CMMr*. ForAhn im Min. 
1975. 9. 10 a n $<n*M IS« 19. «o Kttvo SOi w«i 0« 
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Und nun die politische Konsequenz 
der Haltung der Frankfurter Schule 
zur Aufklärung: 

Die Kritische Theorie lehnt es zwar ab, 
"umstandslos (...) beim Individuum 
(anzuscUcii)". 1 ' 1 ‘Mil Umstünden’ macht 

sie dies umso mehr: 

Zu diesem Zwecke geht sie von Freuds 
problematischer 15 Schrift über das 
"Unbehagen in der Kultur" aus. Dort 
stellt Freud die These auf, daß Kultur- 
entwicklung und Trisbsublimiemng eins 

seien. Im Rahmen der "kritischen 
Theorie des Subjekts' 17 wird daraus mit 
erschreckender Offenheit die Meinung, 
daß früher alles besser gewesen sei (eine 
in der Tat sehr "kritische" Position, die 
den ideologischen Konsens der BRD-Ge- 
scllschaft massiv erschüttert!). 

In diesem Kontext will die Kritische 
Theorie die frcudschcn Psychoanalyse 
nicht als Naturwissenschaft verstehen - 
was umstritten ist - und macht aus ihr 
stattdessen eine "Idcdogickritik" 18 - was 
falsch ist 19 . (Helmut Dahmer spricht so- 
gar von "Freuds naturwissenschaftlicher 
Verkleidung der psychoanalytischen 


2 BftM 1976. SK 

8 Munrt GoUv Oiwun a n Wirt* IBM. 10 0«ai WMr 1971. 
b« 16l.il. 19. 22 1. 25 I an ntnUinO Kt* am KsKuroimi 
flatidi ömmco. OH) •* »Jv letd afl Sa Kitotfi* IMc« MMM) 

9 SctrM« 1974. 1 22. Zim RMMw Ott UMntpf*l£cM vgl 
8 l Öll«l«e»r»1»4.499 

10 SlM-nv *ntt 1071 . 19 1».. lut KU ». tUl. H. 3i 37. 

11 StoOrai Xoa 1971. 57. 

1?ScN-«J19a.39 

1JUaati»}«ll1845»4«.441l. 

1t TMoW W. tOora. PtyttmnVfit mJSazctop*. n to 

Ko /«ylMimr. Fortdil. 1955. II • 45 (32) a n WaTMr 1974. 22. 
151, FN». 147.FN11. 

15S «AiAJIvu*1«?6. 10D 

16 Mamr« Final 0« mV* n Ott Xi*» (1B30J n 
SM*aiaaciM. Bd 9. 191 • 270 «227) a. n BOila 19n. 390 

17 Sana 1977.433 

18 CBWtvm 190. 8. 12 (m CWirvtu BOu «m « Zuvmrtrt 
BMU 1977.385 

19 Nacti X'Mfl «n U< MM tert « M <M 9*9» 0* 

PiytlvsMSt* *B Ttifaictn fla Hew«Mn Uao-ofaTM m 
taraflav (». auu SOtrmS 19«. *35 - 450 (har 445 Mi FH 2| ml 
MlKWI NldMtiMVt 



165 


Ideologiekritik". 20 ) Unter dem Stichwort 
der "Verdinglichung" 21 Ubt die Frankfur- 
ter Schule - hier v.a. in Person von 
Marcuse, den ja manche als 'linken Flü- 
gel der Kritischen Theorie betrachten, be- 
handelt - dann ihre "Ideologickritik" 22 : 

- Aus der freudschcn Kritik der bürgerli- 

chen Subjekt-Ideologie 23 wird bei der 
Frankfurter Schule das Einklagen von 
Subjektivität: Dabei weilet sic die ch 
schon verfehlte These, daß "die Freud- 
schcn Begriffe (...) eine hinter uns lie- 
gende Vergangenheit ( beschwören 

[sic!))” dahingehend aus, daß dieses Be- 
schwüren auch hinsichtlich "einc(r) neu 
zu gewinnende(n) Zukunft” gelten 
solle. 24 

- Diese ” neu (meint: erneut, d. Vcrf.) zu 
gewinnende", also schon einmal vorhan- 
den gewesene und dann verloren gegan- 
gene, "Zukunft" ist also ein Schritt zu- 
rück in die Vergangenheit. Denn: 
"Fortschritt" ist abiulchncii, du er "in 
Wirklichkeit Repression" bedeute 25 
Worin äußert sich diese “Repression” 
oder - wie es an anderer Stelle 26 auch 
heißt - "Regression" nun? 

- Die gute, "freie Konkurrenz" sei über- 
gegangen 2 ' in eine "Machtkonzentration 
in den Händen einer allgegenwärtigen 
technischen, kulturellen und politischen 
Verwaltung, sich automatisch erwei- 
ternde Massenproduktion und -konsum- 
tion, Unterwerfung ehedem privater, an- 
tisozialer 28 Dimensionen des Daseins 
unter methodische Schule, Manipulation 

und Kontrolle," 29 "totale Bürokratisie- 
rung" 30 (s. dazu auch Anm. 9 und 17). 
Diese äußere sich in so schrecklichen 
Dingen wie der 'Antenne auf jedem 
Dach, d(cm) Transistorgerät an jedem 
Strand. d(er) Musikbox in jeder Bar und 
jedem Restaurant” 31 . Mitfühlend klagen 


» Othnt 19«. 1? - Ho**fv d V*1 

21 CWi-* 1*2. 8. 13: Gftfi 1876. *73. I* «7: Um«« I«. 98 

s» 10 *. 

2lQUiMI9ao.il .CUI.T«, 0172 

23 S 4»ft> M7u»a 1876 91 . 97 • 106 
2* Uvcum lies 10S (Havert. . kn d V*t|. Vs*. «Uli Btatts 
1877. 3«: OH Pi****** »Wo* "»ran Sur>; um Prot*«" da 
GoOfranO«n *n S ****** MMn'. Zun vaprqarois 
wiaiiai bi ktf/dafemn d* fnrtM* ScftU* t fcdiTm# 

25 UaioiM I960. 85. »» 1«. Sou t, MoVie*r*'A3>ro. aaO. |FN 
*|.M3SU n Stfnal 1987. 33 
2SUurut«1965. 10«. I* 82 

27 Won Uriii WÄ». «tMI BUbi i Kro Waxcl 

,'nvtrjlaitn-n*<r* Wut« ttK i0rM * tk* Mtl tt Hut 
Kcnwanren ■tngstra n»(Wi»sifcyi h öen 
ffl lD*Mf Bo/0 tatmd* fw*hrta Sch» ft**. OMMti. So 
Krt*\ Utoa» 1 965. «r t®. 4i ■ßf'ifonj «wn 
CuolKfdMcMn* S a*hu S '55. Avo d Vari) 


nicht nur Frankfurter Schulc-Profcssorcn, 
sondern auch Autonome wie Detlef Hart- 
mann über "einen durchorganisierten 
Freizeitpark oder (...) den Flippcrsa- 
lon". 32 Und auch Kanzler Kohl will be- 
kanntlich nicht, daß die BRD ein 
"kollektiver Frcizcilpark" ist/wird... 

Ja, selbst "Ketten von Verkehrszeichen" 
sind in dem WeltWW von H3rtmann 
"kognitive Verstärker dieser Gewalt" 
(sic!). Wef/welche so von den Verkehrs- 
zeichen drangsaliert wird, dem/der macht 
schon ein so ”banale(s) Ereignis" wie die 
"ersten Tage auf der Wiese in den Alpen" 
Angst 33 

— Vor allem aber zeige sich die Regres- 
sion der modernen Welt darin, daß das 
“Ichidcal” durch das "Gruppenideal” er- 
setzt werde. 34 Zu bedauern ist dabei ins- 
besondere die "schwache (Stellung des) 
Vaters" in der heutigen Familie. Die 
Freiheit von der väterlichen Autorität sei 
■mehr ein Preisgeben als ein Segen: das 
Ich, das sich ohne viel Kampf entwickelt 
hat, erscheint als eine ziemlich schwache 
Wesenheit, wenig geeignet, ein Selbst 
mit den anderen und gegen sie zu wer- 
den. den Mächten (der Moderne, d. 
Vcrf.) wirksamen Widerstand entgegen- 
zustellen". 35 Dem Lob der "patriarchalen 
Großfamilic” kann sich eine Vertreterin 
des Bielefelder Ansatzes wie Veronika 
Benholdl-Thomsen mschlicßcn: Denn in 
der patriarchalen Großfamilie war wenig- 
stens "klar (...) geregelt", wann "Frauen 
(...) geschlagen, vergewaltigt und cinge- 
sperrt (werden)". Schlimm sei erst, daß 
diese Gewalt in der Moderne "regellos" 
werde. Denn erst jetzt würden "Frauen 
ohne sichtbaren und von ihnen nachvoll- 
ziehbaren Anlaß gewalttätig (...) trak- 
tiert)". 36 

~ Da also die "vaterlose Gesellschaft" zu 
Aggressivität führt,-’ 7 ist auch klar, was 
die Ursache für den Faschismus ist: eben 
die "vaterlose Gesellschaft". "Denn Ar- 
beitslosigkeit. Verfall der politischen Au- 
torität und eine um sich greifende Zu- 
kunftsangsi aktualisicitcn das Kindheitst- 
rauma der Weltkriegsgeneration (des er- 
sten Weltkrieges. Anm. d. Vcrf.). Die Er- 
innerung an den Verlust des realen Va- 
ters setzte den Wunsch nach einer star- 
ken Führcrpcrsünlichkcit frei; (...)." 38 

— Optimistisch stimmt Marcuse aber, daß 
"wie man allerdings auch erwarten sollte. 
(...) die Frauen menschlichen Argumen- 
ten im allgemeinen noch zugänglicher 


32 Hamm i»9. 571. 


sind als die Männer, was daran liegt, daß 
die Frauen noch nicht ganz in den repres- 
siven Produktionsprozeß eingespannt 
sind." 39 

— Zu beklagen ist ater nicht nur die ab- 
nehmende Macht des Vaters, sondern 
auch "der Verfall individuellen und fami- 
liären Unternehmertums, traditioneller. 
'ererbter 1 (sic!) Fähigkeiten und Berufe" 
sowie "das Bcdürfrus nach Allgemein- 
bildung" und “die immer lebenswichtiger 
und umfassender werdende Funktion von 
(...) Arbeitnehmerorganisationen" 40 ('die 
immer wichtiger werdende Funktion der 
Gewerkschaften ist zu bedauern'; schreibt 
Marcuse! ls' wirklich nicht von Mülle- 
mann). Adorno assistiert ihm mit dem 
Wunsch, "daß das kical freien und ge- 
rechten Tauschs, bis heute bloß Vor- 
wand. verwirklicht" werde. 41 Demge- 
genüber hat Marx "im 'Kapital' nicht zu- 
letzt den Nachweis erbracht (...). daß die 
gesellschaftliche Handhabung des 
Tauschprinzips", wie sie real erfolgt, 
"notwendig aus jenem 'Ideal freien und 
gerechten Tauschs' hervorgeht und kei- 
neswegs dazu im Gegensatz steht; 

-- Weiter ist die "Entstehung von Mas- 
sen"*-* zu beklagen. Massen werden 
nicht (auch) als u.U. revolutionäre Mas- 
sen betrachtet, sondern ausschließlich 
anhand der Beispiele Kirche und Heer. 
Deshalb bedeuten "Massen“ für die Fr- 
ankfurter Schule immer "Regression zu 
einer primitiven Scclcntätigkcit". 44 Nur 
konsequent ist es daher, die vermeintli- 
che Tatsache zu kritisieren (sic!), daß 
“die Massen unausgesetzt die Politik der 
Führung (bestimmen)" und "die Führung 
(...) den (...) Massen willfahrt. Das Ent- 
stehen und die Mobilisierung von Mas- 
sen erzeugt autoritäre Herrschaft in de- 
mokratischer Form." 46 
Die politische Kons:qucnz dieses Welt- 
bildes, in dem Veronika Marcuse-Hart- 
mann vom "Transistorgcrät” total 
‘verdinglicht’ und manipuliert wird, sowie 
der realen Distanz V* den Massen ist klar 

- da kann man/frau gar nichts machen 46 : 
Denn in Anbetracht der behaupteten 
"totalen, alle Beziehungen und Regun- 
gen erfassenden Gesellschaft " 47 muß - 


39UarciMlW7.131. 

«UacuMlS65.S5 

«1 «4* to. **0 (6H 5). 1*9.1» :l n. SOmd 1*0. 20. 
*2 Sch-i* 18*0.201 
*3 Hau» 1955. M • Hovoti i O 
** Ulraa» 1955. 91 


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» Wunne 1935. 92 • HarKrt». fl V*rt 0 k TfttKarsTW.6»/« «fl 
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Wöhrd* G*»IWotr <U*CV» 1165. S0| 

31 Unruw 1986. 9? 


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35U*cm 1955.93 
36 B*vra« nom*P IW7. 26 
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38 Akxod« vrd MKgmH Uhcholch 04 2» «wm 

Gr-rrtojoi ketewm Votum »VncMn. 1957. 78 1 2* ft BUw.1 
1977. *0 1 . 38* OJ 8 ifnto BUon 1977. 3» 1 wfc« m.wM 


*4 kitO\ au* 4» Kttk von 1«0. 35 (VMgi RMOWcn 
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Ott H>t n cW!f( Icmuknr^ «daun den sjfieMVBlnran 
<jjmg 0t 4* Ktln /tc Ifcaem nach um ojoun nto/tmOtn 
PtaltUxr-j ßtfmtl 1103. 37 i*oi. 3i oUn) fu rartnai vnx I* 
mrtwiaauwgi 

*7 Aa*ToHcrtf«rta. »ao fU *J. u n Scfm4 » Vtf 
KTfciVBtw« 1978. 19* 2031 



166 


immanent gedacht - in der Tat bezweifelt 
werden , daß die "Personen, die nichts 
mehr sind als Bestandsstücke der Ma- 
schinerie, ... überhaupt noch als Sub- 
jekte 48 handeln können ", bzw. daß 
"von ihrem Handeln etwas abhinge ” 49 . 
Von dem, was Adorno und HorkHeimcr 
den "Übergang ... zum menschlicheren 
Zustand" nennen, sagen sie, dis es 
"nicht geschehen (Avwi/»)“! 5 ® 

Allerdings finde: die Kritische Theorie 
dann doch noch einen subjcktivistisch- 
individualistischcn Ausweg, indem sie in 
der "Macht der Negation“ (schöne Grüße 
an Trampel mann und alle anderen Ge- 
nossinnen von der “Radikalen Linken“!) 
die adäquate politische Strategie sieht. Es 
gehe darum, “einen persönlichen, priva- 
ten Bereich mit seinen eigenen individu- 
ellen Bedürfnissen und Anlagen aufzu- 
bauen und abzuschirmen". 

In Anbetracht dieser kruden Strategie 
"entbehrt (es) deshalb nicht einer gewis- 
sen Komik, wenn zur Beruhigung be- 
sorgter Gemüter noch eigens betont wird, 
daß es 'Kritische Theorie“ keineswegs 
um Revolution zu tun sei -52 . Horkhci- 
mer erscheint denn auch “die fragwürdi- 
ge Demokratie bei allen Mängeln immer 
noch besser" als “die Diktatur, die ein 
Umsturz heute bewirken muß“ 52 . Die 
Kritik der Frankfurter Schule “besitzt 
somit allenfalls eine moralische Dimen- 
sion. welche die bestehenden Macht- 
strukturen nicht in Frage zu steiler ver- 
mag - ^. 

Dieser moralische Protest, der bei 
Marcuse durchaus auch illegal sein darf, 
ist natürlich wegen der "Totalität" - im- 
manent hat das alles schon seine Lcgik - 
nur den “von der allgemeinen Praxis 
Eximierten" 55 möglich. Luköcs konnte 
diese “’absolutely’ miserable and exclu- 
ded’’ 56 Stellung mit einer gewissen Plau- 
sibilität noch dem Proletariat zuschrci- 
bcn. 57 Aufgrund der sozialstaatlichcn In- 
tegration konnte die Kritische Theorie 
später die Rolle des “cxtcmal Negation 
Subject" 58 n u r noch folgenden Gruppen 
zu weisen: 


<9 C* r-ÄBTvHi Mi SutWOfl*/*! üu. rfi r SH* 

•ai 

.1 Th»**w Mve.M »naUyiia «m U»r 19A. 7 irv) 

176M. n. SOi-«* 1983. 351 rj faBAtatloat 1978 133. 

50 MjrtftWmr'Aaxn:. i»0. (FN 4). IMS a ft ScftriJ 1B3. 31 ■ 
H 0 V#1 

51 UK« 1965. 9» Zon Ms.jufc-xn 

0* tarMviv StfW« t. *u9i Am 6 

53 Seftrat 1583. S «i Ort aJ ont Äu8*nrg «o 1« f'Wtf»! 
o<K*t 

53 Mu Uftm™. rraitcrtu tsi! vtucr* 7h»cn« <H( UWn 
Fartfu- an Uin. 1977. 9 i« n SOr» 1983. 497 

54 ScftrO 1583.497. 

55HeiU»to«WMW > a«0.(M4. 185 rt ft Stfrr«CM580. 97. 

MTh8tomlW071.115 

57 fWmO 1979. 4S. 59 

M Jhtrtom 197071. 115 >9 NbtC 1979. 59 


- den Kritischen Theoretikern 59 selbst 

- den Privilegierten 6 ® 

- den Randgruppen 61 - 

und fertig ist das autonome, an. Kritische 
Mondgesicht, äh, (’Revolutiom')-Theorie. 
(Dieser äußere Standpunkt der 
"Eximicrten“ ist aber ein rein imaginärer, 
denn es gibt kein Außen 62 (s dazu auch 
Anm. 10 zum subjektiven Bruch]. - Die- 
se These i»t aber gerade nicht - wie hei 
der Frankfurter Schule - im Sinne einer 
totalen Herrschaft zu verstehen. Viel- 
mehr beinhaltet meine These, daß auch 
die Widenprüchc immer schon innen 
sind. 65 Deshalb kann überhaupt nur die 
Revolution als möglich gedacht werden: 
"Da jede gesellschaftliche Entwicklung 
immer schon in Konflikten verläuft, ist 
eine Praxis der Veränderung nicht nur 
ein voluntaristisches Ideal." 6 *) 

Soweit der angcsprochcnc moralische 
Protest "nicht nur als reiner Widerstand 
des Denkens gemeint ist. (...) kann dies“ 

- wie bei Marcuse (und das trachte ihm 
das erwähnte Prädikat "links” ein) - "nur 
eines bedeuten: die Rechtfertigung der 
spontan aufflackemden rebellischen Ak- 
tion," - auf autonom-Sprech: Riot - “die 
freilich auf eine genuin politische Di- 
mension zu verzichten hatte, gleichsam 
die Ehrenrettung des Anarchismus.“ 65 
Somit erweist sich, daß die notwendige 
Folge, davon 

++ Protest moralisch zu formulieren 
und 

++ eine humanistische Kritik an der an- 
geblichen totalen Verdinglichung’ der 
Menschen zu vertreten, 
ist, daß 

++ Widerstand theoretisch unmöglich 

ist 66 , 

und 

- praktisch nur möglich ist, wenn mit den 
eigenen theoretischen Voraussetzungen 
(der These von der angeblichen Totalität 
der Herrschaft) gebrochen wird. 

3. Antiimperialistischer Widerstand mit 
der Althtisser-Schule? 

l-J- 

4. Seit Ostern 1968 nichts Neues? - 
Anmerkungen zur Frankfurter Armee 
Fraktion 

Ulrike Meinhof schrieb 1968 in der 
KONKRET: "Die Grenze zwischen ver- 
balem Protest und physischem Wider- 


5asav*ji583.3:. 

M Wirtin» 1957. US 
61 Uno« 1967. 1» 

63 S. «TU koKMH: ScftWaWejrto 1 991. 571 
631Tuutf1973j.97.FN3. 

64 St«* l»«.«* 

65 ua*td Otfr-u. TS«*# tu p-m’ Kr PNto*#*» uvl 
Sciorj« ThtoScf W. Atom». ft «5t* uxl «WH Itn i» 
XrCdrft*n7>i«crW.Gi*Btft1975itftSdV'«>l983 39. 

Cfi SJitJ 1583. 37 


stand ist bei den Protesten gegen den An- 
schlag auf Rudi Dutschke in den Oster- 
feiertagen erstmalig massenhaft, von vie- 
len, nicht nur einzelnen, Uber Tage hin, 
nicht einmal, sondern vielerorts, nicht 
nur in Berlin, tatsächlich, nicht nur sym- 
bolisch - überschritten worden. Nach 
dem 2. Juni (1967, d. Verf.) wurden 
Springerzeitungen nur verbrannt, jetzt 
wurde die Blockierung der Auslieferung 
versucht. Am 2. Juni flogen nur Tomaten 
und Eier, jetzt flogen Steine. Im Februar 
(1968, d. Verf.) wurde ein mehr amüsan- 
ter und lustiger Film über die Verferti- 
gung von Molotowcocktails gezeigt, jetzt 
hat es tatsächlich gebrannt. Die Grenze 
zwischen Protest und Widerstand wurde 
überschritten, dennoch nicht effektiv, 
dennoch wird sich das. was 
(herrschcndcrscits, Einf. d. Verf.) pas- 
siert ist, wiederholen können; Machtvcr- 
hältnisc sind nicht verändert worden. 
Widerstand wurde geübt. Machtpositio- 
nen wurden nicht besetzt.” 67 Und so ist 
es die letzten 25 Jahre im Prinzip geblie- 
ben - mal mehr, mal weniger, z.Z. eher 
ganz wenig. Ich werde das gleich noch 
genauer ausführen. Aber zunächst noch 
ein weiteres Zitat von Ulrike Mcinhof: 
"Das progressive Moment einer Waren- 
hausbrandstiftung liegt nicht in der Ver- 
nichtung von Waren, es liegt in der Kri- 
minalität der Tat, im Gesetzesbruch. (...). 
Hat also eine Warcnhausbrandstiftung 
dies progressive Moment, (...), so bleibt 
zu fragen, ob cs vermittelt werden kann, 
in Aufklärung umgesetzt werden 
kann. -68 

Und auch diese Fragestellung ist der 
BRD-Linken die letzten 25 Jahre erhalten 
geblieben. Es gab immer wieder den 
“progressive(n) (...) Gesetzesbruch" und 
es gab immer wieder die Frage nach der 
’Vcrmittclbarkcit’ (s. dazu Anm. 1 1): Mal 
ließ sich der Gesetzesbruch besser 
'vermitteln’ - bei Heidelberg (US-Army- 
Computcr), bei Schleyer (auch bei dem 
nächsten, wenn es denn der nächste ge- 
wesen wäre), bei Hemhausen, bei vielen 
Sachanschlägen der RZ -, mal schlechter 

- bei Pimental und BraunmUhl bspw.; 
mal mit Ansätzen von Machtpositionen 
(vielleicht Anfang der 80er in der Haus- 
bcsetzerlnnenbewegung in Westberlin), 
mal weniger (bspw. nach einer staatli- 
chen Doppclstrategie von Räumungen 
und Teillegalisierungen). 

Ich komme jetzt noch einmal auf den 
Abschnitt zur Kritischen Theorie zurück 
und versuche 

++ eine Kontinuität 69 - milde formuliert 

- unzureichender revolutionärer Politik 


6?U|IM 190*1261 
ö UinM 1505. 154. 155 - a Vtrf. 

« C«ua (crmtiähia «8 öl r«J9 h raMoiirtf Natt aiiragn 
an <M KtarTa Th*x» <M RAf WWW ra miOxn |0u 
»i» MHU-flejefeduttO« ITmt). Vatmtr wiio CM Ulf. wm M 



167 


frankfurter Schul: - "antiautoritärcr" 
APO-Flügel (Dutschkc/Krahl) - RAF>. 
die mich in dieser Kapitelüberschrift zu 
der Polemik von der "Frankfurter Armee 

Fraktion" verleitet h»t, 
und 

++ eine Veränderung (Verbesserung) da- 
hin. den Worten zumindest Taten folgen 
zu lassen, 

aufzuzeigen. Bleibt nur die - weiter unten 

wieder aufzugreifende Frage oh es die 
richtigen Worte waren, denen die Taten 
folgten. (Die Frage "Vom Protest zum 
Widerstand - aber wie?" untersuche ich 
deshalb am Beispiel der RAF. weil sic 
den Schritt vom Pretest zum Widerstand 
in der BRD militärisch am weitesten ge- 
gangen ist. Ich will untersuchen, ob die 
RAF auch politisch Uber den Schritt 
"vom - zum" hinausgekommen, ob sie al- 
so beim Widerstand angekommen ist. 
Wir erinnern uns also an Ulrike Mein- 
hofs Definition: "Widerstand ist. wenn 
ich dafür sorge, daß das, was mir nicht 
paßt, nicht länger geschieht." 70 ) 


IUtcum 1M7, 128. ISO. 

Si# haben h* an« Owerifcn. da «1»tai IK«* n) Ui hal ci d» 
VlauiKtten I*0l«niin' «oft Mi • aber an »«-»u». der 

der KtKrtTt kft gatte. aß de« IO gxu mcrtterton 

Kenflateloi 0* Otpuösn Mt Hu» Rate« d» atertir-OarroknO- 
»Ttan Uaanpg ee atetert 1 . 0 » ’MiainrnotiWn GffcOjfr. w 
öl O« m («traben t«iutt hJt*. in) denn H«*OT«kjTa de »v 
tegalcn der beten*Men ttus* nl ena-t aete iMteftelen. täte ras- 
Ion BxMn bl rdtitefi U dam BOJen gaauutrur in) Mtneöger 0» 
rUrttau. da fratett don U*«p>fa*tofana repoddWoi - Mt 
guMuarlu in) nmattH BawOuan Raste» dm» Ko» Ma- 
len « «ora ubrekim KfmS&H rtfM UmadBunj. dom cC- 
iakSw NeteandsM itm» bmv-rd» -*d. UM« dtsan UnstlnMn 
kmonnai «ft d •» COosloi ~tö* W da AUVraai» rnertuti 
dai Boneherrtn. nt r*h mm ■) da Gatte, da 
Ihterpdteganen'. daan rftefr) BaOülnsie tatet dar todtM- 
«rOatt ScdBapUfarrus ntfit ba'dadoat kam in) nfH BamoSgan 
Mt 7-a*am »rraerirWt oft da Ornaten an anajaganoauClm 
Afftet. Oi aatdadnuliuKOAiTiTten. Am» Haivodt d Vo) ) der . 
GaaafeftA. x< da Prvtegafl«. dann Ba-Ata* in) d*r»t h- 
BiKt da gau tetotl c te StBiowj djntfndtan od» «ft hr art- 
ratet kfmen Ich man* aa/vujm Scfadlan Ooi Gasateftifl. dt ad 
Gnn) Nar Pcaten i*d Eitetenj teät Z.garg m don Tusacten (..) 
• Zug»»} nm Gu*T*ft*»Tm«wii>} (taten El sn) SO-ttel da 
tecft tat Yteian tn) B*-j 0 tio*t raten von dan Bin*} «n notMr> 
terWan Wdaapnöt in) von dan Pro«, dan da icganan-tt Gaia» 
»Mi fr* fttem atearfetgi t J 0« Wrttfi da S»Wtg dait 
Qap-Wf>. a Vad.) geed-ehl ao-Wo Ml |eOe< (a»> nfcN nw da> ga- 
wbanen. a Vad.) AMManx» t* CWosten. utd t> Harte« «t 
daun, data Sütrg dat Gag-wi rj tron Oirchg»*}Ht»du'i f» 
rnxt«\ D*n abar tert^ da B«*iOrg dar Saxua» ab vte dant Arv 
ki6 dar Ko/trttoi ird btserdn vw dam EiWQ iWf JyWtÄWi 
dadtgattnat XBAtfmtgarba(in) ven dar Ogvcw-nj dar So» 
daUi* (tgl zu dtean Sdku6 ctet n dasai «teOm S. dunrMa 
ZtevotUlteUarM FU EixfiV« adt) 


1 1917.1 Jfc 

■Oute da gtotoia Erdr-«teoteM*nng Mar {tererteeten uw »• 
Wtan Odarantan bi d» dam« Baratt**» vn) m*ni9»jt ror^a 
^tanf«T«bt» da das toJiWarfaWcten SoOtMaVtimr«. da8 
Bafel* ate fiar xt dan ra^UBtenn V«an a*aM vtteua vnl da 
dtoxmattta Nctear»»>iM «9* KN U«a tmtt fiBartte Warn 
da St-Mii • dai Hagtean Euicite dmft Ma aate ratwtealan 
VamBOj^an hrdute tat gqnactei S»*orTt vtn UanaMaiot dar- 
dal (ja. »am .. ja ««tn du VVteMt ‘•arn" rktt «IT Utdrtew 
itatanK ‘d»Bair in) r*W Mrdan da baten atea 6xti Zai*- 

M.MdaaaaaMxtoCmararfcMqartVm d V>« ) BMfaa rteta 
tite neu* OjakU tot LtUat der Uauan tei. da rieft matr am liti 
lau Ittq iro adt sj arp^gv Oa Stteteganeteot hi irn 
•uan. Badirt-iu* VMidta ot um gjaficfCOi urö^ti gaaor- 
dan (Oata BateMbanrtg da» Atattsna Kr nJ) irtel antrots 


da» Kcrteulililri* gt*. • Bai afcr Sfftdt* dor Wgardat fttk o- dai 
RLF • rtte du Bau*, -wu da Matt» Ttecn* epgaiaganM 
n)M#rtenK«4lM.l*0 


inj data l'aman/tg dar StteOrgauuicn Kr da ILuitn ateirr- 
tati la mE da ftaeratati* Uiudt* U da r«ti ttaifa 6a AUoto 
rrot M^attt-a *n*a.alaa vom Kul da StteKrgaiuton KV d» 
Srattin) VfncftUtg dir AbtraU'. also dar Wcat Arm d VM |. 

( ) O» UttArteaa n ovoUimar. roKMr»«i Fitahnnj M oi an U- 
rwnor radaart «ordan Cva rpolrlatjrni Bcmftiorojapi«'. da 
a» dar Gnntoga frar starfatfat SJMirg m teitAowMrt tra 
EBana «cn aatUvrtea {Haraoft. 1 Vad ) Gagr.tg'aot djnfi irrt 
icft mwaw AtüXte froaitaranwrrt« tanioot aata Matte« JO- 
faeten Kart'»» dt »a ven dat Mdtetelan Fermrt »tetfai 
Aioaatandanaotng (»«Wal traancfaidM 0a Age»n ndartetei 
da Briete ErMrutg dar trganOarlan ItjMr&v d 

Val| n dar AmartatterwOutg rti der teratetet Eia*il~ja*M t* 
dan da itolteararmn FBtean rdar Vartnaten»] dar iBMalm Od- 

l UMuuiUa/<./kI«i»»Oarnrt*»aiD^vnuMw:-raOia»>a- 

rote MrdateAoi rrafnb da (awran vn) Mandat Monn, da- 
ran tfertft «TtgrUr* AKBnan dt «tel-Ml» GaaM dai Sflfami 
ar Bntdcten GamUtert -anjat Int OBtedt d Varl) Ot 
TtcpagrtB dar SOtto»' (Ota) n dar Dl«t WM m« darft da 
Aepagarte dar TM’ n dan Uetrcp»n nrvoUnlgl *»det. -afte 
ana IMtansianng molar (• Undctat. d Var)) Guartfa-'U^a« mSg 
Idt maert (Dar rmoiBte Gatel dtias SaUai t» ste «in » iv 
lanrtrtutm Scfüua ven in) Kr da Kajcr. «Ww da kart* 
Satt«* utd. ven uW Kr da WbOb. 7 ' Arm. d Vad ) Dar *Mocte 
Goarte Ifarvott d Vart ) « dar Ogmi*« afBOOtrr^a- «rag« 
mü alt Oait-AlO' dai Sjva-s iapau~a( teUitenoi* 

BAflBTÄ* (vjLAnn.lt tu dan NdarilUF-Selwntn); 

1U dar EiAfnitg dn 8-Steteaugn te( dar 2*iaxon»i dar 
MarrsMl dai S|tena ifar dan lrtta<ar (tnd «ai «ar icten »trter 
ma dat ArBaCarrtian’ fragt d Vad) a*r«t Srtgnn*] ■ rrü 

der Srtefljvj Kn MjiimteA-i in) 'ErtarmarawUaY Ml du 
Sföaidm S-agauoj (bar da Ptea. BaöMBaa. At«r»ran. FTiorv 

(au. J pB i B—ML tvrr 1 an pamav Ma nart an (taaratv d Vad ) an. 

golraari Ou Syterr ha« ai n dar Uatepam gaBfofl. d« Mauen 
»Bei n taten Ott» «u Baten. Ofl m (BO GaKM Mr In ab 
•-agaOaiwa in) IWuMctti. « COrtM* dai ircarateatten S»- 
terra Migatetd votrvr tu hatte Kteatan. io daß u ltv> Ate. an 
ca» IVrwx te latertrraruteftq n) teo Boapai.aiJS »dat 
VtrOroten Am d Vad ) dai SyBanta Bdgand It KU tefmtA 
ne lüt aos otdraa ato an A*te. tre FariarrM*. aät ga**f*iu BoJ 
tert nxfi vom ahn ml .traten ttitan Daraia ater. deS 
du iwohrkmin Sot^UjateR» (Harvph. d Vad). dar«* U* 
■a oasan Zterqan Mrna in) ana leaano st dot vae>ao«> 
du SyBami vmjol Co6 jarW». der.«* bi BditnngBa-pi dar 
VC*» der Ottan Wal una coteda terilir In» pje P. dartt* 
liSi teteMjetl üd». daclt* rrrwnafr nur«« ravotienlru Sit»- 
jaUU-Gartstaati' 

•tar ab AterOiarrui-Vcrart st ictemtte tu gatrmten • «te n 
d» Fotk «na fit Uni. Erge«. LaO\ Rom LraerrCug m d» Si.-uf 
äenobate rangSViiM haten - n racN Mete rt d» Font. Mt 8*an- 
J» üte»n k*a. KrcpOn fn otraM in) ymlate' halte - in 
rWe teat r erar utelte SteaBn U 06 dar Me-KMateg-fl Mr 
Man Ananteatran ott Vorgfl ra ail da am dreh dt Erdatutg 
du Irta-nbmj arnatelt Ho-s-raf dB KactUnaa« dan Man- 
acten(iW«rm.Harvwh d VU)-(..)-(raififcr»Oadui»l«r- 
wcten-utevtian.* 

RAF 1M2. 117. 121: 

T* Spins a du Mvara. latente, n >cn«.*.t Patenan «Kte ar- 
•a Mauen. Arm d Varf.) xrlCoarla ktorai dar Varlrten r»j dar 
Bad^ngan Ur den Kar» hier (_). E» gTg Man Jifrt br»j dum 

» d«« !<mi« ViVJm. nMta« td-, W«. Va-|«Mvg 

Ugt irr) BtBiq sL OCH GEIST INO OE UORAL. da Ptdb in) da 
pdtttte Otarterutg du uraterubten Bmte n dar ZmVrnj 
du Sy«aite teredrUrtvgen. (.) ABo da Stetpa. da fr* VAnal 
htetel «ttaiaianuianlixgarmdt atem artetet La6an.it d» Er- 
Wrutg d» TMHf du tiyiartelrMcten Zat6TBU.(.) 0«a Pc* 
»Idar IWF. d Varl) (..)«■ nöt ne«i M« daiu Bdt ittemd»! 
teoKgbeten Ute** («0 W I I * S* « «Mn ate an - S9«l dar 
Ul cp« (..). da m*d*rterteibng(7I) dar nten Oitetebn (71) du 
(Ti) Variaeten (4‘ (Hanert. Av-md Varl) 

Eta Harte IMto: 

IM Mt ad Ot dat* goSa pteute Amartrtenalnrpl • (. )ntl 
•«an. da du an tu au9ar*atet Eteteutg (sutyMPt, mcraibcK 
iteMal. Ma loöt tmtar) tfinn in) BapaTai daß nVtot (71) 
SOiiß un mß ite dar ZarB^tag M Syten irddunt dajagan 
d»tm gate ate gtxteicicfi artetest), bi dm »arteten orman 


71 Oaß dai» amreri/ttsf« HuWna «te Ziten* xa^ dt 
Poalen ven DiBete* tun SabBrtw 0» Kl rd-fcfi tOpa-da 
Ur»te grtete teten: Tte Pcnoiunc* m) dar Hnramru fotoi 
W Mt na n diefsatren kJrnav Kana Sue)c»t»ia5 tan» 
nyvdiimi in) kana Prpf«| alert Reigen, aber karte PMeaocita. 
im ml Hagel iu «ruten kcmia uh itei.couMiov' (Rud 
iVieteo. IxfinfS gaten tf n Sart; l»3. 62 • Arm d Vad.) wyt 
l«3 62 hat dKU arvjamarU. dß dt AUVUru-g nart T.tantufg 
ater in: .-«rhal.^r l»na3 nar) PodHrt cd<i GarwOi’ 


gucttchaRO« RwKll d.rOirioeren | (Hanert . Arm 3 
Verll 

Eva Ha.« UNO 

TW Kjatgi im HwBmü« fc ro»>vH da m>-«h»ten 7*a 
wd 0« iMLIodi" in) m »Ortet rttenaii Gagarotar) amt 
DaaB. eitei KtffurteSiTB dar Marion Sn irßuan otirrpl ■«< 
dan - u et nter in) so a u Cteal eil dar Wal. wo Mamd-ot lua 
SetnButrmLrg in) Hute iurücuraOam' (Haoat Q Vtr1| 

Eta Hate IMJc: 

"Om |d* HatWdngivgert. d Vrd ) « tu ar Euorßari trg*«* 
B«(hA w Mteietenroemian kor» rmarmotat^ot rrl danan 
«n Sta» in) Kapul Sa ateßt m (?l| alt gwabetetleten Btet» 
die. )er»n. OarAte IC« marviCte— ^»ga laBaoMadn^nyan • Ir, im- 
tuiarten Sm. at* (nett kertea m Wtemar» «l oi dar« ken- 
traten ( )-l*d*Ert*e*Ar>j»ra»*MehMKr«d«riOeil*ga 
bl uf>. #• (7t) manieteieten öe* gtgar dot lactetenueh tuef. 
swefte Agpam onimiaiMn. du d« kapatetsji* uacftt nar mj 
nWateircpaWreftetrf ( ) W« kdman de hMouan de U*n- 
«ftet gegen daie UacM Onhgeie« -arten’ (. ) McM Aigian.ing 
Kette Patten teobgtrte Mo)* («n . sehen m Zarinm. vn 
dart dt Mannten- (Hamrt . Am . fmge d Vad) (kkn Bit tfi » 
kan "»TO in) uiw dam r u nat na i cK at Guotacmli 72 haßt 
rP datfab aiOt Wu dagagoi Kar dot Zua-nteftanj rrtoia eh 
leten vernähen ‘da MoraCTan* »«an *m ZarOtn* Daten bmov 
C an gl a0a> -Märtet ‘arr-edtr nrrah edar ieft-an JJ • u») da 
Seiraena Moneten Daiot dam gut mdtn "nt Zomutt* dar PeM* 
Bia dar ZaecteDt?) Wtt -» du nxh ml den Ttf lt(n| Parten''!) 

"Me-ti empfati! äußerste Vorsicht 
bei der Anwendung des Begriffs 
Volk. (...). Für gewöhnlich schlug 
er die Bezeichnung Bevölkerung 
vor. da sic nicht das künstlich 
Einheitliche hat, das das Wort 
Volk vortäuscht." 

B. Brecht 1934 ff.. 534 (Volk) 74 

UUTMNrini.32: 

*Staitga dar luramot *» #t. rrtarrran rr* dam Vo* (täc* Amt d 
Val) dm Pmrafl dar Mae« vor inert xu *rMm«r) (Harvte"t d Varl). 
2u attnulaiin Oos fettga zu Mt Utd m in) aui dm Aü^eten 
dar MartKten (Hanert d Vad) du Ba.ifltiMi Mar GaidicHp 
micnt*Mi c*<tn w M»an (..) Gurte. te*«»i*ur Karpt. du «» 
Ur Bi Irmar aita laMfc *n K»r*A üi da tote» Ravokrsot g»—ioi 
Wrin)oamr gueteun der Kamel gen «tre«. » Roter Kd Hvga- 
riß fn WKvvex (eixtook JS. 57»i) (..] h dar BnOurapA«* ga- 

hot <4. iMirmMt Utean »Wi Un Irf-^hia van ianuv Sätet- 

tVAldiS dV TOff »tffd, WVÖjl Ötf SlfSlQi 5Ct>f PtCitö W 
«haKWtar in) da Ba-rt-ara Attot du« an UMtrtei WB - j ter« 
BL an KalalyiaKr. an Eianpat, ■*) da btoantcu AMm not -ahr 
Btt 'EiaTpaf gaduKl. aH Boapal. 3u aJ toitala Vara^amtnarjvj 
hn korveun « icnJtm Mi da «raiagute Varaiguttnanrg «t 
atdUrKh (.) Dar StD’-Ktear d« Aidun^loi) m» r«ji an 
raacten d» cMWctert Malve m) laten d» GatateeteK » vat- 
khfl it enem paractMiKten Raun tetet dar Guabete*. f-aeteh 
SluBietrrt m) Re«)»iWilrtv»r. So voJoio* «ft dam da vom 
Kocaa grctejM uonuai tro timuitg tnsorrr M dt vamap- 
(xnjdu&nMan*. 

autromaa ntanlafu 1990a a 1MB. 2S: 

TM Varavdnj du ßagfh f FrxT. d Varl ) artig ate. io tO- 
«tau. ruß u rtöi vermnteL aß n Andau Tan Igamant M da 
Ajuaga von Ar»« Smarrg n aarrrrtem Arm d Var) ) ma U» 
-it). vwAuCte «ft jartaate dar Frwan ytyrittrui gtiateeteK- 
fcte lag» cd» Ktaun. «an u* toi MJmar in) frauu? WM 
«ft dtefi da Otiarta Ajtaot r*M. Bt da KorfirrlMV, rräten 
(Tor nonJrrO «uasfryt-oefi OTetenandan UrcW «lanjrrol Mi 
rrpoiatOnOi tcrMTnar) in) rrtrootu dan Wometen' (nurövral 
oxP Ms garte* Bara<fn«| odar »xh dar levtelordian PO Doie 
Bogfa in) ßadar m) B«a«fra* für da UIVtgiM cd» dan Ur.» 
tan --J AnaVM gaiatsefiaR'ifar Zuflteda (Irparotafleto) Marti 
in) (gavol Uanieh m) du Gagniaupaar »Jt RaiWar» in) Mn* 
cten TrM*at?|it*n: #at Y«BM«t»»r Pez ist 7-ar an* enjnate Hau- 
tdrrtng (n Uten g*> icten da'tevo «entean «Wrv». auft b 0» 
•urdaiisten Ir*»' •» ermM M FoonTtoini’ 6 vf.i s-gtisg. 


72 S. bl COrijan da Mi v du« Bag-'AtetyM du rncAAbnirio 
Kirrpaud«w SctelrarVtegete t»i. S«. 57 1 

73 kteni 197«. 15« 

74Hovorti tO 

75 roai iwiBmo - teagt daß dar En«: anu Kon» Kama (leco) 
iB.clr.o-ia/ KAr<i«twe/i a.« dm Urda ah Ft«** lir an* 
Mman/rteten dar B4w man «nm-D O* Ertfnrg du Karrph 



168 


fi» <X\ 'COrt g« tonjm mxr*l X* tj MW> PoQ £•' 

PW ff KNtfl ••> (pOxttt») PirM E» 0 «W*P iu topr. -«M 
fcj« Mi PW r» («in 0tl»ra«>)KJire1*i d* in) -<*">* W-0*i 
sol W m H» r+j» A.*tjaG»r Mir«« 0 Virt 1 
Die dumme und falsche Polemik der letz- 
ten Frage weist uns den Weg, auf dem 
wir finden können, wie cs sich 
(vielleicht) tatsächlich mit der RAF ver- 
halt. Die RAF ist nicht zu kritisieren, 
weil sic Avantgarde sein will (wollte?), 
schon gar nicht, weil sic Avantgarde ist 
(diese Kritik ginge schon von einer wirk- 
lichkeitswidrigen Voraussetzung aus), 
sondern weil sie ihren richtigen 
"Anspruch" 76 nicht hat realisieren kön- 
nen - weil sie nicht Avantgarde ist. 

Die RAF ist also nicht zu kritisieren, weil 
ihr "Leninist/nnen mit Knarre” (was so- 
wieso ein weißer Schimmel ist, denn Lc- 
ninistlnnen sollten immer die Möglich- 
keit haben, sich eine zu verschaffen, auch 
wenn sie sic nicht immer einsetzen 77 ) 
angchörcn. so eine Kritik von der 
"883” 78 . sondern weil sie Lenin durch 
die Brille der Frankfurter Schule gelesen 
hat. Lenin durch die Brille der Frankfur- 
ter Schule lesen bedeutet: 

- Die Verfalls- und verschwörungslheo- 
rctischen Fehler (bspw. 'Fäulnis'-These) 
von Lenins Imperialismus-Theorie durch 
den heimlichen Leninismus, den Kultur- 
pessimismus. der Kritischen Theorie 
noch zu verstärken. 

- Die leninistische Realpolitik aufgrund 
des offenen Artft'-Leninismus der Kriti- 
schen Theorie zu liquidieren und durch 
Dutschke/Krahls "voluntaristischen Sub- 
jektivismus (... des) organisierten Einzel- 
kämpfer(s)" zu ersetzen. 

Die Konsequenz: Die Herrschaft ist im 
Prinzip total ("der 24-Stundcmag der 
Herrschaft des Systems über den Arbei- 
ter". "das Gefühl für ihre Lage als Aus- 
gebeutete (...) verloren (...) haben" 
(RAF)). Sie kann aber von einzelnen 
bzw. von jedem/r - das läuft auf das 
Gleiche hinaus -. der/die "auf der Grund- 
lage ihrer spezifischen Stellung im Insti- 
tutionswesen" (Dutschke/Krahl) "noch 
Zugang zu den Tatsachen" (Marcuse) 
hat, durchbrochen werden. Dies sind die 
"revolutionäre(n) Pol(e)" (Sievering), die 
durch die "irreguläre Tat" 
(Dutschke/Krahl) eia "Exempel" (Täufer) 
statuieren, das "Aufklärung" bewirkt 
(Meinhof. Marcusc ...). Diese 
"Aufklärung" bewirkt 

"Bewußtseinsproze(sse)" 


•w* 0- Vo-u ird M B äMlrarraJat fKkUnm*. 

»et® de Guarta iB dua tür 0* «rrtRsO)» Pari« hjrxJWi mtOt ' 
1988. 13. FN 10.) Avr. 0 V*1 ] 

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PnMU>0 Otan katrj * i • Mtfvlt) i w» vum 

tvXIWOiZ-WV* O«T0W»P» Pro «. Nu- -im 0» 
Pan* da R*«WW«i «Vfcli «W 0* WiAcM?. 

» Vtrf 19cÄc. l$ I 

77 Zu Otn BMrquigvi irtei (W lnr> i*fcB «n £nau im 
Kn*rm Mp*. {«urxort« Br- tfflftsMI Ml S 1*«1 IS05a. 1»; 
l*witSC66.»4l.706! 

78 0 Val 197IB. 


(Dutschke/Krahl), wirkt "mobilisierend" 
(Dutschkc/Krahl), bewirkt "soziale Ver- 
allgemeinerung" (Täufer). "Daraus folgt 
aber, daß das revolutionäre Subjekt jede# 
ist, der /die sich aus diesen Zwängen be- 
freit (...)." (RAF). “Jeder kann anfangen. 
Er braucht auf niemanden zu warten."' 7 
- beginnend zunächst mit einem reinen 
Erkenntnis- bzw. Willensakt - (s. dazu 
unten Anm. 13 sowie Abschnitt 7. 
e)l.und alle bzw. kcineR 86 können/kann 
mitmachen. Auch hier zeigt sich wieder, 
daß die Rede von “jedefl". "alle" und 
"dem Menschen” politisch handlungsun- 
fähig macht. Denn die These, daß eh alle 
anfangen können, verhindert schon die 
banale Überlegung, wie Widerstand or- 
ganisiert werden muß, damit zumindest 
einige tatsächlich anfangen können (s. 
dazu Anm. 14 zum Verhältnis von 
"klammheimlicher Freude" und realem 
Widerstand). 

Der Grundfehler descs Ansatzes läßt 
sich vielleicht so charakterisieren: Die 
Avantgarde wird nicht wie bei Lenin da- 
hingehend bestimmt, daß sic den Massen 
einen “ Schritt " voraus ist, sondern da- 
hingehend. daß sie den Massen eine 
" Erkenntnis " bzw. eine "Idee" voraus ist. 
Die Konsequenz: Die Massen müssen 
über diese Erkenntnis - durch spektakulä- 
re Aktionen (bei Dutschke/Krahl eher 
pcaccnik-mäßlg, bei der RAF militant) 
aufgeklärt werden (RAF: "Die Bomben 
gegen den Unterdrückungsapparat 
schmeißen Bomben auch in das Bewußt- 
sein der Massen.'** ’). Revolutionärer 
Kampf wird als Lernprozeß konzipiert, 
indem Moral verbreitet und über die 
"Verbrechen des Systems" (RAF) aufge- 
klärt wird. Und innerhalb dieses Ansat- 
zes reduziert sich die Debatte auf die 
kreisförmige Diskussion, ob denn eine 
Aktion nun 'aufklärerisch' bzw. 
'vermittelbar 1 war oder nicht - von Mein- 
hof/Marcuse bis Lutz Täufer, der die 
heute draußen bewaffnet Kämpfenden 

kritisiert, weil sic ihre "Aktionen nicht 
mehr" - wie in Uruguay und in den 70er 
Jahren auch hier - als “Excmpcl', (...) auf 
soziale Verallgemeinerung hin konzi- 
pieren ...), sondern als strategische Ver- 
allgemeinerung an und für sich". Mir ist 
dabei allerdings nicht klar, ob von dieser 
’Exempcr-Stratcgic tatsächlich abgewi- 
chcn wurde. Und - und das ist das wichti- 
gere - von der er selbst sagt, daß sie zu- 
mindest in Uruguay "gescheitert" sei. - 


79 RAF 1971.94. 

90 n Onm* ou *» nrm na- 04 Heran* M Mm 
Ural 1 1 iln Mm rttu D«m M *rt ji rKM «mul 'Om 
UamOKn' (Pbnl). w3nn mr 0* K*r»tfi*h 0t KjptoB (<fa 
VKtcOri Oam »a0 down SjU ab 64 »Hw** Viriart« 

Ö»| (Mithin AnuCM utaä VW) ibm 0m> Utm ctan' 
ti g» r «wi difr-oi »so 
\ntntr#Sd*f\ Urnrnfan. 4» uU. a-di \jttmvt*<fd\ MMMi. 
ioM»m na W - »rfcMfcfwi . tlaracMn*. 

Bl RAP 1971. 112 


Meine Zweifel, ob von der ursprüngli- 
chen Strategie tatsächlich abgewichen 
wurde, resultieren ius folgendem: Ich 
habe den Eindruck, daß auch heute die 
RAF ihre Aktionen, mehr darauf hin 
konzipiert, die berühmte 

"klammheimliche Freude" 82 zu ernten 
(und nach Herrhausen hat die RAF diese 
Freude zumindest bei einigen Studentin- 
nen des Fachbereiches Politische Wis- 
senschaft der FU Westberlin, die die völ- 
lig unselbständige, untertänige Parole 
"RAF. wir danken Dir" sprühten, geern- 
tet) als effektiven Widerstand zu leisten 
(s. dazu Anm. 14) (bei Hcrrhauscn aller- 
dings fiel wohl beides zusammen 83 ). 
Nun war ja aber - und das sollte viel- 
leicht zu denken geben - des Göttinger 
Mescalero' Buback-Nachruf entgegen al- 
ler seinerzeitigen Staatsschutzpropagan- 
da gar keine 'Werbung für eine terroristi- 
sche Vereinigung', sondern eine Kritik an 
der RAF von einem anarcho-pazifisti- 
schcn Standpunkt aus. Dieser Göttinger 
Mescalero trug sich bekanntlich mit dem 
Problem, daß er sich über Bubacks Tod 
freute, obwohl ihm sein gutes, revolutio- 
näres (ha, ha: "um der Machtfrage wil- 
len" schreibt er und dann setzt er hinzu: 
“o Gott!” 84 ) Gewissen sagte, daß er sich 
nicht freuen dürfe ('Diese Überlegungen 
allein haben ausgereicht, ein inneres 
HUndcrcibcn zu stoppen." 85 , denn: 
"Unser Weg zum Sozialismus (wegen 
min Anarchie) kann nicht mit Leichen 
gepflastert sein. (...). Damit die Linken, 
die so handeln, nicht die gleichen Killer- 
visagen wie die Bubacks kriegen. Ein 
bißchen klobig, wie? Aber ehrlich (sic!) 
gemeint...” 86 - Na dann ... - wenn es ehr- 
lich gemeint ist, dann ist ja gut. Dann 
kann man/frau auch gar nichts gegen den 
Ausgangspunkt des Textes des Mescalero 
sagen: ”(...). stringente Argumentation, 
Dialektik und Widerspruch - das ist mir 
alles piep-egal.” Is' halt "ehrlich ge- 
meint". 

Nun haben wir es allerdings mit dem 
Phänomen zu tun. daß trotz 
"klammhcimlichc(r) Freude" die Aktio- 
nen der RAF keine "Exempcl", keine 
Beispiele für andere sind, sondern ver- 
einzelt bleiben. Denn der moralische Re- 
volutionspädagogismus kann nicht funk- 
tionieren. wie ich gleich zeigen werde. 


8JMmcai*o1877. 198 

83 Cm Ot* («Wjrad» SartaicfcMgjnpn. U V*!) tM 1* 

<*n St»d oxl « >**■ ( ) ö« 

-per*««’ |PrMi*Än«W**fc. Var***-* fo- 

« ) oh pilUM i<lrx>}OTVt. R»p< 
efro V*1«U »rtp-Kdua Knr*\ Auerfvrnn bttn zB 
(Vicn»n «• f**0 *1. MW Om trttanoScn SB«**m»n 

Ot K 1 (Bofrw GenMtkvan 1991. 28) 

84 UucMiD 1977. 171. 

65U4K0MO1977.169 
86U»K0*O 1977. 1701 Ami 



169 


5. Die RAF - eine bürgerlich-patriar- 
chale Künstlerinnenvereinigung 
Zunächst aber noch eine Zwischenbe- 
merkung dazu, wie die RAF sich das 
Massenbewußtsein in den Metropolen 
vorstellig): 

Auf das ihr entgegengchaltcne Mao-Zi- 
tat. "Wenn das Bewußtsein der Massen 
noch nicht geweckt ist. und wir dennoch 
einen Angriff unternehmen. SO ist das 
Abcntcurer/nncn/um,” 82 antwortete die 
RAF: Maos Position habe die chinesi- 
sche Situation zur Voraussetzung gehabt, 
in der - nach Maos eigenen Worten - das 
Bewußtsein der Massen ein "weißes 
Blatt Papier" gewesen sei 88 (eine Posi- 
tion. die außer acht läßt, daß die chinesi- 
schen Kommunistinnen vermutlich auch 
erst einen hartnäckigen ideologischen 
Klassenkampf zur Veränderung des mut- 
maßlich zuvor pro-feudalistischen Be- 
wußtseins der Massen führen mußten). In 
den imperialistischen Metropolen sei das 
Bewußtsein der Massen dagegen kein 
"weißes Blatt Papier". sondern 
"immunisiertes Bewußtsein": "In den 
Metropolen (...) haben die jahrzehntelan- 
ge konterrevolutionäre Propaganda. Er- 
ziehung, Wissenschaft (sic, Anm. d. 
Verf.) und Kunst jeden einzelnen Satz 
der marxistischen Lehre vorgenommen, 
haben ihn vulgarisiert, verballhornt, ver- 
logen, verzerrt und oft in sein Gegenteil 
verkehrt, haben sic jeden zentralen Begr- 
iff der revolutionären Theorie mit negati- 
ven Affekten besetzt (Wie ist 'ihnen' das 
bloß gelungen?!. Frage d. Verf.) und da- 
mit für die revolutionäre Propaganda und 
Agitation in den Massen unbrauchbar 
gemacht, (... ctc.)." 89 Dieses 

"immunisierte Bewußtsein" der Massen 
in den Metropolen soll nun dadurch 
"aufgebrochen werden", daß die RAF ih- 
re "Bomben gegen den Unterdrückungs- 
apparat" - wie schon erwähnt - auch "in 
das Bewußtsein der Massen" schmeißen 
will. 

Dieser militärisch-ajfklärcrische Subjek- 
tivismus (alle haben ein "immunisiertes 
Bewußtsein", nur wir selbst nicht, und 
deshalb können wir "das falsche Bewußt- 
sein zur Aufrechtcrhaltung der Anpas- 
sung zur Einhaltung des mühsam erwor- 
benen seelischen Gleichgewichts in der 
Unterdrückungssituation" 90 durch 
'richtiges' Bewußtrein ersetzen) ent- 
spricht fast wörtlich der u.a. von Brecht 
kritisierten - subjektivistischen, bürger- 
lich-patriarchalen Kunstideologic: "Das 
KünstlERindividuum ist dort 'frei' und 
'allmächtig': das weiße Blatt, die Lein- 
wand fürs Malen, der Rim, all das wird 


8» SKcWlf.HAF1971.J7. 

SS Kstaw RAF 1971. 98 • fl VW 

89 Ko*«öv RAF 1971. 99 

90 KoHtlV RAF 1971. 11t 


zur Projektionsflächi für Visionen, Bild- 
findungen, die unabhängig von allen vor- 
handenen Bildem-Bilddramaturgien-Lc- 
bensentwürfen quasi aus der Tiefe', der 
'Substanz' des 'Küistl£Rs' emporsteigt. 
VorgegebenesA'orhandencs wird - wenn 
überhaupt - nur als Äußerliches begrif- 
fen, dem alle unterworfen sind, nur 
nicht 'DER KünstlE/?' im Prozeß des 
’Schüpfungsaktes'. Das KUnstlEÄindivi- 
duum nimmt sozusagen eine Position au- 
ßerhalb der Ideologien ein - und nur 
diese." 91 

Revolutionäres (Kunst)vcrständnis geht 
dagegen von der "Determiniertheit der 
Kunst einerseits” und andererseits von 
den "Einsatzstcllcn für Subversion. Wi- 
derstand und Revolte andererseits (aus. 
d. Verf.), die aufgespürt werden müssen, 
um so die Steine des ideologischen Ge- 
bäudes gegen dieses Gebäudes selbst 
richten zu können. Also: die wider- 
sprüchliche Position des Innen und ten- 
denziell Außen muß als Faktizität begrif- 
fen werden. (...). Die Wahl zwischen 
'Innen' + 'Außen' muß immer wieder neu 
gewählt werden, und nur durch ein Ver- 
weben dieser beiden Positionen kann ei- 
ne neue 'Schrift' erustehen (...).” 92 (vgl. 
dazu unten hinsichtlich revolutionärer 
Politik unter 7.d) und g)J. 

6. Der KJassenkampf - ein Lernpro- 
zeß? 

a) ( überraschende ?) Parallelen 
Die in Abschnitt 4. und 5. behandelte 
aufklärerische Konzeption des revolu- 
tionären Kampfes (s. bes. S. 168) teilt 
die RAF nicht nur mit dem 
"antiautoritären'' Hügel der APO und 
dieser mit der Georg Lukdcs 93 und der 
Frankfurter Schule. Vielmehr wurde 
diese Konzeption - mit einer unwesentli- 
chen Nuance - auch vom 'autoritären' 
Flügel der APO und daher der DKP/SED 
geteilt. 

Alldiesen Ansätzen liegt ein teleologi- 
sches (von telos (gr.) = Ziel), ge- 
schichtsdeterministisches Verständnis 
der Entstehung von 

"Klassenbewußtscin" zugrunde. Dies 
soll im Folgenden vor allem anhand der 
Frankfurter Schulc-Anhängcr Michael 
Vcstcr 94 , Dieter Grob 95 und Dirk Bla- 


91 Stfwa-Bol 1983. 37 • M«rwA fl Vof. 

9?StfKW-BöH983.» 

93 9* <-***»• «I b* N«ff*7 1979. »X 

•mrpiutß On frAUrtstf*" KiSttRt-wKU»™ - 
irorMmmVrrtH-^o« 197g. 1«h Bwaj ai GutfoM* ind 

9* Zv ftnü&W Schul« VW» 1970. »38. *41. 443. 444 H nmin 
v«s* i»3. IS (8 m«9 Hß mgy&jjt) v« uxme*?* isw. ist. 
FN 2S (zu NtjOQiqt): Sette« :«84. 178. FN 71. Zim l*frtsroz«fl 
VmMc 1970 (TW R mm] 

9$ Zj FrarMufW ScfuM: Grh 1978. 419. FN 3 (BtPJJ aJ 
N4-J4KX9«. 4». 427 (MM* Ihecno). frtfi I960 . 78 
f&UiWiWttf«**! V$ UDrMj» 1963. 187. FN TS (zu 
NqM«* ScMO* 1988«. I’6. 197. FN 101 (Grtfä •KitücW 


sius 9 ^ (zu den Unterschieden zwischen 
den dreien s. Anm. 15) gezeigt und kriti- 
siert werden. Dabei wird allerdings auch 
der Nachweis der genannten Überein- 
stimmung mit dem traditionalistischcn 
Ansatz nicht zu kurz kommen. 

b) Die 'Analyse' der Lernprozeßtheo- 
retiker 

Vestcr. Groh und-Blasius betrachten - im 
Anschluß an den schon in Anm. 2 er- 
wähnten britischen, sozialistisch-huma- 
nistischen Historiker E.P. Thompson - 
(revolutionäres) Klissenbewußtsein als 
Ergebnis eines Lernprozesses. 

Zwar versuchen sich die Lernprozeßtheo- 
retiker von der traditionalistischen, ge- 
schichtsdctcrministi'chcn Auffassung, 
die von einem "gesetzmäßigen Aufstieg 
von der Klasse an sich zur Klasse für 
sich" (bspw. der DDR- Wissenschaftler 
Hartmut Zwahr) spricht. 92 abzugren- 
zen. 98 

Der Erklärung der genannten Frankfurter 
Schule-Anhänger fUr die- Entstehung 
(revolutionären) KlasscnbcwuUtseins 
liegt aber ein nicht weniger deterministi- 
sches Geschichtsbild zugrunde: 

So faßt Michael Vester "die Geschichte" 
als "langen, kollektiven Lernprozeß” 
auf. 99 

Das Resultat dieses Lernprozesses seien 
Klagen und KlosTcnbcwußtsciii ("Die 
Entstehung des Proletariats als Lernpro- 
zeß" 1 ^,. 

Die Auffassung, daß pauschal "die Ge- 
schichte" zu Klasscnbewußtsein führt, ist 
nur auf der Grundlage der Annahme 
möglich, daß aus Erfahrung generell ge- 
lernt wird: Geschichte - Lernprozeß - 

"kumulative Erfahrung" 101 . 

Das weist daraufhin, daß Vcstcr seinem 
Lcmbcgriff den empiristischen Erfah- 
rungs-Begriff von E.P. Thompson u.a. 
zugrundelegt: 102 

Diese - sozialistireh-humanistische - 
Richtung schätzt theoretische Fortschritte 
(bspw. in der Geschichtswissenschaft) 
gering. 

Dies geht so weit, daß ein BRD-Hcraus- 
geber eines Werkes von E.P. Thompson 


GtWfiKMjwäKnKtuft* BR* •imtf Oun gntKriW-aoxbar*' 
ErAß Ott FWttat* SttW); 196». 34. FN 79 (zu &». 
iTarpioa rwwui« 5diM| wnuinp>w»e oka 11 ». 4ib. «« 
422.474. 

K 2u FrarMurtar Schul» Bau 1977. 389 1 . 391 • 39J. *31 • 433. 
BUus 1963. 11 (>3K«9(KlBr* Persc*tlv»> Zun Urrpronfl: 
B **UA 1977. 396. FN 71 In* Bang *1 Gitfutd l>OTp*<i). 

97 Zaafi 1978.318. 

93 Yeslir 1983. I4 ;GkA 19». 16 »» 15ix»)17 

99 Vw* 1970. IS ‘C»K«i Bj3 O en V«<iucP. 0« GwOicNf |..) 

i» «Mn tangon UAM 1 v«n l«<re*i?cß zu * 

103 V«sr 1 970. TW V«wt> 170 22 1 tcWrt - m AmcfAfl «i 0» «i 
Anrv 18 U*1« mtj«*lw«tB<t>* Wsn«<vD«lnWi von Tharptcn • <M 
•KUmri* uö •KUaorfw^ßU»»* »orm zu v»r-K>Soi 
101 ViilU 1930. 10 fVowl zu «rum von V*B« ttfmogcgeMnoi 

T>O-pv0VW|rt) 

107 V# VW« 1970. 2? f-sn Swr vyjtgR»v«i| GWM- 
nnjsmrp'l. 33 «n Th«h«n V\ ttK 

9«f»Wkh«n Spot in > 



170 


gleich gegen den "kalten, abstrahierenden 
Blick" der Wissenschaft wettert. 103 
Stattdessen sei cs notwendig von den 
"Erfahrungen" aus7ugehen. die • so E.P. 
Thompson - in ihren eigenen Begriffen 
"gültig" seien: 

"Das Material muß durch ihn/s/e (den/die 
Historikerin, d. Vcrf.) sprechen." 

Die sich daraus ergebende 
‘wissenschaftliche' Methode sei das 
"listening". die "emphatische Fähigkeit 
(...) zuzuhören". 104 

(Nebenbei bemerkt: Die thompson'schc 
Methode des "listening" verweist einmal 
mehr auf die Nähe des 'linken' ’Anli-Posi- 
tivismus' zur Hermeneutik und zum Hi- 
storizismus, 103 s. dazu Anm. 2 und 3. 
Mit dem Bezug auf "emphatische Fähig- 
kcit(cn)“ des/r Historikerin endet der 
Empirismus im subjektivistischen Relati- 
vismus: Unfreiwillig bestätigt dies auch 
Dieter Groh: "Edward Thompson ist auf- 
grund seiner hochtrainieitcn Sensibilität 
(sic!) für den historischen Kontext und 
seiner politischen Parteinahme (sic!), 
(...). vor diesen Gefahren ("Verlust jegli- 
cher übergreifender Forschungsperspekti- 
ve" etc., d. Verf.) gefeit, nicht aber wären 
cs seine 'Nachfolgcrfwte/j'." 106 Denn der 
Empirismus kann keinen Maßstab für 
den Umgang mit unterschiedlichen Er- 
fahrungen bzw. mit unterschiedlichen 
Meinungen Uber die gleichen Erfahrun- 
gen angeben: 107 "(...); wo. außer in der 
Kompetenz des /r Historikers^^, findet 
man eine Instanz, die vor 'falschen' Evi- 
denzen (und deren Reproduktion als hi- 
storische Erkenntnis) schützt?". 108 Die 
Proklamation der Evidenz vermeintlich 
sicherer Erfahrung 11 ** entzieht so die je 
eigene Position der kritischen Überprü- 
fung im wissenschaftlichen Diskurs 1 10 .) 
Auf der Grundlage dieses cmpiristischcn 
Erfahrungsbegriffs ist es Michael Vester 
nicht möglich zu erkennen, daß cs von 
dem - zur Verarbeitung von Erfahrungen 
zur Verfügung sichenden - theoreiisch- 
bcgrifflichcn Instrumentarium abhängt, 
ob gemachte Erfahrungen klasscnkämp- 
fcrisch oder nicht verarbeitet werden. 
Vielmehr steht für ihm - aufgrund 
Thompsons These, daß Erfahrung in ih- 
ren eigenen Begriffen gültig sei - immer 


impäiw.7 

15W5.23. 19*381. m-K; KfKMW 1981. 117 

I . UWWibw 15«. 178 SHa» iS» 479. 

105 V(». &-.O.C 1960. S33; incMrMfg« 1S8J. 175. Zu da i 
tauavjlw pritschen FMpai i Ömrfii 1502. 77. »men 
15». *! (YaMscfHiig Z*l jd V.y>w I Öal/Ucn inj KcU|. 
tarmu 1362. 90 1. Strtnjn Mtot 1506o. 3« I (Virar»ufint«rt»l 
dM iCö.'rtUfla.mSm Ptdtorut datfi Kcntr.ttH: '»< Ott 
»ufenlai £*•»■). Bo-frtt UW. IS. IN 1 1 . 1» 1 (VK««MfW>4rt»4 
Ott Bt/ojitnn OsV> r*KK»da«i RuMnil) 

105 G» 1960.271 KtnO IVot 

107 »raat 1978. 42. 

108 DaUig 1901. IC« VJ. inxrtofpot 1 SW. 179 
1 K Sff/a» 1 5». 4M . 4S3 

1 10 Bnua 1980. 593. $94 


schon fest, daß aus Erfahrung das 
'Richtige', nämlich revolutionäres Klas- 
senbewußtsein. gelernt wird (s. dazu 
auch Anm. 17): "die Mängel einer 
Kampfstrategie werden praktisch an 
Mißerfolgen erfahren; das bewegt eine 
Arbeiter//me/iintellij>enz zur Ausarbei- 
tung neuer Antworten auf die offenen 
Fragen; die neue Strategie wird nun (...) 
verbreitet, rezipiert und schließlich in ei- 
nem neuen Kampfzyklus praktisch er- 
probt." 1 1 1 

(Auch Thompson selbst unterstellt ge- 
schichtsdeterministisch, daß "Männer 
und Frauen" ihre Erfahrungen immer so 
verarbeiten, daß sie dadurch zum 
"Subjekt" der Geschichte werden. 112 
Denn nach Thompson kehren im Begriff 
der Erfahrung "Männer und Frauen (...) 
wieder als Subjekte (...), die als Perso- 
nen ihre determinierenden Stellungen 
und Verhältnisse ira Produktionsprozeß 
(...) erfahren und die dann diese Erfah- 
rung 'handhaben' (...) und die dann (...) 
ihrerseits auf Ihre determinierende Si- 
tuation bandelnd einwirken." 1 1 3 Also: 
Erfahrung - Handhebung - Einwirkung, 
wobei allerdings gerade die 
"Handhabung" ungeklärt bleibt.] 

Die genannte Vorstellung Vesters ent- 
spricht der Beschreibung des Bewußt- 
seins die Hegel in der "Phänomenologie 
des Geistes" gibt: 

Das Bewußtsein wird "durch die Aufhe- 
bung seiner früheren Gestalten immer 
reicher (...), bis es schließlich in das ab- 
solute Wissen einmündet. Die Wider- 
sprüche im Entwicklungsprozeß des Be- 
wußtseins scheinen zunächst durchaus 
komplex zu sein," - bei Vester "Mangel", 
"Mißerfolge" - "doch erweist sich diese 
Komplexität letztlich als die einer 
'kumulativen Verinnerlichung, ' denn 

während des ganzer Durchgangs durch 
seine verschiedenen Gestalten (...) stellt 
das Bewußtsein (...) immer nur sein We- 
sen unter Beweis." 1 14 
Aufgrund dieser Vorstellung gibt es für 
Vester immer nur eine Lehre aus den ge- 
machten Erfahrungen: 

Bspw.: "Die Laisscr-fairc-Politik der Re- 
gierung lehrte die Aussichtslosigkeit pro- 
tektionistischer Petitionen und verwies 
nuf den Weg der Selbsthilfe." 1 13 Aus 
der Ignoranz der Regierung gegenüber 
den Petitionen für eine protektionistische 
Politik könnte aber auch 'gelernt' werden, 
daß es nur noch größerer Anstrengungen 
bedürfe, um mehr Unterschriften zu 
sammeln und so die Regierung doch 
noch zu einer Änderung ihrer Politik zu 


111 VMM 1970. 1» Zun wtoaTUOm WffK-oCöo/P y*i Vcao 
0>«o« -rt m*Mn t uti VbBs 1970. 22. 25. 

IlZXflliina 1501. 118 f.;ScMe*<136». 17. 

11 JEP. noirsoi zt n KmMwIMI. 116 • Hovo« d Val. 

1 14 Brectonan « tl 1973. 278 1. 

1 15 VKM 1970.26 


bewegen. Und: Ein solcher Mißerfolg 
kann auch zu Resignation führen. Und 
schließlich besteht noch die Möglichkeit, 
aus einer solchen Erfahrung zu 'lernen', 
daß das, was sich praktisch durchsetzt 
(also die Laisscr-faire-Politik). schon 
richtig sein wird. Wieso aus der ge- 
machten Erfahrung das eine und nicht 
das andere 'gelernt' wurde, kann Mi- 
chael Vester nicht erklären. (Die an 
dieser Stelle notwendigen, distanzieren- 
den Anführungszeichen machen schon 
deutlich, daß cs nicht möglich ist, kom- 
plexe politische Prozesse als einfachen 
Lernprozeß zu betrachten. S. dazu unten 
unter 7. a) genauer.] 

Wenn der reale, historische Prozeß 
('ausnahmsweise') nicht so glatt abläuft, 
wie cs das obige einfache Schema (alte 
Strategie - Mißerfolge - neue Strategie - 
neuer Kampfzyklus) unterstellt, dann 
liegt dies nach Vester an der Unterdrük- 
kung, die die herrschende Klasse ausübt 
("strenge Rcglementi:rung der Freiheiten 
der Korrespondenz, der Rede, der Presse, 
der Versammlung ur.d der Verbandsbil- 
dung"). 116 Dies erklärt aber gar nichts, 
denn: Daß eine herrschende Klasse ver- 
sucht. ihre Macht aufrecht zu erhalten, ist 
keine Ausnahme, sondern die Regel. 
Deshalb könnte der Nachweis, daß die 
Arbeiterinnenklasse aus den von ihr 
gemachten Erfahrungen 'lernt', nur 
darin besteht, daß gezeigt wird, daß sie 
derartige Schwierigkeiten überwindet. 
Genau dies nimmt M. Vester an - aller- 
dings ohne es nachzuweisen. Er geht da- 
von aus, daß sich am Ende - wenn auch 
vielleicht über den Umweg der hegel- 
schen "List der Vernunft"* 17 - immer 
der Sinn der Geschichte 1 18 durchsetzt: 
"Der Weg der sozialen Bewegung gehl 
auch heute noch durch viele Täuschun- 
gen und Selbsttäuschungen hindurch, 
(...). Der Sinn politischen Engagements 
erweist sich meist erst nachträglich." Es 
"scheint" - It. M. Vester - nur so, "daß 
der geschichtliche Prozeß in der ständi- 
gen Wiederholung von cmanzipatori- 
schen Hoffnung und niederdrückender 
Enttäuschung“ abläuft. Tatsächlich zeige 
sich, daß "subjektiv als Mißerfolge emp- 
fundene Resultate in größerem histori- 
schen Zusammenhang emonzipatorischc 
Bedeutung haben können. (...). Wenn 
auch Geschichte nicht als geradliniger 
Fortschritt mehr vcrstchbar ist. so ist 
doch die Vorstellung einer auf Umwegen 
oder eben 'zyklisch', d.h. kämpfcnd-lcr- 
nend, voranschrcitcndcn Befreiung noch 


1I6VMMI9T0.22 

117 s aapj <*» Krt* te. StföWf l»8>. 17. 19. $ 10*101 Xnu 
1«8». » 7 . V* (toi dt K/rt Bl (OP tot SaJnema 

ttt «1 GtXWt* 0» TB ay VonnT to SMOO 1978 
54 1. 

110 V* VMM 1970. 22 rhalo-Kfm SrrrmßVOa], 29 (Töwian 
(Hl Zkktiravny » 0**n rHo Snsmakä*:) 



denkbar." Abschließend sielli Michael 
Vester zu diesen Überlegungen die 
"These (auf. Erg. d. Verf.). daß kurzfristi- 
ge Mißerfolge in langfristigen Fortschrit- 
ten ihre Aufhebung erfahren".* * 9 
Wir müssen deshalb fcstzuhalten, daß 
sich Vester nicht darauf beschränkt, 

++ die Position zu vertreten, es sei mög- 
lich, daß auf Niederlagen der Arbeiterin- 
nenbewegung auch Siege folgen 
und 

++ die Auffassung zurückzuweisen, die 
Geschichte sei dahingehend prä-determi- 
niert. daß sie ein Kreislauf von Hoffnung 
und Enttäuschung ohne Fortschritt ist. 
Vester beschränkt sich also nicht darauf,' 
die These zu vertreten, daß der histori- 
sche Prozeß prinzipiell offen ist und sein 
jeweiliger Stand konkret wissenschaftlich 
untersucht werden kann/muß. Vielmehr 
geht cs Vester seinerseits um - eine dem 
negativen Geschichtsdeterminismus ent- 
gegengesetzte - Sinnproduktion. 
Geschichte ist für ihn also - da ja aus Er- 
fahrung gelernt wird - ein Prozeß 
"‘zyklisch’ (...) voranschrcitende(r) Be- 
freiung". Siege und Niederlage der Ar- 
bcitcrlnncnbewcgung sind für ihn nicht 
einfach Siege und Niederlagen, sondern 
deren ‘historischer Sinn' liegt darin, daß 
sie (als Momente einer hegelschen Tota- 
lität. s. dazu Anm. 18) in "langfristigen 
Fortschritten ihre Außiebung erfahren"; 
darin, daß sie "dem historischen 
Trend -120 zur Durchsetzung verhelfen. 
Bei Michael Vester entspricht so die 
Entwicklung vom "Proletariat als Ob- 
jekt" zum "Proletariat als Subjekt" - 
so die Überschriften der beiden Teile 
seines Werkes* 2 * - dem zwahr'schcn 

"gesetzmäßigen Aufstieg von der Klas- 
se an sich zur Klasse für sich". 

An anderer Stelle beschreibt Vester die 
Geschichte als "U -Kurve der Entfrem- 
dung“.* 22 Diese Kurve führt von einem 
nicht entfremdeten Ursprung über eine 
Phase der "kapitalistischen Entfremdung 
(...), durch welche die alten sozialen Be- 
wegungen hindurch mußten." zurück 
"zu den nicht-entfremdeten, phantasie- 
vollen und sehr vielseitigen Anfän- 
gen “.* 23 Die “große historische Lei- 
stung" der Arbeiterinnenklasse besteht in 
diesem historischen Rundumschlag 
darin, "daß sie die vom Kapitalismus in 
Frage gestellte Doifgcmcinschaft, die ja 
auf uralte stammcsgcschichtliche Kultur- 
Icistungcn (...) zurückgeht, nach einer Pc- 


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121 TM DAS «ICXETtflAT *IS OOÄKT. CM FAK«\>.; Mi 

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122 Vbw 190. 19- MBvat) d »sl 

123 1963. 19* Huvoitv d ftri 


riode der Verunsicherung und des Über- 
gangs wicderhcrgcstcllt" habe.* 24 Da 
Vester den Begriff der Entfremdung 
nicht auf den Begriff der Ausbeutung be- 
zieht (s. dazu Anm. 19), finden wir also 
auch hier den Idealismus der hegeliani- 
schen Geschichtsphilosophie / Dialektik 
wieder ursprüngliche Einheit - Aufspal- 
tung in zwei Seiten eines Widerspruchs 
(Entfremdung) - Heraufreinigung zu ei- 
ner höheren Einheit (s. dazu Anm. 20). 
Da die Einheit als ursprünglich gesetzt 
wird, ist sic (bzw. entsprechend: das 
Klassenbcwußtscin) in diesem Prozeß la- 
tent immer vorhanden - auch ohne empi- 
rische Existenz. 125 

In ähnlicher Weise spricht auch Dirk 
Blasius von einem "Einholen der in 
Klassenbahnen verlaufenden Vcrlustge- 
schichle von individueller Autonomie. 
Spontaneität und Kreativität" 126 . Also 
auch hier wieder: ursprüngliche Auto- 
nomie, Kreativität etc. - Verlust / Ent- 
fremdung - neue Einheit ("Einholen der 
(...) Verlustgeschichte“). 

Dieter Groh schließlich expliziert zwar 
die diesem Ansatz -impliziten ge- 
schichtsphilosophischcn Annahmen nicht 
und bezieht sich - im Unterschied zu Ve- 
ster - auch nicht auf den Begriff den Ent- 
fremdung, aber auch er scheint die Ent- 
stehung von Klassen(bewußtscin) als 
Prozeß der Entfaltung eines einfachen, 
hegelianischen Prinzips zu verstehen, 
wenn er von einem “Sichhcrausformcn 
einer Klasse” 127 spricht. Auch ansonsten 
übernimmt er alle Voraussetzungen von 
Vcstcrs Ansatz: 

Auch Groh betrachtet die Geschichte als 
Lernprozeß (s. Anm. 21). Er nimmt an, 
daß aus Erfahrung "Interaktionsmuster 
(entstehen), die Gruppcnvcrhaltcn prä- 
gen, das sich wiederum als politisches 
Verhalten artikulieren kann." Dieser Um- 
setzungsprozeß von "Erfahrungen“ in 
■politisches Verhalten" verlaufe "nicht li- 
near, sondern in Zyklen“. 128 Eine kon- 
krete Erwähnung finden dann bei ihm al- 
lerdings ausschließlich: "soziale und po- 
litische Protestfälle; Streikagitation, 
Streiks und Streikwellen gleich welcher 
Motivierung“ etc.* 29 Das Verhältnis von 
Lernprozessen und politischen Aktionen 

wird dabei von Groh als Ausdmcks-Ver- 
hältnis verstanden (erste drückten sich in 
letzten aus). 1 50 Auch hier haben wir also 
den doppelten Hegelianismus von evolu- 
tionärer Aufwärtsentwicklung (dem nur 


124 VMW 196X4. 

123 So da *.t* «n Musi J»ej i WO. II. »N 1: 16 l. bi LOC 
Ms KOs«£*'»vlfewi’ 

126 fitasus 1977. 433 • Hartoti d V*d 
12? GW 19(0. 17. 

128 GW 1978.422 VnWGWit». IS 
1290*1 1978.416 

1» GW 1978. 422 Xwixmxes*. da (.) WCfcfi n totadan 
Aßeron 4nr. AjoSu* !iö*i' 


"soziale und politische Protesttälle" etc., 
aber nicht die gegenteiligen Verhaltens- 
weisen der Arbeiterinnen ins Auge fal- 
len) und expressivem Kausaliiäismodell 
(politisches Bewußtsein und politische 
Aktionen als "Ausdruck" der 
"Erfahrungen" im Produktionsprozeß, zu 
diesem Modell s. Anm. 22). 

Zu erwähnen ist noch die Kehrseite die- 
ses expressiven Kausalitätsmodell: Wäh- 
rend sich also einerseits Erfahrung in 
Klassenbcwußtscin iusdrUckcn soll, soll 
dieser Ansatz umgekehrt die Möglichkeit 
bieten, den “unter der Oberfläche verbor- 
genen Sinn“ der Erfahrungen 
(Erscheinungen) frcizulegen (zu 
“decodieren"). 131 Im Rahmen dieser zir- 
kulären Argumentation ist damit die Ent- 
stehung von Klassenbcwußtscins immer 
schon der vorab festgelegte "Sinn" aller 
konkreten Erfahrungen. Denn erstes wird 
ja als Ausdruck von letzteren betrachtet, 
so daß - umgekehrt - als "Sinn" der Letz- 
teren die Herbeiführung von Klassenbe- 
wußtscin zu "decodieren" ist. . 

Wir sehen also, daß bei dem Franklurter 
Schule-nahen Ansatz - nicht anders als 
bei dem traditionali irischen Ansatz von 
H. Zwahr u.a. - die "geschichte der arbei- 
ter/nnenbewegung und der proletarischen 
praxis“ als "abgesteckte bahn " (s. oben 
insb. das Zitat von Blasius) gedacht wird. 
Diese Balm verbindet “einen ausgangs- 
punkt" - die unentfremdeten Ursprünge - 
“mit einem endpunkt (bzw. mit einem 
strategischen ziel)" - die Rückkehr zu 
den genannten Ursprüngen 
"‘Endstation, alles aussteigen!', wie Lenin 
ironisch sagte." 132 So ist es denn kein 
Wunder, daß sich der Vertreter des erst- 
genannten Ansatzes, Dirk Blasius, zu- 
stimmend auf den Traditionalisten' H. 
Zwahr beziehen kann, 133 während sich 
umgekehrt der an der DKP-Thcoric vom 
"Staatsmonopolkapilalismus" orientierte 
Autor Klaus Dörre seinerseits sich nicht 
nur auf H. Zwahr, sondern auch auf den 
’undogmatischen' EP. Thompson be- 
zieht^ 4 . 

b) Die stratcgischc(n) Schlußfolge- 
rungen) 

Da also das Verständnis von der Entste- 
hung von Klastenbcwußtscin bei 

'Undogmatischen’ und ‘Orthodoxen’ ähn- 
lich, nämlich geschichtsdctcrministisch, 
ist. ist auch die politische Strategie ähn- 
lich. Der Unterschied zwischen beiden 
Strategien beschränkt sich auf die Diffe- 
renz zwischen einer eher “auto- oder he- 
tero-pädagogischen" Konzeption des 
Klassenkampfes: "also zwischen der vor- 


131 GW l »3. 23 Ll*» 

132 PWm 197&1. 64. l* 61 - Nmotfi (0. 
133Btula 1990.111. 167.0121. 

134 Dtas 1987. 106. fN 111. 



172 


Stellung, daß die zeit und die crfahning 
im innem der arbeiter/nne/ibewegung 
selbst automatisch für die revolution ar- 
beiten, und der Vorstellung. daß man re- 
volutionäre theorie von außen her an die 
arbeiter/nnenbewegung herantragen 
müsse, um diese auf 'den richtigen weg 
zu bringen*." 135 

Daher soll die subjektive Entscheidung 
zur Auflehnung (Revolution) durch 
(Selbst- oder Fremd)-" Aufklärung und 
Belehrung des Proletariats“ herbeigeführt 

werden . 1 

Gemäß der 'undogmatischen' Variante 
soll die spektakuläre Aktion den aufklä- 
rerischen Effekt verstärken oder über- 
haupt erst erzeugen. Sie ist - bei Dutsch- 
ke/Krahl - der "voluntaristische Subjekti- 
vismus (...) organisierter Einzclkämpfe- 
r/rme/r". * 3 ' [Auch wenn sich seit 1967 
die Radikalität der Aklions/orme/t ge- 
steigert hat (die von Dutschke/Krahl da- 
mals für die Metropolen abgelehnten 
Schüsse, sind inzwischen auch hier gefal- 
len), kommt cs auch heute bei Szene- 
Diskussionen über de Sinnhaftigkcit von 
Aktionen weniger auf deren Effektivität 
für den revolutionären Prozeß, als viel- 
mehr darauf an. ob sie die subjektive 
■Wut im Bauch' zum Ausdruck bringen.] 
- Die Aufklärungsmethoden des hetero- 
pädagogischen Ansatzes haben demge- 
genüber einen eher altbackenen Charme. 
Diese Ähnlichkeit ist kein Zufall: Denn 
die Alternative von Spontaneismus und 
Dogmatismus ist dirin "komplementär, 
daß sie sich einem Subjektkonzept ver- 
dankt, welches einmal 'cmpiristisch', 
einmal 'transzendental* als Ermögli- 
chuugsgiuiid und Antizipation des ge- 
schichtlichen Prozesses gefaßt ist.“* 38 
Der Linksradikalismus bezieht sich - 
'empiristisch' - auf die spontane Aktion 
von Individuen, die 'Orthodoxie" bezieht 
sich - 'transzendental' - auf den ver- 
meintlich zwangsläufigen Gang der Ge- 
schichte in Richtung Kommunismus, der 
von der Arbeiterklasse als Subjekt der 
Geschichte exekutiert werde. 

Beide unterstellen metaphysisch, "daß 
'die Gesellschaft', oder zumindest das, 
was sic für ihr lebendiges und dynami- 
sches Element halten (...), von Natur aus 
/um Sozialismus strebt und ihn herhei- 
ruft. sei es 


136 So <* Kr» vm MftSÜi» U?2. 64 (Horrtrt fl V«d ) Bl CK 
Kt roeun Mi SbtMic- {S mro<u> I>«oj 
OKWSEWSHKAr**« «s iü 

3 und» «v mm/i iwi) <<f iw 
ö-i 'tnftpwaiMr «mm <*• Hn-«« «1 ttöhmoi 1963. 93? 
*J 3 « ‘KMMJU tnrt im von vwei 1*3. 10 « 

V9 axti now» (U6J. 23) 
k« Kr ’O» fett* CttKUWMdV*. lOHft K (HtW> <J 

v* 1 ) 

1J? OubfiUMaN 196?. I» • Mevtfv fl V«1. V# Oaru: KrsMhui 
IM7. 

IjaHmpalO Kämmt 1980.201. 


++ weil die Arbcit£Rklassc (so. wie Par- 
tei und Gewerkschaft sie vertreten) eine 
zentrale Stellung hat, 
oder 

++ (wenn man^rau 'Abschied vom Pro- 
letariat’ genommen hat) weil das Streben 
nach Selbstverwaltung angeblich allen 
'Subjekten' (...) gemeinsam ist (...)." 139 
Der zentrale Schwachpunkt jeder aufklä- 
rerischen (sei es nun auto- oder hctcro- 
pädagogischen) Konzeption des revolu- 
tionären Kampfes besteht nun aber darin, 
daß es nicht ausreicht, den Frauen. 
Schwarzen und Arbeiterinnen zu sagen, 
daß der Kapitalismus, das Patriarchat und 
der Rassismus "böse' sind - das wissen sic 
im Zwcifclsfall selbst. Die Ursache für 
den Mißerfolg revolutionärer Politik ist 
also nicht allein darin zu suchen, daß 
nicht genug "Aufklärung"* 4 *^ . se j es j„ 
der biederen DKP/SEW-Variante, sei es 
in der linksradikalen Variante ä la Focus- 
Theorie - betrieben würde. Vielmehr las- 
sen sich Gründe dafür angeben, daß 
gerade eine solche (selbst- oder 
fremdj-aufkläre rische Konzeption von 
Politik den von ihr angestrebten revo- 
lutionären Erfolg verfehlen muß : 

7. Wider eine aujkläre rische 

(pädagogische) Konzeption des revolu- 
tionären Kampfes! 

a) Zur Spezifik des Politischen 
Der Begriff des Lernprozesses ist - ohne 
daß die Vertreter dieses Ansatzes auf ei- 
ne spezifische Definition Bezug nehmen 
würden - der pädagogischen Diskussion 
entliehen und von dort auf den politi- 
schen Prozeß übertragen worden. Dies 
wäre dann unproblematisch, wenn dabei 
(bzw. in Definition dieses Begriffs) nach- 
gewiesen werden würde, daß dieser Be- 
griff dem politischen Prozeß adäquat ist. 
Dieser Nachweis erfolgt aber nicht. Statt- 
dessen wird dieser Begriff im Sinne sei- 
nes ursprünglichen Bedeutungsfeldes 
verwandt. Thompson sieht den Prozeß 
der Bildung von Klassenbewußtsein im 
unmittelbaren Kontext von "elementaren 
Unterricht in Lesen, Schreiben und 
Rechnen" sowie "geistiger Bildung".**** 
So zeigt sich, daß mit dem Begriff 
"I.emprozeß" die Entstehung 
(revolutionären) Klassenbewußtseins auf 
die Akkumulation von Wissen 
("kumulative Erfahrung"* 42 ) reduziert 
wird (s. dazu Anm. 23). 

Sicherlich sind ein bestimmtes Wissen 
und bestimmte Kulturfcrtigkciten Vor- 
aussetzung für bestimmte Formen politi- 
schen Engagements. Trotzdem läßt sich 


139 B*af 1981. 361 -Howna Veil. 
I »OS» 3« KM PIT 1593. KOI 
141 IXWM1N3. «71 
142 t-atu 1980 10 


nicht sagen, daß der gesamte politische 
Prozeß / die Produktion politischer Über- 
zeugungen nur in derartiger Weitergabe 
und Aneignung von Wissen und Fertig- 
keiten besteht. Be: Demonstrationen, 
Wahlkämpfen, Streiks, Aufständen etc. 
spielen noch jede Menge Elemente 
(Gemeinschaftsgefühl etc.), die sich mit 
einer solchen beschränkten pädagogi- 
schen Sichtweise nicht analysieren las- 
sen. eine wichtige Rclle. 

Dabei ist dann zu beachten, daß 
(politische) "Überzeugungsbildung (...) 
Aussagen. Werturteile, Normen ctc. (...) 
nicht bzw. nicht 'in erster Linie' nach ih- 
rer objektiven Adäquanz (Wahrheit), 
sondern nach ihrer subjektiven Funktio- 
nalität ('Sinnhaftigkeit'), (...) beurteilt 
(werden)." 143 Auch Frigga Haug betont, 
daß 'Lernen* aus 'Erfahrung* durchaus 
nicht zur Entstehung revolutionären Be- 
wußtseins führen müsse, sondern auch 
zur Einrichtung in den bestehenden Ver- 
hältnissen führen kenne und z.Z. auch 
häufig führe. 144 

Mit der Annahme einer letztlich unpro- 
blematischen Umsetzung von 
"Erfahrung" in Klasscnbcwußtscin wird 
eine differenzierte Analyse von Bewußt- 
scinsprozcsscn verhindert. Denn alles, 
was der angenommen (pädagogischen) 
Bahn nicht entspricht, muß tendenziell 
ignoricit werden. Denn tatsächliche 
■Rückfälle* - also nicht bloße 'Umwege* - 
des Bewußtseins haben im Rahmen der 
Unterstellung eines kumulativen (sich 
anhäufenden) Charakters von 
"Erfahrung7"Lemprozessen" keinen 
Platz. So kann im Rahmen dieses Ansat- 
zes das 'Abhandenkommen' von einmal 
entstandenem Klassenbewußtsein nicht 
analysiert werden: "Wenn die [englische, 
d. Verf.J Arbeiter/zmenklasse gemäß sei- 
nem [Thompsons, d. Vcrf.] Verständnis 
1832 'made' war, was wurde dann in den 
folgenden Jahrzehnten des Übergangs zu 
einer integrierten, domestizierten und re- 
formistisch orientierten Bewegung aus 
dieser 'Klasse*, als ihr das Klassenbe- 
wußtsein offensichtlich abhanden 
kam?"* 45 

Im Gegensatz zur hier kritisierten Auf- 
fassung vom Lernprozeß setzt der Be- 
ßrirr "politischer Prozeß" nicht ge- 
schicYusphilosophisch die Entstehung 
von Klasscnbcwußtscin voraus, sondern 
läßt offen, ob aus gemachten Erfahrun- 
gen Resignation oder Widerstand resul- 
tieren.* 4 ” Denn ein politischer Prozeß 
produziert Politik (herrschende oder wi- 


143 Krau« 1567. III. 

144 F. Haug 1950. 1761 

145 LnSmMigw 1588 17S 

148 V* P80W0 1*9. 16* 7**"n<tg « W« WYBÜ AnOflt. <W 
•MM. uw «M** Btfr&no » ' I <*«« »•«■ttg*’ n 
nn ms ft« «i ul wöMum e» ** 



173 


dcrständige); ein Lernprozeß produziert 
dagegen Wissen (was von den Lempro- 
zeßiheorelikern - wie gezeigt - per se mit 
widerständiger Handlungsfähigkeit! 
identifiziert wird). So wird mit der Zu- 
rückweisung der ideologischen Betrach- 
tung der Geschichte als Lernprozeß ein 
Feld für die wissenschaftliche Untersu- 
chung der politischen Verarbeitungsfä- 
higkeit der je unterschiedlichen politi- 
schen Kräfte in den jeweiligen konkreten 
Situationen 147 eröffnet. 

Daher ist der oten zitierten Auffassung 
von Groh. daß sich Lernprozesse in Poli- 
tik ausdrUcktcn* 4 ^, cntgcgcnzuhaltcn, 
daß es "not consciousness (or ideclogy) 
(is) that produce politics. but politics that 
producc consiousness". Denn es ist die 
diskursive Struktur der politischen Spra- 
che. welche überhaupt erst (Klassen)- 
'lnteresse(n)’ schafft 149 . Demgegenüber 
könnte man/frau zwar sagen, daß "die 
Umstände" - politics - "ebensosehr die 
Menschen" - bzw. deren Bewußtsein - 
"wie die Menschen die Umstände ma- 
chen". 150 Aber 'jene Umstande " stellen 
dabei "den ausschlaggebenden Faktor 
dar”. 151 Denn die "Summe von Produk- 
tivkräften, Kapitalien und sozialen Ver- 
kehrsformen" werden von jedem 
"Individuum und jede(r) Generation 
als etwas Gegebenes vor- 
gef(u)nde(n)" 152 . "Die Menschen ma- 
chen ihre eigene Geschichte" also nur in- 
sofern als sie sie "nicht aus freien Stüc- 
ken, nicht unter selbstgewählten, sondern 
unter unmittelbar Vorgefundenen, gege- 
benen und überlieferten Umständen 
(machen). Die Tradition aller Toten Ge- 
schlechter lastet wie ein Alp auf dem Ge- 
hirne der Lebenden." 153 Wissenschaft- 
lich betrachtet, bleibt also von dem aus 
Erfahrung gespeisten freien Willen des 
freien Lcm-Subjekts nichts übrig; das, 
was aus Erfahrung 'gelernt' wird, ist im- 
mer schon von den politischen Umstän- 
den vorgeprügt. Diese sind es also, die 
der differenzierten Untersuchung bedür- 
fen. 

b) Zur Kritik des empiristischen Er- 
fahrungsbogrifTs: "All experience ist 
penetrated bv cultural and ideological 
categories" 154 


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U«Vbiu in3 OK f*wr«fan TsjwaW ft .* Nw» 1870. M7 
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US S cOcnOaFN. 

1*9 ShOibi Jxm l»3b. II. 22 

151 Scftna 19». 172 

152 Usntngab im »-Mtowli 0 V** 

153 Um 1SSV52. 115 
151 Kal 1981.383 


Wie schon mehrfach erwähnt, unterstel- 
len die Lemprozeßtheoretiker eine letzt- 
lich unproblematische Umsetzung von 
Erfahrung in Klassenbewußtsein. 

Diese Unterstellung ist aber nicht haltbar. 
Denn revolutionäres Bewußtsein entsteht 
nicht durch die bloße Erfahrung von Un- 
terdrückung ("Therc arc no simple rules 
of translation form social to the politi- 
cal." 155 ). 'Bewußtsein kann nicht auf 
Erfahrung bezogen werden, ohne daß ei- 
ne besondere Sprache dazwischentritt, 
die das Verständnis dieser Erfahrungen 
organisiert. Es ist wichtig zu betonen, 
daß mehr als eine Sprache imstande ist. 
denselben Erfahrungsgehalt zu artikulie- 
ren. 156 Die Klassensprache war nicht 
bloß eine Verbalisierung von Wahrneh- 
mungen oder das Bewußtwerden existen- 
tieller Tatsachen, wie es bestimmte mar- 
xistische oder soziologische Traditionen 
angenommen haben. Sie war auch nicht 
bloß die Artikulation der kumulierten Er- 
fahrungen einer besonderen Form von 
Klassenverhältnissen, sondern sic wurde 
innerhalb einer komplexen Rhetorik me- 
taphorischer Assoziationen, kausaler Fol- 
gerungen und phantasievoller Konstruk- 
tionen aufgebaut und gepräg:." 157 Hier 
gilt also ein ähnlicher Einwand wie ge- 
gen den Empirismus: "(...) wenn 

mw/frau in bestimmten elementaren Lc- 
benssiluationcn etwas lernt, so lernt 
man ffrau eben nicht eigentlich aus der 
'Erfahrung’, sondern aus der Verarbeitung 
der Erfahrung, d.h. aufgrund einer Kon- 
frontation mit Begriffen, die dieser Er- 
fahrung überhaupt erst einen 'Sinn' ge- 
ben. Wo aber diese Begriffe und Gedan- 
ken Herkommen, die somit die Erfahrung 
strukturieren, ist natürlich eine wichtige 
und offene Frage, aber sie kommen ganz 
sicher nicht aus dem Innern des betref- 
fenden Individuums." 15 ^ Letzteres ist 
aber genau die Position der Vertreter der 
These vom Lernprozeß: "Die Aufgabe 
des/r Sozijlhistorikers///! sei es vor al- 
lem, so Thompsons methodologische 
Prämisse, ‘ich (...) in die Handlungen der 
geschichtlichen Akteure hineinzu/u/rien. 
ihre Innenseite sich zu eigen zu machen. 
(...)." 159 "Geschichte 'von unten' zu 
schreiben', bedeutet aber auch Ge- 
schichte \on innen' zu schreiben, die 

subjektiver. Erfahrungen und Leiden der 
von ihr Bciroffcncn und sic Gestaltenden 
wahrzunehmen, ja sie sich in einem Pro- 


iss StaOrwn Srm IW293. 242 

154 (V* EI«*« 1983. 17: *Otr oitKhexWÖ.. du rcrxOaT« 

miBra CMarM r tVM Ul’ rt «Ml mti Pc«* na 

(rtaOi ma Ott Xkmrfiuarrxng «gK. Krün drt • unpttfit • 
Mi »d «uta QuMnUstamirg rri »wxriaMn«) « MtanW 

mmmgmau PMm KUot wn Uon' 101 fm. 
avui 

157 S**twi iS«* 1*3 I • H«vo«ti 0 Virf \\f SJ«*n«n 

liSS^jTO'WmlSWi.X« 

158 GW 19». 7-Havatt. d V«1 


zeß nachträglicher sympathisierender 
Identifikation anzucigncii." 160 

c) Die Teleologie des Lernprozesses 
Die Vorstellung über die Herausbildung 
von Klassenbewußtsein als Lernprozeß 
unterstellt - wie bereits erwähnt - ein Ziel 
(nämlich das Ende von M. Vesters “U- 
Kurve": die Rückkehr zu den "nicht-ent- 
fremeeten [...) Aofängen"). Eine solche 
teleologische Auffassung ist eine ideolo- 
gische Vorstellung, denn daß die Ge- 
schichte ein Ziel hat, kann wissenschaft- 
lich nicht bewiesen werden: 

Denn "auch jene marxistischen Konzep- 
tionen". die einen Sinn in der Geschichte 
erblicken wollen, können dies nur, indem 
sie die Ansicht Vertreter, daß "jede Epo- 
che ihren Sinn in der darauffolgenden 
findet, in deren wesentlichem Prinzip 
dasjenige der jeweils vorangegangenen 
'aufgehoben' ist, bis schließlich der ge- 
schichtliche Prozeß (...) zu seinem Höhe- 
punkt und Abschluß kommt". Bei Hegel 
ist dieser Abschluß die bürgerliche Ge- 
sellschaft 161 . bei den erwähnten marxis- 
tischen Konzeptionen der Kommunis- 
mus, oder - in der stalinschcn Variante 
faktisch nur - der realsozialistische "Staat 
des ganzen Volkes". Die Geschichte ist 
aber nie zu Ende, auch nicht im Kommu- 
nismus. 16 ^ Idealismus bleibt eben Idea- 
lismus, auch wenn er ‘umgcdrclu’ wurde, 
also seine Richtung geändert wurde. 163 
Die erwähnten marxistischen Konzeptio- 
nen gelangen entweder dahin, "das Prole- 
tariat in die Rolle des Hegclschen 
'Weltgeistes' cinzusetzen, also den Sinn 
der Geschichte in der Emanzipation des 
Prolcoriats zu erblicken, oder aber die 
Entwicklung der Produktivkräfte als be- 
wegendes Moment und Sinn des histori- 
schen Prozesses (zu) hypostatisicrcn. In- 
des läßt sich ein durchgängiger Sinn der 
Geschichte immer nur retrospektiv . vom 
Standpunkt der” - jeweils 

"gegenwärtigen Epoche au« konsumieren, 
welche dann als das 'Produkt' der abge- 
laufenen Prozesse erscheint". Für den/die 
Gesellschaftswissenschaftlerln "ergibt 
sich aus dieser Betrachtungsweise 

(folgen)dcr cntscheidende(r) Nachteil": 
Der/die Wissenschaftlerin ist angehalien. 
"die bestehenden gesellschaftlichen Ver- 
hältnisse als absolutes Faktum hinzunch- 
men (...), weil auf sie sich der Ge- 
schichtssinn bezieht". Daher vermag 
der/die Wissenschaftlern "die aktuellen 
Tendenzen nicht zu begreifen,” da er /sie 
diese Tendenzen "bloß dem vorgegebe- 


160 GW 19». 16 • Htavo-Tt 0 V«1 

141 Sdr«* iS». 4 » - iO 

142 V*Ba*ur l»4. 629 O« Gtsnött habt Vr jteciMs En«. 
IM« 0r. Uvrahw >«re Uio ön Po«en n 1ora*jxn»«arv 
•m « ag, ääß d» Komro-ui ndf au trat 0* 
rOgmtarai yiolztaUOm: WdnfrCrti» lOJi» «nj*r rn 
tu VtrafMtu-fl. Ivtn T«™Yowm« (_>’ 

143 



174 


nen Sinn unterordnen kann, den sie be- 
stätigen müssen, um nicht als Un-Sinn zu 
erscheinen". Weil der Un-Sinn den Sinn 
gefährdet, muß er - im Rahmen dieser 
Konzeption - zurückgewiesen werden. 
Und "zwar nicht dadurch, daß man /frau 
die Differenz zum Sinn auf theoreti- 
schem Niveau konstatiert, sondern durch 
massive Intervention in den gesellschaft- 
lichen Bereich selbst, welche jede radika- 
le Opposition zu vernichten bestrebt sein 
muß. (...). Prinzipiell in der gleichen Si- 
tuation befindet sich eine marxistische 
Gcschichtskonzcption, die an der Sinnka- 
tegorie festhält, (...); denn auch in diesem 
Fall verhindert die Unterordnung der hi- 
storischen Bewegung unter den Sinn der 
Befreiung des Proletariats, die kausalen 
gesellschaftlichen Zusammenhänge in 
einem konkreten geschichtlichen Augen- 
blick tatsächlich zu begreifen, um in ge- 
nauer Kenntnis der aktuellen Konjunktur 
politisch intervenieren zu können, 

Die Vorstellung von einem Lemzicl bzw. 
Ziel der Geschichte schwächt also - ent- 
gegen ihrem eigenen Anspruch. "Raum 
für Initiative und Kreativität der Masse 
der Menschen" schaffen zu wollen 165 - 
den Kampf ab. Denn sie unterstellt einen 
”a priori auf den Sieg der Vernunft oder 
den Triumph der klassenlosen Gesell- 
schaft angelegten Proze(B): sie beinhaltet 
(...) eine lineare Aufwärtsentwicklung. 
(...) den Mythos des Fortschritts, mit dem 
die Massen ideologisch beim jeweiligen" 
- als notwendige Etappe auf dem Weg 
des Fortschritts darEcstellten - "'System 1 
gehalten werden.” 166 So läuft "(...) das 
Vcnraucn auf die iimiiancntc Fortschritt- 
lichkeit und Finalität des Prozesses letz- 
ten Endes auf eine Apologie des Beste- 
henden hinaus. Jede Erscheinung ist ein 
notwendiges Moment in der Verwirkli- 
chung des Wesens.' 167 "Den Sinn der 
Geschichte zu konstruieren, bringt immer 
auch das Risiko mit sich, die Geschichte 
in einer 'amtlichen Ewigkeit' zu fixie- 
ren." 16 » 

d) Zur Kritik des 'Ausdruekismus' 169 
Aber von den hier einer Kritik unterzo- 
genen Ansätzen wird nicht nur ein Ziel 
der Geschichte behauptet, sondern dieses 
Ziel ist - ganz hegelianisch - bereits im 
Ursprung der Geschichte (M. Vesters 
"nicht-cntfremdeten [...] Anfängen") 
keimhaft angelegt. Gareth Stcdman Jones 
bezeichnet ein solches Verständnis von 
Klassenbewußtsein als "essentiell" - von 


164 Sehr«* IS«. 4» B. - Htoorn iO. 

165 »OTaoo . 

I66T>rtmt1M1.4J 
16fV».Scf«Wl9?«. 55 
16 « Pfc-oi 3 lS 6 l.se 
l59N*r*rl97}.S3 


Essenz = Wesen oder Geist einer Sache - 
also das revolutionäre Klassenbewußt- 
sein als Wesen/Geist der Arbeiterinnen- 
klasse. Das Verhältnis zwischen Klasse 
und Bewußtsein wird dabei als Aus- 
drucksverhältnis (expressiv) gefaßt. Sted- 
man Jones schreibt: "What has been pro- 
blcmatic has been the way in which thesc 
two types of evidcncc (nämlich 
"experience” und ’consciousness". d. 
Vcrf.) have been connected. (...). Philo- 
sophical assumption - cxplicite or unwit- 
ting - has supplied the missing links by 
inieijecting terms likc 'experience' or 
’consciousncss'. tying the two poles to- 
gether in a way which seems intuitively 
obvious. What thesc terms suggest is that 
the rclationship betven the two sorts of 
evidence is one simple expression. The 
strenger term ’consciousness', in its usage 
by social historians. is Hegelian in origin. 
It assumes an objcctivc and necessary 
process in which what is latent will be 
madc manifest, (...). Both conccpts imply 
that language is a simply medium 
thought which 'experience' tinds expres- 
sion - (...). What this approach cannot 
acknowledge is all the criticism which 
has been levclled at it since the broader 
singniftance of Saussure's work 170 was 
unterstood - the matcriality of language 
itsclf. (...). Wc cannot therefore decodc 
political language io reach a primal and 
material expression of interest since it is 
the discursive structure of political lan- 
guage which conceives and defines in- 
terest in first place. What we must there- 
forc do is to study the production of in- 
terest, identification, gricvancc and aspi- 
ration within political languages them- 

sclf." 171 

Und Stuart Hall wendet ein. daß das re- 
volutionäre Klassenbewußtsein durchaus 
nicht ist “only waiting to ’speak out". 
"But the whole rccotd of socialism, up to 
and especially in the present moment. is 
against too-simple ’populism'. A non-rc- 
ductive Marxist theory must cntail facing 
up to all that is involved in saying that 
socialism has to be constructed by a 
real political practice. not mcrely 
’rediscovered' in a recuperative historical 
reflection.'' 172 Und "Social alliances do 

not simply happen, they are brough into 
being and rc-creatcd by the construction 


and periodic reconstmction of a common 
political discoursc.” 173 

e) Das 'falsche Bewußtsein' ist 
'entsprechendes' Bewußtsein 
Die ideologische Hegemonie der Herr- 
schenden ist nicht eine Frage des 
'falschen Bewußtseins' der Beherrsch- 
ten. 174 Denn Ideologien sind weder nur 
falsch noch reines Bewußtsein. 

Das herrschende Bewußtseins ist viel- 
mehr (der Situation) entsprechendes 
(Marx) 175 und damit "praktisch richti- 
ges" 176 Bewußtsein: "Abwarten und 
Orientierungslosigkeit (der unterdrückten 
Massen, d. Verf.) nicht aus Mangel an 
Einschätzungsvermögen, sondern aus 
realistischer Einschätzung schwieriger 
Kampibedingungen, aus enttäuschter 
Hoffnung.” 177 

Im übrigen haben Ideologien - auch die. 
von denen die Unterdrückten beherrscht 
werden - materiellen Charakter in 
Form von schulischen, juristischen, reli- 
giösen Apparaten. Sozialversicherungen 
etc. und deren Praxen. 178 Auch die Un- 
terdrückten sind deshalb nie 'außen', son- 


dern schon immer 'innen', im Staat. 


179 


Revolutionäres Bewußtsein entsteht also 
gerade nicht dadurch, daß diejenigen, die 
versuchen, zu solchem beizutragen, sich 
darauf beschränken, 'falsches' durch 
'richtiges' Bewußtsein ersetzen zu wollen. 
Vielmehr müssen sie sich zur Realisie- 
rung ihrer Absicht mit dem ganzen Kom- 
plex von Staatsintcr-entionisraus, Mate- 
rialität von Ideologien, Zugeständnissen 
der Herrschenden auseinandersetzen und 
eine adäquate Antwort entwickeln und 
praktizieren (vgl. dazu auch Anm. 

13). 180 "Die Philosophen haben die 


173 SHdmo Jom 1SB&B3. 2S3 • d Vnt. *«*j* n« 
Ktau» xtnt* S*Jmn Jam I* Hn «ms. «Bit a BuMd 
u a Oson» uff* fan at m enttsge raUty. »* c*W*l «0*1 

D «n>Bn kngjajm C dass t-an tu rtfun c4 petto nffxr tun f« 
ct [O*»-* “to. r» rj«u. i* rttc . 1 (Steine iv«. 101 ». 

8) 

174 S» PUrw / CI Kantrt* 1». 105 Ein -OKtaptatat* 

d* sdi ml tUrrm •* “-I t/ I HKtt, UwUMT, 
■$d*rt BC bucft-hw. vtmahlln^« - d* On cbfiU»*' 

artttfMrwa ven tloofcf»* m Vihüno 01 CbkusAVi in! rin 
S«W*i Piwitomw IHrvort. IV« ). 

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-v» Owitoo ma mi rtw . 

gtMtucmxi» BmJMWWTw KXanttaa' (Um i«9. 8 - 
«•aahd.V«) 

176 N*n*z 1979.60. 


170 S Mp» fadrard d* Sun«. AqpnMW ifncfwauncfM 
Trsj van Oi Baly. 0«n. 1967 2 . Avn d. V« 

171 SHOW Jam \nx. 191.22 

172HMlW1.S64.H*»*t.iO V* da.'u*xhd*Kit*vaiG«*i* 
i W. 76 • 76 oi da 17m* vw Hqtf V6tu Mer*) cfr« Sä* m 
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BmUwnnj ru mW d V«) H tvi H*g*s 

«rekM m aali hti riK vk inen UmiMrmitMn du lamn 
quwtmri mid«« 0 « IttscnafciTus t«rM Vi G«9»1M d* Kl» 
tuiMnrq n*wr irfittor. d. für da mn »ortn m e h ma« 
V.dOJmu4 snd (.. >• «Wh* 1983, 77). 


177 W«hC*) 1965* 78 

1?« AVuSJ* l&MVTO. 1 19 • 123. OB • 149; BMh» 1978. 152 1. I«, 
161: BaB* 1»7. 2«. 211 1; PH 1900. KC. UM Uttnm* 1974, 
268.SudrmJam197l.4S 

179 ftslfoi 1978. 152. Lada* 1978. 178. 1» I. 347: 

ScnC*W*7#l1M1.57I 

1» ATutta 1976. 129 I K<t*> »aWd* ’AJ« ibrodtcM 
Mimahran imrtto M axft. c« #«n **t>» VawtMWxhg (du 
•et«*:« n »•<»»»• dm PioKUfBB. tii 6*9« den ABuu« h 
Rag* 91 Vm d V*d.) doch n «rat nW den KJ»u*nUm(r • 
PTdtKrni 1 • \rd t*n* Korc4*oxo«n lErgr«» dat SülUI. Ehhfl 
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naUrü* 1 tr* Km 7 M. Sa a**f OxO) du 
(.1 Km Gand n» Sog*, cd* mW t» d* U-aK C) 



175 


W< it nur verschieden interpretiert, es 
köi imt drauf an sie zu venä/ufern."* 81 
Re olutionäres Bewußtsein unterscheidet 
siel gerade dadurch von reformisti- 
sch m. daß es nicht meint, eine Wirkung 
ohr. : ihre Ursichc (also bspw. die 
'so/ ale Ungleichheit' ohne das Privatei- 
gen um an den Produktionsmitteln) be- 
scit gen zu können. 1 ® 2 Was ist nun die 
Jrs iche der ideologischen Hegemonie 
der Herrschenden? Das herrschende Be- 

wul tsein ist nicht (nur) deshalb herr- 
sch' ndes Bewußtsein, weil cs Lüge ist. 
Vie mehr kann cs nur herrschen, weil 
sein ; 'Lügen' mit "vergesellschaftcr.de(n) 
Elci icnten" verknüpft sind. Daß heißt 
abei daß es ein; hegemonie-fähige, re- 
voli tionäre Praxis nur gibt, wenn “die 
verj ;sellschaftende Elemente aus ihrer 
idec logischen Anordnung herausgclöst 
und umorganisiert" werden. D.h. "die 
idec ogisch durchregelten Praxen so 
umorganisicr(cn), daß der Effekt nicht 
der Zustimmung, sondern eines Bruchs 
mit den bürgerlichen Produktionsverhält- 
nissen entsteht," 183 Daß es dafür nicht 
ausreicht, einzelne Elemente der herr- 
schenden Ordnung auszutauschen oder 
um/.ukehren, sondern daß die Struktur 
dieser Ordnung, die Basis selbst verän- 
dert werden muß, ist schon in der 
"Internationale" formuliert ("die Welt ih- 
re Basis verändern wird")...* 84 
Soweit die hier kritisierten Konzeptionen 
die Existenz und Notwendigkeit einer re- 
volutionären Avantgarde nicht verbaliter 
verwerfen (wie teilweise der auto-päd- 
agogische Ansatz), müssen sic (aufgrund 
ihrer Ignoranz gegenüber der Materialität 
von Ideologien) die Avantgarde so be- 
stimmen, daß die Avantgarde im Gegen- 
satz zu den Massen über das 'richtige' Be- 
wußtsein verfügt. 185 Denn die Avant- 
garde hat - nach diesen Konzeptionen - 
ja nicht einen spezifisch politischen 
Prozeß, sondern einen Lernprozeß 
vor jiizu treiben, also Aufklärung zu 
betreiben. Bei Lenin ist demgegenüber 
die Avantgarde dahingehend bestimmt, 
daß sie den Massen nicht eine Idee, son- 
dern einen Schritt voraus ist* 8 *\ 

f) Immunisierung gegen Kritik 
Wenn nun das Lcmziel ("Klasse ftlr sich" 
[Zwahr] bzw. die 'Rückkehr zu den un- 
cntlrcmdctcn Anfängen' (Vcstcr]) nicht 
erreicht wird, dann kann dies nach dieser 
hegelianischen Vorstellung nicht an 
Schwächen in der Arbcitcrlnnenbewe- 


o« »•> cm au Dmnw? «Yu U< Hmatanan r« 
dodiuU.'#ta»srii.<MM|. 

Ul Un IMS. 7. 
lttMMMMM3.197.FN» 

TO PH 19». KU. 

IW * thmm 1963. 137. fNS 

IBS S» Md« MfcvcnPr l»:»4 
IBS 1»*1 0. n ßJtuav i»7b. 65 uxj 1 ?7?c. «5 


gung bzw. der Linken liegen (denn "an 
sich" ist ja alles klar), sondern nur an äu- 
ßeren Hindernissen. So erklärt bspw. 
M. Vcstcr das gegenwärtige Pehlen von 

"kämpferischen und Uber den Kapitalis- 
mus hinausweisenden Potenzen" mit der 
“über hundertjährigen Erfahrung der Re- 
pression, der Disziplinierung und der In- 
tegration der Arbciler/zmenbcwc- 
gung".* 87 Und hinsichtlich des Chartis- 
mus erklär. Vester den "Verlust offensi- 
ver Perspektiven” u.a damit, daß das 
"Establishment die Entwicklung eines 
Kommunikationsyslcms, in denen diese 
Erfahningen sich artikulieren und reali- 
sieren konnten, ständig unterbrach"* 88 . 
Die Tatsache, daß die Herrschenden ver- 
suchen. ihre Macht zu erhalten, erklärt 
aber noch nicht, wieso die Beherrschten 
keine effektiveren Mittel entwickeln, um 
sich trotzdem durchzusetzen. 

Deshalb bedeutet die Zurückweisung der 
ideologischen These vom Lernprozeß, 
den Blick auf innere Schwächen der Un- 
ken / der Arbeiterinnenbewegung, die ge- 
machten Erfahrungen adäquat zu verar- 
beiten, - damit auf die-Möglichkeit, diese 
Schwächen zu beheben (!) - frei zu ma- 
chen. Gegen eine Sichtweise wie der Ve- 
sters. die oft mit dem Begriff der sozialen 
Kontrolle gefaßt wird (dieser Begriff be- 
zeichnet die Fähigkeit der Herrschenden 
zur 'Manipulation' des Bewußtseins der 
Beherrschten - vorzugsweise durch Um- 
strukturierungen im "Freizeit''-Bereich 
[Femsehkonsum, Masscn-Zuschauer- 
sport ctc.J ist schließlich folgendes ein- 
zuwenden: 

++ Sic verschiebt die gesellschaftliche 
Basis (als Oit / Ursache von Herrschaft) 
von der Produktionssphäre in die Kon- 
1 ÖQ 

sumtionssphärc. 1 

++ Sie umerstellt feewu/Jr-manipulativen 
Eingriffe auch dort wo bspw. veränderte 
Freizeit-Gewohnheiten nur die Folge 
veränderter Produktionstedingungen 
(bspw. Arbeitszeiten) oder gor im Inter- 
esse der Aibcitcrlnncnklassc sind.* 9 ® 

++ Sie blendet Widerstand gegen Herr- 
schaft bzw. "soziale Kontrolle" entweder 
aus (These von der Totalität) oder aber 
betrachtet ihn. wenn, dann gleich als au- 
ßergewöhnlich (= revolutionäre Situa- 
tion), während tatsächlich d»r Klassen- 
kampf / Widerstand permanent ist. ohne 
notwendigerweise revolutionär zu 
sein.' 9 ' 

g) Gegenidentifizierung mit einer pro- 
letarischen oder revolutionären Päd- 
agogik als Integration 


1J7VMHM9». 4. 

IM SoOtoy Jene 1977. 66. 731. 
1 jO S»3nin Xrm 1977. 67 - 74. 
1flSlMnjnJWrt1977.M 


Wie vorstehend gezeigt, kann ausgehend 
von einer pädagogischen Konzeption 
des (ideologischen) Klassenkampfes ge- 
rade kein revolutionäres Klassenbewußt- 
sein entwickelt werden. Diese These soll 
im folgenden unter Rückgriff auf Michel 
Pßcheux’ Begriff der 

"Gcgcnidcntifizicrung" weiter begründet 
werden. 

(Vesier betont bspw. die Bedeutung des 
"Aufbau(s) einer Grgenöffcntlichung 
und einer Gegenorganisation"* 92 für die 
Entstehung von Klasscnbcwußtscin. Dies 
ist in einer Weise sicherlich richtig. Was 
dabei aber zu kurz kommt, ist. daß eine 
bloße Umkehrung der bürgerlichen Insti- 
tutionen etc. eben in der Tat nur 
'dagegen' ist. aber noch keine eigenstän- 
dige revolutionäre Praxis bedeutete. Vgl. 
dazu den Unterschied zwischen einer so- 
zialcfcmokratischen oder statistischen 
Staatspartei einerseits und der lenini- 
sehen Avamgardepartei-Konzcption an- 
dererseits.) 

Der Begriff der “Gegenidentifizienmg" 
ist dabei so definiert, daß mit ihm ein In- 
tegrationseffekt beschrieben wird, der 
darin besteht, "daß mit ihr (der Gegeni- 
dentifikation, d. Verf.) der Arbeitcr/n- 
nenkiasse scheinbar eine Identität an- 
geboten (wird), mit der sie sich vom 
Bürger/nne/itum abgrenzen kann, 
letztlich aber doch wieder nur in des- 
sen Kulturhegemonie integriert 
wird." 193 Es handelt sich also um einen 
(scheinbaren) Freiraum innerhalb der 
herrschenden ideologischen Mecha- 
nismen. 

Folgenden These soll also nachstehend 
begründet werden: Die Auffassung, die 
Entstehung von (revolutionärem) Klas- 
senbewußtsein sei ein "LE/f/Vprozcß", 
läßt sich sinnvoll mit dem Begriff der 
"Gcgcnidcntifizicrung" analysieren und 
kritisieren. Damit wird gezeigt, daß diese 
Auffassung - entgegen ihrem eigenen 
Anspruch - gerade nicht dazu beitragt, 
ein solches, nämlich revolutionäres, Be- 
wußtsein zu entwickeln. Um diese These 
zu ^gründen, müssen zunächst jene er- 
wähnten herrschenden ideologischen 
Mechanismen beschrieben werden. 

In der bürgerlichen Ideologie wird die 
Gesellschaft als "Körper” mil unter- 
schiedlichen "Körperfunktionen" 

( SCHULE . Wirtschaft ctc.) vorgestcllt. 
Diese Vorstellung hat zwei Effekte: 

++ Die gesellschaftlichen Verhältnisse 
erscheinen in dieser biologischen Meta- 
pher als natürlich und damit unveränder- 
lich. 

++ Diese Regionalisierung der Gesell- 
schaft in einzelne Apparate 
("Körperteile") verschleiert gesellschaft- 


1WVWHM970.il«. 

TO Hj* 19«. 7S • IHv» d tf«d. 



176 


liehe Zusammenhänge und den Klas- 
sencharakter des Staates. 1 94 
Deshalb kann (revolutionäres) Klassen- 
bcwußiscin nicht dadurch entstehen, daß 
der bürgerlichen Pädagogik eine prole- 
tarische Pädagogik (Entstehung von re- 
volutionärem Klassenbewußtsein 
Lernprozeß) entgegengesetzt wird. 
(Entsprechendes gilt auch für die Philo- 
sophie. den Staat, die Ästhetik, das Recht 
elc .l95 "Vielleicht auch eine 
‘materialistische Metaphysik'?* ,96 ). 

Denn durch eine solche pädagogische 
Konzeption des ideologischen Klassen- 
kampfcs werden gerade die herrschafts- 
stabilisierenden Wirkungen dieser Regio- 
nalisierung aufrechtcrhaltcn; 

(revolutionäres) Klassscnbcwußtsein ent- 
steht also gerade nicht. Vielmehr kommt 
es filr Revolutionärinnen darauf an. ent- 
identifi zierend und ent-rcgionalisierend 
zu denken und zu wirken und datei die 
Bereichstrennungen zu untergraben 19/ 
Also - um ein anderes Beispiel als die 
Pädagogik zu nehmen: Revolutionäres 
Bewußtsein (die Absicht, den revolutio- 
nären Prozeß bis zum Kommunismus 
voranzutreiben) entsteht weder durch 
Identifikation mit dem bürgerlichen Staat 
noch durch Gegenidentifikation mit dem 
proletarischen Staat, sondern nur wenn 
dieser als nur transitorisch 
(überwindend) notwendig - also unter 
dem Primat des Klassenkampfcs für eine 
klassen- und deshalb staatslose Gesell- 
schaft - gedacht wird. 198 
Oder - um ein Beispiel zu nehmen, in 
dem das ent- identifizierende Denken er- 
stens erfolgreicher war als in der Staats- 
tragc und zweitens sich in der Tat gezeigt 
hat. daß revolutionäres Bewußtsein nicht 
durch eine Gegen-Pädagogik. sondern 
durch eine cnt-identifizicrcnde politische 
Praxis entsteht: Während des I. Weltkrie- 
ges bspw. forderten die herrschenden 
Ideologien die Identifizierung der Mas- 
sen mit den Kncgsziclcn der jeweiligen 
nationalen Bourgeoisie ('Im Krieg sind 
alle Deutschen [Französ/wien. Englände- 
rlnnen ... etc.| gleich.'). Die Sozialdemo- 
kratie nahm keine (offene) Identifizie- 
rung mit dem imperialistischen Krieg, 
sondern eine Gegenidentifizierung mit 
dem Piicdcn bzw. dem Pazifismus vor. 
Umso leichter fiel ihr die Zustimmung zu 
den Kricgskrediicn für ihre jeweilige na- 
tionale Regierung - selbstvcrständlxrh im 
Namen der Verteidigung des Friedens' 
und der 'Ablehnung jeder Annektionspo- 


1S7Ö4 621 \aa.6S 

14 SO* Karr**** U't. 'I e»u*n»fN* 2 :P«jrw U 7 J. 

t« ohm --.rat «• fm mo; »iw a* toi *< 

MH» ""'«".1 * W 92. 197S. MT tt n Ko»ov 

lVPfcf*jl 19710 » 

1» ■> ÖHt» I»’6. 22 1 . 3» 1 . 105 124. I». 


litik'. Allein die Bolschewiki propagier- 
ten ent-identifizierend die Umwandlung 
des imperialistischen Weltkrieges in ei- 
nen revolutionären Bürgerinnenkrieg. ' 99 
Nicht nur den 'Verteidigungskrieg', son- 
dern auch Begriffe wie "freier Volks- 
Staat", "gerechte Verteilung” etc. unter- 
zog Lenin einer ent-idcntifizicrcndcn 
Kritik (Jeder Staat ist ein Unter- 
«Jrücfu/igsinstrument einer Klasse [eines 
Teils des 'Volkes') und deshalb weder 
"Volks-“ roch "frei". Eine Verteilungs- 
weise ist weder an sich gerecht noch un- 
gerecht, sondern sie entspricht oder wi- 
derspricht der jeweils gegebenen Produk- 
tionsweise. Die private Aneignung von 
Mehrwert ist nicht 'ungerecht', sondern 
die der kapitalistischen Produktionsweise 
entsprechende Verteilung.) Aufgrund 
dieser Kritiken bezeichnet Elisabeth 
Roudinesco Lenin in Bezug aif die Füh- 
rung der Massen als "Anstifter einer Poli- 
tik, der es an den Gewißheiten des Mei- 
sters und dem Wissen des Pädagogen 
mangelt."* 00 

"Damit deutet sich die Möglichkeit einer 
Politik an, die weder der 'reinen' Sponta- 
neität' vertraut noch auf die Instanz einer 
(Staats-)Partei setzt, die sich des 
'Weltgeistes' innc wähnt." 201 "Ansätze 
zu gesellschaftlichen Veränderungen 
nicht zu denken als die Tal eines Subjek- 
tes, das sich die neue Gesellschaft erst 
ausdenkt und sic dann in die Wirklichkeit 
umsetzt, finden sich in der Tat bei Lenin. 
Und die späten Arbeiten Althussers krei- 
sen um dasselbe Thema: wie gesell- 
schaftliche Veränderung zu denken ist, 
ohne daß wir das hegclsche absolute 
Wissen, in welcher Form auch immer, 
und sei cs auch als Wissen der Partei, 
voraussetzen." 202 

8. Lenin: Pädagoge oder Revolutionär? 
Die vorstehend zitierten Auffassungen zu 
Lenins Konzeption der Führung mögen 
zunächst überraschen. Denn im Gegen- 
satz dazu wurde die von Lenin u.a. in 
Was tun? vertretene Vorstellung des 
'von-außcn-Hincintragens' der sozialisti- 
schen Theorie häufig als voluntaristischc, 
hetero-pädagogische Ambition gegen- 
über dem Proletariat 

++ von den einen 'angewandt ((Prä- und 

Postlstalinistlnnen) 

und 

++ von den anderen kritisiert (Spontis). 
Komplementär dazu verhält sich Lukäcs 
Interpretation von I.cnins Die große In- 
itiative im Sinne eines Vertrauens auf ei- 
nen hegelianischen Selbstlauf der Ge 
schichte (s dazu Anm. 24). 


2fO OuMti Ho*Jmko. coj> i»» (Ott** 0* » (WW«™ 

MiB.19rr.ran« Pto»* i;r». «e - j v«<i 
»HVTT*/0 Han-*! 19 «. 2U 


Lenin gibt für beide Interpretationen auf- 
grund verschiedener begrifflicher Mängel 
sicherlich Anlaß. Trotzdem führt eine 
genaue Lenin Lektüre zu einem anderen 
Ergebnis - nämlich, dab Lenin im Rah- 
men der gleichen, nicht-pädagogischen 
Konzeption einmal die subjektiven 
Bedingungen (Was tun?) und einmal die 
objektiven Bedingungen ( Die große In- 
itiative) stärker betont; dies allerdings 
jeweils in einer Sprache, die die genann- 
ten Fehlinierpretationcn begünstigen. 

a) Die Frage der Intelligenz: Belehren 
oder verschmelzen? 

Die erste Unklarheit betrifft die Frage der 
Rolle der Intelligenz (gegenüber (?) dem 
Proletariat). Lenin zitiert in Was tun? zu- 
stimraend die Auffassung des SPD-Chc- 
fidcologcn Kautsky, daß die sozialisti- 
sche Theorie von Vertretern der 
"bürgerlichen Intelligenz" "von außen’ in 
das Proletariat “hineingetragen" worden 
sei. 29 ^ Die Formulierung spricht sicher- 
lich - wie auch einige andere Formulie- 
rungen 204 - für die hetero-pädagogische 
Interpretation. Allerdings wendet sich 
Lenin in Was tun? bspw. gegen das päd- 
agogische Projekt einer besonderen 
"Literatur für Arbeiter", und er betont die 
Wichtigkeit der Mitwirkung der Arbeite- 
rinnen selbst an der Ausarbeitung der so- 
zialistischen llieorie. 205 Und schon vor 
Was tun? hatte Lenin im Gegensatz zu 
einem solchen "getrennf-Denken 
"geltend gemacht. Sozialismus und Ar- 
beiterbewegung zu ein;r einheitlichen 
(...) Bewegung zu verschmelzen'^ w> 
Deshalb besieht für Lenin "die Rolle der 
'Intelligenz' darin (...), besondere intellek- 
tuelle Führer/n/ien überflüssig zu ma- 
chen' 207 Dies bedeute! für Lenin auch, 
gegnerische politische Positionen als sol- 
che ernst zu nehmen und nicht wegpäd- 
agogisieren zu wollen: 'Unstreitig ist es 
für den/die Agitator/« in Volksversamm- 
lungen nützlich, wenn cr/sie außer 
'politischen' auch 'pädagogische' Ge- 
sichtspunkt berücksichtigt, sich in die 
Lage scinctAhrer Zuhörer/nmm versetzt, 
mehr erklärt als wettert usw. Extreme 
sind immer von Übel, aber hätten wir zu 
wählen, so zögen wir die enge und un- 
duldsame Bestimmtheit der weichen und 
nachgiebigen Verschwommenheit vor. 
(...) das Leben wird zeigen, daß die be- 


203 1«* 1902. 3941 

JO* &W •( 1 du f*.<azcnli. Art»«* ( ..) «ö (...) aqw |.J. •> 
-oMn al du • 31 *’. feien dB aan muri (_| Ouu B n 
nrtinaj. oan a* nMacuaavi ja mgu eat ra 

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w tut wunr (BtrtaUNing Jd toorraoi fdavirg «o 
Mw ttfran. ntnkti Wst*i' (Unr 19». 42«.. 13. 

4 M. u *56 • Hu*ati d Vart). 

2C61W 19». 395. fN\ 

7C6 ttn« 189*. 251 • Ml* H bvoTi d Wd.fcl’rtilO. 

20UW I. M2 • WM K»d 0»*). 1 19 • 338 (M7) 2* n 

1 «Mb IMS ISO 


177 


stimmten und scharfen Äußemngen (...) 
durchaus gerechtfertigt sind (...)." 208 

b) Die Frage der Klassenlage der Intel- 
lektuellen 

Das zweite Problem betrifft die Frage der 
Klassenlage der Intellektuellen. In Was 
tun? spricht Lenin - in Anschluß an 
Kautsky - eindeutig von Vertretern der 
"bUrgerliche(n) Intelligenz". Diese Bc- 
grifflichkcit / diese Vorstellung des "von 
außen“ steht sicherlich einem Verschmel- 
zen von sozialistischer Theorie und pro- 
letarischer Klasse entgegen. An anderer 
Stelle hatte Lenin allerdings durchaus er- 
kannt. daß diese klassenmäßige Zuord- 
nung der Intelligenz durchaus nicht so 
einfach ist: So bezog sich Lenin bspw. 
auf die "Arbeiterintelligenz": "Arbeiter, 
die (...) sogar selbständig sozialistische 
Theorien ausgearbeitet haben. Jede le- 
bensfähige Arbeiter/nnenbewegung hat 
solche Führer//««#!?) aus der Arbeite- 
r/wrenklasse hervorgebracht, (...). " 209 
Und: "Der Kapitalismus erhöht auf allen 
Gebieten der Volksarbcii mit besonderer 
Schnelligkeit die Zahl der Angestellten, 
seine Nachfrage mch Angehörigen der 
Intelligenz wird immer größer. Diese 
letztere nimmt unter den anderen Klassen 
eine eigenartige Stellung ein, sie schließt 
sich teilweise - ihren Verbindungen, ih- 
ren Anschauungen usw. nach - der Bour- 
geoisie an und teilweise - in dem Maße, 
wie der Kapitalismas den /die Intellektu- 
elle// immer mehr and mehr scincr/ihrer 
selbständigen Stellen® beraubt (...) - den 
Lohnarbciter/nnen.' 2 '® Diese Überle- 
gung wurde aber von Lenin in seinen 

späteren Schriften nicht genauer ausgear- 
beitet. Dies geschah erst durch Antonio 
Gramsci: "Die Daseinsweise des fr neuen 
Intellektuellen" - im Unterschied zu den 
"alten” (Klerus, Richterinnen, Anwältln- 
nen, Philosophlnnen etc.) 2 ** - "kann 
nicht mehr in der Redegewandtheit be- 
stehen, dieser äußerlichen und ober- 
flächlichen Anregerin von Empfindun- 
gen und Leidenschaften, sondern im ak- 
tiven Eingreifen in das praktische Leben 
als Erbauer/«, Organisator/« mit 

'anhaltender Überzeugungskraft' und 
nicht als Redner/« schlechthin - aber 
trotzdem dem abstrakten mathematischen 
Geist überlegen; ven der Technik-Arbeit 
gelangt er /sie zur Technik-Wissenschaft 
und zur historischen humanistischen 
Konzeption, ohne die man/frau 
'Spezialist/«" bleibt und nicht 'Leiter/«’ 
(Spezialist/« + Politiker/«) wird.” 2 * 2 Im 
Zuge der Automatisierung der Produk- 


te 1*00 19«. 1*2 
209 ltnrH 89 ». 2 ?& 

210 L*nh 1B«i IM • Hovcitv 

211 Gram*. 1930 -32*. 224 

21? Gf»r*i 1PB - 3» 2Ö • A*Ktb. d Vtrt. Vai #r*> Kit* an 
ö'XTXO 3aWW*(n) hnonatB*«}- ) Kcnrt(ttn' Wn Oi fm ab 


tion ist diese Heranbildung von Intellek- 
tuellen in der Arbeiterklasse noch deutli- 
cher geworden: "!m Kernbereich der 
Produktion erschienen 'Angestellte', 
vorwiegend WTI." (WTI = Wissenschaft- 
lich-technische Intelligenz). 2 *^ 

c) Die Frage des Spontaneismus / Öko- 
nomismus 

Wenn Lenin in "Was tun?” schließlich 
auf die Notwendigkeit von proletarischen 
Kämpfen "außerhalb des ökonomischen" 
Bereiches verweist, 2 * 1 * stellt sich Lenin 
dann außerhalb der Bewegung / des poli- 
tischen Kräfteverhältnisses zwischen den 
Klassen? Nein, Lenin weist damit nur 
darauf hin, daß sich die spontanen öko- 
nomischen Kämpfe der Arbeiterlnnen- 
klasse nicht im Selbstlauf zur 
"Erkenntnis der unversöhnlichen Gegen- 
sätzlichkeit ihrer Interessen zum gesam- 
ten gegenwärtigen politischen und sozia- 
len System" 2 * 6 entwickeln. "Lenin ist 
kein 'Subjekt', das eine Idee im Kopf 
hätte, 'die er verfolgt' und die er von au- 
ßen durchsetzen will: Er ist der Führer 
einer Organisation dcs’Klasscnkampf. ei- 
ner Avantgarde der Volksmasscn, und in- 
sofern er eine 'richtige Linie' definiert - 
'einen Schritt den Massen voraus, aber 
auch nur einen Schritt' - denkt er ledig- 
lich darüber nach (rgfldchit), wie er ein 
Kräfteverhältnis verändern (infldchit) 
kann, in das er selbst einbezogen und an 
dem er selbst aktiv beteiligt ist. (...) die 
Praxis Lenins: sie ist praktisch, aber nicht 
pragmatisch." 216 Dies unterscheidet die 
leninsche Konzeption des revolutionären 
Kampfes von einer hetero-pädagogischen 
Ambition gegenüber dem Proletariat: 

Die Trägerinnen einer solchen Ambition 
handeln - im Gegensatz zu Lenin - in der 
Tat "aufgrund einer Vorstellung, die sie 
im Kopf haben". Deren politische Praxis 
ist pragmatisch: Sie betrachten die politi- 
sche Situation bzw. das Proletariat ge- 
nauso wie einE Autoschlosserin einen 
Motor: Er/sie "weiß dabei ganz genau, 
daß der Motor schon vorher existiert hat 
und nur darauf wartet, daß er /sie 
seine/7/ire Arbeit zu Ende führt, um wie- 
der zu laufen: Er/sie steht in einem völlig 
äußerlichem Verhältnis zu ihm. Dasselbe 
gilt für den /die ChinirEcn//«: Auch wenn 
sich die Dinge hier komplizierter verhal- 
ten, so ist cr/sie jedenfalls kein Teil des/r 
Kranken. Der Politiker Lenin betrifft uns 
dagegen auf ganz andere Weise, (...) der 
Politiker Lenin (steht) als Arbeitcr/rmen- 
führcr durchaus innerhalb der Situation, 
in der er handeln muß, um auf sic cin- 


21 J Spa** UM. 20 • Hdwxtv 10 V* *<Ok».V.oI 1*8. C*«< 
1»8. UK« 1M9. W B; o VW 1991; SchMu 1»9. 6; WtftoO 
198» 

214l*-«lim2.4».v«jl426 

2ISIMH932.3BS 

216WT«U«1W7.641 


wirken zu können. -217 D.h.: Nicht nur 
das sozialistische 'Bewußtsein', sondern 
die Intellektuellen selbst mußten in die 
Arheiterlnncnbewegung hinein 
"organische Intellektuelle des Proleta- 
riats” (Gramsci) (die» ist einer der Begrif- 
fe. die Lenin fehlten) werden. 

d) Die dem Proletariat "zufallende 
Aufgabe" 

Genauso wenig, wie also Was tun? im 
Sinne eines hetero-pädagogischen Vo- 
luntarismus interpretiert werden, kann 
Lenins Position aus Die große Initiative 
im Sinne eines Vertrauens auf den 
Selbstlauf der Geschichte 2 * 8 interpre- 
tiert werden. Lenin spricht dort zwar, von 
der Aufhebung aller Klasse als der dem 
Proletariat "zufallende Aufgabe”. Lenin 
schreibt dies aber in dem Kontext der 
Feststellung, daß die "Fähigkeit" zur 
Aufhebung der Klassen "nicht an sich 
gegeben (ist), sondern (...) nur aus den 
materiellen Bedingungen der kapitalisti- 
schen Großproduktion" erwächst. Im Fol- 
genden nennt er die Grunde, wieso das 
Proletariat “imstande" ist. die ihm - und 
eben keiner anderen (vorkapitalistischen, 
unterdrückten) Klasse! - "zufallende 
Aufgabe” zu lösen. 219 Damit behauptet 
Lenin keinesfalls, daß garantiert sei, daß 
das Proletariat seine Fähigkeit (sein im- 
stande sein) auch tatsächlich nutzt. 

Die unterschiedlichen Nuanciemngcn, 
die eine voluntaristische Interpretation 
von Was tun? und eine deterministische 
Interpretation von Die große Initiative 
nahe legen, weisen allerdings darauf hin, 
daß Lenin das Problem noch in der Bc- 
grifflichkcil der beiden Alternativen 
stellt, die er kritisierl: 

Demgegenüber überwindet Althusser die 
pädagogische Bcgrifflichkeit aus Was 
tun?: Es versteht sich, daß das Ver- 
schmelzen von Arbeiterinnenbewegung 
und Marxismus "nicht das Ergebnis eines 
Unterrichts war, den einzelne 
'Intellektuelle' Marx und Engels der Ar- 
beiter/nnenbewegung gegeben hätten, 
wobei diese jene Ideologie akzeptiert 
hätte. (...): Man müßte dann nämlich er- 
klären. wie bürgerliche Intellektuelle ein 
derartiges Wunder vollbringen könnten; 
eine maßgeschneiderte Theorie für das 
Proletariat. Sic ist auch nicht (...) von au- 
ßen in die Arbcitcr/nnenbcwcgung 
’hincingetragen' worden, denn Marx und 
Engels hätten ihre Theorie nicht entwik- 
keln können, wenn sie sie nicht auf theo- 
retische Klassenpcsitioncn begründet 
hätten, die eine unmittelbare Folge ihrer 


217 Ktvmu 198?. 64 

218 WM* sch dt KcopfcntnanJI H<M< FMilrtKjXHaKner oxd 

dun» zt*ji. d*8 t* li*Ja (taut Vtrtfrm at Om lau <to 
Goktcio Ortout m «-m™ 

njanwül. S Arm 24. 


219L*l(i 1919.411. 



178 


organischen Zugehörigkeil zur Arbeite- 
r/imenbewcgung ihrer Zeil waren. In 
Wirklichkeit wurde die marxistische 
Theorie zwar von Intellektuellen mit ei- 
nem ungeheuren Wissen konzipiert, aber 
innerhalb der Arbeiterinnenbewegung 
und aus ihrem Innern heraus. (...). Das 
hat Marx getan: er ist zum 'organischen 
Intellektuellen des Proletariats' (Gramsci) 
geworden, indem er in dessen Organisa- 
tionen kämpfte, ur.d erst auf den politi- 
schen und theoretischen Positionen des 
Proletariats hat er das Kapital begreifen' 
können. Die falsche Frage der äußeren 
Injektion der marxistischen Theorie wird 
somit zur Frage der Verbreitung" - und 
Weiterentwicklung! - "einer Theorie in- 
nerhalb der Arbeiterinnenbewegung, die 
innerhalb der Arbeiterinnenbewegung 
konzipiert wurde. Natürlich ist diese 
'Verbreitung' das Ergebnis eines sehr 
langen Klassenkampfes mit zahlreichen 
Zwischenfällen - und sie geht auch heute 
noch weiter, trotz dramatischer Spaltun- 
g=n,(...).- 220 

Mit dieser Beseitigung des o.g. begriffli- 
chen Mangels bei Lenin ist es möglich, 

— die auto-pädagcgischen Illusionen zu 
verwerfen , ohne die Vorstellung zu ver- 
treten. revolutionäres Klasscnbcwußtscin 
entstehe durch eine Belehrung des Prole- 
tariats von außen 

und 

— den hetero-pädagogischen Volunta- 
rismus zurückzuweisen, ohne die Not- 
wendigkeit einer Theorie, die nicht nur 
die spontanen Kämpfe reproduziert, als 
Voraussetzung revolutionären Klassen- 
bcwußtscins zu bestreiten. 

Wie entsteht nun diese revolutionäre 
Theorie? Doit, wo die Lcmprozcßthcorc- 
tiker den Automatismus 'Erfahrung - 
Handhabung - Einwirkung' unterstellen, 
untersucht Gareth Stedman Jones ge- 
nauer, wie die 'Handhabung' von Erfah- 
rungen erfolgen muß bzw. nicht erfolgen 
darf, damit revolutionäres Bewußtsein 
entsteht. 221 Für Stedman Jones ist revo- 
lutionäres Klassenbewußtsein nicht 
keim- bzw. substarzhaft in der Arbeite- 
rlnncnklasse 'an sich' vorhanden, sondern 
das Ergebnis eines im Medium Sprache 
erfolgenden theoretischen Produktions- 
prozesse. 222 Bei der Erarbeitung einer 
entsprechenden politischen Sprache, der 
entsprechenden politischen Begriffe, mit 
denen die gemachten Erfahrungen erst 
u.U. revolutionär verarbeitet werden kön- 
nen, setzt nach Gareth Stedman Jones die 
Aufgabe einer revolutionären Partei an. 
Dies aber gerade nicht im Sinne einer 
(hctero)-pädagogische Ambition der Par- 
tei gegenüber dem Proletariat Denn es 


mvtiu* 1976. 1» - hb»*a"Kvaft 10. Ml* 4 VV1 
21 s t«c- swjto» j**, oseja) irearwteng a*' oh 

PdalBarw 

222 SMXoi Jans 1963* 143 LI*». «1.22; 19M.307 I. 


sind oft "the masses who have to educate 
the party ".223 Unter diesem Gesichts- 
punkt kritisiert auch Stedman Jones das. 
was er das "Kautsky-Lenin-Schema" 
nennt (zu Berechtigung dieser Identifi- 
zierung s. obige Ausführungen). Dieses 
Schema sei particü richtig, soweit cs 
“stresses that bourgeois intellectualls are 
by definition the posscssors of previous 
scientific accumulations, and must there- 
forc be the initial bearers of Marxist 
theory ‘to’ the working classs". Aber das 
Schema versäume "to stress that the hi- 
storical pcrcondilions and matcrials of 
this theory are the real struggels of the 
nasccnt working dass itself, wilhout 
which it would be impossible for histori- 
cal matcrialism to have been forged.” 224 
Deshalb ist nach Stedman Jones von "a 
dialectical relationship between party and 
dass -225 auszugehen. 

Damit sind wir nun auch an der Grenze 
dieses Textes angelangt. Denn die Frage, 
‘Was heißt nun das für die politische Pra- 
xis?', läßt sich auf der Ebene dieses Tex- 
tes nicht weiter beantworten. Vielmehr 
verweist das Konzept der Verschmelzung 
- die ‘‘Begegnung einer Theorie und einer 
Praxis, einer Wissenschaft und einer 
Klasse" - auf die Notwendigkeit, "in je- 
der gesellschaftliche Formation, in je- 
dem nationalen Kontext die Bedingungen 
zusammenzubringen für eine angemes- 
sene und damit produktive Begegnung 
zwischen Marxismus und der jeweiligen 
konkreten Situation' und unsere ” eigene 
Strategie auszuarbeiten" 22 ^ (wozu auch 
gehört den Klas- 

senlbewußtseinslrecuktionismus dieses 

Textes im Sinne einer revolutionären 
Strategie gegen die triple oppression zu 
überwinden). Denn die “richtige revolu- 
tionäre Theorie (ist) ihrerseits kein 
Dogma (...). sondern (nimmt) nur im en- 
gen Zusammenhang mit der Praxis einer 
wirklichen Massenbewegung und einer 
wirklich revolutionären Bewegung end- 
gültige Gestalt an.'' 227 ...weshalb die re- 
volutionäre Theorie, recht eigentlich be- 
dacht, nie "endgültig”, sondern immer in 
Bewegung sein wird. In diesem Sinne 
noch einmal das Wort an Brecht: 

“Also für Neuerungen, gegen Er- 
neuerung.". 

B. Brecht 228 


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balrajan artaj. Da» UvadUftal ntf i*n ua 0 » 1 \ Oifl Stfirtd 
rmtt a dem nregen Ergatrti kann, tfcfl Alxatar • Mim ar oft. 
d*B da •«Miaradan Uacnrertehua* «mar u reute Kd. daß 
•de mnnalan fadr^nga' erat rMUOTlnr Boaagm; Kar« ut- 
terdar' ad • V faxmo'ar tO (otovter HnuM (_) dK 
KrBxtei TTMtM antaio; ttedafan* h dan dar Matarxorn 

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Ttey ad Atmoar a saft ird ulnoa raael nNandja Kitt. 

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Uacuaa a C «6 das uuUntend at rdB« Kton da ioi StfrMl 
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179 


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247 V# Imn 1915a, Xi: Hag« UJ* dal non n trar gagaBaron 

Form non (.) Mm me |.sa) »i Oh Haares» 

rt*^an:< )-(HarvcrH .0) l»m 19156. 338 Da R«M^,ei(.)d« 
ewae» ne« m Hart dH Gtxtatta Oh VIMsaratfofl gacn* 
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248 ^antrock-NeGfScM«*« 1917. 137 - Har*rtv .0 

249 AJNissh 1957. 11 fc Karsr 1976. 75: te*antrc>*-N«z.SeW«3#r 
1977.1341 

2M Karsr 1976.82. 

251 Man 1857. 632. 

252 LKW1 1973.32. PUrca 1977 »7 ( 


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ArmartungS 

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Vartahan'. 15 ® 

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nacNögatCN) B»l C(or dm pcoMi Gasa<r. aj AcOi r r«Mas- 
rms. dar" ‘daettehm RacNsski Ad4 Mars* (Cal SKrat^ 3 ). 
awM dm Odak Batohaton. 711 Bto». o> Red«an9mj du BUH 
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»W. armi Carl SeNrk®^ Advh dH BRD mrda dau Lrta. CH 
VanoOrg der Toassa' das NS*® 7 totkBaian Aixli f*.ia Wrt 


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m n*o KetTTHii Dar rmwo^» n dH mH,dsct)an 

AkuanscWsihHna UuMl dk Errpra (BaotkWBtrtU) ‘da’ 
Htsdotoarda FVJrwanr Oh TToWa. MaSstaB hrw 
Vtmnvf&cf*— ur tr« ab» ruglaaH Mkn at. dU «* 
Errpaa utar idvgn ’TaorMgaOdrtf e • (Uqh 1977. 147 (. 153. 158 
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Kan 1473 ?CC 1 1 


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saCM/MMcdHruciwAOTraarniAoMvctgalangrskclRal- 
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NN maMati (tarai hrvjemasm/cMe Sara E/tXfWtJngan et dm 
hart*rr*tim AroMprQsrkatv nrN ru vatlream gmruan vrt 
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S Bfikeid tut Krt* dH •ortjfcüsdoi Kn* da« Tourrer-ui' n 
dm HMntoMnscMlar Setmd 19». 213 1. ml (Mato Nad»»*- 
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<n dadsdvm HmpdHRHn rudima vor UB anssddaadv n akam 
trtarrHa-kaorMKtim Rkmm dduton w«« ( I dndi da 
Fraganaing du Hstortmca aBjastacU k.* cito Ba,H 197«. 517, 
518: 0a Htmanact* brd Vi dH laBar«k*>KClva urd naoarckgs 
In EiOcrfaVsmis atvaBlda (..) AcAnadaan*a4 (. lOmnodamar 
Zcg da Harxrmf* (..) tvko C*«,* - an Vwner da L«a-af<»> 
septra uto du WstoflMrrut - ‘hxbNhN ■ (Harurti. gartj» 


264 BVhKIE 34. 269 OBI) • SennBaseNfl 

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i 



180 


Aimerlung 7 
uHMnutOihnw 

CUTrw aß n sooct "/ortonertag W NeuauOege 1 rugiWn. «fl 
MII Qjli no»> aige n jlli s alftcr L*Oem (.) »wori 
Eb4(i5«i-ef«g lud osnFrartn«Ji«o das Fell der PsytToana/pevcr 
Sin «cn «r Uai Sem* coseie ö. enen Vertagte ■ <0M«oer 1982. 
7). Iicu deser ww ucaru :««frir*l t *h Mmn Auseeiav 
Mrwerag ml l**» ui fcgeröe 1 11 rt*ge FiftVt ’Aah Ja«ues 
Laco-d IngjOJisa« cnenserte ReUm*enxg der f w)W »W« 
(reif rre <Vj:ki u««iUiKf*n ue-stBJnSks «nhoaiwi (ÜH. » 
ctoi $ im de Arm rjn HeKiUarrui. Am d Ved) a® rugekh 
du Crgnal Nach tokher ErastduvJ (SU. WeCa> 1978) arftert« 
de Piicromifyse nkhl mert ul '~IK<yvM Fragen (ras IreKh 
den Ucairana er« UeoCgaUta. rutrt eruiere) * CWrmei IW? 332. 

FN7J) OaieKrtkuwdaioivcnUMraindtmBahMpe'rtsere* 

IH de e«0«**>gsn.a-ai «cn *t4-si*ajrg' gehl d*»«ch .■Wir, 
(US « BröKttMutiig am Zaa-a-de sart. » «ß Web* Ms U 
cavKrrt.tr ereetart CMCh-ajm -« vwi COhoe« nm «SSKV 
sauraoi lis^Sflss Status MI (s C&r, Stadion .Mas 

1976). .»a-Wi d* rsTflSdie Hw«<Oi Ueais <Mth da AF 
IuuhSOmM 


Anmertung* 

nn «■argengenheitKrtenilertan ireMeluMlsmaa dar Frantfirt* 
Schule 

Uarouc 1*5. 85. 105: ‘ CH E'lrt»Aig Mi Gcsal- 

soai hat du faustet* UMU dreh an sorafcs Am ereotrt des- 
s«n seöuOie SnMu r.tN mfi cta OMUl aUraa. de Freu) 
iagaUOi 1 Aren d V«K| der, fHtfeUUVWN-i Gs^nslmS ru- 
«rxh (_> Da Psjcfosayje kam ( | duu toeiajm. £<*»0 AMj 
rciTia (.) mcMrxTOisto. Da Pdrt dp U»s«rges4isthAti S* 

91 « Ol Hum» TU Oer dei Ui <rd KV» lW«rv*rfmg 

OW du kefcUve kSM 0« WMesUrO ge*n dacm Iran! l*m 
eberfafe ru Hais« togbron { J Was viraM a. a dep^n nö> 
blsdi* (HartdA d V«f,|. 


AmwWng» 

m BdroMMiWt «on 0« BluAu 

Von ••*• tseSstonutMSHi n««» •KiWitM-Krl* gtfü auM B» 
UMhsatier'SMiMjMetwtladMl'invuuias* aus (Sans i»3. II. 
90 * | So ■«! ir da Data -Wi Basat*« » nu ?usan-«rta^as 
laiOnPätim 19 Ji UM a-o)e<w*S«o ZiN »on Etatauigari n t- 

pc.iduriXn inSuaiia i«j>Ufi enK» m«h(H ‘UuMkfia 
Vaioaimg" («] M». da -Büsirasa* (911, de da Pt>»«5‘* 
MM (110) . Des -*»«n « a> p sah« Ps)OiieB*r«* 
hPW<pW (HOluttUl Ss «T(laM « tto AlimUia w 
•jslüMisMdan MsuMjueige* de ts^de StoDf (ill|. 
•ctiWswnd. (Ufl de <U-a «t^swUoa Art*« »rt« HERRseMndao 

vn »t*r» vo« Iik» fu Mm M 1(4)) • ud rrai «f- 

OaiOs Auftadao snS n raai «01 d»i auiJCMdi geteftAdartm f «len 
(all aus dam -aftrijuytc JiJ. ul dom ti sei* PiyehUMXii* 
eiKrt*9*<t. Mm * r cm Anal arg««» *u**\ <*• !«< f 
Kfrt iM ml Mai D*le»,w (*»>* Ml*n 0« am tagte io fcfroon 
semi VaiUuDan mmi' ‘EMituragadarMo g^m sam f raj‘. da 
Cf dutab *0* EmwMn. EitthaSen tadotfle). » daß oa sew 
njjloi rxflle* (121). Datei fU oiregle AuHeMo. «e« tarn Flau 
sata oagon da £ma«tu^ •» uü de fc*a)e ÖMnlttAal .-«**(• 
le (121 «) Dei «vMie U-m rai efailaDs 'otr* Jatdel ttflfeOi 
o«mi ras etietM AaUeHU. »e* da tixiiaj n mein duBVx» 
I«e »j». du verndjen des Uanros ® amn GehMn 

■Viltmt >rd da Crtmiidgxs Mas »Aarres au efcen dateo 
•noSB-ao Mx«tn* WUuC«! ni MMo Da SuacsanraiseMP Bloa 
Ma EVcccGB-atega gegsi da Fr* r. -ese1V?*i srt de samaeil 
gwi ZuUo* n der Ptytfalio (IJ* ■) Ul datK S*N-«s«. n der 
aioe Mi-mi aK OJv Mer Eteftajen ecdiamn N- battMl et*- 
l'aien als gilH leuouxl lür In KafUB- Mhrmr goxw weid*\ »*il 
Mai arsMtsi Kit» » PiyetHM (deren Cpre C«*arn&J» >4 
Fis^n smi'i -cM i**o ** G«r*n gsun 


Armerlung 10 

xum uC(eUtian Bruth fmr «cn ufianl 

•( ..) w» srd der Ans*«. dS5 as eiuo taaOdkMn lei du Saara V* 
inte uo de Ran*J*n gert saileio dsiuo. fre leMru-reisl«**«) 
u-d U Ce nira ttl Hm ductousiMn Un es mB n emm Bdaeien 
BAI euuu>u»tn >■* -c*e. eör. r*M «Uäi de gsvc Oi^.'e. 
dss tafli. t* eolan baöen s* -ctn forrfr ata 

aitlKKtailcneu^du Reör n dp (NtarrtaAl«l it»-/ ni ta- 
Wen. ( ) Gerade die atAxlg» Oetonung das »uVAüvan 8ratTi' 
ml dem Sisiem bl »In Auidx«! dmvi (Uß 0m BWJ> tOrni Mctl 
■orteegen (st Das tut all*) iMchtn Ctun): dm i»C)e*ttr* Brecti 
Ist eine tadrfduat* £/W>*tfurrs m **1**«- & MW da «d*l*1i«a 
Megvttn Au «Wiflidscf* S)nam ntfti tut Dm «»MUsrare 
mVAtel >«Bi aMn gorade dedireti eoa. daf er aOe flpafe de« 
leOeiu m WaiamrAtsetutr ureJ AapnaVemartoog ilrrOeaiaM • «ixA 
den gusT«"* . das ul a» (ST-taiuateig (aOei n*N as «***« 
ruJ/TBicnie AidgitfAM) «UM «*v«cn (s irtoeahla Mon- 


tra.»n*t4«| • 'RsproS^araCeredi airfl U» AiMbtosan in) Sfr 
a*Of«rc<irtgeit>iere üertgons axh ab Ctafitnan u>3 ErtfaeM- 
Iim *ta VoiBteuvji !Ta\ti*,iara« k w«^)»nr«3 M< Lc«v 
artol. DaCraN *d dtajliäxn - nei«S««B aiAerttab das SynmV 1fr 
ben. en) etfAeM uU e*Ae»i tataa «»- i6e—urW -e-de* • 
fe Vad r<84 2 - H*\om d Vert) 


Anoerlang II 

rm iCatagm der 'VermBljng* 

Ui Reefl «rerde s3*n daraJ hnjcutm. 06 4* -Uus^am du 
rrrettcrdiin lioen kam Frage du 'pdtMcMn Verrieberter ( 
«. Cem schjn da ■ euKtmsi redöertara • KI-m&tM. am 
‘A«cn pAsdi tu «aim»«W < Omni. Oß h 0m Salt* be- 

reis du mm <fm oi. aal s*n de iAUoi nxt oo-fMT. ausdei|t- 
«aAgan odiiwMn Shawi aigtl *' Was iw noff beteWÄ«« als 
mH , Stal «id. Mi **! amo rae>a««ct*n Gnnd D*n • -arAalt« 
wid as ntöi «nfcn? • lut* der äeg« der •Vem*tr»j’ B • Io t«e< 
gemerf»« Sera m dem der Alöjam atardrgs ia an IMertal « 
tu eri *js Mi ösBOHton PhbKgt»« nöt mr H*j»a ü&eiro-- 
mmm&ujtt Dt« g» »s io*ven Bedeißrgivaiara' Cta n (*« 
roo Fal amctdgge ö da WgaBe: vanrOng ä 1t« Mpwknj 
oder Araurtoa («') Mies UOaitn (eC*r Ute odai cras Ueals) n*o 
7nc« der '.eWAnj oder VKenor») w Wesermeen USgfetit» 
len Bagflen. de erardei «ges^getatrt s*ü eder euuOirf^. 
r-seton dem« aBd an s«fi (Witte* 0a«t^. l*n Zu*or*n. 
nvg m loslitan sdert (TTJJ. 12 “ D»o« es • a«6er lir de öeaAs» 
s «f* SMcdOftia • War. MO es am VemClrg 1 mo-rcxfi nefe *>J 
puwff) osr otmg getan ln Atu de deafcl«fa PHtoWW 
nMIt n • u«) dem U« -i td doi rraler. Bedeflrgnjrav 

le • ‘marfun Gs« urd Ikimtmr " '«) vemBelv IW war lag de 
VaoaOuig har n der Pmvn M*r ?> 6m n dam XXMf du m 
l|Cr) d)e) m«*t*n)‘ bj) Kti generrmen haben vT 1 ' 

lUwIypp U 4 der am» Bedeum «*«- — sM de» A*»jcv»- 

0*0 («r eifnan uo -ie da UNO in fcrf» |w<ct*n kl* «nS K» 
rat -renowr MO *s« 5S* Veoitag müehen Suwn. d VM) 
lam »<r;hl Idetftfi öSer »aindci als a*h InagaiBTi eder C«W- 
rat tan. *0" •*(*’ rui li dei erst*» Art 

nartndan ( .1^ Uy) schtaSöi da «fli inj banaKe Bedatftng 
*Ausge«t<ng rrarf« i eagegaxuawa Ua«ng*» deren *de 
g*d an Xjicrslas Kr du ceiog WlhrB M» «dfrareJ da «Sfwrol ec 
gaufcn n du t/de vtn beden tag. ab Syrehesa r»wf*n Thasa ad 
A/Utosa * },i h dei l/de lag aem todra Baactoden. «me seton eil 
6eram* H*tu-öj sage • wer ram es de BHDUrwcpifcdartai 
h Mam tdniTtalen'Beschlje’ • Oase AuMniigm bttäsgen eil 
■ml eres US de MjrBWaKlUW lAataEdCi Thrrenn.de sOi 
gagr. da AnsiM «nndet et it*N aut. bifl du UsMöien' ad du 
SoseM' n mtoüpfen fcm ru var mnrtt) un *Mn Begrfl du Wen- 
ictan «cn saium *MAstsr*n Gehal* a to* 21 ' Dam de Ka*- 


gxa dar Vasmuig fflio 
Herata mM m dlasar Aimanuog; 

Jchm-os h^tm«er (Hg). HWMftth der pSfcaeftatton Big«. 
Vptog-«-FrfrU«mi Harrfcro «5. 
rtftelo Iiaugn Kn»). A|ga-*Ms HnMtfnteti 0m p«*sc(M 
senen ttbseruct-atncM ha Uo*u ad OewWtM Werter Band 
a • Z (■ IBJOTJa) ad FOrfler Bad. S«*e(otnt (. 1432WB). Le«>- 
bg 1832 - 133S 2 . Wer at n dm FatsrdeJUcWildi: IrmM 
Ffomrom Vertag (OinMr Hsttbocg» Svtgert Bad Cana*t 1969. 
Wob-EdB D»*nei. fta'dt Actaonan Xtn lt«f ederd* Augen 
uM da &men*g. h. Cbeme Bdb« e H. Frthtl 0m M* Mm 
SU«vji»i-gA Didussinn der )ff. VSA WestcMi.l9ft.ro -8/ 
M Eisw*<fleifl*ta.) «v La Mxieta Oft»-, h» 73.19)4.29-3*) 


12 

auden 

hüben RAF^ctrftan 

h den Kfter Scfrttoi der RAF ur de huramweta FVoWemat» 
n*t ruta v> deutet) pris*i ■* r dm SJrfim ah um 72. Da 8e- 
scfietuig der gesabcredkMn VoiMt-essa We rrai nwtibctcn 
ArtHnge mde AJObJi sW*re RAF-T«da. 7,i Km Otmar* 
renaieiWf. «reno« Watatarend Audi ml tm Rardgugan-Omv 
ucag insJaiovSMB n d* üUtttQ ia Bahaoig <n A<d>eu Baa- 
MG 7? 1 inifle «hm da hifte IW an da KitWta Ihetrn tn Eft 
4M spUr «iia-ioo de RAF Ka rrrartm den ranratai Scfmwft- 
P*ai Mi St.denm<rC«»cgu>g ad s* de wfi araonuan adm* 


cfarrase anSers ab da Ul SeMen psslr. toteg 2 ' 8 - alardngs Ctna 
dauerttafw ad HntTtmO dndd» Konsagianaan daraus ru rXMn 
•GawB •* du PaTos (tenneben. ml dem s*fi de Sudsreinan da 
Kti Mai psycMat-n VeraMOn; (T) beauO gaocnlan raren. (M 
Mo MgOMOen (AUem I lOontu Art«, ml Alieni rt«A 
tmWK stala d* Vergbch nesdiai der Masso-aJtage der W-ZiA 
tuig hiai ad du« UassaMnöirtmerl ui Warm am greta V*- 
erttatt^ dr. (. .). «•* der GKta.sela du ifraUSanlia Sub|«*I ru 
sab - samt m ater Bm^aig au< «areusa «wOihm wi •. geguTOar 
der wsictitahen Gebe* dH WigeiWon Cento« ad de« s» Bo- 
grtrderden Prod«fns*a<Mb«M#i 9 xW 2 ' 9 0* tomnlsosa* 
FVoWemüh kam tot dar RAF «iebahi erst ab EftSe 1972 ruo voJen 
Ouchlnjch. «Mn der pretaunl* Audr «cn 1971/72 dudi des 
SdieMin d* itkCBauWe wöoitag sctMn 
K*n neeu nan MK duan Bn*n • «an ouJi nun aioi dem Ge- 
SiCtcsgaAl 0m Huoenomo-PrMtarcce - eCarW fc 7 “ ad creptaN 
der 0 M de Betehabxqiaos« zu irängkhcn ftrdguK*n- 
5*B*ga a '. Ei IW Iber n draem Zusemeftag • axti «an er es 
adtrai Ssela dsirfuus Ktir“ - möm AcM daß da «fetawan Van- 
ussKragan da/ir ru desao Zel^rAI arelaVn -van CO R*W KiP 
ac* 1 gtaö*noa8*i ue da RAF-Idtl tt UmErda 72 von ebam 
hunarulKhan Starrtu-Al ausgtfiiutS Ot a r tä TCKa fa rBtta SJute- 
ga MAftmtfch Ktl ertolgiUai wu ab da «mtoigahenSo. raig wti 
abo sah hör. M3 «tas tommktm ui du Fad dar huronaiafien 
idaebge de IrrAmta Arntys« 0» latratan SiuaJtn' (lenb) ad 
darr« du CrftridfH croi bassiru Sewga vatrasert Sansauen 
«rüde orfcUi (osiitart. «fl (Mai (Uensch) artrgen lam (s dun 
cttnS.lM). 


AmartunglS 

rum Vdururtmus du BaauSiacB 

Der VbAjitantmus Ort Beraftse** der RAF «arealst arm« nähr aJ 

LrtK» »V Mn •rroKTSHO.il H teet a freva «WOi alore IS fl). 

letf 2 * 4 • ad rrai »igird dessir tttB er - io WderepiuJi ra ir«- 
nvton D'UiafoOrg recdien Sm ad Barafllsaei - CeeSe (Ms Tal 
eis* hMWrAKtan TctabM s Suu irtan Aren 18) ab iSWach 
WIR : ^D*M U Kr UAics «teen du De*en da TcUkb da Re«fr- 
Ucn.^ Deiei aObamuane FroB6egb.MrnUil rMfun««.- 
schied**« Ftaafeartm (Mpw -MrascMtaefier ad wboder 
sdiarSOO. omdgtaM es Me üdia Om *lutte*»«en Warn mnsOi 
ata EiBKfAIV s*h Mm ‘oWdtMn SachriBJrrmerMrg der Taoa- 
cten* eubunreijen.^ 8 7 Bei Lddu ge« dasa Veigeieligng der M«M 
(da UdTdiage ab taraasensi™*; 5 ” sora* cbo t 
da RAF - Togeas U g*cM appuMut d opM ptt i 
Bros* uit da l*»aadi>;e* denn w rarettitaga« («tf auf» AbaOmi 
7*)l 2M 


Armartung II 

rum Yert*Ws «cn •Umtbebifcl-r FiaaJe’ 


Ul der Koiäünad Mir AMmen ui das Austasan llumferrAetai 
Flaue’ batarti da RAF. (MB au» (*»*>}*> Ra«5MCf*Vv*rf (ad 
kh «ifl irrti nsora« bei daran iri ArtCtnrossWtien abgwMien). 
da sab» nOits od* rrrrdast r«Ji -M ui de fiel* Megan . <0 ad 
m\ m rarmes GMitt uns Here tattnoan DamUadacOfHtaaVib- 
lirg dar AAlcnen de» RAF «rtai den gegebenen Bidngrgm ruatam 
Wrurresolrtaiir. Dem sie beerelB« Zi/raMrM« M »mm abehta- 
dgenten Zustand rJrftti ra— « Htmn bei n*fl erftröeWni Wbei- 
wnO Daraus eig<l s«ti reagsilig da -eure Frage, cb da gl» 
Chen Mm itnlrta Alicnm. ergmn« n tm an»» anctgsd* 
KaoretnWo .d MnU e^n «■)«”" «> enM>« «WUe. Uo» 
Ibö cmn *«M(»n (Ctasfa' Ehe* ifrrfa^ Dasraekhntft 
so genau Aioi »ah ru deeei Freje. MCon ach *dere Uuie sew 
GodrA*i gern*« (S. Bodi« Gfossln^n 1991. 24 1 Sp UI*-27 
8Sp.Utt.29i Sp Mca-roi.SpcMn.33i.Sp Uca-JilSp uv 
tan). 


Anmaikaig 19 

ru den Intaman Dftarenrm rotscan den LamproraB-lhacracbam 
0* l-lirprecccn d* ErtsUMng «cn (retakinnlrara) WssserMmi«*- 
sen (. de Kössa Ms Suttatl) ab UirpmraO -irta bohar an *Mfr 
»an «cn Uktvael Vesiei ausgsaitarei. so «fl m Om Haurterugst«« 
Ui da talgend*« Austtnagen «. Kl Cra BUsus «ftd ra heaccnkh 
r*w Dtfäö 8 


w Beim» Genotttmtn 1991 . 26 

2*8 Htfloeotai 1955 {«4-llenal . Arm d. Vert 

2*9 Kwg 18321)81. 377. 

270 »c*-«««.. 10*S. (C* 

271 A'^l*3Z'»>.3r7. 

772 Krag 183M8a. 377 
27310^ 19330». 422 

274 ThavaMl 1974. 81. 

275 $ RAF 1970. t-rnrn R>F 1971. Il.isp. 12. KolcAav RAF 1971. 

paswo 

278 S bie- nm RaWmBmuuScrnttirrcAalsms RAF 1971. 11 1; 
RAF (April 1972« 23 ebene« ak RAF (7*x 1 1972B. 3B. 

277 RAF 1970 


275 RAF 1971.8 

279 RAF 1971.8 - Am d. Verl 

no fee, 1010. MB. Mi I . »70. t ft. Oo 

2aiB*h19M.267.l$p u0en.!ffi.l Sp 

282 B^hlSTO. 2*81 

283 RW> 11«. 270.1 »Oben 

284 Stodra-i Jenas 1971,45 

285 Daro-anEntrOgge 1978. IU 

286 NBTrtr 1979. 57 

287 DarorraviEntnigge 19^. 10. 
2MSlednanJxos 1971.43 

209 Slednan Jxas 1971. 44 • Kemrh. (0. 



181 


Da» a « ngun ce-o" Craa Gw d«n UeM« vewt remn. »« 
Mn 'MteDM***n BeaBaefie- «ntpröi* • r««MH d*n 
•flUschm' CI'»*1K dB StqMBAMig ru Mafii" • g» 
|«M w *6'>n Cat» ffO»l Gei aiBMvgt WgHMs 

i Cr. n«. — i Go»* »#«* cm. de-*- <us Uttyorn« 

V 2 »«^- .bWOV^' MdBttt Ittji no» yoL Dom ■** 0* Tr*» 
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nltna noÄToi du fowwuig 0« Kirne o> «ti bö Kt tdi 1 " 2 
CM •ZjMW MtiraiMiBl VrTttoBim WeeMetfOt»»* - dm 
rü.im «d O*o ram a-dtru M dt ’eg.Hae tsl Oh 
M «i «fi OH voom 0 »«!£* Sit da Gesehen» tf> 0*Oa*p 210 
20wtaUmivonU Vwai <rjir to?-e m IcAgeöm ra U*?* 
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Wrtnto Wöde -von GW DJ Fht« truwn • Stor*«mBi t+ 

rotl r= - von l>«* Go* gatrMnr' 4 AMpmgipsM rni Voiwi «j- 

Mi hituM- 

kr itojoi aud von lw*n da dr* »ogj'.rr'm Ahorn ent CMn» 
un Ott Begritm Utrvtw.8 WW. gmdi*»«* Omv, Oß te de 
txfxhmSthtn ptog^cMo »>Wa«i von lenpiormten b- 
6oam Beosi «orig Mg«vn M. 6* Cfeoveguig datu S^lh 
** dB »Myyjvta n Oo»uaor ml (taiWW» 03* »WT> tato 
rach to* «Wo Prorau« 


Armafeng l* 

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CM DotrUcn Oe KOiurteg-Hi Mff EP Iharpsen iS bfcrtan 
idv (ajtyattM irö hjnmalBOv 26 TWk *3iu» «««MM eh en h 
BonOat ftiincRMn. du mm Rota von EiegiMen vkmI <u n 
du E/Ufuirg bö rt Be-uffceh m^oiftirtij Bö te tatO* rutaiv 
notaHM uonv (-) «n Mrado. idmt Meta ah ua 
SJrviÖB CrfH 511 *» .re KaUgjl*. mdon nh tf-M au «fl Ul- 
fe Kemctan n tit n Ber4huig«i ataimt (_|. Er* KUim km»« 

uh. -hk Uuat h tn B/gnrt tuhtnumt ttUtounpo ( | <U 

OutaM tnt rtiiaiMn «npenöM in) »nlkuMr«n wO ?-a Kochl 
jftrardu tu axh gtgat arDn. daan hnoutn von tum va- 
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Anmatungl? 

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Vmv MirV ottt RaffOtn^jiA na»n b «ti von Kt?»> ’Mf 
TanaUW tatraro m l*««n otgima. Erg. ö Vb 1.|. *» MJv ► 
r*m ,.;mm Wo otoxoTevi itnamam. deum IWO3W Ea 
uj&tui Jjt dH »xn-W 8»Mg aj dm PiMJJoranBil «n(» 
Ivn ln -tn-Bd 4* ruh <Mtn) d* <M Uoiduii ubd vofenhm, 
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dm VMM Mardr^» new. srtw tfant e«»ufiM»4H<mm aU 
cO*f ‘«»Uiiuwt O.1O1 di» SfS»m löigiilcMi 
’.VAK-Xr.j- 0 -' jufCd« vfttan Was VMu t* wob VrdiOqms 
0« »cnunBi 6<rM/»wms ginjvn) ** 0« v«m tm »iioour. Kai- 
oth! is da» Spcf&M «r. W«0«>m 04M »kJ r*-!öi p« «c 
am»n Un WaJBjOullm <n CB FirMon »m BSmm 
Ott pi*g-aCflcfa An»M -aneol n dB FirüOn dB «BBm dw Ei 
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H» UHCfi ■B0mr X0 *M »Vn 


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213 S. Oiai d« Kitk t* ScMPB I3öt>. 12. 19. »Wim •>*»» 
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En Tal dm Zftilt» Bl - o M*ai mdiiB iOBWJing • um C« Xto 
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B»m S«*j>m du G*«*' vmnlBf 0* goru» GeduM.’ ertul 
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■OM’Mf.-tUujtt; «S*® Br (Mgaiuu Bi m*i uO*i '-i’a'WOj 

Midi «JWw d* ZauiMUl M< mrusadm K1I19« dm Wö*- 
a 3M fPid** «* WöBsnxfa ita do WdBiidaHi- 
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von IkWi 31 1 gm ABuhb nd» «n au» -vornuu-, Ko»Tt %oi dm 
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AduiSB ndt t*>3 Atndua ••>!» K^ldvm gmdKMidim 
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*Jg-jü dium Q-n dH gdtgsödi utKöna ABumb 

I*tm «Bgmö um KiMt m de Dre. M»B K4- 

Imuio w Gmdtcfie W •Pioirtdr* «« 

MimiSod* EUMdi QCOTtam| dB SlWui |it>« d* Svfrd»] bi 
bubBöoMM. ravttge«4»m -«dm Ob» ABum» v*nm da Hi- 
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Md Kien -Mo nvoidm gm.h cfBödw dH 

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S lniäm OiMB ß*d&öu"$m •*W*»0'g» FmMgwig du Bö- 
MMtn NmdKm oatattB. dh dh DBBrmannj dm Mdvd^ 
uir* B h den Miß* wöaucridita. ts 0« 9«*lsdLiOdim Vb- 
nMnat* Uö- 3 ’ 6 C*Uab nitur VtiMBungBriracta n4N vo»a 
U fBddi von aAm m de VcdiMua« hCBgdm^n -BdBiOU kl 
dB Ti gK« m i*o Mt ABijwn IMom dm Wwiawf.» an 
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BÖ o*n» GöuZ^(o J . »n 19721 h: 89 • 9*. 

1*9* , 

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U» ficaBto«. Mmgal er Se. i UM« *h Uc«. 

Fcaa-VBhg-GMBm. 1984 

F«»i SfMU. \Oirzrt Mdm f .ÖB B*ktX&l)g’ (0251. n Lou* 
ABitWM. EteTtBW dH SUiWt VSA-VBbg. WtSMrtn 197S. 7 - 


Aimertung 11 

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tarn Ususattirv i) Se i-Bl -m *<*' ftajaeta 0« V*mnjl- 
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Kti.nM m ft-mJfm Rantal •»^Jiei <n itb um uotb- 

kW dh C*BO*<UiarenKaw«umd«»UKu-Bh BnOtVoVa* 
Iro fW77t» dü! Mt d»t AuMBuig dB MBrmit -Ol ütirOu 


»3 taVwn cl U. 1 178. 2f! 

»*er»CMnrn*Ul 1973.279 

N6Hb)»I1W}.4S 

3» Kau 1979. 111 • HtKdv d Ved 

Stil Care-jviEntiuJ^ W8. 12. 1*4: KllliVBWO 1978. 197. 

3CflS (barSchnd 1M0.49SI 

301 RoMrteU 1». 17. 

SIOAkSiüB 1972. 49. EN 12 
3l1V(lmn 19150,3181 

3l?BGKMrvm«al 1978. ». Kn« 19^ 1*9 V(J AClßlO 196) 

137 187 vföttfiired. 1973. 21 

SIJ SAtBW 1*2.63 

St* KBU 19?e 161 

3ISS A«tu»»B0 J 

316SOCÖI !»3 *9* - Htfvo*- C V«1. 

317 ‘ty Balten»*. 6». 

319 0 VbI 1321J. 2. l*OB Md ojOi htW • vre Mt retKfitdtnm 
BdH o' iCetMlcmgm voi Amui.it Irnnr. • nft MacWrt (MB 
AfnurMi da» VW ToaUT -ui «an .ii»ind« -er utiP *40* 
von tu. btA«M JiitauBi; t*nM »n RKuroi iiro- egoun AB- 
la’.ui d*t gmetovBietai ZuunreHungs varaanM * di^i^r 
0*1 Bur* Mi timten' Vf sota* 1975 17. 19 


.4 von dm Wr*nmi Bö miimKm fon-m K*ai /tBUtuig’ 
IABumb 1 972. FN 32. S 61 1 - Wt" d VbI ) 

ArfTertung» 

tut 

HrgK gK« vcn «ob uutr jvjkhm Erte« au*. 0* 1B1 0 ftv* eö»i- 
iduOiBö* Tta. da d« Urnen *1 Ztl** Mdm. wnu »1 0 *w 
tuB ErSiKnAnj 0c« de Eftat ou BArdcm t* tatet HSg» 
entarrroMn de Enlet n mmtBdn ZuSBö ScttrOeti MB m 
des« tn EiP-möuvg CNeganui) tttO* aJ. Uful ra mtfinfehm 
Erte« leitet, de * dxfi tre EnMl Mnn*i CBijg et toeOiol 
dBOi tu» N*gii0i. tu» Eramwrg den a* NegsMh no- 
dBOi ' 3 *‘ Daiu* mgt* »Oi fl H»|Bt OuKU» WgouUt milaOim 
Scrama utcuCngoe trf« • n n» S*im .nu «do 

*.*»* |rnn«M»^| • IlMBontfeg- gegKI nt wti lerwrn Co 
M4 (Sinfeul 323 84*0* W dB WtA» —B (Ut SBBÖ. ABU du 
Gm. wa*< -uöm Sem bö SMn g»gBüceig«Mii. Mt Heja 
«ntt« •» ra SycKew kt MtiBBi M»«u (HBaJiir»gmgl D» 
SUB «d ah -WmlOAK dB MrtOun M«e‘ MecMM 1Z 1 
Uantur ipoejioJ u dtaMf Anrerking: 

loic ABKBtw. WöBtenO» BÖ (0nöo«mr>Birg tc.-mjr/c 
Oi «re UrCettOiing n den . KVUyi. S-JirtarpVatttg Fttrtljl 
«n Man. 1963. 52 99 flrx CTgruBegaM. Uasero (Paia?l 1946) 

Q Birn An*» •UKUUt SÄflüf. n AMcMn Rtei I Kodnm 
GiindB «Ho >. MPVUOMI HWeiptd dt' R«te«ta Bmd 6. w*- 
teochiHd-t IWigwftvfiKl I lOruM l Co. DvnaUABaM. 
1384. So. IS* -192 


AmMfk9ng21 

du GmcMchl» uiö l»r(»oafl bK 341 b Groll 
GW 1970. *16 Wut«. VO* Eicsuiing oob KUue bö voi Kos- 
tHeemAtem' Uiö» *m (k/*(7)von lern- Bö Erfitargwom- 
ten'IHBtodi .Arm d vm ) 011 Kei 0U1 «n 4. Fuo«. <D G1M1 
«n Gejcnntj ni Vasa «IhJii na aren McrnMn TÄ»we6 ol 
dm Gesehen» ah LempoCTa MOaNH. Om kam iöb MgNCMM- 
Mi nidm. da dam GW ml tcren AraaU ga r«M t atUlien . vr- 
dMi illuUi aigmcna-m niid. Saß KUitorMwAmr aut Imv 
(•OteuHi Btamt «in rlt» teöen DKnttn dm ßegrtl« 
•|.Bre<0t«e’ irtn* Wen vorrngjonwen (da Pio/Bt«. de 

•JiwrM-.ft.vm Mwi« M*n)eilBT»)W«05BiBW| DühBind 

da Khttm Bd ICaaBte-iAien n dB T* Vn lk»r dB Go- 
eh<7M Blatten «riß Mb an^mnen «bObi. daß GW »Mn 10 

•M Vmet -i>* OmueMC na L—ntcu.0 cmejivrt 

ArmB»ung22 

ran Ucö*o dB mjumunn KauianM fAuKkuckhmii» 
k*. fütmm dm ta^ttöiBi rtttmum «j.iuUiiiv»-iiW»mim 
«oObi Be Elaro-te dm Gmrai ah bk-ist 'K,vtvX Om leuUk 
Bö am ah partnU Mbbuiq um Vi'.io-i- Mgrilm 33 Dtmet 
Arttouuig 5>5Mi-:i>*i umi du ™»naHo SnAlirao KiuiiHhi 
mvtt&o «1 dB Waijmwai te« «mn Aruttm At- 
tunng mim»! de vBieholmm :Mnm dB GeWKcMi ah .-Kal* 
nlo-an MOaJuK wsden. oe tuen töi also mit *4tmtO* 1» 
dir ei 01 Br«, r m-i AuidBtiV.ivSino rmtavlBiamn Vafae/ 
rat) ««eit de s pazfoch* FrMirs-m« da BöBahedWen go 
»•BcMfiwer. Bmi jMitiWi radon .«n dt Uiaäen Obbi 


323 


EMU. «Un« -BdBi i*n ' 


AmMrtang23 

Dil NutOMljAM det LnnrorKVlcMmit 

CB>e>*Mvr->rt o cun Vraw — (ivto unx he Vd 6-40 drAm 

öxiirn 0(4210 de rOVgi rnttawlaMctie NvAPov«W* dem tmv 
cronft-Sdimiai ivgoMn »A D« ?A«JS «" toKfte uö Ergig«- 
mBt v*UI n »öi r-U-J P'l «SutfnJdAh ( | Ußed»*}» »>öbi 
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182 


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ZEITUNG ANTIRASSISTISCHER GRUPPEN 


Schwerpunkte 

Ni. 6 Gleiche Recht« für alle 

Nr. 7 Rassismus und Medien 

Nr. 8 Abschiebung und Ausweisung 

Nr 9 ..Bleibirecht für Verlragsarbeiierlnnen 

Nr. 10 12/94) Rassismus und Medien 

nusdemlnhoH oonNr.9HHH^H 

• A. Sivanandan: Statewatching 

* Neu* Wache: Eine Terhöhnung 

aller Cpfer des deutschen Faschismus 
9 -Warn die Arbeit cetan ist ...- 

Über neue Formen der Vertragsarbeit 


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32? 14*31920. 220 
328 S.bip.lar«i 1919.4121 
323 U. 1919.424 
JMLAkjiraj.?« 

331 lar« 1919.410 

332 luUcs 1920.228- »Wioft. d. VW 

333 IW 191». «4 


UaranxvarracMa (Wn UUrSirtämraOa m dan «rarartun- hstnann 19« OaM Hskram IKm ob SaKUpa Im Kat dn 
9*")-' laJroQolari Graal. tftftg Sdi-aTl Riot [Wesjarfn. IM 3 


I.TtxItionuvJnvRAF 

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*t«n B Bau« in) S»w. irt dai dauwnai Sonaswa ai ulen 
vantfuMnan Pi^ntW (10*S«). h: MtW 3 (156V). 9 • S33 
MtW: Kai Uarr I Fd*9tn Engaii. Wa.hno «nhNUlürMadi- 
irui-UrBWwa ba«n ZK da SO. Oau-Valag BafciOCfl. Bl 1 * 
(«n Ua»W\«fa«niii zt ix Bad Jafr ird AAje) 


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Amin« 19*7: den . FfttoW» ud sota* FTHiWu da Ws- 
j*ritf*tia(1K7) (Sttirflan * »j ven PNa SchMta ud Fdada 
0» WoH. Arguirart-Vafcj (Wajsaln. 19«. 1 1 • 150. 

MHuwa 191 vra da«. Ototf* ud tiax&tf* Smim«**i 
( inrerUgan Kr aft* IWaiunug) (1963(70). ft Aihutur 1977. 
105-1SJ 

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KraJVadnrN 1971: Srafw Knc / B^e Veftod. fr**fura S<r-M 
(•Omo udMiwM). ft Kfttra» igr». iss • TOT 
Udo» 1978: KaWaru ladau fianac. M» ud Rccftat-jnt. 
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fcfcg«. Ober ABituai VotjH ai« amanOalran HM»*ri«ru- 
im da nremote!«' I»«re (SJifteneOe nj Fng« 0« 
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vor FnuarrBfeMax K MOZ 6-71». 37 • 40 
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ft Thar» 1B2. 5 • 93 

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CWdal7r*»WriU*<n«t«.Vc4 -4M *6. Ow. 19®. 202-211. 

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Z* ifsiemalHnar DtxHennj Os SatoOiwSynJcns. ft MOZ 
&nC63(Aug).® -63 


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SlaNnan Mai 1977: dan. -»UBorWraOlen- td« KCn- 
mao’TZu'Kf* new* Tiarts r da Smi«»iii-«'ra da Tttsar. 
tt Stalran Jena 1»». 6176 1« CtenUnrg >erv Om Egvu- 
ar iwius Soo' Corftd. * &tgu d flaca» Irans ft SooU Uiery 
o( Tatar.', ft Hstry HWftmp. k. 4. 1977 1« - 170) 

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W»i Jxei i»». IM ■ 236 (nwx ft tft« »özaar lamnj 
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Stadion Jmti 15«. 133 • 22» (d. Clbautfurg vor Stadion Aro» 
SaftrAng Olatan ft SiWnai Arat 19S3:. W • 178) 
S1*an«iJon*a19tt:dtn.»dc0*»aft S)edwrJcrr»«11«e.1- 

24 

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Watarg Chll Mefor/ 1632-19®. ^Tbrrjge. 19®. 

Slaknan Jcnai 156*4: dan. ft fft« Sdtfc«. ftfawamf Gaiadi 
Satan Anei. ft Ste*roi Jotas 1 986b. 277 • 31 7. 

S*e»nai Joo. i56»d«l. A3tm PoU> ird Und* FürPao- 
raoartaii* S;.-ng*id\<nn «jg von Per« Scnjfta. WaeUfcthw 
mrdWft UCftda 1568 

St«*nai Jena* N aL 1977: das N N. . ftenem Uinsn * Crtcd 
fteaO* Edled b Nt. 1*8 Rtvit.. AB: lentai 1977. 


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TTartcm 197971: 0<r*n TTaHnr. 77a Forti* ScnxV(137ty71). ft 

Oa-aft Stadion An« « d. 1977. ü - 139. 

Hall 1961: Staat Kit ft Ofttota d r7*&y. ft R«niN SaixH (ad) 
P«e*»j Tfetarad Sraato TT*»*-. Bartedgo 8 Kegn P*A Untax 
1581.378-S6& 

JoTraco 1976: ROwd Aftaon. E-eoO TToTwcft. fujan# Ganrn- 
sa ud KuafcowAnunrawen# GaWiaWHcftrnftrg. ft Du */■ 
Suna». VU. 119. Jai/Fab 1163. 19 • *9 (gaUro# Übauwrg m« 
Hitay htaWop A Auma! ei Stoafci Hscriaw. ttiue 6. 1978. 79 • 
ICO) 

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nxa dafcdart. ft Aft*a.ui«rBwr 1979b. 7 - *0. 
AJivMalKaCacnaua 1979b Om. Hj ). Dai Sna dibnaai. Kairo- 
•«san ttar efte Thai« mv\ lotB Ufuuar. Volg iiBat* ud Ktnv 
rvto (Wntbtrlft. 1979. 

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Kf*x 1977. 



184 


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Uaran 1999: SWan IWi AMMWaWi» m> )f*A^v Ex 
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Kr Sof « MatficWa m) A/t— f*K «" 

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1*7. 

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ScfHCaW*?»» 1991: dan f CaSan W»ji«». t*> SUM m 0 dt 
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9 OW-VariWaTfcnir^an 

Bari. H78: *l«*n Runrd Bw*. Söi-irt 'Hm/aoBii-. n 
Kta«9P< 1976. 517 - 519 

AbisSm 1975 Gang KOu 7 Uirtred &f. (Mg' fW»<vf»ffcs 
HCrtrOxB dm) 1 m) 7 'nöj Om «rwioW OxP Woc»dn 
i»7' 2 «flOdMiwa«- 1 rere ib?« 

ScMfidar 1976: WWred 5<ndda>. SJOr-W ’necnrof. n 
6»rXöa 1976. 571- 573 

latn 1978: KarM ZaWv l* KoVMiuy Om FtoHtmiU IB 
Ktiua anMuuMTimnj J*< dm Ladngar Pimurtal .Jfrm) 
Ob MBttMm HrvnAan ;9rrtw<oW dct larüilratM Kr Ga- 
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Virt^ BwmCOR 1978 


PERSPEKTIVEN 

ZEITSCHRIFT FÜR SOZIALISTISCHE THEORIE 


Nr. 9: Rassismus - Sexismus 

Inhalt: Herrsche ftsveftiMnisse, Schwarzer Feminismus. Frauen- und Arbeiterbewegung. Gen- 
technotogie. Lege lombarda, Aktuelle Debatten. 

Beitrage von: Deboran K. King, Sancntta Basu. Altert Scharenberg, FrauenkoOekUv, Miciiaii 
Nelken, Oliver Schmk*ke, u.a. 

Nr.8: Gewendete Rechte? 

Inhalt: Heirschattsverhaitnisse m Faschismus. Modernisierung und Reehtiextremismus. ‘neu- 
rechte* Frauenbkjer, REPs. Mulükult, u.a. 

Beiträge von: Albert Scharenbrrg, Volker Finthammer/Jörg Neumann. SaDine am Orde, Urte 
Sperling. Claudia Bemdts/Niets Petrmg. u.a. 

Nr 4 : Feminismus - Marxismus (2. Auflage) 

Inhalt: Diskussion der Konzepte soöaJiatischer Femnistlnnen. des Bielefelder Ansatzes und 
orthodox-marxistischer Analysen. 

Beitrüge vom: Redakttonskölektlr. von Frigga Haug, Uhe Sperling, Sünne Ancersen. u.a. 

Sonderheft 1: Antonio Gramscl (3. Auflage) 

Inhalt: Einführung, Hegemonie, Partei, InteUekluelle. Al tags verstand. Feminamus. Amettonlsmus 
und Ford Ismus. 

Beitrüge von: Frank Deppe. Albert Scharenberg/Ralf Tatilt, Wieland Elfferdlng. Ralf Fscher/Volker 
Finthamme’. u.a. •. 

Sonderheft 2: Walter Benjamin 

Inhalt: Moderne und Krit* der Postmodeme. Geschichtsphilosophie, Technidoitik. MassenkuBur. 
Politik. Spracht hecrle. 

Beitrüge von: Michael LOwy. Sibine Kehr. Albert Scharenberg. Walter Busch, Herbert Claas, 
Oliver Schnkltke, u.a. 

Sonderheft 3: Malcolm X 

Inhalt: We war Malcolm X? Ist er veraltet? Hip Hop, Malcolm goes Hollywood. Black Panther Party, 
Biographie, Übersetzungen. 

Bettrüge von: Albert Scharenberg. Und« Bumham. Diedrich Diederlchsen. Redaktion. Carl 
Wechsel beg, Jörg Neumann. 


Alle Hefte jeweils 68-80 Seiten, je 6 DM plus Porto 



185 


VIII. Antiimperialistische Kritiken an der neuen Politik 

für den aufbau einer neuen internationalistischen front, von der die in Westeuropa ein teil ist." 

Rolf Heißler, Brief vom Jan. 1993 

"Der Anarchismus war nicht selten eine Art Strafe für die opportunistischen Sünden der Arlxitcrbewegung. (...) 
Grundsätze und Ziele sind zwei verschiedene Dinge. In Bezug auf die Ziele können auch die Anarchisten mit uns 
übereinstimmen, (...)." 

Lenin, Werke, Bd. 31, 17 und Bd. 32, 492 

1. Nathalie Mdnigon, Gefangene aus der AD, Brief vom 14.06.1992 

2. Joelle Aubron, Gefangene aus der AD, Brief vom 12.06.1992 

3. Christian Klar, KON KREY -Leserbrief und Prozeßerklärung (Herbst 1992) 

- Dokumentation: Karl-Heinz Dell wo, Erklärung vom Nov. 1992 

4. Rolf Heißler, Brief vom Jan. 1993 mit Kritik an der Erklärung von Karl-Heinz Dellwo 

5. Heidi Schulz, Auszug aus einem Brief vom Jan. 1993 mit Kritik an der Erklärung von Karl-Heinz 
Dellwo 



186 


Joe Ile Aubron 

Brief vom 12. Juni 1992 

bist du in der läge, dir einen begriff da- 
von zu machen, wie mein gcmütszasiand 
nach der erklärung der raf und der dis- 
kussion. die anfängt, war? ich weiss es 
nicht, du mußt cs mir sagen und viel- 
leicht bin ich zu schnell, jcan-marc 
(rouillan.anm.d.ü.) sagt, daß ich immer 
zu viel auf einmal sagen will, und übri- 
gens. weil ich nicht den raum habe, mich 
auszulassen, rede ich verkürzt, aber ei- 
gentlich ist es eine "rcaktion mit ncch er- 
hitztem gemüt"; welches sind heute die 
wichtigen achsen. 

in interim habe ich einen text gefunden 
und übersetzt, der "von einer revolutionä- 
ren Strömung" unterschrieben ist und 
wenn da auch die kritik an der interna- 
tionalen analyse der raf-erklärung fehlt - 
oder vielmehr die kritik an dem fehlen 

dieser analyse. linde ich den rcst der 
formulierten kritik berechtigt, 
ich weiss, daß cva einen brief an die 
trauen in hamborg geschickt hat.(l) ich 
hoffe, daß ich ihn bald habe, denn ich 
erwarte viel davon - genau, wie cra das 
an jean-marc geschrieben hat, um "...die 

Konfrontation zu klären.... wie im nllgc 
meinen für die kontinuität des politischen 
Prozesses hier und in Westeuropa.“ 
selbst wenn ich inzwischen die ganze cr- 
klärung kenne, so ändert das nichts an 
meiner kritik. was ich unterstreichen will: 
wie auch immer mein ärger über den po- 
litischen inhalt ist. ich denke, daß die 
"Waffenruhe” von der revolutionären bc- 
wegung in der brd als arbeitsmöglichkeit 
begriffen werden kann, 
und jetzt folge ich also der auseinander- 
set/ung mit grossem intcrcssc. natürlich 
bin ich auch beunruhigt, weil die erklä- 
ning durch ihre verworrenheil gefahr 
läuft, anlaß zu sterilen abrcchnungen zu 
geben, wie in der letzten nummer von in- 
terim (nr. 195). da ist ein text, der, so 
weit ich ihn verstehe, mir überhaupt 
nicht gefällt, die alten geschichtca mit 
der kritik der gefangenen aus der grapo, 
eine sogenannte kommunistische, hri- 
gade. die. das weiß ich von woandcrshcr. 
sich in einem anderen text auf frederic 
oriach bezieht, ein französischer militan- 
ter. der auch intelligente Sachen zu sagen 
hat, wenn er nicht gerade davon besessen 
ist. über uns hcrzuzichcn. aber gut. das. 
ich bin fatalistisch, gehört zu den risiken 
einer diskussion. 

sobald ich mit meiner post weiterge- 
kommen bin, will ich den text überset- 
zen. der in der taz veröffentlicht wurde 
und der an die erklärung anknüpft, über 
die wir bei deinem besuch gesprochen 
haben: vor allem zitate aus alten raf-tex- 


tcn. das alles, um dir zu sagen, daß ich 
sehr aufmerksam verfolge, wie die dis- 
kussion läuft; 

übrigens hat jcan-marc vorgcschlagcn, 
eine broschüre in französisch mit 
zwangsläufig nicht zu vielen exemplaren 
zu machen, wie immer gibt cs das Pro- 
blem. wer von 'uns' daran interessiert ist. 
das zu machen und innerhalb einer nicht 
zu langen zeit, ich werde "überall" die 
frage stellen, aber ich glaube, daß es 
wichtig ist, daß die französischen mili- 
tanten, die daran interessiert sind, sich 
eine Vorstellung von dieser diskussion 
machen können. 

selbst wenn ich den text über den kampf 
der hafenstrasse (2) sehr interessant fand, 
denke ich, daß du dancbenlicgst, was 
meinen gebrauch des begriffs "politische 
lösung" angcht. ich beziehe mich auf die 
italienische begriffsbestimmnng. da ist 
"politische lösung" eine Version des ita- 
lienischen Staates und einiger gefangener, 
die abgeschworen haben, um die frage 
der politischen gefangenen zu "lösen", 
und darüber hinaus die gucrilla aus der 
politischen landschaft italiens zu entfer- 
nen. d.h. «ährend die gefangenen geisein 
des Staates sind, ausgehend von dem ni- 
vcau der politisch-gesellschaftlichen 
konfrontation, deren fortgeschrittenster 
ausdruck auf dem terrain des revolutionä- 
ren krieges die gucrilla ist, löst die Ver- 
handlung mit dem Staat diesen Zusam- 
menhang auf. verkauft die gucrilla. und 
hilft damit bei der befriedung der impe- 
rialistischen Zentren und damit erzeugt 
das auch den mangel an radikalen poli- 
nsch-soziaten Perspektiven, «ährend die 
härte des klassenkampfs immer gewalt- 
samer diese Zentren durchqueit. 
natürlich ist aus verschiedenen gründen, 
unter anderem, weil- die raf nicht für sich 
beansprucht, avantgardc zu sein, die Ver- 
handlung mit dem Staat wegen der frei- 
lassung der gefangenen m der brd nicht 
zu vergleichen mit der italienischen bc- 
dcutung der "politischen lösung". aber ob 
die raf für sich beansprucht, avantgardc 
zu sein oJcr nicht, ändert nicht viel 
daran, daß sie 20 jahre lang das höchste 
niveau der konfrontation mit dem Staat 
bedeute« lia. und die bedeuiung also, die 
die "deeskalation“ in dem Zusammen- 
hang haben kann, wo das krüfieverhältnis 
günstig für die bourgcoisic ist. wo letzte- 
re gleichzeitig eine politische herr- 
schaftskrise erlebt, egal übrigens wie 
schwach das revolutionäre lager ist. 
gut. aber eigentlich sehe ich cs so, daß cs 
nicht sehr interessant ist. darüber lange 
zu diskutieren, ich gehe davon aus, daß 
die Waffenruhe existiert, daß sic den Pro- 
blemen entspricht, die sich angesichts der 
Schwierigkeit von Perspektiven heute 


stellen, und daß man also damit (der Waf- 
fenruhe) arbeiten muss, 
einesteils: gibi es das probte m der gefan- 
genen und also die mehr oder weniger 
unvermeidlichen versuche von seiten des 
Staates, "die spreu vom weizen zu tren- 
nen". das. was er mit den prozessen auf 
der grundlage von aussagen der ausstei- 
ger aus der ehemaligen tldr machen will, 
gleichzeitig will er versuchen, die 
"spreu" zu normalisieren Uber haflbedin- 
gungen, die von der negation des politi- 
schen gekennzeichnet sind, was er bis 
heute aufgrund des Widerstandes und des 
Zusammenhangs der gifangenen nicht 
vollenden konnte, aber auch aufgrund 
seiner eigenen Widersprüche, wo er im- 
mer den ausnahmezustand der konfronta- 
tion verwalten mußte - also die sonder- 
haftbedingungen.... all das ist also der 
job dar mobilisierung für die freilassung 
aller und die frage, wie man mit der 
staatlichen linken (grüne etc.) umgeht, 
auf der anderen seite gibt es das problcm, 
daß die revolutionäre bewegung ziemlich 
solide sein muss, um nicht das kind mit 
dem bade auszuschütten (ein französi- 
scher ausdruck. der bedeutet, daß man 
unter dem vorwand. falsche Orientierun- 
gen infrage zu stellen, vergißt, die schrit- 
te, die gemacht wurden, zu bewahren), 
das würde in diesem fall im Zusammen- 
hang damit stehen, daß das erbe der 
kämpfe und erfahrungen, die irrtümer 
aber auch die schritte, de gemacht wur- 
den, gering geschätzt wird, während ge- 
nau aus diesem erbe die neue revolutio- 
näre qualität entsteht und entstehen wird, 
die ist noch embryonal, aber trotzdem 
objektiv und subjektiv radikale kritik der 
alten revolutionären bewegung, die mit 
dem revisionismus zusammengebrochen 
isL 

ich weiß nicht, ob es mir gelingen wird, 
in diesem brief wirklich auf alles zu ant- 
worten, was der text Uber die internatio- 
nale Situation an gedanlen hei mir aus- 
löst, and die diskussion um diese Verän- 
derungen. meine gcfühle und gedanken 
sind gemischt beim lesen dieses briefs, 
manchmal bin ich vollkommen einver- 
standen damit, ein anderes mal nicht, und 
ich will vor allem dahin kommen, einen 
guten anfang zu finden, vielleicht ist es 
das. daß ich dir sage, was ich unter dieser 
neuen noch embryonalen qualität verste- 
he.(3) 

denn die politik des bewaffneten kampfs 
in der, Zentren hat sich zum teil als kritik 
der alten sclicmaia des revolutionären 
Prozesses konstituiert, deswegen trugen 
diese politische Strategie und das neue in- 
ternationale Verhältnis nach den Stempel 
der allen Schemata, so waren insbesonde- 
re die kämpfenden Organisationen, die in 
den imperialistischen Zentren aktiv wa- 



187 


ren, objektiv - aber auch subjektiv - in 
die "Zwangsjacke“ der 

osi/wesikonfrontation eingezwängt, 
die stärke der subjektiven prägung hängt 
auch von der des revislonismus in jedem 
land ab. so habe ich den eindruck. daß in 
den ländern, wo der revisionismus in der 
arbcitcrklassc ziemlich cingepflanzt ist 
(wie Italien oder frankreich im gegensatz 
zur brd und der integration der arbeiterk- 
lasse in das sozialdemokratische modell, 
das dort vorherrscht) die revolutionäre 
Politik gezwungen war, mehr abstand 
von den alten Schemata des prozesses zu 
nehmen, dieses alte Schema ist das, was 
in dem brief beschrieben wird mit "die 
offensive aller möglichen befreiungskräf- 
te in eine strategische offensive gegen 
das imperialistische System insgesamt 
einmündete, das. seiner Zentralpotenz be- 
raubt. dem würde nicht standhalten kön- 
nen.” 

aufpassen, ich will nicht sagen, daß diese 
konzeption total fehlte und deshalb spre- 
che ich von der Zwangsjacke der ost/ 
west-konfrontation. aber genau von die- 
sem ausgangspunkt aus. der Zwangsjacke 
also, sehe ich den zusammenbrach des 
sowjetischen blocks als positiv an, denn 
er "macht frei" von dem "weltweiten po- 
litischen koordinatenkreuz”. und das ge- 
nau in einem moment. wo in dem für sie 
günstigen kräfteverhältnis. das die bour- 
geoisie errungen hat. der bruch zwischen 
den nutznicsscm dss Systems und den 
ausgegrenzten quer durch die ganze weit 
geht, auf der einen seite ist es die integra- 
tion der abhängigen bourgeoisien in die 
imperialistische -bourgeoisie (es fehlt 
nicht an bcispielen dafür, wie die anwen- 
dung der iwf-pläne. der gollkrieg, der 
von der uno gedeckt wird, nicht nur von 
den 5 ständigen mitglicdem des Sicher- 
heitsrates. sondern von allen, ausge- 
nommen einige wenige länder. etc.) auf 
der anderen seite die allgemein verbrei- 
tete ausgrenzung nicht nur der mehrheit 
der bevölkerungen im trikont. sondern 
auch in den Zentren. 

trotzdem stimme ich mit dir überein, daß 
der zusammenbrach des "sowjetischen 
modclls“ oder seine damalige ablehnung 
mit dem iranischen bcispicl das Zeichen 
sind für die notwendigkeit, glaubwürdige 
Perspektiven für eine menschliche Zu- 
kunft zu entwerfen, und diese Perspekti- 
ven müssen auch, wie el nato sagt, von 
konkreten und unmittelbaren bedürfnis- 
sen ausgehen. 

aber diesen letzten punkt finde ich auch 
positiv, ich mag keine prozesse mit 
"Zukunftsmusik”, und ich sehe es seit 
langem so, daß diese ideale fixicrang auf 
eine Zukunft ohne ende eine der Charak- 
teristiken des revisionistischen modclls 
ist. sic ist die ncga'.ion des lebens. aber 
sie steht auch im widersprach zum 


dialektischen matcrialismus. cs hat mir 
gut gefallen, daß du marx zitiert hast: 
"die menschen machen ihre geschieh« 
selbst, aber sie machen sic nicht aus frei- 
en stücken..." es gehl also nicht darum. 

schöne worte zu predigen, das ist nicht 
möglich, und das gegenteil zu glauben, 
öffnet genau die tür für bürokratische 
abweichungen - da gibt es "die, die be- 
schcid wissen und die, die zuhören", das 
ist eine karrikatur des Verhältnisses 
avantgardc/masscn, die vom revisionis- 
mus entwickelt wurde, noch einmal: das 
leidet unter dem mangel an dialektik. 
aber, um auf die neue revolutionäre qua- 
lität als wesentliche hinterlassenschaft 
dieser letzten 25 jahre zurückzukommen, 
werde ich schon grob 3 elemente zitie- 
ren: 

die radikale Infragestellung der linearen 
prozesse der akkumulation der kräfte im 
langdauemden revolutionären krieg; der 
angriff auf das herz des Staates als unmit- 
telbares und dialektisches moment des 
aufbaus des revolutionären pols, das 
neue internationale bcwußtscin über die 
dimension des kampfes. der angriff in 
den Zentren ist nicht nur solidarische Un- 
terstützung der kämpfe, die sich hier und 
da in den abhängigen ländern ereignen, 
er ist zugleich notwendigkeit für hier und 
für dort, der klassenkampf ist unabtrenn- 
bar international, und wenn wir daran 
zweifeln würden, dann ist es gerade die 
kapitalistische Produktionsweise und ihre 
weltweite verwurzeking, die uns das be- 
weist. jetzt geht es darum, und da liegt 
die dringende und vitale Schwierigkeit, 
die gelöst werden muss, "den bonus zu 
optimieren" und andere, die ich nicht zi- 
tiert habe, weil ich faul bin. 
so kommt man immer auf das problem 
der neuen politischen bcstimmung zu- 
rück, die eine Anstrengung zur neu-defi- 
nition von Perspektiven erfordert, wie die 
Strukturen der Organisierung und der 
klasse. d.h., wie können die errangen- 
schaftcn dieses jahrhunderts potenziert 
werden, unter anderen von den Sackgas- 
sen auszugehen, denn diese sind mit ih- 
rem misslingen genau die erfahrangen 
und beweise in vivo, daß der revolutio- 
näre prozeß niemals ein rczept ist. son- 
dern im gegenteil von der bewegung aus- 
geht. und genau das ist im wesentlichen 
der kommunismus. es geht nicht darum, 
einen idealen zustand zu erreichen, son- 
dern darum, daß das leben und seine be- 
wegung im Zentrum der gesellschaft ste- 
hen. statt einer vcrg:genstandlichung der 
gesellschaftlichen Verhältnisse, wo die 
individuen immer mehr konsumenten 
sind und nur über die Warenwerte defi- 
niert werden. 

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ß) V*U brirtl odlhar arf ir«n tnrf ven U: von 21 |? 1 M! 

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Nathalie Minigon 

Brief vom 14. Juni 1992 

... wie ich dir gesagt habe, als wir uns das 
letzte mal gesehen haben, die 
"Waffenruhe" ("trive" im französischen, 
anm. d.U.) ist nicht das problcm. 
ich war in dem augenblick entrüstet über 
die politische Inhaltslosigkeit der erklä- 
reng und auch über das. was mich auf ei- 
ner anderen ebene beschäftigt hat. die 
Waffenruhe ist also eine notwendigkeit. 
wir stimmen, denke ich, in diesem punkt 
überein, tatsächlich ist das einzige, was 
aus diesem text gezogen werden kann, 
die aufforderung zur diskussion. und 
zwar wegen des mangels an konkreter 
Perspektive, so ist das wichtige diese dis- 
kussion in der deutschen revolutionären 
bewegung und all derer, die in europa teil 
der revolutionären geschichte sind, 
im moment ist das wichtige, die entwick- 
lung dieser diskussion zu verstehen und 
wo sie steht, und auch, was uns auch be- 
trifft. die diskussion nicht mit kritik zu 
stören und so den diskussionsprozess, 
der in gang gekommen ist. zu begreifen, 
und zwar aus dem Verständnis und der 
Überzeugung, dass das konzept der ein- 
heit der revolutionäre keine leere hülse 
ist. sondern im gegenteil schon rcalitüt 
und eine kraft, die aufgebaut wird, so 
muss die kritik. die wir üben, positiv sein 
für alle, aus der erkenntnis. dass 
"zusammen kämpfen” auch heisst zu- 
sammen zu überlegen, 
du musst wissen, dass meine erste rcakti- 
on fast immer aus dem bauch kommt, 
emotional ist. wie eva (haule, anm. d.ü.), 
die geschrieben hat. dass sic tage damit 
verbracht hat. sich an den köpf zu schla- 
gen. ich selbst habe mich erschlagen ge- 
fühlt von der politischen schwache, die 
diese erklärung gezeigt hat. jetzt, wo ich 
viel ruhiger bin, beschäftige ich mich ra- 
tionaler damit, was die breite diskussion 
bringen wird, und deshalb habe ich na- 
türlich das bedürfnis, diese diskussion zu 
verfolgen, auch di, wo es um die mabili- 
sicrung zur freilassung aller gefangenen 
geht. 

in dem Zusammenhang: es ist klar, dass, 
wie du sagst, wenn die regierung auf ih- 
rer position bcharrt: freilassung nur unter 
der bedingung des abschwörcns, auf- 
grund von juristischen Prozeduren, muss 
die mobilisieren« stärker und schärfer 
werden. 


Christian Klar 

KONKRET-Leserbrief 

Der Kopf mag ja rund sein und uns damit 
der Gefahr aussetzen, daß sich die Ge- 
danken in beliebige Richtung wenden, 
aber vorne auf dem Kopf sitzt auch eine 

Nase, die hilft, vorwärts und rückwärts 
zu unterscheiden. Er enthält eine kleine 
Leinwand hinter der Stirn, auf die der 
Verstand Visionen wirft, und er besitzt 
Augen, um den Blick kühl über Kimme 
und Kom zu führen. 

Allerdings beherbergt der Kopf, wie weit 
man das Teil auch ausräumt, nicht das 
Herz, das noch in den ärgsten Zeiten ge- 
gen Kleinmut und links-deutsche Einsei- 
ferei revoltieren könnte. 

Christian Klar 

Stammheim 

Erklärung im Stammhei- 
mer Prozeß: "Die Situa- 
tion der Gefangenen ist 
wie gehabt" 

anfang des jahres kam die koordinic- 
rengsgruppc für terror, die in Wiesbaden 
alle die repressionsapporate und dienste 
zusammenführt, die seit der aken gestapo 
getrennt bleiben sollten, mit einer sache 
raus, die als eine neue haltung des appa- 
rats in der gefangenenfrage gelten soll, 
der damalige bundesjustizminister prä- 
sentierte das für die Öffentlichkeit, und 
seitdem hieß das "kinkelinitiative”. daran 
kam anfangs auch Optimismus auf - was 
die läge der gefangenen angeht - als auch 
allgemeinen erwartung auf eine rück- 
nahme der kriminalisiereng und Unter- 
drückung «1er linken, radikalen, opposi- 
tionellen tc wegungen im land. inzwi- 
schen sind 8 monate vergangen, es ist 
hier nicht sache, ins einzelne zu gehen, 
wer nicht tägliche, hautnahe erfahrengen 
macht, liest jedenfalls zeitung und sieht 
die tv-bilder. 

aber kurz zum bereich knästc und pro- 
zcssc. daß dieser prozeß hier überhaupt 
angesetzt wurde und weitere in der art 
folgen werden, sagt schon entscheiden- 
des. die Situation der gefangenen ist wie 
gehabt, die Verweigerung der Zusammen- 
legung und die handhabung der freilas- 
sungen bzw. die ablehnungcn sogar ge- 
genüber weiteren schwer kranken - das 
alles ist keine neue haltung, vielmehr ist 
aus einer mehrmonatigen entwicklung 
ein gciselkalkül mit ganz neuem chrgeiz 
herausgekommen: im angeschlagenen 
rhythmus haben sie sich errechnet, das 
geisclmaterial reicht ihnen für die näch- 
sten 10 jahrc (selbstjdiszipliniereng mili- 
tanter politik in deutschland? derweil ist 


in den letzten monaten eine ganz andere 
initiative fett geworden, nochmal eine 
"kinkel-initiative", diesmal eine echte: in 
konsequenten schritten wurden verblie- 
bene hindemissc aus d:m weg geräumt, 
um auch deutsches militär in die Startpo- 
sitionen zu bringen für das kommende 
blutige rennen der imperialistischen 
machte um die neuauttellung der etnfluß- 
regionen. zwischen erster und zweiter Sa- 
che besteht natürlich ein Zusammenhang, 
fürs aufschwingen zur weltmachtfähig- 
keit. die neue dominicreng und Verwü- 
stung anderer europäischer und vieler au- 
ßereuropäischer Völker herautbeschwört, 
soll die Organisation in deutschland. die 
aus den vergangenen 22 jahren die größte 
internationalistische ausstrahlung und 
moralische achtung besitzt, an die gefan- 
genenfrage gefesselt werden, 
aber die westliche weltpolizeitendcnz, 
die politik der Verwüstungen, um platz zu 
schaffen für erweiterte machtpositionen 
und neue booms der weltmarktfürsten 
und die tatsachc, daß seit den pogromen 
in rostock der rassismus zur offiziellen 
deutschen Staatsideologie erklärt ist, die- 
se entwicklungcn bringen mich zu der 
meinung, daß die neue aufbrechende und 
sich organisierende linke hier im land ih- 
re Strategie entwickeln sollte, ganz ohne 
sich von den drohunger des apparats be- 
eindrucken zu lassen, daß er ja gefangene 
in der hand hat. 

zum prozeß hier er ist auf die gelaufenen 
kronzcugengeschäfte aufgebaut, im sozu- 
sagen rechtlichen bedeutet das nur, daß 
die staatsschutzjustiz sich ein weiteres 
mal als Institution selbst auf den begriff 
bringt: alles ist recht, was nur ihre rolle 
als bloßes instrement zur ausmerzung re- 
volutionärer Opposition schmiert, aber es 
gibt da einen wichtigen punkt. das mo- 
dell ist die westliche medienmaschinc, 
wie sic 1991 für die bevölkerungen der 
reichen Zentren eine Scheinwirklichkeit 
in die wohnstuben projizierte, bis der 
konsens so weit geschaffen war, die gol- 
fintcrvcnlion durchzuführcn. in derselben 
herrschaftstechnik läuft das mit der Prä- 
sentierung von sogenannten kronzeugen. 
die paar kriminalistischen Informationen 
sind ganz zweitrangig, die hauptsache ist 
die ausgedehnte inszcnicreng von 
Scheinwirklichkeit für die staatliche poli- 
tik, tatsächliche geschichte zu usurpieren, 
damit sic nicht von unten für die Zukunft 
angeeignet wird, der apparat mästet sich 
am kollaboratcur. aber in der sache au- 
thentisches kann der nicht mehr vermit- 
teln. er selbst ist aufgelöst in den zwän- 
gen der inneren rechtfcitigung, von rück- 
vcrsichcrengen und für die erfüllung des 
eigenen beitrags zu dem geschäft, das 
ihm den lohn bringen soll, 
schließlich zur gcldaklion in Zürich: man 
müßte nicht groß darüber reden, wenn es 



bei dieser aktion nicht Opfer unter unbe- 
teiligten gegeben hätte, 
grundsätzlich vorweg noch gesagt: daß 
für die bcdürfnissc revolutionärer bewe- 
gungen das geld aus den tresoren des ka- 
pitals herausgcholt wird, ist natürlich ge- 
rechtfertigt. damit werden die scheine 
aus dem kreislauf der ausbeutung und 
Versklavung rausgenommen und gerech- 
ten zwecken übergeben, 
cs geht hier um die geldbeschaffungsak- 
tion im november 1979 in der Züricher 
innenstadt. der ausgangspunkt der Pro- 
bleme ist gewesen, daß der abgang nach 
der bank nicht ausreichend überlegt auf- 
gebaut worden ist, dann muß nur noch 
ein zufall dazukommen, und die tedin- 
gungen sind da. in denen aktivbürger 
sich ermutigt fühlen, hilfskraft für die b. 
zu spielen, solch: leute haben schließlich 
auch mobilisierte polizei an die raf-grup- 
pe rangefUhrt. bis dahin war noch kein 
maisch verletzt worden, aber zwei der 
Polizisten lösten dann an zwei verschie- 
denen orten die Schußwechsel aus. in de- 
ren Zusammenhang eine passantin tödlich 
getroffen wurde und eine zweite frau 
schwer verletzt, allerdings anders als die 
Anklageschrift monströs zeichnet, hat es 
von der raf-gruppc an keiner stelle der 
flucht absichtliche schüsse gegen das le- 
ben ziviler personen gegeben, auch ge- 
gen keine der beiden frauen! aus den ob- 
jektiven hinweisen ist nicht mal gewiß, 
ob der tod der passantin oder die Verlet- 
zung der pkw-besitzerin durch polizclku- 
gcln oder durch kugeln aus den waffen 
der raf-gruppe verursacht wurden, und 
nach den eigenem rekonstruktionen später 
gab es nur Wahrscheinlichkeiten, gefol- 
gert aus dem Standort der personen und 
aus den Schußrichtungen, aber das alles 
soll nicht die Verantwortung unklar ma- 
chen. die liegt schon mal darin, daß cs 
die eigene aktion gewesen ist. und beson- 
ders darin, als den gcfechtcn mit Polizi- 
sten nicht mehr auszuweichen war, die 
waffen zum teil mit einem mangel an 
Umsicht eingesetzt worden sind, zum teil 
auch mit schlimmer riicksichtslosigkeit, 
die in solcher Umgebung nicht sein darf, 
cs gehört zur grundsätzlichen Verantwort- 
lichkeit, daß der cinsatz der wiffen, 
wenn dem schon nicht mehr ausgewi- 
chcn werden kann, dann so geschieht, 
daß keine unbeteiligten gefährdet wer- 
den. 

das sind prinzipien aus dem wesen der 
revolutionären linken - um sich als ein- 
zelner und als Organisation immer wieder 
dahinzuschaffen, es auch umzusetzen, 
muß die (selbst)erziehung bewaffnet 
kämpfender linker Organisationen sein. 


189 


Karl-Hein : Dellwo 

Erklärung von Ende Okt. 

1992 

die bundesjusiizministcrin hat bemd röß- 
ncr ’strafausstand' gewährt, das ist der er- 
satz für eine entscheidung des bun- 

despräsidenten. die trotz fester Zusagen 

nicht gekommen ist. statt einer politi- 
schen entscheidung liegt nun eine vor. 
die die netwendigkeit einer politischen 
antwort des Staates auf die gefangenen- 
fragc. aber auch auf die raf, untcrschlci- 
chen will, an der staatlichen haltung uns 
gegenüber hat sich damit nichts geändert, 
diese entscheidung macht politisch nichts 
auf. 

im januar ’92 war der damalige justizmi- 
nistcr kinkel mit der erklärung an die Öf- 
fentlichkeit getreten, von seiten des Staa- 
tes politische bewegung in da> Verhältnis 
zu uns reinzubringen, eine 22jährige 
konfrontation hat ganz einfach auch ihre 
faktische evidenz geschaffen, der nur 
noch dummköpfc ihrer» politischen gehalt 
bestreiten können, das war durchaus neu, 

gehörte cs doch zur politischen Schizo- 
phrenie dieser jahre. das politische dieser 
Situation im intcrcssc ideologisch-propa- 
gandistischer Positionen wegzubeten, es 
kam allerdings schon jahre zu spät, 
wir hatten 1989 in unserem damaligen 
hungerstreik um Zusammenlegung bereits 
versucht, de politisch und auch militä- 
risch festgefressene Situation zu öffnen 
und eine reue cntwicklung zu ermögli- 
chen. die raf hatte, wie ihr nicht-militäri- 
schcs verhalten bewies, diesen versuch 
mitgetragen, vom Staat allerdings war das 
nur als untere schwäche ausgelegt wor 
den, wieder einmal lehnten sic sich zu- 
rück, wieder einmal sahen sie sich kurz 
vor dem großen sieg, so traten sie nach 
dem abbruch des hungerstreiks auch nur 
nach: die Verweigerung der Zusammenle- 
gung wurde fcstgcklopft, neue kampa- 
gnen gegen uns oder unsere anwälte in- 
szeniert, neue zcllcnrazzicn und das ein- 
leiten neuer prozesse. nach außen weiter 
der alte repressionsbetrieb, das ergebnis 
war die fortsetzung der militärischen 
konfrontation. 

kinkel dann am’ juhicsuiifung. 'mit den »i- 
chcrhcitsbchörden abgestimmt’, schien 
endlich ein anzeichen dafür zu sein, daß 
auch der Staat sich der politischen realität 
stellen will, allerdings kam kurz nach 
dieser ‘initiative’ von den gleichen 
■Sicherheitsbehörden’ die erste rück- 
nahmc: die baw zog ihren sslbstprodu- 
zierten "kranzeugen’' nonnc aus der ta- 
schc und versuchte, jedes politische Vor- 
gehen zu durchkreuzen, 
auch ansonsten blieb die Tcinkel-initia- 
tive' ihren realitätsbeweis schuldig, wäre 


sie ernst gemeint gewesen, hätten ihr 
schritte zur Zusammenlegung folgen 
müssen, im vollständigen fehlen dessen 
war bereits ausgedruckt, daß auch die 
'kinkel-initiative' weiter auf der prämissc 
der zcrstöning der gruppe basierte, daran 
wird sich natürlich nichts entwickeln, 
im april kam dann die erklärung der raf, 
angrilfsoperationen auszusetzen zugun- 
sten der cinlcilung eines politischen pro- 
zesses. die gefangenen haben das durch 
die erklärung von irmgard möller bekräf- 
tigt. diesen schritt der raf muß man ein- 
deutig als versuch sehen, aus der Illegali- 
tät heraus das neu in gang zu setzen, 
womit die gefangenen 1989 gegen die 
dumpfe haltung der macht gescheitert 
waren, mit weiteren erklärungen hat die 
raf inzwischen ihre entscheidung bekräf- 
tigt und vertieft, damit war auch die frage 
des bewaffneten kämpfes offen gemacht 
und eine Situation hcrgcstcllt, wie es sie 
zuvor noch nie gegeben hat. 
die unmittelbaren öffentlichen reaktionen 
darauf - läßt man politiker. wie däublcr- 
gmclin oder penner beiseite, ebenso die 
esu. von der nichts anderes zu erwarten 
ist - waren teilweise ven der erkenntnis 
getragen, daß es auf diesen qualiiativcn 

schritt der raf eine entsprechende antwort 
geben muß. gekommen ist sic nicht, 
stattdessen wurde nur taktiert, während v. 
stahl z.b. öffentlich erklärte, die gefange- 
nen müßten nicht abschwören oder ihre 
geschichte denunzieren, versuchte der 
zuständige olg-senat günter sonnenberg 
im anhörungsverfahren dazu zu zwingen, 
gegen die sofortige frcilassung von bemd 
rößner wurden immer neue Schwierigkei- 
ten geschaffen, wurde der raf-schritt im 
april in den öffentlichen Stellungnahmen 
noch begrüßt, erklärte die neue bundes- 
justizministerin unter ausschluß der Öf- 
fentlichkeit im august den anwälten: 'es 
wird keine politische entscheidung ge- 
ben', keine zl\ und: 'machen sie den ge- 
fangenen keine hoffnungen' . verbunden 
war das mit dem verlangen, daß das nicht 
öffentlich wird, eine vollständige absage, 
aber ohne politische kosten - wie immer 
die Strategie des maximalen profits! dar- 
über hinaus zieht die baw nicht nur ihre 
neuen verfahren durch, die ein neues ag- 
gressives moment in die Situation brin- 
gen; sondern sic führt sic auch mit «kr 
öffentlich dargclcgtcn absicht, die frci- 
lassung von bestimmten gefangenen auf 
mindestens die nächsten zehn jahre zu 
verhindern, als könnte das aufgehen! 
das war die staatspolitischc antwort auf 
die raf-erklärung. und sie hat nur ein 
'signal': das alte wird fortgesetzt, nur 
diesmal unter dem schein von 

'normalisicrung' der Situation, während 
die raf raum und zeit für eine cntwick- 
lung außerhalb des auch staatlicherseits 
festgefressenen kriegsverhältnisscs ge- 



190 


öffnet hat, wird der raum von staaisscitc 
wieder zugemacht und die zeit verspielt, 
während raf und gefangene einen prozeß 
politischer diskussion angestoßen haben, 
in dem auch selbstkritisch über inscrc 
geschichtc reflektiert wird, wird ven der 
staatsscitc die eigene Vergangenheit 
tabuisiert, aber 22 jahrc ausnahmezu- 
stand und ausnahmesituation auf allen 
gebieten gegen uns werden nicht durch 
ein übcrglcilcn in einen scheinnormalcn 
zustand aufgehoben. 

wir hatten keine irrationalen oder uner- 
füllbaren anforderungen gesetzt, uns war 
klar, daß cs ein längerer prozeß ist. an 
dessen ende die freiheit der politischen 
gefangenen steht und eine lösung für 
darüber hinausgehende fragen, in der cr- 
klärung von irmgard möllcr stand, daß 
niemand von uns davon ausgeht, daß die 
freiheit aller gefangenen von heule auf 
morgen umgesetzt werden kann, aber es 
muß für alle und alles eine Perspektive in 
einem überschaubaren Zeitraum geschaf- 
fen werden. 

sofort möglich für den apparat und die 
Politik war die freiheit aller haftunfähi- 
gen gefangenen, das einleiten bei denen, 
die Uber IS jnhre inhaftiert sind, und je- 
ner widcrstandsgcfangcncn, die schon 
jetzt zwei drittel ihrer hafl hinter sich ha- 
ben. für die anderen als Übergangslösung 
zu ihrer freiheit die zl. zu den notwendi- 
gen schritten von Staatsseite gehört auch 
die mchrfachanrechnung der isolations- 
halt. nichts ist gelaufen, 
trotz dessen haben wir noch auf die an- 
gekündigte cntschcidung zu bemd rößner 
gewartet, um danach für alle, die über 15 
jahrc in haft sind, cntlassungsanträge zu 
stellen, das sind in lübeck: irmgard möl- 
lcr. hanna krabbe, Christine kuby; hier in 
ccllc lutz laufen knut folkerts und ich. in 
bochum betrifft es Stefan wisniewski. 
verbunden damit war die bcrcitschaft zu 
den anhöru rigen. und cs ist auch klar, auf 
was wir uns dort einlassen und auf was 
nicht: keiner von uns wird nach seiner 
freilassung zum bewaffneten kampf zu* 
rückkehren. wir hatten das im april be- 
reits gesagt: aus den tiefgreifender glo- 
balen und inncrgesellschaftlichen Umbrü- 
chen ist eine einfache Fortsetzung der po- 
litik und praxis der 70er und 80er jahrc 
unmöglich, der schrill der raf war über- 
fällig und hat die suche nach der neube- 
stimmung systemoppositioneller politik 
erleichtert. 

keiner von uns aber wird in diesen anhö- 
rungsverfahren eine auscinandcrsetzung 
über unsere gesrhichte. unser selbctver- 
ständins oder das. was ein cmanzipatori- 
schcr prozeß -individuell wie auch ge- 
sellschaftlich - in der Zukunft sein kann, 
führen, diese auscinandcrsetzung ist öf- 
fentlich, und wir suchen darin eine neue 
grundlagc für die Zukunft, wir werden 


uns mit diesen gesellschaftsverhältnisscn 
nicht versöhnen, wir wollen auf anderer 
ebene gegen die kapitalistischen Verhält- 
nisse für deren fundamentale Umwälzung 
weiter kämpfen, die lebcnsvcrhältnissc 
hier und im trikont lassen für uns nichts 
anderes zu. 

an der cntlassungsfragc bemd rößner 
hätte sich eine politische Zäsur auf der 
staatsscitc artikulieren können, nach dem 
inhalt der nun getroffenen entschcidung 
können wir nur noch feststellen, daß sie 
diese politische bedeutung nicht mehr 
hat. denn die jetzige cntschcidung besagt, 
daß die weitere behandlung aller fragen 
nicht nur der form, sondern auch dem in- 
halt nach an die justiz abgegeben worden 
ist. jene wird aus ihrer ideologischen und 
normativen Fixierung heraus erst recht 
nicht die cntscheidung treffen, zu denen 
die politik offensichtlich nicht willens 
ist. 

natürlich soll jcdc/t raus, dic/dcr raus 
kann, irmgard möller sitzt im 21. haft- 
jahr. 17 jahrc nach dem völkerrechtswid- 
rigen vietnamkrieg vollstreckt die bun- 
desregierung immer noch die rache an 
denen, die auf seiten dieses vom imperia- 
listischen genocid bedrohten Volkes ge- 
gen diesen krieg gekämpft haben, das 
steht symbolhaft für die zustande hier: 
die vom System gehaltene Vergangenheit 
wütet in ihrer logik und in ihrem Sinnge- 
halt immer weiter fort, mit nichts gibt es 
einen bruch. so kann alles auch immer 
neu wiederkommen: dafür steht auch der 
namensgeber der 'kinkel-initiative', der. 
kaum zum außenminister geworden, sei- 
nen vietnamkrieg in kurdistan mitfUhrt. 
so setzt sich auch im innem de logik ih- 
rer staatsschutzdcmokratic fort, so kön- 
nen wir auch nur feslslellen: wie jedes- 
mal in der Vergangenheit, so ist auch die- 
ser versuch von ihnen, eine andere ent- 
wicklung einzuleiten, gemeinsam von 
politik und apparat substantiell aufgc- 
fressen worden. 

wir werden das mit den anhöningsvcrfah- 
ren weitennachen. aber wir sagen auch: 
es gibt grundsätzlich gegenüber den ge- 
fangenen und der raf von seiten des Staa- 
tes keine offene politische Situation 
mehr, sie hängen immer noch der absicht 
nach, uns als gruppe politisch zu zerstö- 
ren. 

wir sagen aber auch: auch wenn alles ei- 
ne neubesiimmung erfahren muß - die 
geschichte im bewaffneten kampf ist teil 
unseres lebens. er selber ist teil des 
weltweiten aufbruchs ab mitte der 60er 
jahre. es wird niemanden gelingen, diese 
geschichtc auszulüschcn und unseren Zu- 
sammenhang zu sprengen, unsere cnt- 
scheidung, daß jetzt die cntwicklung ei- 
nes politischen prozesses auf neuer 
grundlagc für uns Priorität hat, ist eine 
kollektive, und so muß auch damit um- 


gegangen werden, alles andere wird nicht 
aufgehen. 

celle. ende Oktober 



191 


Rolf Heißler 

Brief vom Januar 1993 

das jahr 92 begann mil dem lancieren der 
kgt-initiative in die Öffentlichkeit, deren 
kern das in aussickt-stellen der freilas- 
sung einiger politischer gefangener war 
unter dem Vorbehalt, daß die raf auf Ope- 
rationen verzichtet, und mit dem ziel, daß 
sich an unserem kampf um unser leben 
gegen die mcnschcnzcrstörerischen bc- 
dingungen keine politischen prozesse 
mehr entwickeln, un so der guerilla das 
wasser abzugraben, sie war und ist die 
Umsetzung der lochtc-thcsc: ohne gefan- 
gene keine raf. die von bestimmten libe- 
ralen und 'linken' kreisen übernommen 
wurde. 

dem Staat ging es nie um eine 'politische 
Lösung' in der frage der guerilla und der 
gefangenen, wie. aus welchen gründen 
auch immer, von vielen behauptet und 
gehofft wurde, deswegen ist es auch 
falsch, wenn jetzt noch immer davon ge- 
sprochen wird, die 'kinkel-initiative' sei 
gescheitert oder ttf, im gegenteil, sic 
steht in vollster blüte und erntet ihre er- 
sten erfolge, wenn wir cs weiter so laufen 
lassen, der Staat setzte auf Spaltung und 
cntsoiidarisicrung, indem die von ihm 
fcstgelegten kriterien für eine freilassung 
nicht auf alle zutrafen, 
die ständigen kriminalisierungsversuche 
schränkten unsere kommunikation in un- 
erträglicher weise ein und vemnmöglich- 
ten. zu einer gemeinsamen Analyse der 
Situation zu kommen, trotzdem ging das 
staatliche kalkül der kgt-initiative nicht 
auf. niemand von uns ließ sich zur di- 
stanzierung von bewaffneter politik 
und/oder der eigenen gcscltichtc um der 
freilassung willen erpressen, um so über- 
raschter war der Staat von der april-crklä- 
rung der raf. sie nahm nicht nur die es- 
kalation bedingungslos zurück, sondern 
bewertete auch die 'kinkel-initiative* als 
anzeichen für fraktionen im Apparat, als 
ob noch kein jahr zuvor die kgt nicht als 
das mittel der koordinierung und Zentra- 
lisierung der bekämpfung installiert wor- 
den wäre, und für die mögliche eröff- 
nung des politischen raums, als ob der 
imperialismus/kapitalismus diesen einer 
lundamentalopposition je freiwillig zu- 
gestanden hätte oder zugestehen würde, 
zudem verknüpften die genossinnen die 
neubestimmung revolutionärer politik fa- 
talerweise mit der gefangenenfragc, sie 
sagten nicht, wir wellen jetzt alle gefan- 
genen frei haben, sondern gestanden dem 
Staat unser festhalten als gciscln und 
rückversicherung gegen bewaffnete poli- 
tik zu. dieses papicr wie auch die folgen- 
den signalisierten dem Staat nur eines: 
die raf in ihrem derzeitigen zustand der 
dcsoricnticrung ist mit sich selbst be- 


schäftigt. damit handlungsunfähig und 
braucht nicht mehr ernst genommen zu 
werden, wir können mit den gefangenen 
machen, was wir wollen, und das haben 
sic im verlauf des jihrcs zur genüge ge- 
tan. 

das haben wir durch unsere erklärung 
vom 15.04.92 auch noch gestützt, wir be- 
zeichnten die entscheidung der raf als 
richtig - richtig dagegen ist aufgrund der 
Umbrüche und der Stagnation in den letz- 
ten jahren lediglich eine phasc des strate- 
gischen rückzugs, iber ob die genoss- 
inn-en ihren schritt genauso sehen, ist 
nach ihren erklärungen mehr als fraglich, 
diskussion wurde zum ziel erklärt, nicht 
als mittel des kamplcs um den gemein- 
samen politischen prozeß gesehen, der 
tägliche praktische antworten gegen die 
eskalation finden und zugleich konzen- 
trierte und kontinuierliche Arbeit an 
neuen Strategien und Organisierung be- 
deuten muß - und darüber hinaus unter- 
warfen wir uns gleichfalls den vom Staat 
festgelegten kriterien für unsere behand- 
lung. diesen fehler haben wir nicht korri- 
giert. sondern er setzt sich ausgeweitet in 
der erklärung von karlheinz dcllwo fort, 
ob die inquisitorischen ’anhörungen’, die 
ablehnung der freilassung der haftunfä- 
higen, die ’strafauisetzung' bei bemd 
(d.h. der Staat hält sich die Option offen, 
ihn wieder der schleichenden Vernich- 
tung auszusetzen) oder die kronzeugen- 
prozesse (gleich versuche der legalisic- 
reng der todesstrafe über das konstrukt 
der 'schwere der schuld'), die fortdauern- 
de Verweigerung unserer zl, von ge- 
sprächszusammenfühnmgen und damit 
der diskussion, die staatliche botschaft an 
uns ist unmißverständlich, als politisch 
handlungsfähige Subjekte wollen sie uns 
nicht übcr/lcben lassen, was sic hinter ein 
paar frcilassungen vor der Öffentlichkeit 
zu verstecken versuchen, 
doch dies werden wir nicht zulassen, die 
neubestimmung revolutionärer politik än- 
dert an der legitirmtät unseres kampfes 
und unserer ziele genauso wenig wie an 
der Legalität ihrer maßnahmen gegen 
uns seit über zwei jahrzchntcn. ihre lob- 
preisung unserer bekämpfung in den letz- 
ten wochen dient nicht der behinderung 
der von ihnen hochgezüchteten und be- 
günstigten rechten, sondern zielt aus- 
schließlich auf die nachträgliche rcchtfcr- 
tigung ihres menschcnrcchtswidrigen 
Vorgehens gegen uns. der revolutionäre 
kampf hier muß sich aus der gesamten 
internationalen situition bestimmen und 
politisch und praktisch das niveau errei- 
chen, das der weltweiten auscinandcisct- 
zung zwischen Imperialismus und befrei- 
ung entspricht, das durch den Zusammen- 
bruch der realsozialistischcn Staaten ent- 
standene vakuum können nur die revolu- 
tionären und basisfcewegungen durch in- 


ternationale Zusammenarbeit und prakti- 
sche Solidarität füllen, der kampf um bc- 
freiung der politischen gefangenen welt- 
weit ist eines der konkreten politischen 
felder für den aufbau einer neuen intena- 
tionalistischen front, von der die in We- 
steuropa ein teil ist. nur in globalen bezü- 
gen kann der revolutionäre prozess neu 
entwickelt werden. 

damit keine mißvcrständnissc entstehen: 
wir halten die freilassung von uns und 
d.h. auch von denen in celle und lübcck 
für überfällig, das wollen wir auch für 
sie. aber wir teilen nicht die aussagen. 
die sie dazu machen, der von ihnen ein- 
geschlagcnc weg läßt sich gegen revolu- 
tionäre politik und damit auch konkret 
gegen uns mißbrauchen, und zusätzlich, 
wenn man dem Staat den kleinen fingcr 
reicht, will er die ganze hand, versucht 
er, die totale Unterwerfung zu erzwingen, 
die auswirkung des fehlere vom april und 
dessen Fortführung durch sie werden die 

genoss-inn-en zu spüren bekommen, 
für uns steht aufgrund der erfährungen in 
diesem jahr fest, der Staat hält unverän- 
dert an seiner jahrzehntelangen vemich- 
tungsstrategie fest, das ist nichts neues, 
sondern unsere Wirklichkeit vom ersten 
tag unserer Gefangenschaft an. wir wer- 
den weiter kämpfen um unser leben und 
für unsere zl mit dem ziel unserer frei- 
heil. unsere Forderungen liegen seit 89 
auf dem tisch, und daran halten wir un- 
verändert fest. 

januar, 1993 



192 


Heidi Schulz 

Auszug aus einem Brief 
vom Januar 1993 

wir brauchen einen klaren ausgangspunkt 
für die cntwickkmg der nächsten zeit, 
deswegen ist es notwendig, einen Schluß- 
strich unter die kimpagne. die seit anfang 
92 gegen uns und revolutionäre pslitik 
überhaupt läuft. ?u ziehen, das ist Jüngst 
überfällig, um die ganze Verwirrung - zu 
dem ziel: freiheit - zu beenden, 
eine Verwirrung und desoricnticrung. die 
die wurzeln von allen bestimmungen re- 
volutionärer politik anfrisst, weil sie an- 
gefangen hat. das klare antagonistische 
Verhältnis zum Staat, gegen Unter- 
drückung und machtpolitik aufzulösen: 
dass wirkliche Veränderung - wirkliche 
schritte nie mit ihm. sondern gegen seine 
politik erkämpft werden können, das hat 
sich in diesem jahr vermischt, weil aus 
richtigen gedanken eine falsche Haltung 
geworden ist. 

so berechtigt urd richtig der gedunke 
war. der staatlich propagierten linie der 
sogenannten kinkelinitiative kein plattes 
"nein" "entgegenzuhaltcn", sondern sie 
mit der forderung nach freiheit aller re- 
volutionären gefangenen zu konfrontie- 
ren, die nach 20 jahren vcmichtungshafl 
längst überfällig ist. wie die Trauen in lü- 
bcck das benannt haben, freiheit für alle, 
in einem überschaubaren Zeitraum - und 
dass darin als erster schritt die freilas- 
sung der haftunfähigen - bemd, isabel, 
ali anstcht. sowie dass angelika und utc 
nicht wieder eingeknastet werden, und 
die freilassung derer, die seit 15, 17 und 
20 jahren im knast sind, laufen muß. so 
richtig diese konkrete bcstimmung war, 
so falsch wurde es, als daraus eine entpo- 
litisierte haltung geworden ist. die trotz 
aller gegenteiliger staatlicher cntschei- 
dungen, wie z.b. bemds 
"gnadcnentscheidung“ fallen zu lassen, 
den eindruck vermittelt, cs gäbe eine 
grundlagc, sich auf die 
"formaljuristischen verfahren" cinzulas- 
sen und sich mit dem Staat zu einigen, 
aus der Situation von wenigen bestimmt 
und das noch in dem ganzen (vom staat- 
lichen abschwörintcresse bestimmten) al- 
ten rahmen wie er bei solchen 
(anhürungs)vcrfahrcn schon immer war - 
wie cs sich in der erkläning von karl- 
heinz ausdrückt, eine haltung. die nicht 
mehr von der realen Wirklichkeit ausgeht, 
sondern von der reformicrbarkeit dieses 
Staates, die den eindruck erweckt, man 
könnte mit diesem Staat einig werden, als 
wären die anhöiungsritualc - das ganze 
formaljuristischc Vorgehen zu ihrer frei- 
lassung kein abschwörritual. der irrtum 
auch, als ginge cs dabei um die form und 


das mittel 'bewaffnet zu kämpfen", wäh- 
rend cs in Wirklichkeit um das politische 
fallcr.lassen von revolutionären, antago- 
nistischen inhalten und politik geht - das 
ist der knackpunkt, und die loslösung da- 
von soll der preis sein, den jeder indivi- 
duell zu zahlen hat. um raus zu kommen, 
sonst würden die neuen prozesse gegen 
viele von uns nicht angestrengt, die eben 
mit der 'schwere der schuld' suggerieren 
sollen, es hätte nicht jede/r die gleiche 
politische Verantwortung in der praxis 
und politik von 22 jahren antagonisti- 
scher politik; eine differenzterung, die 
eben “eine lüsung für alle" verhindern 
soll. 

dazu gehört: eine eindimensionale sicht- 
weise. die nur unsere fehler und schwä- 
chen sehen will und losgelöst von der 
dialektik “von revolution und konterrevo- 
lution". losgelöst von den konkreten 
herrschaftsprojektcn und bekümpfungs- 
strategien gegen revolutionäre politik 
und jeden widerstand, fühlt natürlich 
nicht zur Weiterentwicklung >on revolu- 
tionären erfahningen. zu lemprozessen 
aus der authentischen gcschichte von 22 
jahren kampf, zu neubestimmungen auf 
dieser geschichtlichen grumll3ge, son- 
dern zu ihrer negation, zur regation all 
dessen, was erkämpft worden ist. das ist 
dann nicht mehr die trcnnungslinie zu 
kapitalistisch-imperialistischer herr- 
schaft. sondern ein Schlußstrich zu revo- 
lutionärer politik zu setzen, 
das aus einer enttäuschung über viele 
"niedcrlagen" und rückschläge - die aber 
auch eine frage nach der praxis und poli- 
tik an alle anderen kräfte ist - nicht mehr 
wahrhaben zu wollen, und daraus auch 
nur noch von der eigenen Situation aus- 
zugehen und sich in "modifizierter" form 
auf die staatlichen kalkülc einzulassen, 
um wenigstens die eigene freilassung zu 
erreichen, ist Selbstbetrug, so wird alles - 
jeder Vorschlag, jeder Inhalt, jedes ziel 
zum Objekt ihrer Strategie, und es wird 
auch so nicht laufen, weil die logische 
konsequenz daraus ist, dass die staats- 
schulz-apparate "nicht nur" eine verklau- 
sulierte distanzierung zur gcschichte die- 
ser 22 jahre verlangen, sondern natürlich 
eine, "die in die Zukunft weist" - die den 
ganzen klassenantagonismus leugnet zu- 
gunsten einer reformistischen haltung 
von sogenannter (nicht wirklicher) 
"fundamcntalopposition“, die verhindern 
soll, dass eine neubestimmung - aufgrund 
der tatsächlich zugespitzten gesellschaft- 
lichen wie internationalen Verhältnisse - 
von antagonistischer revolutionärer poli- 
tik möglich wird. 

genau daraus bestimmt war der "politisch 
teil" der kgt-initiative und der Umgang im 
konkreten - gegen wirkliche schritte: die 
bedingungslose freilassung der haftunfä- 
higen und derer, die schon am längsten in 


der vcmichtungshafl sird, sowie die Zu- 
sammenlegung als Übergang für die and- 
eren. als erste schritte für die freiheit al- 
ler zu unterlaufen, zu verhindern, 
und in diesen staatsschutz-manövem, die 
schließlich in einigem das denken verhin- 
dert und gelähmt haben, ist uns selbst der 
klare politische blick über weite strecken 
verloren gegangen, die klarheit, mit der 
zu anfang noch die "kirkclinitiative” ge- 
sehen wurde, als ein versuch, um der 
mobilisiemng zur freiheit aller revolutio- 
nären gefangenen, die seit dem streik 89 
in vielen diskussionen teil war, dass 
diese forderung die einzige politische 
und legitime antwort gegen jahrzehnte- 
lange vcmichtungshafl ist, - zuvorzu- 
kommen. zu desorientieren, zu neutrali- 
sieren. um zu verhindern, dass gegen das 
staatliche vcmichtungskalkül eine kraft 
hochlommt. die die freiheit auf die ta- 
gesordnung setzt. 

sic haben dabei genau in dem 
(politischen) loch operiert, das mit dem 
ende der 80er jahre eigentlich fllr alle 
deutlich war, und das von einer gesamt- 
linken neuformiemng hätte gefüllt wer- 
den müssen, dass aufgrund der grundle- 
gend veränderten intcrrniionalen wie ge- 
sellschaftlichen Verhältnisse, eine be- 
stimmung von revolutionärer politik 
notwendig ist, die diese neuen Verhältnis- 
se sowohl analytisch auf den politischen 
begriff bringt wie auch einer praxis, die 
dazu in der läge ist, die realen, die zuge- 
spitzten und umfassenden gesellschaftli- 
chen Widersprüche in eine revolutionäre 
verändernde richtung zu orientieren, also 
auch inhaltlich und in Zielbestimmung, 
die eine entwicklung möglich macht ge- 
gen die Zersplitterung und perspektivlo- 
sigkeit in den linken Zusammenhängen, 
für eine neuformicrung, die zu einer ge- 
meinsamen verändernden kraft gegen den 
grossdeutschen machtrausch in der läge 
ist ur.d gegen die Zerstörung von jedem 
gesellschaftlichen polilsch-sozialen le- 
bensraum authentische politische räume 
durchsetzt, eine ncuoricnlierung, für die 
wir im streik 89 auch um eine "politische 
diskussion mit gesellschaftlichen grup- 
pen" gekämpft haben, für eine politische 
diskussion eben mit allen, die hier grund- 
legende Veränderung wellen. 

(... der Mittelteil dieses Briefes ist in die- 
ser Broschüre in Kap. III abgedmekt ...) 
und ich denke, dass die freiheit nur als 
integraler bestandteil der kämpfe gegen 
die ganze reaktionäre rechtsent wicklung 
möglich ist. durchzusetzen, weil die fa- 
schlsierung von oben und unten zurück- 
gedrängt werden muss, um rationale lö- 
sungen an vielen brenn- und Schnittpunk- 
ten, um einen politischen Umgang mit 
politischen "konflikten' und reale Verän- 
derungen durchsetzen zu können, mög- 
lich zu machen. 



so denke ich auch, dass der kämpf für 
unsere Zusammenlegung und freiheil 
jetzt nur integriert sein kann in den ge- 
sellschaftlichen kiarungsprozess gegen 
die reaktionäre entwicklung als kampf 
gegen staatliche Unterdrückung, integriert 
in den prozess der neuformicrung des re- 
volutionären projckts. darum geht es uns 
und in dem prozess werden wir teil sein, 
so gut wir können. 

gemeinsam im kampf gegen reaktion. fa- 
schisierung, rassismus, mit den revolu- 
tionären krüften weltweit, werden vir die 
freiheit, unserer aller freiheit durchset- 
zen. 


anfangjanuar 1993 


Bahamas 


Zirkular de» Gruppe K. erscheint alle 2-3 Moiate mit Teulcn und Analysen zu 
Deutschland und de» mar»istischer. Oiskussien Anunauonal. annkapnahstiscn 
marxistisch 

Nr 1 2 (Winter 1&93/94) 

Proletarischer Nationalismus 
- "Antikapitalismus'’ von rechts 

ScMve/punAf Die Sch*icrigkcilen der Linken mit der sozialen Frage und ihrem 
Verhältnis zur Nation Rebellischer •Antikaoitalismu*“ und Anüsen-msmu» 

• Tiu»«t»n zum Anntumlismus * Rol-biaune Allianz in Rußland ‘ linke» Antizio- 
minus * Bedeutung de» sozialen Fiage in G»o3deutSChland * AtDeitirbe^cgung 
und Nahon * Lm*e und Nazis • Kritik an PDS. BWX. Aibe.iwpoiiuk und 
Autonomen * Mil diesem Volk? 

Außerdem • Revisiorismus Die Neue Wa;ne ■ Trauer um Heitmann • Zu» 
Diskussion um Rassismus und Antnassis«u* * Tu»cko zum Zweiten Die 
Geschicenictlrage 
S6 Seilen 

vorn ernar cr> Bahamas u • Kapii*»stis<fid »'S« • nniaanscne mier.en.on Somata 
Aigosia-ien. Oeoan# um Cnnswpn Iuicaos Hassimus Naiteiemwv «iaiiama;. tu 

Einzelpreis OM 6 fnui Voidus«asse.‘Bn?ri7idi«en; 

•'OOi’nenieiif De» OC^meijui’g OM 18 .’u» /r—eü d.ci Nummern i m texaui i>le> am hes/en 
Eoirugsemiacnf^uisg 

Ort 


Büro K, Karolinorstr. 21/Hs. 2, 203S7 Hamburg , Tel. 00-438846 
Konto: S.Roisch/KDreyor. HaSpa. BLZ200 505 50. Kto. 1228/122 386 


die zeitung für die freiheit 
der politischen gefangenen 
☆ information über 1 29a - verfahren 
und andere politische prozesse 


abobestellung -mind. 5 exempl. ä -,50dm 
einzelexemplar -gegen 3.-dm in briefmarken 


clockwork 129a; leibnizstraße 24; 6500 mainz 



194 


Dokumentation 

Lutz Täufer. Gesellschaft oder Isolation (Fcb. 1994) 



195 


Lutz Täufer 

Gesellschaft oder 
Isolation 

"In der RAF war immer auch 

etwas Emanzipaturisches" 

Wir wurden in den letzten Wochen oft 
gefragt, welches denn nun die polilisahen 
Differenzen seiea. Das ist in der Tat nicht 
so ohne weiteres zu entschlüsseln, nicht 
zuletzt deshalb, weil es eine zu verbindli- 
chen Resultaten, also zu gemeinsamen 
Grundlagen kommende Diskussion so gut 
wie nie gegeben hat und so Aussagen Uber 
ein Hierhin oder Dorthin allenfalls in 
Ansätzen vorhanden sind. 

Es wäre besser gewesen, schneller 
etwas zu sagen. Aber erstens hat diese 
Spaltung erstmal umgehauen; zweitens 
wollte ich einen Beitrag, der etwas erklärt 
statt zu polemisieren, einen Fehler, den ich 
in früheren Texten ab und zu gemacht und 
so sicher meinen Teil zur Eskalation 
beigetragen habe; an den tatsächlich 
oder vermeintlichen Fehlem von andern 
hochzuklcitcm. das ist schnell in die 
Tasten gehauen, das andere braucht Zeit; 
drittens sind die Arbcitsmöglichkciicn — 
im Knast und nach fast 20 Jahren Knast - 
andere als draußen. Der Mangel an sinnli- 
cher Gewißheit über die Zustände und 
Veränderungen draußen macht die Arbeit 
nicht leichter. Schließlich; Wenn ich was 
nachlesen will, greife ich nicht hintermich 
ins Regal, sondern brauche bis zu drei 
Tagen, Ws ich zu meinen Buchcrkanons 
auf der Kammer vorgedrungen bin. 

Inhaltlich ist das erste Problem, selbst 
zu verstehen, wie die Entwicklung war. 
das zweite, dies änderen zu vermitteln. In 
dem. was die Gefangenengruppe real war, 
sowohl in ihren beispielhaften Stlrken 
(und antizipiert hat sie vor allem etwas in 
ihrem Kampf ums Überleben und um ein 
Recht auf Existenz, aus elendesten Bedin- 
gungen heraus: von den heutigen Kämp- 
fen. vom Kämpfen auf der heutigen und 
zukünftigen Höbe des Umwälzens), als 
auch in ihren Schwächen (in denen sie von 
den Schwächen der Metropolenlinken 

soweit gar nicht entfernt war), wurde sic 
häufig idealisierend und so distanziert 
wahrgenommen. Der Versuch, die zum 
jetzigen Bruch führende Entwicklung zu 
verstehen, ist auch immer ein Versuch 
gegen massiv verankerte Bilder. Schließ- 
lich ein letzter Punkt: Es sicht so aus. daß 
wesentliche Teil; gruppcninlcmcr Festle- 
gung (Diskussion?) an uns votbeigelaufcn 
sind in den letzten Jahren - warum, wissen 
wir nicht -. und mir deshalb stellenweise 
konkretes Wissen fehlt. Dies betrifft ganz 
besonders die heftige Auseinandersetzung 
um die Einstellung der gezielt tödlichen 
Angriffe, die cs offenbar zwischen den 
Illegalen und einigen Gefangenen 90/91 
gegeben hat. Die Konfliktlimcn. die sich 
d3 vermutlich schneiden, scheinen ein 
Schlüssel zum Verständnis der Entwick- 
lung. die folgen sollte. 


1977 -Front 

Ein erster Konflikt bricht auf. ah 1977 ein 
palästinensisches Kommando ein Flug- 
zeug mit deutschen Mallorca-Touristcn 
nach Mogadischu entführt. Eine Solidari- 
tätsaktion palästinensischer Genossinnen 
und Genossen mit Gefangenen aus der 
RAF. deren Freilassung im Tausch gegen 
die Urlauber sic fordern. Die Entführung 
wird von Gefangenen aus der RAF kriti- 
siert. Eine Kritik, die sich zu diesem 
Zeitpunkt auf weitgehend politisch-mora- 
lischem Niveau bewegt. „Die politisch- 
militärische Aktion der Stadtguerilla rich- 
tet sich nie gegen das Volk.“ Eine Gewiß- 
heit. konstitutiv für die RAF, die cs dir 
ermöglicht, selbst diesen Schritt zu tun. 
Ein unbefangenes Verhältnis zur Gewalt 
hatten wir. die wir nicht zuletzt vom 
Entsetzen über Auschwitz herkamen, 
nicht. Auch einer der Gründe, weshalb 
Andreas Baader in seinem obigen Impera- 
tiv die revolutionäre Aktion als politisch- 
militärisch bestimmt, das Politische mit 
dem Militärischen eng verknüpfend und 
doch in einer deutlichen Priorilätenfolge: 
Primat hat das Politische. Hier w ird sich in 
den 80er Jahren, ausgehend von der 
Front-Ideologie, ein Bedeutungswandel 
vollziehen - die militärische Aktion wird 
zum Begriff des Revolutionären schlecht- 
hin, daneben gibt es auch noch politische 
Initiativen. Die Gründe für diese „Entpo- 
litisierung" der militärischen Aktion lie- 
gen letzten Endes darin, daß das Polilik- 
bild, in dessen Rahmen wir uns in der 
ersten Hälfte der 70er Jahre bewegen 
(weltweiter Aufstand gegen das US-impc- 
rialistische System), in der zweiten Hälfte 
der 70er Jahre verschwimmt, ohne daß 
neue GrunJIagcn sich in ausreichender 
Deutlichkeit entwickeln. Die Vehemenz, 
mit der die Gcfangcncngruppc zwischen 
88 und 92 „die große politische Auseinan- 
dersetzung* (Eva Haule) fordern wird, ist 

S ei dieses schon fast als schmerzhaft 
indenen Mangels an Klarheit - die 
Einteilung der Welt in gut und böse, wie 
wir sie 1993 dann erleben. Ausdruck des 
Aufgebens dieser in der Tat schwierigen 
Suche. - 1977 kritisierten wir die Entfüh- 
rung der Urlaubermaschine weitgehend 
moralisch. Ohne eine tatsächliche Verstel- 
lung zu haben von den sich hinter unserem 
Rücken vollziehenden tiefgreifenden Ver- 
änderungen aufallen Ebenen, war da indes 
doch eine Befangenheit aufgekommen 
gegenüber dem bisherigen Politikbild. 
Eine Stagnation war eingctreten. Die 
Hoffnungen, die wir an den „Sieg des 
Vietcong" als dem Anfang vom Ende des 
US-impcrialistischen Systems geknüpft 
hatten, waren zumindest diffus geworden. 
Komproini3los solidarisch mit den RAF- 
Gcfangcncn. wie diese Aktion war, konnte 
der in dieser Urlaubcrcntführung zum 
Ausdruck kommende Bruch mit der Me- 
tropolengcscllschaft schlechthin -also mit 
jenem Volk, das für Andreas Baader (und 
alle anderen) bei der politischen Konzep- 
tion des Militärischen nicht aus dem 
Blickfeld geraten darf - den Versuch, die 
bisherige Politik, wie auch immer, zu 
ändern, von vornherein aussichtslos ma- 
chen. 

Tatsächlich könnten wir diese eine 
Aktion als einen Punkt sehen, in dem sich 
wesentliche Entwicklungen kreuzen. Sie 


ist eingebettet in das Polililbild der 60er 
und 70er Jahre. Der weltweite Aufstand 
gegen US-I Imperialismus. Kolonialismus 
und vermeintlich delcgnimerten Spätka- 
pitalismus - in Lateinamerika etwa gab cs 
in so EUt wie jedem Land mindcsicns eine 
Guerilla - eine über viele Jahrzehnte 
hinweg sich aufbauende Woge, war im- 
merhin von solcher Wucht, daß dieser 
Irrtum, das imperialistische System jetzt, 
in gemeinsamer Froni..kippen zu können, 
unbedingt begangen werden mußte. Die 
Aktion kommt aber zu einem Zeitpunkt, 
da diese historische Welle bereits am 
Auslaufen ist. So stellt sich die Frage nach 
deren politischen Folgen cochmal ganz 
besonders. - Ein zweites Moment ist 77 
der grundsätzliche Einbruch der von 68 
herkommenden „Neuen Linken", ln ih 
rem politischen Selbstverständnis noch 
sehr stark auf den Staat und seine Institu- 
tionen fixiert, erlebt sie einen Zusammen- 
bruch ihrer Widerstandskraft in dem Au- 
genblick. wo der Staat zum Angriff über- 
geht und die Rückzugsmöglichkeil auf das 
Terrain einer eigenen revoluiionär-subjck- 
tiven Kultur nicht mehr 'orhanden ist. 
Ende der 80er schließlich sollten andere 
kommen. Nie wäre cs ihnen eingefallen, 
einen „Marsch durch die Institutionen" zu 
propagieren. Während die 68cr-Gcncra- 
tion noch „maschincnstUrmcrisch" gegen 
den vermeintlich seinem Ende zugehen- 
den Spätkapitalismus und seine Kultur der 
Eindimensionalität und Zerstörung an- 
rennt in der Hoffnung, Entfremdung. 
Kaputthcit und Destruktivität aus dieser 
Welt hinaustreiben zu körnen, werden, 
etwa mit dem Häuserkairpf in Berlin, 
andere kommen, die im schnell wuchern- 
den Dschungel sozialer und kultureller 
Rcbarbarisicrung lernen, lernen müssen, 
sich durchzukämpfen. - Dieser Mcnlali- 
tätswardel wiederum spiegelt eine ent- 
scheidende Veränderung im politisch- 
ökonomischen Bereich. Die Epoche des 
Keynesianismus geht zu Ende und damit 
die Möglichkeit, sich auf den Staat als 
einen politischen Aktivisten, nicht zuletzt 
über das Ökonomische zu beziehen; die 
Ara des Neolibcralismus. Reich des Cha- 
os. beginnt und mit ihr jene Militanz, die 
von ihrem selbstverständlichen Recht auf 
Existenz diesseits weltmarktdikticrtcr 
Rentabilitätsnormen fürs Leben ausgeht. 

Auf sie wird sich das Front- Konzept der 
80er Jahre beziehen, ohne sieh allerdings 
von den politischen Denkgewohnheiten 
der 70er Jahre cmanzipien zu haben. In 
diesem Kampf der Militanten um Existenz 
ist eine Verwandtschaft zu spüren. Wer 
anders hat diesen Kampf gefühlt und 
erlitten, wenn nicht die Gefangenen aus 
der RAF in den Vemichturgsabteilungen 
der Gefängnisse?! Und dennoch wird die 
Frage der Verbreiterung und Vertiefung, 
die sich nach dem Verlust «1er - tatsächli- 
chen oder vermeintlichen - Bündnispart- 
ner in Gestalt der Trikont-Bcfrciungsbe- 
wegungen neu stellt, nicht im Hincinkom- 
men in diese radikale Subjektivität und 
ihre objektiven Hintergründe beantwortet, 
die doch weit mehr authentisch Metropole 
ist als 68 - nein, cs wird versucht, die 
Militanten dort, bei ihren zweitrangigen 
politischen Geschichten in der Gesell- 
schaft abzuholen, um sie „zur Front“, zum 
Eigentlichen, zum Militärischen zu brin- 
gen. Darauf läuft cs de facto hinaus, auch 



196 


wenn das im Front-Papier weil weniger 
eng angelegt ist. Wieviele sind seither bei 
der militärischen Aktion angekommen? 
Und wieviele wurden nur abgeholt, ohne 
je anzukommen? Auf Teufel komm raus 
werden politische Vorstellungen strapa- 
ziert. die mit dem Wechsel im globalen 
politisch-ökonomischen Dispositiv obso- 
let geworden sind. Jene weltweite, in 
Jahrzehnten der Kümpfe hcrangcwachse- 
nc Aufstnndsheweging der 60er und 70er 
wird als „weltweite Front gegen das 
imperialistische Gesamtsystem", als 
„westeuropäische Front" voluntaristisch 
imitiert. Ist das zweite der Versuch, die 
Frage der Verbreiterung und Vertiefung 
konkret zu organisieren, was aber nie über 
ein paar wenige Genossinnen und Genos- 
sen in Frankreich (Action Dircctc), evtl. 
Belgien (CCC) und Spanien (GRAPO) 
hinauskommt, so ist das erste die abstrakte 
Losung in Gestalt eines Traumpartners 
Trikontmassen. In dieser Form wird der- 
heute mehr denn je notwendige - Interna- 
tionalismus zur maximal möglichen Ent- 
fernung von den Notwendigkeiten und 
Möglichkeiten im eigenen Land. Und in 
dieser Verdinglichung und Widersprüch- 
lichkeit zwischen Altem, von dem man 
sich nicht trennen will und Neuem, dessen 
immanente Möglichkeiten zu bewältigen 
in der Tat eine ungeheure Schwierigkeit 
ist. wird die Suche nach Möglichkeiten, 
die 77 eingetretene politische Isolation tu 
überwinden, konterkariert: Diese „Front" 
hat mit breitem Bündnis, mit Offenheit 
und der Suche nach neuen Verbindungen, 
wie sie Ende der 80er Jahre Für kurze Zeit 
trotzdem ausbrechen sollten und wie sic 
heute angesichts faschistischer Gefahr 
unbedingt notwendig wären, herzlich we- 
nig «i tun. Im Gegenteil - die Antiimpis 
kommen. 

Das Front- Konzept beschränkte sich 
ganz bewußt auf die militanten, radikalen 
Teile der Linken, auf marginalisierte Be- 
reiche der Gesellschaft. Was nicht unbe- 
dingt ein Fehler hatte sein müssen. Selbst- 
verständlich spielen und haben Minder- 
heiten In allen Revolten und revolutionä- 
ren Prozessen ein wichtige Rolle gespielt. 
Aber die Frage war ja nicht. Gesellschaft 
oder Minderheit, die Frage war, Gesell- 
schaft oder Getto. Will sagen: Selbstver- 
ständlich muß eine Minderheit nicht nur 
um eigene Identität und Konstituierung 
kämpfen, sie muß auch darum kämpfen, 
über den eigenen Bereich Wirkung in 
andere Sektoren, inncrgcscllschaftlich wie 
international, zu entfalten und von dort 
Herausforderungen annchmcn. Sonst 
schmort sie doch im eigenen Saft! Die 
Gettos wurden schon immer aufgcricbcn, 
sie sind der Ort des Untergangs. Als 
Minderheiten) über den eigenen Bereich 
hinaus Fuß fassen, Orientierung sein, 
Hoffnungen wecken, ist schlicht und 
einfach eine Frage des Überlebens. 

Das Ziel des Front-Papiers ist „zusam- 
men kämpfen“. Das klingt gut. Die Vor- 
stellungen indes waren schon nach poli- 
tisch und militärisch auseinandergcfallcn 
und so mündete diese wichtige Initiative 
zur Überwindung des nur bewaffneten 
Kampfs in einer noch verbohrteren Ge- 
ringschätzung des politischen, sprich: un- 
bewaffneten Handelrs. 

Auf die Front-Zeit zurückblickend 
schrieb ein Gefangener 1989: 


„Ausgegangen waren Lutz und ich davon, 
daß es in den Aufbrüchen seit den 80em 
einen zentralen Unterschied gibt zu denen 
der Mitte der 60er, wo ein regelrecht 
. kulturrevolutionärer ' Motor drin war. 
diese Bewegung hatte eine sehr starke 
gesellschaflsve rändernde politisch-kultu- 
relle Dynamik. Lutz meinte, das fehlt in 
den ganzen Jahren total und macht we- 
sentlich die Schwäche aus ... 

Man muß es so sehen - worum cs in den 
ganzen Jahren bis 86 ging, war der 
Versuch und die Anstrengung, die ganze 
Situation überhaupt mal dahin zu wenden, 
daß neue Entwicklungen in Gang gesetzt 
werden können. 

.Eine grundsätzlich neue Situation schaf- 
fen'. haben wir gesagt, indem die Anstren- 
gung gemacht wird, hier 'ne Kraft zu 
entwickeln, die die Walze anhält, eine 
Umkehrung der reaktionären Entwicklung 
in Gang bringt - durch das Fcstsctzcn 
realer Momente von Gegenmacht, Gegen- 
gcwall für den revolutionären Prozeß ... 
das ist richtig, 'ne Kritik auch an uns. finde 
ich. was in der ganzen Phase gefehlt hat: 
Die Genossen von AD haben als zentrale 
Sache immer die Dialektik von Autbau 
und Zerstörung gesagt - Aulbau heißt für 
uns als erstes die Beziehungen als Lebens- 
und Kampfstrukturen und sie als .Keim' 
der neu zu schaffenden gesellschaftlichen 
politischen und kulturellen Realität. Eine 
subjektive politische Kraft, die in der Lage 
ist, die reaktionäre Entwicklung hier um- 
zudrehen. Und klar, das ist nur möglich, 
wenn dieser Emanzipationsprozeß, auf 
den wir aus sind. Wirklichkeit ist. 

In dem Sinn wurde da nichts .aufgebaut'. 
Und jetzt ist total klar, cs wird entweder 
eine Bewegung aus beidem oder cs wird 
hier gar nichts. Das ist zwar grundsätzlich 
schon immer klar gewesen, aber jetzt ist es 
raus. Und es waren Erfahrungen, die 
durchgemacht werden mußten von allen.“ 
Das Front-Konzept konnte nur laufen 
lernen, wenn die einzelnen (Individuen. 
Gnippen. Sektoren) möglichst eigcninilia- 

tiv sich entwickelten. Quer dazu lag die 
verdinglichte, funktiaialistische Vorstel- 
lung von „zusammen kämpfen", wie sie 
aus dem From-Papicr sprach. Denn ein 
Zusammenflüßen relativ autonomer 
Initiativen in dieser oder jener Kampagne 
oder Offensive konnte sich nicht allein 
über einen gemeinsamen Feind oder gar 
über die gemeinsame Bekämpfung seiner 
„Projekte" und Aktionen entwickeln. Ei- 
ner der ideologischen Parameter der 
Frontzeit hieß: Strategie gegen ihre Strate- 
gie. Es brauchte eine gemeinsame politi- 
sche Kultur, eine spürbare andere Welt, um 
das herrschende Realitälsmonopo! in sei- 
ner alles und jedes erfassenden Bedroh- 
lichkeit aufzubrechen und so nicht zuletzt 
subjektive Spielräume und Entwicklungs- 
möglichkeiten zu schaffen, um mit ande- 
ren zusammen zu kommen. Zwar ist 
Solidarität eine subjektive Kategorie, aber 
auch eine objektive. Die Zeiten der homo- 
genen Arbeiterklasse ind ihrer Kullursind 
vorbei und so werden wir an die Stelle des 

zusammenführenden Effekts des Indu- 
strialismus eine Kultur setzen müssen, die 
das „zusammen kämpfen" trotz ökono- 
misch und anderweitig bewirkter Zersplit- 
terung unmittelbarer Intcrcssenlagcn 
möglich macht. Das mit der Spaltung 
gegebene Signal von Abschottung und 


„neuer Klarheit" scheint in die entgegen- 
gesetzte Richtung zu gehen. Wenn es heute 
viele gibt, die sich in die je eigene kleine 
Gruppe zurückzichcn. dann nicht zuletzt, 
weil außerhalb dieser Gruppe der Kältetod 
droht. 

Das ideale Ziel der illegalen Aktion 
(vermeintlich) vor Augen, war für manche 
der erste Schritt dahin konspirativ-defen- 
sives statt politisch-offenes und so offen- 
sives Verhallen. Ein Beispiel nur. Die 
Politik des Staatsschutzbunkers unter der 
Rcbmannschcn Richtlinie „soldatische 
Härte“ bestand Mitte der 80er u.a. darin. 
Leute, die öffentlich gegen Isolationsfol- 
ter und für Zusammenlegung cintraten, die 
das „Kommunikationsverbot mit den 
RAF-Gefangenen“ (Rebmann) durch 
Briefcschrcibcn in Frage stellten, zu be- 
drohen oder gar wegen Unterstützung 
einer terroristischen Vereinigung für Jahre 
in den Knast zu schicken. Zwar gab es 
darauf eine politische Reaktion - im 
Rahmen einer bundesweit anlaufcndcn 
Gruß- und Infopaketaktion erlebten die 
Gefangenen Solidarität aus den verschie- 
densten linken und alternativen Bereichen 

aber nicht seilen wurde diese Möglich- 
keit politischen Zusammenkommens und 
Ausweitens von Aktiven durch sektiere- 
risch-konspirative Tuerei konterkariert. 
Eine Genossin aus dem Bereich der 
ehemaligen Hamburger Jobberinnen- 
Initiativen schrieb mir vor kurzem: 

„Ach. absurde Geschichten sind da gelau- 
fen: eine Zeitlang hatten wir den Laden 
filr, ich glaub das .Info-Paketetreffen', zur 
Verfügung gestellt und dabei mitgekriegt, 
daß Leute, die in den Laden geguckt haben 
oder gar reingekommtn sind, sehr un- 
freundlich behandelt wurden. Wir mußten 
dann erstmal ne Runde erzählen, daß wir 
ne offene Arbeit machen, daß wir wollen, 
daß sich Leute für uns interessieren und in 
den Laden gucken, und daß es sich dabei 
Ld.R. keineswegs um Bullen handelt ... 
Realsatire. " 

Ich denke, wo der Begriff „revolutio- 
när" oder auch nur „politisch" nicht nur 
abstrakt bleibende Bekundung radikaler 
Moral sein sollte. gibt escinige elementare 
Kriterien, an denen ein solcher Anspruch 
überprüft werden muß. Zum Beispiel die 
Frage der politischen Ausweitung. Aus der 
Geschichte unseres Gesamtzusammen- 
hangs habe ich aber den Eindruck, daß 
Handlungsmöglichkcilcn uns oft nicht 
deshalb fehlen, weil der Staat sie uns aus 
den Händen schlägt, sondern weil wir die 
Hände nie danach ausgestreckt haben. 

Front-Hungerstreik 1984/85 

Den letzten Ausschlag für das politische 
Aufläufen des Projekts „zusammen 
kämpfen" gab die Situation resp. die 
Politik der Gefangenen nach dem HS 
84/85. Wenn heute in aaklagcnder Weise 
davon die Rede ist. de; Kampf draußen 
solle sich doch unabhängig von der Lage 
der Gefangenen entwickeln, ist das eine 
richtige, aber späte Einsicht. Die Praxis 
aus 20 Jahren sicht nun wirklich anders 
aus! 

So auch 84/85. 

Vor dem Hungerstreik hatte es. im 
besten Sinn des Frontpapiers, zwischen 
drinnen und draußen eine Diskussion mit 



197 


dem Ziel gegeben, das alle Verhältnis 
unselbständiger - und so materiell ineffi- 
zienter - Solidarität mit den Gefangenen 
aufzulösen zugunsten cigcninitiativen 
Handelns und Denkens. Und so erreichte 
die Front in dieser Zeit ihren Höhepunkt 
und zugleich ihre Grenzen. Während die 
Gefangenen drinnen kämpften, gab es 
draußen eine Vielfalt von Initiativen und 
Aktionen. Noch nie hatte es aus und in 
unserem Zusammenhang eine solche kon- 
zertierte Dichte befreiend wirkender, 
phantasievoller. radikaler Initiativen gege- 
ben. Leute. Gruppen, die - wie an ihren 
Erklärungen und Texten abzulcsen - aus 
den verschiedensten. Bereichen kamen, 
insbesondere aus den militanten Bewe- 
gungen, hatten eigeninitiativ dazu beige- 
tragen. daß zum ersten Mal eine Vorstel- 
lung mit Händen zu greifen war. wie diese 
Front sich in der Praxis entwickeln könnte. 
Indes wurde diese HS-Kampagne von 
Gefangenen am Ende als Niederlage defi- 
niert. nachdem es nicht gelungen war, die 
ZusamrflÄnlegung durchzusetzen. Wäre 
diese Kampagne nicht gebunden gewesen 
an die existentiell bedrohliche Situation 
von Gefangenen, sie wäre anders einge- 
stuft worden. Aufgenommen worden wäre 
sie als eine Entwicklung, die zwar ihr 
unmittelbares Ziel nicht erreicht hatte, die 
jedoch als richtungsweisend unbedingt 
hätte festgehalten werden müssen. Aber 
aus der pessimistischen Sicht von Nieder- 
lage und Einkreisung ist cs schwer mög- 
lich, in Fortsetzung der Zusammenarbeit 
drinnen/draußen ein Bewußtsein Uber ei- 
gene Möglichkeiten der Stärke, über diese 
Perspektive „zusammen kämpfen" zu ver- 
dichten; ein kollektives und konsolidiertes 
Selbstbewußtsein zu verschaffen über po- 
litische Kraft, wie sie sich entfalten kann, 
wo - wie gerade gehabt - vor dem 
Hintergrund eines mehr oder weniger 
gemeinsamen . politisch-kulturellen 
Sclbstverständnisses zahlreiche autonome 
Vorstöße auf ein gemeinsames Ziel hin 
unternommen werden, ohne daß dies aus 
dem Innern einerstrammen Organisierung 
oder autoritär fabrizierten Einheit kommt. 
Mein Vorschlag 1985. nach Streikende, 
war, einen solchen Selbstbcwußtwer- 
dungsprozeß zu unterstützen, nicht zuletzt 
auch, um vom Bcwußtscinshorizont der 
vermutlich eher vereinzelten Aktion, zu 
einem Bewußtsein gemeinsamer Effizienz 
und Kultur zu kommen. Wie anders 
konnte Aktionismus überwunden wer- 
den?! Länger dem je bestanden draußen 
nach diesem Streik die Gruppen, intensiv 
wurde Uber Organisierung und Kampf- 
möglichkeiten diskutiert - wenn aber von 
einer Gefangenen in einer doch dramati- 
schen Erklärung den Leuten draußen 
gesagt wurde, wir sollten alle umgebracht 
werden, sprich: schnelles Handeln ist 
unbedingt notwendig, hat das sicher nicht 
dazu beigetragen, vom aktionistischen 
Denken wegzukommen. 

Ich hatte damals in meinem „Pimental- 
Brief' vom 27.10.85 geschrieben: 

daß man Entfremdung nlchl bekämp- 
fen kann, man kann ihr nur das eigene, 
n icht-enlfremdele Projekt entgegenstellen 
und gegen den Imperialismus durchset- 
zen. Das wären die politics. die. wie Mao 
sagt, das Kommando übernehmen müs- 
sen. Die Offensive von Macht. Gesell- 
schaftlichkeit und Moral von unten. Das 


militaristische und politisch defensive Be- 
wußtsein der letzten Monate und Jahre, 
das jetzt beginnt, sich in Aktionen umzu- 
setzen. lies 1 <t uer dazu ... 

Natürlich ist die Situation in den Metropo- 
len eine ziemlich andere, geht es nicht 
darum, daß wir das Proletariat organisie- 
ren oder so etwas. Aber es geht darum, 
einen Weg in die Gesellschaft tu öffnen - 
und die Aktion (gemeint ist die Erschie- 
ßung des US-Soldaten Pimental) ist ein 
dicker Brocken auf diesem Weg. Und es 
geht darum, uns selbst ernst zu nehmen. 
Wir haben im Winter (gemeint ist der HS) 
eine erste Erfahrungsgrundlage und soli- 
de Ahnung von dem erkämpft: Macht. 
Struktur und Moral von unten. Darin 
steckt Oritntierungs- und Beispielkraft, 
selbst bis in die reformistische Linke 
hinein. Wo ist das Bewußtsein von dieser 
Erfahrung, ihr .Geist '? ... Im Winter zeigte 
sich der Ansatz zu einer räteähnlichen 
Struktur, wie ich 's mal genannt habe - 
Zusammenkommen aus den verschieden- 
sten Bereichen und Bewußtseinen. Es war 
die praktische Umsetzung zu der grund- 
sätzlichen und wichtigen Idee \<om Mai 82. 
Vbn da aus müssen wir den nächsten 
Schritt tun Weltweit - das führt weltweit 
davon weg. Im Winter zeigte sich die 
Möglichkeit dorthin: \vir können das 
Subjekt sein. " 

Nein, riteähnliche Struktur war wohl 
eine agitatorische Übertreibung. Aber was 
84 und 85 in Bewegung gekommen war, 
zu bestätigen, statt es wieder davontreiben 
zu lassen, wäre schon Sache gewesen. 
Nach dem Hungerstreik gab cs eine 
kontroverse mit dem PCE/R. Die spani- 
schen Gerossinnen und Genossen hatten 
unseren Streik solidarisch begleitet und 
analysiert, und so kamen sic - genaue 
Beobachter der Mobilisierung, wenn auch 
durch eine marxistisch-leninistische Brille 
- zu der Forderung an uns. wir sollten eine 
Arbeiteqiartei gründen. So ungenau dieser 
Vorschlag, steckte doch ein richtiger Kem 
darin: Hier, nach dieser Mobilisierung, 
mußte etwas transformiert werden aus 
dem Bereich des eher spontan-zufälligen 
in den Bereich des kontinuierlichen, struk- 
turierten. verknüpften und so identifizicr- 
baren, Neben Heidi Schulz, cie sich mit 
Vorschlag und Kritik des PCE/R auseinan- 
dersetzte. haue ich mich dazu mit dem 
wechselnden Verhältnis von Partei und 
Klasse bei Marx und Lenin befaßt und 
machte daraus den Vorschlag, hier, in 
einigen Städten zu Gruppen, Zentren zu 
kommen, die nach einer Phase eines 
wechselseitigen Lernprozesses zumindest 
einen Teil jener Orientierung und Verant- 
wortung übernehmen, die ansonsten ein- 
seitig bei RAF und Gefangenen lag und zu 
einer grundsätzlichen Schicfhge führte. 
Um jenen „Aneignungsprozeß" ging’s 
mir also, von dem Eva Haule schrieb (taz 
14.4.89). notwendig, „um selbständig 
revolutionäre Politik entwickeln zu kön- 
nen.“ Der Vorschlag wurde nicht zur 
Kenntnis genommen. 

Wenn dieser Konstituieningsprozeß 
nicht gelajfen ist. hat das - von den 
Gefangenen aus - vor allem zwei Gründe: 
ideologische. Zur Gegenmacht kommen 
hieß „zur Front kommen" und dies wie- 
derum zur bewaffneten Aktioa kommen. 
Da war nichts von einem „Keim" neuer 
Gesellschaftlichkeit, in der das Rcalitäts- 


monopal des Kapitalismus sinnlich gewiß 
durchbrochen ist im kollckiiven Selbstbe- 
wußtst^ der gerade erzeugten Bewegung. 
Hin Bewußtsein jedoch, das sich an den 
Gegner veräußert, das die Bedeutung des 
eigenen Tuns ausschließlich an der Reak- 
tion der Gegenseite glaubt ablcsen zu 
müssen, ist nicht frei. Und somit auch 
nicht in der Lage, über das Vorgefundene 
hinauszugreifen. Überdas Bestehende hin- 
auszubaucn, mit einem Wort: revolutionär 
zu sein. „Strategie gegen ihre Strategie"-' 
das konnte nie und nimmer strategietählg 
werden. Zweitens: Die Gefangenen und 
ihr existentielles Interesse treiben den. 
Prozeß zwar immer wieder voran, lenken 
ihn darin aber gleichzeitig von einer 
eigenständigen Entwicklung ab. Sie zie- 
hen sich damit den Boden unter den Füßen 
weg. So wurde die Mobilisierung des HS 
84/85 unterschätzt, weil sie die ZL nicht 
ebracht hat; die Mobilisierung zum 
treik 89 hingegen, obschon auf deutlich 
humaritär-bürgerrechtlichen Grundlage, 
aber in die Gesellschaft hineinreichend 
und so zum ersten mal Risse im Staats- 
schutzblock der Macht bewirkend, wird 
überschätzt. Die Rede ist von einer „neu 
entstehenden revolutionären Bewegung" 
(Eva Haule und andere). 

Es kam eine andere Diskussion. Nicht 
die cmanzipative. sondern die autoritäre. 
Die RAF hatte 1985 einen Gl der US-Ar- 
mee erschossen, um an seinen Ausweis zu 
kommen. Es kam zu einem heftigen Streit 
darüber. Einige von uns hatten zu Zeiten 
des Vietnamkriegs hier stationierten Gis 
bei der Desertion nach Schweden gehol- 
fen. Die Ursache für die Schärfe dieser 
Auseinandersetzung lag aber auch in den 
bis dahin offen nicht ingesprochenen 
Problemen, die einige Gefangene mit 
jenen harten Aktionen der RAF während 
des Hungerstreiks 84/85 hatten. Wäre 
etwa - gleich in den ersten Hungerstreik- 
tagen -die Autobombe auf dem ÜS-Stütz- 
punkt in Oberammergau hochgegangen 
und hätte es dabei womöglich eine Reihe 
von Toten gegeben, die Gefangenen hätten 
ihren Streik gleich in der ersten Woche 
wieder abbrechen können. Von denen, die 
die Erschießung des Soldaten verteidigten 
(und damit eine bestimmte Vorstellung, 
wie revolutionäre Politik sich weitcrent- 
wickcln sollte), um sic hernach, nachdem 
die Autorität RAF sieb kritisch damit 
auscirandcrgcsctzt hatt^ ebenfalls >.u kri- 
tisieren, wurde diese Dcraiic in einer Art 
und Weise geführt, die vermutlich jenes 
zusammen-kämpfen, wie es Monate zuvor 
zum ersten mal sichtba' geworden ist, 
strategisch beschädigte. Man/frau schlug 
sich gegenseitig Wunden, die späteres 
Zusammenarbeiten völlig blockierten. 

Vjr allem verlangten die Verteidiger der 
Pimcnlal-Aktion ein Verständnis von Ein- 
heit, das jeden kritischen und damit 
lembereitcn Blick aufs eigene Tun und 
Denken moralisch verdächtigte und auf 
diese Weise jenem Geist des Zusammcn- 
Kiimpfens - von einer gemeinsamen revo- 
lutiorär-miliiant-kulturcllen Grundlage 
ausgehend, ansonsten aber autonom den- 
kend und handelnd - entgegengesetzt war. 
Dort war cs ein Zusammenwirken, das 
sich aus den verschiedensten Quellen 
speiste, und insofern eine Vorahnung 
dessen, was heute für revolutionär-cman- 
zipative Prozesse überhaupt zur Heraus- 



Forderung wird - hier einVersuch, diese 
Entwicklung ins Korsett verdinglichter 
Front-Verstellungen zu zwingen. 

„Aber es gab keine politische Diskussion, 
keine Auseinandersetzung um die wesent- 
lichen Fragen, und so konnten die bereits 
im Ansatz präformerten Grenzen und 
Fehler auch nicht erkannt und überwun- 
den werden. Statt dessen fiihrte das zu 
immer stärkerer Verdinglichung des poli- 
tischen Bewußtseins: Revolutionäre Poli- 
tik war nur noch als bewaffneter Angriff 
denkbar, die militärische Aktion .wurde 
zum nicht mehr hinlerfragbaren Fetisch, 
Illegalität wurde zu einem Mythos, zur 
Verkörperung des, Bruchs', zur Vorausset- 
zung von Kollektivität schldchMn nr .(Mir- 
chacl Dictikcr, Ali Jansen, Bernhard Ro- 
senköttcr: Über das Schleifen von Messer- 
rücken. konkret 1 1/92) 

Ähnlich wie die RAF in ihren ersten 
Jahren gegenüber der 68er-Revolte bzw. 
ihren Ausläufern standen wir Mitte der 
80er spätestens vor der Situation, ein 
Verhältnis zu einer Revolte, zu einer 
Bewegung massenhafter Militanz zu ge- 
winnen. Eine Wiederholung jener Avant- 
garde, wie sie seil 77 als zumindest 

ungeklärte Frogc im Raum stand, hätte 
dies nicht sein dürfen. Die Mobilisierung 
des Jahres 84/85 wäre der Ort gewesen, 
um das. was RAF und Gefangene tatsäch- 
lich antizipiert hatten, nämlich eine be- 
stimmte Art zu kämpfen. Guerillamentali- 
tät, mit den Erfahrungen und Vorstellun- 
gen anderer, etwa Autonomen, zu etwas 
Gemeinsamem oder Wechselseitigem 
weilerzuentwickeln. Denn ohne das blei- 
ben die selbstverständlich notwendigen 
Klassen- und sonstigen Analysen, Strate- 
giedebatten, Internationalismus Totgebur- 
ten, „unbewaffnete Propheten" (Gram- 
sei), ideologische Glasperlenspiele. 
Avantgarde im Kortext RAF sollte aber 
zur ewig tragischen Schönheit werden. Ja, 
wir waren wirklich Avantgarde. Gab es 
dieses Vorangchen im orientierenden, bei- 
spielgebenden. polnische Bewegung er- 
zeugenden Sinn, nicht zuletzt im Kampf 
der Gefangenen, so wurde irgendwann der 
Versuch aufgegebei», darin mit anderen 
zusammenzukommen, um an diese Stelle 
anderes zu schieben: Kampf gegen die 
Nato, westeuropäische Front, Gesamtsy- 
stem, ctc.. in dem d*s. was RAF ist, nicht 
mehr wicdcrzucrkcnncn war. aus sich 
heraus bei anderen nichts mehr auslöstc, 
und ihnen deshalb oft mit autoritären 
Methoden aufs Auge gedrückt werden 
mußte. Darin kommen die, die diesen Weg 
seil langen Jahren, immun gegen jedes 
Argument oder Bespiel, unbeirrbar ge- 
hen. dann am Ende doch mit Linken 
draußen zusammen. Mit jenen und jenen 
Momenten, gegen die RAF 1970 einen 
anderen Versuch unicmommcn hatte. Der 
Klärungsprozeß, nach dem 1989 gerade 
von diesen Gefangenen laut gerufen wur- 
de. hätte spätestens zu jenem Zeitpunkt 
geführt werden müssen. 89 war das. was 
zwischen 84 und 86 damit noch haue 
bewirkt werden können, nicht mehr zu 
erreichen. So fruchtbar eine solche Debat- 
te damals hätte sein können, so unwirklich 
und unwirksam der Versuch eines antiim- 

C 'alistischen Kongresses 1986 in Frank- 
, in dessen Verlauf eine grundsätzlich 
richtige, nicht zuletzt internationalistische 


198 


Absicht, auf den dogmatischen Hund 
gebracht wurde. 

Wenn die Mobilisierung zum HS 89 
vorwiegend bUrgexrechUicn-humaniltlren 
Charakter haben sollte; wie Christian Klar 
das in der taz vom 13.6.89 kritisch 
anspricht, dann erstens als Abgren- 
zung/Distanz zu einer politischen Gewalt, 
die selbst in Teilen der radikalen Linken 
auf heftigen Widerspruch gestoßen war 
und zweitens, weil die Chance eines 
cmanzipatorisch-auftaucndcn Prozesses, 
in unseren Zusammenhängen schon im- 
mer unterbelichtet, spätestens in der zwei- 
ten Hälfte der 80er Jahre ungenutzt geblie- 
ben war und so das politische Gewicht 
fehlte, das der HS-Mobilisicrung 89 einen 
deutlicheren Charakter hätte geben kön- 
nen. 

Zwei Bcfricdungsjnilialivcn. Die erste 
läuft - sicher nicht zufällig - nach dieser 
mißglückten Möglichkeit. 87/88. ist mit 
dem Namen der grünen Politikerin Antje 
\fallmer verbunden, Amnestie und Dialog 
werden propagiert. Die zweite. Kinkel- 
Initiative. kommt 1992 in einer vergleich- 
baren Situation. 


Hungerstreik 1989- 
Die Diskussion 

Wenn der Hungerstreik 89 anders war. 
Ausgangspunkt für die Entwicklung der 
Jahre danach, hatte das mehrere Gründe. 
Da ist viel hineininterpretiert worden. 
Etwa das Kalkül der Gcfangcncngruppc, 
sich einem liberalen Spektrum anzudie- 
nen. Hat es nicht gegeben! Es war aber 
erstens klar, daß ein Hungerstreik, in 
dessen Verlauf es „gezielt tödliche Aktio- 
nen" gegeben hätte, zur Zusammenlegung 
nicht geführt hätte. Und zweitens, daß 
nach allem, wie die Verhältnisse in der 
antiimperialistischen Scene waren, die 
von dort zu erwartende Mobilisierung 
nicht hinreichen würde, die Zusammenle- 
gung durchzusetzen. So halten wir etwa 
die Enttäuschung erlebt, daß die. die sich 
auf uns bezogen, im Lauf der Berliner 
Anti-WWG-Kampagnc 1988, wichtiges 
Ereignis internationaler Solidarität mit 
den Völkern des Tnkonts, kaum präsent 
waren. Obschon es zu dieser Kampagne 
eine breite, militante und phantasicvollc 
Mobilisierung bis rein in die Berliner 
Bevölkerung gegeben hatte, die tagelang 
Straßen, Platze und Medien beherrschte, 
war von jenen, die doch jahrelang von 
weltweiter resp. europäischer Front gegen 
den Imperialismus gesprochen hatten, 
nichts zu spüren. 

Neben solchen und anderen enttäu- 
schenden Erfahrungen zeigten sich da- 
mals aber auch neue positive Ansätze. In 
drei am 8.8.88 in der taz veröffentlichten 
Erklärungen machte die Gruppe der Ge- 
fangenen aus der RAF deutlich, die 
Auseinandersetzung ‘ mit gesellschaftli- 
chen Gruppen tu wollen, vorausgesetzt, 
sich dabei, von den äußeren Bedingungen 
her, als Gruppe verhalten zu können. Im 
Oktober 88 brachte ein Aufruf für Zusam- 
menlegung. veröffentlicht vom Hambur- 
ger Initjativkreis für den Erhalt der Hafen- 
Straße, solidarische Unterstützung bis rein 
in Betriebe und Gewerkschaften, wobei 


mehr als einmal die Mut- und lnitialivlo- 
sigkeit der hauptamtlichen Gewerk- 
schaftsfunktionäre angegriffen wurde. 
Möglicherweise Reaktionen jenes auch in 
gewerkschaftlichen Kreisen in der zweiten 
Hälfte der 80er Jahre ebenfalls durch- 
schlagenden Bewußtseins, gegen das 
„Wolfsgesetz der neoliberalen und neo- 
konservativen Gesellsrhaftsoptionen" ei- 
nen „offenen Dialog und neue Bündnisse 
mit anderen gesellschaftlichen Bewegun- 
gen und Gruppen" (ein IG-Mctaller) zu 
suchen, ein Bewußtsein, dem die IG 
Metall mit ihrem „Zukunftskongreß" No- 
vember 88 Rechnung iragen mußte. Nein, 
„zur Front" wären diese nicht nur ökono- 
misch. sondern auch politisch beunruhig- 
ten Gewerkschafterinnen und Gewerk- 
schafter nicht gekommen ! Die umfassend- 
ste Veranstaltungsreihe, initiiert und 
durchgefuhrt vor allem von der Angehört- 
gengruppe. aber auch bereits zuvor vom 
holländischen Rechtsanwalt Pieter Bak- 
ker-Schut gelegentlich des Erscheinens 
seines „Stammhcim"-Buchs. zeigte ein 
starkes Interesse an den Gefangenen und 
einer grundlegenden Änderung ihrer Si- 
tuation. Auch in kleineren Orten, deren 
Lage wir erst auf dem Atlas suchen 
mußten, war ein zu deutliches Interesse 
vorhanden, als daß wir nicht politisch 
drüber hätten nachdcnkcn müssen. Dies 
sind kurz gesagt die Gründe, weshalb die 
von Helmut Pohl 1989 veröffentlichte 
HS-Erklärung offener angelegt war als 
andere. 

Der Hungerstreik war dann auch in 
mehrerer Hinsicht ein Einschnitt. Eine 
breite Solidarisicrung, von den radikalen 
Linken Uber sich bis dahin abgrenzende 
linke Gruppen bis hin zu gewerkschaftli- 
chen und kirchlichen Kreisen bewirkte 
zum ersten Mal eia Aufbrechen des 
Staatsschulzblocks, ohne indes an der 
harten Haltung der Entscheidungsträger 
etwas ändern zu körnen. Als Resümee 
schreibt Christian Klar am 13.6.89 in der 
taz: 

„Das bis dahin Erkämpfte ist nicht gar so 
wenig. Halten wir das fest. Weil darin 
überhaupt Momente der neuen Aufbrüche 
liegen. Es startete eine tiefe Wirkung der 
Mobilisierung in die Gesellschaft rein. Die 
Gleichsduiltung der vergangenen Jahre 
ist auj gebrochen. Wirkliche Beziehungen 
zu ausländischen gefangenen Genossinn- 
en und zu kämpfenden sozialen Gefange- 
nen wachsen ... gegen die selektierende 
und vernichtende Knastmaschine, Bezie- 
hungen. in denen jeder in ersten Schritten 
von sich ausgeht hin zu gemeinsamer 
Perspektive befreiender Ziele. Und 
schließlich ist eine Mobilisierung ange- 
schoben, die erstmals, und das ist mehr als 
bloße Vermutung, jetvauch ohne sofortige 
neue Hungerstreiks die Schritte zum Ziel 
hin weitertreibt. " 

„Neue Aufbrüche*? „Ohne weitere 
Hungerstreiks zum Ziel hin"? Etwas war 
geschehen! 

Zum ersten Mal halte der fast 20 Jahre 
bestehende monolithische Block der poli- 
tischen Klasse, des Staatsschutzbunkers 
und der Medien Widersprüche gezeigt: 
„Die Gleichschaltung der vergangenen 
Jahre ist aufgebrochen." Zum Ende des 
Streiks hatte cs eine Reihe von Gesprä- 
chen gegeben: Brigitte Mohnhaupt und 
Helmut Pohl mit Kinkel; Helmut Pohl mit 



Knise (dem damaligen Vorsitzenden der 
evangelischen Bischofskonferenz), mit 
Enzensberger, ein bei Däubler-Groelin 
angefragtes Gespräch wurde von dieser 
abgelehnt; die Frauen in Nordrhcin* West- 
falen sprachen mit einem Juslizstaa'sse- 
kretär. die Frauen in Lübeck mit Klingner 
und Engholm; wir in Celle mit einem 
Abteilungsleiter aus dem (damals noch) 
CDU-Justizministerium. 

ln Gang gesetzt worden waren diese 
Widersprüche von einer bis dahin nicht 
gekannten Solidarisierung, an der sich 
linke, alternative, gewerkschaftliche, 
christliche, humanitäre Tendeftzen betei- 
ligten. die sich bis dahin bei den Hunger- 
streiks meist außen vor gehalten hatten. 
Ein Verhältnis, das sich bis dahin oft in • 
Distanzierung, wo nicht Denunziation 
erschöpft hatte, war im Lauf des Hunger- 
streiks - nicht zuletzt aus den bereits 
genannten Gründen - umgeschlagen in die 
Suche nach Diskussion und Dialog. Und 
dies nicht nur immer in der Absicht, den 
bewaffneten Kampf Knall auf Fall abzu- 
würgen: 

. . Wfir wollen diese Diskussion nicht nur um 
ihrer selbst wiilen, sondern weil die 
Erfahrungen der Leute, die in den bewaff- 
net kämpfenden Gruppen waren, für den 
jetzt angestoßenen Prozeß fiir uns genauso 
ein Stück Geschichte und Erfahrungen der 
westdeutschen Unken bedeuten wie die 
Erfahrungen der Linken, die in den Ge- 
werkschaften aktiv sind, die in die Grünen 
gegangen sind, um dort radikale Politik zu 
machen, die kommunistische Organisatio- 
nen gegründet haben, manchmal sogar 
darin geblieben sind ■ oder die in den 
sozialen Bewegungen arbeiten, " (Radika- 
le Linke, „Brief an die politischen Gefan- 
genen“. Juli 1989) ' 

Hier dürfte seinen Ursprung haben, 
wovon Helmut Pohl am 27.8.93 in der taz 
schreibt: von einer Neuzusammensetzung 
der Umwälzungspolitik, die heute über 
das linksradikale Spektrum hinausrechen 
könnte. Ja. in der Giuppe taucht die 
Einschätzung auf. cs gäbe eine ..neu 
entstehende revolutionäre Bewegung". 
Wo aber 1993, aisgedrückt etwa in Hel- 
mut Pohls Erklärung, das Gewicht auf 
unserer seit 20 Jahren richtigen Politik 
liegt, der gegenüber, angesichts der kapi- 
talistischen Durchbrüche. Teile der Ge- 
sellschaft, in Erkenntnis der eigenen Lage, 
ihre Isolation aifgeben könnten oder 
sollten, sprechen die Texte der Jahre 1989 
bis 1992 - unter dem Eindruck von 
Hoffnung - eine andere Sprache: Offen- 
heit. kritischer Blick auf das Eigene, nicht 
zuletzt als Möglichkeit, Zugang zu ande- 
ren Tendenzen zu bekommen. 

„Das stimmt wirklich in einem umfassen- 
den Sinn, daß die ganze Phase der Kämpfe 
seil ‘80 vor zwei bis drei Jahren abge- 
schlossen war und etwas Neues angefan- 
gen hat... Jetzt wird- und muß auch - alles 
auf einer neuen Grundlage weitergehen, 
und es wäre total viel verschenkt, nenn 
diese wichtigsten Erfahrungen, die in den 
letzten 20 Jahren m revolutionären Kampf 
hier gemacht wurden, nicht offen in die 
Diskussion gebracht würden. Na, einfach: 
Es ist viel zu lernen, und eine sich neu 
entwickelnde revolutionäre Bewegung 
braucht ein Bewußtsein davon, sonst 
hängt sie geschichlslos, bodenlos in der 
Luft. Außerdem hab' ich wieder gesehen 


199 


wie sehr wahr das ist: aus den Fehlem 
lernen, sich weiterbringen - so läuft 's. 
Unsere Geschichte. Also so will ich das 
jetzt auch: unsere Erfahrungen offen in die 
Auseinandersetzungen bringen und offen 
sein fiir alle ernsten Fragen - egal, wie 
kritisch sie sind. Das ist auch ganz klar ein 
Stück fiir den Aneignungsprozeß, um 
selbständig revolutionäre Politik ent- 
wickeln zu können.“ (Eva Haule, taz, 

14.4.89) 

1989 gibtes aus der Gefangenengruppe 
eine ganze Reihe engagierter Appelle Air 
eine Diskussion zwischen drinnen und 
draußen, ja sogar „ausgehend von den - 
noch so schmalen - Möglichkeiten der 
kleinen Gruppe, und dazu Initiative auch 
der einzelnen.“ (Christian Klar. taz. 

13.6.89) Nein, eine neue revolutionäre 
Bewegung war da gewiß nicht im entste- 
hen, aber wie nach dem HS 84/85 gab cs 
angesichts der Solidaritälssignale aus den 
verschiedensten Bereichen der Gesell- 
schaft Gründe genug, politisch darüber 
nachzudenken und praktisch sich etwas 
einfallen zu lassen. Wenn Gefangene aus 
RAF und Widerstand in dieser nachdrück- 
lichen Weise von ofTener und öffentlicher 
Diskussion reden, ist das erstens ein 
Politikum und zweitens werden Erwartun- 
gen geweckt. Bevor aber aus dem Knast 
auch nur eh nennenswerter Diskussions- 
anstoß kommt, lesen wir bereits wenige 
Monate später in einer Erklärung von 

Helmut Pohl: 

„Ich habe mich mit ein paar Gefangenen 
verständigt, und wir glauben, die meisten 
denken so. daß es längst Zeit ist, unter der 
Geschichte nach dem Hungerstreik einen 
Schlußstrich zu ziehen. ... Heute hat sich 
nach unserem Eindruck draußen alles zum 
Ihema , ü'ukussion ' hin verschoben, und 
die Zusammenlegung rutscht in den Hin- 
tergrund. Für uns aber steht die Zusam- 
menlegung im Zentrum." (10.11.1989. 
Angehörigeninfo 27) 

Um wenige Wochen vor der Kinkel- 
Initiative zu lesen: 

„Das ist ganz einfach das konkrete Pro- 
blem momentan, nicht nur für uns, wie 
man eine Diskussion in Gang bringt, oder 
vielleicht btsser: eine politische Struktu- 
rierung an einer inhaltlichen Klärung der 
Auseinandersetzungen, die auf uns zuge- 
flogen kommen, die man gar nicht raust üf 
teln muß . " (Helmut Pohl, Brief. Oktober 
9 1 . in: ak drinnen & draußen, Celle. Texte 
von Gefangenen aus RAF und Widerstand 
aus den Jahren 1988 bis 1992. Juli 1992) 

Es geht mir nicht darum, anderen, 
vielleicht gar Helmut Pohl. Inkonsequenz 
nachzuweiren. Sich einzureden, man 
selbst habe alles klar, halte ich in diesen 
Zeiten sehen für den Beginn des Irrtums. 
Aber ich denke, das Hin- und Hcrpcndcln 
zwischen Diskussion als Metapher für 
Klarheit, Perspektive, Verständigung und 
Verbindung mit anderen (weil natürlich 
jenes Bedürfnis nach gemeinsam ent- 
wickelter Kraft mit anderen Sektoren. 
Klassen, unterdrückten Völkern, wie es in 
den Gefangenentexten 89-92 mm Aus- . 
druck kommt, das Urpolitische ist) - und 
Kampf, sich entscheiden, als Metapher fiir 
revolutionäre Subjektivität (die in der Tat 
von RAF und Gefangenen in einer Dimen- 
sion verwirklicht worden ist wie sonst von 
kaum einer Gruppe der Linken seit 68) - 
das Erste als Ausdruck der Möglichkeit. 


das Zweite als Ausdruck des Willens - 
dieses Hin- und Hcrpcndcln zwischen 
zwei Polen zu überwinden, scheinbar 
gegensätzlich, tatsächlich aber nur in 
wechselseitiger Durchdringung zu einer 
anderen Wirklichkeit führend, wäre ein 
wichtiger Schritt gewesen Wo aber das 
Revolutionäre identisch ist mit einem 
„nicht hinterfragbaren Fetisch" militäri- 
sche Aktion, bringt sich jene revolutionäre 

Subjektivität um ihre politischen Möglich- 
keiten und so. frü heröder später, auch um. 
In der revolutionären Subjektivität der 
RAF steckten ursprünglich auch andere 
Möglichkeiten. Das nicht gesehen, nicht 
darum gekämpft zu haben, ist die Nieder- 
lege. 

1990 legte Karl-Heinz Dellwo der Ge- 
fangenengruppe einen ausgearbeiteten 
VbrscMag für einen Kongreß vor. Nicht 
ein Kongreß linker Experten und Spezia- 
listen. sondern ein Forum, vielleicht als 
Ausgangspunkt für eine permanente 
Struktur der Verknüpfung und Auseinan- 
dersetzung, ein Kongreß, auf dem ver- 
schiedene Gruppen der Linken, der Frau- 
enbewegung, der Autonomen, der Alter- 
nativen usw. ein Resümee ihrer Erfahrun- 
gen ziehen. (Der Vorschlag wird in der 
Gruppe ignoriert.) Die Linke in Latein- 
amenka hat das schon lange erkannt, sic 
hat sich Strukturen des Austauschs und 
gemeinsamer Suche geschaffen. 

Es waren nicht viele, die zu dieser 
„großen politischen Auseicandersctzung“ 
beitrugen. Michael Dictiker. Ali Jansen. 
Bemturd Rosenkötter; Eva Haulc mit 
einer sogenannten Zusammenfassung der 
Diskussion in der Gefangenengruppe (die 
nie gelaufen ist); die Illegalen, wir hier in 
Celle. In der vom Ccllcr ak drinnen & 
draußen Juli 92 hcrausgegebenen Samm- 
lung von „Texten von Gefangenen aus 
RAF und Widerstand aus den J ahren 1 988 
bis 1992“ ist die offene Sache jener Zeit 
spürbar. Hält man diese Texte (bei denen 
im großen und ganzen jene fehlen, die 
dann im Herbst 93 die Spaltung organisie- 
ren sollten), neben Beiträge aus 93. ist auf 
den ersten Blick zu sehen, was da wo 
abgebrochen ist. Und wenn die beiden 
Erklärungen der RAF aus 92 mit der 
eigenen Geschichte kritisch umgehen, was 
ich nach all den Jahren der krampfhaften 
nicht-Diskussion als wirklich befreiend 
empfunden habe, wenn in diesen Erklä- 
rungen die Einstellung der Angriffe auf 
Repräsentanten usw. mitgeteilt wird, kann 
man nun wirklich nicht behaupten, dies sei 
das eine, was die abgespatenen Gefange- 
nen gewollt hätten, ginge in eine ganz 
andere Richtung. 

Wenn die politische Auseinanderset- 
zung mit draußen und der Umgang mit der 
veränderten Situation nicht in die Gänge 
kommt, hat das verschiedene Gründe. 
Nach 89 wurden einschneidende Verände- 
rungen sichtbar. in Deutschland. Europa, 
weltweit. Stichwortartig: der Zusammen- 
bruch des Realsozialismus und des globa- 
len Ost-West-Kräfteverhältnisscs. von 

dem auch die Prozesse im Süden tangiert 
waren; die deutsche Vereinigung samt 
anschließender Kolonisierung Ost- 
deutschlands; der Golfkrieg und das dabei 
sichtbar werdende Umschlagen der inne- 
ren Verfassung Deutschlands in eine neue 
Qualität, insbesondere das Abtreten der 
von 68 herkommenden undogmati sehen 



200 


„neuen Linken" als politischer Faktor im 
Land; das mehr und mehr ins Chaos 
taumelnde neoliberale Experiment: nicht 
zuletzt eine große Gefahr von Faschismus 
- kurz: Es gab in der Restlinken den 
Eindruck, gegen eine solche Entwicklung 
Kräfte sammeln zu sollen, und dies hinein 
bis in gewerkschaftliche und bürgerliche 
Kreise. Die Stimmung des Mobilisiert- 
seins. wo nicht Aufbruchs nach dem HS 
89 verwandelte sich indes schnell in ihr 
Gegenteil. Gefühle der Ohnmacht, der 
Niederlage, der Depression machten sich 
breit. Zu tief der Einbruch, zu überholt die 
Denkweise, aus der der neue Versuch 
gestartet werden sollte. Jene oben mit 
ihrem „Brief an die politischen Gefange- 
nen" zitierte „Radikale Linke", die ihren 
Ausgangspunkt nicht zuletzt im HS 89 
hatte, fcstgclegt inefcs auf die „Kraft der 
Negation", gibt ihren Geist bald wieder 
auf. Ein Teil wird sich, so die Mitteilung 
eines bekannten Hamburger Grtlndungs- 

a ieds, schnell in Richtung Bündnis 
rüne und PDS verziehen, ein anderer 
Teil sollte mit Diskussionsbcilrägcn erst 

1992 rübcrkommca als sich die Chance 
bot, die Kraft der Negation an RAF und 
Gefangenen auszuprobieren. „Und 
Heuchler waren die.die sich brüsteten, sie 
hülten immer schon so gedacht, wie sic 
jetzt dachten, und die von anderen eine 
Eindeutigkeit und Militanz verlangten, die 
sic selbst nie praktiziert hatten. Genau die 
hatte ich damals aukommen sehen, das 
Wort Revolution auf den Lippen." (Alejo 
Carpentier, Le Sacredu Printemps, Frank- 
Tun. 1993) 

Ein weiterer GrunJ: die Unmöglichkeit, 
zusammenzukommen und zusammen zu 
reden. Die Spaltung ist auch ein Produkt 
der Isolation. Aber diese Situation der 
Gefangenen erklän nicht, weshalb ein 
Dutzend ehemaliger Gefangener draußen 
- die größte Zusammenlegung, die cs je 
gab - nie in die Initiative gekommen ist. 

Ein viertes Moment hängt auch zusam- 
men mit einer Orientierung, wie sie Ende 
der 60cr/Anfang der 70er kurz und knapp 
so benannt wurde: Die Aktion eint, Worte 
spalten. Ulrike Meinhof. 1974: „Man ist 
eine Gruppe von Genossen, die sich 
entschlossen hat. zu handeln, die Ebene 
der Lethargie, des Verbalradikalismus, der 
immer gegenstandsloser werdenden Stra- 
tegiediskussionen zu verlassen." Richtig. 
Denn cs war eine Siluation. die internatio- 
nal wie in Europa wie innergesellschaft- 
lich in Kämpfen und Auseinandersetzun- 
gen eine Fülle von Erfahrungen, Wissen, 
„revolutionäre Bestimmungen“ hervorge- 
bracht hatte, was sich in einem lebendigen 
Prozeß ständig weitercntwickclte und sich 
zu einem Teil in den frühen RAF-Tcxien 
und im alten Info wiederfindet. Das 
Konzept Stadtguerilla entstand in dieser 
Situation - cs war rieht vorstellbar ohne 
die Revolte von 68 und die Bewegung 
gegen den US-Völkermord in Vietnam, 
wie ja auch das Front- Konzept der 80er 
Jahre ohne die militanten Bewegungen der 
ausgehenden 70cr/bcginncnden 8Uer 
überhaupt nicht hikte ersonnen werden 
können. Rcalitütsfcm deshalb der heutige 
Vbrwurf an die Illegalen, sic hätten kein 
Konzept, als ob revolutionäre Politik das 
aufgesetzte Produkt von ganz wenigen 
sein könnte - eine Vorstellung, die doch 


gerade am Front-Konzept gescheitert ist. 

An dieser Stelle noch ein anderer Aspekt 
zu Diskussion überhaupt. Eine ganze 
Reihe von Leuten draußen hatte in den 
letzten beiden Jahren den Eindruck, vor 
allem die Celler verträten heute eine 
„Position", die von der, die sic die Jahre 
davor vertreten hatten, erheblich abweicht 
und sie verkünden dies im alten Avantgar- 
dcstil nach draußen. Einige sind darüber 
«auer. Wo dies nicht nur Zucchauerhaltung 
ist. ist darin mit Sicherheit ein Moment 
von Emanzipation. Es hat. nach der 
Spaltung, eine Reihe von Texten und 
Haltungen gegeben, in denen deutlich 
wird: Wir wollen eine inhaltliche Diskus- 
sion, weil wir uns nur so als Subjekt in 
dieser Auseinandersetzung verhalten kön- 
nen. 

Celle war nie „Front“ im hinreichend 
bekannten Tenor. Ich glaube nicht, daß cs 
auch nur einen Brief von mir gibt, der 
diese doktrinäre Front-Ideologie bedient. 
Es hat von uns von Anfang an Kritik, aber 
keinen Bruch gegeben, denn tatsächlich 

hatte das Front-Konzept einige« für «ich — 
wäre die Grundidee von einem offenen, 
emanzipativen Geist • getragen worden, 
hätte daraus etwas anderes werden kön- 
nen. Das war nicht der Fall, die eingangs 
zitierte Selbsterkenntnis eines der Front- 
Ideologie ganz besonders verpflichteten 
Gefangenen Uber das Fehlen eines Keims 
neuer Gesellschaft kam zu spät. Auch 
wurden Möglichkeiten der Verbreiterung 
und Vertiefung, die sich immer wieder 
boten, nicht ausgcfüllt. Unsere Widersprü- 
che und Vorschläge, die wir hatten, haben 
wir in der Regel nicht verheimlicht, unsere 
Kritik aber auch nicht in öffentlich-syste- 
matischer Form vorgclegt. Dies war wohV 
ein Fehler. Schlimmer als es jetzt ist. hätte 
es dadurch auch rieht werden können. 
Wenn also die beiden letzten Jahre bei 
einigen wie ein unvermittelter „Positions- 
wechsel" ankommen, mag das für die bis 
dahin fehlende deutliche und systemati- 
sche Darstellung zutreffen. 

Insgesamt gibt cs bei den abgespaUcncn 
Gefangenen als auch bei uns hier den 
Eindruck wechselseitiger Mißachtung 
über eine längere Zeit. Auch draußen gibt 
es dieses Gefühl. Auch deshalb hätte ich 
es gut gefunden, wenn es. von der Spal- 
tung als der inzwischen nötigen Distanz 
ausgehend, dennoch zu einer Diskussion 
gekommen wäre. Ich betrachte cs nicht für 
ein Epochendrama wenn eine Gruppe 
(oder Tci Ic daraus), die über 20 Jahre unter 
diesen Bedingungen zu leben und zu 
kämpfen gezwungen waren, in einer Wei- 
se reagiert, die inakzeptabel ist. Diese 
Frage entscheidet sich eher daran, wie 

nach einer gewissen Frisi damit umgegan- 
gen wird. Ich finde Leute, die heute 
versuchen, sich an diesem Debakel zu 
mästen, sagen nur etwas über sich selbst. 
Was soll die Klassenanalysc, wenn ein Teil 
draußen noch nicht einmal in der Lage 
oder auch nur bereit ist. sich in die 
Situation hineinzudenken, die doch seit 20 
Jahren so unübersehbar extrem ist? Wo 
sich welche aber noch nicht mal in die 
Situation von Gefangenen versetzen kön- 
nen. welchen Zugang - außer einem 
ideologisch gesteuerten - mochten sie 
zum Alltag jener Klasse gehabt haben, von 
der sic so gerne reden? Ich bin skeptisch 


gegenüber „Positionen", insbesondere, 
wo sich das im Ablegen von politischen 
Bekenntnissen (für Internationalismus, 
gegen Patriarchat) erschöpft. Ub das Pro- 
jekt eines internationalen Kampftags für 
Gefangene richtig oder falsch ist. wird sich 
erst hinter den Forderungen und Über- 
schriften entscheiden. Wenn welche mit 
jener radikalen und findigen Guerillamen- 
talität diesen Kampf beginnen, könnte 
etwas darüber hinaus Impulsgcbendcs 
daraus werden. Wenn es im sektiereri- 
schen Stil beackert würde, sollten wir cs 
lieber gleich vergessen. 

Ich hatte einen Entwurf dieses Textes 
mit einigen Freundinnen draußen disku- 
tiert. Einer sagte mir dabei: Wenn du vom 
Kampf um Würde schreibst, können wir 
draußen das so direkt nicht nachvollzie- 
hcn. Ich reagierte spontan und heftig: 
Doch, hier mußt du deine Würde tagtäg- 
lich verteidigen, und vor allem im Trakt 
und in der Isolation war das ein Kampf, 
der jeden Tag sehr deutlich spürbar an 
deinen Kräften zehrte. Auseinanderset- 
zungen. ob sie und wie sic mit Gefangenen 
und untereinander laufen, haben andere 
Bedingungen als draußen. 

Das Desaster - 
Die politische Leere 

1992. Die Vehemenz, mil der Klörung.«- 
prozesse gefordert werden, ohne zu Resul- 
taten zu kommen, entspricht der politi- 
schen Leere des Jahres 1992. Die alten, 
seit 20 Jahren gültigen Gewißheiten sind 
erschüttert, neue nicht in Sicht. In dieser 
Krisenzone - in der die Gefahr eines 
letzten Stillstands ebenso gegeben ist wie 
die Chance, neue Ufer zu erreichen - wird 
erstens von fast allen fast alles gedacht und 
gesagt, was 20 Jahre lang von fast nieman- 
dem gesagt wurde, und zweitens wird der 
Staat initiativ. Wobei zweitrangig ist. 
welche Ziele er mit dieser Initiative 
verfolgt. Entscheidend ist. daß er die 
Initiative in die Hand bekommt. Und so 
wird aus dieser Kinkel- und/oder KGT- 
Initiativc eine Köpfc-füllende monströse 
Angelegenheit. Wohl wissend um den 
inneren Zustand der Gruppe fordert der 
Verfassungsschutz die Zusammenlegung, 
lange vor 1992 (die Gefangenen sollen 
sich zerstreiten) und identifizieren Gefan- 
gene die Kinkel-Initiative sofort als Snal- 
tungsmanöver. Weshalb sollte sich diese 
Gefangcncngruppc. 20 Jahre lang auf 
Leben und Tod zusammen kämpfend, von 
einer solchen Iniliacive spalten lassen? 

Nein, cs ist nicht der Knast, der nicht 
mehr auszuhaltcn ist. Wir haben in fast 20 
Jahren gelernt, auch extremste Situationen 
mit Sinn und Leben und Kampf zu füllen, 
weshalb sollte das jetzt plötzlich abbre- 
chcn? Wenn 1 993/94, in der Spaltung, jene 
Mentalität politischer Auseinanderset- 
zung, aus der 1985 die Pimcntal-Debatte 
geführt wurde, in aller Unbefangenheit 
neu aufgelegt wird, offenbart sich hier, 
wenn auch in zugespitzter Form, die 
vermutlich unabänderliche Kontinuität ei- 
ner bleischweren Unbeweglichkeit, in der 
das Bewußtsein, das Menschen. Dinge, 
sich selbst in deutlich spürbarer Bewe- 
gung hält, kurz: revolutionäre Identität, 
schon lange zur „Position", zu Festgesetz- 
tem. geronnen ist. Der Raum, in dem 



201 


„RAF' zu suchen begonnen haue, war 
aber ein anderer gewesen. Dorthin als 
Gruppe zurückzuiehren. war unser Ver- 
such der .vergangenen Jahre. Danach soll 
fragen, wer uns kritisiert. Ja. dies wäre ein 
Sich-Auseinanderselzen auf völlig ande- 
rer Ebene, wiirccsdoch immer sofort auch 
eine Frage der oder des Kriiisierendcn an 
sich selbst. „Position“ indes. Begriff von 
92 und danach, ist das. was übrigbleibt, wo 
die Frage revolutionärer Subjektivität aj Id- 
en vor gelassen wird. Der Verlust lieg: in 
einer Politik, die cs schon lange aufgege- 
ben hat. diese Emanzipation auf allen 
Ebenen des Denkens und Handelns, von 
Praxis und Theorie anzustreben, zu orga- 
nisieren. aufleben zu lassen. Als dieser 
Raum spätestens mit der verdinglichten 
Vorstellung von „zusammen kämpfen“ 
verlassen wird, wird aus strategischem 
Defizit politische Orientierung, von nun 
an sieht alles anders aus. die Spaltung ist 
da nur die Endmoräne. 

Wären jene Energien, die noch 1993/94 
für eine Spaltung zur Verfügung stehen, 
die Jahre zuvor genutzt worden, um den 
cmanzipativ-suchenden Weg der Illega- 
len. einiger Gefangener, von Leuten drau- 
ßen mitzugehen statt sich auf das Hcraus- 
geben von Diskujsionr.appcllcn zu verle- 
gen - ich bin mir sicher, das Jahr 1992 
wäre zu diesem Desaster nicht geworden. 
Ob Gefangene rausgekommen wären, dar- 
über will ich nicht spekulieren. Aber es 
wäre Erinncrungsarbcil gelaufen, inhaltli- 
che Substanz beschafft worden, ein neues 
Netz von Verbindungen wäre entstanden. 
Beides auf der Höhe der Zeit: möglichst 
breites Sammeln von Kräften gegen die 
Gefahr von Faschismus, bei gleichzeitiger 
und immanenter Entwicklung einer radi- 
kalen Perspektive, radikal im originären 
Sinn, den Verhältnissen und ihren objekti- 
ven Verankerungen auf den Grund ge- 
hend. Daraus ist nichts geworden und so 
ist die inhaltsleere Härte, wie sie aus den 
Spaltungstexten spricht, tatsächlich Ori- 
entierung in eine Richtung, wie sie Eva 
Haule nach der April-Erklärung der RAF 
zutreffend kritisiert: 

„Jetzt schrieb mir grade jemand aus 
Berlin, daß die Entscheidung der RA Fund 
was wir Gefangene dazu gesagt haben, bei 
manchen Leuten .Gefühle der Ohnmacht 
und Niederlage' uusgelöst habe und sie 
nur noch alles .zusammenbrechen' sehen. 
Das kann ich mir einerseits erklären, so 
wie die Lage der Unken ist und weil ich 
weiß, daß für viele hier mit der RAF und 
ihren Aktionen eine ganze Menge »w 
allem emotional verbunden war. Hoffun- 
gen. .der Kampf geht weiter ' ... alles Jas. 
Aber onderrrteilr sind diese Reaktionen 
politisch völlig leer und das Denken, das 
sich darin ausdrückl, darf uns heute nicht 
mehr ausreichen." (Brief, 25.4.92) 

Nach der Erklärung der RAF vom 
10.4.92, in der sic die Einstellung der 
Angriffe mitteilt, bestätigt Irmgard Müller 
m Namen aller Gefangenen: 

. Wir sehen auch heute noch um vieles 
• eutlicher. als es schon Mitte der 80er zu 
erkennen war und im Hungerstreik 89 von 
ms das erste Mai angepackt und in eine 
Praxis umgesetzt wurde, daß die globalen 
und innergesellschaftlichen Umbrüche so 
tiefgehend sind, daß sie für alle / ine 
einfache Fortsetzung der Politik und 


Praxis der 70er und 80er Jahre unmöglich 
machen. ” 

Und wenn Hanna Krabbe im Fcmsch- 
interview der Lübecker Gefangenen vom 

16.5.92 die Frage oufwirfl, ob Gewalt - 
angesichts heutiger gesellschaftlicher Zu- 
stände - überhaupt noch die Funktion 
haben kann, „gesellschaftliche Wider- 
sprüche aufzubrechen, sichtbar zu machen 
und zuzuspiizen“. wenn cs in der Gefan- 
genengruppe niemanden gegeben hat. der 
Irmgard Möllers Erklärung widerspricht, 
ist da* eine mthent ischc Auskunft darüber, 
wo sich die Gruppe Frühjahr 1992. dem 
Zeitpunkt also, als sich die Reaktionen auf 
die Kinkel-Initiative hcrausbilden. be- 
fand. Dieser Satz wird auch dann nicht 
falsch, wenn cs - intern - auf die 
April -Erklärung der RAF selbst Kritik 
gegeben hat, die indes von ähnlich diskus- 
sionsfemem Zuschnitt war wie gewisse 
Spaliungsteatc. 

Und folglich setzen auch alle Gefange- 
ne an der Kinkel-Initiative ein. Skeptisch 
zwar, im Bewußtsein oder zumindest mit 
dem Appell verknüpft, um Freilassung 
resp. Zusammenlegung kämpfen zu müs- 
sen, aber grundsätzlich verworfen wurde 
sie von niemandem. Entgegen heutiger 
Legende kommen doch recht weitgehende 
Vorschläge, wie auf die justiz-institutio- 
nelle Ebene eingegangen werden soll. 

In der Pressemitteilung der Verteidige- 
rinnen der politischen Gefangenen in der 
BRD vom 24.2.92, abgestimmt mit den 
Gefangenen, wird gesagt. Kinkel habe 
damit „eine neue Position in der öffentli- 
chen Diskussion" eingenommen, „sich 
damit der politischen Realität genähert.“ 
In ihren Beiträgen zu den I. -Mai-Demos 
in Stuttgart und Frankfurt fordern ehema- 
lige Gefangene „vor dem Amiswcchscl 
von KinkeT*. daß „eine Entscheidung 
getroffen wird für die Freiheit aller politi- 
schen Gefangenen“ und daß die Regie- 
rung jetzt Kontakt zu den Gefangenen 
aufnehmen solle ‘(clockwork 129a. 
22.5.92). Im Angehörigen- Info vom 

28.2.92 bekräftigt Eva Haule die Haltung, 
„auf den Punkt zu gehen, an dem wir 
einhaken und mit dem. was wir wollen, 
weiterkommen zu können statt nur die 
.Counterschnutc' zu ziehen und sich zu- 
rtlckzulehnen.“ Bei diesem Appell sollte 
es - von der oben bereits erwähnten 
„Zusammenfassung“ einer nie dagewese- 
nen gruppenintemen Diskussion abgese- 
hen - dann aber auch bleiben. Wenn 
Wochen nach der Kinkel-Initiative sich die 
Anfragen von draußen häufen, was die 
Gefangenen denn nun wollten, konkret: 
nach einer grundsätzlichen Orientierung, 
einer Erklärung der Gefangenengruppe 
geradezu gerufen wurde, um draußen 
handlungsfähig zu werden, wird das mit 
dem Hinweb auf fehlende Zusammenle- 
gung resp. Diskussionsniögljchkcit aus- 
drücklich abgclehnL Das alle Muster. 
Wieder ist es die Situation der Gefange- 
nen. die zum politischen Angelpunkt 
gemacht wird - voigcscliobctcrwei.se. 
denn Hungerstreikerklärungen waren ja 
auch machbar, nicht zuletzt diese Spal- 
tung. Wenn im April die RAF etwas sagt, 
dann nicht zuletzt deshalb, um dieses 
Vakuum zu füllen. 

Trotz dieser weitgehend übereinstim- 
menden Wahrnehmung der Kinkel-Initia- 


tive vom Januarbeginn 1992 gab cs also 
erhcblxrhc Unterschiede in der Frage, wie 
praktisch darauf zu reagieren ist. Verwei- 
gerung hielten wir hier stets für die letzte 
aller Möglichkeiten. Möglicherweise 
kommt hier aber wieder jenes andere 
Moment zum tragen: Wer davon ausgeht, 
daß die Situation so ist. daß Teile der 
Gesellschaft, über die Linke hinaus, in 
welcher Form auch immer, sich unserer 
Politik und Praxis der 70er und 80er Jahre 
zuwenJcn könnten, wer davon überzeugt 
ist. daß ..widcrsländische“ Auseinander- 
setzungen auf uns zugeflogcn kommen 
könnten, der wird vermutlich von einem 
real (oder potentiell) erheblich stärker zu 
unseren Gunsten existierenden Kräftever- 
hältnis ausgehen (so jedenfalls die Skizze, 
wie sie sich aus der Erklärung Helmut 
Pohls vom 27.8.93 ergibt) - während 
welche, die wie wir eine solche Einschät- 
zung unmittelbarer Möglichkeiten nicht 
halten, eher davon ausgingen, uns ins 
Zeug legen zu müssen, um das politische 
Kräfteverhältnis zu unseren Gunsten zu 
verschieben. Vor einem Jahr hatte ich in 
..Gesellschaft oder Getto“ davon gespro- 
chen. daß Kinkel Januar 1992 der Öficnt- 
lichkeii den Gedanken der Frei lassung von 
RAF-Gcfangencn in den Kopf gesetzt 
hatte. ..eine neue Position in der öffentli- 
chen Diskussion", und daß es darum 
gegangen wäre, diese Situation für uns 
weiterzuzichcn und auszubaucn. den Ge- 
danken einer Freilassung ofTensiv zu 
vertreten, der Öffentlichen Position Kin- 
kels und anderer die eigene Kampagne 
enlgegenzusctzen. Wie konnten wir. die 
wircbca noch von der,. großen politischen 
Auseinandersetzung“ mit allen gesell- 
schaftlichen Gruppen geredet hatten, dies 
an unsere Rechtsanwältinnen und Rechts- 
anwälte delegieren, wo eben jene gesell- 
schaftliche Gruppen über uns sprachen?! 

„Nach der Entscheidung der RAF und den 
endlich möglich gewordenen öffentlichen 
Stellungnahmen der Gefangenen aus der 
RAF in Fernseh- und Zcilungsinterviews 
gibt es immer mehr Interesse in der 
Öffentlichkeit, über die Gefangenen zu 
sprechen.“ (Vorbcreitungigruppc De- 
monstration am 20.6.1992. Mitteilung an 
die Presse. Bonn; 16.6.1992) 

Bereits Mine Januar legt Karl-Heinz 
Dcllwo den Entwurf einer gemeinsamen 
Erklärung der Gcfangcnengruppe vor. Er 
beginnt mit einer skeptischen Einschät- 
zung der Kinkel-Initiative: Bereits wäh- 
rend des HS 89 hatten RAF und die 
Gefangenen „die politische Situation 
grundsätzlich aufgemaehl ... von oben 
kamen nur Reaktionen, den Krieg bis zum 
.Endsieg* fortzusetzen.“ 

.. Verschärfung der Hafibedingungen, 
bundesweite Zellenrazzien, Anwahsver- 
folgung Hetzkampagnen, draußen weiter 
Repressionsbetrieb gegen Linke und als 
Abschluß: ein halbes Dutzend neuer an- 
klagen gegen Gefangene, die teilweise 
schon über 10 Jahre im Gefängnis sitzen, 
teilweise bereits zu mehrfach lebensläng- 
lich verurteilt wurden oder kurz vordem 
Ende langer Haftstrafen stehen. Gegen die 
Illegalen neue Fahndungsoffensiven und 
die alten Illusionen ... 

Abschwören ist kein Weg. Auch die acht 
werden nicht abschwören. Und es wäre 



202 


auch kein Weg. zu denken, alle Gefangene 
müßten diese langen Strafen absilzen und 
sie könnten einzelne Gefangene bis weit 
übers Jahr 2000 im Gefängnis halten und 
von unserer Seite gäbe es keinen Kampf 
mehr." 

Insgesamt dreimal werden in dieser 
zweiseitigen Vorlage die geplanten Kron- 
zeugenprozesse als Hindernis angeführt, 
um zu einem politischen Umgang mit der 
Lage zu kommen. So auch in allen 
Interviews 1992. Aber diese oder irgend- 
eine andere Erklärung wird grundsätzlich 
abgelchnt. Vielleicht hatte dieses Nein 
Gründe in einer von diesen Gefangenen 
erwarteten Einstellungserklärung der 
RAF. von der sie sich möglicherweise 
mehr politische Schubkraft für Freilas- 
sung/Zusammenlegung versprachen als 
von einer eigenen Erklärung. Ich weiß cs 
nicht. 

Die RAF berichtet in ihrer Erklärung 
vom 2.11 .93. daß cs jenen Gefangener, die 
von ihr die Einstellung der gezielt tödli- 
chen Angriffe verlangt hatten, um eine 
Gesamtlösung gegangen sei. Eva Haule 
schreibt am 25.4.92 in , .Sandkörner 1 ' 
(Reader zum Forum I, Anti-WWG. Mün- 
chen. 1992): 

..So sind wir 89 ir. den Streik. Wäre die Z L 
und die freie Kommunikation erreicht 
worden, hätte das damals schon ein 
Aussetzen der Kommandoaktionen bedeu- 
tet: denn in der Diskussion, die wir 89 
wollten, sollte es um neue gemeinsame 
Grundlagen für die gesamte revolutionäre 
Bewegung gehen: was die Priorität des 
politischen Prozesses einschließt und daß 
er offen ist für eine grundsätzliche Klä- 
rung aller Fragen ... für uns ist jetzt die 
politische Zeit, in der unsere Freiheit 
erkämpft werden kann, in der auch der 
Schritt der RAF richtig und dafür eine 
\braussetzung ist- anders wäre .Freiheit' 
bloß ein schöner Traum . " 

Wie bereits gesagt, wissen wir nicht, 
worum damals der Streit ging. Aber eine 
solche Erklärung wie diese fällt ja nicht 
vom Himmel. Es ist ein Gedankengang, 
eine Logik, die der Erklärung von Irmgard 
Möller vom 10.4.92 weit näher sind als 
den 1993 im rachhincin entwickelten 
Legenden: Da die Politik und Praxis der 
70er und 80er Jafcic nicht mehr so einfach 
fortgeführt werden kann. Suche nach 
neuen Grundlagen und Einstellung der 
Angriffe, damit die Freilassung nich: nur 
ein Traum bleibt. sondern eine realistische 
Perspektive bekommt. 1993 sollte der 
Vorwurf, die Situation der Gefangenen an 
den bewaffneten Kampf gebunden zu 
haben, einer der Hauptgründe für die 
Spaltung sein. Aber selbst wenn diese 
Haltung nicht von allen Gefangenen ge- 
teilt wurde - wovon ich ausgehe -. wie 
Helmut Pohl jene Einstellung, wie sie von 
ihm und einigen anderen Gefangenen von 
den Illegalen gefordert wird, begründet, 
wird das ganze dann tatsächlich fragwür- 
dig. Nein, um eine Aufgabe des Kampfs 
sei es nicht gegangen. Aber Freilassung 
aller! Wie hätte dieser Verstellung zufolge 
der gemeinsame Kampf von Illegalen und 
- dann - ehemaligen Gefangenen abge- 
sehen? Die ex-Gefangenen hätten den 
bewaffneten Kampf in der Theorie richtig 
gefunden - und die Illegalen hätten ihn in 
der Praxis geführt. Denselben Wider- 


spruch hatten wir bereits vor 25 Jahren. 
Auch damals gab cs welche, allerdings in 
anderen Dimensionen, die den bewaffne- 
ten Kampf richtig fanden. Sic liefen durch 
die Straßen von Berlin. Frankfurt. Ham- 
burg und München und riefen zu Tausen- 
den: „Für den Sieg des Vietcong!“ Und 
dann gab es damals welche, die dazu in 
einer bestimmten Weise Nein gesagt ha- 
ben. Sie sprachen von revolutionärer 
Identität, von der Einheit von Sagen und 
Tun. Das war der Beginn der RAF. Wer für 
«ich selbsi den bewaffneten Kampf been- 
det. wer inhaltlich nichts dazu beiträgt, 
eine solche Zäsur inhaltlich zu bewältigen 
und für andere begreifbar zu machen, wer 
sich nicht darum bemüht, zumindest in 
Gestalt erkennbarer Suche nach weiter- 
führenden Perspektiven deutlich zu ma- 
chen. daß es nicht um ..Aufgabe des 
Kampfs“ geht, sollte nicht spalten. Ich 
finde es nicht korrekt, bei anderen draußen 
einen Eindruck stehen zu lassen, der dazu 
beitragen könnte, daß sic ihr Leben aufs 
Spiel setzen. 

Ich kann mir vorstellen, daß die Illega- 
len durchaus damit einverstanden waren, 
wenn die Gefangenen jetzt versuchen, 
rauszukommen. Ich kann mir auch vor- 
stcllcn, daß sic bereit waren, den Kampf 
alleine weiterzuführen. KeineJr der bisher 
entlassenen RAF-Gefangenen ist' in die 
Illegalität zurückgegangen. Aber nach 
allem, was ich in ihren Erklärungen ab 
April 1992 gelesen und gespürt habe, kann 
ich mir nicht vorstcllcn. daß sic sich diese 
Einstellung, eine solche Zäsur anders 
denken konnten als auf der Grundlage 
einer inhaltlichen Durcharbeitung und 
ihrer Vermittlung. Sic wollten nicht nur 
den formalen Schritt, sic wollten einen 
inhaltlichen, sich als Subjekt zur eigenen 
Geschichte verhalten. Das Problem ist 
doch nicht, daß die Illegalen diesen Weg 
cingcschlagen haben, sondern daß zu viele 
zurückgeblieben sind, um im ihnen geeig- 
net erscheinenden Augenblick den Dau- 
men nach unten zu drehen. 

Das Problem ist doch, daß der größte 
Teil der Gefangenengruppc sich diesem 
notwendigen Prozeß verweigert hat und 
deshalb jede Einstellungscrklimng, ohne 
einen gemeinsamen Begriff der Situation 
zur Grundlage zu haben, in der Luft 
hängen mußte. Was fUrcinc revolutionäre 
Identität, die in wenigen Sätzen dem Rest 
der Welt milteilen will, Mitte der 80er 
Jahre sei eine Phase zu Ende gegangen - 
um diese dann über eine Formel von der 
Legitimität des bewaffneten Kampfs weg- 
zutippen wie ein langweilig gewordenes 
Fernsehprogramm! Und dies bei all den 
Toten! Wrrum ausgerechnet einzelne Fe- 
ministinnen, die doch über die Wechselbe- 
ziehung von Subjektivem und Objektivem 
etwas wissen, damit Probleme haben, 
wenn die Illegalen auf einem bewußten 
Verhalten zu ihrer eigenen Geschichte 
bestehen, wenn sic nein sagen zu einem 
Subjekt-Objekt- Verhältnis dergeschilder- 
ten Art. hat sich mir nicht erschlossen. Es 
fällt mir schwer, mir nach fast 20 Jahren 
Abwesenheit aus dieser Gesellschaft ein 
Bild von der Frauenbewegung zu machen 
(und vom Ablegen parolcnhafi-entfrem- 
deter Bekenntnisse halte ich schon gar 
nichts!), aber wenn ich das doch richtig 
verstanden habe, war da die Rede von 
starken Frauen, die sich auf eigene Identi- 


tät. auf eigene Kraft, auf eigene, bewußt 
gemachte Geschichte verlassen. Ich habe 
das Gefühl, wenn solche emanzipative 
Kraft in den letzten Jahren in unserem 
ZutaiiiiiKiiliang wirksam geworden wäre, 
wären die Jahre 92 und 93 anders verlau- 
fen! 

In der zweiten Hälfte 93 schließlich die 
Illusion, diese politische Leere durch die 
bekannte Schuldzuweisung zu füllen. 
Nochmal: Wir haben, niemandem ein 
Angebot gemacht und hatten dies auch 
nicht vor. Wo jemand wie Ströbele davon 
spricht, daß im Fall einer ausbleibendcn 
Deeskalation in der Gefangenenfrage die 
Möglichkeit einer erneuten Eskalation 
bewaffneter Aktion wahrscheinlich ist. 
kann dies gelesen werden als konkrete 
Drohung, als konkretes Angebot - oder es 
kann genommen werden als das. was cs für 
Reuter war die Lageeinschätzung eines 
früheren aktiven RAF-Anwalts, Kenner 
der Sachlage, der die Entwicklung ver- 
folgt und der bei Bubis und Reuter formell 
ausdrücklich als Vertreter einer politi- 
schen Gruppierung auftritt, die weder 
RAF noch Celler Gefangene noch Gefan- 
gene aus der RAF und Widerstand heißt - 
noch sonst irgendwie mit uns in Verbin- 
dung gebracht werden kann. Und so war 
damit auch kein Risiko verbunden. Wir 
haben niemanden beauftragt, mit dem 
Verfassungsschützer Benz Kontakt aufzu- 
nehmen. Vbn Reuter/Bubis wußte er 
nichts. Eine Vermittlung welcher Art auch 
immer durch ihn hat nicht stattgefunden 
und war auch nicht beabsichtigt. Im 
Kontrast zu den von Brigitte Mohnhaupt 
und anderen, zu den im ..Spiegel 1 ' und im 
Angchörigen-info aufgetischten umfang- 
reichen Einzelheiten und Abläufen, die wir 
dort erstmalig nachlescn, erfahren konn- 
ten wie jede/r andere auch, mag diese 
Mitteilung dürftig erscheinen. Aber sic 
entspricht dem Begriff dessen, was gewe- 
sen ist. Daß andere Gefangene sich aber 
auch davon uberfahren fühlen, kann ich 
nachvollziehen. Im umgekehrten Fall 
wäre mir das vermutlich genauso gegan- 
gen. Auch wenn diese, von uns selbst als 
peripher und aller Wahrscheinlichkeit 
nach als nicht besonders effektiv empfun- 
dene Initiative nicht gerade ein unerklärli- 
cher Ausbruch aus einem lebendigen 
Kollektiv war- Alleingang war cs allemal. 
Ein Gespräch mit Bubis würde ich auch 
heute noch führen, er aber vermutlich 
nicht mehr mit RAF-Gefangenen. Er hat 
in den letzten beiden Jahren einen enga- 
gierten Antifaschismus vertreten. Als der 
bekannteste Repräsentant der deutschen 
Jüdinnen und Juden teilt er bei seinem 
ouüng zum Vorgang selbst eine Auffas- 
sung mit. die mit der öffentlichen Meinung 
übereinslimmen könnte. Das ist gut so. 
Die Möglichkeit eines Kontakts zu bürger- 
lichen Antifaschistinnen dürfte mit dem, 
wie das jetzt gehandhato wurde, auf lange 
Zeit verbaut sein. Schließlich: wenn im 
Papier der Tübinger Gruppe die Frage 
aufgeworfen wird, ob in der oben erwähn- 
ten Lagccinschdtzung ein Widerspruch 
steckt, kann ich das nur mit ja beantwor- 
ten. 

1991 beschäff igten mich zwei Fragen: 
Perspektive für die Gefangenen; politische 
Perspektive, wie kann dieser Sinn, wie er 
trotz allem in den letzten 20 Jahren steckt, 
heute und morgen wieder lebendig wer- 



203 


den. Zum erster Punkt vertrat ich die 
Auffassung, daß die Zusammenlegung ein 
Ziel für erste Knastjahre sein kann, daß es 
aber keinen Sinn macht, nach 10, 15, 20 
Jahren für Zusammenlegung zu kämpfen. 
Perspektivisch jedenfalls. Politisch schief 
vor allem deshalb, weil das sich Abfinden 
mit der Tatsache der Gefangenschaft, ja. 
des Gefängnisse? überhaupt, etwas zu- 
tiefst unrevolutionäres, defensives, ja. 
resignatives hat. Zur politischen Einschät- 
zung kommen, daß eine Freilassungskam- 
pagne cu diesem oder jenem Zeitpunkt 
aussichtslos ist. ist das eine, ob Gefangen- 
schaft in Frage gestellt oder hingenommen 
wird, das andere. Vor allem sagt es etwas 
aus Über das Verhältnis zum kapitalisti- 
schen Zwangssystem überhaupt. Es hat ja 
wohl auch in der Frauenbewegung, um 
das, worum es mxgeht, an einem Beispiel 
zu verdeutlichen, nie eine Diskussion 
darüber gegeben, statt für Frauenbefrei- 
ung und gegen Patriarchal nur für Frajen- 
häuser zu kämpfen, da die Abschaffung 
des Patriarchats angesichts heutiger Ver- 
hältnisse crstmal nicht durchsetzbar sei. 
Die Frage, die uns vor einiger Zeit mal 
erreichte, ob wir’s denn im Knast nicht 
mehr aushalten, ist so sinnvoll wie die 
Gegenfrage, ob ihr's denn im Kapitalis- 
mus nicht mehr aushaltet. 

Gleichzeitig bemühte ich mich, zu der 
1989 angesagten „großen politischen 
Auseinandersetzung“ etwas beizutragen. 
Deshalb mein Austausch mit Tupamaros 
und anderen, deshalb inhaltliche Beiträge. 
Ich bin der Auffassung, wenn von einer 
solchen Zäsur die Rede ist. muß Nacbfor- 
schcn cinsetzen. In beiden Momenten - 
Bruch mit dem von manchen verinnerlich- 
ten Knast; bcwuSt gemachte und vermit- 
telte Zäsur - steckt ein emanzipalives 
Moment: durchbrechen eines verdinglich- 
ten, oft in erstarrten Formeln und Denk- 
mustem steckcngeblicbencn Politikver- 
r.iändnisscs. Von efnem Hinter-sich lassen 
solchen Entfremdungsstresses sei es beim 
Absender, sei es beim Empfänger - 
verspreche ich mir das Freiwerden enor- 
mer Energiemengen, die ansonsten dafür 
verbraucht werden, labile ideologische 
Konstrukte in Schach zu halten. Die 
beiden letzten Jahre sind ein trauriges 
Beispiel dafür. 

Ich denke, ein solcher oder ähnlicher, 
weniger spektakulärer, dafür inhatlich 
aufbauender und vermittelnder Prozeß 
hätte mehr gebracht; die Erklärung, gezielt 
tödliche Angriffe einzustellen, hätte drin- 
nen und draußen eine gemeinsame politi- 
sche Grundlage gehabt. So aber öffnet 
diese politische Leere dem Taktieren 
untereinander Tür und Tor. 

Vfom Kampf zweier Linien zu sprechen, 
scheint mir etwas voreilig. Darunter ver- 
stehe ich doch etwas anderes. Da ist viel 
zu wenig herausgearbeitet. Solche spekta- 
kuläre Interpretationen befriedigen wohl 
eher das Bedürfnis nach flinker Einord- 
nung. rinen aufklire ndon Beitrag kann ich 
darin nicht erkennen. Es wäre eine weitere 
deprimierende Erfahrung, würde diese 
unsere Geschichte zum Steinbruch, aus 
dem auf die Schnelle Brocken herausge- 
brochen werden, um die jeweilige „Posi- 
tion" zu untermauern. Dennoch ist heute 
feslzuhaltcn, daß es seil langem auseinan- 
derstrebende Tendenzen gibt, in sich selbst 


jeweils nicht ohne Widersprüche, von 
persönlichen Animositäten überlagert und 
zur Dimension eines Bruchs nicht zuletzt 
dadurch gebracht, daß die Freiheit, mit 
Konflikten eher vertrauensvoll als verbis- 
sen umzugehen, zu wenig vorhmden war. 

Wir hier in Celle haben seil Mitte der 
80er Jahre in Richtung einer emanzipato- 
rischen Gegenmacht gesucht. Will sagen: 
Befreiung braucht die Mobilisierung und 
Organisation von Aklionskraft. aber ohne 
die Mobilisierung und Organisation von 
Zuneigung zur eigenen Kraft, zu Talenten 
und Bedürfnissen wird das im subjektiven 
über Aklionismus nicht hinauskommen. 
Selbst wo man einen weitgehend „militä- 
rischen" Sundpunkt einnehmen wollte: 
daß dies kriegsentscheidend ist hatte - in 
seinem Klasscninlcresse verallgemei- 
nernd - bereits ein Clausewitz einer 
revolutionlren Armee seiner Zeit abge- 
guckt. Bewaffneter Kampf ist indes eine 
autoritäre Angelegenheit, und je unglei- 
cher das Kräfteverhältnis, desto größer die 
Gefahr solcher Verkürzung der Perspekti- 
ven. Zeit und Kraft für lange Entwick- 
lungswege ist da so gut wie nie. Aber auch 
daraus körnte noch etwas rausgcholt 
werden in einer Epoche, wo das Zeitgefühl 
verschwimmt angesichts von Zuständen, 
die in jedem Punkt schoo fertig zu sein 
scheinen, imkorrigierbar kontrolliert und 
beherrscht - und so beginnen und been- 
den. unterbrechen und neu anfangen, 
wovon dar Zeitgefühl lebt, «innlos er- 
scheinen. Guexjllamcntaliläl! Zulange ha- 
ben wir uns in diesem Widerspruch zwi- 
schen Sehnsucht nach Befreiung und 
Zwang zur Härte bewegt, als daß uns das 
nicht alle verändert hätte. Davon spricht 
unser Alleingang nicht weniger als die Art 
und Weise, wie diese Spaltung vollzogen 
wurde. Es wäre nicht der erste revolutio- 
näre Krieg, der sich durch sich selbst 
seines ursprünglichen Ziels beraubt. Lenin 
Spricht am Ende des Bürgerkriegs vom 
verschwinden der Aibcilcrklassc. Womit 
er nicht deren physische Dezimiening und 
Zerstreuung in alle Heimatdörfer meinte, 
er spricht, mit Blick auf di« Barbarei 
dieses Kriegs, vom Verlust jenes einzigar- 
tigen. kämpferischen und Talente freiset- 
zenden Kassen-Selbstbewußtieins, das 
Herz und Verstand jenes emanzipatori- 
schcn Sozialismusprojekts häcc werden 
können, da? er. ausgerechnet im streß des 
Revolutionssommers '17, in „Staat und 
Revolution“ und benachbarten Überle- 
gungen entworfen hatte. Die Partei sollte 
da doch ein ganz und gar un-leninistisches 
Gewicht haben! Nein, für diesen Lenin 
war Antiirrperialismus und Sozialrevolu- 
lion ganz gewiß kein Gegensau. Gant im 
Gegenteil! Wenn ich mal davon geredet 
habe, daß wir alte eingefahrene Denk- und 
Konüovers*nmuster überwinden sollten, 
wäre dies «in Beispiel. Aber auch Marx! 
ln seinem Begriff der Pariser Kommune 
hat er. strategisch denkend, den Emanzi- 
patorischcn unmißverständliche ja gera- 
dezu demonstrativ Vorrang gegeben vor 
den militärischen Defiziten, obwohl sic 
ihm den schlaf geraubt halten. 

In den Ajscinandersetzungcn der Jahre 
1992/93 scheinen die Gewichte anders 
gelagert zu sein. Denkbar schlechte Vor- 
aussetzungen Für den Umgang mit dieser 
Kinkel-Initiative. Denn sie drückt weniger 


auf das militärische als auf das emanzipa- 
torische Moment. Das. wie unsere Ge- 
schichte nun mal gelaufen ist. eher bei den 
Gefangenen lag. wenn auch in sehr wider- 
sprüchlicher Weise, als bei den bewaffnet 
Kämpfenden, egal ob den von 75. 77 oder 
85. Im Konflikt einiger Gefangener mit 
den Illegalen 90/91 taucht es aufSeiten der 
RAF auf. findet seinen Ausdruck in den 
April- und August-Texten 92, um von 
jenen, die sich einen klaren Blick nur noch 
Uber Kimme und Kom vorstellcn können, 
intern sofort als „MUsll“ denunziert zu 
werden. 

Wenn es von Seiten des Staats keine 
politische Antwort gab, dann vor allem 
deshilb, weil sie glaubten, mit der Figur 
Stcirmctz endlich der militärischen Lö- 
sungnahe gekommen zu sein. Dies ist das 
eine. Das andere ist. daß die seit Januar 92 
vom Staatsschutzbunker noch einmal mit 
besonderer Inbrunst gelegte Eskalations- 
spur gewiß kein Fremdkörper in der 
gegenwärtigen Politik von Staat und Ka- 
pital ist. Mölln. Bad Kleinen. Solingen 
gehören zusammen. Von allem andern gar 
nicht zu reden. An dieser Figur Steinmetz 
fallt jedenfalls auf, daß skr überall hinflie- 
Ben will. Und darin ist sie sicher auch 
Produkt jener politischen Leere, von der 
oben die Rede war. Niehl daß aus solcher 
politischen Leere zwangsläufig Verrat 
kommen müßte, aber dem Verrat vorbeu- 
gende Identität kommt aus Verdinglichung 
und Fetisch nicht 

Ich denke, die politische Vorstellung, 
wie sie beispielhaft in der Erklärung 
Helmut Pohl 27.8.93 sichtbar wird: Teile 
der Gesellschaft könnten sich der seit 20 
Jahren richtig antizipierenden RAF-Poli- 
tik anschlicßen, nachdem sic im heutigen 
kapitalistischen Durchmarsch ihre Lage 
erkannt haben, und zwar ohne daß es von 
unserer Seite aus nennenswerte Aus- 
tauschanstrengungen braucht, da die Aus- 
einandersetzungen auf uns zugeflogen 
kommen - solch ein Szenario ist so 
realititsvciträglich wie da? der weltweiten 
resp. westeuropäischen Front der 80er 
Jahre. Umgekehrt wird ein Schuh draus! 
Die praktische Initiative muß auf die 
Menschen zufliegen, die in dieser Welt 
mehr denn je Grund haben, ihre Lage zu 
begreifen (mehr denn je ober, nicht zuletzt 
in ihrer oft zugespitzten Vereinzelung. 
Schwierigkeiten damit haben dürften), 
und die so in der revolutionären Initiative 
etwas wiedererkennen von ihrem Bedürf- 
nis. von ihrem Traum ntch Würde und 
Existenz (wozu heute auch der Wunsch 
gehört, zurückzuschlagcn) - jede Initiati- 
ve ein Moment, aus dem sich nach und 
nach das Puzzle einer revolutionär-eman- 
zipativen Gegenmacht und -Wirklichkeit 
herausstelll. Ja. es mag sein, daß RAF 
Hoffnungen auf sich gezogen hat (aber 
auch Ängste), aber eine revolutionäre 
Strategie, die diesen Namen verdient, muß 
doch darauf aus sein, den Menschen 
Hoffnungen auf sich selbs: zu machen ! Wo 
bewaffnete Aktion und revolutionärer 
Kampf zum Synonym werden, ist die 
Nicderlcgc vorprogrammiert - sowohl 
politisch als auch militärisch. 

Konkret - auch um das, was von uns und 
an uns in den letzten Jahren gelaufen ist. 
einordnen zu können - am wichtigsten 
scheint mir aktuell eine möglichst breite 



204 


Fronl gegen die Gefahr von Faschismus. 
Eine Frage, die unausweichlich auf uns 
zukommen wird,. spätestens dann, wenn es 
in dieser Entwicklung einen noch bedroh 
lichcrcn Sprung geben wird. So jedenfalls 
die Erfahrungen aus der Geschichte. Das 
von Spaltung und Zensur ausgehende 
Signal geht in die falsche Richtung. Diese 
Faschisierung ist aber nur der unverstellte 
Klauest des ncolibcralen Wolfsgesezes. 
Antifaschistischer Kampf ist notwendig, 
soweit Ich das von hier sehen kann, hat er 
eine Kraft und eine Wirkung entwickelt, 
die ihn legitimiert, aber doch ist er ohne 
Schutzwirkung gegenüber der Zcrstü- 
rungsdynamik des neoliberalcn Totalita- 
rismus. Die Diskussion über bewaffnete 
Aktionen, wie sic in den letzten zwei 
Jahren weitgehend geführt wurde, halle 
ich nicht für einen Beitrag zur Lösung 
dieser Frage, sondern für einen Beitrag zu 
ihrer Verdrängung. 

Wir hier haben das Gewicht unserer 
Arbeit in den letzten Jahren schwerpunkt- 
mäßig auf die Suche nach einer 
Übcnvindungspcrspcktive gelegt: das 77- 
Seitcn-Papier von Karl-Heinz Dcllwo, 
ursprünglich für die gruppeninterne Dis- 
kussion bestimmt, in Ausschnitten jetzt in 
der bctlincr Zeitschrift ARRANCA! (Nr. 
3. Winter 92/931 veröffentlicht: mein 
Austausch mit Ttpamaros (Lutz Täufer. 
..Auf der Suche ...*. ak 337, 16. 12.91), der 
Beitrag im PIZZA-Sammclband Frühjahr 
1992 (Lutz Täufer, „Gedanken gegen die 
Mauern", in: PIZZA (Hg.). ODRANOEL. 
Die Linke - Zwischen den Welten. VLA). 
Diskussionen und Auseinandersetzungen 
mit Linken und Alternativen aus (Jen 
verschiedensten Bereichen, aus Ost- und 
Westdeutschland. Es ist sicher richtig, daß 
Gefangene nach dieser langen Zeit des 
Abgescholtelscins von jeder sinnlichen 
Erfahrbarkeit der stark veränderten Ge- 
sellschaft draußen sich bei einer solchen 
Arbeit in einzelnen Punkten vertun kön- 
nen. Unser grundsätzliches Anliegen sehe 
ich aber durch die Entwicklung der letzten 
Monate eher noch einmal bekräftigt. Auf 
jeden Fall war diese Arbeit sinnvoller als 
die An- und Absage von Diskussionen, 
denen dann aber keine eigene Vorgabe 
folgte. 

Nicht zuletzt ging es uns darum, zwi- 
schen der Realpolitik „Zusammenlegung 
durchsetzen“ und der Irrealpolitik einer 
weltweiten Front zu einem Maß zu finden, 
das unseren Möglichkeiten und Kräften 
entspricht und so Enlwicklungsmöglich- 
keiten in sich trügt. 

Was uns in den letzten Jahren umgetrie- 
ben hat. könnte in den Sätzen aus dem 
PIZZA-Beitrag skizziert sein: 

.. Widerstand ist Abwehrkampf. Negation 
von bestehendem schlechten. Widerstand 
ist nicht revolutionär, denn er föhn der 
Gesellschaft nicht jenes positive zu, dessen 
Möglichkeit er mit seiner radikalen Kritik 
am Bestehenden behauptet. " 

Die Suche nach einer Überwindungs- 
perspektive wird allerdings in dein Maß 
subjektiv als sinnlos und abgehoben er- 
scheinen und objektiv auch sein, wo die 
Alltagskämpfe ums Überleben und für 
eine selbstbewußte Kultur der Existenz 
diesseits der Sclcktionsrampc Weltmarkt- 
rentabilität nicht geführt werden. Damit ist 
aber schon die Unmöglichkeit benannt. 


unseren Kampf hier anders als mit interna^ 
tional-solidarischer Wirkung zu entwer- 
fen. Warum Auschwitz im US-Krieg ge- 
gen Vietnam wiedererkennbar gewesen 
sein soll, die nicht weniger massenhaft- 
tödlichen ökonomischen Vcmichtungs- 
feldzüge des westlichen Kapitals gegen 
die allermeisten Trikont-Länder Ausdruck 
eines Demokratisierungsprozesses sein 
sollen, ist nicht nachzuvollziehen. Bei 
jenen, die so reden, scheint mir das 
demokratische Heute nicht weniger ideo- 
logisch-eniäußert zu sein wie ehedem das 
revolutionäre. Wenn die Aufstände gerade 
in den als jahrzehntelang „stabil" und 
„demokratisch" geltenden Lindem La- 
teinamerikas wie Mexico und Venezuela 
zunehmen, ist das ein deutliches Zeichen. 
Auch hier bei uns wächst die Bedrohung 
von Leben und Existenz. Ohne die Erfah- 
rungen aus all diesen Kämpfen, ohne ihre 
wechselseitige Annäherung und Vermitt- 
lung, wird aber eine Überwindungsstratc- 

£ kaum zu gewinnen sein. Der im Bild 
One- World suggerierte Endsieg hat so 
nicht slattgcfundcn. Ratlosigkeit in glo- 
balpeispeküviscbcr Hinsicht breitet sich 
aus. Dies zu sagen heißt nicht, die zu 
unterschätzen, die trotzdem versuchen, die 
kapitalistische Katastrophe zu verwalten 
und jene, die so uneinsichtig sind, noch 
immer wie Menschen leben zu wollen, in 
Schach zu halten. 

Es gibt draußen welche, die die Einstel- 
lung der Angriffe, das damit verbundene 
Aufknoten unserer Geschichte sowie - 
kaum vermittelt - Andeulungea, wonach 
in der Gesellschaft heute etwas anderes 
möglich sein soll, als Messer in den 
Rücken empfinden. „Links" steht mit dem 
Rücken zur Wand - so sehr die Kümpfe 
ums Überleben im Alltag ohne Millitanz 
kaum noch vorstellbar sind, so sehr sie 
auch ganz subjektiv Überlefcensbedin- 
gung sind, an der grundsätzlichen Situati- 
on ist damit allein nichts 1 zu ändern. Ich 
denke aber, auch wenn eine revolutionäre 
Perspektive nicht in Sicht ist, haben die 
Recht, die Widerstand leisten. Das war 

ursprünglich Selbstverständnis von ■' 
„RAP’, um nach und nach dem verbalra- 
dikalen Lippenbekenntnis zu weichen. 

Wenn wir etwas antizipiert haben, dann 
diese revolutionäre Subjektivität Es hat in 
dieser Gruppe harte Auseinandersetzun- 
gen gegeben, auch hier in Celle gab cs die. 
Wie sollte dis anders sein, wir sind nicht 
vom Mond gefallen. Positiv- wie Negativ- 
mythen haben dazu beigetragen, Konflik- 
te, die bei einer so langen Zeit und unter 
derart extremen Bedingungen ganz natür- 
lich, ja, ich würde sagen, notwendig sind, 
nicht immer in konstruktiver Weise regu- 
lieren zu können. Also wurden sie akku- 
muliert. Aber wenn es diese Gruppe mehr 
als zwei Jahrzehnte gegeben hat, dann aus 
einer Reihe von Kämpfen ums überleben 
als politisch freibleibende Menschen, aus 
Bedingungen heraus, die denen draußen 
heule sehr viel verwandter sind als noch 
vor 20 Jahrtn. Die Erfahrungen, die wir 
erkämpft haben, waren und sind ver- 
schlungen incine Wirklichkeit, die immer 
wieder so unüberwindbar schien wie die 
heutige Wirklichkeit draußen. Es gab im 
Hochsicherbeilstrakt und in den Isola- 
tionszellcn keine Möglichkeit, sich lange 
Illusionen über die eigene Situation zu 


machen. Als Gefangene hatten wir nie den 
Reichtum an Möglichkeiten zum Kämp- 
fen und zum Leben, den cs draußen 
solange gab und der inzwischen drama- 
tisch zu schrumpfen scheint. Wir hatten 
keinen gemeinsamen Ort wie eine Artxi- 
terbewegung die Fabrik oder die Gewerk- 
schaft oder eine Hausbesetzerbewegung 
den Kiez - und unter dem existentiellen 
Druck der Vemichtungshaft hatte wir auch 
nicht immer den Luxus endloser Zeit, eine 
präzise Klassenanalyse anzufertigen, be- 
vor wir einen Hungerstreik begannen. 
Entsprechende Fordeningen, wie sie 92 
uns hier erreichten, haben mich doch eher 
melancholisch gestimmt. Es gab keine 
hinreichend vorhandene Ressourcen, auf 
welcher subjektiven und objektiven Ebene 
auch immer, sie waren dschungelmäßig, 
äußerst dürftig und beschwerlich. Trotz- 
dem hat sich die Gefaagencngnippe in 
ihrem Kampf der Wirklichkeit präziser 
angenühert als viele andere. Sie hat ge- 
kämpft auf einem Terrain, auf dem das 
System in jedem noch so kleinen Detail die 
Initiative zu haben scheint, in einer Situa- 
tion der scheinbar eidiückcndcn Über- 
macht des Gegners; an einem unausweich- 
lich feststehenden, unentrinnbar öden und 
engen Ort, nach einer Zeiteinteilung, die 
den eigenen Lebens- und Arbeitsrhythmus 
zerstückelt: nach objektiven Bedingungen 
Für emotionales und intellektuelles Leben, 
wie sie unter sensorische: Deprivation und 
sozialer Isolation schlechter kaum vor- 
stellbar waren und, bei Birgit Hogefeld, 
noch heute so sind. Wir waren hier in der 
elendigen Situation einer Guerilla, die mit 
nichts in der Hand beginnt und lange, 
lange Zeit über diese erbärmlichen Bedin- 
gungen nicht hinauskommt - und die 
deshalb gor keine andac Wahl hat als 
unterzugehen, und das heißt auch, indivi- 
duell unterzugehen, oderein Maximum an 
Erfindungsreichtum. Flexibilität, Kraft 
und Risikobercitschaft zu entfalten. Wir 
hatten nicht die Möglichkeit, auf Zwangs- 
cmäJirung und Isolationshaft mit Transpa- 
renten oder dem Aufsiellcn „richtiger 
Forderungen" reagieren zu können. Wie 
Robiason auf seiner Insel waren wir 
gezwungen, ständig ncie Lösungen zu 
erfinden. In der politischen Aussage hat cs. 
nicht zuletzt aufgrund dieser Bedingun- 
gen. Fehler gegeben. Gut. daß cs immer 
wieder ein paar gibt, die die dahinter sich 
verbergenden moralischen Abgründe auf- 
dcckcn. Wir waren in unserem Kampf auf 
der Höhe der Zeit. Wenn wir dabei an eine 
Grenze gestoßen sind, dann die. daß 
unsere Art und Weise, za kämpfen, eine 
Vorahnung gewissermaßen, vertieft und 
verbreitert, aufgehoben sein könnte im 
Kämpfen, Handeln, naebdenken und su- 
chen auf neuer ebene. Denn die alltägliche 
Dimension von Austilgung und Sclbstaus- 
tilgung, von Deprivation und Enteignung 
hat die abhängigen Teile der Gesellschaft 
draußen längst erreicht. 

Als normative Kraft des 7öf-Sachcn- 
Schaffens gingen die Gefangenen immer 
wied« voran, zusammen kämpfend und 
doch erstmal allein und auf eigene Faust, 
und darin waren sie Avantgarde im besten 
Sinn. Da entstand Nähe, erlebt wurde die 
Geburt menschlicher Beziehungen Uber 
Hunderte von Kilometern hinweg, und so 
von Kraft. Die Furcht vor einer unklaren, 
offenen Situation - offen im Negativen 



205 


wie im Positiven verwarf sich im 
Sprung in die Solidarität. Jene, die uns - 
die letzten beiden Jahre nicht zum ersten 
Mal - die Klarheit der Klassikerinncn und 
Klassiker Vorhallen. übersehen dahei. daß 
cs diese, ohne die schon fast natürliche 
Solidarität der Arbeiterbewegung des 19. 
Jahrhunderts, gar nicht gegeben hätte. Ja. 
gewiß. Solidarität ist naiv. Aber in dieser 
Scham vor solcher Einfachheit, in der 
manche Linke jener Metropolengesell- 
schaft und der Logik des Wolfsgcsctzes 
ähnlicher sind als ihnen recht ist. verbirgt 
sich schließlich ein Bedürfnis nach Gesell- 
schaftlichkeit von Vereinzelten, die nicht 
mehr wissen, wie sie das anstellen sollen. 
Ungewiß, wie heute nun mal alles ist, 
braucht eine solche Situation der Krise 
und des Übergangs eine Solidarität, die 
Kraft und Sclbstbcwußtsein genug hat. 
auch mal alleine zu gehen, ohne auf die 
ewige Krücke der moralisierenden Ab- 
grenzung angewiesen zu sein. Im unge- 
wissen der einfachen Negation Priorität zu 
geben - diese endlose und so müde 
machende Geschichte des Herummanö- 
vrierens in der Sackgasse von Ausgren- 
zung und Abgrenzung - schafft keine 
Klarheit. Wenn wirOhnmachtsgefUhlcfab 
und zu) lindem wollen, mag cs genügen, 
hier und da eine bewaffnete Aktion zu 
machen. Wo wir aber die Ohnmachtssitua- 
lion aufbrechen wollen, müssen wir alle 
die politisch-ökonomisch-kulturelle 
Schranke durchbrechen, die uns heute 
stärker denn je gesetzt ist, ja. uns einzu- 
kreisen droht. Mag sein, daß unsere Suche 
nach dem, womit dif Gcsel Ischaft schwan- 
ger geht - nicht nur nach Marx conditio 
sine qua non jeden revolutionären Prozes- 
ses. manchen allerdings untrügliches Zei- 
chen für reformistische Dekadenz - ange- 
sichts der realexisticrendcn Kraft und 
Bewußtseinslagcn von uns Linken sowie 
der aktuellen gesellsihaftlichen Entwick- 
lung nicht vermittelt ist. Trotzdem möchte 
ich auf Gramscis Warnung hinweisen, die 
konjunkturellen Entwicklungen nicht mit 
den organischen zu verwechseln. 


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IX. Anhang 

1. Quellenverzeichnis 
2 Hinweis auf weiterführende Literatur 



207 


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tVoraeat 

Onjrabemm; 

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X Für eine ptrfjttVe Detooe nri«cf»n AmiiTcakUiltr»» f* 
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Oa-Wet An cto Mfcacen Oer ’bronxmtor hUiWi' (ArtwoO aJ 

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an OWo 1991 . tofetiparte nUnT* Ctercetcnj cMt Ot Kd 

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1 . GWign iui Om PCE(i) ui] Da GRAPO. Zn! innltn 
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2 . FrtOtriZ OrtKb. Dm Can/Tm»« KttT& äl «'■»flUC* UV UJ- 

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5 . Mnlji Ffauai iw da nOttm. Gepm an apimirnr Ctutic'v 
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M n*nn WfcrajWti BtCoHo (Boti). N. 210. M.i0 1992. S. 
17-19. 

4 . FnuK.\.»rt*n am Gle«en. II w IV^nlillitfa A 3 M(FM>. 1993 ) 

ao ftro?:.» 229 »021993. S 23 27. 

X (WKKla Lenti wi dar blmdtHai Ff»wrHL*nt-S(*»- 
«ubl SWwgnrti» *w *F«nhi«»e 0 ai *> er |HH 1993 ) 

US rwv".» 239. «05 1993. 33 -M. 


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1 . KofciwOa-KolHItr, FrmOtfW oda Pc* Amw Fnttorl . 
Zur Km* du OlTuww da KrtHhai Tfmrit W dW RAF 

Ov»Uo»; o«i nattjatihMUn. 

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UUI 23 - 129 . 

X Kal Um um FrtaSfch foj*. ittr dh rwoiwön*. Oow da 
SOKpaVitt Auuvj au dar Kf-muran»oiai Untat 
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AnjMK«HW-VW Nr 113. 24.CG.1583 
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03 06 1991. 32 • Agare Bene <Hg ). DXmmaicn ra Auuradet- 
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209 


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08111993. 10 ■ WKW I*.i81. 1t.11 1W3. 22- 24 ■ IBtov. 61 - 
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hfc.Nr. 132.19.11.1993 II • 12 • ASOctoi 66 


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1611 1993.4- S.Avar-V^W». Nr 132. 19111963.8-10. 
EnHida. liu*7raw>n0orTWu^na-rpf^riPrDia0artifn*pj 
»»•04 11 iwii rwi r» yvu itmtn ». .7 . a-s» 

132. 19.11. 1993. 3 -5. 

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jarrWer.Nr. 132. 13.11.1993.7 -8 

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Oc*J. 63-64 

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KJ». n Wa<W'N.262. 1411.1963. 23 -24. 

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«» 263.2511.1993.21 -25a AWWu «8-72. 

U*a*h. ewanarflata, da MF tri ata GaürqatF taOttMF.n 
rentnH 764.2.71993.»-33.ASO*l.75-'8 


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P. ml D. Br*,, ßda edar Naua^rg» Zu Coluuor haaahan 
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UahAal dar Gatrgran. iv AK 362. 1201 1994.?: -28 
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RAF. PflMnro k», 0501 1994. »r mm» 779 24 CO 199*. B • 18 
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Raa Ajrraa Fr*Wi T Wirt d«S WM Aal<*. AK N. 357. 2508 1993. 
llOgl duu da ki, dar r.air |i Kt. 246) n tum r Badnar MolA- 
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paöu vo. Pro Ku)»Tuiana. Jrnanda Ama* Fra»- 

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Oaola, «W. Oa AtettaW dK CCa«0fcWn,»datWM (14 08 1993). 
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"tiratv an On,-»angK Kd narr AVrua?" (liMtl) Tafle v« G» 
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1956.3*6-36* 

Dos . (terden WbosyuA n *M. X5 - 40» 



-texte- Neuerscheinung 


-texte- 


DOKUMENTATIONEN ZUR ZEITGESCHICHTE 


REIHE -texte- 

Krise, 


-fevte-Nummern kosten DM 7.00 
zuzüglich DM 1.20 Porto. 
Bestellungen gegen Vorkasse bei: 
gruppe 2 - Fasanenstraße 142 
D-82008 Unterhaching 
Tel.: 089/61 16216, Fax 6116247 


Guerilla und 
revolutionärer Prozess 




Die Erklärung der RAF vom 10.4.92 * um der 
sie dis ..Zurücknahme der Eskalation" 
ankundigte. die folgende Augusterklärung 
und nicht zuletzt das OfTcnwerden des Bruchs 
zwischen den Gefangenen haben - vor dem 
Hintergrund weltweiter Veränderungen im 
internationalen Machtgeruge - in der 
revolutionären Linken hier wie anderswo zu 
Kontroversen. Verunsicherungen, aber auch 
(vor allem über die entschiedene Ablehnung 
des "reuen Kurses") zur Wiederaufnahme 
der Debatte über Krise. Guerilla und 
revolutionären Prozess geführt. Die Nr. 7 der 
REIHE -texte- dokumentiert internationale 
Stellungnahmen zur Entwicklung seit 1992 
und deren politisch-ideologische Ursachen 
und stellt - nicht nur, aber auch - über den 
Bezug auf die italienischen revolutionären 
Gefangenen eine Fonschreibung der bisher 
erschienenen Ausgaben dieser Reihe dar. 


In der REIHE -texte- 
sind bisher erschienen: 


Nr. X Klassenkampf 
oder Politische Lösung 

Beiträge zur Amnestiedebatte in Italien Zu 
Won kommen sowohl die Vertreter der 
„politischen Lösung“, als auch Exilierte 
und revolutionäre Gefangene verschiedener 
Organisationen 

Nr. ft Chronik einer 
Debatte/Gegen Dialog 

Beiträge gegen die Liquidierung der Mas- 
senbewegung in Italien Im Zentrum stehen 
Texte zu ..Bruch oder Kontinuität“ Verein- 
heitlichung der Debatte und zum Internatio- 
nalismus der 80er Jahre. 

Nr. 3 Analyse 
der Kampferfahrungen 

Die Ausgabe konzentriert sich auf Texte 
zur Analyse vergangener Kampfcrfahrun- 
gen. der sozialen und politischen Verände- 
rungen mden80er Jahren und zur 
„imperialistischen Intemationalisicrung" 

Nr. 4t Krise revolutionärer 
Bewegung in Italien 

Enthält u a. einen ausführlichen Beitrag re- 
volutionärer Gefangener zur Internationa- 
len Entwicklung aus dem Jalir 1989 
Nr. 5 Zur Neuformierung 
der Kla33enbewegung 
Dokumente zur Neuzusammensetzung der 
Klassenorganisation und Wiedergewinnung 
revolutionärer Perspektiven. 

Nr. 0 Politische Gefangene 
und Widerstand in den USA 

Die Dokumente des Internationalen Tribu- 
nals gegen Mcnschcnrcchtsvcrlctzungcn in 
New York 1990. Interviews, Biografien etc 





Ingrid Strobl über Kommuni.sllnnen-Verfolgung und § I29a 


Der Paragraph 129 wurde unter Bismarck erfunden, um die Sozialistengesetze durihzu.sctzcn. Und 
er wurde fast genau hundert Jahre spater von Jen regierenden Sozialdemokraten um Jen 129a erwei- 
tert. um. wie es .so schon heißt, den Terrorismus zu bekämpfen . Dieser Paragraph, der nls'Wuffe ge- 
gen die sich organisierende deutsche Arbeiterbewegung geschmiedet wurde, übe richte das Ende des 
Kaiserreichs und das Ende des Tausendjährigen Reiches". Diese Waffe wurde nhcli der Niederlage 
des NS-Regimes sorgsam wieder ausgegraben. poliert, technisch verbessert und dient heute als 
Mchrzwcckwaffc gegen jede radikale, mchtiniegrierbare Opposition. Sie ist ein Dokument des Anti- 
kommunismus. und sic entlarvt den Mythos von der sogenannten Stunde Null. Deutschland lag 
1945 in Trümmern, aber das klassische Feindbild hatte nicht den kleinsten Kratzer abbekommen. 
Wahrend zum ndest der Antisemitismus nach Auschwitz erne Zcitlang als inopptrtun galt, reüs- 
sierte der Antikommunismus zum tragenden Segment des deutschen Wiederaufbaus. 

Dieser tief verwurzelte Antikommunismus schienden westlichen Alliierten eine Garantie dafür, daß 
es sich lohnte, aus den Trümmern ein neues Industriezentrum und "Bollwerk des Westens" auf/.u- 
bauen. Und so wurden die Konstrukteure und Profitcurc der nationalsozialistischen Großraumpoli 
lik bruchlos in die Etablierung dieses imperialistischen Staates Bundesrepublik integriert, da man 
auf ihre unschätzbare Erfahrung und Kompetenz nicht verzichten konnte und wollte. 

Die NS-Wirtschaftsführer. die ganz Europa; von Frankreich bis Polen ausgeraubt harten, mußten 
sich kaum aus ihren Chefsesseln erheben, um sofort wieder neue Großprojektc zu pluncn. 
Gleichzeitig wurde erneut zum Halali geblasen gegen die Kommunistinnen und Kommunisten, die 
es gewagt hatten, das NS-Regime zu überleben, die es gewagt hatten - fast als einzige - gegen dieses 
Regime Widerstand zu leisten. Die neue alte Wa:fe in den Händen ihrer Gegner war der Paragraph 
129. 

Während der Rassenkommentator Globke in Adenauers Staatskanzlei renommierte, wurden - nach 
Paragraph 129- 370.000 Ermittlungsverfahren gegen Kommunisten und Gegnerinnen der Wieder- 
bewaffnung eingeleilct. Während ehemalige Gestapo-Offiziere ihr neues Auskommen fanden, 
wurde die Kommunistische Partei Deutschlands erneut verboten. 

Die deutschen Firmen, die die besetzen Länder Europas schamlos ausgepreßt, die sogar noch von 
der industriellen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung profitiert hatten, diese Firmen sind heute 
besser im Geschäft als je zuvor. Von der Deutschen Bank über Krupp bis zu der vor Bayer kontrol- 
lierten Degesch. die das Zyklon B herstelho. haben diese Firmen heute ihren sauen Anteil an der 
Auspressung. Selektion. Vertreibung und Vernichtung der Menschen in der sogenannten "Dritten' 
Welf. 

Doch dieses Programm funktioniert nur dann reibungslos, wenn im eigenen Land absolute Ruhe 
herrscht. Und weil sich der Widerstand gegen dieses neue Programm bald nicht auf die organisier- 
ten Kommunisten beschränkte, weil sich die Ruhe weder durch die Notstandsgesetze noch durch die 
Integration von Teilen der APO, also weder mit Zuckerbrot noch mit Peitsche, hcrstcllcn ließ, weil 
sieh immer noch und immer wieder an allen Ecken und Enden Widerstand rührt, deshalb mußte der 
gute alte Paragraph 129 generalüberholt und den neuen Erfordernissen ungepaßt werden. Er wurde 
um den 129a erweitert, das neue Feindbild hieß nun Terrorismus, und Terropsmus. das ist immer 
das. was der Staatsschulz dazu erklärt. 

. - 10 DM 

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BnttchürcnKruppt'.c/n Kuplcrlurfcn MW. 

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